Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Charley hatte nur einen Vorwand gesucht, um Bob zu entfernen. Er fürchtete, die spöttischen Bemerkungen des Bruders könnten den Knaben in seiner trüben Stimmung noch mehr kränken. Und er hoffte, daß sich sein Schützling auf der Jagd erheitern und vergnügt und munter wieder heimkehren werde.
»Der Junge scheint mit unserem Bleiben nicht einverstanden zu sein«, begann Jim nach längerem Schweigen, als Bob fortgeritten war. »Schicke ihn doch nach der Befestigung, wenn es ihm hier nicht mehr behagt!«
»Du machst ihm bei uns das Leben wahrlich nicht angenehm,« versetzte Charley unwillig.
»Ich verhätschle ihn nicht wie du. Das stimmt!« gab Jim ärgerlich zurück. »Seitdem der Junge bei uns weilt, bin ich nicht mehr für dich vorhanden. Ihm gilt deine ganze Aufmerksamkeit vom Morgen bis an den Abend. Ich aber laufe wie das fünfte Rad am Wagen nebenher.«
»Du bist ungerecht, Jim. Ich gebe zu, daß mir der Knabe an das Herz gewachsen ist. Ich möchte ihn nicht mehr missen, aber – –«
»Meinetwegen kann er zum Teufel gehen!« unterbrach Jim den Bruder in hellem Zorn.
Charley schüttelte den Kopf. »Du bist ungerecht«, sagte er noch einmal. Dann ging er weiter und ließ Jim mit seinem Groll allein.
Als nun eine Stunde nach der anderen verrann, ohne daß Bob wiederkam, wurde Charley unruhig. Zuletzt erstieg er eine der höchsten Anhöhen an der Seite des Talkessels und schaute von dort nach dem Knaben aus. Aber von ihm war nirgends etwas zu sehen. In verschwindender Ferne bemerkte er auf einer sich nach Süden ausdehnenden Prärie eine Anzahl winziger, dunkler Punkte, die sich kaum merkbar fortbewegten. So viel er auch die Augen schärfte, vermochte er nichts Genaueres zu erkennen. »Es wird eine Herde Büffel sein. So weit kann der Knabe sich unmöglich entfernt haben«, sprach er vor sich hin.
Bald sank die Sonne hinter den westlichen Bergen nieder, und voll banger Sorge stieg der Trapper wieder in das Tal hinab, wo Jim sinnend am Feuer stand, sich aber hastig umdrehte, als sein Bruder näher kam und sich neben ihn auf einen Holzblock setzte.
»Du bist also überzeugt, daß der Knabe kein falsches Spiel mit uns treibt?« fragte Jim, indem sich sein Mund zu einem spöttischen Lächeln verzog.
Erstaunt sah Charley seinen Bruder an. »Gewiß bin ich davon überzeugt! Er ist treu wie Gold, dafür möchte ich meine Hand in die Flammen legen, und – –«
»Verbrenne dir die Finger nicht zu früh! Betrachte dir vorher lieber dieses hier!« unterbrach ihn Jim und überreichte dem Bruder ein großes Messer, von dessen Griff lange Lederfransen herniederhingen. »Weißt du, wem es gehört?«
Charley beschaute das Messer genau. Plötzlich blickte er auf. »Jetzt entsinne ich mich. Ich sah es bei dem Fuchs, dem Andrew Brown.«
»Ich ebenfalls,« bestätigte Jim rasch. »Und weißt du, wo ich es fand? Dort vor der Höhle, in der unsere Sachen liegen. Und im Sande bemerkte ich ferner dort die Fußspuren des Halbindianers und daneben – die Abdrücke von Bobs Stiefelsohlen. Heute morgen war der Knabe längst wach, als wir uns vom Lager erhoben, und nachher konnte er uns nicht wie bisher frei in die Augen schauen. Mit welcher Hast entfernte er sich später, als du ihn auffordertest, auf die Jagd zu reiten! Legst du deine Hand für seine Treue auch jetzt noch in das Feuer?«
Eine kurze Weile sann Charley nach. »Ja, auch jetzt noch!« sagte er dann fest. »Mag diese Nacht vorgefallen sein, was da will, daß uns Bob betrügt, glaube ich niemals! Denke daran, daß wir ihn schon einmal ohne Ursache schimpflich verdächtigten!« fuhr er dringender fort. »Damals meinten wir beide, im Recht zu sein. Nein nein, Jim! Und wenn du mir einen Beweis bringen könntest, der an der Untreue des Knaben keinen Zweifel mehr ließe, ich sagte dennoch, er betrügt uns nicht. Welchen Vorteil hätte er dabei?«
»Ich habe gesehen, wie er gestern mit dem Halbindianer redete, während wir am Fluß die Pferde tränkten und berieten, was zu tun sei. Kann der Fuchs nicht versprochen haben, ihn zu beschützen? Solange der Knabe uns begleitete, besaßen wir zwei scharfe Augen mehr. Das hat der schlaue Gauner wohl nicht mit Unrecht bedacht.«
»Bob sollte uns feige verlassen? Nein, Bruder, glaube nur das nicht!«' rief Charley lebhaft. »Zwar ist er ein Knabe, an Jahren jung, aber der lange Aufenthalt inmitten all der Gefahren hat seinen Mut gestählt, und aus Furcht vor Unruhen verrät er seine Freunde nicht. Kehrt er heute nicht zurück, dann ist ihm ein Unglück zugestoßen. Jetzt ist es gleich Nacht. Da suchen wir vergeblich, sonst machte ich mich sofort nach ihm auf den Weg.«
Jim überhörte die letzten Worte. »Der Junge sprach heute morgen von einem Traum,« sagte er mit spöttischem Ton. »Darin beabsichtigte der Halbindianer dich und mich aus sicherem Versteck zu töten. Von sich selbst sprach er nicht. Ging er mit dem Fuchs, hat er allerdings auch nicht nötig, sich vor diesem zu hüten.«
»Rede, was du willst,« entgegnete Charley abwehrend, »meinen Glauben an seine Treue erschütterst du nicht!«
»Und ich glaube nicht an seine Ehrenhaftigkeit!« rief Jim heftig und stampfte mit dem Fuß den Boden.
Charley legte seinem Bruder die Hand auf den Arm. »Ereifere dich nicht noch mehr! Warte lieber ab, was uns der morgige Tag bringt!« sprach er begütigend, »Jetzt, laß uns das Mahl herrichten und dann zur Ruhe gehen! Der Tag kommt früh. Dann möchte ich uns im Sattel sehen. Unsere Pflicht ist es, den Knaben zu suchen, wenn du ihn auch für einen Verräter hältst.«
Jim schwieg. Auch Charley sagte kein Wort mehr. Er dachte noch immer, daß Bob zurückkehren könne. Doch mit jeder Minute wurde seine Hoffnung geringer.
Eine Stunde später lagen die Brüder unter ihren Decken.
Wie der Knabe in der Nacht vorher, so wachte jetzt Charley. Die Angst um seinen Schützling ließ ihn nicht schlafen, und seine Gedanken erfanden immer neue Gründe für dessen Außenbleiben, mit denen er sich vergeblich zu beruhigen bemühte.
Als sich kaum der erste helle Schimmer des grauenden Tages am Himmel zeigte, sprang der Trapper vom Lager auf und zündete Feuer an. Während ein Stück Fleisch im Kessel briet, sattelte er die Pferde. Dann weckte er den Bruder, der sich unwillig erhob und sich fröstelnd an den aufflackernden Flammen wärmte. »Sollen wir unsere Sachen hier ohne Aufsicht lassen?« brummte er ärgerlich.
»Tausendmal taten wir es, und niemand kam, um etwas zu stehlen,« erwiderte Charley. »Hier iß, und dann wollen wir reiten!« fügte er hinzu, indem er den Kessel vom Feuer hob.
Jim beeilte sich nicht. Nachdem er gesättigt war, stopfte er sich gemächlich seine Pfeife. Er machte auch keine Miene, sich von seinem Holzblock zu erheben, als Charley bereits im Sattel saß.
»Willst du hier bleiben?« rief dieser ungeduldig. Er wartete die Antwort des Bruders nicht ab. Hastig drängte er sein Pferd bis dicht an Jim heran und sagte mit bebender Stimme: »Mehr als zwanzig Jahre haben wir einträchtig miteinander gehaust. Läßt du mich heute allein reiten, trennen sich unsere Wege für immer.«
Jim erhob sich. »Gut! Ich begleite dich, obwohl ich weiß, daß wir wie die Narren hinter dem Jungen herlaufen werden«, versetzte er zornig, indem er rasch seinen Gaul bestieg und dem Bruder folgte, der sein Tier in Bewegung gesetzt hatte. »Das aber schwöre ich dir, bestätigt es sich, was ich vermute, und dein Schützling kommt mir später vor den Lauf – mag es sein, wo es will –, dann schieße ich ihn nieder wie einen räudigen Hund.«
Charley bemerkte gleich hinter der Schlucht die Hufspuren von Bobs Pferde, welche die Anhöhe hinaufführten. Langsam, seinen Gaul am Zügel, erklomm er den Berg. Jim schritt scheltend hinter ihm her.
Oben angekommen fanden die Trapper bald die nach Süden sich fortsetzende Fährte, Schweigend ritten sie derselben nach. Aber da sie hin und wieder auf steinigen Boden kamen, wo keine Spur sichtbar war, mußten sie lange suchen, bis sie weiter südlich wieder auf die Fährte trafen. Darüber verging dann eine geraume Zeit. Jim füllte sie aus, indem er seinen Aerger durch Worte zu erkennen gab. Charley hingegen blieb unverdrossen. Selbst als sie die Spur nach beinahe zwei Stunden vollständig verloren hatte, und Charley zuletzt ziemlich ratlos auf einem Hügel sein Pferd anhielt, um nochmals Umschau zu halten, dachte er nicht daran, die Suche aufzugeben.
Da sah er, wie eine Anzahl großer Vögel sich hinter einer Felsengruppe niederließ und, wiederholt auffliegend, immer von neuem dorthin zurückkehrte. Frische Hoffnung beseelte ihn. Aber zugleich vermochte er sich eines Schauders nicht zu erwehren, denn er hatte unter den Vögeln zwei Aasgeier erkannt.
Schnell ritt Charley weiter. Nach einiger Zeit erreichte er die Stelle, wo Bob gestern vom Pferde gestiegen war. Auch der Trapper sprang aus dem Sattel und ergriff seine Büchse. Ein krächzendes Geschrei trieb ihn zwischen die in wilder Unordnung umherliegenden Felsblöcke hinein. Er hörte lauten Flügelschlag und sah eine Schar Vögel hastig davonfliegen. Nun bemerkte er auch neben einem mächtigen Steinblock einen unkenntlichen, blutigen Körper. Ein gewaltiger Adler saß mit ausgebreiteten Flügeln darauf und ließ sein heiseres Gekrächze ertönen. Erst als Charley seine Büchse wie zum Schlage erhob, flog er ebenfalls von dannen.
Jetzt stürzte auch Jim atemlos herbei. Beide Trapper näherten sich der unheimlichen Stelle. Erstaunt sahen sie den halbabgezogenen Bären
»Hier befand sich der Junge zuletzt. Vielleicht wurde er durch das Tier verwundet und versuchte krank und matt vergeblich uns zu erreichen«, sagte Charley erregt. »Bob! Bob!« rief er ein über das andere Mal mit der vollen Kraft seiner Stimme. Dann stieß er einen lauten Pfiff aus, wie er es zu tun pflegte, wenn er sich auf der Jagd von seinem Schützling verloren hatte.
Doch heute erfolgte keine Antwort. Nur die Vögel krächzten in den Lüften, unzufrieden über die Störenfriede.
Jim schaute voll Hohn auf seinen Bruder. »Sende ihm nur durch die Tiere dort oben deinen Gruß! Die holen ihn vielleicht auf seiner Flucht wieder ein. Ich bezweifle, daß der Junge den Bären tötete.«
Jetzt beugte sich Charley rasch nieder und hob ein Messer von der Erde auf. »Das ist das Messer des Knaben«, jubelte er. »Und sieh! Dort liegt auch seine Büchse im Grase versteckt.«
»Bob! Bob!« rief er von neuem und lief suchend zwischen den Felsen umher. Plötzlich blickte er starr auf den Boden. Langsam nahm er mehrere Adlerfedern auf, deren Posen etwa sechs Zentimeter lang gespalten waren. Von den dadurch entstandenen zwei Hälften war eine abgeschnitten, während die andere, gebogen und in die Pose geschoben, eine Oese bildete. Der Trapper kannte zur Genüge die Art und Weise der Rothäute, sich die Federn auf ihrem Kopfe zu befestigen. In die Oese knoten sie eine Strähne ihrer Haare. Jetzt wußte Charley, daß Bob sich bei den Indianern befand. »Freiwillig ist er ihnen nicht gefolgt. Das beweisen mir die zurückgelassene Büchse und das Messer«, sprach er überzeugt vor sich hin. »Das gierige Volk muß sehr eilig gewesen sein. Wahrscheinlich glaubte man, daß wir uns in der Nähe befänden. Sonst hätte es die Waffen entdeckt und mitgenommen, auch dem Bären das Fell abgezogen.«
»Man ließ alles vielleicht absichtlich liegen. Wer weiß?« brummte Jim zögernd. Er war stutzig geworden. Seine Vermutungen erschienen ihm auf einmal selbst übertrieben. Sollte der Knabe wirklich mit Gewalt fortgeschleppt sein? Die Möglichkeit lag nicht fern. Aber Jim wollte es sich nicht eingestehen.
Aber etwas milder gestimmt wurde er doch. Und als sich Charley nun daran machte, den Bären vollends abzuziehen, kniete er neben dem Bruder nieder und half ihm bei der Arbeit.
Das Fell wurde dann auf Charleys Pferd hinter den Sattel geschnallt, und die Trapper ritten eilig nach ihrem Lager zurück.
Keiner von beiden sprach ein Wort. Erst als die Gäule getränkt und angebunden waren und Charley das Bärenfell auf der Erde mit Pflöcken zum Trocknen ausgespannt hatte, brach Jim das Schweigen, indem er nicht unfreundlich sagte: »Wenn es dir recht ist, Bruder, brechen wir von hier auf. Wir wissen jetzt mit ziemlicher Sicherheit, wo sich der Knabe befindet. Ob man ihn zum Mitgehen zwang oder nicht, darüber wollen wir nicht mehr streiten. Ein jeder behalte seine Meinung für sich!«
»Laß uns noch drei Tage warten!« erwiderte Charley. »Ist Bob bis dahin nicht zurückgekehrt, so ziehen wir nach Fort Phil. Kearny. Dort können wir uns aufhalten, bis die Indianerunruhen beseitigt sind.«
Jim streckte ihm seine Hand entgegen. »Abgemacht!«
Kräftig schlug der Bruder in die Rechte ein. »Einig!« sagte er. Dann gingen beide ihren Beschäftigungen nach, mit denen sie gewöhnlich ihre Zeit ausfüllten.
Charley wartete vergeblich von einem Tage zum anderen auf die Wiederkehr des Knaben. Jeden Morgen ritt er stundenlang in den Bergen umher, hoffte er doch noch immer, irgendeine Spur zu finden, die ihm genauere Auskunft über das Verschwinden seines Schützlings geben konnte. Aber er kam stets niedergeschlagen zurück, und als er sich am dritten Tage abends neben Jim legte, drang er selbst darauf, am nächsten Morgen aufzubrechen.
Mit vieler Mühe wurden dann in der Frühe die Sachen auf die zwei Pferde geladen. Sie hatten schwer zu tragen, da sie sich in die Last teilen mußten, die drei Tiere heraufgeschleppt hatten.
Bevor die Trapper von dem Talkessel Abschied nahmen, schrieb Charley mit dem Blute eines Rehes, das er am Tage vorher erlegt hatte, auf ein altes Zeitungsblatt: »Nach Fort Phil. Kearny!« Das befestigte er in der Höhle, wo die Sachen gelegen hatten. Dann machte er sich wehmütigem Herzens mit seinem Bruder auf den Weg.
Die Reise war mühselig und man kam nur langsam vorwärts, Schon nach wenigen Stunden mußten die Brüder den erschöpften Pferden eine Rast gönnen und ihnen die schwere Last abnehmen, um nach einer längeren Pause alles von neuem aufzuladen und weiter zu ziehen. In dieser Weise ging es Tag für Tag. Erst nach zwei Wochen erreichten die Trapper die ausgedehnten Prärien, auf denen das Fortkommen bedeutend leichter wurde.
Keine menschliche Seele war ihnen bis jetzt während der Reise begegnet. Aber überall trafen sie im Sande die Fußspuren der Indianer, sowie ausgebrannte Kohlen. Deutlich ließ sich erkennen, wo sich die Feinde gelagert hatten, und verschiedentlich sahen die Brüder auch nachts in der Ferne den rötlichen Schein der Lagerfeuer. Ihre Büchse in der Faust, schritten sie stets neben den Pferden einher, jeden Augenblick eines Angriffes gewärtig.
Eines Tages rasteten die Trapper um die Mittagszeit vor einer Feldwand hinter einigen Steinen. Sie hatten soeben ihr einfaches Mahl verzehrt und beabsichtigten, nun wieder aufzubrechen, als Charley in dem hohen Grase der Prärie, die sich weit nach Süden und Osten erstreckte, eine auffallende Bewegung bemerkte. An vielen Stellen schien es, als würden die Halme zur Seite gebogen.
»Jim! Rasch! Nimm die Büchse zur Hand! Sie kommen herangekrochen,« flüsterte Charley hastig, indem er selbst nach seiner Waffe griff.
Schon stand der Bruder neben ihm. – Hinter Felsblöcken verborgen, breiteten beide auf einem Stein einen Haufen Patronen vor sich aus.
Jetzt hob sich vorsichtig kaum für eine Sekunde ein Kopf aus dem Grase. Charleys scharfes Auge sah ihn, und krachend entlud sich der Schuß aus seiner Büchse. Wie eine getroffene Katze schnellte eine Gestalt hoch über die Halme empor und schlug dann rücklings nieder.
Eine kurze Weile regte sich nichts in dem Grase mehr. Doch dann schwankten die Halme von neuem und heftiger.
»Nun gilt es, Bruder!« rief Jim.
Kaum hatte er das gesagt, so erscholl ein markerschütterndes Geheul. Ueberall erhoben sich dunkle Gestalten. Brüllend stürzten sie auf die Steinblöcke zu.
Schuß auf Schuß sandten die Trapper den Feinden entgegen. Mit rasender Geschwindigkeit flogen die Patronen in den Lauf.
Obgleich von den wohlgezielten Schüssen der geübten Jäger eine Gestalt nach der anderen getroffen zur Erde sank, kamen die Indianer rasch näher.
»Wir sind verloren!« schrie Charley. »Lebe wohl, Jim! Jetzt heißt es, das Leben so teuer wie möglich verkaufen.«
Ein großer, hagerer Mann war den übrigen weit voraus. Wild flatterten ihm die Haare um den Kopf. In dem braunroten Gesicht, das mit blauen und gelben Zeichen bemalt war, blitzten stechende Augen. Seine Linke schwang ein langes Messer. Die rechte Hand hielt eine kurze Büchse umspannt. Er schien kugelfest zu sein. Mit gewaltigen Sprüngen stürmte er heran und stand plötzlich mit einem Satz vor den Brüdern auf dem Stein. Scheu blickte er sich um. Wahrscheinlich vermutete er nach den vielen Schüssen mehr als die zwei Männer im Hinterhalte. Bevor einer der Trapper noch einmal zu schießen vermochte, sprang der Indianer von der Höhe herab, warf die Büchse zu Boden, und packte Charleys Hals. Jim nahm den Lauf seiner Waffe in beide Hände, und mit der ganzen Kraft seiner muskulösen Arme ließ er den Kolben seiner Büchse auf den Schädel des Feindes niedersausen. Stöhnend brach derselbe zusammen.
Jetzt aber tauchten von allen Seiten die Wilden empor. Wie ein paar Löwen verteidigten die Trapper ihr Leben. Beide zweifelten aber nicht daran, daß nun alles ein Ende habe.
Da schmetterten über ihnen Trompetentöne, und gleich darauf krachte eine mörderische Salve von oben hernieder.
Die Indianer stutzten erschrocken. Einen Augenblick standen sie ratlos, dann wandten sie sich zur Flucht. Jeder der Fliehenden raffte einen der gefallenen Brüder auf, aber manche von ihnen sanken, von den nachgesandten Schüssen getroffen, mit ihrer Last zu Boden. Aber viele entkamen, und das hohe Präriegras deckte ihren Rückzug.
Weiter entfernt erhob sich jetzt eine große Anzahl Pferde. Auf deren Rücken schwangen sich die Indianer. Ihre Toten und Verwundeten, die sie aus den Händen ihrer Feinde gerettet hatten, zogen sie vor sich auf den Sattel, und fort ging es in hastiger Eile.
Noch immer folgten ihnen die Kugeln nach. Dann erschallte ein lautes »Hurra« aus der Höhe, und nun kletterten und rutschten etwa fünfzig Soldaten unter Anführung eines Offiziers an der Felswand herab. Zwischen den Steinen bot sich ihnen ein wüstes Bild.
Ueberall lagen Indianer, zum Teil tot, zum Teil stöhnend und vergeblich bemüht, sich zu erheben, um doch noch ihr Heil in der Flucht zu suchen.
Jim kniete am Boden. Das Blut rann in dicken Tropfen von seiner Stirn. Er hielt seinen Bruder im Arm, und schloß mit einem Tuch eine klaffende Wunde in dessen Brust.
»Charley! Bruderherz! Bist du tot?« jammerte er. »Sieh mich an! Ich vermochte es nicht zu hindern. Der Knabe und Andrew Brown der Fuchs haben uns die Mörder auf den Hals geschickt.«
Charley schlug die Augen auf. Er öffnete ein paarmal seinen Mund. Man sah, wie er sich quälte, ein Wort hervorzubringen. »Bob ist unschuldig«, kam es zuletzt flüsternd von seinen Lippen, und ohnmächtig sank sein Kopf zurück auf des Bruders Knie.
»Charley, geh nicht von mir!« schrie Jim und bedeckte das bleiche Antlitz des Verwundeten mit Küssen. »Bruderherz! Bruderherz! Hörst du mich nicht mehr?« Er ließ den Bruder behutsam auf die Erde gleiten, und warf sich laut schluchzend über ihn.
Erschüttert und voll Mitleid umstanden die Soldaten die beiden Trapper. Vielen waren sie wohlbekannt; hatten sie sich doch überall in den Befestigungen Freunde erworben.
Mit tröstenden Worten wandte sich der Offizier an Jim. Er rief ein paar ärztliche Gehilfen herbei, die jetzt ebenfalls von der Anhöhe herabkamen. Sie untersuchten Charley. Noch befand sich Leben in ihm. Eine nahe Quelle lieferte Wasser. Man wusch behutsam die Wunde. Dann legte man einen Verband auf. Auch Jim mußte sich verbinden lassen. Der Schnitt eines Messers hatte ihm einen Teil der Kopfhaut aufgetrennt.
Mehrere Soldaten wurden nach Norden gesandt. Dort lagerte ein größerer Trupp Militär, der mit allem Nötigen für den Transport Verwundeter ausgerüstet war.
Jim wich nicht von der Seite seines Bruders, der regungslos auf einigen Decken und Fellen lag. Die ärztlichen Gehilfen hatten dem Trapper Hoffnung gemacht, das Leben Charleys zu erhalten, falls man ihn sofort nach dem zwei Tage entfernten Fort Phil. Kearny schaffte.
Voll Sorge zählte Jim die Minuten und Stunden, bis endlich gegen Abend ein Krankenwagen, mit sechs Maultieren bespannt, in Begleitung eines Arztes und einer Abteilung Soldaten anlangte.
Der Doktor unterwarf Charley noch einmal einer genauen Untersuchung, schüttelte aber bedenklich den Kopf. »Mit dem Manne sieht es traurig aus,« wandte er sich an Jim, dessen ängstlicher Blick fragend an seinen Lippen hing. »Die Lunge ist durchstochen. Leider muß ich raten, Euch auf das Schlimmste gefaßt zu machen.«
Nachdem Charley mit großer Vorsicht auf dem Wagen gebettet war und der Arzt Jims Kopfwunde zugenäht hatte, fuhr man unter starker militärischer Bedeckung ab. Der Arzt ritt an der Seite des Gefährtes. Hinter demselben führte der Trapper sein und Charleys Pferd. Gern waren die Soldaten ihm behilflich gewesen, die Tiere zu bepacken.
Das übrige Militär blieb bei den getöteten und verwundeten Indianern zurück. Für erstere schaufelte man ein gemeinsames Grab. Die anderen wurden gepflegt, so gut es sich machen ließ, um später nach der Befestigung abgeholt zu werden.
In der Nacht erwartete man noch eine größere Abteilung Soldaten, der sich oben zwischen den Felsen verbergen sollte. Man durfte erwarten, daß die Indianer zurückkehren würden, um sich ihre in der Gewalt der Weißen befindlichen Brüder zu holen, mußten doch von ihnen die Gefallenen mit allen nötigen Gebräuchen bestattet werden, wenn die Toten in den ewigen Jagdgründen wieder auferstehen sollten.
Beinahe ununterbrochen fuhr man die ganze Nacht hindurch. Die Pferde der Trapper drohten vor Erschöpfung zusammenzubrechen. Als der Morgen graute und ein längerer Halt gemacht wurde, wußte man jedoch, dafür Rat zu schaffen. Die meisten Soldaten waren ja beritten. Sie teilten sich in die Sachen, von denen Jim sich ungern trennte, wie sie sahen.
Der Zug bot einen eigentümlichen Anblick. Voran ritt jetzt der Arzt. Dann folgte der Wagen, an dessen Seite Jim einherschritt. Müde und matt stützte er sich auf das Gefährt, in dem sein Bruder noch immer regungslos wie tot lag. Hinterher ritten die Soldaten. Sie führten die beiden unbeladenen Trapperpferde. Dafür rasselten und klapperten aber an ihren eigenen Sätteln allerlei Fallen und Fanggerät, und manche der Burschen vermochten ein Lächeln nicht zu unterdrücken über den sonderbaren Aufputz, mit dem ihre Gäule behangen waren.
Auch jetzt machte man sich stetig auf einen Angriff gefaßt. Sobald Felsen und Berge eine fernere Aussicht hinderten, wurde eine kleine Abteilung Militär vorausgeschickt, welche die Gegend auskundschaften mußte. Aber nirgends drohte Gefahr, und als am nächsten Morgen die Sonne über einer sich von Norden nach Süden erstreckenden Bergkette aufging, sahen die ermüdeten Männer das Ziel ihrer Reise, Fort Phil. Kearny, vor sich.
Aehnlich wie Fort Reno war die Befestigung in einem weiten Talkessel erbaut, nur befand sie sich nicht in der Mitte, sondern im Westen desselben. Während an den übrigen Seiten das Land wellenförmig anstieg, standen hier schroffe Felswände, zwischen denen eine breite, bewaldete Schlucht bis tief in die Berge hineinführte, über die in der Ferne der Cloud Peak mit seinem ehrwürdigen, weißen Haupte hervorragte.
Auch in Fort Phil. Kearny lagen die Häuser dicht nebeneinander um einen weiten Platz. Viele waren noch im Bau begriffen. Obgleich der Tag kaum begonnen hatte, erblickte man Soldaten bei emsiger Bauarbeit. Von der Schlucht her ertönten Axtschläge. Dort wurden die für den Bau erforderlichen Bäume gefällt. An der westlichen Seite der Befestigung erhoben sich einige größere, zweistöckige Gebäude, die Kommandantur, das Hospital und das Vorratshaus. Daran reihten sich südlich mehrere etwa hundert Meter lange Kasernen und Ställe, nördlich einzelne Häuser, die von den Offizieren und deren Frauen sowie von den verheirateten Mannschaften bewohnt wurden. Im Osten endlich stand einzeln für sich ein fester Bau, aus dicken Stämmen der Pechtanne hergestellt, mit winzigen, vergitterten Fenstern. Darin lagerte Pulver und anderer Schießbedarf. Außerdem war darin eine Abteilung für die Aufnahme etwaiger Gefangener bestimmt.
Von allen Seiten kamen die Soldaten herbei, als der Zug in der Befestigung anlangte. Viele begrüßten Jim mit aufrichtiger Trauer und schauten mitleidig auf Charley, der sofort in das Krankenhaus getragen wurde.
Nachdem Jim seinen Bruder glücklich untergebracht und gut aufgehoben wußte, brach er machtlos zusammen. Ein heftiges Fieber erfaßte ihn, von dem er sich erst nach mehreren Tagen so weit erholte, daß er sein Lager wieder verlassen konnte.
Charley war bald nach der Ankunft in Fort Phil. Kearny aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht. Aber er erkannte seine Umgebung nicht. Mit schwacher, kaum vernehmbarer Stimme rief er wiederholt nach Bob. Dann schien er sich wieder mitten im Kampfgewühl zu befinden, um gleich darauf lächelnd von seinen Bibern zu erzählen, die er sich nach seiner selbst erfundenen Methode leichter zu fangen einbildete als alle andern Trapper der Welt. Endlich nach Stunden der wirresten Hirngespinste verfiel er in einen tiefen Schlaf. Nun atmete der Arzt erleichtert auf, der bis dahin pflichtgetreu an dem Bette des schwer verwundeten Mannes gesessen hatte.
In der kommenden Nacht packte das Fieber Charley von neuem, und das wiederholte sich auch in den folgenden Tagen.
»Wenn Euer Bruder nur Kräfte genug besitzt, diese fortwährenden Anfälle auf die Dauer zu ertragen!« entgegnete der Doktor, als Jim die Pflege Charleys übernahm und den Arzt mit Fragen über den Zustand des Kranken bestürmte.
»Wenn es allein auf das Ertragen ankommt, verliere ich den guten Mut nicht,« meinte Jim. »Wir werden bei unserer Arbeit abgehärtet und zäh wie Büffelleder. Bläst man uns nicht das Lebenslicht auf einmal aus, flammt es, selbst von dem kleinsten Funken angefacht, wieder neu empor.«
Und Jim sollte recht behalten.
Der kleine Lebensfunken, der in Charleys Körper zurückblieb, glimmte und glühte tapfer weiter. Mit jedem Tage wurde er größer, bis er zum Flämmchen heranwuchs.
Eines Morgens erwachte Charley wie aus langem Schlaf. Er wunderte sich nicht wenig, im Hospital von Fort Phil. Kearny zu liegen, und mußte eine geraume Weile seine Gedanken sammeln, bevor ihm die Vergangenheit aufs neue klar vor Augen stand. Seine erste Frage galt dann dem Knaben. Er wurde recht traurig gestimmt, als er vernahm, daß man von seinem Schützling nichts wieder gehört hatte.
Noch waren die Brüder in eifrigem Gespräch vertieft. Jim erzählte gerade, wie damals die Soldaten so plötzlich die Indianer in die Flucht gejagt hätten, als draußen auf dem Platz Trommelwirbel und Trompetenklang erschallte. Rasch trat Jim an das Fenster. Ein langer Zug Militär marschierte soeben in die Befestigung ein.
»Die kehren aus den Bergen zurück!« rief Jim. »Ich will mich erkundigen, wie es ihnen erging.« Hastig verließ er das Zimmer und eilte auf den Platz.
Dort drängte sich alles um die Angekommenen, und nun erfuhr der Trapper, daß die Indianer damals am zweiten Tage wirklich einen Versuch gemacht hätten, ihre Toten und Verwundeten zu holen, die letztere übrigens alle »gestorben« seien, wie der Soldat, den Jim befragte, mit einem besonderen Gesichtsausdruck meinte. Bei der Gelegenheit habe man etwa fünfzig von den rotbraunen Feinden getötet.
»So viel würden wohl nicht in das Gras gebissen haben, wenn wir von dem beabsichtigten Angriff, den mehr als hundert Indianer ausführten, nicht frühzeitig Nachricht erhalten hätten,« berichtete der Bursche weiter. »Uns blieb Zeit, hinreichende Verstärkung heranzuziehen, und als der Tanz begann, wurde frisch darauf losgepfeffert. Ich habe an dem Tage nicht weniger als hundert Patronen verschossen.«
»Wenn Eure Kameraden Euerm Beispiel folgten, müßt Ihr vortrefflich gezielt haben!« lachte Jim nicht ohne Spott.
Der Soldat lachte ebenfalls. »Wißt Ihr, mit dem Zielen nehmen wir es nicht so genau; die Masse muß es bei uns bringen.«
»Und wer brachte euch die erwünschte Nachricht?« fragte der Trapper.
»Wer sonst als der von der Regierung angestellte Indianerscout Andrew Brown!«
»Wer?« rief Jim erstaunt, als habe er nicht recht gehört.
»Wie ich Euch sage, Andrew Brown der Fuchs. Er kam zuerst zu uns, um die entfernter lagernden Kameraden zu benachrichtigen. Nachher war er verschwunden, wenigstens sah ich ihn nicht bei uns, als der Angriff erfolgte.«
Der Trapper traute seinen Ohren kaum. »Befand sich jemand bei dem Halbindianer, als dieser bei euch erschien?« fragte er begierig.
»Jeder wird sich hüten, den Fuchs zu begleiten! Wer wagte sich wohl wie er von Stamm zu Stamm, um zu spionieren? Nein, das besorgt er allein. Er ist ein verwegener Geselle. Zum Feinde möchte ich ihn nicht haben. Damit drängte sich der Bursche durch den Kreis der Zuhörer, der ihn umgab, und wanderte, ein Lied pfeifend, nach einer der Kasernen.
Als Jim sich wieder nach dem Hospital begeben wollte, bemerkte er einen Soldaten, der auf dem Lauf seiner Büchse, die er nachlässig auf der Schulter hielt, einen kleinen, grauen Hut trug, an dem drei Adlerfedern befestigt waren.
Rasch schritt er auf den Burschen zu und fragte gespannt: »Wo fandet Ihr den Hut?«
»Ich fand ihn nicht. Einem der Indianer habe ich das Ding vom Kopfe geschossen,« erwiderte jener mit stolzer Miene. »Er war ein Feigling und blieb zurück, als seine Brüder mutig heranstürmten. Mein Auge fiel sofort auf ihn, erschien es mir doch wunderbar, einen Indianer mit einem Hut zu sehen. Fix schoß ich ihm das Ding herunter.«
Der Trapper betrachtete die Kopfbedeckung genau. »Schade nur, daß sich kein Loch von Eurer Kugel darin befindet, sonst könnte man wirklich an Euren Meisterschuß glauben.«
Daran hatte der Soldat nicht gedacht. Er wurde sichtlich verlegen.
»Wieviel ist Euch das Ding wert?« fuhr Jim fort.
»Wollt Ihr den Filz? Da nehmt ihn,« versetzte der Mann bereitwillig. »Ich kann keinen Gebrauch davon machen.«
Dankend nahm der Trapper das Geschenk in Empfang und eilte damit nach dem Krankenhause, um seinem Bruder von allem Bericht zu erstatten.
Charley schlief.
Einen Augenblick sann Jim nach. »Das bricht dir das Genick, Fuchs,« murmelte er dann grimmig vor sich hin. »Hier scheint man dich und deine Schliche noch nicht zu kennen. Es wird Zeit, daß ich den Leuten die Augen ein bißchen öffne.« Er nahm den Hut unter den Arm und begab sich zu dem Kommandanten von Fort Phil. Kearny.