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Der Tag von Corpus Christi.

Auf der kleinen Galerie des weißen Leuchtturmes an der Spitze der schmalen Landzunge, die der Lagune von Corpus Christi vorgelagert ist, standen zwei amerikanische Marineoffiziere und hielten mit ihren Gläsern Ausschau über die endlose blaue Fläche des Meeres, auf deren blitzblanke Wellen die sengenden Strahlen der Mittagssonne Myriaden funkelnder Lichtpünktchen streuten. Draußen auf der Reede lagen sieben große Frachtdampfer, aus denen die Bagage und die Pferde des zweiten Florida-Kavallerieregimentes in Leichterschiffe ausgeladen wurden. Ein kleiner Dampfer, der mit seinem breiten Bug zwei schimmernde Schaumstreifen durch die blaue Flut zog, schleppte drei Leichterschiffe durch die schmale Einfahrt der Lagune nach Corpus Christi, an dessen Kais geschäftiges Leben und Treiben herrschte. Kurzatmige Lokomotiven schoben unter fortwährendem schrillen Läuten ihrer Warnungsglocken lange Güterzüge auf die Schienenstränge am Hafen. Von dem Zeltlager vor der Stadt tönte durch die traumhafte Stille der glühenden Mittagsstunde leiser Trommelwirbel und langgezogene Hornsignale herüber. Zwischen den weißen Zeltdächern kroch eine lange graue Schlange, überzuckt vom matten Flimmern blinkenden Metalls, hervor, eine Truppenabteilung, die nach dem Bahnhof marschierte. Hinter der Stadt konnte man zwischen den grünen Gemüseplantagen des texanischen Fruchtgartens, wie auf einer Karte, meilenweit die silberglänzenden Schienenstränge verfolgen, bis sie sich im Dunste des Horizontes verloren.

Dumpf dröhnte jetzt die Dampfpfeife des Schleppdampfers auf der Lagune und blies weißschimmernde Flocken zerflatternden Dampfes in die Luft. Über den bunten Häusern der Stadt schwamm ein hastiges helles Gebimmel der Kirchenglocken. Es war 12 Uhr und die Sonne brannte blendend hernieder.

Einer der Marineoffiziere zog seine Uhr und verglich die Zeit: »Wollen wir hinunter gehen, Ben Wood, und erst essen?«

»Eigentlich müßten die Dampfer aus Havana doch endlich in Sicht kommen,« gab der Angeredete zurück, »sind am 26. abgefahren.«

»Nun ja am 26. Aber unter den Transportern gibt es ein paar ganz schauerliche alte Kasten von nicht mal zehn Meilen, die uns die Herren in Baltimore aufgehängt haben. Ausgefahrene alte Dinger, die aber mit ihren klapperigen Maschinen den Marschtakt der Flotte angeben, und will die ›Olympia‹ diese Seelenverkäufer nicht ihrem Schicksal überlassen, so muß sie einfach mit ihnen Schritt halten.«

Der Leutnant Gibson Spencer nahm sein Marineglas, suchte noch einmal langsam den Horizont ab und blieb dann an einem Punkte haften. »Wenn das nicht der fliegende Holländer ist, dann sind es Schiffe,« sagte er, »dann könnten sie es sein.«

Der Leuchtturmwächter, ein schlanker Mexikaner, trat auf die Galerie: »Herr Leutnant, drüben kommen Schiffe,« sagte er und wies nach derselben Stelle des Horizontes. Leutnant Ben Wood trat an das Stativfernrohr in der Laterne des Leuchtturmes unterhalb des Raumes für die Lampen und richtete an den Schrauben, zuckte aber bei der Berührung des unter den Sonnenstrahlen glühend heiß gewordenen Metalls zusammen. »Verdammte Gegend,« schimpfte er vor sich hin.

Leutnant Spencer unterhielt sich mit dem Leuchtturmwächter und blickte dann durch sein Glas nach Corpus Christi hinüber, wo jetzt der Schleppdampfer am Hafenkai anlegte. Der dritte Leichter fuhr dabei krachend gegen das Bollwerk, so daß ein Regen kleiner Holzteile ins Wasser fiel.

»Gibson,« rief Leutnant Wood jetzt aus der Laterne des Leuchtturmes mit einer in dem kleinen Raume dumpf klingenden Stimme, »Gibson Spencer, das sind unsere Schiffe nicht.«

Auch der Angerufene kam zu demselben Resultat, als er durch das Stativfernrohr gesehen hatte. »Solche Schiffe haben wir gar nicht,« meinte er, »aber sie kommen näher, es wird sich ja bald herausstellen müssen, was wir da vor uns haben.« Er blätterte in dem kleinen Marine-Taschenbuch » made in Germany«, das auch hier für die Offiziere der Vereinigten Staaten der sicherste Leitfaden war. »Schiffe unserer Flotte sind's nicht,« bestätigte er nach einer Weile und überzeugte sich noch einmal durch einen Blick auf die langsam am Horizont emporwachsenden Schiffe, die zwei mächtige Schornsteine und nur einen Signalmast zeigten. Sogar die Kuppelbauten der Panzertürme auf Deck waren schon deutlich erkennbar.

»Wenn ich nicht wüßte,« fing er wieder an, »daß unsere lieben englischen Freunde die einzigen sind, die sich solcher Schiffe erfreuen und daß unsere, Gott sei's geklagt, erst in Newport News in der Ausrüstung begriffen sind, so würde ich sagen, das sind zwei ›Dreadnoughts‹«.

»Du hast wohl den Sonnenstich,« klang es als Antwort von drüben.

»Sonnenstich oder nicht, das sind zwei ›Dreadnoughts‹.«

»Aber woher sollen denn die kommen?«

Die drei Männer beobachteten schweigend den Horizont, dann rief Leutnant Wood plötzlich: »Das da links, was da hinten jetzt auftaucht, das wird die Transportflotte sein … acht … zehn Schiffe, und das da vorne, das kann die ›Olympia‹ sein.«

»Zwölf Schiffe,« zählte der Leuchtturmwächter, »davor die beiden, das sind vielleicht, wenn der Signor erlaubt, zwei Kriegsschiffe.«

»Na also,« sagte Ben Wood, »da hätten wir sie ja. Wir können jetzt noch schnell essen. In einer Stunde gibt's Arbeit für uns.«

»Wo willst Du essen?« fragte Spencer, »ich verzichte heute gern auf den Fraß bei Signor Morrosini.«

»Hör mal,« schlug der andere vor, »wir fahren hinüber zu einem der Transporter; oder noch besser zum Kommandanten der »Marietta« und essen bei ihm, da gibt's wenigstens eine menschenwürdige Verpflegung.«

»Gut,« sagte Spencer und sah über das Geländer der Brüstung nach unten. »Unsere Pinasse ist ja da.«

Unten am Fuße des Leuchtturmes lag die kleine weiße, mit ihren blanken Messingteilen in der Sonne glitzernde Pinasse, deren aus drei Mann bestehende Besatzung in die kleine Kajüte gekrochen war, während der schwarze Heizer auf der Bank neben der Kesselfeuerung schlief.

»Holla,« rief der Leutnant hinunter, »Miller, mach Dampf! Wir fahren in zehn Minuten hinüber zu den Transportschiffen.«

Der Heizer warf ein paar Schaufeln Kohlen in die Feuerung, worauf der schwarze Qualm aus dem Schlot kerzengerade am Leuchtturm emporstieg. Leutnant Wood telephonierte nach Corpus Christi hinüber, daß die Truppentransportdampfer in Sicht seien und voraussichtlich in zwei Stunden auf der Reede eintreffen würden. »Wir fahren,« fügte er hinzu, »inzwischen hinüber nach einem der Transporter und erwarten draußen die Ankunft des Geschwaders.«

Leutnant Spencer kletterte bereits die schmale Treppe des Leuchtturmes hinunter, als Leutnant Wood noch einmal den Horizont überblickend plötzlich stutzte. Dumpf rollte der Donner eines Schusses über die Wasserfläche. Bum, noch einer.

Der Leutnant riß das Glas an die Augen. Wahrhaftig, das waren zwei »Dreadnoughts«, also jedenfalls fremde, die ihren Salut gaben. Aber auf solche Entfernung?

»Gibson,« rief er in die Öffnung des Treppeneinganges.

»Komm doch, Ben Wood!« scholl es ungeduldig von unten.

»Nein, Spencer komm noch einmal herauf, da ist irgend etwas nicht in Ordnung.«

Laut grollend dröhnten die Kanonenschüsse von rechts herüber, als Leutnant Spencer schweißtriefend wieder auf der Galerie anlangte.

Ben Wood stand wieder am Stativfernrohr und drehte an den Schrauben.

»Jetzt habe ich sie,« sagte er.

»Die schießen wohl Salut?« fragte Spencer etwas unsicher.

Ben Wood schwieg. Dann schob er mit einem Ruck das Rohr nach rechts hinüber und faßte die Transportschiffe ins Auge.

»Allmächtiger Gott,« schrie er plötzlich, »die schießen scharf. Ich sehe vor der ›Olympia‹ … nein, da mitten … da hinten auch noch … da schlagen Granaten ins Wasser … Einer der Transporter legt sich auf die Seite. Was ist denn das nur? Sind das Japaner?«

Laut rollte der Kanonendonner über die ruhige See.

»Jetzt fängt die ›Olympia‹ an zu schießen,« rief Ben Wood. »Oh, ein Treffer mitten vor dem Geschützturm da vorn! Oh, das hat gewaltig aufgeräumt. Mein Gott, was machen wir hier nur.«

Kurz entschlossen stieß Leutnant Spencer den mexikanischen Leuchtturmwächter, der sich vor dem rätselhaften Ereignis fortwährend bekreuzte und in seiner Herzensangst seinen Rosenkranz herleierte, beiseite und eilte ans Telephon. Wütend drehte er die Kurbel. Keine Antwort. Bebend vor Aufregung stampfte der Leutnant mit dem Fuße auf. Wilde Flüche über die Bande knirschend, »die drüben natürlich wieder schläft«. Endlich!

»Hallo! Was ist denn los?«

»Hier Leuchtturm. Bitte sofort den Kommandanten von Corpus Christi zu benachrichtigen! Die Japaner sind auf der Reede und beschießen die Transportschiffe.«

Drüben in Corpus Christi liefen die Leute am Hafenkai zusammen, das Glockengebimmel hörte mit einem Mißton auf, vom Lager her schmetterten noch immer die klagenden Trompetensignale.

Jetzt raste die Telephonklingel des Leuchtturmes. Leutnant Spencer ergriff den Hörer. »Aber natürlich! Hören Sie denn die Schüsse nicht?« schrie er in den Apparat. »Sicher sind sie es. Zwei große japanische Schiffe liegen auf der Reede und sind im Gefecht mit der ›Olympia‹ und der Flotte … Möglich oder nicht, sie sind es!«

Draußen zwischen den Transportern auf der Reede stieß plötzlich das kleine amerikanische Kanonenboot »Marietta« dicke Rauchwolken aus. Man hörte deutlich den hellen Klang von Trillerpfeifen und Hornrufen und sah die Mannschaften auf Deck an den Geschützen beschäftigt. Klappernd setzte die Dampfwinde ein und begann den Anker aus dem Grunde zu heben, während am Heck quirlende Wasserwirbel aufsprudelten und das Schiff eine Drehung machte. Noch bevor der Anker an der Oberfläche erschien, steuerte das Kanonenboot seewärts und nahm mit schwacher Fahrt Kurs auf die am Horizont auftauchenden Schiffe der Transportflotte, über denen dunkle Rauchwolken aufstiegen.

»Uns bleibt nichts zu tun,« sagte verzweifelt Leutnant Spencer, »wir müssen hier untätig zuschauen. Nicht ein einziges Torpedoboot, nicht ein einziges Unterseeboot, nichts, gar nichts haben wir zur Stelle! Ben, um Gotteswillen, wie sieht's draußen aus!«

»Es ist furchtbar,« antwortete der Leutnant, »von den Transportern stehen zwei in hellen Flammen, zwei scheinen überhaupt schon gesunken zu sein, mehrere dahinten liegen mit schwerer Schlagseite. Die ›Olympia‹ nimmt jetzt Kurs auf den Feind. Aber sie scheint schon havariert zu sein. Auf dem Achterschiff brennt es. Da liegen hinten auch noch zwei Kreuzer, aber der Rauch von den beiden brennenden Dampfern verbirgt sie. Ich sehe nichts mehr von ihnen.«

»Woher kommen denn nur diese japanischen Schiffe? Ihre ganze Flotte liegt doch im Pacific. Nie ist eins ihrer Schiffe durch die Magalhaensstraße oder um Kap Horn herumgekommen. Unsere Kreuzer an der argentinischen Küste müßten sie doch bemerkt haben. Und es wäre doch auch ein Wahnsinn, zwei einzelne Linienschiffe in den Atlantic zu schicken. Und woher können sie die sonst haben? Sollte England …? Aber das ist doch unmöglich. Das wäre ja der schamloseste Friedensbruch. Aber niemand sonst kann ihnen solche Schiffe liefern …«

»Woher, woher!« sagte Ben Wood erregt, »frag doch nicht. Sie sind da!«

Der Leutnant überließ das Stativfernrohr seinem Kameraden, besann sich einen Augenblick und ging dann ans Telephon.

Kurz und bestimmt klang sein Befehl nach der Stadt:

»Sämtliche Schleppdampfer sind sofort klar zu machen und unter der Sanitätsflagge seewärts zu schicken, um die Mannschaften der Transportschiffe draußen zu retten.«

»Spencer, und Du,« fuhr er dann zu seinem Kameraden fort, »schnell hinüber mit der Pinasse zu den Transportdampfern auf der Reede! Sie sollen alle sofort ebenfalls die Flagge mit dem Roten Kreuz hissen und schleunigst in See gehen, um dort drüben zu retten. Das ist das einzige, was wir hier tun können. Ich selbst gehe an Bord des »Präsident Cleveland« und übernehme dessen Kommando. Du nimmst den deutschen Dampfer »Königsberg« und nun schnell vorwärts! Den blöden Zuschauer hier oben kann auch Signor Alvares spielen. Unser Posten ist draußen.«

Beide Offiziere stürmten die Treppe des Leuchtturmes hinunter und sprangen in die Pinasse, die sofort mit scharfer Kurve auf die Reede hinaussteuerte und die Offiziere an Bord der Schiffe brachte.

Nach drei Viertelstunden erschien der Schleppdampfer von vorhin wieder in der Einfahrt der Lagune. Auf dem Achterdeck sah man mehrere Leute ein großes Bettuch ausgespannt halten, ein Mann mit einem Topf roter Menningfarbe stand daneben und pinselte ein großes Kreuz auf die weiße Fläche, worauf dieses Wahrzeichen helfender Menschenliebe alsbald am Flaggenstock befestigt wurde. Zwei andere Schleppdampfer folgten dem ersten.

Aber ob der Feind da draußen diese drei kleinen Dampfer für Torpedoboote hielt? Plötzlich sauste eine riesige Granate, zweimal die Wasserfläche berührend, heran und traf den ersten Schleppdampfer mittschiffs unterhalb des Schornsteines. Und während die schwarze Rauchwolke des explodierenden Geschosses das kleine Fahrzeug einhüllte, sah man dessen Heck und Vorschiff sich aus dem Wasser heben, worauf der in der Mitte auseinandergerissene Dampfer fast augenblicklich in den Fluten versank. Der Donner der Explosion hallte weit über die Wasserfläche und fand ein Echo zwischen den Häusern von Corpus Christi.

»Nun schießen sie sogar auf die Sanitätsflagge,« brüllte Ben Wood, der auf dem »Präsident Cleveland« in wahnsinniger Hast die Besatzung antrieb, den Anker zu hieven und nach dem Schauplatz des Kampfes hinauszufahren, was aber, da die Kesselfeuer nur schwach brannten, unendliche Zeit in Anspruch nahm.

Schließlich gelangte man um 3 Uhr nachmittags an die Stelle, wo zwischen treibenden Schiffstrümmern nur noch ein paar hundert Mann zu retten waren. Das Übrige hatten feindliche Geschosse, die See und die Haifische besorgt.

Von einem Mann der Besatzung der »Olympia« erfuhr man, daß sich an Bord des Kreuzers ungefähr dieselben Vorgänge abgespielt hatten wie auf der Galerie des Leuchtturmes.

Man hatte die beiden rätselhaften Schiffe zuerst für amerikanische Transportdampfer gehalten, sie dann aber an den Kuppeln der Geschütztürme als Linienschiffe erkannt, jedoch ihrem Aussehen nach weder in der amerikanischen noch sonst einer in Betracht kommenden Flotte unterzubringen gewußt, bis die erste einschlagende Granate allen Zweifeln ein Ende machte. An die Transportdampfer hatte der Feind nur ein paar Schüsse verschwendet, mehr war nicht nötig, da ein einziger Treffer dieser minenartig wirkenden Brisanzgeschosse genügte, um einen Handelsdampfer zu vernichten. Der Kampf mit der »Olympia« hatte nur ganz kurze Zeit gedauert. Die Schüsse aus den amerikanischen Geschützen hatten den Feind offenbar bei der riesigen Schußweite nicht einmal erreicht. Das war das Ende der »Olympia«, des Flaggschiffes Admiral Deweys bei Cavite! Die beiden anderen kleinen Kreuzer waren ebenfalls schnell zusammengeschossen worden.

Der Erfolg dieses unvermuteten Angriffs war einfach vernichtend. Der geplante Flankenangriff gegen die japanischen Stellungen im Süden war unmöglich geworden.

*

Aber woher waren die beiden »Dreadnoughts« gekommen? Kein Mensch hatte sie gesehen, bevor sie vor der Reede von Corpus Christi erschienen. Wie der zu einer spukhaften Erscheinung gewordene Geist zahlloser Gerüchte von fliegenden Geschwadern japanischer Kreuzer waren sie auf ein paar Stunden aus dem Meere aufgetaucht und waren dann sogleich wieder aus dem Gang der Kriegsereignisse weggewischt. Wäre die Vernichtung der Transportflotte nicht grause Wirklichkeit gewesen, an die Existenz dieser geheimnisvollen Kriegsschiffe hätte bald fast niemand mehr geglaubt. Aber die tolle Furcht der Bewohner der Küstenstädte vor einem japanischen Bombardement kann sich doch nicht zu Stahl und Eisen verdichten, aus dem wüsten Angsttraum todesbanger Nächte können nicht Schiffe entstehen, deren Granaten ein amerikanisches Geschwader von der See wegfegen!

Die Schiffe mußten irgendwoher gekommen sein, und sie kamen irgendwoher. Viele dachten gleich an England in Erinnerung an die Tage der »Alabama«. Und die so dachten, hatten Recht.

Seit Jahren war es bekannt, daß auf englischen Werften für Brasilien zwei Riesenschiffe nach dem Muster des englischen »Dreadnought« gebaut wurden. Woher Brasilien das Geld nehmen würde, um diese Linienschiffe zu bezahlen, was die verwahrloste brasilianische Flotte mit solchen Riesenpanzern wollte, wußte niemand, trotzdem wurden sie weiter gebaut. Allgemein war die Ansicht verbreitet, daß England sie gewissermaßen als Reserve für seine eigene Flotte baue, und daß es im Falle eines Krieges diese starken Waffen den schwachen Händen zu entwinden wissen werde. Es wäre ja auch nicht das erste Mal gewesen, daß die englische Regierung das Musterlager englischer Werften für ihre Zwecke in Anspruch genommen hätte. Aber diese »öffentliche Meinung« hatte diesmal wieder Unrecht. Recht hatten nur die, die schon vor Jahren ihre warnende Stimme erhoben hatten, und die wir verlacht haben, weil sie Gespenster sahen. Sie hatten damals schon den Verdacht ausgesprochen, daß diese Schiffe nicht für England – denn die Welthandelsmacht England führt keine Kriege, sondern läßt sie durch andere Völker führen –, sondern für den Bundesgenossen Englands, für Japan bestimmt seien.

Ende Juni waren die Schiffe fertig, und in den letzten Tagen jenes Monats wurde vor aller Augen die brasilianische Flagge an Bord der beiden Schlachtschiffe »San Paulo« und »Minas Geraes« gehißt, nachdem die englischen Werften das Angebot der Vereinigten Staaten, die Schiffe zu kaufen, mit dem Hinweis auf die Pflichten der Neutralität entrüstet abgelehnt hatten. Die beiden Panzer traten, von englischen Maschinisten geführt und mit einer brasilianischen Besatzung an Bord, die Fahrt über den Atlantic an, bis sie an einer Stelle des weiten Ozeans, wo kein Zuschauer war, sechs Transportdampfer trafen, die die japanische Besatzung für die Linienschiffe an Bord hatten. Das waren jene tausend Japaner, die im Sommer 1908 als Kulis für die brasilianischen Kaffeeplantagen in Rio gelandet waren. Im November waren ihnen noch vierhundert weitere Japaner gefolgt.

Wie haben wir uns damals den Kopf zerbrochen über diese unverständliche Durchbrechung des Programms der japanischen Politik, den Strom der Auswanderer auf unsere Pacificküste zu konzentrieren. Jetzt plötzlich wurden tausend Kulis nach Brasilien verfrachtet, um auch diese Republik mit dem Segen mongolischer Lohndrückerei zu beglücken und die deutschen und italienischen Arbeiter – von den indolenten Brasilianern selbst gar nicht zu reden – mit japanischen Minimallöhnen auszuhungern. Dieser vereinzelte Vorstoß Japans nach Brasilien mußte als unkluge Kraftverschwendung erscheinen. Unbekümmert um unser Erstaunen verfolgte aber die Regierung in Tokio ihre geheimnisvollen Zwecke weiter. In aller Stille wurden durch die fleißigen Hände der japanischen Kulis und durch den industriösen Handelsgeist japanischer Händler in Brasilien Werte geschaffen, mit denen dann zum Teil jene beiden Kriegsschiffe bezahlt wurden. Die Öffentlichkeit nahm es als japanischen Patriotismus, als im Juni jene 1400 Japaner ihre eben gewonnene Heimat wieder verließen, um zu den Fahnen zu eilen. Auf sechs Transportdampfern fuhren sie von Rio ab.

England liebt es nicht, sich zu exponieren, und die Kostenrechnung für die »Alabama« mahnte zur Vorsicht; auch in Rio war man loyal, loyal bis in die Fingerspitzen der Dons, die sich mit diesem lukrativen Geschäft nicht beschmutzen wollten. Heimlich nahm man natürlich die Milreis um so lieber. Brasilien verkaufte seine beiden Linienschiffe an den in Santos ansässigen griechischen Gastwirt Petrokakos, der sie seinerseits wieder dem Händler Pietro Alvares Cortes di Mendoza in Bahia verschacherte. Dieser edle Don befand sich an Bord des einen Transportdampfers mit den japanischen »Kriegsfreiwilligen«, und an Bord dieses Glasgower Dampfers »Kirkwall« wurde am 14. Juli der Kaufvertrag unterzeichnet, demzufolge die »armierten Dampfer« »Kure« und »Sasebo« in den Besitz Japans übergingen. Die brasilianische Besatzung der beiden Linienschiffe und die englischen Maschinisten gingen an Bord der Transporter und landeten zwei Wochen später unauffällig in verschiedenen brasilianischen Hafenplätzen.

Jene 1400 japanischen Plantagenarbeiter und Händler, Handwerker und Ingenieure – tatsächlich waren es Mannschaften der Marinereserve – übernahmen sofort die beiden mächtigen Panzer. Dann ging's direkten Weges nach Westindien. Vor Kingston (Jamaica) erhielt man durch einen englischen Dampfer die letzten Meldungen über die Abfahrt der Transportflotte von Kuba, und auf der Reede von Corpus Christi vollendete sich deren Schicksal.

Eine furchtbare Panik ging durch alle unsere Küstenstädte am Golfe und an der atlantischen Küste. Nachdem mitten in der Nacht plötzlich im Hafen von Galveston ein paar Granaten explodierten, ohne daß man vorher feindliche Schiffe bemerkt hatte, nachdem mehrere amerikanische Handelsdampfer von jenen geheimnisvollen Riesenschiffen auf hoher See versenkt worden waren, die in den Berichten der Seeleute immer unwahrscheinlichere Dimensionen annahmen, nachdem ein Geschwader aus Newport News ausgelaufen war, um den Feind anzugreifen, verschwand der tolle Spuk so schnell, wie er gekommen. Erst als Admiral Dayton die japanischen Kreuzer bei den Falklands-Inseln – den englischen Falklands-Inseln – aufstöberte, bekamen unsere Seeleute jene beiden Linienschiffe wieder zu Gesicht.

Wer sie bis dahin mit Kohlen versorgt hat? Wir wollen uns erinnern, daß die deutsche Regierung sofort nach dem Auftauchen jener japanischen Schiffe im Atlantic die zu Beginn des Krieges erlassene Warnung, Kriegsschiffe kriegführender Mächte mit Kohlen oder Proviant zu versorgen, nachdrücklichst erneuerte, und daß England das nicht tat. Wir wollen uns erinnern, daß die deutschen Großreedereien allen ihren Kapitänen bei Strafe der Entlassung verboten, an Kriegsschiffe der kriegführenden Staaten Kohlen abzugeben, und daß englische Reedereien das nicht taten.


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