Oskar Panizza
Eine Mondgeschichte
Oskar Panizza

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Während ich mitten im Herumwühlen war, machte es oben im Wohnzimmer plötzlich einen Satz wie aus dem Bett, und dann fiel ein menschlicher Körper mit fürchterlicher Vehemenz auf den Fußboden; ich glaubte, der Mondmann sei epileptisch geworden, hörte aber gleich darauf seine Stimme jammernd und wehklagend; nach einem anfänglichen Fluch, den ich vergessen, der sich aber nicht auf irdische Dinge bezog, rief er halb stöhnend, halb verwünschend immer nur die Worte: »Die Leiter! – Mutter, steh' auf! – schnell! – Unser Mondband, – unsern Erdenstrick, – Mutter! – Die Strickleiter! – steh' auf!« – Im gleichen Moment stürzte er kopfüber zu mir in den Käskeller herab. Wahrscheinlich hatte er geglaubt, die Falltür sei zu, und im Begriff, die Mondfrau zu wecken, war er arglos darüber hinweggeschritten und so hineingestürzt. Aber zu meinem Entsetzen tappte der Mondmann, der sich mit einem Fluch wieder erhoben hatte, auf mich zu. Ich glaubte schon, er habe mich gewittert, durch den Geruch entdeckt, und suche nach mir, wie der Riese, der im Märchen ins Zimmer tritt mit den Worten: Ich wittere Menschenfleisch! Doch blieb er in der Mitte des dunklen Raumes stehen und machte sich an der seltsamen Aufwind-Maschine zu schaffen, die er unter großem Stöhnen seinerseits und unter großem Knerzen von Seite der wie mir schien ganz aus Holz gefertigten Vorrichtung in Gang brachte. Jetzt kam auch die Mondfrau heruntergeschlappt: »Du vergeßliches Mannsbild, Du Träumer, Sterngucker, Faulenzer, Essiggesicht, wenn einer von den Käsleuten heraufsteigt und brennt uns die Bude unterm Arsch an, dann haben wir's!« – »Mutter,« sagt der Mondmann kleinlaut, »sag' nicht Bude, – zieh!« – »Bude, sag ich, warum läßt Du alles verkommen? Galgenstrick!« – »Mutter, sag' nicht Galgenstrick! zieh!« – »Galgenstrick, sag' ich, Hungerleider!« – »Mutter, sag' nicht Hungerleider, zieh!« – So ging es wohl eine halbe Stunde zu, das gegenseitige Schimpfen und Widerpart halten. Und dabei fortwährendes Keuchen und Stöhnen, Knerzen und Quiexen. Die Mondfrau hatte sich in der Tat allmählich auf die andere Seite begeben, wo vermutlich ein zweiter Handgriff zum Treiben angebracht war. – Die Strickleiter! dachte ich in mir, ja, ich hatte sie auch vergessen. Hunger, Müdigkeit, Kälte, Angespanntsein aller Sinne, – wer hätte da an die Leiter gedacht, nachdem man einemal heroben war. Aber was hätte geschehen können, kalkulierte ich weiter, wenn jemand von der Erde, vom »großen Käs«, wie die Leute sich ausdrücken, heraufgestiegen wäre; freilich, in der Nacht auf dem einsamen Feld zwischen D'decke Bosh und Leyden hätte sie kaum jemand entdeckt. Aber es mußte ja jetzt Tag sein drunten auf der Erde, und die hanfene Leiter schleifte vielleicht durch irgend eine westfälische oder deutsche Stadt. – Ich weiß nicht mehr genau, wie lange das Heraufziehen der Leiter währte, außer, daß es dieselbe Zeit in Anspruch nahm, wie das Schimpfen und Poltern. Aber nach eineinhalb Stunden etwa verließen Mond-Mann und -Frau keuchend und dampfend vor Arbeit den unterirdischen Raum. Letztere schmiß wieder mit einem fürchterlichen Schlag die Kellertür zu. Ich blieb drunten. Und weiter wurde die Nachtruhe dann nicht mehr gestört. –

Der Leser, der hier einen Absatz findet, wird vielleicht sagen: ich solle schließen und meine erlogenen Geschichten und schwindelhaften Einbildungen wo anders anbringen. Der Leser wird diese Ansicht mit sich auszumachen haben. – Meine Pflicht ist: mitzuteilen, was ich als Augenzeuge erlebt habe; erlebt, ganz gegen meinen Willen; und für welches Erlebnis ich heute einen kranken Körper mit grauen Haaren, trübem Blick, derontiertem Geist und einer unüberwindlichen Abscheu gegen Käse herumzuschleppen habe. Niemand wird von mir eine Klage hören über ein Geschick, welches ich ganz allein mir und einem unbegreiflichen Leichtsinn zuzuschreiben habe. Aber niemand wird mich auch vermögen, mit Rücksicht auf einen ermüdeten oder ungläubigen Leser, oder einigen Astronomen, deren Lehrbücher und Berechnungen im schroffsten Widerspruch mit dem von mir Gesehenen stehen, Mitteilungen zu unterlassen, deren Inhalt von der größten Wichtigkeit ist für die Menschheit, für die Erde, für den Mond, für die Verbindung zwischen Erde und Mond, für Verproviantierung dieses letzteren, für die Abhängigkeit der Gesichtsbildung von der Art der Nahrung, für den Einfluß von meteorologischem Magnetismus auf Taschenmesser u.s.w. – Hab' ich vielleicht durch irgendwelche vorschnellen Schlüsse oder Annahmen dem Leser Veranlassung zum Mißtrauen gegeben? Bin ich nicht mit der größten Vorsicht, Ruhe und Objektivität vorgegangen? Hab' ich nicht den Mondmann, zuerst als er auf dem Ackerfelde zwischen D'decke Bosh und Leyden niederstieg, sogleich als Hopfenhändler und Getreidebauer, und insolange in Anspruch genommen, bis unbegreifliche Ereignisse diese Annahme fernerhin zur Unmöglichkeit machten? – Alle diese Fragen muß der Leser zu meinen Gunsten beantworten. Dann hat er aber kein Recht, mich hier zu unterbrechen!

Aber alles nimmt zuletzt ein Ende! Auch die holperige Nacht auf den Käsen im Mondkeller nahm ein Ende. – Wenn jedoch der Leser glaubt, daß sich damit meine Situation gebessert, oder daß ich in das Wohnzimmer hätte zurückkehren können, so irrt er sich. – Wie wäre dies auch möglich gewesen? Nach der aufgeregten Szene zwischen den beiden Mond-Gatten an der Aufzieh-Maschine wäre es doch Wahnsinn gewesen, die Kellerklappe, deren eines Scharnier gebrochen war, aufmachen zu wollen; nachdem es so gut wie sicher war, daß die beiden Leute für diese Nacht vor Aufregung kein Aug' mehr schließen würden; unerörtert, ob ich die schwere Tür von unten überhaupt aufgebracht hätte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als drunten zu bleiben und meinen angebissenen Käs zu suchen. – Aber, wie gesagt, die Nacht ging zu Ende. Daß sie zu Ende war, merkte ich übrigens nur aus dem über meinem Kopfe entstehenden Leben und Treiben; nicht etwa aus einer beginnenden Helle; denn so viel wird der Leser behalten haben, daß im Mondkeller kein Fenster war; aber es war auch fraglich, ob es oben im Mondzimmer hell war; denn wenn die Sonne hätte kommen können, so mußte sie doch in den ersten zwölf Stunden nach meinem Heraufstieg kommen. – Dies Leben und Treiben über meinem Kopfe war übrigens merkwürdig genug: ein Geklopfe, ein Gerutsche, ein Getrapp, ein Hin und Her, daß man hätte eine Fabrik vermuten können. Soviel war sicher, daß Einer außerhalb der Stube auf dem Dach war und dort klopfte und hantierte. Was, das wußte ich nicht. – Übrigens war mein Plan für den nächsten Tag gemacht; mit meinem angebissenen Käs in der Hand beschloß ich, mich unter die Treppe der Kellertür zu legen, und sobald jemand herabstiege, zu sondieren, wie die Beleuchtung oben sei, und war es das Zwielicht, in dem ich die ersten sechs Stunden in der Mondstube verbrachte, dann die Gelegenheit zu benutzen, und mich hinauf unter mein Bett zu stehlen. Herunter kommen mußte jemand, denn sie mußten doch zum Mittagessen Käse holen. – Inzwischen versuchte ich mich in dem Mond-Unter-Raum etwas zu orientieren: Da war also einmal die schon erwähnte Auf-Wind-Maschine; es wird sich niemand wundern, wenn ich sage, ich ging ihr so viel wie möglich aus dem Wege; denn abgesehen von meinem nächtlichen Rencontre mit ihr, war mir das Quiexen dieses ungeschmierten Holzkastens ein Greuel, auch war mir ihre Konstruktion herzlich gleichgültig: schon um deshalb, weil eine unvorsichtige Berührung von meiner Seite den Einstell-Mechanismus, den ich ja garnicht kannte, hätte auslösen können, wobei die Maschine durch das irgendwie angespannte Strickleiterende in eine rückläufige Bewegung gesetzt, und damit die Leiter selbst in Folge ihrer Schwere in einem Nu gegen die Erde zum Abraspeln gebracht werden konnte. Hier ging ich also außen herum wie bei einem Gespenst. Wenn nur nicht so wenig Platz dagewesen wäre! Hinter mir im Rückteil des Kellers lagen die Käse. Von ihnen aufbrechend traf ich zuerst auf den weich ausgelegten Boden, von dem ich oben schon sprach, und der die ganze Kellermulde rings um der in der Mitte plazierten Maschine bedeckte: ich kroch auf allen Vieren, um nirgends anzustoßen, und konnte so diesen weichen Stoff besser untersuchen; es schien eine Art Garn oder fremdartige Wolle, sie war in Strähnen oder Bündel geordnet, geflochten, und, damit die Flechtung nicht aufgeht, noch geknüpft: darin lag nichts absonderliches: ähnlich machen wir es drunten auf der Erde auch; aber, was mir auffiel, war, daß immer nur einzelne Stücke so gleichartig äußerlich behandelt waren: dann kam eine Reihe, darin war die Knüpfung eine andere, oder die Stücke waren dicker, also schwerer: dann kamen wieder welche, da war der Faden oder die Wolle, ich bin da nicht Kenner genug, viel feiner: bei anderen merkte man schon aus der Berührung, und viel sah ich ja da herunten nicht, daß sie wo ganz anders her seien, die Fabrikation eine andere: kurz, die Stücke, war es nun Garn oder Hanf, oder Baumwolle, oder Kokosfaser, waren nicht hier oben aus dem Rohmaterial gearbeitet, sonst wären sie gleichartig geschlungen und geknüpft worden: zweitens, wenn die Stücke nicht heroben gearbeitet worden, dann kamen sie von der Erde, und dann, wohlgemerkt! kamen sie aus verschiedenen Fabriken oder Kaufläden, mindestens aus fünf oder sechs: soviel für jetzt über das merkwürdige Garnlager der Mondfamilie, – ich komme darauf zurück. Zur Rechten, wenn ich der Windmaschine auswich, traf ich auf eine mäßig große Kiste: ich habe ihrer schon Erwähnung getan; sie enthielt Nägel, verrostete Klammern, Bandeisen, eine halbe Zange, außerdem eine ganz neue, einen ungewöhnlich schweren Schmiedehammer, den nur ein sehr kräftiger Mann mit einer Hand handhaben konnte, diverse Kloben, Schrauben, Schraubenmuttern und dergleichen. – Wenn ich an das Gehämmer und Geklopfe dachte, das noch in diesem Moment zu mir herunterschallte, so war es klar, daß diese Kiste noch immer nicht das gesamte Handwerkszeug des Mondhauses enthielt. Weiterhin, den halben Umkreis des Mondkellers auf dieser Seite vollendend, traf ich unter der Kellerstiege, vorsichtig plaziert, ein großes Blechgefäß mit Teer, dessen penetranter Geruch schon in der vergangenen Nacht beim ersten Betreten des Mondkellers, mir den Vorgeschmack an den Käsen verbittert hatte. Ein Stück Holz zum Rumrühren stak drin. Weiter auf der linken Seite fand ich eine ziemliche Menge schwarzer, knisternder Platten an die Wand gelehnt, die ich sofort am Gefühl und Geruch als teergetränkte und mit Sand überzogenen Dachpappen erkannte. Die macht der Alte jedenfalls selbst, – sagte ich mir, – bestreicht sie, trocknet sie, und hebt sie hier auf. Ihre Verwendung konnte wohl nur das Monddach betreffen; ich sollte aber später doch noch ganz anderes drüber erfahren. – Und nun, indem ich den Kreis im Umgang des Kellers vollendete, – wohlverstanden, gegen die Mitte zu immer auf den weichen Hanf-Strängen laufend, – kam ich zu meinen Käsen zurück. – Ich war aber nicht sobald dort angelangt, als die Klappe geöffnet wurde und der Mondmann lang und steif herunterkam. Diesmal hatte ich es jedenfalls versäumt, mich wieder in das Wohnzimmer zurückzuschleichen. Denn ich konnte es unmöglich wagen, neben dem Mondmann vorbeizukommen zu versuchen. Dieser ging ziemlich rasch und mit genauer Ortskenntnis um die Maschine herum zu der dem Leser bekannten Kiste, in der er ziemlich lange unter Zuhilfenahme diverser mir unverständlicher Flüche herumkramte. – Ich blickte durch die offenen Klapptür nach oben: es war natürlich sehr hell im Wohnzimmer, das heißt, mir kam es als Differenz von der herunten herrschenden kompletten Dunkelheit sehr hell vor; aber ich war fest überzeugt, es war keine eigentliche Tageshelle, weil ich mir nicht denken konnte, warum die Sonne jetzt auf einmal kommen sollte, nachdem sie vor sechs Stunden, zu ihrem Zeitpunkt ausgeblieben war, und weil ich überzeugt war, die Sonne stehe auf der anderen fensterlosen Seite des Mondes, so daß ein direktes Licht ausgeschlossen war. – Inzwischen war der Mondmann mit einigen Kloben und Nägeln wieder nach oben gegangen; ich nahm jetzt definitiv meinen drittels aufgesessenen Käs zur Hand und plazierte mich unter die Stiege neben das Teerfaß. – Indem ich so meinen Käs in sitzender Stellung wie einen Gummiball zwischen den Beinen hielt, begann ich in der Dunkelheit wieder zu simulieren: Wie kommt der Mann, sagte ich mir, zu seinen Käsen? Sollte er sie kaufen, wie ein anständiger Hausvater bezahlt was er verzehrt? Höchst unwahrscheinlich. – Ich vergegenwärtigte mir noch einmal, wie der glänzende, phosphoreszierende Mondmann nach Zuschaufeln des Grabes drunten auf der Erde zuletzt wie ein einfacher, dunkler Mensch wegging; es war um diese Zeit mindestens elf Uhr nachts; um diese Zeit sind in Leyden gar keine Geschäfte mehr offen; es ist richtig, Leyden hat gerade in diesen runden Käsen große Export Häuser; aber wie zu ihnen gelangen? Sollte er mit einem der Verwalter ein unredliches Abkommen...? – Nein, gewiß nicht! Was könnte denn der arme Mondkletterer dem Mann als Gegenleistung bieten? Nichts! – Ja, wenn der Mond aus Gold bestünde, wie manche alte Sage zu erzählen weiß, – aber, aus was der Mond besteht, das sah ich ja! eine alte, geschwärzte, teerüberzogene Holzbaracke; – nein, nein! – der Mondmann wird schon recht gehabt haben, als er gleich nach seiner Ankunft seiner scheltenden Frau gegenüber auf seine Magerkeit verwies; er kommt nur durch seine Magerkeit zu den Käsen; er wird schon sein bestimmtes Loch haben, durch das er in einen der großen Vorrats-Keller in Leyden eindringt, vielleicht ein Zugloch zum Trocknen der Käse, welches der betreffende holländische Baumeister nicht noch kleiner machte, indem er die Unmöglichkeit diebischen Eindringens von dem Leibes-Umfang seiner eignen Landsleute abmaß. – Und der arme Teufel von einem Mondmann darf sich nicht satt essen, um sich nicht der Möglichkeit zu berauben, seine Alte da heroben mit ihren dreißig Jungen mit Nahrung zu versehen. O elende, miserable Himmels-Existenz! – rief ich vor Entrüstung ganz laut aus, – als dicht über mir eine rauhe Stimme herunterrief: »Muß denn den ganzen Tag gefressen sein?« – Es war die Mondfrau, die die Klappe geöffnet hatte und jetzt die fünf oder acht Stufen schwerfällig herunterschlappte, – »den ganzen Tag gefressen sein« – wiederholte sie halb laut für sich, indem sie die Richtung nach den Käsen einschlug. Bei dieser Gelegenheit glaubte ich zu bemerken, daß die Mondfrau ziemlich kurzsichtig war, ein Umstand, der mir, neben der schon früher konstatierten Taubheit des Alten, durchaus willkommen war. Aber, ohne diesen Gedanken weiter zu verfolgen, benutzte ich, wie vorgenommen, die Abwesenheit des Alten auf dem Dach, und das Beschäftigtsein der Mondfrau bei den Käsen, um ohne viel Federlesens strümpfig in die Mondstube hinaufzueilen. Aber Lot's Salzsäule konnte nicht fester angewurzelt stehen als ich oben auf der Treppe, – denn vor mir stand kerzengerade und jedenfalls ebenso erstaunt wie ich, das große, älteste Mondmädchen; ich werde dieses Gesicht in meinem Leben nie vergessen, denn trotz allen Schreckens überwog doch noch mein neugieriges Erstaunen über diese Menschenbildung: ein harmloses, vollgefressenes Bauerngesichtchen mit kugelrunden Backen, blöden, geschlitzten Äuglein und etwas motzig heruntergezogenen Mundwinkeln, die Haut von mehligem Aussehen, die Farbe käsweiß, die Haare flächsern, die Wimpern sogar fast farblos, – so starrte das Mädchen mich an und ich das Mädchen. Ich selbst bin leider von Statur etwas klein; das Mondkind war in dieser hohen reinen Luft ziemlich hochaufgeschossen und ging über mich hinaus. Und dieser Größenunterschied ließ beim besten Willen nicht bei mir das Gefühl der Überlegenheit aufkommen; ich meine: ich fühlte, daß ich dem Kind nicht imponieren konnte, und abgesehen von jedem unangenehmen Gedanken, nun entdeckt zu sein, kam ich mir als der Geringere vor; so mächtig wirkte das schlanke naive Mondkind auf mich ein. Aber nur einen Moment, denn gleich darauf, und bevor sich noch die Mondfrau, unten, der Stiege näherte, verzog sich der anfangs vollständig indifferente Gesichtsausdruck meines vis-à-vis in ein freudiges, halb erstauntes, halb blödsinniges Lächeln, wobei sich die Ecken des winzigen kleinen Mundes nach oben richteten, und kleine Fältchen rechts und links außen an den Äuglein auftraten. Gleichzeitig hob das Kind tastend den Arm auf, um nach mir, wie nach einem Zuckerwerk zu langen. Ich wußte genug: das Mondmädchen war so naiv, harmlos und unerfahren, daß es – man verzeihe den Ausdruck – wie eine Idiotin meine Anwesenheit weder nach Furcht noch nach Schrecken abschätzen konnte. Es fehlte ihr der Begriff einer möglichen oder denkbaren Erscheinung wie meiner Person. Und als mein Blick – nur für eine Sekunde – rings das Zimmer streifte, sah ich an die anderthalb Dutzend solcher lustiger Mondgesichtchen auf mich zublinzeln und weggewendet von der Arbeit des Hanfspinnens, – denn alle Kinder spannen Hanf. Jetzt ließ sich die Mondfrau hören, und schnell entschlossen, schlüpfte ich um das blöde Kind herum und warf mich schleunigst und mit pochendem Herzen unter die Bettlade, wo tausend Gedanken auf mich einstürmten.

»So! – Also spinnen tun die Kinder! – Hanfspinnen! – Also ist das ganze Hanfmaterial unten im Mondkeller zum Spinnen bestimmt!« – »Und was spinnen die Mondkinder? – Stricke!« »Und zu was drehen sie Stricke? – Nur, damit der Papa hinuntersteigen kann und Käse holen!« – »Eine ganze Strickleiter, die bis zum Mond reicht, findet man ja doch nicht auf der Erde, daß man sie stehlen könnte! – Vollends eine geteerte!« – »Weshalb denn geteerte? – Nun zum besseren Anhalten! – Und dann noch mit Sand bestreute! – Weshalb denn mit Sand bestreute?« – » Nun, zum noch besseren Anhalten! – So, so!« – »Also die Strickleiter! – Natürlich, sie muß ausgebessert werden! – Ewig hält so ein Ding nicht, gar wenn man sie so strapaziert! – Und die Kinder spinnen die Reservestricke, – und der Alte dreht die dicken Stricke und lötet sie zum Ganzen! – Und dann streicht er's mit Teer an! – Und dann sandet er auch das ausgebesserte Stück!« – »Hat sich denn irgendwo ein Sack Sand gefunden? – Wird schon irgendwo stehen! – Also die Strickleiter, die wird wenigstens heroben gemacht!« – »Und den Hanf dazu? – Nun, den stiehlt er natürlich, das zeigen ja schon die verschiedenen Fabrikate!« – »Herr Gott, sind aber die Kinder dumm! – Nun, zum Hanfspinnen und Käseessen gescheit genug! – Trotzdem ist es traurig! – O nein! Zu was sollen sie gescheiter sein als nötig; zumal sie glücklich sind; ihr blödes Lachen dies wenigstens verrät!« – »Ob das große Mädchen dich wohl anzeigen wird! – Gott bewahre! Wie kann sie das? Ebenso könnte ein Lamm von einem Wolf eine Anzeige machen, den es zum ersten Mal gesehn!...«

Dies waren ungefähr meine Gedanken, und der Leser möge mir zu Gute halten, daß ich sie hier so ohne Umschweife ausgekramt. – Die Mondfrau war jetzt nach oben gekommen und schmiß jetzt nach ihrer Manier die Klapptüre zu; im Schürz hatte sie einige Käse und in der Rechten mehrere von den geteerten Dachpappen. Es war offenbar Essenszeit. Und offenbar hatte eines der Mädchen zu früh Hunger bekommen, und darauf bezogen sich die Worte der Mondfrau, mit denen sie in den Keller hinunterstieg: »Muß denn den ganzen Tag gefressen werden?!« – Das Mondfenster war offen, zum erstenmal seit meiner Anwesenheit; es war nicht kalt; sogar ganz erträglich; aber keine Spur von Tageslicht, keine Spur von Sonne. – Die Mondfrau hatte die Käse – ich weiß nicht mit was für einem Instrument – auseinandergebrochen und an die Kinder, die ihr höchst primitives Spinngerät bei Seite gelegt hatten, verteilt; sie selbst, mit einem Stückchen Käsrinde im Munde, nahm einige der Pappscheiben, ging ans Fenster und rief: »Papa, komm dann zum Essen!« Der Mondmann, der die ganze Zeit auf dem Dach und an den Seitenflächen herumgehämmert hatte, kletterte heran, streckte von oben die Hand herein und nahm die geteerten Tafeln ohne ein Wort der Erwiderung in Empfang. »Komm dann zum Essen!« sagte die Hausfrau noch einmal halblaut. Der Mondmann stieg aber weder herein, noch kletterte er wieder hinauf, sondern begab sich zu meiner größten Verwunderung auf die untere Mondfläche, wo er mehrere der Platten mit wuchtigen Hammerschlägen befestigte. Der so um das Holzgerüste des Mondes gelegte Teer-Überzug war ja gewiß direkt verständlich, da er ein vortreffliches Schutzmittel gegen Wind, Regen, Sonne, wenn sie kam, elektrische Entladungen, alle Art Niederschläge u.s.w. abgab. Weniger begreiflich war mir, daß sich der fleißige Mann da unten halten konnte. Sollte die Anziehungskraft dieses doch nur mäßig großen Mondkörpers genügen, einen allerdings spindeldürren Menschen an ihrer Oberfläche festzuhalten? Oder war der in Jahren doch schon vorgerückte Mondmann gelenkig genug, um sich an den sandüberstreuten Teerflächen festzuhalten? – Das Schmatzen der Kinder machte mich hungrig. Ich holte meinen Käs, der zwischen den Schlappen der Hausfrau und ihrem Nachttopf gelegen, hervor und biß herunter, so gut es eben ging. Das Schlagen und Hämmern unter mir ging immer fort. Es schien, er mußte den ganzen Mond neu überziehen. Von den Kindern liefen einige zu den Nachttöpfen, andere hatten ihre Spinnarbeit wieder aufgenommen, von der ich eigentlich nicht sagen kann, wie es zu Wege ging; von Spinnrad war natürlich keine Rede; ich glaube, das eine Kind hielt ein Ende mit der Hand fest, während das andere die Flecht-Arbeit machte. – Es mußte wohl schon Nachmittag sein, und die Mondmutter war am Tisch eingeschlafen, als endlich der Mondmann durch das Fenster hereinstieg, glühend und mit perlender Stirn. Beim Sprung auf den Boden erwachte die Alte. »Was,« sagte sie, »brennt heute so die Butterkugel?« – »Oh, scheußlich!« antwortete der magere, keuchende Mann, und hallte die Faust gegen die fensterlose Rückseite der Stube. »Papa, hebe nicht die Hand auf gegen sie!« mahnte die Hausfrau in ernstem Tone. – »Ach!« replizierte der Mondmann mit einer wegwerfenden Geste und ließ sich auf die Bank kraftlos niederfallen. Die Mondfrau schob ihm einen angebrochenen Käsballen hin. – »Was? Butterkugel?« dachte ich. Der Mann kommt verschwitzt und ermattet herein, als hätte er in der glühendsten Hitze gearbeitet, und schimpft und droht die geballte Faust gegen die Butterkugel? Was meint er damit? Meint er die Sonne? Und steht wirklich die Sonne drüben auf der Mond-Rückseite? Warum kommt sie denn nicht herüber, d. h. weshalb kommt der Mond in seiner von Astronomen hartnäckig behaupteten Drehung nicht zu ihr hinüber? Ich muß dem Leser offen gestehen, ich konnte über die physikalischen, meteorologischen und astronomischen Bedingungen, unter denen unser Erdentrabant steht, hieroben nicht klar werden, und mein Respekt vor den gelehrten Vertretern dieser Disziplinen auf der Erde drunten wuchs auf dem Monde nicht.

Ich war jetzt vierundzwanzig Stunden auf diesem luftigen Holz-Ballon droben, und wenn ich auch einen Teil derselben im Keller zubringen mußte, so konnte ich doch die wesentlichen Vorgänge, die sich im Mondzimmer abspielten, beobachten; freilich nicht alle; so hätte es mich z. B. sehr interessiert, wo die Mondfrau die zweiunddreißig Nachttöpfe hinleert. – Aber ich möchte nicht den ersten Mondtag vorübergehen lassen, ohne an den Leser eine dringliche Erklärung zu richten: Er soll nämlich nicht glauben, daß ich Lust habe, in dieser langweiligen Manier meine Geschichte weiter zu erzählen, jedes Faktum, jeden Schnaufer, jedes blöde Lächeln, jeden Geruch, jedes ungezogene Wort der Mondfrau, jeden Spreißel an einer Bettlade und nun vollends – jeden meiner Gedanken unter der Bettlade getreu zu berichten. Ich selbst hielte diese Schule der Kleinigkeitskrämerei nicht länger als einen Tag aus. Aber es geht auch aus anderen Gründen nicht. Wir würden nie fertig! Der Leser soll nämlich wissen, daß ich zwei Monate auf dem Monde bleiben werde. Ausnahmsweise will ich, abweichend von der Schule, der ich literarisch angehöre, hier ein Faktum mitteilen, was an den Schluß gehörte; zwei Monate blieb ich, aus Versehen, auf dem Mond! Durch Umstände, welche ich nicht anders als mit Versehen bezeichnen kann, wurde ich zwei Monate auf dem Mond zurückgehalten. Zu meinem größten Schaden. Ich verlor zwei unwiederbringliche Monate. Wären sie in die Universitätsferien hineingefallen, wäre es besser gegangen. Der Leser wird vielleicht fragen: ob ich denn bei einem Mondwechsel mit dem Mondmann wieder auf die Erde gestiegen bin. – Das wird sich finden! Oder: ob jeder Vollmond auf diese Weise als Dünger in die Erde vergraben wird. – Das wird sich zeigen! Oder: ob die heruntergeschleppte glühende Kugel nur der auf irgend eine Weise brennend gewordene Teer-Pappen-Überzug des Mondes ist, da ja die Frau und die Kinder droben bleiben. Das kann ich jetzt noch nicht sagen! – Also von einem detaillierten Beschreiben während zweier Monate kann keine Rede sein. Ich werde mich deshalb von jetzt an auf Erwähnung jener Tage oder Nächte beschränken, in denen ich etwas Neues entdeckt, oder an denen außergewöhnliche Vorgänge in der Mondfamilie sich abspielten. Und in der Zwischenzeit lasse mich der Leser ruhig unter meinem Bett meinen Käs essen. – Zwei hervorragende Ereignisse müssen aber gleich aus der nun folgenden Nacht berichtet werden: das Eine betrifft das sonderbare gelbe Bild auf der Rückwand des Mondzimmers, welches den Querschnitt einer großen Kugel darstellte; das andere, eine undelikate Angelegenheit, von der später die Rede sein wird. Die Kinder waren alle, wie den Abend zuvor, zu Bett gegangen, ebenso der Mondmann und die Mondfrau; ersterer, der sich durch seine Arbeit auf dem Dach wohl stark ermüdet hatte, schlief einen außerordentlich festen Schlaf, während die fette Mondfrau sich wiederholentlich hin und her wälzte. Mir kam unter meinem Bett der Gedanke, eine Zeitrechnung einzuführen. Eine Ahnung sagte mir, daß um den nächsten Vollmond etwas außergewöhnliches passieren werde. Denn es war klar, daß der Mondmann nicht zum erstenmal vor zwei Tagen seinen glühenden Ball heruntergeschleppt hatte. Die ganze Verproviantierung des Mondes wies auf kurze Intervalle hin. Vielleicht brauchte der Mann in der Zwischenzeit Teer. Und er stieg mit seinem Blechfaß hinab. Und kann es mir der Leser verübeln, wenn ich am liebsten wieder drunten gewesen wäre? Jedes eigenmächtige Fernbleiben von der Universität wurde mit Relegation bestraft! So beschloß ich denn, mit der ersten Gelegenheit mit dem Mondmann hinunterzusteigen, und, sollte es während der Reise zu einem Confront kommen, ihn derb mit Holländisch anzureden, – denn das sprachen eigentlich die Mondleute, – und sollte er nicht parieren, ihn bei der Gurgel zu packen und ihn zwingen den Weg bis zur Erde fortzusetzen. Zu all' dem mußte ich aber wissen, wie ich mit der Zeit daran war, und die Tage bis zum Vollmond zählen. Meine Uhr war außer Rand und Band und zu jeder Ablesung unbrauchbar; mein Taschenmesser, mit dem ich Schnitte in die Bettlade zu machen gedachte, war in sich festgekeilt. So griff ich denn in den durchlöcherten Strohsack der Mondfrau und zog einige Halme heraus, die ich in gleich große Stücke riß, um sie in bestimmter Ordnung, wie Merkzeichen, zwischen Strohsack und Bettlade hineinzustecken. – Aber nun kam eine andere Erwägung, die mir meine Tages-Zählung lieber an einem andern Bett vorzunehmen riet: Die Lage unter dem Bett der Mondfrau schien mir nicht ungefährlich; kam etwas vor, wie die Affaire mit der Strickleiter in der vorhergehenden Nacht, so war die Beunruhigung in erster Linie zwischen den zwei Betten der Ehegatten, und wenn auch die Mondfrau im Ganzen ruhig und fest schlief, so war doch in nächster Nähe der nervöse, unzufriedene und selbst im Schlaf aufgeregte Mondmann, vor dem man keinen Moment sicher war, ob er nicht aus dem Bett springen und irgend einen Traum zur Wirklichkeit machen werde. Ich beschloß daher meine Schlafstelle zu wechseln und, mehr entfernt vom Eingang, unter einem der Kinderbetten meine Wohnung aufzuschlagen. Und zwar sogleich. Ich nahm also meine Strohzeichen wieder heraus, schob meinen Käs aus der Bettlade heraus und kroch dann selbst vor. – Der Leser weiß, daß alles zu Bett ist! – Während meines Rundgangs im inneren Raum zur Inspizierung der Bettläden fiel mein Blick auf das große gelbe Wandbild. Ich zwängte mich zwischen die Bettstatten hinein, um es genauer anzusehen. Es war ein Querschnitt durch einen holländischen Käs, eine ganz dünne Käsescheibe, noch mit dem äußeren roten Rand; diese Käsescheibe auf eine der schwarzen Teerplatten aufgeklebt, so daß die gelbe Kugel auf dem schwarzen Grund sich ausnahm, wie unsere kolorierten Darstellungen der Himmelskörper auf Schultafeln oder in Atlanten. Und nun starre der Leser und werde stumm, wenn ich ihm sage: auf dieser gelben Käsescheibe war, entweder mit einer Nadel fein bröselig aufgeritzt, oder mit etwas dunkler gefärbten Käskrumen aufgestreut, in deutlicher Kontur die Gestalt von Nord- und Süd-Amerika zu sehen, so, wie wir sie auf einer der ersten Blätter unserer Atlanten in Mercator's Projektion zu sehen gewöhnt sind! – Ich war vollständig baff. – Aber mein nächster Gedanke war: Das kann nur der Mondmann gemacht haben. Jedes andere Wesen in der Mondstube war zu dieser, ich war geneigt zu sagen, genialen Arbeit unfähig. Aber wie? Wie kommt der Mondmann zur Anschauung von Nord- und Süd-Amerika in einer Verjüngung, die gerade auf den größten Durchmesser eines holländischen, runden Käses hinaufgeht? Sollte er in einen Atlas hineingeschaut haben? Aber wie? Wie kommt er dazu? Sollte er an einem warmen Sommerabend durch ein holländisches Dorf flanierend die Fenster der Schulstube offen gefunden, und hineinsteigend diese Mercators-Projektion als Wandtafel gefunden haben? Aber warum gerade diesen Gegenstand nachmachen statt tausend andere, die ihm auf der Erde begegnet sind? – Ich ging an die Bettstatt des Mondmannes und schaute mir dieses grämliche, gelbe, von Furchen der Sorge zerrissene Gesicht an, um Antwort auf meine Fragen zu finden. – Eine große, kantige Nase sprang hart hervor, wie man oft bei Bauern eine rücksichtslos geniale Zeichnung des Gesichts findet; die Lippen ganz dünn, zusammengepreßt und durch die gallige Beimischung schmutzig-grün gefärbt, ein spitzig vorbrechendes Kinn, eine hohe grandiose Stirn, friedlich geschlossene Augendeckel, die keine Ahnung dessen erlaubten, was hinter ihnen in dem grauen, scharfen Augenstern vorging. – Kopfschüttelnd ging ich weg und lief eine halbe Stunde nachdenklich im Mondzimmer umher, ohne aber auch nur im Entferntesten eine Lösung des Rätsels an der Wand zu finden. Ein unruhiges Hin- und Herwälzen der Mondfrau mahnte mich an meine eigentliche Beschäftigung. Ich wollte mir ja unter einer Kinderbettstatt eine neue Wohn- und Schlafstelle suchen. Dieses Hinunterkriechen auf dem Boden kam mir wie etwas Schmutziges und Niedriges vor, gegenüber dem, womit mein Kopf sich gerade beschäftigte, doch überwand ich die Abneigung und ging an die Suche. Da war nun jede Kinderbettstatt anders. Schließlich begann ich mich unter eine, die mir passend schien, hinunterzuarbeiten. Sie stand so ziemlich gegenüber den ehelichen Betten der Mond-Leute, also soweit wie möglich von ihnen entfernt, was ich ja eben bezweckte. Meinen Käs hatte ich unter dem Arm. Ich war nun aber kaum mit dem halben Körper hinuntergekrochen, als ein unvorhergesehenes Tiefergehen der Matratze mich am Weitergehen hinderte. Im Versuch zurückzukriechen, zwängte ich mich mit dem Podex am Fußende der tief herabgehenden Bettstatt ein. So eingezwängt machte ich, wahrscheinlich in der Furcht vor Atemnot, eine brüske Bewegung, warf den Potschamber um, und im selben Moment krachte – wahrscheinlich erst durch eine kräftige Schulterbewegung von mir emporgehoben, – die ganze Kinderbettstatt über mir zusammen. Das Kind, welches vielleicht ein zehnjähriges dickköpfiges Mädchen war, fiel heraus und begann ein schreckliches Geschrei. – »Verdammte Solinger Bandeisen!« begann hinten der Mondmann zu fluchen, und erhob sich ächzend aus seinem Bett. »Solinger Bandeisen« – dies Wort klang wie eine Himmelsbotschaft für mich, denn es wälzte jede Schuld ebenso von mir ab, wie ich jetzt Betttrümmer, Plumeau und Holzladen von mir abwälzte, um mich schleunigst unter den großen Tisch in der Mitte des Zimmers zu verstecken, von hier aus die Gelegenheit wahrnehmend, bis die Mondleute herbeigekommen, und ich meinen Platz unter dem Bett der Mondfrau wieder einnehmen könne. – »Das ist jetzt in einem halben Jahr das dritte Bandeisen, das bricht,« brummte der Alte, und schlurfte herbei, um sein flachshaariges Töchterchen aufzuheben, und in seinen Armen das noch immer schluchzende Kind zu liebkosen. »Britsch' ihr den Popo durch!« schrie die Mondfrau von ihrem Bett aus herüber, offenbar zu bequem, um aufzustehen, und höchst entrüstet über die Störung ihres Schlafes. Im Moment war alles still. Das Kind hörte zu schluchzen auf. Der Mondmann zog die nächsten Pantoffeln unter einer Kindbettstatt hervor, zog sie der Kleinen an, und setzte sie an den Tisch. Dann richtete er das ganze Bett zusammen, so gut es für den Moment ging, lehnte die einzelnen Laden am Boden hin, das Bettzeug daneben, wischte sogar den Floß, den der zerbrochene Nachttopf verursacht hatte, mit einem Lumpen, den er hinter einer Bettstatt hervorzog, auf, und hob zuletzt die Kleine, die starr zugesehen hatte, mitsamt den Pantoffeln auf, und nahm sie mit sich in sein Bett. Ich hatte unter meinem Tisch ebenso starr alles mit angesehen und schwor, niemals mehr unter eine Kinderbettstatt zu kriechen. Erst nach einer Stunde beiläufig, nachdem die Mondinsassen, die fast alle durch den lärmenden Vorfall aufgewacht waren und sich noch lange in ihren Betten hin- und herdrehten, wieder beruhigt waren und, wie ich annahm, fest schliefen, suchte ich mein altes Lager auf, nicht ohne mich vorher meines halben Käses zu versichern, der bei der Katastrophe knapp unter den Rand der nächsten Kinderbettstatt gerollt war und so, zum zweiten Male, beinahe zu meinem Verräter geworden wäre. – Ich darf aber diese zweite Nacht nicht zu Ende gehen lassen, ohne mit dem Leser einen Punkt zu besprechen, den ich wegen seiner delikaten, oder vielmehr undelikaten Eigenschaft am liebsten unerörtert gelassen. Ich hätte dann am besten an die Spitze dieser Erzählung eine Erklärung, etwa des Inhalt, gesetzt: »Gewisse tägliche Verrichtungen im menschlichen Leben wird der freundliche Leser ersucht, an passender Stelle einzuschalten und in seiner Fantasie zu ergänzen.« – Das ist es auch, was die meisten Roman-Schriftsteller stillschweigend voraussetzen. Und ich finde das bei Erzählung irdischer Vorgänge in der Ordnung. Aber, lieber Leser, wir sind auf dem Mond! Das heißt, immer unter Berücksichtigung einer allzu skeptischen Leserschaft, es besteht die höchste Wahrscheinlichkeit, daß wir auf dem Monde sind. Und auf dem Monde kann die einfachste Verrichtung von der Erde zu einer halsbrecherischen Arbeit werden. Aus diesem Grunde und, weil das Fehlen der den gewöhnlichsten menschlichen Bedürfnissen dienenden Einrichtungen zu charakteristisch war für die ganze liederliche Mondbaracke daheroben, bin ich gezwungen, etwas zu erörtern, was gegen meinen Geschmack und meinen Reinlichkeitssinn verstößt. Besäße ich die Grazie und das vollendete Geschick der Franzosen, derartige Dinge vorzutragen, so nähme ich mir die nächsten vier bis fünf Seiten und würde meinen Gegenstand ausführlich behandeln. So werde ich meine Sachen mit einigen kurzen Bemerkungen abtun. Also, der Leser wird begreifen, daß, wer Käs ißt, gewisse im Käs vorkommende und im Körper nicht weiter zu verwertende Bestandteile wird ausscheiden müssen. Die Ausscheidungen aus dem Körper sind von dreierlei Art: gasförmig, flüssig und fest. Zu den gasförmigen Ausscheidungen gehören die Gase der Atmung. Der Gehalt an Gasen im Käse ist beträchtlich, und es ist deshalb nicht zu verwundern, wenn wir bei käseessenden Menschen die gasförmigen Bestandteile des Käses in der Atmung ausgeschieden sehen. Zu den flüssigen Ausscheidungen des Körpers... Doch ich sehe, ich komme hier zu tief hinein. – »Mond-Abtritt«, – um die Sache einmal von dieser Seite anzupacken, – welches Wort außer hier in der ganzen Erzählung nicht mehr vorkommt, kam auf dem Mond überhaupt nicht vor; und der naserümpfende Leser wird einsehen, daß ich irgendwie um Ersatz für diese Einrichtung besorgt sein mußte. Im Mondzimmer selbst denselben zu suchen, ging aus naheliegenden Gründen nicht; wenn aus gar keinem andern, so, um mich nicht zu verraten. Mein Instinkt trieb mich in den Mondkeller, dessen Klappe ich jetzt schon mit größerer Leichtigkeit handhabte. Unten machte ich den Rundgang um die Maschine, den der Leser schon kennt, fortwährend mich an der Wand haltend, um nach irgend einer verborgenen Ecke zu suchen; als ich über die Käse stieg, polterte einer gegen die Wand, und ich hörte deutlich an der betreffenden Stelle einen eisernen Ring wie auf Holz umklappen. Ich langte in der Finsternis hin und entdeckte etwas oberhalb der Käse einen eisernen Riegel, der verschiebbar war; nicht weit von ihm war der Ring, den ich fallen gehört, durch ein Scharnier im Holz befestigt. Und indem ich nun, neugierig gemacht, mit beiden Händen an der Wand weiter tastete, fand ich die deutlichen Umrisse einer Art Luktür. Um mich zu überzeugen, nach welcher Richtung sie aufging, nahm ich den eisernen Ring in der Mitte fest in die Rechte, und zog mit der Linken den Riegel zurück. Die Tür fiel schwer und gegen meinen Willen mir aus der Hand und kreischend nach außen; und vor mir lag eine graue, unermeßliche Tiefe, aus der nur ein leichter Luftzug mein vor Angst schwitzendes Gesicht traf. Obwohl ich vor dem nächsten Gedanken, der jetzt durch mein Hirn fuhr, schaudern zurückbebte, so bot er doch die einzige Möglichkeit mich in meiner Bedrängnis zu erlösen. Und so schickte ich mich denn an, dieser grauenhaften Tiefe von ungezählten Aeonen die im Käs enthaltenen, und bei der Verdauung im Körper nicht weiter verwertbaren Bestandteile zu übergeben. – Weiter wurde die Nachtruhe dann nicht mehr gestört. –


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