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Ein Lichtblick.

Seattle hatte nur eine kleine japanische Besatzung behalten, nachdem die ersten feindlichen Truppentransporte am 7. und 8. Mai nach dem Osten weitergegangen waren und die japanische Nordarmee unter Marschall Nogi nach einigen unbedeutenden Kämpfen mit kleineren amerikanischen Detachements ihre Stellungen in den Blauen Bergen und südlich davon eingenommen hatte. Dann trafen Anfang Juni die ersten Truppentransportschiffe aus Hawai ein und brachten das Reservekorps der Nordarmee, das bestimmt war, hinter der Front die Häfen und Küstenplätze zu besetzen und die Etappenlinien nach Osten zu sichern.

Der Eisenbahnverkehr hatte überall aufgehört, kein Amerikaner durfte die Züge benutzen, und nur unter großen Schwierigkeiten gelang es einzelnen, in dringenden Fällen eine Ausnahmeerlaubnis sich zu erwirken. Die Bahnhöfe waren sämtlich zu kleinen Festungen ausgebaut, die von den japanischen Posten, die zugleich den Fahrdienst überwachten, besetzt gehalten wurden.

Die Presse hatte im Okkupationsgebiet allerorten ihr Erscheinen eingestellt, nur ein Organ in jeder Stadt ließen die Japaner meist weiter existieren und benutzten es unter einer strengen Zensur zur Veröffentlichung ihrer Edikte und Proklamationen an die Bevölkerung und zur Verbreitung der Nachrichten vom Kriegsschauplatze, auf deren Bekanntwerden sie Wert legten. Tausend Gerüchte durchschwirrten bei diesem Mangel aller Meldungen aus nichtjapanischer Quelle ständig die Luft. Man machte vielfach die Erfahrung, daß solche Gerüchte von Mund zu Mund sich fast schneller verbreiteten als ehemals die telegraphischen Nachrichten durch die Zeitungen.

Am Morgen des 8. Juni erzählte man sich in Tacoma, die Stadt werde heute eine japanische Besatzung erhalten, da in Seattle mehrere Truppentransportdampfer angekommen seien. Bisher lag nur eine japanische Kompagnie in Tacoma, die den Bahnhof und die Gas- und Elektrizitätswerke besetzt hielt und draußen vor der Stadt sich in dem neuen Wasserwerk verschanzt hatte. Es war Leuten, die darum wußten, bereits aufgefallen, daß das vor Jahresfrist nach Tacoma verlegte Gewehrdepot für die Bewaffnung der Nationalgarde, welches ungefähr 5000 Springfield-Gewehre M/1903 enthielt, der Aufmerksamkeit des Feindes entgangen war. Man hatte die provisorisch in den Kellern eines großen Getreidespeichers aufbewahrten Gewehre bisher vor dem Feinde verbergen können, mußte aber jeden Tag eine zufällige Entdeckung fürchten. Diese Gefahr stieg natürlich, sobald Tacoma eine stärkere Garnison erhielt.

Draußen in der Vorstadt von Tacoma besaß Martin Engelmann, ein Deutscher, der vor etwa zwanzig Jahren eingewandert war, ein schmuckes Häuschen. Die Familie hatte sich eben zu Tisch gesetzt, als der jüngste Sohn, Angestellter in einem der großen Handelshäuser der Stadt, hastig hereintrat:

»Sie kommen, Vater,« rief er erregt, »sie sind schon im Hafen,« und machte sich dann hastig über seine Suppe her.

»Sie kommen?« fragte der alte Engelmann ernst, »dann ist es also zu spät.«

Der Alte stand vom Tische auf, trat ans Fenster und blickte hinaus auf die Straße, auf der weit und breit kein Mensch zu sehen war. Nur mitten auf dem Fußwege saß ein kleiner weißer Pudel, der an einem Knochen knabberte. Engelmann beobachtete in Gedanken versunken aufmerksam den Pudel.

»Wie viele sind's denn?« fragte er nach einer Pause.

»Mindestens ein Bataillon, heißt es,« antwortete der Sohn, der grimmig seine Suppe löffelte.

»Dann ist's natürlich aus. Genau um 24 Stunden zu früh,« seufzte Engelmann leise und beobachtete wieder den Pudel, der jetzt mit dem abgenagten Knochen auf der Straße herumspielte und lebhaft hin- und hersprang.

Engelmann suchte seine eigne Erregung gewaltsam niederzukämpfen. Er wagte den Kopf nicht zu wenden; hinter sich hörte er leises Weinen. Das Gesicht in die Hand gestützt, saß Frau Martha, die treue Gefährtin seines arbeitsreichen Lebens, am Tisch und starrte wortlos vor sich hin, während die Tränen ihr unablässig über die Wangen rannen. Schweigend hatten ihre beiden Töchter den Arm liebevoll tröstend um die Mutter geschlungen.

Der alte Engelmann öffnete das Fenster und horchte hinaus.

»Noch hört man nichts. Aber sie kommen hier wohl vorbei, wenn sie zum Wasserwerk wollen,« sagte er. Dann trat er zu den Seinen.

»Mutter, Kopf hoch! Arthur wird seine Schuldigkeit tun.«

»Und wenn ihm ein Unglück …,« schluchzte Frau Martha.

»Dann ist es für seine Heimat, und er und seine Kameraden werden sterbend diesem Lande ein Vorbild sein, rücksichtslos das Leben dran zu setzen, bis der letzte von den Gelben wieder vertrieben ist.«

Die Mutter weinte leise in ihr Taschentuch hinein: »Wann sollte es denn sein? Sagt es mir!«

»Heute Nacht,« sagte der Alte, »und es mußte ja gelingen. Mit den paar Kerls auf dem Bahnhof und in der Stadt wären sie schon fertig geworden. Horch, da sind die Japaner!«

Von draußen klangen taktmäßig abgemessene Klänge herein. Trr … bum … Trr … bum ging es. Dazwischen das helle Quieken der Pfeifen.

»Sie sind es, hol's der Kuckuck,« sagte Engelmann. Immer deutlicher wurde der Ton der Trommeln, und bald unterschied man den harten Taktschritt einer marschierenden Abteilung. Dann klangen die Schritte fester, leise klirrten die Fensterscheiben und, von dem kleinen weißen Pudel hastig umbellt, erschien der Bataillonsführer zu Pferde mitten auf der Straße, gefolgt von der Musik. Ein japanisches Reservebataillon zog vorüber in der Richtung auf das neue Wasserwerk draußen vor der Stadt.

»Mut, Mutter!« tröstete der Alte. »Wenn sie beim Wasserwerk bleiben, dann kann noch alles gelingen.«

»Eigentlich sehen die japanischen Soldaten ganz so aus wie unsere Leute,« brach die eine Tochter das lastende Schweigen.

»Ja,« fuhr Engelmann eifrig dazwischen, »und wir haben die Kerle erst erzogen, die deutschen Offiziere in Japan. Und in alles haben wir sie hineinsehen lassen, alles haben wir ihnen gezeigt. Wir haben sie in unsere Armee, daheim in unsere deutsche, aufgenommen. Als Offiziere haben wir sie ausgebildet. Und zum Kuckuck noch einmal, es war ein widerliches Bild, wenn unsere Rekruten stramm stehen mußten vor den gelben Affen in deutschen Uniformen. Das – und er deutete mit dem Daumen nach der Richtung des Wasserwerkes hin – das sind die Folgen.«

»Ob man Arthur nicht warnen könnte,« begann die Mutter wieder.

»Warnen?« sagte Engelmann und zuckte die Achseln, »geh nur aufs Telegraphenamt und gib bei dem japanischen Beamten eine Depesche auf, sie möchten bleiben wo sie sind.«

»Könnte es nicht doch noch gelingen?« meinte der jüngste Sohn nachdenklich. »Die Gewehrkisten stehen alle bereit. In einer halben Stunde können sie verladen sein. Wir haben 300 Mann und 30 Fuhrwerke. Aufgeladen sollte heute abend 11 Uhr werden. Und dann mit den Revolvern auf die Kerls! Kaum zwanzig Mann sind's ja nur auf dem Bahnhof,« fuhr er mit blitzenden Augen fort. »Der Telegraphendraht nach dem Wasserwerk wird um punkt 11 Uhr durchschnitten. Ebenso auch der Bahntelegraph vor allen Stationen, da mögen sie nur telegraphieren. Wenn dann der Zug kommt, schnell die Lokomotive aufs andere Geleis und dann vorn wieder vor den Zug. Inzwischen werden die Kisten verladen. Und dann auf und davon! Vor jeder Station wird ein Waggon abgehängt, wo schon die Gespanne warten. Schnell abgeladen und dann los, was die Pferde schaffen können. Für sichere Verstecke für die Gewehrkisten ist gesorgt. Und was bis morgen früh nicht gefaßt ist, fällt dem Feinde sicher nicht mehr in die Hände.«

»Wo ist denn die Telegraphenleitung zum Wasserwerk?« fragte der Alte.

»Die Leitung kurz vor der Ankunft des Zuges zu zerstören, ist meine Aufgabe,« antwortete der Sohn stolz.

»Richard,« schrie die Mutter entsetzt auf, »Du auch?«

»Ja, Mutter, glaubst Du, ich bleibe da zurück, wo Arthur sein Leben riskiert. Was sollen sie drüben von uns denken, wenn wir in solcher Stunde zurückbleiben wollten. Jetzt heißt es auch für uns: » Germans to the front«. Und die in Washington, die sollen erst recht merken, daß es uns Ernst ist um unsere neue Heimat.«

Der alte Engelmann legte seine Hand auf seines Sohnes Schulter. »Brav, mein Junge, meinen Segen hast Du! Du also sollst die Telegraphenleitung durchschneiden?«

»Ja, Vater. Wir wissen nämlich, wo sie ist. So schlau sind die Japaner natürlich gewesen, daß sie sie unterirdisch gelegt haben. Die Leitung geht unter dem Straßenpflaster bei Brown & Co. vorbei. Nun haben wir uns vom Keller vorsichtig bis zu der Leitung durchgegraben. Und damit wir ganz sicher sind, wenn die beim Wasserwerk etwas merken sollten, haben wir einen Morseapparat in unserem Keller daran angeschlossen. Fängt das Wasserwerk auf irgend einen Alarm hin an zu telegraphieren, so soll ich ein bischen mit dem Taster klappern, damit sie nicht denken, daß die Leitung durchschnitten ist. Dann haben wir uns selber vorige Nacht eine Leitung bis zum Bahnhofe gemacht, die ein lautes Glockensignal gibt, wenn irgend eine Gefahr droht.«

Der Junge hatte sich in Feuer geredet. Die beiden Schwestern sahen vor Stolz auf ihren jüngeren Bruder und etwas von seiner Begeisterung ging auch auf sie über.

Langsam sanken draußen die Schatten der Dämmerung hernieder, als Richard Engelmann nach einem ergreifenden Abschied von den Seinen das Haus verließ und eine lustige Weise vor sich hinpfeifend der Stadt wieder zustrebte.


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