Theodor Hermann Pantenius
Im Gottesländchen
Theodor Hermann Pantenius

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Viertes Kapitel.

Wezwagar war am folgenden Morgen eben damit beschäftigt, die Morgensuppe einzunehmen, als die Magd, die noch im Viehstall zurückgeblieben war, hereinstürzte und meldete, daß die schwarze Blässe gefährlich erkrankt sei. Die schwarze Blässe war die beste Kuh im Stall, der Bauer und sein Weib sprangen daher erschreckt auf und eilten zu dem kranken Tier. Dort wurde nun frisch zugegriffen. Die Kuh wurde aufgerichtet, mit Strohwischen abgerieben, ein Trank bereitet – genug, es gab ein paar Stunden vollauf zu thun, so daß es ein Glück war, daß Peter, der Knechtsjunge, an der Kuh weniger Interesse nahm als sein Herr und sich noch rechtzeitig darauf besann, daß dieser ins Gut müsse, um seine Pacht zu entrichten. Sobald Peter den Bauer gefragt hatte, ob er denn nicht jetzt anspannen solle, da es doch hohe Zeit sei, winkte ihm dieser bejahend zu, ermahnte seine Frau, im Stalle zu bleiben, und die Bemühungen um das Tier ununterbrochen zu kontrollieren, und eilte dann in das Haus. Hier 57 kleidete er sich so rasch als möglich um, nahm seine braunlederne Brieftasche aus dem Schränkchen an der Wand, steckte sie zu sich und sprang in den Wagen.

»Lebe wohl, Weiblein,« rief er seiner Frau zu, die den Kopf aus der Stallthüre steckte, und ließ dann seinen Fuchs tüchtig ausgreifen. Seine Gedanken waren ganz bei der Kuh. Er hatte sie als drei Tage altes Kalb im Hofe gekauft und auf das sorgfältigste aufgezogen. So war sie denn zu einem prachtvollen Tiere herangewachsen und hatte ihm auf der landwirtschaftlichen Ausstellung, die im Sommer des Vorjahres in der Stadt abgehalten worden war, eine schöne silberne Medaille eingebracht. Wie ärgerlich, daß er jetzt fort mußte, ehe ihr Schicksal entschieden war!

Plötzlich blieb das Pferd stehen. Der Bauer fuhr aus seinem Nachsinnen auf und sah zu seinem höchsten Ärger, daß ein hochgewachsener, in Lumpen gekleideter Mann dem Tier in die Zügel gefallen war.

»Guten Morgen, Brüderchen,« rief der Betrunkene mit hoher Stimme, »hat man dich auch von Haus und Hof gejagt? Fährst du jetzt auch von Gesinde zu Gesinde und von Krug zu Krug?«

»Laß die Zügel los, du Schurke,« rief der Bauer zornig, »oder ich werde dich lehren, die Leute auf der Landstraße aufzuhalten.«

Der Betrunkene aber hielt das unruhig rückwärts drängende Tier nur noch fester und sang: 58

»Wohl zum Kruge wußt' den Weg ich,
Aber wußt ihn nicht zur Kirche!
Ach, sie tauften mich im Kruge,
brachten nimmer mich zur Kirche.«

»Laß die Zügel fahren, du Trunkenbold,« rief der Bauer abermals, raffte die Fahrleine zusammen und sprang aus dem Wagen. Jener aber starrte ihn, hin und her schwankend, mit gläsernen, starren Augen an und krächzte:

»Branntwein hab' ich, Bier getrunken,
Doch vertrank ich den Verstand nicht.
Mußte ja Verstand behalten,
Mit dem Herrn mich zu bereden.«

Der Bauer suchte die Hände des Trunkenen von den Fahrleinen zu entfernen, aber dessen Finger schlossen sich nur immer fester um sie. Der Betrunkene sank endlich in die Knie, der Fuchs prallte scheuend zurück, der Wagen rollte in den Graben und fiel um.

Der Bauer packte nun den Schuldigen und schleuderte ihn über den Weg, so daß er in den anderen Graben kollerte. Dort raffte er sich aber wieder auf, stützte sich mit den Ellbogen auf den Weg und grinste boshaft zu dem Bauer hinüber. Die zerfetzte Pelzmütze war ihm vom Kopfe gefallen, die zerzausten Haare, der struppige Bart und die starren Augen gaben der ganzen Erscheinung ein unsäglich wüstes Aussehen.

»Hi, hi, hi!« kicherte er. »Hi, hi! Jetzt fährst du dahin, Wezwagar, wie ein großer Herr. Übers 59 Jahr, wenn der Baron dich weggejagt hat, ruft dich der Kuckuck zum Essen, und die Lerche macht dir das Bett! Hi, hi! Ich, der lange Jehze, weiß wie es thut, wenn man auf Heidekraut schläft und sich mit Morast zudeckt! Ich hatte auch einmal einen Fuchs, dessen Fleisch haben aber die Füchschen gegessen und mit seinen Knöchelchen haben die Krähen Kurrnik gespielt.«

Und mit jähem Umschlag in der Stimmung fing er an zu jammern: »Ach, ich Unglückseliger! Wie einen Hund haben sie mich weggejagt! Jetzt muß ich mit dem weißen Stabe durch das Land.« Und nun kreischte er wieder:

»Ach, wer kaufet wohl im Laden
Für die arme Wais' ein Kränzlein?
Roggenblumen, Dornenblüten
Taugen für der Waise Kränzlein.«

Der Bauer hatte unterdessen seinen Wagen aus dem Graben gezogen und wieder in Ordnung gebracht. Der Ton, den der Betrunkene zuletzt angeschlagen hatte, erinnerte ihn peinlich an seinen Schwager. Es überlief ihn kalt. Er sprang hastig in den Wagen und fuhr rasch davon. Er hörte aber noch, wie der lange Jehze, der jetzt auf der Landstraße hin und her schwankte und nach seiner Mütze suchte, wieder lustig sang:

»Heda, Brüderchen!
Wo ist die Mütze?
Im Kruge, Schwesterchen,
Als Bierkanndeckel.«

Der lange Jehze war nicht immer ein Trunkenbold gewesen, er hatte sich aber als Soldat das 60 Trinken angewöhnt und war nachher immer tiefer gesunken, so daß er schließlich aus seinem Gesinde gestoßen werden mußte. Seitdem haßte er den Baron tödlich. Da dieser nun von fast allen anderen Bauern gehaßt wurde, so war der lange Jehze sicher, sich allezeit durch ein Spottlied auf ihn bei jedem Bauer eine bescheidene Mahlzeit und ein paar Gläser Branntwein verdienen zu können. Wezwagar bildete in dieser Beziehung eine Ausnahme und wurde deshalb von dem Trunkenbold kaum weniger gehaßt als der Baron.

Als Wezwagar auf dem Hofe eintraf, hatte er kaum Zeit, sein Pferd anzubinden und zu bedecken. Sein Name sei schon aufgerufen worden, hieß es. Kaum hatte er das Vorzimmer, in dem sich die Wirte drängten, betreten, so rief der Diener, der die Thür zu dem Arbeitszimmer des Barons hütete abermals: »Wezwagar!« Der Gerufene drängte sich nun durch die Menge und betrat das Zimmer, dessen Thür sich hinter ihm sofort wieder schloß.

Der Baron saß, die ungewöhnlich langen Arme aufgestützt, vor seinem Schreibtisch, auf dem verschiedene Pakete Papiergeld lagen. Im Hintergrunde des Zimmers war der Gutsschreiber damit beschäftigt, auf einem Tisch das eingelaufene Geld nochmals durchzuzählen, den Betrag in ein vor ihm liegendes Buch einzutragen und es dann in den feuerfesten Geldschrank zu legen, der mit weit geöffneten Thüren an der Wand stand.

61 Das Gesicht des Barons hatte eine rundliche Form, die Nase war ein wenig gestutzt, die Lippen etwas aufgeworfen. Nur das rötlichblonde Haupthaar, das, auch hinten gescheitelt, glatt am Kopfe lag, und die blauen Augen erinnerten an die niedersächsische Abstammung. Das Gesicht des Schreibers war fast kugelrund, die äußere Seite der Augenbrauen stark in die Höhe gezogen, die Farbe der Augen grünlich, was zugleich mit dem Lächeln, das beständig um den Mund des Mannes spielte, dem Gesicht etwas Katzenartiges gab. Die dunklen Haare waren zurückgekämmt und lagen kaum weniger glatt am Kopfe, als die des Barons. Er trug einen Anzug aus grobem Wand und hatte plumpe Schmierstiefel an den Füßen. Trotzdem trat er immer sehr leise auf.

»Wo warst du, Wezwagar?« fragte der Baron freundlich. »Du wurdest schon einmal ausgerufen.«

»Entschuldigen Sie, gnädiger Herr,« versetzte Wezwagar, »daß ich habe warten lassen. Der Trunkenbold, der lange Jehze, machte mir das Pferd scheu, so daß es den Wagen umwarf.«

»Ah so! Nun, ich hoffe, daß du dich nicht beschädigt hast.«

Wezwagar trat an den Tisch, zog seine Brieftasche hervor und entnahm derselben einen Packen Papiergeld, den er vor dem Baron auf den Tisch legte.

Der Baron nahm das Geld in die Linke und zählte es, indem er mit der Rechten langsam die 62 Scheine umschlug. Dann sagte er: »Es ist richtig. Wo ist das Ei?«

Wezwagar schlug sich bestürzt mit der Rechten vor die Stirn.

»Gnädiger Herr,« rief er dann, »ich schwöre Ihnen, daß meine Frau mir schon gestern abend das Ei neben die Brieftasche legte, daß ich es aber in der Eile vergaß.«

»Hattest du denn so große Eile?« fragte der Baron mit ungläubigem Lächeln.

»Ja, gnädiger Herr. Als ich heute morgen bei der Milchsuppe saß, kam die Magd hereingestürzt und sagte mir, daß die beste Kuh schwer krank geworden sei. Wir eilten gleich hinaus und waren so lange um die Kuh beschäftigt, bis mich der Junge daran erinnerte, daß ich zu Hofe müsse. Ich fuhr in aller Eile in meine Kleider und kam dann hierher. So vergaß ich das Ei.«

»Vorhin gabst du als Entschuldigung für dein spätes Kommen ein Zusammentreffen mit dem langen Jehze an.«

»Gnädiger Herr,« rief Wezwagar eifrig, »glauben Sie, daß ich Sie belügen will? Beides trug sich so zu, wie ich es Ihnen erzählte. Erst erkrankte die Kuh und nachher fiel der lange Jehze mir in die Zügel.«

»Im vorigen Jahr brachtest du das Ei auch nicht, obgleich dir damals weder eine Kuh erkrankte, noch jemand dein Pferd aufhielt.«

63 »Gnädiger Herr!« rief Wezwagar und trat hart an den Tisch heran, »im vorigen Jahr hatte ich das Ei wirklich vergessen, diesmal aber haben meine Frau und ich es seit Wochen bereit gehalten und ich bin nur durch die Eile, in der ich mein Haus verließ, daran verhindert worden, es Ihnen zu bringen.«

Der Baron zuckte die Achseln.

»Es ist gleichgiltig, warum du es mir nicht brachtest. Ich sagte dir, daß, wenn du mir auch in diesem Jahre das Ei nicht bringst, der Weg durch den Wald damit für dich geschlossen ist. Andersohn,« wandte sich der Baron an den Schreiber, der, scheinbar in seine Bücher vertieft, doch mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatte, »Andersohn, protokollieren Sie, daß Wezwagar, weil er das stipulierte Ei nicht gebracht hat, den Weg durch den Wald nicht mehr benutzen darf.«

»Ja wohl, Herr Baron,« schallte es zurück.

Wezwagar stand wie erstarrt da und rang mühsam nach Luft. »Gnädiger Herr,« sagte er endlich mit bebender Stimme, »Sie werden meine Vergeßlichkeit nicht so streng bestrafen.«

»Ich werde sie gar nicht bestrafen,« erwiderte der Baron kalt. »Meine Anordnung ist eine einfache und streng gerechte Folge deines Verfahrens. Ich sagte dir gleich anfangs, daß, wenn du mir einmal das Ei nicht bringen würdest, der Weg durch den Wald für dich verschlossen bleiben müsse. Du brachtest es mir im vorigen Jahre nicht. Ich sah, weil ich dir wohl will, darüber hinweg, sagte dir aber, daß, 64 wenn das Ei noch einmal ausbliebe, der Weg für dich verloren wäre. Es ist ausgeblieben – einerlei aus welchem Grunde – und eben damit ist der Weg für dich gesperrt.«

»Gnädiger Herr,« sagte der Bauer jetzt. »Sie scherzen. Sie sind mir immer ein guter Herr gewesen, Sie werden mir mein Recht auf den Waldweg nicht nehmen.«

Wezwagar hatte in seiner Aufregung das allerunglücklichste Wort gewählt.

»Dein Recht?« fragte der Baron gedehnt. »Ich will dich lehren, was für ein Recht du und ihr alle auf meinen Wald habt. Nicht mit einem Fuß betrittst du mir den Wald mehr. Nie, in deinem ganzen Leben nicht.«

Wezwagar stand wie betäubt da. War der Mann da vor ihm wirklich sein guter und gerechter, wenn auch strenger und harter Herr? Er fühlte, wie sein Jähzorn jach in ihm aufstieg.

»Herr,« rief er mit mühsam unterdrücktem Zorn, indem er dicht an den Baron herantrat und seinen Arm berührte, »Herr, ist das Ihr letztes Wort?«

Der Baron sah ihm scharf und kalt in die zornflammenden Augen. »Natürlich,« erwiderte er.

Der Bauer wandte sich rasch um und verließ ohne Gruß das Zimmer. Der Baron erhob sich ein wenig, als wollte er ihm folgen, setzte sich aber wieder und blickte starr auf das vor ihm liegende Geld. Sein gutes Herz und sein von thörichten Prinzipien eingeschnürter Verstand kämpften mit 65 Blitzesschnelle einen harten Kampf. Sein Herz trieb ihn an, aufzuspringen, den Mann, der ihm einst das Leben gerettet hatte und der jetzt sein bester Bauer war, zurückzurufen und zu ihm zu sprechen: ›Bring mir heute abend das Ei, so ist alles vergeben und vergessen.‹ Sein Verstand aber riet ihm: ›Gib ja nicht nach. Gerade hier bietet sich eine Gelegenheit, vor aller Welt zu zeigen, daß vor dir kein Ansehen der Person gilt, daß du nur von den Prinzipien der strengsten Gerechtigkeit geleitet wirst.‹

Sein Herz war eben im Begriff zu siegen und er erhob sich schon, als der Schreiber hinter ihm sagte: »Ja, das geht in so einen Bauernkopf schwer hinein, daß man bei dem Herrn Baron mit solchen Praktiken nicht durchkommen kann. Der Wezwagar schien sicher zu hoffen, daß er sich doch noch ein Servitut auf den Weg erschleichen würde. Geben Sie acht, Herr Baron, in zehn Minuten ist er mit dem Ei hier und im nächsten Jahr geht das Spiel aufs neue an.«

Das unselige Wort veränderte mit einem Schlage alles. Der Baron setzte sich wieder.

Der geschilderte Vorgang hing so zusammen: Die große Heerstraße, die der Meeresküste parallel läuft, vereinigt sich auf Waldburgschem Gebiet in spitzem Winkel mit einer anderen, die aus dem Innern des Landes herankommt. Unweit dieser letzteren Straße liegt nun das Wezwagargesinde. Wollten seine Bewohner in die nur einige Meilen entfernte, im Süden gelegene Stadt, so mußten sie, wenn sie die 66 Landstraße benutzten, erst auf ihr bis zur Heerstraße und dann auf dieser in spitzem Winkel wieder zurückfahren. Dadurch wurden sie zu einem Umweg von fast einer Meile gezwungen. Der Baron hatte in Anbetracht dieses Umstandes dem Bauer gestattet, einen Holzweg, der durch den Gutswald führte, zu benutzen, hatte sich aber dafür, damit der Bauer nicht etwa durch die unentgeltliche Benutzung des Weges ein Recht auf denselben erwarb, die Zahlung eines Hühnereies ausbedungen.

Wezwagar drängte sich wie ein Unsinniger durch die ihn verwundert anblickenden Wirte und eilte ins Freie. Sein erster Gedanke war, in seinen Wagen zu springen, nach Hause zu jagen und sich das Ei zu holen. Er ergriff auch bereits die Decke des Pferdes, um sie ihm abzunehmen, als er plötzlich anderen Sinnes wurde. Die ganze Geschichte war denn doch zu toll. Sollte er wie ein dummer Junge nach Hause zurückeilen, nur um dem Baron zu beweisen, daß er nicht gelogen hatte? Der Baron kannte ihn genug, um zu wissen, daß er nicht lügen würde. Die Scham über seine lächerliche Lage trieb ihm das Blut zu Kopfe. Es regte sich in ihm ein heftiger Unwille gegen den Baron. War dieser nicht so hart und schlecht, wie ihn die Leute schilderten? Aber nein, nein und tausendmal nein, so war er nicht. Der Bauer wischte sich mit der Rechten die kalten Schweißtropfen von der Stirn. Vergeblich suchte er nach einem Motiv für die Handlungsweise des Barons› Es war ihm, als ob er in einem 67 tollen Traume läge und als ob nun sein Weib neben ihm sagen müßte: ›Was träumst du, mein Liebling? Du wälzest dich hin und her und stöhnst schwer.‹

Unschlüssig und verwirrt stand er da, die Hand noch immer an der Pferdedecke, und blickte vor sich nieder. Da kam ihm Erlösung von seinem Weibe, wie er das erwartet hatte.

»Wirt,« sagte plötzlich die Stimme des Knechtsjungen Peter neben ihm, »die Wirtin schickt Euch das Ei, das Ihr zu Hause vergessen habt.«

»Dank, Weiblein, tausend Dank!« dachte Wezwagar, nahm dem Jungen das Ei aus der Hand, eilte zurück in das Vorhaus und ließ sich sofort bei dem Baron melden. Er wurde auch sogleich vorgelassen. Als er eintrat, räusperte sich der Schreiber vernehmlich.

»Herr!« rief Wezwagar, sobald er vor dem Baron stand, freudestrahlend, und wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiß von Stirn und Wangen, »Herr, mein Weib hat das Ei zu Hause bemerkt und es mir nachgeschickt. Hier ist es.« Mit diesen Worten hielt er dem Baron ein großes schneeweißes Ei hin.

Dieser aber versetzte, ohne das Ei zu berühren, kalt: »Jetzt ist es zu spät, Wezwagar,« und fuhr dann, als der Bauer sich nicht rührte, und ihn nur starr anblickte, fort: »Ich will dir nun noch etwas sagen, Wezwagar. Ich bin es nicht gewohnt, daß meine Wirte ohne Gruß von mir gehen und 68 beabsichtige auch nicht, mich künftig daran zu gewöhnen. Verstehst du?«

Als der Baron so redete, überkam der Zorn den Bauer mit Allgewalt. Er warf das Ei auf den Tisch, daß der Dotter den Tisch, den Baron und das Geld bespritzte, wandte sich um und verließ hochaufgerichtet das Zimmer.

Die Wirte, die sich draußen im Vorzimmer befanden, hatten unterdessen bemerkt, daß sich zwischen dem Baron und Wezwagar merkwürdige Dinge zutrugen. Jetzt lösten sich Namik, Wilks und Pilskaln, die eigentlich schon fertig waren, und nur noch mit Bekannten geplaudert hatten, von diesen los und folgten Wezwagar in den Hof. Wezwagar schien sie nicht zu bemerken. Er ging mit großen Schritten auf seinen Wagen zu. Die Wirte, die das Ei hatten aufklatschen hören, glaubten sich den Ton nicht anders erklären zu können, als durch die Annahme, daß ein übrigens beim Waldburgschen unerhörter Fall eingetreten sei, und der Baron den Bauer geschlagen habe.

»Hat der Schurke dich geschlagen?« fragte Pilskaln gerade heraus.

Wezwagar blieb stehen und starrte den Frager wild an. Dann schwang er den rechten Arm in die Höhe und rief: »Glaubst du, daß er, wenn er mich berührt hätte, noch am Leben wäre?«

»Nun, nun,« beschwichtigte Namik, »die Frage war nicht böse gemeint. Was gab es denn?«

»Wir hörten einen Ton, wie einen Schlag,« 69 sagte Wilks, »und glaubten, der Baron habe dich geschlagen.«

»Wißt ihr, was da klatschte?« rief Wezwagar höhnisch auflachend. »Ein Ei, das ich vor dem Baron auf den Tisch warf, daß es den sauberen Herrn und seinen Tisch und sein Geld über und über bespritzte! So spreche ich mit ihm, ich, Wezwagar! Ich habe das Bürschchen aus dem Meer gezogen, wie man ein Kätzchen herausholt, das in den Zuber gefallen ist, und es will mir nun mein gutes Recht nehmen, es will mich zu Grunde richten! Oho, es gibt noch ein Recht in Kurland und Gerechtigkeit für jedermann! Und nun fahre ich erst recht durch den Wald, und wenn sich mir zwanzig Barone in den Weg stellten mit allen ihren Buschwächtern! Es gibt noch einen Generalgouverneur in Riga und den Kaiser in Petersburg, die nicht dulden werden, daß wir hier aus Laune zu Grunde gerichtet werden!«

Wezwagar war weder seiner Worte mächtig noch seiner Gebärden. Er hatte, während er so redete und mit der Faust nach dem Wohnhaus hinüberdrohte, das halbunbewußte Gefühl, daß sein Benehmen sehr unsinnig war und ihm später bitter leid thun würde, aber sein jähzorniges Temperament war ganz und gar Herr über ihn geworden.

Als Wezwagar das Zimmer des Barons verlassen hatte, war dieser, nun auch seinerseits kreidebleich aber äußerlich durchaus ruhig, aufgestanden und hatte den Diener herbeigerufen. »Hier ist ein Ei zerbrochen,« sagte er dann, »du mußt hier aufwischen.«

70 Als der Diener gegangen war, hatte er wieder Platz genommen und aufmerksam in ein Rechnungsbuch geblickt, das er sich für diesen Zweck vom Tisch des Schreibers geholt hatte.

Der Schreiber war auch aufgestanden und hatte sich an ein Fenster gestellt. Nach einiger Zeit ließ er einen kichernden Ton hören.

Der Baron wandte sich nach ihm um und fragte: »Was gibt es?«

»Wezwagar droht mit der Faust hierher,« war die Antwort.

»Wirklich?« fragte der Baron mit ruhiger Stimme aber mit funkelnden Augen. »Also er droht mit der Faust hierher! Andersohn, schicken Sie dem unsinnigen Menschen sofort eine schriftliche Kündigung.«

»Jawohl, Herr Baron.«

Draußen war es unterdessen den Wirten gelungen, Wezwagar soweit zu beruhigen, daß er sich bereit erklärte, mit ihnen in den Krug zu fahren. Er besuchte sonst nie an einem Wochentage das Wirtshaus, aber heute war es ihm ein Bedürfnis, mit den geschworenen Feinden des Barons zusammen zu sein. Er trank mit ihnen ein Glas nach dem anderen und stieß immer wildere Drohungen gegen den Baron aus. Seinen Kameraden war das eben recht und sie bestärkten ihn nach Kräften in seinen veränderten Anschauungen.

Erst spät am Nachmittag verabschiedete sich Wezwagar von ihnen und fuhr allein seinem Hause, seinem Weibe zu. 71

 


 


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