Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
An der nördlichen Gränze des Aalbuchs, wo sich das Gebürge in den Gauen, die der Kocher und die Rems bewässern verliehrt, erhebt sich auf der Spitze eines in das Thal hervorspringenden Hügels, kühn und trotzig, ein ungeheurer Felsen, auf drei Seiten durch senkrechte Wände unzugänglich, und auf der vierten, durch einen schmalen Fußsteig mit der Ebene des Gebürgs verbunden. Eine hohe Mauer, aus mächtigen Quadern aufgeführt, und an der westlichen Eke ein runder Thurm, stark verletzt durch den Zahn der Zeit, – verkündigen hier dem Wandrer, den ehemaligen Wohnsitz eines deutschen Ritters. Eine unermeßliche Gegend überschaut der Beobachter in den [8] Ruinen der zerstöhrten Burg, die man nur mit Mühe und Gefahr erklettert. Denn an einem schauerlichen Abgrund, zieht sich der schmale, klippigte Fußsteig herum, der allein auf den Gipfel des Felsen führt, und wildes Gesträuch und Dorngebüsch, aus verwitterten Steinen hervorgewachsen, machen die Tritte unsicher. – Rosenstein ist der Name der Burg.
Auf dieser Felsenspitze siedelte im fernen Mittelalter Ulrich von Rosenstein, ein stattlicher schwäbischer Ritter, kühn und tapfer, bieder und stumm, der nie aus einem Streite als Besiegter, nie von einem Turniere ohne Dank zurückgekommen war. Er war der Schreken der Boßheit und die Zuflucht der Tugend. Unermeßlich war sein Reichthum, groß die Zahl seiner Hintersaßen, und wol vierzig Edelknechte, zog er aus zur Fehde, folgten seinem Banner.
Sein Vater Herr Kraft von Rosen [9] stein, hatte durch sein Beyspiel diesen kühnen Sinn in das Herz seines Sohnes gepflanzt. Hatt' er Muße, so saß er mit dem Junker, umgeben von seinen Dienstleuten und Knappen, auf die Trinkstube oder im schwühlen Sommerabend auf die Warte der Burg, erzählte dem horchenden Knaben seine Thaten, lehrte ihn wie nur Treue, Bidersinn, Gottesfurcht und Muth den deutschen Ritter adle, und bemühte sich in ihm den nämlichen Unternehmungsgeist, und die nämliche Begier, seine Ritterehre durch Gerechtigkeit und Tugend zu behaupten, – anzufeuren. Oft stand der Knabe unter dem Burgthore, und blikte mit thränendem Auge dem Vater nach, wenn er auszog, einen Verbrecher zu züchtigen, oder einen Bedrängten zu retten, und klagte seine Schwäche an, die es ihm noch nicht gestattete, Schwerdt und Lanze zu führen, und in der Rotte des Vaters gegen die Feinde auszureiten. [10]
Das ganze Leben des Ritters Kraft war eine ununterbrochene Fehde. Denn da jedermänniglich seine Tapferkeit und sein frommer Sinn bekannt war, so hatten viele Klöster ihn zu ihrem Schirmsvogt erkiest, und alle Nothleidenden im ganzen Gau, denen von Räubern, Mördern und Tyrannen ein Unrecht erwiesen war, baten ihn, ihre Unschuld zu verfechten, und an ihren Drängern Rache zu nehmen. Keinem schlug er die Bitte um Hülfe, war sie anders ziemlich, ab, und alle erlangten, was sie bei ihm gesucht hatten. Schrecken war deßhalb sein Name für die Uebelthäter, Freude für die Frommen, und Trost für die Bedrängten.
Aber nicht nur in die Ohren der benachbarten Ritter, sondern eben so laut, erscholl auch der Ruf von seiner Tapferkeit in fernen Landen, die er mit seinen Mannen im Getümmel des Krieges durchzog. Sein [11] Hang zu kühnen Thaten, und wol nicht minder seine Frömmigkeit, führten ihn in der Blüthe seines Lebens, unter das Heer der Franken, das gen Palästina zog, um die Fahne des Glaubens an des Welterlösers Grabe aufzurichten. Rizea und Antjochia sahen die Proben seines Muthes, und wie die dürren Halme, gedrükt vom Sturmwinde brechen, so fielen die Ungläubigen, bei der Bestürmung der heiligen Stadt, unter dem Schwerdte, geführt von seinem starken Arme. – Mit König Heinrichs des fünften Heer zog er nach Rom, und half die Herrschsucht und den Stolz der Pfaffen beugen; – und als der Pabst, schändlich den Eid gebrochen hatte, der von ihm dem Könige geschworen, und durch das Sakrament versiegelt ward, blieb er ihm, unerachtet des Bannstrahls, den der meineidige Priester über Heinrichen geschwungen hatte, hold und treu, und stand [12] noch mit seinem Fähnlein unverrükt auf dem Wahlplatze bei Eisleben, als Heinrichs Schaaren längst die Flucht ergriffen hatten. – Empört durch Lothars Undank gegen Heinrichen schlug sich Kraft auf die Seite der Herzoge Konrad und Friedrich von Schwaben, und warb während ihres fünfjährigen Krieges mit dem Kaiser, einer der tapfersten Männer ihres Heers, der sich's zur Ehre rechnete, sich den grösten Gefahren auszusetzen, und die kühnsten Wagestüke zu erstehen. Der Name keines Ritters im ganzen Heere, ward von Herrn und Knechten mit größrer Achtung genannt, als der Name des Ritters von Rosenstein.
Mit erneuertem Muthe zur Fehde zog Herr Kraft Kaiser Konraden nach, als sich die Händel zwischen ihm und dem Welfen entsponnen hatten. Denn unter seinen Mannen ritt nun das erstemal sein [13] Sohn Ulrich, nach dem er kurz zuvor zum Ritter war geschlagen worden. »Sey deines Vaters würdig« – sagte ihm Kraft in Gegenwart seiner Dienstleute, auf dem Burgplatze zu Rosenstein, als die Pferde schon zum Auszuge gesattelte stunden, – »sey deines Vaters würdig,« sprach er zu ihm, »und mach' ihm Freude in seinem Alter durch Unerschrokenheit und Muth. Lieber will ich sehen dein Blut auf dem Kampfplatze fliessen, – lieber dein Röcheln hören, indem du verscheidest, – als dich wieder finden, geflüchtet, auf meiner Burg. Denn, wisse! im letztern Falle müßte dieser Dolch dir den Tod geben, den du auf dem Schlachtfelde entronnen wärst!« – Muthig blikte Ulrich auf die Dienstleute umher, und sprach mit großer Entschlossenheit: »ich habe von meinem Vater nur siegen oder sterben gelernt, – und Schande und Fluch mir, würd' ich unwerth seines Namens!« – [14] Freudenthränen rollten dem Alten über die Wangen, als sein Sohn diese Worte aussprach, und Beifall lächelten die Männer ihm entgegen.
Der Welf grief das Heer des Kaisers im Sulmgau an, um seine Genossen, die von Konraden zu Weinsberg belagert wurden, zu befreien. Heiß war der Tag des Streits. Ulrich bewieß sich als ein Mann, der jüngst erhaltnen Ritterehre vollkommen würdig. Er stritt mit Löwenmuth an der Seite seines Vaters. Tief stürzte sich die Rotte des Rosensteiners in die Feinde, und bahnte sich über Leichname ihren Weg. Schreken gieng vor ihnen her; Tod folgte ihnen. – Jach traf ein Axtschlag Herrn Kraft von Rosenstein von der Seite, und er fiel. Stürmend drangen die Feinde ein, und ein in der Eile glücklich angebrachter Lanzenstich tödtete den frommen Ritter. Mit Muth [15] rächten Ulrich und seine Knappen, den Tod des Vaters und des Herrn. Sie mähten die Feinde ab, wie die Sense das Graf. Welf ward geschlagen und Weinsberg erobert. »Ach« – sprach der Kaiser – als er Abends unter den Rittern beim Becher saß – »ach! daß ich diesen Sieg so theuer erkaufen mußte – um Kraften von Rosenstein, den treusten und tapfersten unter meinem ganzen Heere!«
Graf Gozelbert von Dillingen kehrte nach dem Kriege mit Ulrichen auf seine Burg zurük. Ulrich hatte ein liebliches Schwesterlein, Fräulein Klotilde, schön und hold wie der Vollmond, züchtig und sittsam, wie das Veilchen unter dem Haselbusche, und nie hatte sie die Wonne der Minne gekostet. Den Grafen stach die Dirne nicht wenig in die Augen, so daß er, da er nur eine Nacht auf dem Rosensteine zu rasten willens war, wol [16] vierzehn Tage da lag; und je länger er weilte, je enger fühlt' er sich durch ihre Reitze an sie gekettet.
Ulrich und Gozelbert saßen einst am Abhange des Hügels, im Scheine der Abendsonne. Klotilde hatte ihr Haupt an die Brust des letztern gelehnt, und horchte behaglich den Reden der Ritter. – »Vierzehn Tage« – begann endlich der Dillinger – »hab' ich nun auf deiner Burg geweilt, und des Guten so viel genossen, daß ich's dir nie werde vergelten können. Ich wünsche dir Gottes Lohn dafür, frommer Ulrich! – Doch muß ich noch einer Bitte mich entladen, bevor ich reise. Aber schwer liegt sie mir auf dem Herzen, weil ich fürchte, du möchtest sie mir versagen!«
»Du thust mir weh, mit deiner Rede,« erwiederte Ulrich, – »alles was ich habe ist zu deinem Dienste bereit!« [17]
Zuversichtlicher und mit erweiterter Brust fuhr nun der Dillinger also fort: »Sieh' hier diese Dirne, Klotilde die an meinem Busen ruht, ist deine Schwester, und du hast nun, da ihr Vater im Streite gefallen ist, über sie zu schalten. Sobald ich sie, als ich in deine Burg einritt, gewahrte, fuhr ein Pfeil der Liebe tief in mein Herz, und immer tiefer ward er darein versenkt, je länger ich mit ihr umgegangen bin. Sie ist an Schönheit eine Rose, und an Tugend ein Engel, und unter Evens Töchtern wüßt' ich keine, die mir bas gefallen hätte, denn sie. Also bitt' ich dich, trauter Ulrich! willst du mich im Frieden von dir ziehen sehen, so gieb mir deine Schwester zum Weibe!«
Lächelnd erwiederte der Ritter: »ich kann nicht über Klotildens Herz gebieten. Stünde das in meiner Macht, mit dem blosen Schwerdte trieb' ich sie zu dir ins [18] Ehebett; weil ich wol weiß, daß im ganzen deutschen Reiche kein Mann ihrer so würdig wäre, als Graf Gozelbert von Dillingen. Wirb' bey ihr selbst, lieber Bruder! und giebt sie dir ihr Ja, mit tausend Freuden soll mein Amen dazu erschallen.«
Verschämt drükte das Fräulein ihr Angesicht an des Grafen Busen. »Sprich nur, liebe Klotilde!« sagte Ulrich. Sie blikte auf, und Thränen hatten ihr Antlitz geröthet. »Diese Thränen,« sprach der Graf, scheinen mir Heil zu verkünden!« – »Ja, ja,« erwiederte die Dirne – »unter allen Rittern seyd ihr mir der liebste, und begehrt ihr mich zum Weibe, euch geb' ich meine Hand.« – Freudig schloß der Graf die Dirne in seine Arme, und freudig schallte Utzens Amen den Hügel hinein. Traut umwunden giengen sie in die Burg zurük, und Ulrichs Hauspfaff gab ihnen in der Kapelle am Altare den Segen. – Am [19] andern Morgen zog Gozelbert mit seinem jungen Weibe von dannen, und Ulrich samt seinem treuen Dienstmann Berthold von Bargau geleiteten sie, bis auf die Veste Hellenstein, wo sie sich von beiden Seiten beurlaubten.
Der Graf von Hellenstein, und Kraft, Ulrichs Vater, waren von Jugend an treue Waffenbrüder gewesen, und hatten vereint manch' kühne Unternehmung ausgeführt. Auch den Zug ins heilige Land, unter dem Heere des Gottfrieds von Bouillon hatte der Hellensteiner an Krafts Seite mitgemacht. Nun aber war er alt und presthaft, und seit Jahren nicht mehr aus dem Gemache gekommen. Er weinte viele Thränen, als ihm Ulrich die Zeitung von dem Tode seines Vaters brachte. – Schnell eilten unter ihren Gesprächen die Stunden vorüber, und spät erhub sich Ulrich vom Lager des Bett [20]riesen, um wieder auf den Rosenstein zurükzukehren.
Jach flog der Ritter mit dem Edelknechte dem Gebürge zu, über das der Weg, durch einen ununterbrochenen, dichten Wald sie führte. Sie waren über eine Stunde geritten, als Berthold anfieng, den Irrthum zu wittern, der sie von dem richtigen Pfade abgeführet hatte. – »Wir irren,« sprach er, »gestrenger Ritter! seht hier diesen spitzen Felsen! an dem sind wir heute Vormittags nicht vorüber gekommen. Wollen wir rechts ablenken, ob wir etwa nicht aus dem Gebüsche ins Freie gelangen. Denn bald wird die Nacht uns jeden Pfad versperren.« – »Hat keine Noth,« erwiederte der Ritter, »wir können auch wol unter den Bäumen schlafen, wenn uns der Zufall nicht in die Hütte irgend eines gastfreien Mannes führet.« [21]
Das Gebürge begann sich abwärts zu ziehen. Kein gebahnter Pfad war mehr unter den Füssen der Ritter. Das Gesträuch ritzte die Pferde wund, und Steine und Kies auf der Erde, machten ihre Tritte unsicher. Steil gieng es in eine schauerliche Tiefe. Die Männer stiegen ab, und drangen mit Mühe durchs Dikicht des Gebüsches. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne glänzten noch aus dem kahlen Felsengipfel des gegenüber liegenden Gebürges. – Glüklich erreichten sie die Tiefe. Ein breiter, schlammichter Strohm schliech langsam in derselben hin. »Ziehen wir längst des Flusses fort,« sprach Berthold, »vielleicht finden wir doch Menschen, an seinem Strande wohnen!«
Während sich die Rosse mühsam aus dem sumpfigten Boden fortschlugen, verschwand allmählig das Licht des Tages, schwarze Schatten fielen von den Bergen in die [22] enge Schlucht, und kein Vögelein regte sich mehr, in der schauerlichen Stille. Ulrich fieng schon an, am Fusse des Gebürges nach einem troknen Lager für sich und für die Rosse zu spähen, als Berthold, der etliche Schritte vorausgeritten war, plötzlich ein Licht gewahrte. Sie spähten schärfer, und eine stattliche Burg, aus einem Felsen aufgethürmt, war ihren Augen kennbar; aber weder die Gestalt der Burg, noch die umliegende Gegend verrieth Bertholden ihren Namen, ob er gleich den Herrn derselben schon mehr als einmal in seinem Eigenthum besucht hatte. Während sie über den Weg rathschlagten, der sie etwa vor das Thor der Veste führen mochte, gieng am Fusse des Felsen ein kleines Lichtlein aus, das bescheiden in die Finsterniß flimmerte. Sie sprengten gerade zu dagegen an, um wenigstens den Namen der Burg, und des Burgherrn zu erkunden. [23]
Vor einer kleinen dürftigen Hütte, mit Stroh gedekt, standen die Rosse, an dem Zaune eines Gärtchens, durch das ein schmaler Weg, zu der Thüre der Hütte führte. Auf ihr Rufen trat eine Dirne, mit einer Lampe in der Hand heraus, und fragte die Ritter um ihre Werbung. – »Wir kommen herab vom Hellenstein, sprach der Edelknecht, und haben aus dem Gebürge des rechten Weges verfehlt. Hier sehen wir auf dem Felsen eine Veste, in der wir um Herberge auf eine Nacht anzusuchen Willens sind. Sagt uns den Namen des Burgherrn, auf dessen Gastfreiheit wir unsre Hoffnung setzen, und zeigt uns den Weg, der uns zum Thore der Veste führt.« – »Männer!« erwiederte die Dirne mit holder Freundlichkeit, »ihr scheint müde und entkräftet, und eure Thiere sind es nicht minder. Ein steiler Fahrweg, mit vielen Ränken, führt euch in die Burg, und vor einer starken [24] Stunde werdet ihr sie nicht erreichen. Dann zweifle ich auch sehr, ob man sie euch in der Finsterniß der Nacht öffnen wird, da der Burgherr abwesend, der Schirmer sehr feige, und die Zahl der Knechte sehr gering ist. Nehmt vorlieb in meiner schlechten Hütte, mit sparsamer Kost, und einem reinen Lager aus weichem Moose, und bindet die Pferde hier unter diese breitastige Buche. Morgen wird man euch huldreich aufnehmen auf Herwartstein, und willig werden die Knechte euch geleiten, daß ihr des Weges fürder nicht verfehlt.« – Die Männer saßen ab, und folgten der gastfreien Dirne in ihre Strohhütte.
Als Ulrich in die enge, armselige Wohnung eingetreten war, und seine dienstwillige Beherbergerinn genauer beobachtete, fieng er an zu staunen, ob der Engelsgestalt des Mädchens, der er keines, unter allen schönen Weibern, die er je gesehen hatte, [25] zu vergleichen sich getraute. Da stand sie in einem langen weissen Gewande, um die Hüfte mit einer schwarzen Binde umgürtet. Unbedekt wallten ihre lokichten Haare auf ihren vollen Busen hinunter. Die lachende Farbe der Gesundheit lag auf ihren Wangen. Sanftmuth und Geist schimmerten aus ihren großen Augen, und Sittsamkeit und Zucht verkündigte ihr runder Mund. Frei und leicht bewegte sich ihr schlanker Körper durchs Gemach, und wie Nachtigallengesang tönte ihre Silberstimme, dem Ohre des Ritters. Schweigend und betreten ruhte auf ihr sein Blik, und mächtig gepreßt fühlte sich sein Herz in ihrer einsamen, friedlichen Hütte.
Berthold, der unterdessen den Rossen das Lager unter der Buche bereitet hatte, trat ins Gemach, während sich die Dirne in der Küche mit der Zurüstung des Imbisses beschäftigte. [26]
Rein und arm, sprach er, ist diese Hülle; aber eines guten Menschen Wohnung!
Ulrich. Meinst du gute Menschen wohnen nur auf Burgen? Man findet ihrer wol mehrere im Kittel der Armuth.
Berthold. Woran ich nie gezweifelt habe, gestrenger Ritter!
Ulrich. Hier wohnt wol mehr als ein guter Mensch, – hier wohnt ein Engel.
Berthold. Zweifels ohne eine Klausnerinn, wie dieß Kruzifix hier an der Wand, und dort jener Todtenkopf zu verkünden scheint?
Ulrich. Eine Klausnerinn meinst du? – Schade wenn ein solch' Geschöpf für die Männerwelt verlohren wäre! – Bei meiner Ehre, sie ist einzig!
Berthold. Doch wol noch unter Klotilden von Rosenstein? [27]
Ulrich. Weit, weit über sie, Berthold! – Ich habe meiner Schwester immer den Preis unter den schönen Weibern zuerkannt; aber nun seit wenigen Augenbliken müßt' ich ihr ihn verweigern.
Berthold. Die Finsterniß, durch eine kleine Lampe erleuchtet, ist trüglich, Ritter!
Ulrich. Geduld, Berthold! Du wirst einstimmen in mein Urtheil, sobald du sie in der Nähe gesehen hast. – Aber den Bau ihres Körpers bemerktest du doch, und ihre Stimme hörtest du, und widersprach von beiden eines meiner Schilderung?
Berthold. Schön ist sie gewachsen, – bei meiner Treue, sehr schön; – und ihre Stimme ist das Mittel vom Girren des sanften Täubchens, und vom kühnen Schlage, der holden Nachtigall.
Ulrich. Und ihr Gang – [28]
Berthold. War majestätisch wie der Gang einer Königinn, und doch geschmükt mit allem Reitze der Natur.
Ulrich. Das übrige wird dir auch nicht verborgen bleiben. – Ich höre sie kommen.
Die Dirne trat herein, und an den kleinen Tisch des Stübchens setzten die Ritter sich mit ihr zum Mahle. Wie bezaubert saß Ulrich bei dem neuen Anblike ihrer Schönheit, – Beifall nikte der Edelknecht ihm zu, und durch Freundlichkeit und muntre Redseligkeit würzte die Dirne den Gästen das frugale Mahl.
»Was,« sprach Berthold, »was, schöne Dirne! hat euch in diese Einsamkeit, so ferne von Menschen, getrieben? doch wol nicht unglückliche Liebe?«
Jutta. Allerdings Liebe, die aber noch nicht ganz hoffnungslos ist. [29]
Ulrich – zitternd –Wer ist der Gefühllose, Mädchen! der euch einen Augenblik zwischen Furcht und Hoffnung wanken lassen konnte?
Jutta. Sprecht nicht zu voreilig, Ritter! – der Mann, welchem zu Liebe, ich die stolze Felsenburg mit dieser armseligen Klause vertauscht habe, ist – mein Vater.
Ulrich – der schon wieder freier athmete – Also nicht ein Junggeselle, der Minnesold euch versprach, ohne ihn euch gewähren zu können?
Jutta. Ich habe nie Männerliebe gefühlt, aber desto heftiger – Liebe zu meinem Vater.
Berthold. Ihr seyd also auch von edlem Blute, wie wir es sind. Sagt an, welch' Geschik euch hieher geführt hat. Vielleicht vermögen wir's heute oder morgen euch zu lösen. [30]
Ulrich. Habt ihr euch auf ewig der Klause gelobt?
Jutta. Mein Gelübde schließt eine Bedingung in sich, die kaum je erfüllt werden wird, und mich also für mein ganzes Leben bindet.
Ulrich. Schon manchen eng versteiften Knoten hat diese Faust aufgelöst –
Jutta. Oder dieses Schwerdt zerhauen?
Ulrich. Nicht doch! – Erzählt erst, und laßt sehen, ob wir ihn lösen können, oder ob wir ihn zerhauen dürfen.
Jutta. Die Veste Herwartstein, die ihr auf dem Felsen liegen sehet, der so drohend hereinhängt über meine Klause, ist meine Wiege. Günter von Herwartstein ist mein Vater, – ein biderer fester Ritter, geehrt und geliebt im ganzen Gau. [31]
Berthold. Der dieser Liebe und Ehre auch würdig ward, durch seine Frömmigkeit, und durch den Heldengeist, der ihn in der grösten Noth nie zittern ließ.
Jutta. Glüklich lebte er viele Jahre, an der Seite meiner tugendhaften Mutter, der Gott eine fröhliche Urständ verleihen wolle, und liebte sie, mit der innigen, heißen Minne, die man nur beim Bräutigam, in den Tagen der unerfüllten Begier zu finden pfleget. Nicht minder war meine Mutter ihm zugethan. Sie achtete ihn als das höchste Gut ihres Lebens, als ihre Krone, und als ihre Zier. – Ja unter Eheleuten findet man solche Liebe nimmer, wie man sie damals fand, auf Herwartstein.
Berthold. Auch ich war einst einen Abend Zeuge dieser süssen Gattenzärtlichkeit, die mein Herz mit nie empfundner Wollust füllte, und Freudenthränen erpreßte, wie [32] ich sie nie geweinet habe. Wollt' ihr, sagt' ich nach meiner Heimkunft, meinem gestrengen Herrn, dem Gott genade, – wollt ihr, sagt' ich ihm, den Himmel auf Erden sehen, so geht nach Herwartstein, und seht Günthern mit seinem Weibe hausen.
Jutta. Ja, ja, ein Vorschmak des Himmels war unser Glük, – so beseeligend und so sättigend, und doch so rein und unschuldig, wie die Freuden der lieben, heiligen Engelein. Aber – ach! es ward schreklich gestöhrt, und nur mit tiefem Schmerze können wir seiner noch gedenken. – Der Graf von Hellenstein bot alle seine Mannen auf, den Kaiser auf der Romfahrt zu begleiten, und auch an meinen Vater ergieng der Befehl, zur bestimmten Stunde, mit einem wehrhaften Knechte, auf dem Burgplatze seines gnädigen Herrn zu erscheinen. – Wie da die Thränen flossen [33] als er zog? – So lange hatt' er sich noch nie entfernt, und eine dunkle Ahndung des Unfalls, der unsrer wartete, lag beängstigend in unsrer aller Herzen. Mich und meine Mutter schloss er lange in seine Arme auf der Brüke, und sprachlos war der Schmerz den wir litten. »Sey mir treu, edles Weib!« – war sein letztes Wort, gewaltsam schwang er sich aufs Roß, und in wenigen Augenbliken war er verschwunden. So mags einer Mutter seyn, wenn ihr einziger Sohn, nachdem er lange mit den Fluthen des reissenden Strohms gerungen hat, nun plötzlich vor ihren Augen von ihnen verschlungen wird, – wie es uns war, als wir ihn nicht mehr sahen, im Gebüsche unsern Bliken entrükt. Wir heulten und schrien laut in den Wald, und klammerten uns fest in einander, ohne daß wir's vermocht hätten, uns gegenseitig unsern Jammer mit Worten zu klagen. [34] Durch den Hinlauf der Zeit, ward unsre heisse Sehnsucht zwar nicht geschwächt; aber ruhiger wurde sie und stiller. Er war unser stündliches Gespräch. Jeden Morgen und jeden Abend flehten wir, vereint, vor dem Altare der Burgkapelle, zum Himmel um sein Wohl.
Ulrich. Unmöglich konnte der Himmel dieß Flehen zweier so edlen Seelen, durch eine so heisse Liebe eingegeben, unerfüllt lassen?
Jutta. An einem Abend erschien ein dänischer Ritter – Hans Oelf war der Name des Verräthers – vor dem Thore der Burg, und bat um Herberge nur auf eine Nacht. Willig nahm ihn der Schirmherr auf, und gastfrei theilte meine Mutter Speise und Trank mit ihm. Er weilte länger als er uns vorhin gesagt hatte, und jeden Tag stand er mit einer neuen Lüge zur Beschönigung seines Zögerns bereit. [35] Schändliche Brunst gegen meine Mutter hatte sein Herz in Flammen gesetzt, und mit argen Anschlägen gegen ihre Tugend erfüllt. Sehr täuschend wußte er seiner bösen Lust den Schleier umzuwerfen, daß sie niemand witterte, selbst das Weib nicht, das er aufzuopfern beschlossen hatte. – In dem dichten Dunkel einer stillen Mitternacht, wollt' er die scheußliche That wagen, die der Böse ihm eingegeben hatte, und das schöne Band durch einen höllischen Frevel zerreißen, das zwischen einem edlen Ritter, und einer nicht minder edlen Rittersfrau geknüpft war. Er schlich in das Gemach in dem meine Mutter schlief – in dem sie so oft auf ihrem Lager von dem fernen Gatten geträumt hatte – trat vor ihr Bett, und wand ihr, voll arger List, den goldnen Ring vom Finger, den ihr mein Vater zum Siegel ewiger Treue angestekt hatte. Sie erwachte, und, erschroken, schrie sie [36] laut: »Gott! wer ist hier« – » Oelf der Däne – erwiederte der Frevler – der einen Augenblik euch die Wünsche zu erfüllen sucht, die euch durch die Entfernung eures Gatten bisher vergeblich gewesen sind.« – »Entferne dich, loser Bube!« rief sie, und sprang auf. – Frech faßte der Abscheuliche die Hülle ihres keuschen Busen. »Sprecht ihr noch ein lautes Wort,« donnerte er sie an, »so dringt dieser Dolch durch euer Herz. Wählet zwischen Tod und Sättigung meiner Lust!« – Brüllend schrie sie um Hülfe. Der Schirmherr stürzte ins Gemach. Wie vom Blitze getroffen, entsank dem Lüstling der Dolch, und wehrlos fiel er unter den Fäusten des Schirmers zur Erde. Groß war der Tumult in der Burg; groß der Zorn über das Bubenstük des Ritters; groß die Freude, über meiner Mutter schönen Sieg. Die Knechte banden und knebelten den Dänen, und warfen ihn ins Burgverließ bis an den [37] Morgen. Man gieng zu Rath, über die Strafe die man ihm zuerkennen sollte, ihm, der die Dankbarkeit so schnöde vergessen, die Pflichten der Gastfreundschaft so schändlich verletzt, und nach einem Gute getrachtet hatte, das der Räuber, falls er es einmal erhascht, nie wieder ersetzen kann. Die Knechte stimmten einmüthig auf einen schleunigen Tod; der Schirmer aber hielt dafür, daß man ihn bis zu des Burgherrn Rükkunft im Verhaft halten, und es dann diesem anheimstellen sollte, wie er's für gut fände, seine Frevelthat zu rächen. Allein meine Mutter sprach zu den zürnenden Männern: »Blut soll nicht um meinetwillen fliessen; auch vergeb' ich ihm. Meinem Gatten mag ich durch den Anblik dieses Scheusals, die Freude bei seinem Einzug in die Burg nicht verderben. Und je länger ihr ihn im Verhaft behaltet, je später verlischt in meiner Seele das schmerzhafte Andenken, an das Unbild, [38] mit dem er schwanger gieng. Deßhalb bitt' ich euch, daß ihr hinausstosset, aus der Burg, und die Schmach, und die Verachtung auf ihn leget, die er verdient. Werft ihn hinaus, und lebt nicht länger mit diesem Ungeheuer unter einem Dache!« – »Eure Worte sind uns Befehl,« sprachen die Männer, »und wir vollziehen sie um desto williger, da sie uns aufs Neue euer edles Herz verbürgen, das dem Missethäter nicht fluchet, sondern vergiebt.«
Berthold. Aber unzeitiges Vergeben hat nicht selten größere Gefahr gebracht, als unzeitiger Zorn? –
Jutta. Das bestätigte, leider! unsre eigne Erfahrung. – Die Knappen machten den Dänen seiner Bande ledig, zerbrachen ihm Schwerdt und Lanze, schnitten ihm die Haare ab, und führten ihn, rüklings auf einer blinden Mähre sitzend, unter viel bittern Spottreden, zum Thore hinaus. – [39] Aber nicht gedemüthiget ward der arge Wicht durch diese Entehrung; vielmehr zündete sie in seinem Herzen die Flammen der grimmigsten Rache an. – Unverschämt und frech ohne seines Gleichen, lief er gerade zu nach Hellenstein, log den alten Grafen daß er von Räubern niedergeworfen und ausgezogen sey, bat ihn um eine neue Rüstung, und so scheinbar wußte er seine Lügenmähre darzustellen, daß ihm der freundliche Herr nicht nur seine Bitte willfahrte, sondern ihm auch noch ein Roß aus seinem Stalle zur Fortsetzung seines Zuges schenkte.
Ulrich. Daß doch gerade die besten Menschen, den Schurken so oft den Pfad zur Lasterthat ebnen müssen!
Jutta. Eiligst zog er nun dem Kaiser nach gen Rom, teuflische Boßheit in seinem Herzen brütend. Sobald er das Hoflager erreicht hatte, suchte er die vom schwäbischen Ritterstande aus, und fand sie insgesamt, [40] zu Rom, in dem Hause eines fränkischen Bischofes, beim Becher. Nach meinem Vater mocht' er wol zuerst gespähet, und ihn auch sogleich erkannt haben; denn wir hatten in seiner Gegenwart soviel von ihm gesprochen und erzählt, daß er sich ihm durch seine Gestalt unfehlbar verrathen mußte. Er lenkte das Gespräch dahin, wo ers nach seinen verräterischen Anschlägen gern gehabt hätte, und erzählte dann den edlen Männern an der Tafel die Satanslüge: gutwillige Geschöpfe seyen die Frauen und die Dirnen im Schwabenlande, und keine versage den Dank der Minne, dem rüstigen Helden, der komme, um ihn zu suchen. Lange sey er auf einer Burg im Brenzgau gelegen, und habe bey einem schönen, blühenden Weibe, die Stelle ihres Gatten vertreten, der dem Heere des Kaisers nach Welschland gefolgt sey. Den Namen der Burg wolle er nicht nennen, aber dieser Ring – [41] den er vorzeigte – lasse das Andenken an sie, nie verlöschen in seiner Seele.
Ulrich. Gott! warum zermalmte dein Donner den verruchten Verläumder nicht auf der Stelle
Jutta. Mein Vater sahe den Ring, und kannte in ihm das Pfand der Treue, das er einst seiner Braut als ihr gröstes Heiligthum übergeben hatte, und sie, seine tugendhafte Gattinn, erschien nun mit einem male als – Ehebrecherinn, als die schändlichste Metze im ganzen deutschen Reiche, vor seinem Blike. Aus Scham verbiß er seinen Grimm vor den Rittern. Sogleich verfügte er sich aber zu seinem Lehensherrn, nahm Urlaub, und flog mit aller Eile, eines Beleidigten der nach Rache lechzet, in die vaterländische Gauen zurük, entschlossen, die Treulosigkelt seines Weibes mit schreklicher Strenge zu strafen. – Meine Mutter lag an einem Abend an der Schwelle des [42] Altars in der Burgkapelle auf den Knien, – ich an ihrer Seite – und flehte zu Gott und zu den Heiligen, um ihres Gatten Heil. Eiligst stürzte der Burgvogt herein, und rief in frohlokendem Tone: »Freude, große Freude bring ich euch, gestrenge Frau! der Burgherr hält an der Brüke!« – Wir konnten die Wonne dieser Bottschaft kaum ertragen. Mit überströhmenden Seligkeitsgefühl taumelten wir ihm entgegen. Unter dem Thore ersah' ich ihn. Sein Anblik stärkte mich, daß ich ihm jach entgegen flog, um mich an seinen Hals zu hängen. – Er stieß mich zurüke. Als er meine Mutter gewahrte, lief er schnell auf sie zu. Wild war sein Antlitz, zerstreut sein Haar; Schaum hieng an seinen Lippen. – »Hab' ich dich – Weib aus der Hölle!« – brüllte er. – »Bis nach Italien ist der Ruf von deinem Lasterwandel erschollen. – Empfange den Lohn aus deines Richters Hand!« – und stieß ihr wüthend den Dolch in die Brust. [43]
Berthold. Abscheulich.
Jutta. Wie versteinert standen die Männer umher, und starrten den Ritter an, der den Eintritt in seine Burg mit einer so schreklichen That bezeichnet hatte. Ich fiel auf meine bleiche Mittler nieder; ich küßte das Blut, das stromweise aus der Wunde quoll, auf; – sie starb nach wenigen Augenbliken, zu den Füssen ihres Mörders. – »Sollte dieser unser Burgherr seyn,« sprach nach einer kurzen Pause des Entsetzens der Knappen einer – »der gegen sein frommes Weib so schreklich wüthet? Nein er ist es nicht. Das ist ein Geist aus der Hölle, der seine Gestalt sich angezaubert hat. Laßt uns die Schwerdter ziehen, meine Brüder! und den Satan in Stüken zerhauen!« – »Kennt ihr mich nicht, Knechte!« erwiederte mein Vater entschlossen, – »hütet euch, daß ihr eure Hände nicht mit eures Herrn Blut besudelt! Gerechten [44] Lohn hab' ich dem Weibe gegeben, die mich so schändlich hintergangen hat!« – Er zeigte den Männern den Ring, und that ihnen die Aussage des Dänen kund. – Noch größer ward das Erstaunen, durch seine Rede. Der Schirmherr trug ihm die Wahrheit des Handels vor. Laut heulten die Knechte alle: »das Weib fiel unschuldig, unter eines Mörders Hand! –« Mein Vater verstummte. – Er zükte den blutigen Dolch gegen sich selbst. Man wand ihn aus seinen Händen. Er stürzte sich auf den Leichnam, riß sich die Haare aus Bart und Scheitel, scharrte mit den Fingern die Erde, und brüllte schreklich, daß Berg und Wald von seinem Gebrülle wiedertönten.
Berthold. Unglücklicher Mann! – Wie folternd mag das Bewußtseyn seyn, einen Schuldlosen gemordet zu haben?
Ulrich. Zumal wenn der Ermordete dem Mörder vorhin so theuer und lieb gewesen ist. [45]
Jutta. Der Mörder fiel in eine Schwermuth, die ihm sein Leben zu einer unerträglichen Bürde machte. Stets umschwebte ihn das Bild der Erschlagnen, wachend und im Traume. Schlaflos brachte er die Nächte zu, und schliech jammernd, wie ein Gespenst in der Burg umher. Alles was ihm vorhin Freude gemacht hatte, war ihm nun zum Ekel geworden, und mit bittern Thränen mischte er seine Speise und seinen Trank. Er floh den Umgang mit Menschen, und ward mit Schreken erfüllt vor jedem Fremdling, der in die Burg trat, weil es ihm däuchte, daß jeder komme, seine That zu rächen. Nichts was ihm zu seiner Beruhigung gesagt ward, haftete an seinem Herzen. Er hörte den trösten, und verließ ihn eben so trostlos, als er vorhin gewesen war. – Der Abt von Anhausen vermochte aber zuletzt doch soviel über ihn, daß er sich entschloß, zum Grabe des Erlösers ins heilige [46] Land zu ziehen, und da die Sühnung und Vergebung seiner Sünden zu suchen, die er sonst nirgends erlangen zu können glaubte. Rasch – wie er immer zu handeln gewohnt war – schritt er zur Ausführung seines Entschlusses, und verließ mich und die Burg, nachdem er erst den edlen Fidel von Kochenburg zum Schirmherrn derselben bestellt hatte. Es that mir äusserst weh, nun auch ihn zu missen, da die unheilbare Wunde, die mir durch den Tod meiner frommen Mutter geschlagen war, noch blutete. Zu meinem Troste und zur Stärkung meiner Hoffnung machte ich das Gelübde, die Burg zu verlassen, mir eine Klause zu bauen, und in ihr, falls ihn der Himmel glüklich wieder bringt, meine Lebenstage zu beschließen. Aber meine Hoffnung wird immer schwächer. Ein Jahr ist er nun schon länger aussen, als er uns zugesagt hatte, und alles Nachforschen, bei Rittern und Pilgern, die aus [47] Palästina zurükgekommen sind, war bisher vergeblich. Vor wenigen Monaten ist der Schirmherr selbst ins heilige Land gezogen, um Kunde von ihm einzuziehen, und hat die Burghut an einen jungen Ritter Jörgen von Horn übertragen, an dem ich aber wenig ritterlichen Sinn bis auf diese Stunde gewahr geworden bin.
Ulrich. Kaum, Fräulein! wird euer Vater wieder aus dem heiligen Lande zurükekommen, da die Zeit seines Urlaubes schon so lange verstrichen ist.
Jutta. Des Herrn Wille geschehe! – der blutige Tod meiner Mutter, hat mich jeden größern und kleinern Unfall standhaft ertragen gelehret.
Ulrich. Es wäre Schade, wenn eine so schöne Dirne, wie ihr seyd, an das harte Gelübde gebunden bliebe, das sie nie die Freude eines wakern Mannes werden ließe. [48]
Jutta. Die Freude eines Mannes werd' ich nie werden, sollt' er auch nicht mehr zurükekommen. – Mein Schiksal hat mir allen Sinn für den Genuß der Menschen geraubt.
Berthold. Ein Mann den ihr liebtet, und der eurer Liebe werth wäre, dürft' euch sonder Zweifel das Andenken an das Mißgeschik eurer Eltern erträglicher machen, als dieses Kruzifix und dieser Todtenkopf.
Jutta. Eure Reden machen mir bange, meine Ritter! – Ihr seyd doch nicht gekommen, um meine Tugend auf die Probe zu setzen!
Ulrich. Beleidigt uns nicht durch einen solchen Verdacht, Fräulein! Nur zum Schutz der Tugend gebraucht der fromme Rittersmann seine Stärke.
Jutta. Ihr saht mir auch beim ersten Anblik so gut, und so waker aus, daß ich euch sorglos aufnahm in meine Hütte. [49]
Ulrich. Doch ist die Werbung um die Hand einer Dirne, noch keine Nachstellung nach ihrer Tugend.
Jutta. Aber oft heucheln die Männer reine Absichten, und mit trügerischen Anschlägen gehen ihre Herzen schwanger.
Ulrich. Ihr versteht nicht, edles Mädchen! – Verbürgt mir, falls euer Vater nicht wieder kommt, eure Hand. – Ich bitte euch!
Jutta. (bebt erschroken zurüke) Eure Dreistigkeit scheint mir ein Zeichen eures reinen Sinnes. Aber – Ritter! welch' eine Zumuhthung!
Ulrich. Kenne ich eine Frau, die euch zu vergleichen wäre, ich hätt' sie euch nicht gemacht.
Jutta. Darf ich euch um euren Namen fragen?
Ulrich. Ulrich von Rosenstein! [50]
Jutta. Ist Herr Kraft von Rosenstein nicht euer Vater!
Ulrich. Er war es; – denn er schläft unter der Erde, nachdem er mit dem Schwerdte in der Hand gefallen ist.
Jutta. Ihr habt einen edlen Vater gehabt. – Seyd ihr ein treues Bild von ihm, so ist eine Dirne meiner Art, noch weit nicht eurer würdig.
Berthold. Ulrich ist ein treues Bild seines Vaters.
Jutta. Ihr seyd müde, Ritter! Schlaft wol auf diesem schlechten Lager! – Morgen sehen wir uns wieder! – – Sie entfernte sich.
Ulrich schlief unruhig auf dem Moosbette, und tausend sich durchkreuzende Empfindungen und Vorstellungen, beschäftigten seinen Geist. Kaum sah' er den Tag hereingrauen, über die gegenüber liegenden Berge, als er sich erhub vom Lager und [51] vor die Hütte trat. – Nie hatte er je den langen Tag so voll von Hoffnungen und Wünschen gegrüßt; nie beim Anblik des schönen Morgens so wenig empfunden, als heute.
Bald war die Dirne rüstig, ihren Gästen das Morgenbrod zu bereiten. Hold und liebreich, und geschmükt mit dem höchsten weiblichen Reitze, suchte sie Ulrich mit Liebe nehmendem Blike, unter der Thüre der Klause auf. Mit neuer Lust überströhmte ihn ihr Gruß, und nie empfundene Wonne durchzükte seinen Körper, als er sie bei der Hand ergrief, um sie ins Gemach zurükzuführen.
Die Liebkosungen des Ritters wurden von Jutta mit weit weniger Sprödigkeit aufgenommen, als den Tag zuvor. Ja bald erklärte sie ihm unverholen, daß er, wenn sie ihres Gelübdes je ledig würde, der erste und der einzige sey, der sich ihrer [52] Gunst zu erfreuen hätte. Mit dieser bedingten Aeusserung war aber der Ritter nicht zufrieden, sondern drang mit allem Ungestümm eines Verliebten in sie, ihm das Mittel zu nennen, durch das er die Erfüllung seines Wunsches erlangen könnte.
Sie sassen noch beim Morgenbrode, als ein junger Mann, in einem rauhen, härenen Gewande, in die Hütte trat. Ein dichter Bart hatte sein Gesicht überwachsen; unbedekt war sein Haupt und seine Füsse, mit einem Knotenstrike war seine Kutte umgürtet, und ein starker Stok war sein Wehr. Jutta führte ihn den Rittern vor. »Seht hier, sprach sie, meinen einzigen Freund in dieser Einöde! Tage und Wochen schwinden dahin, und keines Menschen Antlitz seh' ich, als das seine.«
Ulrich. Wol seyd ihr auch ein frommer Büsser, der die Welt verlassen hat, um ferne von dem Gewühle der Menschen, Gott [53] im Stillen anzubeten, und Heil und Frieden über seine Brüder zu erflehen?
Er. Ich bin ein Klausner, und hause dort in jener Felsenkluft, die ihr am Ursprung des Flusses geöffnet seht.
Berthold. Aber, junger Mann! warum mögt ihr den schönsten Theil eures Lebens, in dieser unthätigen Einsamkeit verschlummern?
Klausner. Eine gräßliche That, hat mich von den Menschen verbannt. – Mit diesem Stoke hab' ich meinen Vater erschlagen! –
Berthold. Ungeheuer! entfernt euch.
Klausner. Urtheilt nicht zu hart über mich, gestrenger Herr! Ich glaubte den Feind meines Vaters zu treffen, und unglüklicher Weise traf ich ihn selbst – Schreklich ist meine That. Aber verdien' ich um ihretwillen, den Namen eines Ungeheuers? [54]
Jutta. Ihr kennt Veiten nicht, Ritter Berthold! Ein edles Herz schlägt in seinem Busen.
Berthold. Vergebt mir meine Voreiligkeit, frommer Mann! Aus einer einzigen That läßt sich über den ganzen Werth des Menschen kein Urtheil fällen; am wenigsten aber aus einer solchen, die nicht durch ihre Absicht, sondern erst durch ihre Folgen schreklich geworden ist.
Ulrich. Wohin' ihr schon lauge in eurer Felsenkluft, frommer Mann!
Klausner. Heißt mich nicht einen frommen Mann! diesen Namen verdient kein solcher, der seine Missethat abzubüssen, unter den Thieren leben, mit ihnen Gras und Wurzeln fressen, und seinen Trank mit der Hirnschale des Geschlagnen schöpfen muß, der unter seiner Hand gefallen ist. – Am Frohnleichnamstage bezog ich diese Wohnung, da ich zurükekam aus dem heiligen [55] Lande, wo ich am Grabe des Erlösers meine Reue und meinen Sündenjammer, vor dem Richter der Uebertreter, ausgeweinet habe.
Ulrich. Habt auch ihr im heiligen Lande nichts von dem Schiksale des Ritters von Herwartstein vernommen?
Klausner. Nicht das mindeste. – Zwar ließ mir mein banges Gewissen keine Zeit, von verschollnen Pilgrimen Kunde einzuziehen, und ich war immer so bedrükt, daß ich nichts gewahrte von alle dem, was ausser mir vorgieng. Doch glaub' ich kaum, daß Herr Günther von Herwartstein je wieder in unsern Gau zurükekommen wird, die Gefahr eines Zugs in dieß ferne Land ist groß, und die Zeit, in der er Wiederkunft verhieß, längst verflossen.
Ulrich. Ihr glaubt also daß Fräulein Jutta ihres Gelübdes wol noch ledig werden dürfte. [56]
Klausner. Sobald der Tod ihres Vaters mit zweifelloser Gewißheit erkundet ist, fallen die Bande des Gelübdes von ihren Händen.
Ulrich. Der Ritter, der sie zu eigen haben wollte, müßte also –
Klausner. Nach Palästina ziehen, und so lange im Lande umherfahren, bis er das Grab des gestrengen Herrn gefunden, oder sich durch zuverläßige Zeugen von seinem Tode Gewißheit verschaft hätte.
Jutta. Wer wird so viel für mich arme Dirne wagen!
Ulrich. Ich Jutta ? Hier den Handschlag fester Treue!
Jutta. Ich bleibe, falls ihr seinen Leichnam findet, auf ewig euer Eigenthum!
Eine feurige Umarmung versiegelte ihren Bund, und mit dem Entschluß, ungesäumt das Abentheuer zu erstehen, reisten die Männer ab. [57]
Der Klausner schüttelte den Kopf nicht wenig, bei dem Anblike dieses Schauspiels. Er konnt' es kaum erwarten, bis die Ritter abgezogen waren, um der Dirne sein Mißfallen, über ihr Benehmen, gegen Utzen von Rosenstein zuerkennen zu geben. »Kaum,« sprach er, »kaum, Jutta! kenn' ich euch mehr! Ich war bisher in allem euer Vertrauter. Ich wüßte auch nicht, wodurch ich mich eures Vertrauens unwürdig gemacht haben sollte. Aber ohne nur durch einen Blik mich zu fragen, versprecht ihr einem unbekannten Abentheurer eure Hand, und macht eine Bedingung, die er durch eine Lüge gar leicht zu erfüllen wissen wird. Diese Verachtung – fuhr er mit verweisender, bitterer Gebehrde fort – thut mir nicht wenig weh. Doch Geduld! Noch schmerzhafter wird sie euch werden, wenn der Angler den Fisch gefangen hat, dem er erst den Köder legte. [58]
Jutta. Wie? Ihr haltet doch wol Ulrichen für keinen Betrüger?
Klausner. Die Zukunft wird seine Anschläge entschleiern.
Jutta. Habt ihr Ulrichen zuvor schon gekannt?
Klausner. Ihr scheint ihn heute auch das erstemal gesehen zu haben.
Jutta. Allerdings. Aber dieß fromme truglose Gesicht, diese Sanftmuth bei soviel Festigkeit, diese Bescheidenheit und Zucht, – lassen mich nichts als lauter Gutes hoffen.
Klausner. Als ob man das Gute nicht auch heucheln könnte!
Jutta. In dem Grade nicht. Auch der geübteste Heuchler, läßt hie und da eine Blösse durch das entlehnte Gewand schimmern, die ihn verräth.
Klausner. Wart ihr doch immer so gleichgültig, wenn ich von Ehe und Heirath mit euch sprach – und nun plötzlich so in Flammen! – [59]
Jutta. Könnt ihr mir das übel deuten, Bruder Veit? – Sprachet ihr doch immer nur von einem Manne, den ich verabscheue, – Ulrich von Rosenstein kam zuvor nie in meine Hütte.
Klausner. Wie! Ihr verabscheuet Jörgen von Horn? – Wodurch hat er Abscheu um euch verdient?
Jutta. Durch seine Wildheit, durch seine ruchlosen Sitten, und durch die Frechheit, mit der er mich jüngst in meiner Klause überfiel, um meine Unschuld seiner buhlerischen Brunst aufzuopfern.
Klausner. Wie ihr ihn verkennt! – Hört auf, Jutta! höret auf, Jörgen so zu lästern.
Jutta. Ich werde heute das erstemal an euch irre, Bruder Veit!
Klausner. Und das sehr natürlich, weil meine Freimüthigkeit eurer Leidenschaft in den Weg tritt. [60]
Jutta. Nun – ist euch meine Ruhe lieb, so laßt uns schweigen von diesem Handel. Wird mein Vater von Ulrichen erkundet, so wird nichts das Gelübde brechen können, das ich zu seiner und meiner Seele Trost geschlossen habe, und ich ende mein Leben in dieser Einöde.
Ulrich ist auch viel zu gottesfürchtig, als daß er zum Lohn seiner Ritterthat, eines Eides Bruch von mir erheischen sollte. – Findet er aber meinen Vater unter den Entschlafnen, so zieh' ich mit ihm auf seine Burg, und werde seine Frau, und gebähre ihm Kinder, so brav und gut, wie er selber ist. – Und, Veit! nicht so fest steht dieser Felsen hier, über der Quelle des Flusses, als – mein Entschluß.
In seinen Bart murmelnd verließ der Klausner Juttens Hütte.
Sobald Ulrich mit Bertholden auf dem Rosensteine angekommen war, versammelte er seine Dienstmannen und Knechte um sich her, und that ihnen die Entschließung kund, die heisse Minne ihm eingegeben hatte. »Ich habe,« sprach er, »eine Dirne gefunden, wie vielleicht keine vom Ufer des Meeres an, bis ans Gestade der Donau hauset. Mag Berthold zeugen, ob meine Worte Wahrheit sind, oder ob thörichte Liebe, meine Augen verdunkelt hat. Ich gehe hin ins heilige Land um ihren Vater aufzusuchen, der beim Grabe des Erlösers um Sühnung seiner Sünden flehet. Find ich ihn, so wird mir freilich kein andrer Lohn zu Theil, als das Bewußtseyn Ruhe und Frieden in ihr banges Herz zurükgeführt zu haben. Doch schon dieß Bewußtseyn ist süß genug für mich, daß es mir alle Mühseligkeit des weiten Zuges reichlich ersetzt. Wird mirs aber [62] mit Gewißheit kund, daß ihr Vater die Gefilde der Erde, mit den Wohnungen der Vollendeten vertauscht hat, – nun dann wartet meiner noch ein größrer Dank. Sie ist dann ihres Gelübdes ledig, und glüklich werd' ich an ihrer Hand durch's Leben wallen. Wünscht mir Glük, tapfere Männer! wünscht mir Glük und alles Gute zu meinem Zuge, und wacht, so lang ich ferne von euch bin, treu und waker, meines Eigenthums und meiner väterlichen Burg!« – »Glük unserm gestrengen Herrn, zu seinem schönen, ritterlichen Beginnen,« – riefen Mannen und Knechte laut – »Glük ihm und dem Fräulein! daß er sie erlange, und daß sie für ihn sey, was seine Mutter dem seligen Burgherrn gewesen ist!« – Ungesäumt machte Ulrich Anstalt zum Zuge. Den Schirm der Burg trug er dem ältesten seiner Mannen, Götzen von Heuchlingen auf; Bertholden aber, [63] der ihm freudig folgte, hieß er mit sich aufs Abentheuer ziehen, zween Knappen machten sein Gefolge. Mit dem Aufgang der Sonne, ritten sie des folgenden Tages, wol gerüstet, aus der Burg.
Der Bruder Veit stieg von Juttens Hütte geraden Weges auf den Herwartstein hinauf, in der verräterischen Absicht, dem Schirmherrn von der Geschichte Botschaft zu bringen, deren Zeuge er eben gewesen war. Dieser lose Schalk war nichts weniger, als das wofür er sich ausgab, ein reumüthiger Büsser, den das Gefühl seiner Sünden in die Einsamkeit verscheucht hatte, sondern ein Verräther, von Jörgen von Horn gedungen, ihm zum Raube der Unschuld der tugendhaften Dirne hülfliche Hand zu leisten. – Kaum hatte nämlich Jörg die schöne Klausnerinn am Fusse [64] der ihm anvertrauten Felsenburg ersehen, als sein Herz mit unzüchtiger Brunst gegen sie erfüllt wurde. Noch nie war ein Raub ihm entwischt, nachdem seine Wollustgier den Angel ausgeworfen hatte, und er träumte sich nicht mindres Glück bei des verschollnen Burgherrn schönen Tochter. Bald ward er's aber gewiß, daß ein Traum ihn getäuscht hatte. Jutta widerstand seinen Anschlägen mit Mannesmuth, und seine Arglist vermochte so wenig über sie, als seine Frechheit. Nur zweimal war er zu ihr in die Klause eingegangen; und von nun an verschloß sie vor ihm die Thüre, und hielt ihn durch ernste Drohungen von ihrer Schwelle ab. Noch gab der Lüstling seine Anschläge nicht auf. Er verkleidete einen seiner Knappen in die Hülle eines Büssers, ließ ihn Juttens Hütte gegen über seine Siedelei aufschlagen, und, ins Gewand der Frömmigkeit gekleidet, sollt' er nun die [65] Dirne für den Verführer zu gewinnen suchen. Und dieser schändliche Heuchler war Veit der Klausner, – ein so grosser Meister in der losen Kunst, die er übte, daß Jutta, den Rittern gegen über, ihm das Zeugniß gab, ein edles Herz, schlage in seinem Busen.
Veit, durch die Aeusserungen des Fräuleins im höchsten Graden betreten, fand Jörgen auf der Burg noch, auf seinem Lager gestrekt, den Rausch des vorigen Tages ausschlafend.
»Was bringst du neues, Klausner! von deiner schönen Nachbarinn!« – fragte der Ritter, heischer und sich die Augen auswischend.
Veit. Eine Neuigkeit, ob der ihr mehr erschreken werdet, als wenn euch im Zweikampf die Lanze zersplittert wäre.
Jörg. – Heftig auffahrend – Sag' an, Klausner! sage an. [66]
Veit. Jutta hat, falls ihr Vater nicht mehr unter den Lebenden wallet, Herz und Hand einem herumfahrenden Ritter zugesagt.
Jörg. Veit du träumest! – Oder bist du betrunken?
Veit. Ich bin wach, gestrenger Herr! und nüchtern, und war selbst deß Zeuge, was zwischen ihr und dem Ritter gehandelt worden ist.
Jörg. Wer ist der Lüsterne, der sich erfrecht, ihr nachzustellen.
Veit. Ulrich von Rosenstein
Jörg. Ha – Ulrich von Rosenstein. – Wart' Bube, du sollst dich nicht ungestraft in mein Gehäge gewaget haben!
Veit. Es ist alles für euch verlohren, gestrenger Herr! zwar auf dem Wege der Gewalt könnt ihr die schöne Beute immer noch erhaschen. Aber ihr wißt wie hoch der Dirnenraub in den Gesetzen der Rit [67]terschaft verpönt ist; – und dann dünkt mich Herr Ulrich ein Mann, dem das Schwerdt nicht zum blosen Zierrath gegeben ist.
Jörg. Sey er ein Riese! – Alles wag' ich, eh' ich das Fräulein mir entschlüpfen lasse. – Ist der Frevler noch in der Klause
Veit. Längst ist er über Berg und Wald dahin, und wol sind itzt schon die Rosse gesattelt, die ihn nach Palästina tragen sollen, um von Günthern sichere Kunde einzuholen.
Jörg. So weit ist der Handel schon gediehen – Ja um einer Dirne willen, zög' ich wol nicht ins heilige Land! – Aber bey meiner Ehre, zu Wasser sollen ihm alle seine Hoffnungen werden. – Was räthst' du mir, Klausner! – Bist du doch auch ein Kopf voll Trug und List – rathe mir! [68]
Veit. Mir ist bange um guten Rath! – Gewalt dürft' ihr nimmer anwenden, wollt' ihr eure Ritterehre nicht aufs Spiel setzen; und – List – je nun, ein Gedanke wurmt mir doch im Kopfe, aber er will Weile haben!
Jörg. Nur heraus mit, sonder Umschweife!
Veit. Vielleicht, wenn man die Dirne, nach Verlauf einiger Zeit glauben machen könnte, ihr Vater sey gestorben, und Ulrich etwa im Meere ersoffen, – dann vielleicht würdet ihr doch noch eurer Wünsche froh! – die Weiber sind leichtgläubig und wankelmüthig. Auch kenn' ich Juttens schwache Seite.
Jörg. Du bist ein listiger Kautz, Veit! der Vorschlag ist nicht wegzuwerfen. Aber die Ausführung –
Veit. Dafür laßt ihr nur mich sorgen, gestrenger Herr! – der Knappe Wolf hat [69] auch den Kopf an der rechten Stelle, und langt gar eben, eine Hauptrolle zu spielen. – Es wird immer heller in meinem Kopfe. Nur Geduld! Ritter Ulrich soll weidlich hintergangen werden.
Jörg. (erhebt sich mit Zuversicht vom Lager) Bringt einen Humpen Wein, daß ich ihn auf des Klausners Klugheit leeren kann!
Der Humpen ward gebracht, und bei vollen Bechern, hielt Jörg mit Veiten und Wolfen Rath, wie das Netz für Ulrichen und seine Dirne ausgeworfen werden müßte.
Ulrich war am ersten Tage, mit seinem Gefolge, bis in die Burg Dillingen, zu seinem Schwager Gozelbert geritten. Seine unvermuthete Ankunft machte diesen und Klotilden staunen, noch mehr aber das Ziel der Unternehmung, die er zu wagen begonnen hatte. – Sie hatten noch nicht viel mit einander geredet, als der Thürmer ins Gemach kam, und dem Burgherrn verkündigte, daß ein Ritter mit einem Knechte am Burgthore halte, und um Herberge bitte, auf eine Nacht. Der Ritter ward eingelassen, und freundlich und gastfrei von dem Grafen und seiner Wirthinn empfangen.
»Darf ich euch um euren Namen fragen, mein lieber Freund! und um das Ziel eurer Wanderung?« – sprach, holdselig lächelnd, der Burgherr zu dem Fremdling. [71]
»Ich bin« erwiederte der verkappte Wicht – »ich bin ein friedlicher Rittersmann aus Franken, und heisse Wolf von Mainburg. Ich bin Willens in das heilige Land zu ziehen, und zur Ehre des Heilandes mein Schwerdt gegen die Ungläubigen zu züken.«
»Seyd mir willkommen, wakerer Genosse!« sprach Ulrich von Rosenstein, »wir ziehen eines Weges. Hier meine Hand – und dieser Becher auf treue Brüderschaft!«
Große Freude log der Verräther über Ulrichs Worte. Sie setzten sich zusammen zum Mahle, schlossen einen engen, heiligen Bund, und schmaußten in hoher Lust bis nach Mitternacht. Des folgenden Tages zogen sie fort, nachdem ihnen der Burgherr seinen Glükwunsch, und der Pfaff seinen Segen gegeben, und Klotilde viele bittre Thränen beim Abschied an Ulrichs Busen vergossen hatte. [72]
Jach gieng der Zug durch die Gauen des südlichen Schwabenlandes, dem Gebürge zu, das Deutschland und Italien von einander scheidet. Meisterhaft spielte Wolf von Mainburg seine Rolle. Er unterhielt seine Gefährten mit der Erzählung der Abentheuer, die er schon erstanden, und mit der Beschreibung der Länder und Städte, die er auf seinen Zügen berührt haben wollte. Er wußte die Dichtungen, die er ihnen vortrug, sehr verwikelt und interessant anzulegen, und bald mit muntern Scherzen, bald mit weisen Sprüchen aufzustutzen. Unerschöpflich war er in seinen Erzählungen, und jeder neue Gegenstand, der ihnen aufstieß, gab ihm Stoff zu einer neuen Mähre. Schnell flogen die Stunden an der Seite des gesprächreichen Ritters dahin, und nie wandelte Langeweile seine Genossen an.
Am Fusse der Alpen sahen die Ritter sich in der Nothwendigkeit, weil sie nirgends [73] eine menschliche Wohnung entdeken konnten, nach einem langen, beschwerlichen Ritte, unter dem freien Himmel zu übernachten. Sie banden die Pferde an die Bäume, Wolfens Knecht hielt Wache, und unter dem Gesträuche lagen die Männer auf lindem Waldmoose und schliefen. – Die ersten Strahlen der Sonne wekten Bertholden samt den Knechten von ihrem Lager auf, und Staunen war ihre Empfindung, als sie Wolfen mit Knecht und Rossen nicht mehr unter ihrer Rotte fanden. Ulrich erwachte, und Berthold that ihm die Entfernung des fränkischen Ritters kund. Sie rathschlagten lange, ohne eine befriedigende Auflösung des Räthsels zu erfinden. Berthold streifte mit zweien Knechten eine Weile auf den benachbarten Gefielden umher, aber nicht die mindeste Spuhr von dem verschwundnen Ritter ward ihnen bemerkbar. – Indeß schnallte Ulrich [74] seine Rüstung an, und fand seinen Dolch nicht mehr in der Scheide am Wehrgehäng. Er suchte ihn lange vergeblich im Grase. Berthold wußte, als er zurüke kam, von dem verlohrnen Dolche so wenig Kundschaft zu geben, als von dem verschwundnen Ritter. Mißmuthig und bestürzt verliessen die Männer den Lagerplatz, und Ulrich zürnte heftig, bald über den unerklärbaren Abschied, des muntern, redseligen Gefährten, bald über den Verlust des Wehrs. Letztres schätzte er um so höher, da er es als Liebespfand aus den Händen seines Vaters erhalten hatte, dem es einst Kaiser Heinrich zum Lohn seiner treuen Dienste zustellte. – Ein Künstler hatte Herrn Krafts Wappen und Namen, mit Elfenbein, sehr geschikt, in das Gefäß des Dolches eingelegt.
Ohne irgend ein merkwürdiges Abentheuer zu erstehen, zog Ulrich über das [75] Gebürge, setzte sich in einer welschen Stadt ins Schiff, und kam schneller, als er erwartet hatte, mit den Seinen auf der Küste von Asien an. Noch zehn Tagreisen hatten sie bis in die heilige Stadt. Sie dingten einen Führer, der sie mit noch etlichen Pilgern dahin begleiten sollte.
Friedlich und sorglos zog die Rotte längst dem Ufer des Meeres hin, voll freudiger Hoffnung in Bälde das Land zu küssen, das der Heiland und seine Apostel, und so viele blutende Zeugen der Wahrheit, geheiliget hatten. Sie liessen sich in der heißesten Stunde des Mittags an einer Quelle nieder, und verzehrten unter dem Schatten der über sie hereinhängenden Zedern, ihr Brod, und schöpften dazu den Labetrunk, aus dem steinigten Beken, in dem die klare Quelle hervorsprudelte. Ei [76]nige von den Pilgern waren eingeschlafen, und genossen nach der Mühseligkeit des Zuges, auf dem kühlen Lagerplatze, die Süßigkeit der Ruhe. Die andern saßen um die Quelle her, und unterhielten sich behaglich, von den Lieben und Freunden, die sie im Occident verlassen hatten, und von den angenehmen Hoffnungen, die ihnen von Jerusalem entgegen lächelten.
Ein Geräusch, wie der Hufschlag vieler Pferde auf steinigtem Boden, machte sie aufmerksam. Sie horchten, – und das Geräusch ward immer vernehmlicher. Berthold erkletterte einen Felsen über der Quelle, und spähte in die nahen Gefilde hinaus. Schreklich schallte seine Stimme in die Ohren der bangen Pilgerleute:
»Wir sind verlohren, meine Brüder! eine grosse Schaar berittener Sarazenen kommt des Weges einher, um uns zu überfallen!« –
»So will ich nicht ungerochen sterben!« – [77] sprach der Rosensteiner, setzte sich zu Pferde, und ergriff seine Lanze. Verzweifelnd zogen auch die übrigen Pilgrime ihre Wehre, und machten sich, nach dem Rathe der Ritter schlagfertig. Ein deutscher Mönch sprach ihnen mit grossem Eifer Muth ein, verhieß ihnen für jeden gespaltnen Sarazenen-Kopf vollkommenen Ablaß, kreuzte und segnete sie und ihre Waisen, stellte sich hinter sie auf den Felsen, und hub das Bild des Welterlösers betend in die Höhe. Kaum waren die Ungläubigen der Pilger gewahr worden, als sie mit verhängtem Zügel, gierig nach Raub, aus sie lossprengten. Der Staub flog in einer dichten Wolke hinter ihnen in die Höhe, und unter den Füssen ihrer schwehren Streitrosse zitterte die Erde. Groß war ihr Haufen, und, durch das Gefühl ihrer Ueberlegenheit trotzig ihr Muth. [78]
Ihre Hauptmacht stürzte mit einem unwiderstehlichen Ungestümm auf die zween edlen Männer und ihre bewehrten Knechte los. Ritterlich schlugen diese unter die Räuber, und stiessen manchen von ihnen auf die Erde nieder. Gräßlich tönte das Gebrüll der erzürnten Sarazenen, und das Klirren ihrer Schwerdter aus den eisernen Panzern der deutschen Ritter, in die Luft. – Bald waren die Pilger, die an der Quelle zu Fuß gestritten hatten, von der Uebermacht der Ungläubigen niedergeworfen, entwaffnet, und gebunden, und den benedizirenden Pfaffen, hatten sie sogleich beim ersten Angriff, durch einen Pfeilschuß getödtet. – Noch stand Ulrich mit seinen Reisigen, entschlossen, eher zu sterben, als sich der Grausamkeit der Tyrannen zu überlassen. Nun fiel aber ihr ganzer Harst über ihn und die seinen her, und die Gewalt der Feinde, trennte sie aus einander. Durch [79] einen Speerstich sank des Rosensteiners Roß sterbend auf die Erde, und bedekte mit seinem Körper den verzweifelten Ritter. Schnell sassen einige von den Sarazenen ab, traten ihm mit den Füssen auf die Arme, wehrlos lag er; – er mußte sich ergeben. – »Ich bin gefangen!« rief er in einem gräßlich-klagenden Tone. »Meines Herrn Schiksal sey auch das meine!« sprach Berthold, und warf sein Wehr aus der Hand. Einer der Knechte lag tödtlich verwundet auf der Erde, und der andere, ergab sich, um das nämliche Loos mit den Rittern zu theilen, gleichermassen den Heiden.
Mit Wuth fielen diese über die wehrlosen Pilger her. Sie zogen sie aus, banden ihnen die Hände auf den Rüken, und an die Schweife der Pferde gefesselt, führten sie sie gefangen. Seufzend sahen die Unglüklichen gen Himmel, und in tiefem, [80] sprachlosen Kummer folgten sie den triumphirenden Räubern.
Der Zug gieng langsam durch die engen, grausamen Thäler des Libanus. Herzschneidend war der Anblik der Gefangenen. Mit trübem, zur Erde gehefteten Gesicht schwankten sie hinter den raschen Pferden einher. Es war ihnen nicht gegönnt laut über ihr bitteres Schiksal zu klagen. Dadurch reitzten sie die Grausamkeit der Barbaren nur noch mehr. Das Blut quoll strohmweise aus ihren nakenden Füssen, durch die spitzigen Steine im Wege, und das dornichte Gesträuch verwundet. Heiß brannte die Sonne auf ihre blosen Häupter, und schreklich quälte sie der Durste in dem schwühlen, wasserlosen Gebürge. Siegesgesänge brüllten die Räuber, daß Berg und Wald wiedertönten, während die armen Sklaven, mit der Zunge die Thränen auflekten, die über ihre Wangen herunterrollten. – [81]
Eine Pilgerfrau, der man ihren Säugling auf den Rüken gebunden hatte, sank ermattet von Durst unter ihrer Bürde nieder. Wie das Wasser aus Bronnenröhren, so quoll die Milch aus ihren gespannten Brüsten, und wie ein getretener Wurm, krümmte sich das nach Sättigung lechzende Kind auf der Erde. »Wir können uns nicht schleppen mit dem Kinde!« sprach der Anführer der Rotte, zog das Schwerdt, und tödtete es so kaltblütig, wie der Fleischer das Lamm. Darob schnellte die Mutter ihre Bande entzwey, riß sich die Haare aus, und wälzte sich, ihr Schiksal verfluchend, auf der Erde. –
In der Nacht kamen die Räuber mit ihrer Beute in dem Thale Kalebu, ihrem Wohnplatze an, und warfen die Gefangenen, zu einer Menge andrer Sklaven in ein unterirrdisches Gewölbe. Man setzte ihnen Brod und Wasser vor, fesselte sie statt der Strike [82] mit Ketten, und schmiedete sie an eiserne Fugen, die in dem Gemäuer befestiget waren.
Je mehr die Aeusserungen des Kummers, während des Zuges von den Barbaren unterdrükt wurden, desto heftiger brachen sie nun aus. Ein allgemeines Geheul schallte schreklich durch das scheußliche Kerkergeklüfte. Hoffnungslos und verzweifelnd jammerten die Elenden, und gräßlich rauschte in ihr Geheul, das Klirren ihrer Ketten. Schweigend lag Ulrich auf zermalmtem Stroh auf der Erde, seine Hände, vom Druk der Strike stark geschwollen, – reibend. Berthold lag neben ihm. Der Knecht hatte sich unter der Menge der übrigen Sklaven verlohren.
Mit dem Anbruche des folgenden Tages rasselten die eisernen Thüren dieser Wohnung des Elends und des Jammers, und [83] die Vögte traten herein, mit Peitschen in der Hand, die Gefangenen zur Arbeit abzuführen. Ulrich und Berthold, samt den andern, deren die Räuber sich des Tages zuvor bemächtigt hatten, wurden in einen Steinbruch, in ziemlicher Entfernung von dem Gefängnisse, abgeordnet. Sie erhielten die nöthigen Geräthe, und mit drohendem Blike, wies ihnen ihr Aufseher ihr Tagwerk an. Tief seufzend ergrief Ulrich den schwehren, eisernen Keil, und mit dem Wunsche erhub er ihn: möcht' ich einst damit die Hirnschalen meiner Peiniger zerschmettern, wie ich itzt diesen Stein mit ihm zerschmettert habe.
Kalebu war, wie gesagt, der Name des traurigen Aufenthalts, in den ihr unglüklicher Stern Ulrichen und seine Genossen geführet hatte. Mit diesem Namen war eines der schönsten und anmuthigsten Thälern zwischen den unersteiglichen Höhen [84] des Libanus bezeichnet. Das Thal bildete einen großen Halbzirkel, ringsum durch eine schroffe Felsenwand eingeschlossen. Eine einzige Oeffnung im Mittelpunkte des Halbzirkels, verband die Thalbewohner, mit den übrigen Siedlern des Libanus. Leicht war es aber, dieß enge, von der Natur gebaute, Thor, mit Steinen zu verschütten, und dem großen Heere den Zugang ins Thal zu versperren. Nahe bey dieser Oeffnung, wo die Felsen senkrecht zu einer grausen Höhe aufgethürmet waren, entsprang ein kleines Flüßchen, das sich in unzählichen Krümmungen durch die reizenden Gefilde von Kalebu schlängelte, und sich in einem unterirdischen Bette, in die Felsenwand verlohr. Das ganze Thal schien ein von der Hand der Natur angelegter Garten, wo lachende Wiesen, fette Aeker, einladende Zypressenwäldchen, und bunte Anger dem Auge das lieblichste Gemälde darstellten. [85] Während das Ohr durch den Gesang der Nachtigall am schattichten Ufer des Flüßchens ergötzt wurde, sah man den Adler, der aus den Felsengipfeln nistete, die Flügel zum kühnen Fing gegen die Sonne schwingen. Beinahe in der Mitte des Thales, hauste in einem prachtvollen Pallaste, der Soldan Al Maid, der Beherrscher dieser anmuthigen Gegend, und seiner Wohnung gegen über, in einem andern großen Gebäude, hielten sich die Barbaren auf, die auf seinen Wink, zum Morden und Rauben bereit standen. Eine niedrige Mauer, am Strande eines tiefen Wassergraben aufgeführet, umgab den Wohnsitz der Tyrannen, und ein Garten, mit großer Pracht angelegt, dehnte sich hinter der Mauer, durch die reizendste Gegend des Thales, bis an die Gränze desselben aus.
Der Name des Soldan Al Maid war für alle Pilger, die zum Grabe des Welt [86]heilandes wallfahrteten, schreklich. Denn zahllos war die Menge der unglüklichen Schlachtopfer, die seine Raubgier erhascht hatte, und keiner der einmal in seine Hände gefallen, konnte weder durch die Macht seiner Glaubensgenossen, noch durch Lösegeld befreiet werden, weil im ganzen christlichen Morgenlande noch niemand den Wohnsitz des Räubers erkundet halte. Al Maid war schon betagt, als Ulrich in seine Klauen fiel, und lebte nach der Weise sarazenischer Fürsten, unthätig und unbeobachtet im Innern seines Harems, im Genusse der Wollüste, die ihm bald die Reitze seiner Weiber, bald die Kunst seines Koches gewährte. Einer seiner Knechte, der ihn an Trug und Grausamkeit noch übertraf, führte nun die Züge der Räuber an, und herrschte mit unumschränkter Gewalt, über die Freien und über die Sklaven, welche die Felsenkette von Kalebu umschloß. [87]
Ulrich fühlte mit jedem neuen Tage das Schrekliche des Looses mehr, das ihm gefallen war. Er, ein deutscher Ritter, dem eine starke Rotte fester Edelknechte zu Gebote stand, der eine der stattlichsten Burgen des Schwabenlandes besaß, und einen schönen, fruchtbaren Gau, in die Runde um sie her; – er, der unter den Großen seines Vaterlandes Ehre und Schätzung, und unter ehrbaren und armen Leuten Liebe und Vertrauen genoß; – er, der so manchen kühnen und glänzenden Plan in seiner Seele gewälzt hatte, und zu dem noch, die schönste Dirne des Landes bald in sein Eigenthum einzuführen hofte; – er, sah' sich plötzlich vom Gipfel des Glüks in den tiefsten Abgrund des Elends herabgestürzt. Der Rüken, der vorhin den Harnisch trug, fühlte nun die Geisselhiebe eines schurkenmäßigen Tyrannen; – die Hände, die zuvor nur Schwerdt und Lanze zu führen [88] gewohnt waren, fühlten sich nun mit einer verächtlichen Spate belastet. Der edle, deutsche Mann, dem Freiheit mehr war, als Leben, Gut und Braut, – sah' sich gefesselt mit der Sklavenkette, und nach der Hitze des Tages in ein scheußliches Gefängniß eingekerkert. – So muthiger Anschläge sein Geist auch fähig war, so verschwand doch jede Möglichkeit der Errettung vor ihm. Auch Jutta war auf immer für ihn verlohren; und gräßlich war das Bild der Zukunft, das vor seinen Augen schwebte. Seine körperlichen Kräfte wurden von Tag zu Tag schwächer, und sein Geist sank in Unempfindlichkeit und Lähmung. Er war einer Harfe gleich, die, weil man ihre Saiten nachgelassen hat, keinen Ton mehr giebt.
Bei allem tiefen Gefühl feines Mißgeschiks blieb Berthold muthiger und standhafter als der junge Ritter, und gab die Hoffnung, einst gerettet zu werden, bei [89] weitem noch nicht auf. Er hatte schon mehr gehört und erfahren, als Ulrich, und die vorhergegangenen Leiden, die ihm aus den Zügen mit Herrn Kraft zugeflossen waren, hatten ihn gelehrt, – auch im diksten Dunkel nach den Strahlen des einfallenden Lichtes zu spähen, an jeder Kette die schwächern Glieder aufzusuchen, und die festeste Mauer zu sondiren, ob nicht etwa in ihr ein Quaderstein des Küttes los geworden sey. Er sprach deshalb Ulrichen fleißig Muth ein, heuchelte Heiterkeit und Frohsinn, um ihn auf den nämlichen Ton zu stimmen, und erzählte ihm tröstliche Beispiele von Bedrängten, die durch Geistesgegenwart und Entschlossenheit, die stärksten Bande zerrissen haben. Der Eindruk seiner Reden war aber nur vorübergehend. So lange der Ritter im Steinbruche noch freie Luft athmete blieb er manchmal heiterer als gewöhnlich; aber der erste Schritt ins Schauer [90]gewölbe am Abend des Tages, führte über seine Seele immer wieder einen Trübsinn her, der sie für jede Tröstung unempfindlich machte.
Einst saß Ulrich mit dem Edelknechte, in der heissesten Stunde des Mittags, in der es den Sklaven erlaubt war eine Weile zu rasten, – im Schatten einer kleinen Hütte, worinn die Geräthe der Arbeiter im Steinbruche, aufbewahrt wurden. Der Garten des Harems stieß unmittelbar an die Hütte, und war nur durch die dünne bretterne Wand derselben geschlossen. Ulrich und Berthold sprachen mit einander vom Vaterlande, und von den Menschen, die beiden theuer und werth in demselben waren. » Jutta! Jutta!« – jammerte Ulrich, indem eine Thräne um die andere über seine Wangen rollte – »wie theuer wirst du mir? – und ach! vergeblich ist dazu noch alle Last und alle Mühseligkeit, die ich um deinetwillen trage!« [91]
Berthold. Hört nicht auf zu hoffen, Ritter! Je tiefer die Hoffnung sinkt, je weiter entfernt sich von uns das Kleinod, nach dem wir streben. Denn Hoffnungslosigkeit macht feige, – und Feigheit raubt uns alle Kraft, um dem Uebel Widerstand zu leisten.
Ulrich. Aeffe mich nicht länger, Berthold! mit eiteln Vorspieglungen, die nie erfüllt werden. – Welche Kraft vermöchte es uns zu retten? Menschliche Kraft gewiß nicht.
Berthold. Aber das Auge des Herrn entschlummert nie über den Seinen! Oft wenn wir alle Hoffnung aufgeben zu müssen, glauben, führt er unversehens einen Umstand in die Mitte, der die Schauerscene, die vor uns liegt, mit einmal verändert, daß nur gewöhnliche Menschenkraft dazu gehört, durch den Strohm, der uns zu verschlingen drohte, ans Ufer zu schwimmen. [92]
Ulrich. Ach, Berthold! hätt' ich Jutta nie gesehen, siebenfach leichter wäre mir die Sklavenkette, die ich trage. Aber auch diesen Schatz mußte der Himmel mir erst zeigen, damit auch sein Verlust meinen Kummer noch vermehre.
Berthold. Große Güter erlangen wir hienieden nur durch große Kämpfe! – O wie süß werden euch einst nach diesen Trübsalen Juttens Umarmungen schmeken! – Glaubt nur, Ulrich! das Leiden lohnt den stillen Dulder, durch die Erhöhung der künftigen Freude.
– »Welch' süsse Töne meinem Ohre! das ist die Sprache meines Vaterlandes!« so hörten die beiden Gefangenen plötzlich eine weibliche Stimme sie unterbrechen. Erschroken fuhren sie auf, und spähten, von wannen die Stimme gekommen sey?
»Erschreket nicht,« – fuhr sie fort – »ich bin auch eurer Mitgefangenen eine, und [93] mit euch eine Anbeterinn des Weltheilandes und seiner heiligen Mutter. Kommt an diese Ritze und ihr werdet mich gewahren!«
Sie traten hinzu, und eine reizende Dirne, im schönsten morgenländischen Putze, stand vor ihnen hinter der Wand im Gebüsche.
Erscheinen Sklaven in Kalebu auch in einem solchen Schmuk – sprach Berthold zu der Dirne.
»Sklaven nicht, erwiederte sie, wol aber Sklavinnen. – Sagt an, Männer! seyd ihr nicht meine Landsleute? Recht bidre Schwaben vom Strande des fernen Kocherflusses?«
Berthold. Etwa zwo Stunden von unsrer Burg ist des Kochers Ursprung.
Dirne. Ihr scheint Leute ritterlichen Standes; – darf ich nach euren Namen fragen?
Ulrich. Ich heisse Ulrich von Rosenstein, und dieser mein Gefährte, Berthold von Bargau. [94]
Dirne. Es dünkt mich, daß ich den Namen Rosenstein schon nennen gehört habe, als ich noch in meinem lieben Vaterlande lebte. Auch ich bin die Tochter eines schwäbischen Rittersmannes. Kennt ihr Kunzen von Ahelfingen nicht?
Berthold. Kunzen von Ahelfingen? – So ich nicht irre, sah' ich ihn einst unter den Mannen des Probstes von Ellwangen. Er ist wol zwo Fäuste länger als ich, und hat eine tiefe Narbe in der linken Wange.
Dirne. Der ist mein Vater.
Ulrich. Lebt euer Vater noch, Fräulein?
Dirne. Wär' ich frei, ich hoffte zuversichtlich ihn unter den Rittern zu Jerusalem zu finden.
Berthold. Ihr scheint, Fräulein! bei aller Pracht eures Anzuges, mißvergnügt?
Fräulein. O wie gerne gäb' ich diese [95] kostbaren Kleider um eure dürftige Hülle hin! – Ein braves deutsches Fräulein, kennt keine größre Beleidigung, als den Raub ihrer Unschuld. Und diese Unschuld mußt' ich der Wollustgier des Tyrannen opfern, der auf so viele meiner Landes- und Glaubensgenossen das Sklavenjoch legt, und alle die in seine Hände fallen, langsam zu tod martert. (Sie fieng an zu weinen. Die Männer weinten mit ihr. Nach einer Pause fuhr das Fräulein fort:)
Nanntet ihr nicht vor wenigen Augenbliken den Namen Jutta? – Wer ist diese Jutta?
Ulrich. Die edelste und schönste Dirne des ganzen Schwabenlandes, und – meine Braut! – Hätte dieses Auge sie nie gewahret, nimmermehr hätten die Wüthriche von Kalebu Utzen von Rosenstein in ihre Klauen gebracht. [96]
Dirne. Wer ist Juttens Vater?
Ulrich. Günther von Herwartstein. – Ihn aufzusuchen gieng ich ins heilige Land.
Dirne. (heftig) Ja ja sie ist's, – Günthers Jutta – den findet ihr nicht mehr unter den Lebenden. – Er hatte gleiches Schiksal mit mir und euch; – und jene Felsenritze, unten wo das Flüßchen aus dem Thale sich windet, – ist sein Grab.
Ulrich. Gott – welche Neuigkeit! – Günther tod!
Dirne. Ich sage euch die Wahrheit! Er starb im Sklavengewölbe in meinen Armen. – Jutta war sein letztes Wort. Noch schallet mir der Ton, womit ers aussprach, in meinen Ohren. Nicht länger als vier Tage trug er die Sklavenkette. Gram und Verzweiflung schnitten ihm den Lebensfaden ab. Er redete einen ganzen [97] Tag irre, als hätt' er seine Frau ermordet. – Eine Stunde vor seinem Hinscheiden ward er ruhig. Ich drükte ihm die Augen zu.
Ulrich. Wahrlich er ist's!
Berthold. Er ist's. – Also nach Kalebu führte uns unser Stern, um sichere Kunde von dem Ritter zu erlangen, den wir aufsuchen wollten.
Ulrich. Gedoppelt schwehr wird mir nun die Bürde der Gefangenschaft. – Gott er ist tod! – Wär ich frei, nun blieb sie mein Eigenthum. – Aber nun ist sie auf ewig für mich verlohren!
Dirne. Nicht so zaghaft, junger Ritter! –Wir können wol noch gerettet werden.
Ulrich. Gerettet? – O Fräulein! keine christliche Seele kennt unsre Noth, und wir selbst, – was können wir bey gefesselten Händen und Füssen leisten? [98]
Dirne. Wenn euer Muth dem meinigen gleichet, – und ich bin nur ein schwaches Weib – so werden wir alle unsrer Knechtschaft ledig. Eher hätt' ich mich tödten lassen, als ich meinen Leib der Lust des Soldans aufgeopfert haben würde, hätt' nicht plötzlich meine Seele den Gedanken aufgefaßt: vielleicht kann ich sie einst noch alle retten, und das erste Zeichen zur Zerstörung der Rauberhöhle geben. – Ist Muth und Uebereinstimmung unter den Gefangenen, so ist es uns ein leichtes, unsre Ketten abzustreifen, und uns, an unsern Peinigern zu rächen!
Sie verschwand.
Die Reden der Dirne hatten die edlen Männer heftig gespannt, und einen Strohm, sich verfolgender Gedanken, Wünsche, Hoffnungen, und Phantasiespiele in ihnen erregt. Den Zwek ihrer Reise, nämlich die Erkundigung des verschollnen Ritters, sahen sie [99] nun erreicht; aber der Genuß dieses Zwekes, lag noch in einer schauerlichen Ferne. Doch wurde ihre Hoffnung, durch die unbestimmte Winke, die ihnen das Fräulein gegeben hatte, stärker als sie noch nie gewesen war, und selbst der kleinmüthige Ulrich, fühlte in sich den Keim der Entschlossenheit wieder erwachen, die ihn noch in keiner Gefahr verlassen hatte, die aber auch noch nie auf eine so große Probe gesetzt war.
Weit kühner als er, fühlte sich Berthold. »Glaubt ihr, Ritter! sprach er zu Ulrichen, glaubt ihr, daß uns die Vorsehung vergeblich das Geheimniß hat entdeken lassen, zu dessen Erforschung wir ausgezogen sind? – Ihr mußtet nun schlechterdings die Fesseln von Kalebu tragen, wolltet ihr anders Minnesold erlangen, von eurer Buhlinn. Jahrelang würden wir in den Gauen Asiens umhergefahren seyn, mit Ungewißheit wären wir zurükegekehrt, und kein Lohn wär' uns [100] für all' unsre Mühseligkeit geworden. Aber nun, Ulrich! lacht große Hoffnung euch entgegen! Sehet ihr hier nicht deutlich den Weg vor euch, auf dem die Vorsehung eure Wünsche krönen will – Wollen wir Gott vertrauen, und waker und standhaft seyn, – gewiß werden wir bald die Felsenwand, die uns umschleußt, zertrümmern.«
Mit gestärktem Muthe giengen sie an ihre Arbeit zurüke, und harrten sehnsuchtsvoll des folgenden Tages.
Die schöne Sklavinn hielt Wort, und erschien, in der bestimmten Stunde, an der Ritze der Bretterwand.
»Seyd ihr noch immer so leer an Hoffnung und Trost wie gestern?« sprach sie zu Ulrichen.
Ulrich. Ich lerne immer mehr Gott vertrauen, und mit Zuversicht zu ihm beten, ob ich gleich keine Möglichkeit sehe, frei zu werden, und meine Jutta wieder zu umarmen. [101]
Berthold. Eure Reden, Fräulein! haben ein schwehres Gewicht auf die Wagschale meiner Hoffnungen gelegt.
Fräulein. So lange ihr so muthlos und feige bleibt, wie ihr scheinet, so lange kann ich die Ausführung meiner Anschläge nicht beginnen. – Sie können schlechterdings nicht glüken, wenn nicht Löwenmuth in die Herzen aller gefangenen Männer dringt.
Ulrich. Soll ich um meine Freiheit kämpfen, so soll niemand sagen können, daß Ulrich von Rosenstein seinem Vater Schande mache.
Berthold. Was der Muth nicht thut, bei unsern armen Kamraden, das thut etwa die Verzweiflung. Denn alle scheinen den Tod der Sklaverei vorzuziehen, und hielt das Gesetz Gottes sie nicht ab, das dem unglüklichen den Selbstmord verbeut, – alle würden längst Hand an sich selbst gelegt haben. [102]
Ulrich. Wären wir unsrer Fesseln ledig, auch ohne Waffen meisterten wir die heidnischen Tyrannen. Denn diese, durch Arbeit steinhart gewordnen Hände, wären stark genug, den Weichlingen die Köpfe zu zerschmettern, die ihr Leben in einem beständigen Wollustgenusse hinschlummern.
Fräulein. Sind aber wol eure Mitgesungenen auch eures Sinnes?
Berthold. Fräulein! nehmt ihnen die Ketten ab, und ihr werdet sie sehen, wüthend über die Heiden herfallen, – wüthend die Grausamkeit vergelten, mit der sie von ihnen mißhandelt worden sind.
Fräulein. Nun wolan! Mißlingt der Anschlag, den ich in meiner Seele wälze, so will ich freudig unter den grösten Martern sterben, getröstet durch das Bewußtseyn, daß ich gerade für die schönste That meines Lebens aufgeopfert werde, und durch die Aussicht auf die schöne Erndte, die mir [103] aus dem Paradiese entgegenlächelt; – glükt er aber, dann sind mit einem Striche alle Missethaten meines Lebens ausgethan, und o! welch' selige Gefühle, wird euer aller Dank in meinem Herzen weken? – Redet mit euren Kameraden, und sagt ihnen, daß um Mitternacht ihre Retterinn komme, die ihnen die Sklavenketten von Händen und Füssen lösen wird. Ermuntert euch gegenseitig zur Kühnheit und Entschlossenheit, und vergesset nicht für mich zu beten, daß meine That gelinge.
Ulrich. Gott gebe euch seinen Segen, Fräulein!
Berthold. Gott stärke euren Arm!
Sie entfernte sich.
Als die Ritter nach dem Untergange der Sonne mit den andern Sklaven in das Schauergewölbe zurükgebracht waren, so theilte jeder seinem Nachbar die durch das Fräulein erhaltene gute Hoffnung mit, und [104] schnell verbreitete sie sich unter den Männern und Weibern aus der deutschen Nation, die hier im Verhafte sassen. Den übrigen konnten sie sich nicht verständlich machen. Indeß war vorauszusetzen, daß sie, sobald von Befreiung die Rede war, schnell mit dem Strohme fortgerissen werden dürften. Ein deutscher Mönch ermahnte sie, sich durch Gebet auf die entworfene Unternehmung vorzubereiten. Sie fielen alle auf die Knie nieder, und erhuben ihre vereinte Stimme, zu Gott und feiner heiligen Mutter, daß er ihnen Beistand und Kraft verleihen wolle. Entflammt vom kühnsten Muthe, und voll heisser Gier, das Racheschwerdt über ihre Peiniger zu schwingen, standen sie vom Gebete auf, und erwarteten den Augenblik, in dem die Thüren des Kerkers aufgesprengt werden, und die Ketten von ihren Gliedern fallen sollten. [105]
Das Fräulein Adelheid von Ahelfingen brachte diese Nacht in dem Schlafgemache des Soldans zu, um durch ihre Reitze, die Wollustgier des Weichlings zu sättigen. Wie gewöhnlich legte der Aufseher über die Gefangenen die Schlüssel zum Kerker und zu ihren Ketten auf den Tisch vor dem Bette des Soldans nieder. Sein Wehrgehäng hieng an der Wand. Ein Verschnittener schlief im Vorgemache. Hohe Stille herrschte im ganzen Pallaste, und müde schnarchten die Reisigen auf ihrem Lager, durch den Raubzug des vorigen Tages ermattet.
Es mochte Mitternacht gewesen seyn, als Adelheid aus dem Bette aufstand, entschlossen die That zu wagen, die all' ihren Genossen in der Knechtschaft die Freiheit geben sollte. Helle schien der Mond ins Gemach, und traulich rauschte der Bach hinter dem Harem, in die Stille der Nacht. [106] Fest schlief der Soldan, den Athem mit aufgesperrtem Munde, aus seinem Wanste hervorstossend. Kaltblütig zog Adelheid den Dolch aus seinem Wehrgehäng, und schob den Riegel in der Thüre zum Vorgemach, in dem der Verschnittene schlief, vor. Ihren Gürtel hatte sie zuvor schon unter dem Halse des Tyrannen ausgebreitet. Behutsam schürzte sie einen Knoten mit dem Gürtel. Plötzlich zog sie ihn zu, und in diesem Augenblike stieß sie den Dolch in das Herz des Soldans, bis an das Heft. Gräßlich schlug der Verwundete die Augen auf. Er wollte schreien. Die Gewalt, der aus der Lunge hervordringenden Luft, drohte den Gürtel zu zerreissen. Er schlug mit den Händen. Der Widerstand stärkte den Muth des Fräuleins. Fest hielt sie den Gürtel an der Kehle. Grimmig wiederholte sie den Stich. Wenige Augenblike – und starr lag der Räuber auf seinem mit Blut überschwemmten Polster. [107]
Die That war vollbracht, und friedlich schlummerten die Knechte des Ermordeten, ohne Ahndung des mindesten Unfalls. Adelheid ergrief die Schlüssel zum Kerkergewölbe und zu den Ketten der Gefesselten. Mit dem blutigen Dolche in der Hand, stieg sie durchs Fenster auf dem Traubengeländer in den Garten, und schliech durch Umwege vor das Gefängniß der Sklaven. Diese gespannt von sehnsuchtsvoller Erwartung, hörten sogleich den Schlüssel in der eisernen Thüre des Gewölbes knirschen. Leise öffnete sich die Thüre. »Stille Sklaven« – flüsterte Adelheid, – »die That ist vollbracht – bleich liegt der Soldan in seinem Blute; – handelt als tapfre Männer, und als freie Männer wird dann der erste Strahl der aufgehenden Sonne euch grüssen!« Hohe Freude schlug in ihrer aller Herzen. Der Schlüssel zu den Ketten gieng von Hand zu Hand, und schnell [108] waren sie alle des Sklavengeschmeides ledig.
Rasch drangen sie aus dem Kerkergeklüfte ins Freie; Ulrich, Berthold, und Adelheid an ihrer Spitze. In einem bedekten Gang vor dem Kerker waren die Geräthe aufbewahrt, die die Sklaven, welche im Garten und auf dem Felde arbeiteten, bedürften. Mit diesen Geräthen bewaffnet, stürmten sie voll glühender Mordlust in das Gemach, in dem die Knechte des Soldans schliefen. Diese in dem Zustande von Betäubung, der auf plötzliches Erwachen folgt, vermochten es nicht sich zu vertheidigen. Die Sklaven schlugen und stiessen mit unwiderstehlicher Gewalt, und mit einem Ungestümm, der das ganze Gebäude beben machte, auf die wehrlosen Sarazenen los. Einige von den rächenden Kämpfern, die die Waisen der Knechte, welche an den Wänden umherhiengen, gewahr wurden, [109] warfen ihre Gerätschaften weg, und mordeten die Räuber mit ihren eignen Schwerdtern. Bald begann das Gemach von Blut zu rauchen. Tod und verwundet lagen die Besiegten umher. Um Barmherzigkeit flehte ihr jammerndes Geächze. Frohlokend jauchzten die Sklaven auf den Leichnamen der Erschlagnen: »wir sind frei!«
Eine Wache von etlichen Reisigen befand sich auf der Warte, über dem Thore, das aus dem Gebürge des Libanus den Eingang in die schönen Gefilde von Kalebu öffnete. Ulrich, mit einigen seiner Genossen, eilte – schon dämmerte der Morgen herein –vor den Thurm, und zeigte den Wächtern die Waffen ihrer Brüder, mit ihrem eignen Blute gefärbt. Zitternd ersahen diese das schrekliche Spektakel. »Wir haben genug gemordet,« rief Ulrich zu ihnen hinauf, »ergebt ihr euch sonder Zaudern, so versprechen wir euch Leben und Freiheit, [110] – nur so lange führen wir euch gebunden, bis wir ausser aller Gefahr, die erste Wehrstätte unsrer christlichen Brüder erreicht haben.« – »Wir können eurer Uebermacht nicht widerstehen,« erwiederten die Wächter, »und noch weniger als euch, der Hand des Allmächtigen, die so schreklich über die Unsrigen gezürnet hat.« Sie traten unbewaffnet in die Thüre, und boten gutwillig ihre Hände den Ketten dar.
Als Ulrich mit seinen Gefährten wieder zurükekam, fanden sie auch das Harem des Soldans erstürmt, und all seine heidnischen Weiber, samt den Verschnittenen, starr in ihrem Blute vor der Thüre liegen. – Wo man vorhin Christen nur unter dem drükenden Sklavejoche und unter den Schlägen gefühlloser Wüthriche seufzen gehört hatte, schallte nun ihr lautes Frohloken, und ihr Triumphgeschrei über die Ermordung ihrer Peiniger. Nie trat die [111] Sonne majestätischer über die Felsenkette von Kalebu hervor; – nie stieg brünstigerer Dank zum Vater der Menschen aus diesem Thale aus, – als an diesem Morgen. Die Befreiten vermochtens nicht, ihre Wonne so zu äussern, daß der Ausdruk derselben, dem Freudendrang ihrer Herzen entsprochen hätte. Sie umarmten und küßten sich. Sie klatschten in die Hände. Sie hüpften und sprangen im Freudentaumel, voll Wonnegefühl, jauchzend auf dem Platze umher.
Als die ersten, heftigen Aeusserungen ihrer Freude vorüber war, setzten sie sich in den prunkvollen Gemächern des Harems zu Tische, assen und tranken nach langer dürftigen Kost von dem Ueberflusse, den sie in den Vorrathskammern des Soldans gefunden hatten, vertauschten das schlechte Sklavengewand mit den schönern Kleidern der Räuber, und füllten ihre Säke mit den [112] Kostbarkeiten, die, in unermeßlicher Menge, im Pallaste angehäuft waren. Ehe die Sonne die Hälfte des Horizonts durchloffen hatte, waren sie schon mit einander überein, Kalebu ungesäumt zu verlassen, in Eile nach Jerusalem zu ziehen, und am Grabe des Weltheilandes ihre Gelübde zu bezahlen. Ein jeder nahm ein Pferd aus dem Stalle, und rüstete es nach seinem Geschmake. Gewaffnet, und mit allen Reisebedürfnissen im Ueberflusse versehen, verliessen sie das Thal, und verschütteten das Thor desselben mit Felsenstüken. Ulrich und Berthold führten die Rotte der Befreiten. – Nach einem Zuge von zehen Tagen, kamen sie glüklich zu Jerusalem an. Einmüthig eilten sie zum Grabe Jesu, und weihten ihm ihre Andacht und ihren Dank.
»Helft mir,« sprach Adelheid zu Ulrichen und Bertholden, »helft mir meinen Vater aufzusuchen, und seyd Zeugen der hohen Wonne, die er beim Widersehen seiner Tochter empfinden wird, welche er für verlohren achtete!«
Die Ritter begleiteten sie, und bald gelang es ihnen, im Hause der Tempelritter, den alten Kunz von Ahelfingen anzutreffen: Tiefsinnig und bestürzt saß er in einem kleinen Gemache; ein andrer deutscher Ritter saß ihm zur Seite. Ulrich gieng voraus, um ihn auf das Wiedersehen der Dirne vorzubereiten.
»Seyd ihr,« sprach Ulrich, – » Kunz von Ahelfingen, ein Ritter aus dein Schwabenlande?«
Kunz. Der bin ich. – Was ist eure Werbung
Ulrich. Ich hörte hier euren Namen [114] nennen, und vermuthete in euch einen Ritter ans meinem Vaterlande.
Kunz. Seyd ihr wol auch im Kochergau zu Hause?
Ulrich. Nein; meine Burg liegt nicht ferne vom Ursprunge der Rems, und heißt Rosenstein.
Kunz. Seyd ihr nicht ein Sohn Herrn Kraften von Rosenstein?
Ulrich. Kraft von Rosenstein war mein Vater.
Kunz. Ihr habt einen biedern Vater, junger Mann! strebt seiner würdig zu werden.
Ulrich. Dahin geht all' mein Trachten.
Kunz. Seyd ihr schon lange in der heiligen Stadt?
Ulrich. Diesen Morgen erst bin ich angekommen.
Kunz. Habt ihr den Zug sonder Unfall vollendet? [115]
Ulrich. Geraume Zeit war ich ein Sklave des Soldans von Kalebu. – Sehet hier die rothe Haut vom Druke der Sklavenkette!
Kunz. Gott – mir schaudert – beim Soldan von Kalebu? – – Ich habe eine Tochter die auch in die Hände der Ungläubigen gefallen ist, aber – ich bin es gewiß – Al Maid hat sie nicht erhascht. – Sie wird wol ihren Peinigern entflohen seyn, in ein beßres Leben! – Sie vermocht' es nicht, lange das Joch zu tragen. – Gott tröste sie! – (der Greis weinte laut bei diesen Worten.)
Ulrich. Gebt noch nicht alle Hoffnung auf, gestrenger Ritter! Bei Gott ist kein Ding unmöglich. – Auch ich glaubte nie mehr, das Land der Freiheit zu küssen, und doch gelang' es mir.
Kunz. Wol! – Wüßt' ich nur, falls meine Adelheid noch lebet, die Sklaven [116]höhle, in der sie ächzt, mein ganzes Rittergut gäb' ich zur Ranzion.
Ulrich. Ich bin nicht loßgekauft, wie ihr zu glauben scheinet, Ritter! Auf Leichnamen hab' ich den Weg zur Freiheit mir gebahnt.
Kunz. Was ein junger, rüstiger Ritter vermag, vermag um deßwillen kein schwaches Weib. – Ich gebe meine Tochter verlohren!
Ulrich. (Der nicht länger an sich hatten konnte.) Nein! braver Mann! – eure Tochter hat mich gerettet. (Er öffnet die Thüre des Gemachs, und Adelheid fliegt an ihres Vaters Hals, laut rufend:)
Ja, ja – er ist es! – Himmel welche Seeligkeit! – Ich habe meinen Vater wieder!
Kunz. (erstaunt) Gott die Stimme meiner Tochter! – Ich halte es nicht aus. (Er sinkt auf den Stuhl nieder.) – Komm' [117] liebes, einziges Kind! – Komm' daß ich dich küsse. (Er drükt sie zitternd an sein Herz, und gleich großen Perlen, rollen die Thränen über seine runzlichten Wangen.)
Adelheid. Ich habe viel gelitten, frommer Vater! Aber wolfeil ist mir diese Wonne des Wiedersehens, für ein Jahr voller Schmerz! (Sie küßt ihm die Thränen von den Wangen.)
Der unbekannte Ritter. Und mich scheint Adelheid im Taumel ihrer Freude nicht zu bemerken?
Adelheid. Gott – Fidel von Kochenburg! Sey mir gegrüßt, trauter Freund meiner Jugend! Auch dich mußt' ich hier finden, daß noch eine Perle weiter in die Krone käme, die nach dem Kampfe meiner wartete!
Ulrich. Fidel von Kochenburg ist der Namen dieses ritterlichen Mannes? – Seyd ihr nicht Schirmherr der Burg Herwartstein gewesen? [118]
Fidel. Ich bin es noch. Ich verließ die Burg, um den Burgherrn aufzusuchen, den ich aber bis diesen Tag noch nicht gefunden habe.
Ulrich. Vergeblich wird auch all' euer Forschen seyn. Ich habe ihn gefunden, aber im Lande der Todten.
Adelheid. Er verschied in meinen Armen, im Kerkergewölbe von Kalebu.
Fidel. Nun so verleih' ihm Gott eine fröhliche Urständ! – Ich kann also nach Hause ziehen.
Ulrich. Auch ich bin ins heilige Land gefahren, um den alten Herwartsteiner auszuspähen.
Fidel. Welchen Beruf hattet ihr dazu?
Ulrich. Jutta, Günthers Tochter, ist meine Braut.
Fidel. Glük zu einem so braven Weibe! Wir können also beide mit einander ziehen? [119]
Ulrich. Hier meine Hand zum Bunde!
Fidel. Und die Meinige! –
»Zieht immerhin im Frieden,« sprach der Wonne trunkene Kunz, »und bringt meinem Neffen, wenn ihr ins Vaterland zurükekommt, meinen Gruß. Ich will sterben in der heiligen Stadt, und meinen Staub mit der Erde mischen, welche die Füsse des Heilandes betreten haben. Ich will mich dem Herrn zu eigen geben, so lang ich noch lebe, und durch Fasten und Beten am Grabe des Erlösers ihm den Dank zollen, den mein Herz ob der Wiederkunft meiner Tochter fühlet.«
»Und auch ich« fuhr Adelheid fort, »widme mich für die Zukunft meines Lebens dem Dienste des Heilandes und der armen Pilgrimme, die aus dem fernen Abendlande kommen, um bei seinem Grabe anzubeten. Das hab' ich ihm gelobt, und um so freudiger halt' ich mein Gelübde, da mein [120] Vater nun, in gleichem Dienste, die Tage seines Alters an meiner Seite durchleben wird. Einem Manne kann ich so nicht mehr zur Freude seyn, – denn der Tyrann, den diese Hand mordete, hat längst das Heiligthum zerstöhrt, das ich nur einem keuschen Jüngling aufzuopfern entschlossen war.« – (Ein Strohm von Thränen hemmte ihre Rede.)
Dankbar und gerührt verabschiedeten sich Ulrich und Berthold von ihrer Retterinn, und viele Thränen flossen beim letzten Händedruk von beiden Seiten. Voll Würde und frommen Sinnes gab der Greiß den Rittern seinen Segen auf den Zug. Am andern Morgen reisten sie, mit dem Schirmer von Herwartstein, Fideln von Kochenburg, von Jerusalem ab. [121]
Fidel war ein Mann von mittlerm Alter, der den grösten Theil seines Lebens im Geräusche der Waffen hingebracht, und viel unter den Menschen gesehen, und erfahren hatte. War er guter Laune, und das war er beinahe immer, so wußt' er eine unermeßliche Menge abenteuerlicher Mähren zu erzählen, in denen er meistens selbst eine Rolle gespielt hatte. Dabei war er voll kaltblütiger Entschlossenheit, tapfer in der Faust, aufrichtig und bieder, ernsthaft und unerschütterlich in seinen Grundsätzen, und andächtig in der Religion. Seine Besonnenheit minderte das flammende Feuer des hitzigen Ulrichs, und seine Kälte hielt Bertholds reitzbare Streitlust im rechten Geleise. Er war der Befehlshaber der kleinen Rotte, ohne daß er gestrebt hätte es zu seyn, und des jungen Ritters Lehrmeister und Führer, ohne es zu scheinen. Durch seine weisen Reden, die er eben so unter [122]haltend als überzeugend vorzutragen wußte, tilgte er manchen grandiosen Wahn in den Köpfen seiner Genossen aus, und prägte in die Stelle desselben, manchen wahren und fruchtbaren Grundsatz, der ihnen in der Folge statt eines Leitsterns auf dem Lebenspfade diente. Gespannt horchten sie alle, zur Zeit des Zuges und der Rast, dem Unterrichte des klugen Ritters, unterbrachen ihn durch Fragen, Zweifel, Einwürfe und Beifallsversicherungen, und unbemerkt giengen Gebürge, Meere, Städte und Wälder in schnellem Fluge bei ihnen vorüber.
Es kann nicht anders als unterhaltend und lehrreich zugleich seyn, wenn wir einige Urtheile und Beobachtungen des wakern Fidels, über Welt und Menschen, unsern Lesern mittheilen, und zwar so viel möglich in dem Tone, in dem er sie seinen horchenden Gefährten vorgetragen hat. – – [123]
Berthold bewunderte einst die Scharfsicht seines Verstandes, die durchdringende Kraft seiner Beobachtungsgabe, und den großen Reichthum wichtiger Wahrheiten, die der Gesichtskrais seines Geistes umschloß. Auf das gab ihm der Kochenburger folgenden Bescheid:
»Es geht mir immer so, sprach er, wenn ich unter Leuten ritterlichen Standes bin, denen ich mich mittheile. Zwar geschieht das letztre nicht an allen Orten, bald wegen des Neides, bald wegen der Rohheit, die beide unwürdig sind, die Stimme der Wahrheit zu hören, und unfähig sie zu verdauen. Wenn ich aber bewundert werde, so macht mich das nicht stolz. Denn man gesteht mir damit, nur einen solchen Vorzug zu, den alle haben könnten, wenn sie ihn nur haben wollten. Beträte ein jeder den Pfad den ich eingeschlagen habe, so würde auch ein jeder des Vorzuges theilhaf [124]tig, den man mir zuschreibt. Von Jugend auf üben die Leute unsres Gelichters ihre Körper, in den Burgen und auf dem Felde, in den Waffen. Wir taumeln die Rosse, wir gewöhnen uns an Helm und Harnisch, wir schwingen die Lanze, wir führen das Schwerdt zum Hieb und zum Stoß, wir ringen mit unsern Kammeraden, wir laufen mit einander in die Wette, wir schwimmen im Weiher und im Strohm. Dadurch wird unser Leib gelenksam, hart, ausdaurend, und fest. Diese Uebungen hab' ich auch beinahe von der Wiege an getrieben, und es haben mir's, ohne Ruhm zu melden, wenige darinn zuvorgethan. – Aber das sehet ihr wol alle ein, meine Gefährten! daß unser Körper nicht das edelste an uns ist, sondern daß wir noch etwas edleres an uns haben, was unser eigentliches Ich ausmacht, nämlich unsre Seele. Deßhalb ist es nicht nur äusserst unbillig, wenn wir [125] über der Uebung des Körpers, die Veredlung der Seele vergessen und versäumen, sondern es ist auch im höchsten Grade höchst thöricht. Was würdet ihr von dem Rittersmanne sagen, der große Schätze auf die Verschönerung und Ausschmükung seines Pferdstalls, oder seines Burgverließes wändete, sein Wohngemach aber allmählich zusammenstürzen ließe? – Würdet ihr ihn nicht einen Narren schelten? – Und das ist derjenige in einem noch weit höhern Maaße, der zwar seinen Leib stärkt und verschönert, sich aber dabei keine Mühe giebt, die Nebel der Unwissenheit und des Wahns, die seinen Geist überziehen, zu verdünnern, und allmählich gar hinweg zu blasen. – Wie die Uebung die Kräfte des Körpers stärkt, so stärkt sie auch die Kräfte des Geistes. So wie wir das Reuten nur auf dem Pferde, und das Kämpfen nur in der Stechbahn lernen, so werden auch die Augen [126] unsres Verstandes nur scharfsichtig durch den Gebrauch, und die Blike desselben nur tief und richtig durch die Uebung. – Männer! ich gebe euch den Rath, – und meine Erfahrung hat mich gelehrt, wie gut und heilsam er ist, – bei allem, was euch auf dem Wege des Lebens begegnet, legt euch drei Fragen vor: was ist die Sache? – woraus ist sie entstanden? – was wirket sie? – Freilich werdet ihr diese Fragen nicht jedesmal befriedigend beantworten können; ja manchmal wird ein undurchdringliches Dunkel auf der einen, oder andern liegen, indem ihr bey aller Anstrengung auch nicht einen Strahl des Lichtes entdeken könnt. Laßt euch aber das nicht schreken, und gebt das Räthsel nicht verlohren, wenn der Knoten desselben auch noch so verwikelt ist. Je länger ihr das Geschäfte des Nachdenkens treibt, je müheloser, und je fruchtbarer wird es für euch werden. [127] In allen Dingen ist der Anfang das schwehrste; aber hat man die erste Kuppe im Wege einmal hinter sich, so lohnt der schnellere und leichtere Gang hinter ihr, die Mühe reichlich, mit der wir sie erklettert haben. – Ich hab' euch hier mein ganzes Geheimniß verrathen; – doch was die Natur so laut verkündigt; ist des Namens eines Geheimnisses nicht werth. – Wollen wir nicht mehr seyn, als die Thiere, so können wir unsern Geist immerhin in einer ewigen Brach liegen lassen, und so gedankenlos an den Dingen vorüber gehen, als der Haushahn am Edelstein, den die unvorsichtige Kammermagd mit dem Kehricht auf den Mist geworfen hat. – Aber wir sind Menschen, – und wir hören auf es zu seyn, so bald wir das Pfund, mit dem wir vom Schöpfer ausgesteuert worden sind, hinwegwerfen, und gerade die Vollkommenheit, die uns über alle andere Geschöpfe [128] erhebt, mit schnöder Verachtung in den Koth treten. Wol bleibt uns noch die Gestalt des Menschen; aber die Mauern einer verbrannten Burg bleiben auch manchmal stehen, und scheinen in der Ferne so täuschend, daß man sie für die schönste Ritterwohnung hält. Tritt man aber näher hinzu, so findet man weiter nichts, als eine öde Klause für traurige Käuzlein, und lichtscheue Unken.«
In seiner Meinung, von dem wahren Werthe des Ritterstandes, erhub sich Fidel weit über die Vorurtheile seiner vom Wahn gegängelten Zeitgenossen. »Wir sind ritterliche Leute,« sprach er, »und unser Vaterland hat uns eine Menge Rechte und Würden, vor dem grossen Theile unsrer Nation, eingeräumet. Diese uns zugedachten Vortheile, sind im Grunde ein Erbgut, das uns unsre Voreltern mit ihren Burgen, Lehen und Hintersaßen, hinterlassen haben. [129] Denn wir geniessen dieselben dann schon, wann wir uns noch keine Verdienste erworben haben, die uns auf ausgezeichnete Rechte und Ehren Anspruch machen liessen. Aber dieß Erbgut ist nicht so beschaffen, wie andre Habe, die sie uns hinterlassen. Diese bleiben so lang unser gerechtes Eigenthum, so lange wir sie nicht, auf irgend eine Weise, an einen andern abtreten; jene Vortheile und Würden aber gehen immer nur unter der Bedingung auf uns über, daß wir uns ihrer durch Tugend und Biedersinn werth machen. Fragt, Männer! fragt euer eigenes Gefühl, und das wird euch lehren, daß niemand um deßwillen aufhöret, der Eigenthumsherr seiner Burg, seiner Huben, und seines Geldes zu seyn, weil er ein schlechter, schurkenhafter Geselle ist. Aber eben dieses Gefühl wird euch auch auf der andern Seite sagen, daß Ehre und Schätzung unmöglich demjenigen gebühren könne, der durch nie [130]drigen Sinn und Lasterhaftigkeit von der Tugend seiner Voreltern ausartet. Ihr Gut mag er immerhin behalten, weil der Besitz desselben vom sittlichen Werthe des Mannes unabhängig ist; aber die Verehrung und Auszeichnung, die nach dem unwidersprechlichen Urtheile der Vernunft nur dem Verdienste gebührt, fordert er auf die ungerechteste Weise, so lange er dieses Verdienst nicht besitzt. Genießt er sie aber doch, so prangt er mit einem entlehnten Kleide, und wird dadurch lächerlich bei jedem der den Grund seiner Ansprüche auf Ehre und Achtung kennt. – Ich bitte euch, edle Männer! daß ihr diese Wahrheiten wol beherzigt. Denn sie lehrt euch den Werth der Glieder unsers Standes richtig abwägen, und führt euch auf die Bahn hin, auf der ihr allein ritterliche Leute von ritterlichem Sinne werdet. – Sehen wir umher in unsrem deutschen Vaterlande, auf die Leute [131] unseres Gelichters, so muß es uns bald bemerkbar werden, daß der größte Haufen derselben den Ritterstand schändet, und sich aller ritterlichen Ehren unwerth macht. Denn was sind nun beinahe alle unsre Ritter anders, als trotzige, gewaltthätige, hoffärtige Buben, die sich keiner Lasterthat mehr schämen, und durch Trug und Hinterlist mehr Unheil stiften, als durchs Schwerdt. Sie sehen das Gut schwacher, armer Leute für ihr Eigenthum an, und der geraubte Bissen, schmekt ihnen besser, als der erworbene. Voll heisser Gier streben sie der jungfräulichen Unschuld nach, und tragen kein Bedenken ehrlicher Leute Ehebett zu besudeln, oder die geweihten Mauren der Frauenklöster zu besteigen. Sie verachten die Gesetze des Kaisers und des Lehnsherrn, und lachen dem strafenden Pfaffen Hohn. Mächtig schwingen sie das Schwerdt über die Köpfe ihrer Hintersaßen, und grausam [132] toben, und stürmen sie hinter dem flüchtigen Hirsche. Aber desto feiger stehen sie in der Stechbahn. Erschallt das Aufgebot zum Heereszuge so fällt ihnen das Herz in den Hosensak, und werden sie befehdet, so wissen sie von keinen Waffen, als von den Mauern ihrer Burg. – Und nun der Ehre, die unsre gottseligen Voreltern, der Tugend und dem Verdienste zuerkannt haben, sollten diese ausgearteten Enkel ihrer Väter würdig seyn? – Mit nichten! Wahn und Spiegelfechterei ist unsre Ritterwürde, und elendes Spielwerk, ob dem der Weise lächelt, –ist sie nicht auf die Würde der Gesinnungen und des Verhaltens gegründet. – Voll Ehrfurcht gegen Gott, voll Treue gegen den Kaiser, voll Achtung für die Gesetze der Ritterschaft fest in seinen Versichrungen, bider in seinen Anschlägen, truglos in seinen Unternehmungen, Beschützer der Armuth, Schirmer der Unschuld, Rächer der Boßheit, Meister seiner Begierden, [133] tapfer und kühn, unerschütterlich in seinem Gange, allen Gefahren trotzend und den Tod verachtend, – sey der deutsche Rittersmann, und ist er das, so ist sein Adel reiner, als der Adel des Kaisers, und kein Bann und Acht ist im Stande ihm denselben zu rauben!«
Nicht minder frei urtheilte er über die höchst verdorbene Klerisey seines Zeitalters. »Ich ehre,« sprach er, »unsern heiligen Glauben, als ein Geschenk aus der Hand der Gottheit, das Ruhe, Trost und Hoffnung in unsre Seelen geußt; aber um deßwillen sind mir nicht auch die Diener dieses Glaubens ehrwürdig. Ja wären sie was sie seyn sollten, Priester und Lehrer, die durch Weißheit und Tugend dem großen Haufen auf dem Pfade des Lebens vorleuchten, o! dann verdienten sie, all' die Würde, auf die sie, oft mit der unverschämtesten Zudringlichkeit, Anspruch machen. Aber sie haben sich un [134]endlich weit von dem Muster der Apostel unsres Herrn entfernt, und begnügen sich damit, daß sie das nur scheinen, was sie seyn sollen. Ja ein großer Theil von ihnen, legt auch sogar den Schein der Würdigkeit ab, und wälzet sich mit einer Frechheit im Lasterpfuhle, die man unter den Ungläubigen kaum größer findet. Unser Herr wandelte in Knechtsgestalt auf der Erde, und hatte nicht, wo er sein Haupt hinlegte; unsre Bischöfe und Aebte aber haben Land und Leute, Wagen und Rosse, Lehnsmannen und Untersassen, wohnen in Pallästen von Reichthum und Pracht, und schlafen auf Betten von Pflaum und Eiderdun. Unser Herr war froh, wenn er von einem gastfreien Juden zum Mittagsmahle eingeladen ward, und stillte wol auch seinen Hunger mit den Waizenkörnern, die er aus den Aehren drükte; unsre Pfaffen aber schwelgen an reichbesetzten Tafeln, saufen auslän [135]dische Weine, und lassen sich kostbare Spetzereien ans Welschland und Asien kommen. – Unser Herr trug einen schlechten Rok von Linnen, und zog zu Fuß, an einem Stabe, im Lande umher; unsre Pfaffen aber tragen Ketten aus Gold und Edelstein, und Kutten aus Purpur und Seiden, auch fahren sie in prächtigen Wägen, oder reiten auf Mainthieren von einer Abtei zur andern. – Unser Herr brachte den Menschen den Frieden, und hieß den tollkühnen Peter das Schwerdt in die Scheide steken; unsre Aebte halten große Harste gerüsteter Knappen, ziehen gegen einander zur Fehde aus, und färben die Schwellen ihrer Thüren, mit dem Blute ihrer Feinde. – Männer! bemerkt diese lauten Widersprüche, worinn die Jünger mit ihrem Meister stehen, und lernet sie darob verachten. – Wollt ihr sie noch genauer kennen, so gehet in die Pfarrhöfe der Leutpriester, und in die Klöster [136] der Mönche und der Nonnen. Ihr werdet schaudern vor den Geitzhälsen, Wüthrichen, Trunkenbolden, Lüstlingen, Huren und Bastarten, die euch da überall begegnen. Ja ich sage euch, in manchem Nonnenkloster wird des buhlerischen Unwesens mehr getrieben, als in dem berüchtigtsten Frauenhause des ganzen deutschen Reiches. – Und diese Wüstlinge nennen sich Diener Gottes und der Kirche, massen sich an Sünden zu vergeben und zu behalten, nennen die Könige ihre Söhne und ihre Lehensträger, und streken ihre, vom Blute triefende Hände, nach dem Leibe des Erlösers aus. Pfui ihnen! Laßt uns, Gefährten! laßt uns andächtig und fromm seyn, und für unsern Glauben Leib und Leben wagen. Aber jedes Haar von eurem Haupte, das ihr für die Pfaffen wagt, ist schändlich verschwendet. Ein biderer Rittersmann, der seine Würde fühlt, kann ihnen gegen [137]über nichts thun, als sie hassen und verachten!«
»Tausende aus dem Abendlande,« bemerkte er bei einer andern Gelegenheit, »ziehen jährlich nach Palästina, um die Fahne des Glaubens bei dem Grabe Jesu wehen zu sehen, und die Erde zu küssen, die seine heiligen Füsse betreten haben. Ich muß euch aber gestehen, meine Gefährten! daß ich von den Fahrten ins heilige Land äusserst wenig halte. Zwar denket ihr etwa, ich schlage mich mit diesem Geständniße selbst ins Angesicht? Allein mich trieb eine besondre Absicht dahin, nämlich die Aufsuchung meines Burgherrn, dem ich versprochen hatte, bis zu seiner Wiederkunft seine Haabe zu beschirmen. Da er auf die bestimmte Zeit nicht eintraf, so hätt' ich ohne bundbrüchig zu werden, sein Haus verlassen können. Aber ich bin gewohnt, nicht blos nach den Gesetzen der Gerechtigkeit, die oft für [138] den einen Theil sehr drükend werden, sondern auch nach den sanftern Gesetzen der Billigkeit, zu handeln. Deßhalb kam ich, um zu erkunden, ob er noch lebe, oder ob er tod sey, und ihn dann im erstern Falle in sein Heimwesen zurükzuführen, im letztern aber die Aufträge zu erfüllen, die er mir, als er schied, in Rüksicht auf denselben gegeben hat. Mein Zug ins heilige Land hat also, wie ihr sehet, seine Gründe. – Nicht so dünkt es mich bei dem großen Haufen der Pilger zu seyn, die jedes Frühjahr, einem ausreissenden Strohme gleich, die östlichen Länder von Europa überschwemmen. Einige ergreifen den Pilgerstaab, um beim Grabe Jesu Sühnung für ihre Sünden zu suchen; andre um eines geschloßnen Gelübdes ledig zu werden; und wieder andre, um die Ungläubigen zu befehden, die bisher, nach ihrem Dünken, das heilige Land entweihet haben. Die ersten und andern handeln [139] äußerst thöricht. Denn will ihnen Gott ihre Missethat vergeben, so seh' ich nicht ein, warum er es nicht auch thun sollte, wenn sie zu Hause bleiben. Wäre die Wanderung zu Jesu unumgängliche Bedingung der Vergebung, so wären alle die in ihren Sünden gestorben, die in der Vorzeit, bevor diese Wallfahrten aufgekommen sind, gelebt haben. – Was die Gelübde betrift, so däucht es mir, es könne der Bruch derselben, sind sie anders vernünftig und fromm, durch eine Pilgerfahrt unmöglich gut gemacht werden. Denn von der Pflicht, etwas frommes und gutes zu thun, kann uns nichts befreien, kröchen wir auch auf den blosen Knien, um die ganze Erdkugel herum. Thörichter und eitler Gelübde können wir uns aber selbst entbinden, sobald wir ihre Thorheit gewahren, ohne Wallfahrt, ohne Opfer, und ohne Pfaffen. – Die streitlustigen Pilger aber greifen der Vorsehung [140] in ihr Amt. Denn ist es der Wille derselben, daß den Christen der ruhige Besitz des heiligen Landes nicht gegönnt seyn soll, so werden die Heere aller abendländischen Könige nicht zureichen, die Ungläubigen zu vertilgen. Hat sie aber beschlossen, daß wir Meister desselben bleiben sollen, so ist das Häuflein Reisiger und Fußknechte, das zu Jerusalem liegt, stark genug, den Anfällen der Helden zu widerstehen. – Wir beschwehren also unsre Gewissen nicht, wenn wir einst unsern Waffenbrüdern und Hintersaßen treulich zusprechen, daß sie im Lande bleiben, und sich redlich nähren. Zumal da so viel Gefahr, Noth und Unglük mit den Zügen ins heilige Land verbunden ist. Denn wie wenige kommen wieder zurük? Viele frißt das Schwerdt, viele erwürgt der Hunger, und die andern verschlingt das Meer. Und diese werden noch beneidet von den Ungastlichen, die lebendig in die Hände [141] des Feindes fallen, und dann in bittrer Knechtschaft die Stunde ihrer Geburt vermaledeyen. Die wenigen aber, denen es glükt wiederzukommen, was sind sie anders als Tagdiebe, die, das Umherfahren, Bettlen und Rauben gewohnt, eine abentheuerliche Lebensweise ergreifen, und das Brod nicht mehr erarbeiten, sondern stehlen? – Und was bringen sie uns mit? Schändliche Laster, die man vorhin auf dem deutschen Boden nicht kannte, und Reliquien, die sie vielleicht auf dem Schindanger ihres eignen Dorfes aufgelesen haben.« –
So sprach der kluge Reiter viel mit seinen Reisegenossen, und versüßte ihnen durch seine weisen und unterhaltende Reden, alle Gefahr und alle Beschwerlichkeit ihres Zuges.
Sie waren noch jenseits des Hellesponts, aber nicht mehr ferne von seinem Ufer, als die Gesellschaft der Pilger mit einer neuen Person vermehrt wurde. Es war Abend, und regnerisch trübe der Himmel. Fürchterlich heulte der Sturm aus dem nahen Gebürge in die Ebene, und fernes Wetterleuchten erhellte das grause Dunkel. Am Wege ersahen die Ritter eine ziemliche Rasenhütte, unter Bäumen, von keinem Menschen bewohnt. Sie beschlossen in ihr zu übernachten. Die Knechte banden die Pferde ins Gebüsche. Alles lagerte sich in der Hütte, und Fidel erzählte erbauliche und kurzweilige Mähren.
Jach unterbrach ihn der Wächter, der mit den Worten in die Hütte stürzte: »Zu den Waffen, Männer! ich höre eine Rotte Ungläubiger des Weges kommen« Sie traten heraus, und fanden die Rede des Knappen bestätigt. [143] Sie hörten ein lautes Geschwätz aus der Nähe, und die Sprache war die Sprache der Sarazenen. Schleunig sassen sie aus, und rükten ihnen entgegen. Fidel setzte sich an die Spitze des Trupps. Etwa acht Männer zogen zu Fusse einher. Ein leeres Pferd führten sie hinter sich. Die Ritter sprengten mit den Knechten schnell auf sie an, und trotzig sprach der Kochenburger: »Sagt an, seyd ihr Freunde oder Feinde?« Er hatte noch nicht ausgeredet, als eine Stimme aus der Rotte der Fremdlinge schallte: »Gott! die Sprache meines Vaterlands! rettet mich bidre, deutsche Männer! aus der Ungläubigen Händen!« – Ungestümm fielen die Ritter über die Räuberhorde her, und mächtig schlugen sie mit den Schwerdtern drein. Uebermannt, liessen diese ihren Gefangenen und ihre Beute, und sprangen ab dem Wege ins Gebüsche, [144] wo kein Reisiger sie verfolgen konnte. »Feige Schurken!« brüllte Ulrich ihnen nach in den Wald. – »Aber Tyrannen an Grausamkeit den Tigern gleich!« wimmerte der Gefangene. – »Sehr begreiflich;« – erwiederte Fidel von Kochenburg – »denn die Tapferkeit ist nie grausam, nur die Feigheit ist es!« – Die Knechte machten die Hände des Gefesselten ledig, setzten ihn auf sein Thier, und triumphirend gieng der Zug wieder in die Rasenhütte zurük.
»Wer seyd ihr, lieber, unbekannter Mann!« fragte Fidel den Geretteten, als sie sich in der Hütte niedergelassen hatten.
»Laßt mich,« erwiederte dieser, »laßt mich, bidrer Ritter! eure Knie umfassen, und meinen Dank ausweinen in euren Schooß. Ich vermag nicht zu stammlen, was ich fühle, gegen euch und gegen eure tapfern Knappen.« [145]
»Ihr habt das eure nun schon gethan,« sprach der Kochenburger. »Wir kämpfen nicht für Bedrängte, damit unsre Ohren durch den Wohlklang des Dankes gekitzelt werden. Brave Ritter thun das Gute nur aus Drang des Pflichtgefühls. – Wolan denn, sagt wer ihr seyd«
Auf das erzählte der Gerettete sein Herkommen, und sein Schiksal. »Ich bin,« sprach er, »auch edlen Geblütes. Meine Sippschaft wohnt am Strande des Rheins. Poppelen von Vogelsburg ist mein Name. Mit dem zweiten Kreuzzug gieng ich ins heilige Land, und schwuhr auf in der Verbrüderung der Hospitaliter. Schon manchen Zug hab' ich mitgemacht gegen die Ungläubigen, schon mancher Sarazenenkopf fiel, gespalten, durch meine Hand, schon manche schöne Beute hab' ich zu unserm heiligen Schatz niedergelegt. Aber das Geräusch der Waisen, und der Anblick [146] sterbender Feinde, konnten die süssen Gefühle kindlicher Liebe in meinem Herzen nicht erstiken. Ich habe auf meiner Burg einen alten Vater, der fromm, und edel, und waker ist, wie es wenige im Rheingau sind. Entschlossen, ihn noch einmal zu sehen, und ihm, durch den Anblik seines liebsten Sohnes, noch eine hohe Freude zu machen, ehe seine grauen Haare in die Grube fahren, sattelte ich mein Roß, und begann, begleitet von einem Knechte, den Zug ins Vaterland. Glüklich kam ich bis hieher, und glüklich hofte ich auch weiter zu kommen, weil ich es für unmöglich hielt, daß der Himmel es gestatten würde, daß dem frommen Greise eine Wonne verderbt werden dürfte, die so unschuldig und so rein, und so sehr beseeligend für ihn seyn muste. Aber auf eine Weise ward mein Glaube erschüttert. Ohnferne dieser Hütte, fielen mir die feigen Schurken, die beim Anblike eurer Schwerdter [147] so schändlich geflohen sind, hinterlistig in den Rüken, wie der laurende Luchs dem sorglosen Hasen in den Naken fällt. Lange leisteten wir ihnen tapfern Widerstand. Mein treuer Knecht, nachdem er wie ein Löwe gestritten hatte, fiel von dem Lanzenstiche eines der Räuber. Vereint drang nun die ganze Rotte auf mich los. Mit einem langen Speer durchbohrten sie meinem Roß die Brust, und sterbend stürzte es unter wir nieder. Ich ward wehrlos und gefangen. All' meine süssen Hoffnungen waren mit einem male vereitelt, und von der Ritterschaft zur Ehre Jesu, sah' ich mich plötzlich in den kummervollen und verächtlichen Sklavenstand herabgewürdigt. Die Räuber zogen mich aus, und führten mich, gebunden, des Weges zu ihrer Mördergrube. Der Himmel schikte aber euch, daß ihr mich erlöstet. Ja – ich wiederhole es – ich vermag es nicht, die Gefühle meines Herzens [148] auszudrüken. Heischet von mir! Mit allem was ich habe, steh' ich euch zu Gebote. Leben und Freiheit bin ich euch schuldig. Mit beiden bin ich bereit euch zu dienen.«
Ritter und Knechte freuten sich der That, die ihnen gelungen war, und der Wonne, mit der Poppelen seine Errettung pries. Sie blieben gerüstet und waker bis der Tag anbrach, zogen dann freudig und mit erneutem Muthe weiter, setzten sich an diesem Tage, am Ufer des Meeres ins Schiff, und fuhren glüklich über den Hellespont an die Küste Griechenlands herüber. Sonder verweilen setzten sie ihren Zug fort, und kamen schneller als sie geglaubt hatten, in jenen schönen Gauen an, wo sich die Fluthen der Donau über die Gränzen des Vaterlandes wälzen, um die fetten Ebenen des Hungerlandes zu bespühlen.
»Sey mir gegrüßt, vaterländische Erde! – jauchzte Ulrich in hohem Wonnegefühl, als sie die Gränze erreicht hatten – sey mir tausendmal willkommen! – große Noth und große Fährlichkeit hab' ich erlitten, aber – ha! welch' ein herrlicher Lohn ist mir bereitet? – Jutta! die mir holde Minne lächelt, –ja Jutta – die schönste und edelste der Weiber von der Donau bis zum weinreichen Strande des Rheins – ist mir zum Lohn beschehrt! Sie wird mir die Krone aufsetzen, zum Dank für alles Ungemach, das ich ihrethalben geduldet habe, – und süß wird in ihren Armen die Erinnerung mir seyn, an den Kampf in dem ich einen so schönen Preis errung!« –
»Nicht so zuversichtlich, Ritter Ulrich!« sprach der Kochenburger warnend, – »eine lange Streke Weges liegt noch vor uns, und tausendfache Gefahr haben wir noch zu überwinden.« [150]
Ulrich. Laßt mir meine süssen Träume, wakerer Fidel! Was können wir anders, als träumen, so lang das Kleinod, nach dem wir streben, noch ferne von uns liegt!
Fidel. Träumen? – Wer kann sich mit Träumen ergötzen, wenn er wol weiß, was sie sind? – Heißt das nicht den Schatten einer Sache, für die Sache selbst nehmen?
Ulrich. Meine Träume sind aber ihrer Erfüllung nahe. Eher wälzen die Fluthen des Strohmes sich aus ihrem Bette über dieß Gebürge, als daß sie mich trügen.
Fidel. Wenn sie euch aber doch trügen?
Ulrich. Dieser Fall ist so unwahrscheinlich, daß er im Verhältniße mit der Wahrscheinlichkeit seines Gegentheils beinahe ganz verschwindet.
Fidel. Er ist aber doch nicht unmöglich. Unzähliche Umstände lassen sich dünken, die eure Dirne entweder auf eine geraume [151] Zeit, oder wol gar aus euer ganzes Leben von euch entfernt halten können.
Ulrich. Warum soll ich mich aber mit der Vergeltung unwahrscheinlicher Unglüksfälle quälen?
Fidel. Quälen sollt ihr euch nicht damit. Das wäre gewissermassen noch thörichter als euer fester Glaube, an die Unfehlbarkeit eurer Wünsche. Ich sage nur das eine: der weise Mann vergißt es nie, daß ein Glük, das ihm erst entgegen lächelt, noch nicht in seinen Händen ist, und daß es ihm wol gar dann noch entwunden werden kann, wenn er schon die Hand ausstrekt, es zu ergreifen.
Ulrich. Das dünkt mich wahrlich! nicht weise. – Denn wird der Genuß eines Gutes nicht in dem Maaße vermehrt, je länger und je lebhafter sich der Geist mit der Vorstellung seines Werthes beschäftigt? [152]
Fidel. Mit nichten, mein Ulrich! Ich behaupte gerade das Gegentheil. Jeder Genuß ist beseeligender, je weniger sich der Geist deß, dem er zu Theil wird, vorhin damit beschäftigt hat. Je nachdem unsre Einbildungskraft in der Vergegenwärtigung eines abwesenden Gutes schweiget, je nachdem verliehren wir im wirklichen Genusse. Denn einmal hat dieser für uns nicht mehr die Reitze des Neuen und Ueberraschenden; und dann, liegt er gewöhnlich auf der Stuffe des Angenehmen noch um einige Grade tiefer, als wir uns geträumet hatten. Mißbehagen ist daher meistenteils die erste Empfindung beim Genuße, das aus dem Gefühle der Falschheit unsrer Hoffnungen entstanden ist, und siehe! der Augenblik, von dem wir uns soviel versprachen, wird uns auf die bitterste Weise vergällt.
Ulrich. Ich kann von Jutta unmöglich zuviel hoffen. [153]
Fidel. Das, lieber, junger Mann! ist die Sprache aller derer, die mit euch in den nämlichen Fehler fallen. Eben weil jeder sich beredet, daß seine Einbildungen immer noch den wirklichen Genuß nicht erschöpfen, wird selten einer auf den richtigen Pfad zurükegeführt. – Aber auch das eine verdient Beherzigung, daß der, der in seinen Hoffnungen bescheiden ist, die Vereitlung derselben mit weit größrer Gelassenheit ertragen wird, als der andre, der mit unbeschränkter Zuversicht hofft, und sich sein Ziel immer nur unter den reizendsten Bildern denkt. – Für ihn wird der Genuß größer, und der Verlust erträglicher.
Ulrich. Ihr habt vielleicht Recht, Ritter! Aber ich bitte euch, laßt einem Liebenden seine Träume!
Fidel. Mögt ihr sie immerhin behalten. Aber sehet zu, daß ihr nicht mit Schreken aus ihnen erwachet.
Was der biedre Kochenburger befürchtet halte, ward, leider! bald darauf zum Theil erfüllt. Die Ritter trennten sich bei der Mündung der Ens. Fidel zog längst der Donau hinauf, geradenwegs dem Brenzgau zu. Poppelen von Vogelsburg begleitete ihn. Ulrich aber lenkte mit Bertholden auf die Seite, um seine Muhme zu besuchen, die an Jobsten von Krembsek vermählt war. Auf Herwartstein hoften sie alle sich wieder zu finden.
Ulrich hatte mit seinem treuen Gefährten die erste Tagreise noch nicht vollendet, als sie zu ihrer linken Seite, auf einem niedrigen Hügel, eine stattliche Burg gewahrten. »Wird wol Krembsek seyn,« sprach Berthold, »wo eure fromme Muhme hauset?« – »Nein,« entgegnete ihm der junge Ritter; » Krembsek liegt, wie ich von meinem Vater, den Gott trösten wolle, [155] oft gehöret habe, auf einem schroffen Felsen, der mit dem Gebürge zusammenhängt, und in einer rauhern unwirthbarern Gegend, als dieser hier um uns her. Indeß da der Tag sich zu neigen beginnt, und ich des Reitens müde bin, wollen wir bey dem Herrn dieser Burg zusprechen, und ihn auf diese Nacht um Schutz und Herberge bitten. Einer seiner Knappen geleitet uns dann wol morgen zu meiner Muhme, daß wir sichern Weges in das ihre kommen.« Die Ritter lenkten auf die Seite ab, und zogen der Burg entgegen.
Der Wächter auf der Warte öfnete ihnen, ohne sie weder um ihre Namen, noch um ihre Werbung zu befragen, das Gitter von der Brüke. Unbesorgt ritten sie ein, und banden ihre Pferde an das Thor.
Ein dumpfes Geräusch schallte ihnen entgegen, als sie in den innern Hof der Veste traten, und schmetternd ward die Thüre [156] hinter ihnen zugeschlagen. Ein großer Haufen bewafneter Männer stürzte aus dem innern Thor, und drängte sich mit einem wilden Geschrei gegen die beiden Ritter an. – »Entwafnet sie« – rief eine Stimme aus dem Fenster, »und werft sie nieder!« Bestürzt standen Ulrich und Berthold, und durch das Unerwartete des Auftrittes aus aller Fassung gebracht, vermochten sie es nicht, den stürmenden Männern Widerstand zu leisten. Nach einer Pause sprach Ulrich: »Männer, welcher unter euch ist der Burgherr, daß ich mit ihm ein Wort zum Beweise unsrer Unschuld rede?« – »Keine Beratschlagungen,« rief die vorige Stimme aus dem Fenster, – »sie sind es, – fort mit ihnen ins Burgverließ!« – »Ihr verkennt uns« – fuhr Ulrich fort – »oder ist diese Burg die Wohnung eines Räubers!« – »Nein,« erwiederte der Knappen einer, »die Wohnung [157] eines bidern Ritters, der nur Verbrecher züchtiget!« – »Nun denn,« antwortete Ulrich – »so nehmt mein Schwerdt! Wenn wir unter ehrlichen Leuten sind, so wird auch unsre Ehrlichkeit an den Tag kommen. Nur zaudert nicht, unsre Vertheidigung zu hören.« – Die Knappen führten den Rosensteiner samt dem Edelknechte ins Burgverließ, und riegelten die Thüre hinter ihnen zu.
»Unfall über Unfall –!« sprach Ulrich mit steigendem Mißmuth; »wie wahr hat Fidel von Kochenburg gesprochen, als er an der Gränze des Oesterreichs mir sagte: alle Gefahr ist noch nicht überstanden!«
Berthold. Leider, daß seine Prophezeiung so bald eintreffen mußte!
Ulrich. Und doch blieb ich beim ganzen Handel so ruhig und gelassen, wie ich mir es nie zugetraut hätte. [158]
Berthold. Auch ich war es, und bin es noch, weil ich mich keiner Lasterthat zu entsinnen weiß, durch die ich den Zorn des Burgherrn gereizt haben könnte. Ein ruhiges Gewissen, Ritter! ist der stärkendste Balsam im Unglük!
Ulrich. Mein Gewissen ist so rein als das deine, und doch fühl ich mich, seitdem ich in diesen Kerker gestossen bin, immer mehr entrüstet. Wie leicht, daß wir hier Wochen oder gar Monthe lang im Verhaft gehalten werden? – das würd' ich nicht ertragen. Je näher ich auf unserm Zuge dem Vaterlande kam, je mächtiger fühlt' ich mich zu meiner Dirne hingerissen. – Ja die Sehnsucht zersprengte mir das Herz, müßt' ich lange in diesem dumpfen Kerker liegen.
Berthold. Ich hoffe wir sind morgen wieder frei. [159]
Ulrich. Hoffe nicht zu viel, wakerer Mann! – Erinnerst du dich der Worte des weisen Kochenburgers nicht mehr. Einmal sind sie nun schon bestätigt.
Berthold. Man wird uns sonder Zweifel über das Verbrechen befragen, deß man uns schuldig hält. Ungehört verdammt kein rechtlicher Mann seine Gefangenen.
Ulrich. Ich traue dem Herrn dieser Burg jede Tyrannei zu. Sah' er nicht, daß wir Leute ehrbaren Standes sind, die, auch im Fall eines Verbrechens, auf seine Achtung Anspruch haben? – Wär' er gerecht, er hätt' uns nicht ungehört in den Verhaft geworfen.
Berthold. Er verbessert etwa das in der Stunde der Besinnung, was er uns in der Stunde der Leidenschaft erwiesen hat.
Ulrich. Dein etwa kann meine Hofnung nicht vermehren. – Welcher böse Geist gab mir doch den Gedanken ein, Herberge zu suchen auf dieser Burg? [160]
Berthold. Laßt den Zorn nicht Meister werden über euch, Ritter! – das Räthsel wird sich lösen. Wir kommen wol eher aus diesem Burgverließ, als aus dem Felsenneste von Kalebu. – Glaubet nur, die Vorsehung hat uns nicht aus den Händen der Heiden gerettet, um uns zu Schlachtopfern der Ungerechtigkeit unsrer Glaubensgenossen zu machen!
Ulrich. Ihre Wege sind unerforschlich.
Berthold. Aber weise und gut!
Unruhig schlummerten die Ritter, und voll sehnender Erwartung des kommenden Tags.
Der Burgvogt öfnete den Kerker, und hieß die Gefangenen ihm folgen. »Kommt,« sprach er, »daß ihr Rede und Antwort gebet, über die Frevelthat, der ihr überwiesen seyd!« – »Wie?« – erwiederte Ulrich bitter – »wehe uns, wenn bei euch ehrliche Leute für Verbrecher gelten, [161] ehe man sie gehört hat!« Sie giengen mit dem Burgvogte die Wendeltreppe hinauf, von zweien bewafneten Knechten begleitet.
In einem großen Gemach sassen auf der steinernen Bank zehen Männer umher; der Burgherr, seine Mannen, und ein Mönch. Zwo brennende Kerzen und ein Kruzifix standen auf dem Tisch. Ein bloses Schwerdt lag neben dem Bilde. Der Burgherr, ein betagter Greis, saß gebükt und traurigen Blikes unter den edlen Männern, und tiefer Gram mahlte sich auf seinem runzlichten Gesichte. Strafend sahe er auf Ulrichen und seinen Genossen, als sie ins Gemach traten; zürnend blikten auf sie seine Mannen. Der älteste von diesen redete die gefangenen Ritter an.
»Männer« – so redete er – »wer ihr auch seyd, ihr steht hier vor einem Gerichte, in dem über Leben und Tod ge [162]sprochen wird. Bekennet euer Verbrechen, und schaft uns den Raub wieder, den ihr uns entwendet habt; und ein barmherziges Gericht wird über euch ergehen!«
»Schaft mir den Raub wieder, den ihr mir entwendet habt!« wiederholte der alte Burgherr.
Ulrich ergrif das Wort. »Ich glaube,« sprach er, »daß ich unter ehrbaren Leuten bin, die die Gerechtigkeit lieben, und das Unrecht hassen. Um deßwillen hoffe ich, daß ihr uns nicht unschuldig verdammen, sondern unsre Verteidigung erst hören und prüfen werdet. Ich bin ein Ritter aus dem Schwabenlande, Ulrich von Rosenstein genannt, und dieser, mein Gefährte, ist einer von meinen Dienstleuten, und heißt Berthold von Bargau. Wir kommen zurük aus dem heiligen Land, wo ich den Vater meiner Braut aufgesucht habe, der verschollen ist. Gudula von [163] Krembsek ist meine Muhme, und um mir ihren Segen zu meiner Heirath zu holen, lenkte ich ab vom Donaustrohme in eure Gauen. Truglos und ohne Arges im Herzen ritt [ich] in diese Burg, eure Gastfreiheit auf eine Nacht zu genießen. – Gott, der die Herzen aller Menschen durchspähet, sieht auch in das Meinige, und weiß, daß ich mit so friedlichem Sinne kam, wie das Lamm in seinen Stall. Auch für meinen Dienstmann bin ich deß alles Bürge. – Nennt nur das Verbrechen, deß ihr uns für schuldig haltet!«
»Ihr habt« – fuhr der Sprecher unter den Mannen fort – »unserm gestrengen Herrn, Walthern, Grafen von Wolfengau, seine Tochter geraubt, und durch ein untrüglich Zeugniß ist diese eure Frevelthat dargethan!«
»Unbegreiflich!« erhuben die beiden staunenden Ritter zugleich ihre Stimme, [164] und sahen, kühnen Blikes, im Gefühle ihrer Unschuld, auf die Versammlung umher.
»Ja, meine Tochter habt ihr mir geraubt! sagte der Graf in bitter strafendem Tone – gebt mir meine Tochter wieder, oder ihr fühlet den ganzen schreklichen Zorn, eines aufs äußerste beleidigten Vaters!«
»Gebt mir meine Braut wieder« – rief einer von den Mannen – »ihr Jungfernräuber! und zittert vor der Rache eines aufs äusserste beleidigten Bräutigams!«
»Redet noch nicht von Rache« – entgegnete Ulrich mit Entschlossenheit – »bevor ihr uns des Verbrechens überführt habt, deß ihr uns bezüchtigt. Wir sind so gut edlen Geblütes als ihr es seyd, und mit Achtung sollt ihr uns behandeln, so lange noch nicht dargethan ist, daß wir uns ritterlicher Ehre durch ein Bubenstük unwürdig gemacht haben. Führt den Zeugen auf, der uns des Frevels überführe, deß wir von euch bezüchtiget werden!« [165]
Feierlich erhub sich der Pfaff von seinem Sitze und sprach: »Gott ist der Zeuge eurer That, und hat den Schleier der Verborgenheit, den ihr so trügerisch darüber hinzuwerfen wußtet, hinweggezogen. Wir baten ihn gestern, nach frommer Vorbereitung, um die Entdekung des Räubers, und durch die geheime Gewalt, die mir von ihm, über die Geister des Himmels und der Hölle gegeben worden, nöthigte ich diese, den Thäter des gräulichen Frevels herzuführen, in meines gestrengen Herrn Burg. Kaum waren die Beschwörungen geendigt, so rittet ihr her im Felde, geraden Weges den Händen der Gerechtigkeit entgegen. Himmel und Hölle haben gegen euch gezeugt, und einem solchen Zeugniß untersteht ihr euch, noch einen Augenblik zu widersprechen«
»Männer, sprach Ulrich, ihr seyd betrogen! – Wie konntet ihr die Enthül [166]lung eines Geheimnisses von einem nichtswürdigen Gaukler fordern, der den Namen Gottes so schändlich mißbraucht!«
»Schweige, Unverschämter!« erwiederte der Pfaffe; – »solltest du einen Diener Gottes und seiner heiligen Kirche also schelten?«
»Nein,« fuhr Ulrich mit großer Heftigkeit fort, – »du bist kein Diener Gottes, ein trügerischer Schurke bist du, der ehrliche Leute zum Opfer seiner Gaukelspiele macht. – Aber, Ritter! so handeln ehrbare Männer in unserm Lande nicht. Zur Entdekung des Geheimnisses der Bosheit kennt der schwäbische Rittersmann kein ander Mittel, als sein Schwerdt!«
»Halts Maul, Trutzkopf!« – sprach der Graf; – »glaubst du etwa, du werdest uns durch dein Ungestüm betäuben?«
»Ich will euch nicht betäuben, erwiederte Ulrich; – ich verlange nur Recht [167] und Gerechtigkeit. Von beiden werd' ich aber wol keines unter euch finden.«
»Stille Männer,« begann der Sprecher der Edelknechte. – »Es ist des Zankens nun genug. Wir sitzen hier um die Wahrheit zu erforschen. Also – ihr Gefangenen, gebt mir sichre Antwort auf meine Frage! wo nicht, so erwartet die schreklichste Rache, von meinem gestrengen Herrn, und von uns seinen treuen Mannen. Also – ihr Ulrich von Rosenstein, habt ihr die Dirne geraubt?«
Ulrich. Hohn und Fluch dem, der mich deß bezüchtigt.
»Ihr, Berthold von Bargau, habt ihr das Fräulein geraubt?«
Berthold. Berthold von Bargau ist kein Dirnenräuber!
»Nun denn, fuhr der Sprecher fort, Knappen! ergreift die trotzigen Läugner, legt ihnen Ketten an Hände und Füsse, [168] werft sie in den scheußlichsten Kerker des Burgverließes, jeden besonders, wo nie die Sonne hinscheint, und Schlangen, Kröten und Eidexen hausen. Wasser und Brod sey ihre Kost, und verfaultes Stroh ihr Lager. So lang ihr Trutz nicht gebrochen ist, sollen sie nicht herauskommen, sollten sie auch lebenden Leibes verfaulen!« – Die Knappen legten die Hände an die Ritter, und führten sie geschlossen, ins grause Kerkergewölbe.
In einem Zustande, der an Raserei und Verzweiflung gränzte, hatte Ulrich die erste Nacht im schauerlichen Gefängniß durchwacht. Mit dem Aufgang der Sonne, brachte ihm ein Knecht, in einem schlechten Kruge stinkendes Wasser, und ein Stük harten Brodes, legte er neben den Krug, stillschweigend, auf die Schwelle nieder. Heftig tobte der Ritter, als der Knecht in das Gewölbe trat. Den Krug zerschlug er [169] an der Mauer, das Brod warf er auf die Erde, und viel harter Worte stieß er über den Grafen und seine Mannen ans. Hämisch lächelnd hörte der Knecht die Reden des empörten Ritters an, und erwiederte sie mit bittern Schimpfworten. Bald darauf erschien der Burgvogt, freundlichen Blikes, im Kerkergewölbe. »Folgt mir nach, Ritter!« sagte er. Sie traten in den Hof, die Knappen nahmen Ulrichen die Ketten ab, und der Burgvogt sprach: »Zieht im Frieden eures Weges, ihr seyd frei!«
Höhere Freude kann der Missethäter nicht fühlen, wenn ihm, auf dem Rabenstein, wo schon der Henker sein Schwerdt gegen ihn züket, Gnade verkündigt wird, – als Ulrich fühlte, bei der Verkündigung des freundlichen Burgvogts. – »Wol mir« – rief er von Wonne aus – »wol mir, die Unschuld hat gesiegt! – Aber, Männer! [170] wo ist mein treuer Gefährte, Berthold von Bargau?« – »Er ist euch minder treu, als ihr wähnet,« antwortete der Burgvogt, – »er ist entronnen!«
Wie gelähmt stand Ulrich ob diesem Worte. – »Wie? – Berthold entronnen! stammelte er; – »nein! ihr geht mit Lügen um. – Mein Berthold weicht nicht von meiner Seite!«
»Ist Berthold der erste unter Adams Söhnen,« versetzte höhnend der Burgvogt, »in dem ihr euch betrogen habt? Seyd zufrieden! Er hat euch durch seine Flucht gerettet. Die Unschuld hat nie den Arm der Gerechtigkeit gefürchtet; aber Berthold fürchtete ihn, weil er ihm entfloh. Ziehet hin, – hier ist euer Knecht mit euren Rossen!«
Ulrich. Mann! ich ziehe nicht. Führt mich zu eurem Herrn. Ich wittere Trug und Arglist. [171]
Burgvogt. Wähnet ihr mein gestrenger Herr fühle seine Würde so wenig, daß er mit einem umherfahrenden Abentheurer, die Stunden des Tages verderben werde? Schämt euch eures Undanks und zieht!
Ulrich. Pfui euch! Was berechtiget euch so schändlichen zu reden, von einem ehrenvesten Rittersmanne? Nicht Dank bin ich eurem Herrn schuldig; Genugthuung habe ich vielmehr zu fordern, für das Unrecht, das er mir und meinem Dienstmanne erwiesen hat. – Ich werde diesen wol noch finden. – Ich ziehe. – Gerechtigkeit wird in Deutschlands Gauen nicht überall zu Grabe gegangen seyn! Er stieg aufs Pferd, und begleitet von seinem Knappen verließ er die Burg.
Sein Herz war voll Unruhe, über das Schiksal des wakern Bertholds. Er konnte sich unmöglich überwinden, den Gedanken zu denken, daß er entronnen sey. [172] Denn hätt' er durch die Flucht die Männer auf Wolfengau nicht befestigt, in dem ungerechten Verdacht, den sie auf ihn geworfen hatten? – hätt' er damit nicht Feigheit und Schwäche verrathen, die beide den deutschen Ritter nie mehr schänden, als wenn sein Herz sich keines Frevels bewußt ist? – hätt' er damit nicht verrätherisch gehandelt, gegen Ulrichen, an den er durch die Bande der Lehnspflicht und der Dankbarkeit, die kein Unfall zerreissen darf so fest gefesselt war? – Aber würden wol auch die Wolfengauer so gehandelt haben, hätten sie ihn noch in ihren Mauren gehabt? – Das Räthsel blieb dem jungen Reiter unauflöslich. Der Gedanke an Bertholden, machte seine Sehnsucht nach Jutten eine Weile schweigen. Harmvoll, und zwischen tausend Anschlägen hin und her wankend, ritt er zu seiner Muhme gen Krembsek. [173]
Muhme und Oheim waren innig erfreut, den Neffen zu sehen, und viele Thränen flossen beim ersten Händedruk von beiden Seiten. Unerschöpflich waren die frommen Alten, an Nachforschungen und Fragen. Sie priesen Gott, daß er ihn glüklich wieder gebracht hatte, aus dem heiligen Lande, und thaten äusserst mißmüthig darob, daß er gerade ihre Söhne nicht antraf, die kurz zuvor zum Hoflager des Kaisers gen Nürnberg gezogen waren. Seine Abentheuer auf Wolfengau, hatte Ulrich beim ersten Gespräche verschwiegen.
Eine junge Dirne! von innerm Gram bedrükt, die auch an ihrer Freude keinen Antheil nahm, saß schweigend, und in sich vertieft, in einer Eke des Gemachs, einen tiefen Seufzer nach dem andern holend. »Diese Dirne hier ist wol nicht eure Tochter, mein Oheim?« fragte der Ritter. »Nein, erwiederte der alte Krembseker, sie ist [174] die Tochter eines meiner Waffenbrüder, der hier in der Nähe haust. Das Mädchen,« fuhr er fort, »ist in großer Noth, gequält, von aller Pein unglüklicher Minne. Ihr Vater, ein alter Graubart, der freilich nicht mehr mit einer jungen, rüstigen Dirne zu fühlen weiß, wollte sie einem Manne verkuppeln, den sie haßt, und der, wenn ich die Wahrheit sagen soll, auch ihrer Liebe nicht würdig ist. Vielleicht hätt' sie aus kindlichem Gehorsam ihrer Neigung Gewalt angethan, hätt' sie nicht längst dem Grafen von Innfels Minne geschwohren, der ein stattlicher, junger Ritter ist. Vor wenigen Tagen wollte der Alte zufahren, und sie dem Werber antrauen lassen, den sie verabscheut. Das Mädchen aber, aufs Aeusserste gebracht, sprang in der Nacht vor dem Trauungstage über die Warte in den Graben hinab, und eilte hieher nach Krembsek, in der Meinung ihren Buhlen [175] hier zu finden, der aber, ehe sie ihm noch von ihres Vaters Anschlägen Kunde geben konnte, mit meinen Söhnen zum Hoftage gezogen ist. Ich nahm sie aus, wie jeden Unglüklichen, der Schutz und Zuflucht bei mir sucht, und verberge sie nun in meinem Hause, bis der Innfelser zurükekommt, der dann mit ihrem Vater ihretwegen handeln mag. Er soll aber den Dank der Minne nicht erndten, so lange dieser nicht einwilliget, und ich schämte mich in mein Herz, gestattete ich's daß ein Fräulein ihre Unschuld einem Manne zum Opfer brächte, den ihres Vaters Fluch verfolgt. Doch hoff' ich, der Alte werde Rath annehmen, besonders meinen Rath. Denn in der Jugend waren wir Gespielen und Freunde; im Mannesalter wurden wir treue Waffenbrüder, und bis auf den heutigen Tag sind wir uns lieb und hold, wie sich's wenige Menschen sind.« [176]
»Wie heißt der Vater dieser Dirne?« fragte Ulrich; der mit großer Aufmerksamkeit der Rede des Oheims gehorcht hatte.
» Walther von Wolfengau!« – erwiederte der Alte.
Jach fuhr Ulrich vom Stuhle auf, und verkündigte seinen Freunden, wie er auf der Burg des Grafen in Verhaft genommen, des Dirnenraubs angeklagt, in Ketten und Banden gelegt, seines treuen Gefährten beraubt, und plötzlich wieder des Verhaftes ledig geworden sey. »Helft mir,« endete er seine Rede, »helft mir, lieber Oheim! daß ich meinen Dienstmann wieder finde, den mir die Wolfengauer so schändlich abgedrungen haben. – Berthold ist gewiss nicht entronnen. Man hat mich durch niedrigen Trug berukt.«
»Ist Berthold noch in Wolfengau,« sprach der Greis, so sollt ihr ihn [177] wol wieder finden. Bringt meine Rüstung Knappen, und sattelt meinen Gaul. Ich reite nach Wolfengau! – Wehrhold geleitet mich!«
Eiligst flog der wakere Krembseker über Feld und Anger, und fand seinen Waffenbruder auf der Trinkstube, unter seinen Mannen, beim Becher. Stille und züchtig gieng es aber her, und Verlegenheit, Unruhe, und Zweifel schien über die ganze Gesellschaft ausgebreitet. Brüderlich drükte der Graf dem Krembseker die Hand, und mit Ehrfurcht grüßten ihn die umstehenden Ritter.
»Du scheinst nicht guten Muthes, lieber Bruder!« sagte der Krembseker Walthern Grafen von Wolfengau.
Walther. Sollte der Unfall dir unbewußt seyn, der vor wenigen Tagen mich armen Mann troffen hat?
Krembsek. Welcher? [178]
Walther. Daß ein Bösewicht mir meine Tochter gestohlen hat, da ich eben im Begriffe war, sie diesem ehrlichen Manne hier zur Frau zu geben.
Krembsek. Ein bittres Loos für einen Vater, und nicht minder bitter für einen Bräutigam! Hast du keine Spuhr von den Räubern der Dirne gesunden?
Ein Edelknecht. Wir fuhren in die Länge und in die Breite im Lande umher, durchsuchten jede Hütte, und lauschten an jeder Burg, und kamen alle wieder, ohne etwas vom Räuber und von seiner Beute erkundet zu haben.
Walther. Ich that noch mehr. Ich ließ durch den Pater Beda, der mit dem Bannen umzugehen weiß, wie unser einer mit Schwerdt und Lanze, Himmel und Hölle beschwöhren. Er zauberte auch in der That ein Paar verdächtiger, fahrender Ritter herbei. Aber der eine ist bereits [179] wieder entlassen, und der andre hat uns alle zum Besten.
Krembsek. Pfui, Bruder! das hätte dir wol nicht in den Sinn kommen sollen. Uns ritterlichen Leuten sind Schwerdter und Lanzen statt aller Zaubermittel gegeben, und wo diese nicht hinreichen, da sind auch die Beschwöhrungen und Gaukeleien der Mönche vergeblich.
Walther. Was thut ein Vater nicht, um ein verlohrnes Kind wieder zu finden!
Krembsek. Du kennst mich längst, Walther! und weist, daß ich keinem Menschen heuchle. Deßhalb sag' ich auch dir unverholen, daß du alle Noth, die aus der Entfernung deiner Mathilde für dich und sie entspringen dürfte, lediglich dir selbst zuzuschreiben hast. – Weiberherzen leiden keine Gewalt. Du hast aber dem Herzen deiner Dirne Gewalt angethan, und sie [180] durch Zwang und Drang an einen Mann hängen wollen, den sie hasset.
Der Bräutigam. Wer untersteht sich zu sagen, daß ihr Haß gerecht war?
Krembsek. Nicht so hitzig, fremder Mann! – Ihr mögt mir ein braver Ritter seyn, aber könnt ihr um deßwillen verlangen, daß euch alle Weiber lieben? – Nicht allen Männern schmekt das Bier von Regenspurg, – und nicht allen Dirnen gefällt der nämliche Buhle.
(Erstiktes Gelächter unter den Dienstleuten.)
Walther. Hätt' ich nur meine Mathilde wieder, unversehrt durch eines Verführers Brunst, gern wollt' ich ihr vergeben, gern ihrer Neigung Freiheit lassen! – Ach! mein Herz hat es noch nie so stark gefühlt, daß ich Vater bin, als seit dem ich sie verlohren habe.
Krembsek. Einen von den gebannten Abentheurern habt ihr also noch im Verhaft? [181]
Walther. Ja. Er giebt vor, er heisse Berthold von Bargau, und der andre nannte sich Ulrich von Rosenstein.
Krembsek. Mit diesem Berthold möchte ich reden. Burgvogt führet ihn herauf!
Walther. Der Mann ist mir ein Räthsel. Entweder ist er der abscheulichste Bösewicht, oder er ist der biderste, treuste Diener seines Herrn. Erst gestand er die That. Sobald aber der jüngere Ritter entlassen war, so fieng er an, sie aufs hartnäkigste zu läugnen, und lachte all' unsrer Drohungen. Doch du magst ihn selbst hören!
Der Bräutigam. Er hat bekannt, folglich soll er des Todes eines Dirnenräubers sterben.
Einer von den Mannen. So schlechtweg möcht' ich doch den Staab nicht über ihn brechen. Der Mann spricht mit [182] einer Würde und mit einer Zuversicht, die einem, wahrlich! das Herz nicht wenig klopfen macht. Ich für meinen Theil stimmte für das Kampfgericht, oder für die Feuerprobe, und überliesse die Entscheidung dem Herzenskündiger.
Man hört die Ketten rasseln, die Thüre öffnet sich, frei und heiter tritt der Gefangene ins Gemach.
Krembsek. Gott grüsse euch, guter Freund! – Ihr wäret also der Dieb der schönen Mathilde?
Berthold. Einen so freundlichen holden Ton, wie ich ihn ans eurem Munde höre, bin ich aus Wolfengau nicht gewohnt. Diese liebreiche Frage, ist einer liebreichen Antwort werth. Also sage ich euch: ich habe Mathilden nicht geraubt.
Krembsek. Habt ihr aber doch die That schon gestanden! – Wie wagt ihr es ein Wort wieder zurükzunehmen, das [183] ihr im vollen Rathe der Mannen ausgesprochen habt?
Berthold. Ihr sehet so brav und so bider aus, gestrenger Herr! daß ich's euch zutraue, daß ihr die Absicht würdigen könnt, in der ich mir diese Zweideutigkeit erlaubt habe. – Mein Lehnsherr, Ulrich von Rosenstein, liebt in meinem Vaterlande, eine schöne, fromme Dirne, von der er aber Minnesold nicht erlangen könnte, er hätte denn zuvor ihren Vater im heiligen Laude aufgesucht. Er zog hin, und ich ward sein Gefährte. Viel Noth und Ungemach duldeten wir auf dem Zuge, und geraume Zeit litten wir alles Elend der Sklaverei, im Diensthause eines heidnischen Tyrannen. Wir waren so glüklich, sein Joch abzuwerfen, und begannen, als wir unsre Geschäfte beendigt hatten, voll freudiger Hoffnungen den Rükzug ins Vaterland. An der Donau verliessen wir unsre [184] Reisegenossen, um den Ritter von Krembsek zu besuchen, dessen Gattinn Ulrichs Muhme ist. Die Gaukeleien des trugvollen Pfaffen zogen uns hier in eine neue Schlinge, und in der Burg, in der wir friedlich eingeritten waren, wurden wir, des Dirnenraubes angeklagt, niedergeworfen, und in einem scheußlichen Kerker in Verhaft gelegt. Ich sah' daß wir hier keine Gerechtigkeit zu erwarten hatten, wo der Aberglaube den Verstand umnebelt, und die Herzen unempfindlich gemacht hatte. In der Einsamkeit des Kerkers erwog ich ob Ulrich nicht gerettet werden könnte, – er, der durch die Seile keuscher Liebe, so gewaltsam ins Vaterland hingezogen wurde, und auch ausser seiner Dirne soviel in demselben zu verliehren hatte; – zugleich erwog ich's auch, wie viel ich seinem Vater, den Gott trösten wolle! zu verdanken habe, und – wie wenig an mir gelegen sey, der ich keiner derb [185] jüngsten bin, und durch kein Band heisser Liebe an das meine gefesselt werde. Ich beschloß, mich aufzuopfern, damit er gerettet würde, und dieser Entschluß gefiel mir so wol, daß ich schleunigst zur Ausführung desselben schritt. Deshalb erklärte ich den Rittern auf Wolfengau: ich habe das Fräulein geraubt, mein junger Gefährte ist unschuldig. – Setzt ihn auf freien Fuß, und beredet ihn ich sey entronnen, weil er die Burg nicht verliesse, wüßt' er, daß ich noch in Ketten sässe. Ich will das Fräulein wieder herbeiführen, und meine Strafe dulden! – Mein Anschlag gelang, und Ulrich ist gerettet.
Gleich großen Perlen rollten die Thränen von des Krembsekers Augen. Jach sprang er auf, fiel Bertholden um den Hals, und sprach laut: »Gott segne euch, edler Mann! Möchten alle Diener so handeln, an ihren Herrn, wie ihr an Utzen [186] von Rosenstein gehandelt habt! – Ich bin der Krembseker, Utzens Oheim! – Euer Herr liegt auf meiner Burg. Gott krönt eure schöne That, durch eure eigne Errettung!« – Berthold vermochte nicht zu reden, und schluchzte an des Greisen Busen.
»Gott! wir sind alle getäuscht!« sprach einer von den Edelknechten mit starker Stimme, im Gemach.
»Ja, ja, getäuscht seyd ihr alle,« erwiederte der Krembseker, in dem er sich zu dem erstaunten Wolfengauer wendete; – »auch ist deine Tochter nicht geraubt, Bruder Walther, sondern sie sitzt ruhig in meiner Burg. Sie ist geflohen, daß sie diesem Mann nicht zu Theil würde, den du ihr aufgedrungen hast; und keinem Bedrängten versag ich Schutz und Obdach in dem Meinen. – Weise diesen unberufnen Freier von der Stelle, – und schnell wird [187] deine Tochter wieder zurükkommen, dich um Verzeihung bitten, und deine Hände mit ihren Thränen netzen.«
Ein allgemeines Frohloken tönte durch das Gemach. Weinend erhub der gerührte Walther seine Hände gen Himmel. Ritter und Knechte beeiferten sich in die Wette Bertholden die Ketten abzunehmen, und leise schlich der vermeinte Bräutigam zur Thüre hinaus.
Ulrich schloß Bertholden, als er mit dem Krembseker zurükegekommen war, gerührt und dankbar in seine Arme, und pries mit Thränen seine schöne That. – Am andern Morgen verließen sie die ehrlichen Alten, und begannen, frei und froh, den Zug in die Heimath. Schnell und glüklich langten sie in den Gauen des Schwabenlandes an.
Während Ulrich mit seinem treuen Edelknechte die erzählten Abentheuer im Morgenlande und auf Wolfengau erstand, trugen sich nicht minder wichtige Ereignisse in der Klause unter Herwartstein zu, die ihm all' seine Anschläge, um derentwillen er so viel gewagt, aufgeopfert, und gelitten hatte, zu vereiteln schienen.
Jutta verfolgte ihn, als er sich von ihr entfernt hatte, in Gedanken auf dem ganzen weiten Zuge. Tag und Nacht stand das Bild ihres Buhlen vor ihren Augen, und in tausend verschiedenen Scenen ließ ihre Einbildungskraft ihn vor ihren Bliken vorüber gehen. Im höchsten Reitze lag die Zukunft vor ihr da, in der sie, an seiner Hand, auf dem Rosensteine, die seeligsten Freuden, des ehelichen und mütterlichen Lebens zu genießen hofte. Die Liebe zu ihrem Buhlen, hatte die Liebe zu ihrem Vater nicht wenig geschwächt, und je sehn [189]licher sie wünschte, des erstern theilhaftig zu werden, je gewisser ward sie von des letztern Tod. Der Anfang, das Mittel, und das Ende aller Gebete, die sie vor ihrem Kruzifixe ausschüttete, war stets das eine: bringe, Dulder am Kreutze! bringe meinen Buhlen glüklich wieder in meine Arme.
Der Klausner besuchte sie nach wie vor, nur vermieden beide in ihren Gesprächen den Punkt von dem Ritter von Rosenstein. Von ferne stieß jener manchmal daran, und ließ etwa ein bedeutendes Wort, über weiblichen Leichtsinn und über männliche Treulosigkeit fallen; aber Jutta stellte sich immer, als verstünde sie diese Winke nicht. Dadurch verlohren ihre Unterhaltungen viel von ihrer vorigen Wärme und Herzlichkeit, und ihre Freundschaft ward von Tag zu Tage kälter. Denn zween Menschen, die über eine ihrer wichtigsten [190] Angelegenheiten, eine ganz entgegengesetzte Denkungsart haben, verhalten sich gerade zu einander, wie zwo Harfen, die nicht gleich gestimmt sind.
Ein einziges mal erfrechte sich der Schirmherr, in einem Augenblike, in dem sie ihm nicht mehr entrinnen konnte, in die Hütte der schönen Klausnerinn zu dringen. Er erschien in einer ganz andern Gestalt als zuvor. Sittsam und bescheiden, ließ er sich auf die Bank des Gemaches, ferne von der Dirne, nieder, und sprach in einem ernsten, gesetzten Ton, über Dinge, die Jutten nicht beleidigen konnten. Auch mischte er in das Gespräch manche schöne und gute Betrachtung ein, und that so lammfromm, wie er wol in seinem ganzen Leben nicht gethan haben mochte. Jutta war verschlagen genug, seine Absicht zu erforschen, und unter dem Schafspelze, den er um sich geworfen hatte, den Wolf zu bemerken. [191] Er gewann deshalb durch sein heuchlerisches Benehmen nicht das mindeste bei ihr. Er verlohr vielmehr, weil sie nun einen neuen häßlichen Zug an ihm gewahrte, nämlich die Verstellung.
Von den Verhältnissen der Dirne gegen den Rosensteiner redete Jörg von Horn offen und unverhüllt. Er wünschte ihr Glük zu ihm, und sprach manches zu seinem Lobe. Die Gefahr eines Zuges ins heilige Land schilderte er aber aufs furchtbarste, und erzählte eine Menge Beispiele von Rittern, die in Asien ihr Grab gefunden haben. Diese Versichrungen, die der Bruder Veit zu seiner Zeit treulich zu wiederholen wußte, machten der Dirne nicht wenig bange, und vermehrte ihre Sorge, um Utzens Heil, um vieles.
Oft besuchte, während dieser Zeit, der alte Götz von Heuchlingen, Jutten in ihrer Hütte. Diesem hatte nämlich Ulrich [192] die Burghut auf dem Rosensteine anvertraut, und ihn zugleich befehligt, von Zeit zu Zeit, in die Klause ins Brenzgau zu reiten, und die Dirne bis zu seiner Wiederkunft, mit Rath und Trost zu unterstützen. Der wakere Götz war für Jutten jedesmal ein angenehmer Gast. Denn schon der Anblik eines Mannes von Rosenstein hatte für sie namenlose Süßigkeit, weil er ihr all' die Wonne vergegenwärtigte, die ihr in Utzen bereitet schien. Dabei war Götz so munter und geschwätzig, so hold und liebreich, und wußte ihr so viel von dem geliebten Buhlen, und seiner ganzen Sippschaft zu erzählen, daß ihr die Stunden, die er in ihrer Hütte zubrachte, wie Augenblike vorüberflogen. War sie traurig wegen Ulrichen, und zaghaft wegen seiner glüklichen Wiederkunft, so wekte der alte Ritter Hofnung und Zuversicht wieder in ihrem Herzen, und erfüllte sie mit Trost und [193] und Freude. Treulich warnte er sie vor Jörgen und vor dem Klausner, weil er eine Verschwörung gegen sie zwischen beiden witterte, und lehrte sie den Netzen ausweichen, die etwa der eine oder der andre für sie legen möchte. Nichts verbarg Jutta vor dem frommen Greise, und er erwiederte durch Treue, und weise Rathschläge ihre Vertraulichkeit.
An einem ungestümmen Winterabend spähte Jutta aus dem Fenster ihrer Hütte im Thale, längst dem Flusse hinauf. Schreklich heulte der Sturm im Gebürge, und krachend brachen die Wipfel der Bäume im nahen Wald. Tiefer Schnee dekte das Thal, und Eis den Fluß. Weit draussen im Schneegefielde ersah' sie eine männliche Gestalt mühsam einher waten. Sie eilte vor die Thüre, rief dem mühseligen Wandrer, und [194] hieß ihn rechts an den Fuß des Berges lenken, damit er nicht über das mit Schnee bedekte Gestade des Flusses gleiten möchte. Mit großer Anstrengung schlug sich der ermattete Wanderer durch, und gelangte mit einbrechender Nacht in die Klause. Freundlich bewillkommte ihn die Dirne, bot ihm Herberge an, und setzte ihm Speise und Trank vor. Der Fremdling ergrief dankbar ihr Anerbieten, legte sein starres Gewand von sich ab, und ließ sich, von Kälte zitternd, am Ofen nieder.
Ueber eine Weile redete er die Klausnerinn an. »Ist, sprach er, die Burg Herwartstein noch ferne von hier?« – »Ihr sehet sie auf dem Felsen meiner Hütte,« antwortete Jutta.
Er. Wohnt nicht am Fuße dieses Felsen des Burgherrn Tochter als Klausnerinn?
Jutta. Hier steht sie vor euch. – Mir wird bang ob dieser Frage. – Mann! wo kommt ihr her? [195]
Er. Ich komme aus Palästina, und bringe manche neue Mähr, die höchst wichtig für euch ist.
Jutta. Von Ulrichen von Rosenstein? – Sagt mir, guter Freund! wie er sich befindet!
Er. Bottschaft bring' ich euch von eurem Vater, und von Ulrichen von Rosenstein.
Jutta. Lebt mein Vater noch?
Er. Euer Vater ist gestorben.
Jutta. Nun Gott sey seiner armen Seele gnädig! (weinend) Was ich längst vermuthet habe, wäre also bestättigt. – Gott gebe ihm seinen Trost, und eine fröhliche Urständ! –
Er. Er starb im Hospitale zu Jerusalem, müde seines Lebens, und der Schmerzen eines langwierigen Krankenlagers, – in meinen Armen!
Jutta. – Aber mein Ulrich? [196]
Er. Kennt ihr diesen Dolch, Fräulein?
Jutta. Himmel! meines Ulrichs Dolch! – Wie kam er in eure Hände?
Er. Er schikt ihn euch, zum ewigen Zeugniß seiner Treue.
Jutta. (Sie reißt ihm den Dolch aus der Hand und küßt ihn.) Wo gab er euch diesen Dolch?
Er. Zu Ptolomais auf seinem Sterbebette.
Jutta. (erschüttert!) Gott – was sagt ihr? – auf seinem Sterbebette?
Er. Ulrich ist tod!
Jutta. – Jesus Christus! – Ulrich tod! – ich vergehe (Sie fällt betäubt aufs Lotterbett. Der Pilger bestreicht ihr die Schläfe mit Balsam, und lüftet, bescheiden, ihre Schnürbrust. – Nach einer langen Pause schlägt sie die Augen auf – sie erhebt sich.) [197]
Ulrich tod? – Nein, ich träume. – Entferne dich, Lügner! Ulrich lebt. –
Er. Wär's erlaubt einem Sterbenden eine Bitte zu verweigern, ich hätt' euch das Wehr nicht überbracht. – Ich konnte euren Jammer fühlen, bevor ich Zeuge desselben ward.
Jutta. Gott wie schreklich zürnst du über mich! – Wo hab' ich diese Schläge verdient? – – Von einem Mörder hingestrekt, fiel meine Mutter an meiner Seite, unstät, und vom bösen Gewissen gejagt, irrte mein Vater durch ferne Länder, und verschied unter Fremden; – und mein einziger Trost – Ulrich – der mir für all' mein Elend Ersatz gewesen wäre – ist mir nun auch vollends geraubt! – Nein – ich ertrag' es nicht!
Er. Höret auf mit der Vorsehung zu hadern, Jutta! – Wer mag den Töpfer tadeln, wenn er sein eigen Gefäß in Scherben zerschlägt? [198]
Jutta. Abscheulicher Trost! – zur Marter wär' ich also geschaffen?
Er. Die heutige Marter, wird uns Morgen manchmal der gröste Segen.
Jutta. Ich kenne keinen Segen ohne Ulrich! – Ach! könnt' ich nur auch mit ihm sterben! – Keine Freude hat die Erde mehr für mich. – Folter ist mir jeder Genuß, den das Bewußtseyn begleitet, daß mein Ulrich nicht lebe!
Er. Ulrich hat nicht aufgehört zu leben. – Er ist nun in einer bessern Welt, wo man die Freude nicht durch Schmerz, den Frieden nicht durch Fehden erkaufen darf.
Jutta. Drum laßt mich sterben, daß ich zu ihm komme. – Auch ihm hat Himmelswonne keinen Reitz ohne mich.
Er. Ich kann euren Jammer länger nicht mehr sehen, Fräulein! Laßt mich ruhen, nach einer müheseligen Wanderung. – Gott tröste euch! [199]
Der Pilger stieg die Treppe hinauf unters Dach, und legte sich auf das Lager von gedörrtem Moose nieder. In der Dirne Augen kam kein Schlaf. Sie wälzte sich schluchzend auf ihrem Bette, und gieng bald wieder, einem Gespenste gleich heulend, im Gemache umher. Ihr Jammer ward – Verzweiflung. – Am folgenden Morgen zog der Pilger seine Strasse.
Jutta bat ihn, daß er den Weg über den Rosenstein nähme, und den Männern auf der Burg die Trauerpost brächte, von ihres Herrn Tod. Er sagte ihr's zu, und verließ sie. Aber nicht gen Rosenstein wanderte der lose Wicht, sondern er lenkte schnell auf den Felsen ob der Hütte, und brachte Jörgen von Horn die fröhliche Kunde, der listige Streich habe seine ganze Wirkung gethan.
Etliche Tage blieb Jutta ihrem Schmerze allein überlassen. Zwar waren die Aeusserungen desselben minder ungestümm, als an dem schreklichen Abend, an dem die Bottschaft von des Vaters und Bräutigams Tod zu ihr gelangte; aber nichts desto weniger folternd war der Gram, der nun an ihrem Herzen nagte, und das niederschlagende Gefühl von dem hohen Werthe des Gutes, deß sie verlustig geworden war. Gleich einem Todtkranken lag sie auf ihrem Lotterbette. Speise und Trank kam nicht auf ihre Zunge. Das Denkmal seiner Liebe hatte sie in ihren Busen gestekt. Verschwunden war das Rosenroth ihrer Wangen. Wild und scheu war ihr Blik. Schauerliche Stille herrschte in der Klause. Selten drang ein Seufzer aus ihrer gepreßten Brust.
Am vierten Tage trat der Bruder Veit in das Gemach. Mit verstelltem Staunen, als wüßt' er nichts von der Trauerpost, die [201] die Dirne erhalten hatte, bebte er bei ihrem Anblike zurüke. » Jutta,« sprach er, »was fehlt euch? – ihr seyd krank, – todkrank!«
Jutta. Ach wären eure Worte Wahrheit, wol mir dann!
Veit (in dem er rasch auf sie zugeht, und sie bei der Hand ergreift.) Was ist euch wiederfahren, Jutta! ihr leidet tiefen Kummer!
Jutta. Ach ich habe mein höchstes, mein einziges Kleinod verlohren. – Ulrich ist nicht mehr!
Veit. Ihr seyd wahnsinnig, Fräulein! – oder betrogen!
Jutta. Hier seht ihr seinen Dolch. – Der Pilger, der mir ihn brachte, hat ihm die Augen zugedrükt.
Veit. Seinen Dolch hätte der Pilger kaum erhalten, falls er noch lebte.
Jutta. Er ist tod! – Mein Ulrich ist tod! [202]
Veit. Arme Jutta! – Und euer Vater?
Jutta. Auch mein Vater ist tod. – Er verschied nach einem langen Schmerzenslager zu Jerusalem im Hospital.
Veit. Auch diese Kunde brachte euch der Pilger?
Jutta. Der Himmel zürnt zu sehr über mich, als daß er sich begnügt hätte, mich nur durch eine Todesbottschaft zu erschüttern; – er wollte durch zwei mich gänzlich niederschlagen. – Doch auf meines Vaters Tod war ich gefaßt. Ich war dem Gedanken, daß er nicht mehr lebe, schon so gewohnt, daß mich die Bestätigung desselben, sogar tief nicht verwundet hatte. Konnte er doch nur Ruhe finden, in den Hütten des Friedens! – Aber Ulrichs Tod! – ja er ist mir unerträglich!
Veit. Ich habe einst auch geliebt, Jutta! und hab' es erfahren, welchen [203] Schmerz es zeugt, für ein ganzes Leben seinen Buhlen zu verliehren. – Ach! ich kann den Kummer, der euer Herz nun peiniget, mit euch fühlen.
Jutta. Das schlechtste Thierlein hab' ich nie beleidigt, und keine Thräne ist je geflossen, die ich erpreßt hätte. Und doch ist mein Geschik so grausam! – Kann, Veit! kann Strafe gerecht seyn, ohne Schuld?
Veit. Des Herrn Wege sind unerforschlich, und selten ist's uns gegönnt, den Schleier zu lüpfen, der das Geheimniß seines Raths bedekt.
Jutta. Ist der Vater gütig, der sein Kind auf die Folter spannt, – ist der weise, der es ohne Ursache peiniget?
Veit. Ich erzittere ob euren Reden, Jutta! Wie mögt' ihr euch unterwinden, euch so gegen den Allmächtigen aufzulehnen.
Jutta. Wer kanns dem Wurme verdenken, daß er sich krümmt, wenn der Huf des Rosses auf ihn tritt. [204]
Veit. Krümmt euch immerhin; nur fluchet der Hand nicht, die euch schlägt.
Jutta. Ich fluche ihrer nicht. Aber, Veit! verlanget nicht, daß ich sie küssen soll.
Veit. Ihr werdet euch wol wieder versöhnen, mit eurem Vater, der diesen Kelch voll Galle euch gereichet hat, wenn ihr von diesem tiefen Gefühle eures Kummers zurükgekommen seyd.
Jutta. Sterben will ich, Veit! sterben. Auf Erden kehret Ruhe nicht mehr in dieses bange Herz zurük. – Kein Balsam heilet meine Wunde; nur der Tod heilt sie.
Veit. Ihr seyd noch jung, Jutta! und besinnet euch wol eines andern. Ulrich ist ja nicht der einzige Mann unter der Sonne, der eurer würdig wäre.
Jutta. Er ist der einzige für mich; und das hab' ich nie stärker gefühlt, als seit ich ihn verlohren habe. [205]
Veit. Ihr habt vielleicht zuviel von ihm gehofft, Fräulein! die Liebe trügt.
Jutta. Schweige, Veit! und lasse meinen Buhlen unangetastet.
Veit. Ich vergeb' euch eure Empfindlichkeit. – Aber ich wiederhole, was ich gesagt habe: Ihr hofftet mehr von ihm, als er geleistet haben würde; denn ihr hieltet ihn für einen Engel.
Jutta. Das war er.
Veit. Nein, er war nur ein Mensch, und in den Menschen, Jutta! kann man sich betrügen. Ich bin's überzeugt von der Güte des Allsehers, er hätt' euch Ulrichen nicht entrükt, hätt' er nicht Leibes und Seelennoth gewahrt, die an seiner Hand eurer wartete.
Jutta. Geht, abscheulicher Tröster! Habt ihr keinen Trost für mich, als diesen?
Veit. Ich will kommen, Fräulein! wenn ihr meines Trostes empfänglicher seyd. [206]
Mit diesen Worten entfernte sich der Waldbruder.
Ein paar trübe, kummervolle Tage giengen wieder dahin, und Jutta fühlte sich noch immer ob ihrem Verluste untröstlich. Eine neue Qual ward indessen ihr bereitet, noch schreklicher als jede, die sie biß daher erfahren hatte.
Sie lag in ihrem Gemache mit thränendem Auge, und von Kummer gebeugtem Herzen. Es war Mitternacht. Hohe Stille herrschte in der Klause, und traurig schien der Mond vom klaren Himmel in die Finsterniß. Plötzlich öffnete sich mit schmetterndem Geräusche die Thüre des Gemachs. Eine menschliche Gestalt von ungeheurer Größe, mit einer ritterlichen Rüstung angethan, trat herein. Glühend war die Gestalt am ganzen Körper. Feuer sprühete sie aus [207] ihrem Rachen. Ihre Augen funkelten wie der Abendstern. Ketten trug sie an den Gliedern, die gräßlich auf der Erde klirrten, und ein glühendes Schwerdt flammte in ihrer Hand. – Einen lauten Schrei that die Dirne ob der Erscheinung. Zitternd, mit fest geschloßnen Augen, kroch sie in die Eke des Lagers. Gichterisch durchzükte Grausen ihren Körper; pochend schlug ihr Herz; in die Höhe sträubten sich ihre Haare.
» Jutta!« sprach das Gespenst in einem gräßlichen, holen Tone.
Die Dirne schwieg. – Sie fieng an sich zu kreutzen und zu segnen. Sie schlug die Augen auf. Der Geist wiech nicht auf ihre Beschwöhrung.
» Jutta!« wiederholte die Erscheinung aufs Neue, und ihre Stimme schien zürnend.
Das Mädchen redete. »Wer bist du?« stammelte sie. [208]
» Jutta! – fuhr das Gespenst fort – ich bin dein Vater. Löse mich aus meiner Qual!«
Keine Beschreibung erreicht das Entsetzen, das die Dirne bey diesen Worten ergrief. »Bist du nicht selig gestorben, Vater?« fragte sie mit gebrochener Stimme.
»Löse mich!« fuhr das Gespenst fort.
»Wie kann ich dich lösen?« erwiederte Jutta.
»Den Mord meines Weibes,« versetzte die Erscheinung, »hab' ich gebüßt. Aber ein schreklich Urtheil ist mir gesprochen, vom strengen Richter des Alls, wegen einer andern Missethat, die ich in meiner Jugend begangen habe. Kunzen von Horn habe ich in einer Fehde getödtet, ob er mich gleich um Barmherzigkeit flehte. Sein Blut schreit Rache über mich. Drum, Jutta! gieb seinem Sohne deine Hand, damit dieser durch den Besitz all' meines Gutes, für [209] für das Unrecht entschädigt werde, das ich seinem Vater erwiesen habe.«
»Vater! das vermag ich nicht!« sprach Jutta.
»Ich werde dich peinigen, bis du mein Verlangen bejahest!« zürnte das Gespenst in einem Donnertone, und rasselte durchs Gemach hinaus.
Unmächtig lag Jutta bis an den Morgen.
Ein starkes Klopfen an der Thüre wekte sie aus ihrer Betäubung. Sie stand auf, und ersah' zu ihrem grossen Troste Götzen von Heuchlingen vor der Hütte. Der wakere Alte bebte zurük, als er sie gewahrte. Sie fiel ihm bitterlich weinend um den Hals, und erzählte ihm, in grossem Jammer, die Trauerkunde, die ihr aus Palästina gebracht war, und die Noth, die sie in der abgewichenen Nacht von ihres Vaters Geist erlitten hatte. Götz schüttelte den Kopf nicht wenig [210] bei ihrer Erzählung. »Mägdlein!« sprach er, »ich halte alles für eitel Betrug, was euch wiederfahren ist, und eure Thränen dünken mich ohne Noth vergossen. Dieß ist der Dolch meines gestrengen Herrn; das leidet keinen Zweifel. Allein kann er den Dolch nicht aus Unvorsichtigkeit verlohren haben, oder kann er ihm nicht hinterlistiger Weise entwendet worden seyn? – Beide Fälle sind sehr möglich, und weit wahrscheinlicher, als der dritte, als Ulrichs Tod. Denn – überlegt es selbst, Fräulein! es ist ein weiter Weg von Jerusalem bis Herwartstein, und man findet überall Gefahr und Hindernisse, die das Reisen auf diesem Wege sehr verzögern. Eine kurze Zeit ist's aber, seit mein gestrenger Herr ins heilige Land abgeritten ist, so kurz, daß in ihr unmöglich, die Reise hin und her gemacht werden konnte. Ich bin zweimal zum heiligen Grabe gezogen, und weiß was [211] das sagen will! – – Zum andern: warum kam der Todesbotte nicht nach Rosenstein, was er euch doch zugesagt hat, und was ihm Ulrich zweifelsohne dringend genug eingeschärft haben würde? Glaubte er etwa, es sey leichter, eine unerfahrne Dirne, die dazu durch's erste Wort schon in Betäubung gestürzt werden muste, zu belügen, als einen Haufen erfahrner, kaltblütiger Männer, die gewohnt sind, kein Zeugniß ungeprüft anzunehmen. – Was endlich, den ganzen Handel als einen arglistigen, losen Streich augenscheinlich darstellt, ist das Gespenst. Man hat kein Beispiel, Jutta! daß die Geister der Verstorbnen, die um ihre hinterlaßnen Freunde herspuken, Unwahrheiten sagen. Der eure aber hat sich eine schändliche Lüge erlaubt. Denn Kunz von Horn ist nicht in einer Fehde gefallen, sondern er fiel unter dem Beile des Nachrichters, auf den ronkalischen Gefilden, wo ihn der Kaiser [212] zum Tode verdammte, weil er eine Nonne zu Verona genothzüchtigt, und nach der That ermordet hatte. Ich, Jutta! war deß Zeuge, und sah' ihn sterben unter des Henkers Hand, und was meine Augen gesehen haben, bleibet wahr und unumstößlich, sollten mich auch alle Geister des Himmels und der Hölle des Gegentheils bereden. Troknet eure Thränen, Fräulein! ihr seyd durch Lug und Trug hintergangen. Der Schurke da oben auf dem Felsen, macht solche lose Streiche. – Ich bleibe heute bey euch, und halte mich verborgen. Auf die Nacht will ich denn selbst ein Wort mit dem Gespenste sprechen.«
So viel scheinbares die Dirne auch in den Reden des Ritters fand, so war es diesem doch unmöglich, sie von der Eitelkeit ihrer Furcht zu überzeugen, viel weniger ihr Herz auf einen heitern Ton zu stimmen. Schweigend und in sich vertieft saß [213] sie in ihrem Gemache, und unempfindlich blieb sie bei den Tröstungen, die der alte Ritter ihr gab. Dabei fühlte sie sich, vom Schreken der vorigen Nacht, so entkräftet, daß ihre Füsse es kaum vermochten, sie zu tragen, und daß sie den grösten Theil des Tages, auf ihrem Lager, hingestrekt, zubringen mußte.
Es ward Nacht. Götz führte Jutten in den obern Theil der Hütte, und gab ihr seinen Knecht zur Gesellschaft bei. Er selbst legte sich unentkleidet auf das Lager der Dirne im Gemache. Sein Schwerdt stieß er neben sich in den Boden. So erwartete er das Gespenst, um es zu lösen.
Mit grossem Geprassel that sich um Mitternacht die Thüre der Stube auf, und in der vorigen Gestalt kam die Erscheinung herein. Unerschroken ergriff beim ersten Geräusche der Ritter sein Schwerdt, und legte die Klinge desselben in die Deke, damit ihn ihr Glanz nicht verrathen möchte. [214]
Wie zuvor begann der Geist sein fürchterliches » Jutta!« der Ritter schwieg. Das Gespenst kam näher zum Lager, und wiederholte lauter sein » Jutta!« Mit der Schnelligkeit des Blitzes rannte der Heuchlinger vom Lager auf, und stürzte mit dem Schwerdte auf die Erscheinung los. Das Schwerdt glitschte auf dem Harnisch ab, und das Gespenst wendete sich gegen die Thüre. Der Ritter warf das Schwerdt hinweg, faßte den Geist im Naken, warf ihn gewaltsam nieder, und stieß ihm den Dolch durch den Hals. Er ächzte: »Erbarmen, unbekannter Peiniger!« – »Ha!« – rief Götz – »sind deine Tüke am Tage, schändlicher Betrüger! Sterben solltest du von meiner Hand; aber ich will dich zur Strafe aufbewahren!« – »Erbarmen!« wiederholte das Gespenst, und der Knecht samt Jutten kamen vom Geräusche herbeigerufen ins Gemach. [215]
Die Männer schnallten dem auf der Erde ausgestrekten Gespenste die Rüstung ab, und machten es seiner Ketten los, während Jutta die Lampe anzündete. Es ward helle im Gemache, und siehe – Veit, der Klausner, wälzte sich in seinem Blute auf der Erde. »Bösewicht« – sprach Jutta nach einem Augenblike des Erstaunens »Schlange die ich in meinem Busen nährte! nun bist du verrathen! – Gesteh' es nur, Unwürdiger. Daß all' die Noth, die seit etlichen Tagen mein Herz zerrissen, Anstiftung deiner Lügenzunge gewesen ist!« – »Vergebet!« – stammelte der schwehr verwundete Mann, » Ulrich lebt!« Mit einemmale sah' sich die Dirne von all' ihrer Noth befreit. Sie umarmte freudig den muthvollen Greis, nannte ihn ihren Erretter und ihren Schutzengel, und weinte die Thränen der Dankbarkeit auf seine Wangen. – Die Wunde die der lose Klausner erhalten hatte, [216] war tödtlich. Er sank in Unmacht, redete irre, fluchte Jörgen von Horn und sich selbst, und als der Tag anbrach, verschied er. Der Knecht schleppte seinen Leichnam aus der Hütte, und verscharrte ihn am Gestade des Flusses im Schnee. So hatte Götz von Heuchlingen es angeordnet. »Denn,« sprach er, »von Rechtswegen, wird ein solcher Verbrecher, ein Aaß für die Thiere im Walde, und für die Vögel unter dem Himmel, der die heiligen Bande der Freundschaft so schändlich entweihet, – der sich ins Gewand der Gottseligkeit hüllt, um die Unschuld zu morden, – der sich von einem niedrigen Wüstling dingen läßt, eine fromme Dirne zu verführen, – und der zu alle dem noch die Geister aus dem Todtenreiche nachäft, um seiner abscheulichen, Anschläge gewiß zu werden. Er ist nicht werth, daß er in der Erde verwese. Füchse, und Wölfe, und Raben sollen ihn fressen!«
J utta war wieder frohen Muths, und guter Dinge. » Ulrich lebt – er lebt!« rief sie unzähliche mal in die Luft, und jauchzte dazu, und freute sich ihrer guten Hoffnung. Götz aber blieb, bei aller Freude über die glükliche Entdekung des Geheimnisses der Boßheit, kaltblütig und feste, und sann auf Mittel, die Dirne gegen die fernere Nachstellungen des Wollüstlings auf Herwartstein zu sichern. Es ward ihm aber schwehr, solche Maaßregeln auszudenken, von denen sich eine schnelle und sichere Wirkung erwarten ließ. Der leichteste und kürzeste Weg, die Dirne aus der Klause hinwegzuführen, und bis auf Ulrichs Wiederkunft in einer sichern Stätte zu bewahren, durfte nicht eingeschlagen werden. Denn dieß wäre ein Bruch des Gelübdes gewesen, das Jutten bis zur zuverläßigen Bestätigung des Tods ihres Vaters, unzertrennlich an ihre Hütte knüpfte. Blieb [218] sie aber, so war ihre Unschuld und ihre Ruhe in äusserster Gefahr. Denn von Jörgen von Horn durfte man erwarten, daß er das, was er durch List nicht erlangen konnte, auf dem Wege der Gewalt suchen, das Fräulein rauben, und mit aller Wuth eines gierigen Wollüstlings die Zerstöhrung ihres höchsten Heiligthums beginnen dürfte. Es war also kein andrer Ausweg übrig, als ihm die Hände zu binden, und ihn so lange in dem Zustande einer gänzlichen Unmacht hinzuhalten, bis Jutta durch ihres Buhlen Wiederkunft gegen alle seine Nachstellungen geborgen wäre. Götz entschloß sich, das letztre zu versuchen.
Er saß auf mit seinem Knappen, und ritt zu dem alten Grafen von Hellenstein auf seine Burg, welchem der verschollne Günther durch Lehnspflicht verbunden war. Der Graf nahm die Werbung des Heuchlingers sehr freundlich an, und [219] ward über des Schirmers hinterlistige Anschläge aufs äusserste empört. Sie kamen mit einander überein, daß des folgenden Tages einer von den hellensteinischen Mannen, an der Spitze einer beträchtlichen Schaar gerüsteter Dienstleute, nach Herwartstein ziehen, die Burg in Besitz nehmen, und den trugvollen Schirmer derselben so lange in festem Verhaft halten sollte, bis man von Utzen und Günthern sichere Kunde eingezogen haben würde. Dankbar wollte der Heuchlinger sich verabschieden von Hellenstein; aber der alte wakere Herr nöthigte ihn auf seiner Burg zu übernachten. Götz konnte seiner Bitte nicht widerstehen. Er setzte sich unter die edlen Leute zum Lager des Bettriesen, und unter muntern und angenehmen Gesprächen, in denen man sich der Abentheuer der Jugend erinnerte, und einander lustige Mähren erzählte, flogen die Stunden des Abends dahin.
Das Gespenst hatte Jutta nicht mehr zu fürchten, und ihr Herz war die vorigen bangen Sorgen, wegen des Verlustes ihres Buhlen ledig. Aber nicht minder grausenvoll war ihr diese Nacht.
Kaum hatte Götzens Knecht den Leichnam des Waldbruders im Schnee verscharrt, als das Gerücht von seinem Tode auf Herwartstein erscholl. Wolf, der listige, abgefeimte Kautz, schliech herunter von dem Felsen ins Thal, betrachtete in Geheim den Leichnam des Erschlagnen und seine Wunde, lauschte an der Thüre vor Juttens Klause, spähte aus einem verborgnen Schlupfwinkel nach den Männern, die er in der Klause gewahrt hatte, gieng zurük zu seinem Herrn, und gab ihm treulich Bottschaft von allem, was er im Thale erkundet hatte. – Jörg ward durch des Knappen Bericht, sehr entrüstet. Es ärgerte ihn, einen Anschlag, der ihm unfehlbar däuchte, so schnell vereitelt [221] zu sehen. Die Reden des Knappen setzten sein Blut noch mehr in Wallung. Denn dieser sprach zu ihm: »Nun ist es Zeit, gestrenger Herr! Daß ihr eure Ansprüche auf Jutten gar aufgebet. Wir haben einen feinen Plan angelegt, und er wär' uns auch gelungen, hätte der Unstern den bösen Heuchlinger nicht ins Spiel geführt. Itzt ist aber alles verlohren. Eure Absichten sind nun Jutten und den Männern auf dem Rosenstein verrathen, und es ist unmöglich, noch einen listigen Schritt zu thun, ohne daß sie ihn gewahrten. Ja ich denke, der Raub wird uns wol bald gar aus den Zähnen gerükt werden. Wollt ihr eine Gewaltthat wagen, so könnt' ihr ihn etwa noch erhaschen. Aber ich rathe euch nicht dazu. Denn das könnte euch Gut und Leben kosten; und soviel um eines Weibes willen aufs Spiel zu setzen, halt' ich für Thorheit, da man sie um einen geringern Preis wol haben kann.« [222]
»Wo List mißlingt,« erwiederte der Schirmherr, »ist es Zeit Gewalt zu gebrauchen. Jutta soll mir nicht entgehen. Meine Ansprüche auf sie sind älter, als die des Rosensteiners. Er ist mir ins Gehäge gegangen, und ich soll ruhig zusehen, wie er den Raub erhascht, der mir gebührt? Nein – wo List mißlingt, gebrauchen wir Gewalt!«
»Ich rathe nicht dazu,« wiederholte der Knappe, »ob ich gleich bereit bin, euch mit meinem Arme behülflich zu seyn.« Der Rath ward gehalten, und die schändliche That beschlossen.
Mit dem Einbruch der Nacht erschienen zween stark bewehrte Reiter – der eine von ihnen war Wolf der arge Schalk – vor Juttens Thüre, und riefen sie mit ihrem Namen. Eiligst sprang das Mädchen heraus, in dem Irrwahne, es dürfte wol Götz mit seinem Knechte, von Hellenstein [223] wieder zurükgekommen seyn. Aber wie erzitterte sie, als sie zweier Männer mit blosen Schwerdtern ansichtig ward, die beide jach von den Rossen sprangen, und sie mit den Worten andonnerten: »Fräulein! ohne Widerrede folgt uns nach!« Sogleich warf der eine einen schwehren Mantel um sie, während der andre drohenden Blikes vor ihr stand, und auf sein Schwerdt hinweisend sprach: »Fräulein schweige!« Jutten brachen die Knie, und unmächtig sank sie zur Erde. »Männer schont meiner Unschuld!« war das einzige, was sie noch stammelte. »Wir schänden keiner Jungfrau Ehre!« erwiederten einmüthig die Reisigen. Sie setzten die Dirne aufs Roß, und im Fluge gieng es durch das Schneegefilde im Thale hinunter.
Am andern Morgen sehr früh, brach die Rotte des Lehnsherrn von Hellenstein auf, um Jörgen der Burghut zu entsetzen, der er sich durch seine schändliche Anschläge unwürdig gemacht hatte. Dietrich von Bechingen führte den Harst des Hellensteiners an. Mit der Sonnen Aufgang erschienen sie an der Brüke der Burg. Götz war mit seinen Knappen der Klause zugeritten, um der Dirne den Rath zu hinterbringen, den man zu ihrem Troste auf Hellenstein gefaßt hatte.
Als der Wächter auf der Warte die Reisigen Männer ersah, die an der Brüke hielten, lief er mit grossem Geschrei in die Burg, und verkündete dem Ritter und den Knechten Feindesgefahr. Mit den Waffen liefen die letztern an die Mauer; der erstre aber, der die Ursache des Ueberzuges witterte, blieb, durch sein böses Gewissen erschüttert, furchtsam in seinem Gemache. [225] Der Bechinger rief zu den schlagfertigen Knappen hinein, daß sie Dienstleute des Grafen von Hellenstein seyen, die nicht als Feinde, sondern als friedliche Männer auf das Lehngut ihres Herrn kommen, in wichtigen Angelegenheiten, an den Burgschirmer abgeordnet. Die Knechte thaten Jörgen die Aussage des Bechingers kund. Aber voll Argwohn war sein Herz, und voll Furcht, Strafe zu empfangen, für die räuberische That, die er vor wenigen Stunden an einer wehrlosen Dirne ausgeübt hatte, die aber bis itzt noch, den Männern von Hellenstein unbekannt war. Er ließ ihnen deßhalb durch den Burgvogt entbieten, daß er dem Grafen von Hellenstein mit allem Dienste und Fleiß ergeben sey; auch nie aufhören werde, seine Pflichten als ein treuer Lehnsmann, im Namen Herrn Günthers von Herwartstein, zu erfüllen. Aber eine ganze Rotte [226] bewafneter Leute in die Burg aufzunehmen, streite gegen Klugheit und Recht. Was der Graf ihm zu hinterbringen habe, könne durch einen einzigen Knecht geschehen, und man bedürfe dazu keines so grossen Haufens, der mächtiger nicht erscheinen könnte, wenn er zur offnen Fehde auszöge. Dietrichen von Bechingen wolle er sogleich die Burg eröffnen, wenn seine Kameraden und Knechte sich vier Steinwürfe weit von der Brüke entfernt, und bei Ehre und Treue versichert haben würden, nicht hinter Herrn Dietrichen einzudringen.
Während der Burgvogt noch redete, sprengte Götz von Heuchlingen schnaubend auf dem Pfade von der Klause einher. »Nun ist das Maaß dieses Bösewichts voll« – rief er den Hellensteinern aus der Ferne entgegen, daß es die auf der Warte hören konnten, – » Jutta ward diese Nacht geraubt. Leer fand ich die Klause, offen [227] die Thüre, und von Roßhufen den Schnee gestampft. Im Thale hinunter führt die Spuhr der Räuber!« – Zürnend fluchten Ritter und Knechte bei der Bottschaft des Heuchlingers, und Staunen traf die Männer auf der Warte.
»He öffnet das Thor und laßt die Brüke hernieder« – brüllte der Bechinger – »ihr könnt unsrer gerechten Rache nicht entgehen; aber erträglicher wird sie euch seyn, je weniger ihr sie reizet!«
Schweigend standen die Knechte, und harrten einer neuen Erklärung des Schirmers.
»He« – rief Götz von Heuchlingen, »haben die Dienstleute Günthers von Herwartstein Eid und Treue vergessen, und denken sie nicht mehr ihres edlen, guten Herrn? – Wir kommen in seinem Namen, um Jörgen zu züchtigen, für die Schandthat, die er an seiner Tochter [228] verübt hat. – Männer! dieser Bösewicht hat eures Burgherrn Dirne geraubt, und – ihr wollt ihn schützen? – Traget ihr nicht Schwerdt und Lanze für Günthern und für Günthers Blut? – Schmach und Schande über euch, so ihr die Waffen zum Schutze der Treulosigkeit und der Verrätherei führet!«
Diese Worte thaten plötzliche Wirkung.
Entrüstet zükten die Herwartsteinischen Knechte ihre Schwerdter gegen Jörgens Leute, stürmten auf das Thor, brachen es auf, warfen die Brüke nieder, und Dietrich von Bechingen jagte mit den Mannen des Hellensteiners in die Burg. Rache dürstend sprang der alte Götz vom Rosse, und rannte, von etlichen Edelknechten begleitet, in das Haus, den Räuber der Dirne aufzusuchen. Leer waren alle Gemächer, die sie spähenden Blikes durcheilten. Götz stürzte in die Burgkapelle. [229] Hier saß der Verbrecher zitternd auf der Schwelle des Altars, und unbewehrt standen zween seiner Knappen neben ihm. »Haben wir dich, Elender?« – zürnete der entrüstete Heuchlinger, – »meinest du die Flucht in Gottes Haus könne vor gerechter Strafe dich schützen? Entweihe nicht länger diesen Tempel! – Knappen ergreift ihn!« Die Edelknechte führten ihn heraus auf den Burgplatz, und gefesselt warfen sie ihn, in ein sicheres Gemach, in dem Thurm. Die gefangenen Knechte aber wurden in guten Verhaft gelegt, im Burgverließ.
Als der Mittagsimbiß eingenommen war, hielten die edlen Männer Rath über Jörgen von Horn, und über die räuberische That, die er an Fräulein Jutta begangen hatte. Er wurde in der Trinkstube vorgeführt. Götz trat auf als sein Ankläger, und Dietrich mit seinen Genossen war bereit im Namen des Lehnherrn von Her [230] wartstein das Urtheil ihm zu sprechen.
Scheu blikte der Verbrecher vor sich zur Erde, als er ins Gemach trat, und die Verweise, die ihm sein Gewissen gab, mahlten sich ab, auf seinem von Scham gerötheten Angesicht.
»Sprecht, Ritter Götz von Heuchlingen!« – begann der Bechinger »sprecht, auf daß wir richten!«
»Dieser Frevler,« erwiederte Götz, »ward von Fideln von Kochenburg zum Schirmherrn von Herwartstein erkiest. Aber er war unwürdig des Looses, das ihm fiel und hätte Fidel ihn gekannt, er hätt' ihm nicht die Huth seines Vogelheerdes anvertraut. Denn er ist sonder Treu und Glauben, und ein Schandflek des schwäbischen Ritterstandes. Ein Weichling, wie es keinen giebt, pflegt er nur zu lauren auf jungfräuliche Ehre, und späht gierig umher, wo er irgend einer unschuldigen Dirne ihre [231] Krone raube. Sein geiler Blik fiel auch auf Jutten von Herwartstein des Burgherrn Tochter, die ihre Jungfrauschaft, falls ihr Vater glüklich wieder kommt, dem Himmel, falls er aber aussen bleibt, meinem gestrengen Herrn, Ulrichen von Rosenstein, gelobet hat. Er drang selbst unverschämt in sie; aber männlich widerstand sie seiner Frechheit. Der verkappte Klausner Veit stekte sich in die Gestalt eines Gespenstes, nachdem er erst die Dirne von ihres Vaters und Buhlen Tod belogen hatte, um sie zu bereden, daß sie dem Verführer zu Willen wäre. Aber ich ertappte den Betrüger, und stieß ihm diesen Dolch durch seinen Hals, daß er starb. – Nun sah' Jörg, der Bösewicht, daß List nichts mehr verfieng, mit Gewalt führte er die Klausnerinn aus ihrer Hütte, und raubte also der Dirne ihre Unschuld und ihre Ruhe, der Kirche ihr Eigenthum, und meinem gestrengen [232] Herrn seine Braut. – Könnten, Männer! könnten seine Verbrechen größer seyn?«
»Ist Götzens Aussage Wahrheit?« sprach der Bechinger.
»Eitel Lüge!« erwiederte mit frecher Stirne Jörg von Horn; – »nie ist in meinem Herzen eine fleischliche Gier nach Jutten von Herwartstein erwacht, und nie hab' ichs begonnen, ihrer jungfräulichen Unschuld nachzustreben. Ob dem was durch Veiten, den Klausner geschehen ist, kann Jörg von Horn nicht Rede und Antwort geben, und noch weniger ob dem Raub der Dirne. Denn alle Knechte in der Burg, und selbst die Treulosen, die mich an euch verrathen haben, müssen's zeugen, daß ich seit dreien Tagen nicht über die Brüke gekommen bin.«
»Knappen zeuget Wahrheit!« sprach der Bechinger. [233]
»Seit dreien Tagen,« erwiederte der Aelteste von ihnen, »hat der Schirmherr das Gemach nicht verlassen. Er saß beständig beim Becher und zechte, gleich als ob er sich vorgenommen hätte, mit einem male allen vorräthigen Wein in Günthers Keller auszusaufen. – Aber seine zween vertrautesten Knechte, Wolf und Walther, zween Erzschelmen, sind gestern in der Dämmerung ausgeritten, und bis diese Stunde nicht wieder gekehrt. – Mag wol durch sie geschehen seyn, weß man den Ritter beschuldigt.«
»Wo habt ihr eure Knappen hingeschikt?« fragte ihn Ritter Dietrich.
»Auf meine Burg nach Horn, erwiederte Jörg, »wo ich ihrer bedurfte. Sie sind so unschuldig an des Fräuleins Raub als ich. Gott mag richten!« [234]
Auf dieses Wort ward der gefangene Ritter in seinen Kerker zurükgeführt. Die Männer kamen mit einander überein, ihn so lange im Verhafte zu halten, bis Fidel und Ulrich wiederkämen. Die Burghut ward Hansen von Weidenfeld anvertraut. Viele junge Edelknechte von Hellenstein und Rosenstein machten sich auf, die geraubte Dirne auszuforschen. Von keinem ward sie gefunden.
W olfen, als er von dem Dirnenraub wieder umkehrte, kam das Gerücht von der Verhaftung seines Herrn entgegen. Auf das vertauschte er die Rüstung mit einem schlechten Baurenkittel, und entschlossen, Jörgens Rettung zu versuchen, verbarg er sich des Tages bei armen Leuten oder in Wäldern, des Nachts aber lauschte er an dem Felsen von Herwartstein, ob er nichts von dem eingekerkerten Ritter vernehme. Lange war all' sein Lauschen vergeblich. Denn in stumpfes, verzweifelndes Stillschweigen hingesunken, saß Jörg in dem Thurme, nichts weniger vermuthend, als daß draussen der Genosse seiner Boßheit auf Anschläge zu seiner Befreiung sinne.
Eines Tages lag der Knappe im Gebüsche der Burg gegenüber, und spähte ob er nichts ersehen möchte, was seinem Beginnen förderlich wäre. Ungefähr fiel sein Blik [236] auf das Fenster im Thurme, indem er Jörgen am wenigsten vermuthet hatte, und gewahrte die rothe Feldbinde des Ritters, aus dem Fenster hängend. »Ha« – sprach er zu sich selbst – »da wird der gefangene Mann wol hausen – ja da muß er hausen – konnten sie ihn doch im Burgverließ nicht eingesperret haben, sie hätten ihm dann das Urtheil gesprochen, daß er erfrieren soll. Gut! Hier läßt sich was versuchen!« – Der Felsen war an dieser Stelle für den Wagehals nicht zu steil, und um Eisen und Gitter zu zerbrechen, war er mit Werkzeugen wol versehen.
Unruhig erwartete der lose Schalk die einbrechende Nacht. Kaum sah' er sich durch die Finsterniß bedekt, so schlich er aus dem Gebüsche hervor, und begann den schroffen Felsen zu erklettern. Nach vielen mißlungenen Versuchen gelangte er endlich an die [237] Mauer der Burg, und sah' sich so nahe am Kerkerloch, daß er die Feldbinde schier mit der Hand erreichen konnte. Leise schlug er ans Gitter. Jörg trat hervor mit einem bangen: »Wer da!« – » Wolf, euer Knecht,« erwiederte der Fuchs, »ist hier euch zu befreien. Seyd waker und kek; wir wollen die Hellensteiner schändlich täuschen!« Er gab ihm eine starke Feile, und einen Strik, und wies ihn an, beides zu gebrauchen. Bald war das rostige Gitter los, und der Strik befestigt am Pfosten. Jörg kroch heraus und glüklich fuhr er hernieder in Wolfens Arme. Schnell gleiteten sie ab dem Felsen in's Thal, im Gebüsche schlug der Knappe dem Ritter die Fesseln ab, und ihren Feinden hohnlachend, eilten sie auf Jörgens väterliche Burg.
Starr stand Hans von Weidenfeld mit allen seinen Knechten, als am folgen [238]den Morgen der Burgvogt ins Gemach stürzte mit den Worten: » Jörg von Horn ist entronnen.« Auf allen Seiten ritten die Männer aus, den Flüchtling einzuholen; aber keiner entdekte seine Spuhr. Heftig zürnte der alte Hellensteiner ob Jörgens Flucht; heftiger als er Götz von Heuchlingen und die Mannen auf dem Rosenstein; und manch bittres Wort mußte der neue Schirmer hören, von Dietrichen von Bechingen, weil er ihm durch seine Fahrläßigkeit in Bewahrung des Gefangenen, eine glükliche That, so schändlich verdorben hatte.
um diese Zeit lag Fidel von Kochenburg bei Gozelberten Grafen von Dillingen auf seiner Burg, auf dem Rükzuge aus Palaestina. Der Vogelsburger hatte sich daselbst von ihm getrennt, und seinen Weg über das Rieß genommen, wo auf dem Schloße Flochberg einer seiner mütterlichen Verwandten hauste. Zween Tage rastete der Kochenburger bei dem Dillinger, der mit seiner schönen Gattinn hoch erfreut war, über die glükliche Entdekung des alten Herwartsteiners, über die Rettung Ulrichs und Bertholds aus der Sklaverei, und über ihre nahe Wiederkunft. Denn von allem was sich indessen in der Klause im Brenzgau und auf Juttens väterlicher Burg ereignet hatte, war das Gerücht am Strande der Donau noch nicht erschollen.
Gozelbert und Fidel samt etlichen von den Dienstleuten des erstern saßen am [240] Abend des Tages auf der Trinkstube beim Becher, und waren guter Dinge. Klotilde, die indeßen Mutter geworden war, saß freudig über die Kunde, die der Kochenburger, ihr von Utzen gebracht hatte, unter den edlen Männern, ihren Säugling an ihren Brüsten nährend. – Plötzlich fuhr die Thüre des Gemaches auf, und mit ausgebreiteten Armen stürtzte Ulrich den Lieben und Freunden, die er hier beisammen fand, entgegen. Ein lautes Frohloken schallte durch das Gemach. Feurig umarmten Gozelbert und Klotilde den geliebten Bruder, und warmer Händedruk verkündete Fidels und der übrigen Männer Freude. Man füllte die Humpen aufs neue, und die Spielleute des Grafen begannen ihre kunstlosen Melodeien. Ulrich erzählte die Abentheuer auf Wolfengau, und erhöht ward aller Freude, durch die glükliche Entwiklung dieses neuen Strausses. [241] Bertholden schenkte Klotilde zum Lohn seiner Biederthat ihren schönsten Ring, und sanft klopfte Fidel ihm auf die Achsel mit den Worten: »die Krone des Kaisers wär' ein schlechter Lohn für eine solche That!«
»Glaubt ihr,« erwiederte der Bargauer, »ich habe mich um schnöden Lohnes willen für meinen gestrengen Herrn aufgeopfert? – Schande dem Manne! der seine Pflicht dann erst thut, wenn ein glänzender Sold ihm entgegen schimmert.«
»Ja Schande ihm,« setzte Fidel hinzu, – »wodurch können wir auch des Namens edler Männer würdig werden, als allein dadurch, wenn wir nur um deßwillen gut sind, weil wir gut seyn sollen.«
»Wie oft, wakerer Fidel!« fiel hier Ulrich ein, »wie oft haben wir auf Wolfengau des Wortes gedacht, das ihr uns am Gestade der Donau sagtet, – das [242] Glük, das euch entgegen lächelt, ist um deßwillen noch nicht in euren Händen.«
Fidel. Der Unterricht haftet nie fester, als wenn die Erfahrung ihn bestätiget.
Ulrich. Aber nun, Fidel! nun laßt ihr mir doch die Wonne meiner Hoffnungen. Denn näher ist mir die Erfüllung derselben noch nie gelegen, als itzt.
Fidel. Eure Hoffnungen dürfen allerdings in dem Maße zuversichtlicher werden, in dem die Gefahren des Zuges sich vermindern. Indeß hab' ich euch aber noch ein Wort am Gestade der Donau gesagt, das ich um deßwillen nicht zurüknehmen möchte, nämlich: daß uns das Glük manchmal dann noch entwischt, wenn wir schon die Hände ausstreken, es zu ergreifen.
Berthold. Ein hartes Wort für meinen gestrengen Herrn.
Ulrich. Das aber bei ihm kaum eintreffen wird. [243]
Fidel. Ihr habt um Juttens willen schon genug gekämpft, ihr seyd es werth daß ihr endlich die Krone des Sieges erlangt.
Gozelbert. Ja ja du wirst sie erlangen! – Glük dir Bruder! Wenige Tage noch, und die schönste der Dirnen ist deine Frau! – zu den Gläsern, Männer! Hoch lebe Jutta und ihr Gespons! Hoch leben sie! – riefen alle aus, und mit ihrem Jubel tönte der rasche Klang der Trometen und Schalmeien ein.
Ein geharnischter Mann erschien in der Stube und redete den frohen Gozelbert also an:
»Allen Dienst und Fleiß,« sprach er, »entbeut euch mein gestrenger Herr, der Graf von Hellenstein, und versichert euch seiner Freude, so ihr euch mit den eurigen wol gehabet!« [244]
Gozelbert. Alles ist gesund auf meiner Burg, und froh und lustig wie ihr sehet. Was ist sonst eure Werbung?
Der Knecht. Ich bin gesandt um bei euch Kunde einzuholen, von eurem Schwager, Herrn Ulrichen von Rosenstein, ob er noch nicht zurükgekommen ist vom heiligen Zuge, oder ob er in Bälde zurükkommen dürfte.
Gozelbert. Hier ist mein lieber Schwager Ulrich, und sein treuer Reisgenosse Fidel von Kochenburg.
Ulrich. Bringt ihr gute Bottschaft von Herwartstein und von Jutta meiner Braut?
Knecht. Kaum könnte die Bottschaft widerwärtiger seyn, die ich euch bringe. – Es thut mir leid, daß mein gestrenger Herr mich erkiest hat.–
Ulrich. Ohne Umschweife! Kurz und gut! [245]
Knecht. Was ihr erworben habt, Ritter! im heiligen Lande, hat euch der Schirmer von Herrn Günthers Burg, Jörg von Horn, gänzlich wieder entwendet. Er hat Jutten geraubt, und wir wissen bis diese Stunde nicht, wo sie von ihm hingeführt worden.
Ulrich. Jutten geraubt? – Wo – sagt an – wo find' ich den Räuber? –
Knecht. Er ist entronnen von der Burg, deren Schirm ihm anvertraut war, und liegt itzt wol an der Dirnen Seite in seinem Eigenthume.
Einem Rasenden gleich stürmte und tobte Ulrich im Gemache umher. Nicht minder als er zürnte Berthold und Gozelbert. Kalt blieb Fidel und sann auf Rache über den Räuber, und auf den Wiedererwerb des geraubten Guts. Bittre Thränen weinte Klotilde ob ihres Bruders [246] Mißgeschik. – Bald giengen die Männer mit einander zu Rath, und verschwuhren sich, vereint gegen den Räuber auszuziehen, und ihn so lange zu ängsten, bis sie die Dirne seinen Händen entrissen hätten. Mit einem Eide verband sich Ulrich, seine väterliche Burg nicht mehr zu betreten, es zöge denn Jutta an seiner Hand mit ihm hinein. Berthold ritt eiligst gen Rosenstein, und bot alle Mannen seines Herrn auf, ihm ins Brenzgau zu Juttens Klause zu folgen, wo unter den Rittern die Weise der Fehde verabredet werden sollte. [247]
Zur bestimmten Stunde fanden sich all die edlen Männer und gemeinen Knechte im Thale unter Herwartstein ein, welche zum Rachezuge gegen Jörgen von Horn gerüstet waren. Zuerst erschien der Dillinger mit vielen Helmen, und unter ihnen Fidel von Kochenburg und Uz von Rosenstein. Letzterm zersprang beinahe das Herz, von gerechtem Schmerze gepreßt, als er die Klause seiner Dirne ansichtig wurde, nicht mehr von ihr bewohnt. »Ha« – zürnte er – »wie oft träumte ich mich unter diese Thüre und in ihre Arme; – ja mein einzig Labsal war dieser Traum, als die Sklavenkette, in den Felsen von Kalebu, meine Hände und Füsse wund drükte; – und nun, da ich an ihrer Schwelle stehe, ist sie hinweg! – Nach so vieler Noth, soll ich itzt erst noch um sie kämpfen, mit einem Wicht, der des ritterlichen Namens unwerth ist, und ach! [248] vielleicht ist aller Kampf vergeblich! – vielleicht wenn ich sie erhasche, hat er die Krone ihr schon geraubt – und dann – ja dann ist Jutta unwiederbringlich für mich verlohren!« Schnaubend stieß er sein Schwerdt zur Erde, und wie ein Verzweiflender schlug er sich mit geballter Faust vor die Stirne.
»Mäßigt euren Zorn, junger Mann!« sprach zu ihm der Kochenburger, in seiner ernsten und zugleich väterlich-liebevollen Weise, – »mäßiget euren Zorn! Ihr werdet um seinetwillen eurer Wünsche nicht bälder froh. Hätt' ich doch auch Ursache zu zürnen, daß mir Jörg mein Zutrauen, mit dem ich den Schirm der Burg ihm übertrug, so schändlich gelohnet hat. Aber ich unterdrüke meinen Zorn, bis ich ihm einst gegen über stehe, und ihn dann in seiner ganzen Fülle über seinen Kopf ausgiessen kann. Zu früher Zorn, Ritter! macht uns schlaff zur spätern That!« [249]
Indeß rükten auch die Leute von Rosenstein an; das Dienstvolk des Lehnsherrn, vom Bechinger geführt, war eher ins Thal gekommen. Freude und Leid bezeugten Ulrichs Mannen im nämlichen Augenblike, dem bedrängten Ritter. Freude über seine glükliche Wiederkunft, und Leid über seiner Dirne schwehren Unfall. Mit thränenden Augen breitete der alte Götz von Heuchlingen die Arme gegen den jungen Ritter aus. »Gott zum Gruße!« sprach der wakere Greis, »und Dank ihm, daß er euch glüklich wieder brachte! Hohn, und Fluch, und Rache aber eurem Widersacher!« Schweigend umarmte der gerührte Uz den getreuen Dienstmann. »Ich wähnte,« fuhr er fort, »ich dürfte fürder nicht mehr zur Fehde ziehen; aber nie kochte größre Streitlust in meinem Herzen, als an diesem Tage. Wie freudig wird dieser graue Kopf in die Grube fahren, [250] sah' ich erst eure Braut an eurer Seite, durch meine Hülfe mit erkämpft!«
Die Anführer der dreifachen Rotte traten zusammen in Juttens Gemach, und hielten Rath über das Beginnen – zu dem sie alle gegürtet waren. Bald kamen sie unter sich überein, geraden Weges Jörgens Burg entgegenzurüken, und mit Feuer und Schwerdt ihn so lange zu ängsten, bis sie ihm die Dirne wieder entrissen, und seine Frevelthat nach Verdienst gestraft hätten.
Ihm einen Absagebrief zu schiken, hielten sie nicht für nöthig. Denn ein solcher, sagten sie, der durch schlechte Bubenstüke, sich aller ritterlichen Würde verlustig gemacht, und sich selbst in den Orden der Räuber herabgewürdiget hat, verdient auch nicht als ein Ritter, sondern als ein Räuber behandelt zu werden.
Als sie ihres Rathes einig geworden waren, giengen sie hinaus zu den versammleten Männern, und Ulrich redete sie also an:«Ihr [251] wißt es alle, edle, tapfre Männer! welch' ein schändlich Unbild, mir der verruchteste aller Frevler, Jörg von Horn erwiesen hat. Ihr stehet zum Kampfe gerüstet, ihn zu strafen für seine That, und mir den Schatz wieder zu erringen, den seine Hand von meinem Herzen geraubet hat. Ich habe viel um Jutten erlitten; – Hunger und Durst, Frost und Hitze, Armuth und Blöße, Leibes- und Lebensgefahr, und – ich ein freier, deutscher Ritter trug um ihretwillen, im Diensthause eines heidnischen Tyrannen, an diesen Gliedern, die Sklavenkette. Als ich die Gauen des Vaterlandes erreicht hatte, hofte ich ungehindert all' meiner Mühseligkeiten Preis zu ergreifen; aber ein arger Bösewicht hatte mir ihn entwendet. Nicht genug daß er mir meine Buhlinn raubte, – er hat auch den ganzen Ritterstand geschändet, durch die Untreue, mit der er der Verräther und der Mörder derer wurde, die ihm zur Beschirmung anvertrauet waren. – [252] Sagt an, Männer! wo ist der Frevler der diesem gleichet? – Wir ziehen aus ihn zu strafen! – Nicht gegen einen Feind ziehen wir dem Ehre gebührt, sondern gegen einen Räuber, der seinen Lohn aus des Henkers Hand erlangen sollte. – Seyd tapfer und fest, und beweiset durch Frömmigkeit und Muth, daß ihr es würdig seyd, das Schwerdt zur Züchtigung der Boßheit empfangen zu haben!«
»Wir wollen ihm geben, was seine Thaten werth sind!« sprach einmüthig die ganze Schaar der Reisigen, und rachedürstend sassen Ritter und Knechte auf, um den Verbrecher zu erspähen.
Die Veste Horn lag auf einem niedrigen, felsichten Hügel, der sich in das angenehme, romantische Thal hinabsenkt, in dem die Fluthen der Lein, in dem Schatten düstrer Tannen und zweigreicher Weidenbäume kaum bemerkbar einherschleichen. Un [253]zugänglich durch starke Mauren und tiefe Gräben war die Veste von allen Seiten, und weit im Lande umher konnte man spähen auf der Warte, ob sich Feindesgefahr aus irgend einer Gegend nähere. Aber nur eine kleine Zahl von Knechten lag auf der Burg, und von Jörgen wußte man es wol, daß er ein Brauskopf ohne Nachdruk sey, dem im Fall der Noth weder List noch Gewalt zu Gebote stünden. Zu dem schien es bey diesem Zuge, wo man wegen der Verbrechen des Feindes nicht an die Gesetze der Ritterschaft gebunden war, am meisten auf Schlauheit und kluge Anschläge anzukommen, denen, wenn man sich dieselben erlauben darf, kein Graben zu tief, und keine Mauer zu hoch ist.
Unbemerkt von den Wächtern auf Jörgens Burg erschienen die Rächer auf dem Blachfelde, das sich über dem jenseitigen [254] Gestade der Lein, auf einem lustigen Bergrüken ausbreitet. Sie verbargen sich in einem dichten Walde der Burg gegen über, und bereiteten sich zum Strauße. Ulrich mit seinem treuen Knechte Berthold aber, stekte sich in den Kittel eines armen Mannes, und so vermummt wanderten sie, mit Stäben in der Hand, vorwärts; um die Lage der Burg zu erkunden, und einen listigen Streich zu Jörgens Untergang, vorzubereiten. [255]
Sie saßen am Abhange der Anhöhe, und spähten hinüber nach dem Wohnsitz des Dirnenschänders. Alles war ruhig in der Burg, und harmlos stand der Wächter, mit seinem Wehre in der Hand, auf der Warte. Indem sie mit einander von der Stärke der Veste, und von der Höhe ihrer Mauren und Thürme redeten, kam ein Mann furchtbaren Aussehens, die Staige herauf ihnen entgegen. Er trug ein eisernes Helm auf seinem Haupte, und ein schwehres Schwerdt in seinem Wehrgehänge. Mit starkem Draht war sein Wammes überflochten, und ein Dolch, mit einem eisernen Griffe, stak in seinem Busen. Ein diker Bart hatte Mund und Kinn umwachsen. Ein tiefes Wundmahl lief quer über seine Stirne. Einen ungeheuren Knotenstok trug er auf seiner Schulter.
»Wer seyd ihr?« rief er trotzig den Rittern entgegen. »Wir sind arme Leute [256] aus dem Kocherthale,« erwiederte Ulrich, »und ziehen wallfahrten zur Kapelle des heiligen Kolomanns auf dem Aalbuche.« Der Mann setzte sich zu ihnen nieder, und fieng an ein hartes Stük Brod zu essen, das er aus der Tasche am Wehrgehänge genommen hatte. Er brummte dazu mürrisch unverständliche Töne in seinen Bart, und stieß einen tiefen Seufzer nach dem andern aus.
»Ein hartes Brod« – sprach er vor sich selbst; – »bald werd' ich meine Hand gegen Menschen ausstreken müssen, denen ich Schonung geschwohren habe! Doch – nein; ich will gerecht seyn, und lieber Gras und Wurzeln fressen, als mein Gelübde brechen. – Ich will meinen Zorn immer zähmen, bis ich ihn gegen den auslassen kann, der mich ins Elend gestürzt hat. – Je länger man den Spunden im Fasse zudrükt, in dem der Most gähret, desto stärker schlägt er los!« [257]
Ulrich. Ihr scheint unglüklich, wakerer Mann!
Er. Ich schein' es nicht blos; ich bin es in der That.
Berthold. Kann ein Mann von edlem Blute auch unglüklich seyn? – dacht' ich immer, Noth und Elend sey nur das Loos armer Leute, wie wir es sind?
Er. Ich bin kein Mann von edlem Blute. Ich lebe vom Raub'.
Berthold. Und doch müßt' ihr mit dieser Krume harten Brodes euch begnügen?
Er. Würd' ich jedermänniglich, ohn' Unterschied berauben, so lebte ich wol köstlicher; aber ich habe einen Eid geschwohren, der armen Leute zu schonen, und keinem derselben, nur eine Aehre aus dem Aker zu ziehen. Pfaffen, und Juden, und ritterliche Leute sind es allein, nach deren Gut ich strebe. [258]
Ulrich. Also sind wir ausser Gefahr von euch ausgezogen zu werden?
Räuber. Fürchtet euch nicht! Ob ich gleich raube, so ist mir doch der Eidschwuhr heilig.
Berthold. Warum lauret ihr aber nur auf jene die ihr genannt habt? – Vergebet mir armen Mann diese vorwitzige Frage!
Räuber. Die Pfaffen sind Tagdiebe und Lüstlinge, die all' ihr Gut durch Unrecht an sich bringen; – die Juden sind Betrüger, die durch Wucher und falsche Waar ehrliche Christenleute hintergehen; ritterliche Leute aber haben mich ins Elend gestürzt, daß ich unstät und flüchtig, und in beständiger Lebensgefahr im Lande umher getrieben werde. – Die erstern beraube ich, weil sie das ihrige selbst durch Raub erworben haben; die letztern aber aus Rache. [259]
Berthold. Weh' dem Manne, der euch ins Elend stürzte! Ihr dünkt mich zu etwas mehr gebohren; als zu einem Räuber.
Räuber. Ja dreimal wehe ihm! Doch Geduld! ich werde mich rächen. Wär' ein Gott im Himmel, wenn am Ende die Unschuld nicht noch triumphirte? – Ja ja! er wird fallen durch meine Hand, – im Lenze seines Lebens wird er fallen.
Ulrich. Euer Auge liegt so scharf auf jener Burg gegen über. Haußt etwa dort der lose Wicht der euren Zorn reizte? –
Räuber. Dort haußt er, und Jörg von Horn ist sein Name. Zwei Jahre schon laur' ich sein. Ins Brenzgau bin ich ihm nachgezogen, und zurük folgte ich ihm wieder, an dieses Flusses Strand. Noch konnt' ich ihn nicht erhaschen; aber gewiß! er entrinnt mir nicht. Unaufhörlich will ich ihn verfolgen, wie [260] der Geist des Vaters seinen Sohn verfolgt, der ihn erschlagen hat.
Berthold und Ulrich zugleich: (sehr gespannt) Was hat euch Jörg von Horn zu Leid gethan?
Räuber. Männer! ihr werdet meinen Rachedurst billigen, wenn ihr's erst vernommen habt, wie der Frevler mit mir handelte. – Ich war im Dienste bei Eberharden von Leinek dessen Burg weiter oben am Flusse liegt, nicht fern von seinem Born. Dieser Ritter zog zum Hoflager des Kaisers, mit dem Schenken von Limpurg und seinen Mannen. Kurz zuvor hatte er Mechthilden von Unmuß gefreit, eine schöne, holde Dirne, weiß wie die Blüthe des Schleedorns, und roth wie die Rose; der aber die höchste Zierde mangelte, Keuschheit und Zucht. Als er zog übergab er Weib und Burg Jörgen von Horn, der auch den Schirm der letztern [261] nicht übernommen haben würde, hätten die Reitze der erstern nicht längst geile Lust in ihm entzündet. Unbesorgt verließ der Ritter sein Eigenthum, und sonder Ahndung, welch' treulosen Händen er seinen liebsten Schatz vertrauet hatte. ›Hilpert‹ – sprach er zu mir, den Abend ehe er zog – ›ich lasse dich zurüke. Nimm das Meine wol in Acht, und gewahre treu und fleißig mein junges Weib. Denn junge Weiber sind lüstern, und die Welt liegt im Argen. Ich lasse dir deine Treue nicht unbelohnt!‹ – Sorgfältig that ich, was der Ritter mir befohlen hatte. Aber gleich in den ersten Tagen mißfiel mir der Umgang Mechthildens mit Jörgen nicht wenig. Bei verschloßnen Thüren saß er oft Stunden lang neben ihr, in ihrem Gemache. Er begleitete sie, wenn sie hinabgieng an die Quelle zu baden, und keine Zofe gieng mit ihr. Er kneipte sie beim Essen in die Wangen, und speißte mit ihr [262] auf einem Teller. Sie scherzte und lachte mit ihm, wie ein züchtiges Weib nur mit ihrem Gatten scherzen und lachen soll. – All' das schien mir deutlich zu erproben, daß für des Burgherrn Ehr und Gut durch den Schirmer gar schlecht gesorgt sey, und ich entschloß mich, den beiden Kosenden so lange im verborgenen zu lauren, bis ich inne würde, in wie weit mein Argwohn gegründet sey. Ich kam bald ins Reine. – Unten am Fusse des Hügels, auf dem die Burg meines gestrengen Herrn liegt, und wo man eine gar anmuthige Aussicht ins Thal beherrscht, war eine kleine Lauberhütte gepflanzt, dicht mit Gebüsche umwachsen. Mechthilde gieng an einem Abend in die Hütte hinab. Ich stand auf der Zinne des Thurms, und spähte ihr nach. Kaum war sie in die Hütte eingegangen, so folgte ihr der Schirmer von der Seite. Durch diesen Anblik entrüstet, ergrief ich mein Schwerdt, [263] sprang aus der Burg, und schliech im Gebüsche zur Hütte hinunter. Was ich hier sah' und hörte, brachte meinen Zorn aufs Aeusserste. Voll Grimmes sprang ich in die Hütte, und bohrte, in gerechter Erbitterung, die verruchte Ehebrecherinn, in den Armen ihres Buhlen, mit meinem Schwerdte durch und durch. ›Lohnest du so deines Eberhards Treue, schändliche Metze!‹ sprach ich in einem Donnertone, und plötzlich stürzte Wolf, Jörgens Knappe, und ein abgefeimter Wicht, und der Mithelfer zu allen seinen Frevelthaten, ins Gebüsche. Jörg stand betäubt, wie von Gottes Rachestrahl getroffen; aber der Knappe war entschlossen. Er schlug mit dem Schwerdte auf mich herein, und hieb mir die Hand, worinn ich mein Wehr hielt, mit einem Schlage ab. Hier sehet ihr den Arm ohne Hand! Unmächtig sank ich nieder, und mischte mein Blut, mit dem Blute der Ehebrecherinn. [264] Als ich aus der Unmacht wieder erwacht war, sah' ich die Hütte voll meiner Kameraden. Triumphirend stand der verbuhlte Ritter vor mir, mein blutiges Schwerdt in der Hand haltend. ›Greift ihn, Brüder!‹ war mein erstes Wort, ›auf daß wir die Schande unsres Herrn rächen!‹ Höhnend sahen die Knappen auf mich, und statt ihre Hände an den Verbrecher zu legen, nahmen sie mich in Verhaft. Ich sprach viel zu meiner Vertheidigung, und zur Anklage des Ritters. Alle schienen entrüstet über mich, und keiner billigte meine Rede. Ich ward auf die Burg geführt, in den Blutthurm geworfen, und dem grösten Missethäter gleich an die Wand geschmiedet. Wol drei Monate war ich inne gelegen, und hatte des Elends viel erfahren, in Schmerz und Krankheit, Hunger und Durst, Frost und Blöse, – als einst um Mitternacht, einer meiner Kameraden, Adolf ist der Name des Edlen, die Kerker [265]thüre öffnete, und leise herein schliech mit den Worten: › Hilpert, ich bin von deiner Unschuld überzeugt, und komme dich zu befreien. Eile! der Staab ist über dich gebrochen. Dein Kopf soll fallen unter des Henkers Hand!‹ – ›Ich fliehe nicht,‹ war meine Antwort; ›was hab' ich gethan, das des Todes werth wäre? Sie können mich morden; aber mir das Bewußtseyn meiner Unschuld zu rauben, vermögen sie nicht!‹ – › Hilpert!‹ erwiederte mein Waffenbruder, ›du bist des Ehebruchs mit des Burgherrn Weib angeklagt, die Lasterthat, ob der du den Schirmer ertapptest, giebt er dir schuld, und so fein weiß Wolf und er zu lügen, daß niemand an der Wahrheit ihres Zeugnisses zweifelt. Du erlangst auf Leinek keine Gerechtigkeit, und eh' man dich gehört hat, bist du schon verdammt. Erhalte dein Leben, Bruder! daß du dem Frevler von Horn noch seinen Lohn für [266] seine Schandthat geben könnest!‹ Ich weigerte mich noch lange. Adolf ließ nicht ab. Er brach meinen Vorsatz. Ich kroch durch das zerbrochene Gitter, und entkam auf einer in den Posten gehenkten Strikleiter ins Freie. – Nun, sagt Männer! wo hat die Boßheit einen grössern Sieg über die Tugend erfochten, als in dem Hause des Leinekers? – Glaubt ihr, mein Leichnam würde ruhig unter der Erde schlafen können, blieb ich Jörgen den Lohn schuldig den er um mich verdienet hat? – Ja er soll ihn erhalten, und müßt' ich aus dem Abgrunde des Meeres den Stein holen, der seine Glatze treffen soll! – sie soll getroffen werden. Ich war ein braver, treuer, biderer Rittersknecht, und meinte es gut mit jedermann, und stritt in der Fehde, daß sich Alt und Jung darob erfreute; und nun, da ich mit diesem Rumpfe, weder das Schwerdt im Kampfe führen, noch [267] graben kann, muß ich rauben, und muß ein Scheusal der Menschen seyn! – doch gut, es soll ihm vergolten werden!«
Mit grosser Begierde horchten die beiden Ritter der Rede des Räubers, und beide fühlten es gleich stark, daß kein blindes Ungefähr sie mit ihm zusammengeführt habe. Ulrich trug kein Bedenken geraden Wegs seine Hülle abzuwerfen.
» Hilpert« – sprach er – »wir helfen euch zur Rache. – Wir haben einen Zwek. – Auch wir sind ausgegangen Jörgen für eine schändliche That zu strafen!«
Er erzählte dem Räuber die Geschichte von Jutten und von ihrer Entführung. Freudig vernahm Hilpert seine Worte. Er gieng mit den Rittern zu der Rotte der Reisigen zurük, und redete mit ihnen von der Weise, wie Jörg berükt und gefahen werden könnte. [268]
Der Fund den Ulrich und Berthold in ihrer Verkleidung gemacht hatten, war ihren Waffenbrüdern sehr erwünscht, zumal da der Weg der Gewalt in der Befehdung des treulosen Schirmers mit beinahe unersteiglichen Klippen belegt war, der Räuber aber zu einer listigen Unternehmung solche Vorschläge machte, die allen sehr klug und zwekmäßig däuchten. »Durch Berennung,« sagte er, »werdet ihr euch der Veste Horn schwerlich bemächtigen. Denn die Natur und Menschenhände haben vereint gewürkt, um jeden Ueberfall zu vereiteln. Auch habt ihr, wie ich sehe, kein Sturmgeräthe bei euch, und um so minder wird euer Vorhaben euch gelingen. Mancher wakere Mann aus eurer Schaar, würde bei den grossen Vortheilen der Belagerten aufgeopfert werden; und wahrlich! es wäre Schade für einen Hund, der um Jörgens willen stürbe, geschweige denn für so tapfere Ritter [269] und Knechte, wie ihr scheinet. Gesetzt aber auch ihr brächet seine Burg, um deßwillen fiel er mit der geraubten Dirne doch noch nicht in eure Hände. Denn viele unterirrdische Gänge führen aus der Veste ins Freie, und durch einen solchen würde, falls die Noth über Hand nähme, gewiß der Elende mit seinem Raube sich retten. Ihr müßt, wollt ihr eure Wünsche erfüllt sehen, einen listigen Streich versuchen. Gelingt euch dieser nicht, so bleibet euch die offene Fehde noch immer übrig. Vernehmet meinen Rath! – Dieser Frevler dort in dem Felsenneste, ist ein gewaltiger Jäger, der, zu feige gegen bewehrte Männer zu streiten, mit unersättlicher Mordlust die arme Thierlein des Feldes verfolgt. Das Gehäge im ganzen Thale herauf, längst dem Gestade des Flusses, ist eine seiner Burg anhängende Gerechtigkeit. Manchmal fallen ihm Wilddiebe in den Gau. Darob wird er äusserst unwirsch, [270] rükt sogleich mit seinem ganzen Harste aus, und tobt und lermt im Thale, wie wenn er gegen eine Rotte Ungläubiger zur Fehde zöge. – Wollen wir Morgen, ich und etwa ein paar beherzte Männer von den eurigen, dreist am Fusse seiner Burg vorüber jagen, Was gilts, er wird gleich mit wenigstens zwanzig Helmen heraustreten, und ins Thal herunterstürmen. Eure Rotte zertheilte sich denn in dieser Nacht. Die eine Hälfte legte sich ins Gebüsche unten am Gestade des Flusses, um ihn, wenn er mit den Seinen heranrükt, gählings zu überfallen; die andre Hälfte aber hielte hinter seiner Burg, dort in jenem Fichtenwalde, und schnitte diejenigen, die etwa die Flucht ergreifen möchten, vom Thore ab. Hätten wir dann den Herrn geschlagen, so würden wir wol auch bald Meister seines Herdes seyn. Folgt meinem Rathe, Männer! Ich halte ihn für unfehlbar!« [271]
Die Worte des Räubers fanden Eingang bei Rittern und Knechten, und man begann sogleich die Ausführung seiner Anschläge vorzubereiten. Hilpert und zween Edelknechte von Dillingen übernahmen die Rolle der Wilddiebe, wozu ihnen der Heuchlinger seine Rüden und sein Jagdgeräthe von seiner Burg kommen ließ. Ulrich setzte sich an die Spitze des Haufens der Jörgen überfallen sollte; mit der einen Hälfte aber rükte Gozelbert, von der Finsterniß der Nacht bedekt, in den Fichtenwald hinter des Verräthers Burg.
Bald nach Anbruch des Tages begann die Jagd am Fusse des Burghügels vorüber. Schallend heulten die Hunde ins Thal, und mächtig lermte zu ihrem Geheule das – Hurrah! Hurrah! der Jäger. Der Wächter auf der Warte, der ihre Stimme vernommen hatte, rekte den Kopf neugierig über die Mauer, und spähte herab ins Thal. Staunend über die Dreistigkeit der Männer die er gewahrte, eilte er in grosser Hast auf Jörgens Gemach, und brachte ihm die Kunde von den frechen Fremdlingen, die mit Hunden und Geschossen wol versehen, sich nicht entblödeten, im Angesichte seiner Burg, sein Gehäge zu berauben.
Fluchend erhub der Ritter sich von seinem Lager, saß mit dem Kern seiner Knappen auf, und flog stürmend an der Spitze derselben den Hügel hinein. Unerschroken sahen die Wilddiebe ihn kommen, und erwiederten [273] sein Drohen aus der Ferne, mit Hohngelächter. Sie standen jenseits des Flusses. Die Rotte von Horn sprengte mit verhängtem Zügel in die Fuhrt, und schon zogen die Knechte die Schwerdter, um den Dieben ihren Lohn zu geben. Gierig lauerte ihrer Ulrich von Rosenstein mit den Seinen im Hinterhalte. Er konnt' es kaum erwarten, bis sie auf die Stelle kamen, die er als die vortheilhafteste zum Angriff ausgezeichnet hatte. Schnell jagten sie am Gestade des Flusses hinauf. Einen Pfeilwurf mochten sie noch von den Wilddieben entfernt seyn. Ein Wink vom Rosensteiner – und im Fluge stürzte sein ganzer Haufen, praßlend wie der nahe Donner, auf Jörgens Rotte los. Der Angriff kam diesem zu unerwartet, und zu heftig, als daß der Entschluß zur Gegenwehr hätte reifen können. Wie gelähmt stand er mit allen seinen Reisigen einen Augenblik, und schon klirrten [274] die Schwerdter der Rosensteiner auf ihren Harnischen und Helmen. Nicht Widerstand – Flucht war ihrer aller Gedanke. Jörg sprengte gerade zu, mit seinem raschen Hengste, von einem einzigen Knechte begleitet, über das schauerlich-tiefe Gestade des Flusses, und kam glüklich – weil kein Unkraut verdirbt – auf der jenseitigen Ebene ins Freie. Der Sprung war eine That der Verzweiflung; denn entschiedene Todesgefahr war damit verknüpft. Ulrich wollt ihn gleichfalls wagen; aber Berthold rieß sein sich bäumendes Roß, am Zaume von der gefährlichen Stelle zurük, Von Rachedurst getrieben, wandte der junge Ritter um, und jagte, durch die Fuhrt, dem flüchtigen Dirnenräuber nach; aber im undurchdringlichen Dikicht des Waldes, verschwand er plötzlich vor seinen Augen.
Etliche von Jörgens Knechten waren im Streite gefallen, und noch mehr hatten [275] das jenseitige Ufer des Flusses erreicht, Einer von ihnen schlug sich, mit grosser Tapferkeit, mit Hilperten, dem Räuber. Lange bemühte sich dieser ihn mit der Lanze aus dem Sattel zu heben; aber mit Kunst und Kraft ward jeder Lanzenstoß von ihm abgeschlagen. In der Hitze des Streits schob der reisige Knecht sein Visier zurüke.
Hilpert blikte ihm ins Gesicht, – die Lanze entsank seiner Hand und beide Arme ausstrekend, lief er auf ihn zu, und rief laut aus: »Gott Adolf! mein Adolf! – der Edle, der aus Leineks Blutthurm mich gerettet hat!« – Kaum hatte der Knecht seine Stimme gehört, als er das Schwerdt hinwegwarf, rasch vom Pferde sprang, und ihn ungestümm umhalste mit den Worten: »Ja er ist's! – Laßt uns Frieden halten Bruder! – dacht ich's doch, er führt die Lanze, wie Hilpert sie führen mag, der rechten Hand beraubt!« – [276] Rührend war der Anblik für Ritter und Knechte, und mit einem mal hatte aller Spahn ein Ende.
Die Knechte, denen es geglükt hatte, über die Fuhrt zu entkommen, jagten im Fluge den Schloßberg hinan, um in der Burg Zuflucht vor den Waffen der Feinde zu finden. Der Dillinger, der indessen, bedekt von den Bäumen des Waldes, bis an den Weg der zur Brüke führte, vorgerükt war, sah' die flüchtigen Knappen einher eilen; aber statt sie abzuschneiden, hatte er auf neue List gedacht. Die Knappen riefen, sobald sie die Ebene erreicht hatten, mit einem Zettergeschrei, ihren Kameraden auf die Warte: »Laßt uns ein! laßt uns ein! wir sind mit Feindesgefahr umgeben!« Schnell ward die Brüke niedergelassen, und das Thor geöffnet; – und als das Roß des letzten Knappen den ersten Huf auf die Brüke setzte, stürzte der Graf mit den Seinen [277] aus dem Hinterhalte hervor, und drang über die Leichname der niedergestoßnen Knechte in die Burg. Geringen Widerstand fand hier seine Horde. Zitternd überantwortete ihm der Burgvogt die Schlüssel, zu des Burgherrn Gemach. Nur der Wächter auf der Warte stand mannhaft zur Vertheidigung seines Postens. Aber er unterlag der Uebermacht, und ward von den rächenden Streitern über die Mauer in den Graben gestürzt.
»He! He!« – rief der Dillinger über die Zinne der Burg zu Ulrichen ins Thal hinunter, der zürnend über Jörgens Flucht mit seinen Mannen am Gestade des Flusses weilte. Mit Staunen wurden die Männer im Thale erfüllt, als sie den Grafen mit seinen Leuten im Besitze der Burg des Feindes sahen. Eiligst jagten sie den Hügel hinan, und zogen ungehindert in die Veste, die sie sonder Zeit und Blut zu gewinnen, nicht gehoffet hatten. [278]
Siegprangenden Blikes stand Gozelbert unter dem Thore, die Arme gegen Ulrichen ausbreitend, der an der Spitze seines Haufens einher jagte. »Es ist gelungen, trauter Schwager!« rief er ihm entgegen; – »wir sind Meister seiner Burg!« – »Hast du Jutten schon gefunden?« erwiederte sehnend der Rosensteiner. – »Ich mochte dir die Freude nicht entziehen, ihr selbst Glük und Rettung zu verkünden!« entgegnete Graf Gozelbert, und laut frohlokten Ulrichs Knechte im Burghofe. – »Wenn nur der Räuber nicht entronnen wäre!« sprach der junge Ritter zu seinen Mannen, als er vom Rosse stieg, voll bittern Unwillens den Kopf schüttelnd. – »Laßt ihn!« – versetzte Fidel von Kochenburg – »hat er sich ja sein Urtheil selbst gesprochen!«
Der gefangene Burgvogt samt den wenigen andern Knechten, die in der Rächer Hände gefallen waren, wurden sogleich im Burghofe vor den Rittern aufgeführt. Ulrich redete sie, mit freundlicher Gebehrde also an: »Knechte,« sprach er, »ihr könnt für die Lasterthaten eures Herrn nicht verantwortlich seyn, und wir sind auch ferne davon, um derselben willen euch zu strafen. Habt ihr auch Antheil an seinen Freveln genommen, wir verdenkens euch nicht. Denn um deßwillen waret ihr Knechte, damit ihr den Willen eures Herrn thätet. Nun aber seyd ihr all' eurer Pflichten gegen ihn ledig, und steht in unsrer Hand. Ihr würdet unsern Zorn aufs schreklichste reitzen, hieltet ihr noch itzt etwas verborgen, was ihr, ohne eure Treue zu verletzen, uns gar wol gestehen könnet. Thut ihr das letztre, so seyd ihr allzumal eures Verhaftes ledig, und könnt in dieser Stunde noch ziehen, [280] wohin ihr wollt. – Sagt mir, wo finde ich Jutten von Herwartstein, meine Braut, die Jörg von Horn, der Bösewicht mir geraubet hat!«
»Es ist mir herzlich leid, gestrenger Ritter!« erwiederte der Burgvogt, »daß ich euch über die Frage, die ihr uns vorlegt, nicht das Mindeste zur Auskunft geben kann. Und auch meine Mitknechte werden es so wenig können, als ich. Daß unser Burgherr, während er als Schirmer auf dem Herwartstein lag, eine Dirne geraubt habe, ist uns durch unsre Kameraden, die mit ihm im Brenzgau gewesen sind, kund geworden. Von uns allen aber war keiner mit ihm hingezogen. Auch das eine haben sie uns noch erzählt, daß ein andrer Ritter ihnen die geraubte Dirne, abgejagt habe, als sie im Begriffe gewesen seyen, sie nach Horn zu führen. – Dieß ist alles was ich weiß, und die Wahrheit meiner Worte verbürg' ich mit meinem Kopfe!« [281]
»Auch wir wissen nicht mehr!« sprachen einmüthig die andern Knechte.
Ulrich und seine Waffenbrüder waren ob der Rede der Gefangenen nicht wenig bestürzt. Fest überzeugt, auf Horn das Fräulein zu finden, waren sie alle an's Gestade der Lein gezogen, und plötzlich sahen sie nun ihre ganze Hoffnung vereitelt, und sich in die nämliche peinigende Ungewißheit zurükgeworfen, aus der sie sich herausgerissen wähnten. Ulrich ward sehr empört, und sprach in einem drohenden Tone mit den Knappen. Allein mit der vorigen Unerschrokenheit, behauptete der Burgvogt, ihrer aller Unschuld. »Wir sind gefangene Leute,« sprach er »und kein Gut, ist uns nun wünschenswerth als die Freiheit. Die habt ihr uns zugesagt, falls wir's euch offenbahrten, wo Jutta liege, und ihr dünket uns bider genug, daß ihr euer Ritterwort nicht brächet. Verschlössen wir das Geheimniß [282] hartnäkig in uns, was könnten wir damit gewinnen? – Unsres Burgherrn Gunst kann uns nun nichts mehr nützen; desto mehr aber die eurige. Allein was wir nicht wissen, können wir nicht gestehen! Stäupet und geisselt uns, und spannt uns auf die Folter; ihr werdet uns zu tod foltern, aber euer Wunsch bleibt euch unerfüllt.« – Was der Burgvogt sagte, ward auch von Adolfen, dem Knappen, bestätigt, und er erbot sich, auf sein Wort das Siegel des Eides zu legen, oder sich gar dem Urtheile Gottes zu unterwerfen.
Noch war Ulrich nicht von der Ehrlichkeit der Knechte überzeugt. Er ließ alle Gewölbe und Gemächer der Veste durchsuchen, und rief in allen Eken der Dirne mit ihrem Namen. Aber alles Forschen war vergeblich. Ritter und Knechte waren voll Mißmuths ob der schlechten Frucht ihres Sieges. Schwehrmüthig gieng Ulrich [283] auf der Burg umher, und murrte über das Schiksal, das ihm seine schönste Hoffnung so unerwartet vereitelt hatte.
Als am Abend des Tages die Ritter und Edelknechte auf der Trinkstube sassen, und sich berathschlagten über eine neue Unternehmung, die sie um Jutta aufzufinden, wol beginnen sollten, ward ein unbekannter Mann in ihre Mitte geführt, welcher vorgab, daß er Ulrich von Rosenstein manch' wichtige Neuigkeit zu hinterbringen hätte. Er war stark gewaffnet, vom Fuß bis auf dem Scheitel, und trug ein kostbar Schwerdt in seiner Hand.
»Was ist eure Werbung, fremder Mann!« sprach Ulrich voll sehnenden Verlangens.
Fremdling. Ich bringe euch hier, gestrenger Ritter! das Schwerdt eures Widersachers Jörgen von Horn, und die Bottschaft von seinem Tode. [284]
Ulrich. Ist Jörg von Horn tod?
Fremdling. Sehet hier sein Schwerdt, mit seinem eignen Blute gefärbt. – Ich hab' es in seinem Wanste umgekehrt.
Gozelbert. Wer gab euch das Recht Jörgen von Horn zu morden?
Fremdling. Lange war ich der Zeuge aller seiner Frevelthaten, und sein Maaß dünkte mich voll. Als er vom Kampfplatze floh, folgte ich ihm. Der Wald schützte uns vor eurer Nachstellung. Er fluchte verzweifelnd seinem Mißgeschik, als er eure Knechte auf der Warte seiner Burg gewahrte. – »Tödte mich!« – sprach er zu mir – »Satan winkt mir mit beiden Händen!« Ich zog sein Schwerdt und stieß es ihm durch die Lenden, daß er starb. – Nehmet dieses Schwerdt, gestrenger Ritter! und freut euch des Untergangs eures Feindes.
Ulrich. Hebe dich weg aus unsrer Mitte, Abscheulicher! der du deinen eignen [285] Herrn gemordet hast. Er war mein Feind; aber Fluch und Hohn jedem unter uns, der die That dieses Mörders nicht verabscheuet!
Gozelbert. (der ihm das Schwerdt aus der Hand reißt) Und du bist noch oben drein so frech, daß du dein Verbrechen uns selbst verkünden konntest! – Wähntest du etwa, wir billigen ein Bubenstük, weil es unserm Feinde erwiesen ist?
Allgemeines Murren unter den Rittern.
Fidel. Man lasse durch die Knappen diesen Schurken ergreifen, und im Kerker, bis zur Rüge seines Mordes aufbewahren.
Berthold. (kommt herein – er fixirt den Fremdling – staunend:) Gott! – gestrenger Ritter kennt ihr Wolfen von Mainburg nicht mehr? – Seht hier den Räuber eures Dolchs! [286]
Ulrich. Bei Gott! – – Ja er ist's! – Bösewicht! welchen Anschlag hast du wieder in deinem trugvollen Herzen?
Fremdling. (zuversichtlich) Mir ist, als träumte ich. – Ich habe euren Feind getödtet, und zum Lohne nehmet ihr mich in Verhaft, – und scheltet mich einen Verräther. – Ich bin ein armer Rittersknecht, und mit einem male erhebt ihr mich in den Orden edler Leute. – In der That es ist ein Traum!
Hilpert. (der ins Gemach tritt.) Welch' ein Hader! – – Ha! haben wir dich, feiner Geselle? – Wie? unter den Orden edler Leute wollen sie dich erheben? – Nein, nein, gestrenger Herr! ihr irrt euch. Dieser Wicht ist Wolf, Jörgens Knappe, der Genosse aller seiner Bubenstüke. [287]
Götz von Heuchlingen. Denke, wie er uns lügt, er habe seinen Herrn ermordet!
Hilpert. Ich bezweifle es nicht. – Wolf ist aller Frevelthaten fähig.
Fremdling. Eitel Irrthum und Mißverstand!
Ulrich. Führet ihn weg, Knappen! und legt ihn in guten Verhaft, und forschet nach ob er wirklich Jörgen gemordet hat. Wir wollen ihn morgen wieder hören!
Die Knechte banden dem Mörder die Hände, warfen ihn ins Burgverließ, und ritten dann hinaus in den nahen Wald, um den Leichnam des Bösewichts aufzusuchen, der durch eines Bösewichts Hand gefallen war. Bald kamen sie an die Stätte, [288] die ihnen Wolf bezeichnet hatte, und fanden seine Aussage bestätigt. Jörg lag erblaßt in seinem Blute, auf der Erde. Mund und Augen waren aufgesperrt. Krächzend flatterten die Raben über ihm umher. Schreklich war der Anblik. Die Knechte zogen ihn aus, und begruben ihn, und brachten die Kunde, von dem was sie gesehen hatten, den Rittern auf die Burg zurük.
Am andern Morgen sassen die Männer aufs Neue zusammen, um den treulosen, verrätherischen Knappen, noch einmal zu vernehmen, und ihm dann sein Urtheil zu sprechen. Als er vor seine Richter heraufgeführt war, redete ihn der Rosensteiner also an;
»Mann,« sagte er, »gestehe die Wahrheit, und höre auf uns fürder zu lügen. Siehe hier Hilperten, Adolfen, und die gefangenen Knechte, alle zeugen, daß du Wolf, Jörgens Genosse seyest, der als Wolf von Mainburg mich berükt, meine Dirne aus ihrer Klause weggeführt, und Jörgen aus dem Kerker auf Herwartstein befreiet hat. Du kannst gegen so viele Zeugen nicht bestehen. Sage die Wahrheit!«
Wolf. Ich habe mich gestern in meinen Erwartungen so schreklich getäuscht gefunden, und die Beschuldigungen, die von [290] allen Seiten gegen mich ausgesprochen wurden, setzten mich in eine so grosse Bestürzung, daß ich meiner nicht mehr Meister war, und daß es mir däuchte, als träumte ich. Diese Nacht habe ich mich, in der Einsamkeit des Kerkers wieder gefaßt, und nun erst kann ich Rede und Antwort geben, auf das, was sie gegen mich zeugen. – Ich wüßte nicht, warum ich meinen Namen, und die Streiche, die ich auf Jörgens Geheiß ausgeführt habe, läugnen sollte. Ich bin sein Knecht Wolf, und etwa seit sechs Jahren in seinem Dienste. Ich habe unter dem falschen Namen Wolfens von Mainburg dem gestrengen Herrn Ulrich von Rosenstein seinen Dolch entwendet; – ich habe Jutten in der Nacht aus ihrer Klause weggeführt, aber gerade dieser Streich, um dessentwillen alles andre begonnen war, ist mir mißlungen; – endlich hab' ich meinen gestrengen Herrn aus dem [291] Verhafte auf Herwartstein gerettet, und ihn glüklich hieher gebracht auf seine Burg. Wollt' ihr mich um dieser Dinge willen verdammen, meine Ritter! so möget ihr es immerhin thun; aber wenn ich tod bin, wird euch euer aller Gewissen sagen, daß es ein grosses Unrecht ist, einen Diener zu richten, weil er den Willen seines Herrn gehorsam vollbracht, und ganz seinem Dienste gelebt hat. – Gott gebe euch allen solche Knechte wie ich es für Jörgen von Horn gewesen bin!
Ulrich. Weissest du nicht, daß man Gott mehr gehorchen muß, als der Menschen, und daß der Knecht strafbar ist, der den Willen seines Herrn höher achtet, als den Willen seines Schöpfers?
Wolf. Ich habe in alle dem, was im Handel mit Jutten vorgegangen ist, Gottes Gebot keines Weges übertreten. Das Ereigniß mit dem Dolch, war nicht so fast [292] ein Verbrechen als ein listiger Streich, dergleichen sich die Leute täglich gegen einander erlauben, und die Lüge wegen Günthers Tod hieng mit diesem so genau zusammen, daß das eine ohne das andre unnütz gewesen wäre; – auch bin ich wol schwerlich der erste, – es greife ein jeder in seinen Busen, – der, um Minnesold zu erlangen, ein Mädchen belogen hat. – Daß ich meinen Herrn aus dem Gefängniß rettete, wer wird mir darob einen Vorwurf machen? Ich bin stolz auf diese That. – Was aber den Dirnenraub betrift, so kann ich es in meine Seele schwöhren, daß ich ihn nie unternommen haben würde, wären mir nicht längst, in diesem Stüke, viele ritterliche Leute, von grossem Ansehen, mit ihrem Beispiele vorangegangen.
Ulrich. Wie der schlaue Wicht seine Thaten zu beschönigen weiß!
Gozelbert. Seine Worte enthalten allerdings viel wahres. [293]
Fidel. Wegen deß, meine Ritter! was dieser Verbrecher im Dienste seines Herrn gehandelt hat, können wir ihn, wir begehen denn ein grosses Unrecht, nicht richten. Ein Knecht hat ein zweifaches Gesetz vor sich, ein göttliches, und ein menschliches. Das göttliche sagt ihm: Thue nichts Böses! – Das menschliche: Sey deinem Herrn gehorsam! – Wahr bleibt es, so ihm das erstre nicht heiliger ist als das letztre, so ist er ein Schurke; und einen Knecht, der strenger bei meinem Willen hielte, als bei dem Willen Gottes, jagte ich auf der Stelle davon. Allein wenn er eines von diesen Gesetzen übertritt, so sollte, dünkt mich, keiner von den beiden Gesetzgebern dem andern in sein Strafamt greifen. Uebertritt er das menschliche Gesetz, so mögen Menschen ihn strafen; übertritt er aber das göttliche, so muß man auch die Rüge seiner Uebertretung dem [294] Richter im Himmel überlassen. Und diesem Richter müssen wir auch, wie ich dafür halte, Wolfen anheim stellen, so lange nämlich nur von denjenigen Verbrechen die Rede ist, durch deren Ausübung er dem Willen seines Herrn Gehorsam geleistet hat.
Ritter und Knechte stimmten mit dem Kochenburger ein, und sichtbar wuchs Wolfens Muth.
Ulrich. Du bekanntest uns daß du Jutten geraubt habest; wo hast du sie hingeführt?
Wolf. Als List und Trug nicht glüken wollten, beschloß mein Herr sich mit Gewalt der Dirne zu bemächtigen, die ihm so lieb schien, als sein Leben. Mir und Mainharden, den ihr gestern über die Warte gestürzt habt, ward der Auftrag, den Anschlag auszuführen. Wir durften dem Befehle unsres Herrn nicht widersprechen, ohne entweder als feigherzig, oder als ungehorsam [295] zu erscheinen. Mit der einbrechenden Nacht ritten wir hernieder in die Klause, lokten die Dirne vor die Thüre des Hauses, und flugs nahmen wir sie aufs Roß. ›Schont meiner Unschuld!‹ dieß war das einzige Wort, was wir aus ihrem Munde vernahmen. Schnell jagten wir Berg auf Berg ab, um sie bald gen Horn in Sicherheit zu bringen. Allein der Anschlag ward uns schändlich verdorben. Denn als wir ins Kochergau heruntergekommen waren, stiessen wir unvermuthet auf einen ziemlichen Trupp berittener Männer. Wir konnten ihnen nicht mehr ausweichen. Kaum hatte Jutta sie ersehen, als sie ein Zettergeschrei erhub: ›Männer! helft mir armen Dirne aus Räuberhänden!‹ Jach fielen die Reisigen auf uns los. Jutta riß die Schnur entzwei, mit der ich sie gebunden hatte, und sprang vom Pferde. Wir waren in der äussersten Noth. Wollten wir Freiheit und [296] Leben retten, so mußten wir fliehen. Glüklich entkamen wir! – Von dieser Stunde an haben wir auf Horn von Jutten nichts mehr vernommen. Ich weiß auch nicht wer die Männer gewesen sind, die uns das Fräulein abgedrungen haben.«
Ulrich ward bei der Erzählung des Knappen sehr entrüstet, und blikte wild und zürnend auf die Männer im Gemache umher. Obgleich die andern Gefangenen samt Adolfen seine Aussage aufs Neue bestätigten, so drang der beleidigte Bräutigam doch wiederhohlt in ihn, und fieng an, ihm mit der Folter zu drohen. Allein Wolf verharrte standhaft bei seinem ersten Worte, und Juttens Schiksal blieb so ungewiß als es zuvor gewesen war.
»Wir können es auf Horn nicht erforschen,« begann der alte Heuchlinger, »wo der Unglüksstern meines gestrengen Herrn Braut hingeführt hat. Laßt uns daher [297] abstehen von dieser Frage, und den treulosen Knecht über die Frevelthat vernehmen, die er an Jörgen begangen hat. Dann mag der Richter ihm sein Urtheil sprechen, wir aber sinnen auf neue Anschläge, Jutten aufzufinden.«
»Wie, Mörder! wie willst du die That verantworten, die du an deinem Herrn verübtest?« – sprach zu Wolfen Ulrich von Rosenstein.
Man sah' den Muth des Knappen bei dieser Frage sinken. »Hätt' ich euch eher gekannt,« erwiederte er, » Jörg lebte noch, und sinnte auf Rache gegen euch. – Ich wollte mir Anspruch auf euren Dank erwerben; aber siehe! euren Zorn erhalt' ich zum Lohne. – Das ist der Lauf der Welt!«
»Bösewicht,« entgegnete ihm der Dillinger, »hieltest du uns für eine Räuberbande?« [298]
»So vergebet mir!« versetzte der Knecht.
»Führt ihn in den Kerker, daß er seine Strafe erwarte!« sprach Ulrich.
Hierauf giengen die Männer mit einander zu Rath, und beschlossen, daß die Burg Horn unverletzt ihrem Lehnsherrn, dem Probsten zu Ellwangen, – samt dem Mörder seines Mannen, – überantwortet werden sollte; erstre, auf daß er sie einem andern wakern Kämpen übertragen, letztrer aber, daß er ihm den Lohn, für seine verrätherische That, ertheilen sollte. – Die Reisigen von Hellenstein zogen desselbigen Tages noch ab, weil die Rache genommen war, zu der sie sich gerüstet hatten. Die gefangenen Knechte insgesamt ließ der Rosensteiner ledig; Hilperten aber nahm er auf in seinen Dienst. Berthold, der dem Probste zu Ellwangen, die Kunde von Jörgens Fall gebracht hatte, [299] erhielt seine Burg zum Lehn auf Lebenszeit; Wolf aber das Henkersschwerdt zum Danke für sein Bubenstük. Ulrich ritt mit den Seinen traurig auf seine Veste Lauterburg, vom Dillinger begleitet, und litt grosse Pein, ob der Vereitlung seiner Hoffnungen, deren Preis er nur ergreifen zu dürfen geglaubt hatte. All' seine Freunde und Dienstleute trauerten mit ihm, ob der Unglüksschläge, die ihn troffen hatten, doch war ihre Trauer nicht so niederdrükend, daß sie in ihnen den Muth zu neuen Unternehmungen hätte erschlaffen können.
Einer der berüchtigtsten Plaker im ganzen Schwabenlande war um diese Zeit Ernst von Schnaitberg. Seine Burg lag auf einem ziemlichen Hügel am Anfange des Remsgaues, und beherrschte eine weite Aussicht ins Land umher. Da lag der alte Räuber den ganzen Tag unter dem Fenster seines Gemaches, und spähte hinaus auf die Heerstrasse, die sich unten im Thale vorüber zog. Ersah' er unbewehrte Reisende, Kaufleute, Juden, oder andre Städter, so fiel er flugs an der Spitze seiner Horde aus, warf die Leute nieder, zog sie aus, und hielt sie so lange in vestem Gewahrsam auf seiner Burg, bis sie durch eine gute Ranzion, ihre Freiheit von ihm erkauften. Oft hatten es die Städte in den benachbarten Gauen mit vereinter Macht versucht, den Ritter für seine Gewaltthaten zu züchtigen, seine Burg zu brechen, und ihm samt denen die mit ihm waren, den Räuberslohn zu [301] geben. Aber ihr Beginnen vermochte nie etwas gegen die starken Mauren der Veste auf der er hauste, und gegen die Tapferkeit der Knechte, die ihm dienten.
Diese waren es auch, welche Wolfen und Mainharden die Dirne abdrangen, die sie in der Klause unter Herwartstein geraubet hatten. Sie lauerten nämlich am Gestade des Kochers, auf etliche Silberkrämer von Augspurg, die mit kostbaren Kleinodien schwehr beladen, unter einem schwachen Geleite, auf die Messe gen Nürnberg zogen, und durch Ernstens Kundschafter verrathen waren. Diesen Abend hatten sie aber auf ihren Raub vergeblich gelauert; hingegen führte ihnen der Zufall die bedrängte Jutta in ihre Hände. Die Dirne wähnte etliche Augenblike, daß sie nun geborgen seyn dürfte. Aber bald ward sie davon gewiß, daß sie aus dem Regen in die Traufe gekommen sey. Denn die [302] Knechte sprachen, indem sie in der Finsterniß der Nacht mit ihr der Burg ihres Herrn entgegen ritten, viel unzüchtiger Worte, und erlaubten sich üppige Scherze und Narrentheidungen, wie sie Jutta zuvor nie gehört hatte. Voll Bangigkeit und Furcht saß sie hinter einem von den Knappen auf dem Rosse, und betete und weinte viel, bis sie endlich auf die Burg des Schnaitbergers einzogen.
Es war schon tief in der Nacht. Einer von den Knechten führte sie durch eine hohe Wendeltreppe in ein kleines Gemach. Hier saß der alte Räuber Ernst mit zween andern jungen Rittern beim Würfelspiel. Alle waren durch den Wein ziemlich erhitzt. Voll Schreken trat Jutta in ihrer Mitte auf, ihr Angesicht schamhaft in den Schleier hüllend.
»Wie ist der Zug abgeloffen?« fragte Ernst den Knappen. [303]
Knappe. Schlecht genug, gestrenger Herr! – Wir haben wieder vergeblich auf die Silberkrämer gelauert. – Unsre Kundschafter haben uns zum Besten!
Ernst. Ihr seyd insgesamt feige Buben! – Wär' ich noch so rüstig, wie ich es vor zwanzig Jahren war, die Silberkrämer sollten mir wahrlich! nicht entgehen. – Ich wärfe sie zu Augspurg am Perlachberge nieder, und zöge sie im Angesichte ihrer Rathsherren und ihrer Mitbürger aus. Eine solche Beute kommt einem nicht alle Tage! –
Was soll denn diese Dirne hier? –
Knappe. Wir haben sie im Rükzuge aufgefangen. Sie nennt sich Jutta von Herwartstein, und giebt vor, Utz von Rosenstein sey ihr Buhle.
Ernst. Der Fang ist nicht zu verachten. Der junge Utz hat Geld und Gut im Ueberfluß, und kann eine ziemliche Ranzion [304] bezahlen. – Nicht so scheu, mein Töchterlein! auf meiner Burg geschieht euch nichts zu leide.
Jutta. (schluchzend) Peiniget und martert mich wie ihr wollt; nur schonet meiner Unschuld.
Einer von den Rittern. Ein schönes Fräulein! – Wahrlich Utz hat nicht übel gewählt.
Ernst. Seyd getrost, Fräulein! und fürchtet nichts für eure Tugend. – Ja wäret ihr so einem jungen Laffen in die Hände gefallen, wie hier mein Nachbar Herrmann von Falkenberg einer ist, dann möchtet ihr wol Ursache gehabt haben, Gefahr zu fürchten. – Bei mir ist die Zeit längst vorüber, in der schöne Dirnen eine Weide für meine Augen waren.
Herrmann. Es war also doch einmal eine solche Zeit? – Sollt ich mich deß schämen, was ihr von euch selbst gesteht? – [305] Ja ich habe die schönen Dirnen gern, und bei meiner Ehre! eine schönere habe ich lange nicht gesehen, als Jutta von Herwartstein. – Setzet euch hier nieder an meine Seite, schönes Fräulein!
Jutta. Ich bin müde, gestrenger Burgherr! und voll Angst und Gram. Lasset mich in meinen Kerker führen.
Ernst. Ich habe für euch keinen Kerker. Ich gebe euch ein reinlich und warm Schlafgemach. Oswald führe sie hinauf!
Hermann. Weilet länger unter uns, schönes Fräulein! Ich kenne euren Bräutigam, und weiß euch manch' lustigen Schwank von ihm zu erzählen.
Jutta. Mein Bräutigam ist ferne von hier, und um mich seiner zu erinnern bedarf ich eurer Schwänke nicht. – Gestrenger Burgherr, schlafet wol! [306]
Die Dirne entfernte sich, und mit einem Herzen, vom beängstigenden Gefühle ihrer Unfälle schwehr gedrükt, ließ sie sich im Gemache auf ihre Lagerstätte nieder. So tief sie durch ihr Mißgeschik niedergeschlagen war, so pries sie doch den Himmel, daß er sie aus den Händen des Schirmers von Herwartstein gerissen, und auf eine Burg geführet hatte, von deren Eigenthümer ihr keine Gefahr für ihre jungfräuliche Ehre zu drohen schien. Mit der letztern Meinung hatte sie sich aber weidlich betrogen.
Gleich beim Anbruch des folgenden Tages trat der nämliche Knecht, der Jutten dem Burgherrn vorgeführt hatte, mit den Worten zu ihr ins Gemach: »Fräulein! wir werden euch nicht lange bei uns haben auf unsrer Burg.« Mit einer von Hoffnung und Furcht gescheuchten Empfindung befragte Jutta den Knecht, um die Ursache seiner Rede.
»Es ist nicht Vermuthung,« erwiederte der Knappe, »es ist Gewißheit, was ich euch hier sage. Der junge Ritter, den ihr gestern beim Würfelspiele sitzen saht, ist sterblich in euch verliebt. Es ist seine Art so, daß er mit jedem Weibsen, die er das erstemal erblikt, zu lieben und zu dalen beginnt; sobald er aber seiner Lüste Ziel erreicht hat, stößt er jede wieder von sich, und schielt nach einer andern. An diesen wankelmüthigen Liebhaber, Jutta! hat der Alte euch abgetreten, um den schnöden Preiß von dreyßig Gulden, die er im Spiele an den Jungen verlohr. [308] Ich wünsche euch, Fräulein! daß es euch ein wenig besser mit diesem leichten Ritter glüken möge, als allen andern Dirnen, gegen die bisher Liebesgluth in seinem Herzen glimmte.«
Mit Staunen und Entsetzen vernahm Jutta die Rede des Knappen, und in einem Strohme von Thränen ergossen sich die Empfindungen ihres Herzens. Bald fieng sie an ihren Jammer mit Worten zu klagen. »Nein, Knappe!« sprach sie, »mit dem Falkenberger werd' ich nimmer ziehen, und drängen gleich alle Männer in diesem Raubschlosse auf mich los. Sie können mich martern und tödten; aber sie können mich nicht zwingen, daß ich meine Arme einem Wollüstling eröffne, der nur auf Entehrung unschuldiger Dirnen sinnt. – Handelt Ernst von Schnaitberg so mit seinen Gefangenen? Pfui ihm! Hohn und Schmach mag den treffen, der für einen [309] schnöden Lohn die Tugend verräth! – Ich habe Utzen von Rosenstein Treue geschwohren. Nur ihm schlägt dieses Herz in meinem Busen; nur ihm wallt dieses Blut in meinen Adern! – Ich will sterben mit dem Bewußtseyn, daß sein Eigenthum unverletzt geblieben sey!«
Jutta redete noch als Hermann von Falkenberg mit kosender Freundlichkeit und schmeichlendem Blike ins Gemach kam. »Schon,« sprach er, »schon seyd ihr eures Verhaftes ledig, meine schöne Jutta! Ich habe euch losgekauft, und zum Danke, hoff' ich, daß ihr mich heute begleiten werdet auf meine Burg.«
Jutta schwieg, zornig vor sich hinblikend, stille.
»Ich habe,« fuhr der Heuchler fort, ein liebes Schwesterlein von euren Jahren. Die wird sich eurer freuen, und mich loben, wenn ich ihr eine so holde Gespielinn mit [310] nach Hause bringe. Ihr weilet dann auf meiner Burg, so lange es euch gefällt, und wollt ihr von dannen ziehen, so führ' ich euch, von jedem Unfall unverletzt, zum Ursprunge der Brenz, auf eure väterliche Burg, oder gen Rosenstein, wo euer wakerer Buhle haußt.«
Jutta. Ich bedarf eurer Herberge und eures Schutzes nicht. Ich hoffe wol sonder eure Hülfe wieder in meine Heimath zu kommen.
Hermann. Warum so schnippisch, traute Jutta! Kann ein so schöner Mund auch solche Worte sprechen? – ein so schönes Aug auch solche Strahlen blitzen?
Jutta. Bin ich schön, Ritter! so bin ich es nicht für euch! – Ich ziehe nicht gen Falkenberg. Mir ist wol in Herrn Ernstens Behausung.
Herrmann. Aber noch wöler wäre euch bei mir! – Unter uns, Jutta! [311] Ernst ist der ärgste Geitzhals im ganzen Schwabenlande. Fordre ich mein Lösegeld zurüke, so dürft' ihr bis ein neuer Erlöser kommt, im Burgverließ unter Kröten und Eidexen harren. – Und es wär' doch schade für ein so liebes Kind, müßt' es die Grausamkeit dieses habsüchtigen Plakers fühlen! – Mir bebte ob dem Gedanken das Herz. Deßhalb gab ich ihm für euch die Ranzion.
Jutta. Lieber ins Burgverließ als auf den Falkenberg! dort leid' ich weniger Gefahr.
Hermann. Gefahr auf dem Falkenberge? – Fräulein, quält euch nicht mit solchen Träumen! Glaubt ihr ich vermög' es nicht, euch in den Mauren meiner Burg zu schützen?
Jutta. Ich fürchte alle Gefahr von euch selbst! – Ihr werdet mich verstehen. Und nur ist jedes Wort unnütz verschwendet, das ihr fürder über den Zug gen Falkenberg aussprecht. [312]
Hermann. So schnöde stosset ihr die Gunst eures Wolthäters von euch?
Jutta. Ich bedarf keiner Wolthaten von euch.
Hermann. Gut! – Ich ziehe meine Hand zurüke.
Er geht ab. Aber weit entfernt seine Anschläge aufzugeben, entwirft er auf der Stelle einen neuen Plan, der weniger umständlich, und weit sicherer war, als der mißlungene. Er beschloß nämlich die Dirne durch einen Unterhändler, mit falschen Vorspieglungen zu täuschen, und plötzlich in das Netz zu werfen, das er ihr gelegt hatte.
Der nämliche Knappe, der Jutten erst ein böses Herz gegen den jungen Ritter gemacht hatte, ward von ihm zur Ausführung seines Anschlages bestimmt. Dieser Knappe war dem Falkenberger zwar nicht ergeben; er haßte ihn vielmehr, wie alle seine Kameraden, weil er ihnen nicht selten bösen [313] Leumund bey dem alten Burgherrn zu machen pflegte. Aber Geschenke ändern den Sinn der Menschen, und Bestechungen verwandlen oft unsern ärgsten Widersacher in unsern thätigsten Vertheidiger. Durch Bestechungen ward Hermanns Feind, der Gehülfe zu seinem Verbrechen.
Gestiefelt und gespornt kam der Knecht den folgenden Morgen in das Gemach der Dirne. »Ich bringe euch, gestrenges Fräulein!« sagte er, »eine freudige Kunde. Ihr seyd frei. Der Burgherr hat mich abgeordnet, euch zu begleiten, wohin ihr verlanget.« – »Eure Rede ist mir ein Räthsel,« erwiederte Jutta. »Was vermochte so viel über euren Herrn, daß er mich so plötzlich ledig läßt?« – »Der Ritter,« entgegnete der Knecht, »ist diese Nacht in eine schwehre Krankheit hingesunken, und ringet mit dem Tode. Da ward sein Gewissen rege, und in den scheußlichsten Gestalten gieng [314] das ganze Heer seiner Missethaten, vor seinem Blike vorüber. Was er noch gut machen kann, beschloß er gut zu machen. Darum gebot er uns das Burgverließ zu öffnen, und alle Gefangenen los zu lassen.« – »Gottlob!« sprach Jutta frohlokend, »daß ich frei bin. Geleitet mich in meine Klause, und Gottes Lohn wird euch dafür werden!« – Eiligst verliessen sie das Gemach. Die Rosse standen auf dem Burgplatze gesattelt. Sie sassen auf, und Freudenthränen weinend, ritt Jutta hinter ihrem dienstwilligen Geleitsmann ins Freie.
Es führte ein gedoppelter Weg von der Burg des Plakers in die Klause unter Herwartstein. Der eine, der längere, gieng auf einer gebahnten Straße längst dem Thale fort; der andre aber, der kürzere, zog sich über das Gebürge, und den letztern mußte der verrätherische Knappe wählen, wollt er das Wort erfüllen, das er wegen der Dirne dem Ritter Hermann gegeben hatte. Denn die Staige auf der man auf die Spitze des Gebürges gelangte, führte hart an dem Thore der Veste Falkenberg vorüber. Ein Umstand der der sorglosen Dirne gänzlich unbekannt war. Sie gewahrte zwar am Fusse des Gebürges die stattliche Veste; aber der Knappe nannte einen andern Namen, und so sorglos als zuvor, klimmte sie mit ihrem Thiere die Staige hinan.
Sie mochten etwa einen Steinwurf vom Thore der Burg entfernt gewesen seyn, als [316] ein Knecht heraus kam, und ihnen Geleit anbot, über das Gebürge. »Wir hätten dessen zwar nicht von Nöthen,« erwiederte Juttens Führer, »aber um allen Spahn zu meiden, wollen wir uns nicht widern.« (Denn in jenen Zeiten hieng es nicht immer von den Reisenden ab, ob sie sich von den Rittern und ihren Knechten geleiten lassen wollten oder nicht; sondern diese drangen sich ihnen oft wider ihren Willen auf, weil für viele der Geleitspfenning eine ihrer wichtigsten Nahrungsquellen war.) Sie ritten hinter dem Knechte in die Burg, um zu warten bis er gerüstet wäre. Aber kaum waren sie über die Brüke, als diese aufgezogen wurde, und ein Haufen bewaffneter Männer aus dem Thore stürzte. Sie ergriffen mit frechem Ungestümme die Dirne, rissen sie vom Pferde, schleppten sie in ein nahes Gemach, und überliessen sie ihrem Schreken.
Einen höhern Grad hatte Juttens Jammer nie erreicht, als itzt, da nach so vielen vorhergegangenen Unglüksschlägen, ihr Schiksal räthselhafter und drohender schien, als jemals. Sogleich, als sie sich von der ersten Bestürzung erholt hatte, däuchte es ihr sehr wahrscheinlich, daß der ganze Handel eine Veranstaltung des Ritters von Falkenberg seye, und daß der verrätherische Knappe, sie wol gar in seine Hände geführt haben möchte. Dieser Gedanke brachte ihren Kummer auf's Aeusserste. Drei Tage und drei Nächte brachte sie in dieser peinigenden Ungewißheit zu. Der Knecht, der ihr Speise und Trank brachte, gab ihr auf all' ihre Fragen keine Antwort, gleich als wär' er stumm. Der vierte Tag entschied über ihre Ungewißheit. Hermann, der Lüstling, trat in ihr Gemach.
Zitternd bebte Jutta zurüke. »Gott,« sprach sie, »was ich ahndete, ist erfüllt!« [318]
Hermann. Noch immer so spröde, meine Jutta!
Jutta. Entfernt euch, Ritter! Glaubet ihr das durch Gewalt zu ertrotzen, was ihr durch List und Schmeichelei nicht erlangen konntet? –
Hermann. Jutta! was ist gerechter als meine Bitte? – Ich hab' euch aus Räubershänden befreit, und dadurch seyd ihr mein Eigenthum geworden!
Jutta. Ich habe nie Befreiung von euch verlangt. – Aufgedrungene Wohlthaten geben keinen Anspruch auf Dankbarkeit. Auch konnt' ich nie euer Eigenthum werden, weil ich längst das Eigenthum eines andern Mannes bin.
Hermann. Seyd waker, beste Dirne! Euer Buhle ist ferne von hier im heiligen Lande. Was ist's, wenn ihr eure Gunst so lange mir schenket, bis er wieder in unsre Gauen kommt? – Was er nie inne wird, kann ihm nie eine trübe Stunde machen. [319]
Jutta. (äusserst empört) Schämt euch – Schandflek des Ritterstandes! Solche Zumuthungen könnt' ihr einer Dirne von edlem Blute machen? – Hebe dich weg von mir, geiler Bube!
Hermann. Jutta! ihr seyd in meiner Gewalt –!
Jutta. (zieht Ulrichs Dolch aus ihrem Gewande) Ihr könnt mich peinigen und tödten lassen, aber meine Ehre könnt ihr mir nicht rauben. Dieses Wehr wird mich schützen!
Hermann. Jutta!
Jutta. Ich bin auf's Aeusserste gebracht! Lieber will ich mit dem jungfräulichen Kranze sterben, als von einem elenden Weichling geschändet, ein vielleicht noch langes Leben durchweinen.
Hermann. (zürnend) Geduld, Dirne! – du sollst wol noch geschmeidig werden! (Er geht.) So hat noch niemand mit mir [320] gesprochen auf meiner Burg; – aber ich werd's ihr lohnen!
Des folgenden Tages ward Jutta aus dem Gemache, in das sie bisher eingeschlossen war, in einen engen Kerker, in dem Thurm der Burg geführt, um in diesem grausen Loche so lang zu weilen, bis sie sich entschliessen würde, Hermanns Wünsche zu erfülen. Der Knecht, der sie begleitete, ein bidrer, alter Graukopf, ließ manche stille Thräne fallen, während er ihr das Lager in dem Gefängniß zurecht machte. »Ihr weinet, wakerer Mann!« sprach Jutta, »das scheinen Thränen des Mitleids, um meinet willen vergossen!« – »Kämpfet und ringet, Fräulein!« sprach der Alte, »und kauft euch nicht durch eine Lasterthat aus diesem Kerker los. Treue lassen wol Menschen, nie aber Gott unbe [321]lohnt!« – Diese Worte gaben der bedrängten Dirne grossen Trost. »Ja,« sprach sie, »frommer Greis! ich will dulden und kämpfen, bis Gott Hülfe sendet. Nach so vielem Kampfe wird die Siegeskrone nicht aussen bleiben.« Schluchzend verließ der Alte den Kerker, und mit gestärktem Muth ergab sich Jutta ihrem Mißgeschik. Einsam saß sie in dem vesten Thurm, und harrte, unter beständigem Beten und Flehen, um Rettung und um Ulrichs Wiederkunft, der Hülfe von oben, die auch in der That weit näher war, als sie glaubte.
Nicht minder bedrängt als Jutta saß auf seiner Veste Lauterburg Ulrich von Rosenstein, voll bittern Grames, ob dem Verlust seiner Dirne, und ob der Fruchtlosigkeit aller Noth und Mühe, die er um ihretwillen erstanden hatte. Sein Muth und seine Hofnung sanken mit jedem Tage tiefer, und schon fieng er an sie auf immer für verlohren zu geben. Düster lag die Zukunft vor seinem Blike. Denn nie – hofte er – das Weib zu finden, das ihm Juttens Stelle ersetzte, – nie des Harms ledig zu werden, der ob ihrem Verluste sein Herz peinigte, – nie mehr die Burg seiner Väter zu betretten, in der er seine frühere Jugend unter so viel Genuß, und unter so vielen schönen Planen für sein männliches Alter durchlebt hatte. In mancher finstern Stunde beschäftigte er sich sehr ernstlich mit dem Vorsatze, sein Haab und Gut an seine Mannen auszutheilen, den [323] Harnisch mit der Klausners-Kutte zu vertauschen, und in der grösten Wildniß des Aalbuchs, ferne von den Menschen, sein Leben durchzutrauren. Ja er würde gar an die Ausführung dieses schwehrmüthigen Entwurfes Hand gelegt haben, hätt' sich nicht der weise Kochenburger, der indeß nie von seiner Seite gekommen war, so sorgsam bemüht, ihn immer wieder ins Gleichgewicht zu bringen, und sein niedergeschlagenes Herz durch Rath und Trost aufzurichten. Seine Traurigkeit schien sich allen seinen Dienstleuten, die mit ihm auf Lauterburg lagen, mitzutheilen. Stille und niedergeschlagen giengen sie umher, und trat man in die Veste, so glaubte man nicht in die Wohnung eines rüstigen Ritters, sondern in ein Kloster gekommen zu seyn.
In diesem Zustande ward Ulrich an einem Abend, da er eben unter seinen [324] Edelknechten beim Mahle saß, von einem sehr angenehmen Gaste, von Poppelen von Vogelsburg überrascht. Er hatte sich länger unter seinen Verwandten zu Flochberg verweilt, als er ehehin Willens gewesen war, und nahm seine Rükreise über Rosenstein. Da er Utzen hier nicht fand, so ritt er zu ihm auf seine Veste gen Lauterburg. Kaum hatte Poppelen sich niedergelassen, als Ulrich begann, ihm all' die Unglüksstreiche zu erzählen, die ihm seit seiner Rükkunft aus dem heiligen Lande, den Besitz seiner Dirne vereitelt hatten, und für sein ganzes Leben zu vereiteln schienen. Lächelnd hörte der Vogelsburger den erzählenden Ritter an, und als er geendet hatte, sprach er zu ihm: » Ulrich von Rosenstein, und ihr Fidel von Kochenburg, und du mein guter Buhle, Berthold von Bargau, ihr habt durch eure Entschlossenheit, und [325] durch euren kühnen Sinn, mich aus den Klauen heidnischer Räuber erlöst, die schon im Begriffe waren, mich in schmähliche Knechtschaft hinzuführen. Ich konnte damals nichts thun, als eure Frömmigkeit und euren Muth bewundern, und meinen Dank in euren Schooß ausweinen. Aber nun kann ich das, was ihr zu meinem Heile unternahmet, euch vergelten; und darob sey Gott von mir gepriesen. Ulrich! ich weiß, wo eure Dirne wohnet –! und einen Anschlag hab' ich im Kopfe, sie in eure Arme zurükzuführen, der mir unmöglich mißlingen kann. Ein glüklicher Zufall zog mich auf die Burg, in der eure Jutta trostlos sitzt, kämpfend gegen die Wollustgier eines schändlichen Buben, dem sie geraume Tage, mit einer Beharrlichkeit, wie man sie bei Weibern selten findet, Minnesold verwaigert hat. Ich nenne euch den Namen der Burg nicht, und bedarf, [326] um sie zu retten, weder Knechte, noch Streitrosse, noch Waffen. Einen einzigen Mann hab' ich zur Ausführung meines Planes nöthig, der aber abgefeimt und listig seyn muß, und gewandt genug, um eine Larve anzuziehen, die unser einer gewöhnlich nicht zu tragen pflegt. Dann gebt mir noch die Kutte eures Pfaffen, und sein Baret, und in weniger als sechs und dreißig Stunden sitzt Jutta zu eurer Seite an diesem Tische.« – Mit Erstaunen vernahmen die Männer Poppelens Rede, und unbegreiflich däuchte ihnen alles, was er sagte. »Trauet mir,« fuhr er fort; »der Streich schlägt gewiß nicht fehl. Und träfe er nicht, so bleibt ja die Macht der Rosensteiner noch immer übrig, um dem Räuber seinen Raub gewaltsam zu entreissen.« Ulrichs Hoffnung begann zu wachsen. »Ich trau' euch, Poppelen, sprach er, und was ihr verlangt, soll euch werden. [327] Brächtet ihr mir Jutta wieder, o! – ich wüßte gar nichts, was ich zum Lohn eurer Biderthat euch verwaigern könnte!« – Die Männer am Tische stritten sich um die Ehre, den fremden Ritter zu seinem Abentheuer zu begleiten. Poppelen, nannte, um den Streit zu schlichten, Bertholden von Bargau. Er wurde von all' seinen Waffenbrüdern beneidet. Der Vogelsburger unterwies ihn am folgenden Tage über sein Beginnen. Groß war die Erwartung unter den Leuten in der Burg. Eine Ewigkeit schien Ulrichen dieser Tag.
Durch eine sonderbahre Verkettung von Umständen hatte Poppelen Jutta in ihrem Verhafte entdekt. Er reiste auf seinem Zuge gen Rosenstein am Falkenberge vorüber, und weil der Tag sich zu neigen begann, beschloß er um Herberge zu bitten, bei dem Burgherrn, die ihm auch nicht verwaigert ward. Als er bei dem Falkenberger und seinen Knechten beim Abendimbiß saß, so ward zufällig die Rede von Unholden und Gespenstern, die in jenem finstern Zeitalter allgemein geglaubt, und allgemein gefürchtet wurden. Poppelen unterschied sich hierinn sehr zu seinem Vortheile von seinen Zeitgenossen, indem er, vermuthlich durch des Kochenburgers weise Reden überzeugt, all' dieser abergläubischen Fantaseyen lachte, und sich durch die Furcht vor den Geistern aus dem Todtenreiche, keinen Augenblik der Nacht verbittern ließ. Er rükte mit dieser Meinung auch beim [329] Abendessen auf dem Falkenberge heraus, und erklärte der Gesellschaft am Tische unverholen, daß er alles für Wahn und Betrug halte, was sich alt und jung von Hexen, Unholden, und Gespenstern erzähle. Die Männer erstaunten ob dieser Ketzerei des Ritters, und jeder fieng an seine eigene Erfahrung seinem Unglauben entgegen zu setzen. Hermann, dem Poppelens Paradoxie unter allen am meisten auffiel, weil bekanntlich der Thron des Aberglaubens nirgends fester steht, als neben dem Throne des Lasters, begann mit grosser Geschwätzigkeit den Ritter zu widerlegen, und bewieß seine Meinung mit dem Beispiele des Burggespenstes, das Jahr aus Jahr ein, alle Nächte hindurch, in dem obern Gaden seines Hauses, sein Wesen treibe, und durch seine Spukereien ein in demselben liegendes Gemach schon seit vielen Jahren gänzlich unbewohnbar gemacht habe. Alle Versuche es zu [330] vertreiben, seyen bisher unnütz gewesen, und kein Lohn wär' ihm zu groß, könnt' er frei werden, von dieser Plage. – Poppelen hörte mit gleichgültigem Lächeln die Erzählung seines Wirthes an, und erbot sich, zum Beweise seiner Furchtlosigkeit, und der Vestigkeit seiner Ueberzeugung, in dem verdächtigen Gemache zu schlafen. – »Ich rathe es euch nicht,« sprach Hermann; »und will keine Schuld haben, wenn ihr vor euren Vorwitz einen schlimmen Lohn erhaltet. Doch hindre ich euch auch nicht. Denn ich lasse meine Gäste in meinem Hause gern nach ihrer Laune gewähren, damit sie sagen können, bei Hermann von Falkenberg ist gut wohnen!« – Poppelens Kühnheit bewundernd bereiteten die Knappen ihm sein Lager in der Wohnstätte des Gespenstes, und sorglos und beherzt ließ sich der Ritter auf demselben nieder. [331]
Unmittelbar an das Gemach, worinn Poppelen auf sein seltsames Abentheuer lauerte, stieß der Kerker im Thurme, in welchem die arme Jutta, unter der Tyrannei des schändlichsten Wollüstlings, schon so manche kummervolle Stunde durchweinet hatte. Hermann hatte die Dirne mit allem Fleiß in die Nachbarschaft des Burggeistes gesetzt, damit auch sein grauser, nächtlicher Lermen, zur Brechung ihrer Sprödigkeit mitwirken möchte. Aber keine Kraft war stark genug, ihre Tugend zu erschüttern. – Als die Knechte den Vogelsburger auf seinem Lager verlassen hatten, hörte er in der Nähe einen bangen Seufzer nach dem andern ertönen. Er stand auf – eine Lampe brannte auf dem Tische – lauschte an der Thüre die in den Kerker führte, und vernahm bald die deutlichen Worte:
»Gott, wird die Krone für meine Leiden mir noch lange aussen bleiben!« [332]
Der Ritter erschrak, als er diese Worte in der melancholischen Stille des Gemaches fallen hörte. Doch bald ward er seines Schrekens Meister, und sprach laut in die Thüre: »Unglüklicher, – wer du bist – kann ich dich retten?« –
»Ein fremder Ton,« erwiederte die Stimme; – »nicht der Ton eines der Verräther auf dem Falkenberge!«
»Nein,« erwiederte der Vogelsburger; – »ich bin fremde in diesem Hause, und ein rechtlicher Rittersmann, bereit zum Troste jedes Bedrängten das Schwerdt zu ziehen. – Redet, Weib! redet.«
Jutta. Ihr könnt mich nicht retten. Endlose Quaal ist im Buche des Schiksals mir geschrieben!
Poppelen. Seyd ihr um eines Verbrechens willen in die Gefangenschaft gerathen? [333]
Jutta. Nein, nicht um eines Verbrechens, sondern um meiner Tugend willen bin ich im Verhafte. – Wär' ich meinem Bräutigam ungetreu, und hielt ich Unschuld und Reinigkeit nicht für mein höchstes Gut, – in diesem Augenblike dürft' ich aus diesem Kerker in das schönste Gemach meines Räubers ziehen.
Poppelen. Ist Hermann von Falkenberg ein Dirnenräuber?
Jutta. Ein Dirnenräuber, und ein Jungfernschänder und ein Tyrann, wie es im Schwabenlande sonst keinen giebt.
Poppelen. Wer ist euer Bräutigam? – Ich will hingehen, und ihm eure Noth verkünden.
Jutta. Ihr ziehet wol keines so weiten Weges. – Er ist gen Jerusalem geritten, und schwerlich noch zurükgekommen.
Poppelen. Ich komme geraden Weges aus dem heiligen Lande. Fräulein, wie heißt euer Buhle? [334]
Jutta. Ulrich von Rosenstein.
Poppelen. Seyd ihr nicht Jutta, die Tochter Herrn Günthers von Herwartstein?
Jutta. Die bin ich. – Aber wie konntet ihr meinen Namen errathen?
Poppelen. Gebenedeiet sey der Heiland und seine heilige Mutter, daß ich euch fand! – Seyd getrost Fräulein, ihr sollt gerettet werden. – War mir's doch als ich von Ferne die Zinne des Falkenbergs gewahrte, als würd' ich an beiden Armen auf die Burg gezogen. – Ja gedankt sey dem Himmel, daß ich Ulrichen seine Biederthat lohnen kann.
Jutta. Ihr scheinet meinen Buhlen zu kennen, fremder Mann! lebt mein Ulrich noch?
Poppelen. Er ist mein Busenfreund, und mein höchster Wolthäter, und mit mir aus dem heiligen Lande zurükgezogen. [335] Ich gehe hin, ihn in seinem Eigenthum zu besuchen.
Jutta. Glüklich kam er also wieder! – Gott sey gelobet! – Und mein Vater?
Poppelen. Euer Vater ist tod, Fräulein! und ihr seyd eures Gelübdes ledig.
Jutta. Das hab' ich längst geahndet. Gott gebe ihm eine süsse Ruhe, und eine fröliche Urständ an seinem Tage! – Ulrichen hätt' ich also itzt, wär' ich nicht in Räubershände gefallen. – Ich arme Dirne!
Poppelen. Seyd getrost, Jutta! bald erlangt ihr aller eurer Mühseligkeiten Preis aus eures frommen Buhlen Hand. Seyd getrost, und traut meinem Worte!
Noch viel sprach der Ritter mit der Dirne die Nacht hindurch, durch die Thüre, während ein zahlloses Heer von Ratten im Gemache ohne Scheu seinen Muthwillen trieb, erzählte ihr die Abentheuer, die Ulrich [336] erstanden, und wekte in ihrem traurenden Herzen, neue Hoffnung und neuen Muth. Mit zerstreuten Haaren, zitternd am ganzen Leibe, und die Angst eines Hinscheidenden heuchelnd, trat Poppelen zu dem Falkenberger ins Gemach. – »Ich ward schreklich gestraft für meinen Vorwitz;« sagte er ihm, »und euer Wort seh' ich erfüllt. Einmal einen Geist aus dem Todtenreiche in Versuchung geführt, und in meinem Leben nie wieder! – Männer! diese Nacht verkürzt mein irrdisch Daseyn um Jahre! – Ich bin's nicht im Stande, die Pein zu schildern, die ich erlitten habe. – Was ist Todesbitterkeit gegen die Angst, mit der ich diese Nacht durchrang? –«
»Drum,« erwiederte der Burgherr, »lernt in Zukunft euren Vorwitz bezähmen, und trauet eurem eignen Urtheile nicht mehr zu, als dem Urtheile der ganzen Welt.« [337]
»Schenket mir,« fuhr der Vogelsburger fort, »schenket mir, Ritter Hermann! euer Haus, samt allem was ihr habt dazu, und heisset mich zugleich hier wohnen, – ich dank's euch nicht. – Himmel! welch' eine scheußliche Gestalt, welch' eine schrekliche Stimme, – welch' ein Mark und Bein durchdringendes Zähneknirschen, – welch' gräuliche Flüche über Gott, und über sich selbst! – Nein, dieß alles löscht keine Zeit aus meiner Seele aus. – Wie gesagt, machten sie mich zum Kaiser, und ich müßte hier wohnen, ich möcht' es nicht!«
»Die Hälfte meines Vermögens,« sagte Hermann, »setz' ich dran, so ich des Gespenstes los werden könnte.«
»Ich kenne einen Mönch,« fuhr Poppelen fort, »in einem Kloster im Rieß, der ein Meister seyn soll in der Kunst, die Gespenster zu bannen. Daß er über diesen [338] Burggeist etwas vermag, zweifle ich. Indeß hat der Mann einen grossen Namen. Vielleicht versucht ers, und vielleicht mags ihm auch gelingen. Ich reite hin, ihn euch zu schiken, so es euch gefallt.«
»O wie verbandet ihr mich dadurch,« erwiederte der Falkenberger. »Versprecht dem Pfaffen, falls seine Kunst gelingt, was euch beliebt, ich halte alles!«
»Der Pfaff wird kommen!« sprach Poppelen, und verließ mit diesen Worten die Burg.
Am Abend des Tages ritt der Vogelsburger mit Bertholden von Utzens Veste ab, um den listigen Streich zu vollenden, den der erstre zur Befreiung der verhafteten Dirne ausgesonnen hatte. Berthold war in das Gewand des Burgpfaffen gekleidet, und mit allem wol versehen, was er zur Ausführung seines Anschlages bedurfte. Im Gebüsche, dem Falkenberge gegen über hielt Poppelen mit den Rossen, und der als Priester vermummte Ritter gieng – schon begann es Nacht zu werden – in die Burg, wo er von jedermänniglich mit viel Ehre und Freude aufgenommen ward.
Zuerst ließ er sich in das Gemach führen, wo das Gespenst am meisten zu spuken pflegte. Er machte hier im Angesichte des Ritters und der Knechte die Vorbereitungen zur Beschwörung, und gab diesen so viel feierlich schrekhaftes, daß den Männern, [340] die sonst die grösten Gefahren mit der gefühllosesten Kaltblütigkeit erstanden, mächtig zu grauen begann. Es wurde eine Todtenbahre in die Mitte des Gemachs gestellt. Diese bedekte er mit einem schwarzen Tuche. Vier Lampen brannten an den Eken derselben. Auf einen Stuhl neben den Sarg setzte er einen Todtenkopf. Auf den Boden umher wurden einige Büschel Zauberkräuter gelegt. Die Pfosten der Thüre und der Fenster bestrich er mit einer geweihten Salbe. Die Zuschauer durften während des ganzen Spieles nicht reden. Niemanden in der Burg war es erlaubt zu Abend zu essen. Jedermann mußte fasten und beten.
Als die Stunde schlug, die Berthold zur Ausführung seines Beginnens erwählet hatte, redete er die umherstehenden Männer also an: »Nun ist es Zeit, daß ich die Burg von ihrer Plage befreie. Unfehlbar [341] wird das Werk gelingen. Kein Geist ist so mächtig daß er meiner Kraft widerstehen könnte. Begebet euch nun insgesammt in die Burgkapelle, und flehet vor der Schwelle des Altars um den Beistand des Himmels. Erschreket nicht, wenn ein arges Geräusch in eure Ohren dringt. Ihr seyd ausser aller Gefahr. Zween Knechte stellt ihr unter das Thor, damit sie mir's aufthun, wenn ich das Gespenst auf dem Kreutzweg hinaustrage. Jedermann schweige still, und kein unreiner Gedanke entweihe eure Herzen in dieser heiligen Stunde.« – Die Männer thaten wie ihnen befohlen war, und giengen insgesammt hinunter in die Burgkapelle.
So bald sie sich entfernt hatten, sprach Berthold durch die Thüre zu Jutten in den Kerker: »Wolan, Fräulein! die Stunde eures Heils ist gekommen. Seyd getrosten Muthes! Niemand hindert euch Ulrichs Armen entgegen zu eilen!« [342]
»Ist das nicht Bertholds Stimme?« erwiederte Jutta.
»Ja, Fräulein!« antwortete der Ritter; – » Berthold bringt euch die Krone der Liebe!«
Sogleich zog er die Werkzeuge hervor, die er, um die Thüre zum Kerker zu erbrechen, in seinem Gewande verborgen hatte, und fieng an das Schloß, samt dem Holze, in das es eingenietet war, auszusägen. Schnell gieng die Arbeit von statten, und in weniger als einer halben Stunde, fiel Jutta in Bertholds Arme. Die Männer auf der Burg noch mehr in Schreken zu setzen, damit er mit seiner Beute ungehindert entkommen möchte, warf er den Sarg in die Treppe, daß er mit schmetterndem Geprassel zerbrach, und schlug mit einer Axt an die Thüren und Bretterwände, als ob der Feind zerstöhrend hause in der Burg. Da er des Spieles genug getrieben hatte, wikelte er [343] die Dirne in das schwarze Tuch, womit der Sarg bedekt war, trug sie eiligst hinunter, schnell öfneten die angstvollen Knappen das Thor, und glüklich gelangte er mit ihr zu dem Vogelsburger, der unruhig seiner geharret hatte. Sie setzten sich schleunig auf die Rosse, jagten im Fluge Ulrichs Veste entgegen, lachten des Betrugs, den sie dem Räuber und seinen Genossen gespielt hatten, und freuten sich der Wonne, die Jutten und Ulrichen nach so vielem Leiden bereitet war.
Mit dem Anbruch des Tages nahten sie sich der Burg. Der Wächter auf dem Thurm ersah' sie in der Ferne. Jach eilte er die Treppe hernieder, und erfüllte die Fluhren und die Gemächer mit dem Jubelgeschrei: »Sie kommt! Sie kommt!« – Ritter und Knechte flogen ihr entgegen. Wonnetrunken sank sie vom Roß in Ulrichs Arme. Sprachlos war seine und ihre Freude. In unsäg [344]lichem Seeligkeitsgefühle schlossen sie sich, unter tausend heissen Küssen in die Arme.
»Ich bin reichlich belohnt für meine Leiden!« stammelte der Ritter.
Schweigend blikte die Dirne gen Himmel, und die Thränen des Dankes und der Freude glänzten in ihren Augen.
Frohlokend standen die Knechte umher, und priesen die Vorsicht über der Liebenden Glük.
Wer« – sprach Fidel von Kochenburg – »wer denket noch der Trübsal und der Noth, wenn solche Freude aus ihr quillet?« –