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54. Das Leben.
Unter den wägbaren und mit Masse begabten Körpern unserer Umgebung kennzeichnen sich die Lebewesen so auffallend gegenüber den unbelebten, daß wir meist nicht den geringsten Zweifel haben, ob wir uns einem solchen gegenüber befinden, auch wenn wir die vorliegende besondere Form noch nicht kennen. Wir müssen uns also zunächst allgemein die Frage beantworten, welches diese Kennzeichen sind.
Das erste Merkmal besteht darin, daß die Lebewesen nicht stabile, sondern stationäre Gebilde darstellen. Dieser Unterschied beruht darauf, daß ein stabiles Gebilde in allen seinen Teilen ruht oder unveränderlich ist, während ein stationäres zwar seiner Form nach unveränderlich erscheint, aber innerlich einen beständigen Wechsel seiner Teile erfährt. So ist der Messinghahn an der Wasserleitung ein stabiler Körper, denn er behält seine Form und Funktion nicht nur dauernd bei, sondern besteht auch zu allen Zeiten aus dem gleichen Material, zeigt die gleichen Besonderheiten, wie Flecken und Formfehler usw. Allerdings kann man nicht behaupten, daß er für alle Zeiten vollkommen unverändert bleiben wird, denn sein Metall unterliegt einer allmählichen chemischen und mechanischen Abnutzung; diese aber ist für das Bestehen des Hahnes nicht wesentlich, da sie je nach den Umständen sehr verschiedene Beträge annehmen und, im idealen Grenzfalle auf Null gebracht werden kann.
Ein stationäres Gebilde ist dagegen der Wasserstrahl, der aus dem Hahn fließt. Unter günstigen Umständen kann er gleichfalls eine beständige Form annehmen, so daß man bei flüchtigem Hinblicken ihn für eine stabile Glasstange halten möchte. Bei genauerer Untersuchung stellt sich aber heraus, daß die Wasserteile, die ihn bilden, fortwährend andere sind, indem jeder fortfließende Teil im gleichen Augenblicke durch einen ebenso großen nachkommenden ersetzt wird.
Aus dieser verschiedenen Beschaffenheit ergibt sich auch ein verschiedenes Verhalten. Bringe ich an dem Hahn, etwa durch einen Feilstrich, eine Verletzung hervor, so bleibt diese dauernd bestehen. Durchschneide ich aber den Wasserstrahl mit einem Messer, so ist er im nächsten Augenblicke wieder geheilt, weil vermöge des beständigen Flusses die zerschnittene Stelle alsbald aus dem Gebilde herausgeht. Stationäre Gebilde haben also wegen ebendieser Beschaffenheit die Fähigkeit der Ausheilung oder Regeneration.
Damit ein Gebilde dauernd im stationären Zustande bestehen bleiben kann, muß das Material, aus dem es besteht, dauernd nachgeliefert werden. Wenn mir den Hahn unserer Wasserleitung schließen, so verschwindet oder »stirbt« alsbald der Wasserstrahl. Offenbar kann daher ein stationäres Gebilde nur dann aus eigenen Mitteln bestehen, wenn es die Eigenschaft oder Fähigkeit besitzt, sich das nötige Material immer wieder zu beschaffen. Dies Material besteht zunächst aus wägbaren oder chemischen Stoffen von bestimmten physikalischen oder chemischen Eigenschaften, und so tritt uns der Stoffwechsel als eine notwendige Eigenschaft der stationären Gebilde entgegen. Damit aber ein Stoffwechsel stattfindet, muß außerdem noch freie oder arbeitsfähige Energie vorhanden sein, da nur durch sie die Stoffe überhaupt zum Wechseln veranlaßt werden können, wie denn ein jedes Geschehen in der Welt den Ausgleich freier Energie voraussetzt. Damit also ein stationäres Gebilde selbständig besteht, muß es die Eigenschaft haben, sich der erforderlichen Stoffe und freien Energie selbsttätig zu bemächtigen. Da nun, wie bereits erwähnt, die Energie der Lebewesen ganz vorwiegend in der Gestalt chemischer Energie gesammelt und verwendet wird, so fallen äußerlich die beiden Aufgaben, den Stoffbedarf und den Energiebedarf zu decken, meist zusammen. Bei Organismen nennen mir diese beiden Bedürfnisse zusammen die Nahrung, und somit erkennen wir in der Fähigkeit der selbständigen Nahrungsbeschaffung eine zweite wesentliche Eigenschaft der Lebewesen.
Drittens endlich ergibt sich als wesentliche Eigenschaft der Lebewesen die Fähigkeit der Fortpflanzung, der Hervorbringung ähnlicher Wesen. Es läßt sich niemals die Möglichkeit ausschließen, daß nicht durch irgendeinen äußeren Umstand das Gleichgewicht zwischen Aufnahme und Ausgabe des stationären Gebildes gestört wird, auch wenn es unter normalen Verhältnissen Selbsternährung besitzt. Bleibt diese Störung unter einem gewissen Betrage, so tritt, wie beschrieben, Ausheilung ein. Aber sie kann auch größer sein, und dann hört das Gebilde auf zu bestehen, es stirbt. Dann wird ein ähnliches Gebilde erst wieder entstehen können, wenn die mannigfaltigen Notwendigkeiten, die zu der Entstehung des ersten geführt haben, wieder zusammentreffen. Daß derartiges möglich, ja häufig ist, zeigen uns beispielsweise die Wellen des Meeres, die auch stationären Charakter haben, weil sie unter Beibehaltung ihrer Form sich aus beständig wechselnden Wassermassen zusammensetzen. Sie werden in der Brandung zerstört, entstehen aber immer wieder durch die Wirkung des Windes auf die Wasserfläche. Aber je verwickelter derartige Gebilde sind, um so weniger leicht werden sie sich bilden, während ihre Erhaltung, wenn sie einmal gebildet sind und ihre Existenzbedingungen gefunden haben, sich viel leichter durchführen läßt.
Daher werden solche Wesen, welche rechtzeitig und regelmäßig ähnliche Gebilde aus sich zu bilden vermögen, sich in ihrer Art viel leichter erhalten als solche, denen diese Eigenschaft fehlt. Der Tod hat über die ersteren einen großen Teil seiner Macht verloren. Als Beispiel diene ein anderes stationäres Ding, eine Flamme. Sie ist kein Lebewesen, weil sie ihre Nahrung nicht selbsttätig beschafft, aber sie kann sich vervielfältigen. Und während ein einzelnes Flämmchen bald erlischt, ist beispielsweise das Flammenmeer eines brennenden Waldes, das aus einem Flämmchen entstanden ist, nahezu unvernichtbar, und man kann es nicht anders bekämpfen, als indem man es seinem natürlichen Tode, dem Ausbrennen überläßt.
Während also die Erfüllung der beiden ersten Bedingungen, des stationären Wechsels und der selbständigen Nahrungsbeschaffung Gebilde ergeben würde, die zwar kürzere oder längere Zeit bestehen könnten, zu irgendeiner Zeit aber anderen Gebilden von anderer Form und Beschaffenheit Platz machen würden, so bedingt die Fähigkeit der Fortpflanzung, daß gleichartige Gebilde bestehen bleiben, auch über die Existenzdauer des Individuums hinaus.
Damit sind die wesentlichen Kennzeichen der Lebewesen oder Organismen gegeben.
Daß die Lebewesen alle auf der Grundlage der chemischen Energie aufgebaut sind, ist eine Erfahrungstatsache, die sich so verstehen läßt, daß die anderen Energiearten die Erfüllung der eben ausgesprochenen Bedingungen nicht ermöglichen. Dies liegt an den bereits hervorgehobenen Eigenschaften der chemischen Energie, daß sie gleichzeitig eine große Konzentration und eine lange Aufbewahrung gestattet. Man erkennt die Einzigkeit der chemischen Energie für diesen Zweck alsbald, wenn man sich überlegt, daß beispielsweise für die Luftschiffahrt die zur willkürlichen Lenkung erforderliche Bewegungsenergie nur in Gestalt von Benzin oder Wasserstoff, d.h. von chemischer Energie, in Frage kommt, weil alle anderen Formen viel zu schwer ausfallen würden. Die Flugleistungen einer Biene oder die Schwimmleistungen eines Delphins lassen sich außer durch chemische Energie nicht denken.
Daß diese chemische Energie wesentlich die des Kohlenstoffs ist, ergibt sich gleichfalls erfahrungsmäßig als fast, wenn auch nicht ganz allgemein, denn die Schwefelbakterien gründen ihren Haushalt auf die Energie des Schwefels. Der Grund für die Bevorzugung des Kohlenstoffs ist wiederum in der besonderen Eignung dieses Elements für den Zweck zu suchen, die einerseits in seiner weiten Verbreitung, andererseits in der überragenden Mannigfaltigkeit seiner Verbindungen liegt.
Daß schließlich die Lebewesen alle aus eigentümlichen Kombinationen fester und flüssiger Stoffe sich aufbauen, läßt sich nicht minder auf technische Verhältnisse zurückführen.
Diese drei letztgenannten Eigentümlichkeiten sind also als besondere Beschaffenheiten gerade der Lebewesen aufzufassen, mit denen wir auf der Erdoberfläche unter den dort herrschenden Bedingungen bekannt werden, ohne daß sie begrifflich als unveränderlich oder unersetzlich angesehen zu werden brauchen. Die drei ersten Kennzeichen aber, nämlich stationäre Beschaffenheit, selbständige Nahrungsbeschaffung und Reproduktion, können wir als die wesentlichen Kennzeichen der Lebewesen ansehen. Sie bilden den Rahmen, innerhalb dessen sich alles befinden muß, was wir als lebendig im weitesten Sinne anerkennen würden.
55. Haushalt der freien Energie.
Fragen wir uns, woher die Lebewesen die freie Energie beschaffen, deren sie zur Aufrechterhaltung ihrer stationären Existenz bedürfen, so ist die Antwort, daß die Sonnenstrahlung allein diesen Aufwand deckt. Ohne diese dauernde Zufuhr wären, soweit unsere Kenntnis reicht, die freien Energien auf der Erde längst dem Ausgleich verfallen und die irdischen Gebilde wären stabil, d.h. tut, und nicht stationär und lebendig.
Es ist darum verständlich, daß sich in den Lebewesen zunächst Maschinen gebildet haben, welche die strahlende Energie der Sonne, die eine überaus schnell vergängliche, d.h. umbildungsbereite Form ist, in eine dauernde Form umwandeln, als welche uns bereits die chemische Energie bekannt ist. Schon der Umstand, daß durch den Wechsel von Tag und Nacht die Zufuhr von strahlender Energie periodisch aufhört, macht die Speicherung der Tagesenergie für die Nacht notwendig, falls überhaupt ein darauf beruhendes dauerndes Gebilde bestehen soll. So erkennen wir in den photochemischen Vorgängen, d.h. in der Umwandlung strahlender Energie in chemische, die Grundlage des Lebens auf der Erde.
Diese Arbeit besorgen die Pflanzen, welche nicht nur ihren eigenen Bedarf an aufgespeicherter freier Energie auf solche Weise decken, sondern auch den aller anderen Lebewesen, welche sich direkt oder indirekt der pflanzlichen chemischen Vorräte bemächtigen, um sie für ihre einzelnen Zwecke zu verwerten. Hierdurch ist die Ernährung im weitesten Sinne für alle Lebewesen gesichert, indem sie auf den regelmäßigen Zufluß freier Energie aus der Sonne begründet ist. Hieraus erklärt sich aber auch die große chemische Ähnlichkeit aller Lebewesen, welche nicht bestehen könnten, wenn sie nicht auf die Verwertung der chemischen Energie gerade in der Form, in welcher die Pflanzen sie liefern, eingerichtet wären. Von dem großen Strome freier Energie, der sich von der Sonne aus in den Weltraum ergießt, und von dem die Erde einen überaus kleinen Anteil (entsprechend dem von ihr gedeckten Raumwinkel der von der Sonne aus gesehenen Himmelskugel) erhält, wird wiederum nur ein sehr kleiner Anteil von den Pflanzen gesammelt und gespeichert. Entsprechende Messungen haben nämlich ergeben, daß unter günstigsten Umständen ein Pflanzenblatt nur etwa 1/50 der erhaltenen strahlenden Energie in chemische umsetzt. Überlegt man, daß nur ein kleiner Teil der Erdoberfläche mit Pflanzen bedeckt ist, und daß während des Winters die Sonnenenergie überhaupt nicht gespeichert wird, so erkennt man, wie unabsehbar entwicklungsfähig die Fassung und Sammlung der freien Energie noch ist. Der von den Pflanzen gespeicherte Anteil fließt nun von diesen aus in die unzähligen Ströme, Bäche und Fäden der anderen Lebewesen über, um schließlich als verbrauchte oder ruhende Energie zu enden. Diese Energie ruht allerdings nur bezüglich der Erdoberfläche; ob die Ausstrahlung der Erde, welche gegenwärtig ungefähr ebensoviel beträgt, wie die Zustrahlung seitens der Sonne, ihrerseits irgendwo und wie nutzbar gemacht wird, ist uns nicht bekannt.
Während die freie Energie sich in dem eben geschilderten Strome durchaus nach einer Richtung ergießt, gehen die wägbaren Stoffe, aus denen sich die Lebewesen aufbauen, in einem Kreislaufe durch Tiere und Pflanzen und wieder zurück. Dies gilt insbesondere für den Kohlenstoff, der aus seiner Verbindung mit Sauerstoff, der Kohlensäure, durch die in den Pflanzen umgewandelte Sonnenenergie abgespalten wird. Während der Kohlenstoff zum Aufbau des Pflanzenkörpers dient und dessen chemische Energievorräte darstellt, teilt sich der Sauerstoff der Luft mit. Indem sich diese beiden Stoffe wieder in den verschiedenen Lebewesen chemisch verbinden, werden die entsprechenden Energiemengen, die zu ihrer Trennung erforderlich waren, wieder verfügbar und dienen zu den mannigfaltigen Lebensleistungen. Das Produkt der chemischen Verbindung, die Kohlensäure, kehrt in die Atmosphäre zurück und ist zu neuer Zerlegung in den Pflanzen bereit.
Somit kann man den gesamten Betrieb des Lebens mit einer Wassermühle vergleichen. Die freie Energie entspricht dem Wasser, das in der Richtung durch die Mühle strömen muß, um ihr die erforderlichen Arbeitsmengen zu liefern. Die chemischen Elemente der Lebewesen aber entsprechen dem Rade, das sich beständig im Kreise dreht, indem es die Energie des fallenden Wassers an die einzelnen Teile der Maschine überträgt.
56. Die Seele.
Während nach den bisherigen Betrachtungen die Lebewesen nur als sehr weitgehend spezialisierte Sonderfälle physiko-chemischer Maschinen sich darstellten, haben wir nun eine Eigentümlichkeit in Betracht zu ziehen, welche sie charakteristisch von den leblosen Maschinen zu unterscheiden scheint und welche uns bereits am allerersten Anfange unserer Betrachtungen entgegengetreten ist.
Es ist dies die seinerzeit als Erinnerung bezeichnete Eigenschaft, die wir ganz allgemein als die Beschaffenheit definieren wollen, derzufolge in den Lebewesen die Wiederholung eines mehrmals stattgehabten Vorganges gegenüber neuen Vorgängen bevorzugt ist, indem sie leichter eintritt und glatter verläuft. Man erkennt alsbald, daß hierdurch die Lebewesen auf dem Meer der physischen Möglichkeiten, wie mit einem Kiel versehen, dahinfahren, durch welchen die Fahrt stetig gemacht und die Einhaltung der Richtung gesichert wird.
Fragen wir, ob es sich hier um eine ausschließliche Eigenschaft der Lebewesen handelt, so wird man nicht ja sagen dürfen. Auch in unbelebten Gebilden gibt es etwas wie eine Anpassung. Eine genaue Uhr erlangt ihre wertvollen Eigenschaften erst nach längerem Gehen, und die beste Geige ist unmittelbar nach ihrer Herstellung »roh« und muß »eingespielt« werden. Ein Akkumulator muß »formiert« werden, ehe er seine normale Leistungsfähigkeit annimmt. Alle diese Vorgänge beruhen darauf, daß die Wiederholung des gleichen Vorganges die Leistung verbessert, d.h. erleichtert oder vermehrt.
Ist also die Anpassung oder Erinnerung nicht auf Lebewesen beschränkt, so ergab sich doch, daß sie in unbelebten Gebilden verhältnismäßig selten vorkommt. Somit handelt es sich wieder um eine Eigenschaft der Organismen, die eine weitgehende Spezialisierung der anorganischen Möglichkeiten darstellt. Dies ist ein wichtiger Gesichtspunkt für das Folgende.
Durch diese Eigenschaft der Anpassung wird zunächst die Ernährung erleichtert und gesichert. Machen wir uns den von Darwin entwickelten Grundgedanken zunutze, daß sich in der Welt vorwiegend das vorfinden wird, was vermöge seiner Eigenschaften die längste Dauer besitzt, so erkennen wir, daß ein Gebilde, das seine Nahrung zweckmäßig festhält und verarbeitet, länger leben wird, als ein ähnliches ohne diese Eigenschaft. Durch den allgemeinen Vorgang der Anpassung werden aber gerade in dem länger lebenden Gebilde diese »zweckmäßigen« Eigenschaften besser ausgebildet und leichter ausgeübt, so daß es hierdurch einen neuen Vorteil gegenüber dem Konkurrenten erlangt. So versteht man, wie diese, zunächst rein physiko-chemisch aufzufassende Anpassungseigenschaft sich auf die Dauer an allen Lebewesen entwickelt findet.
In ihren primitivsten Formen erzeugt sie die Reaktions- oder Reflexerscheinungen, d.h. auf die Einwirkung einer äußeren Energie eine Reihe von Vorgängen im Organismus, welche dieser Einwirkung im Sinne einer Lebensförderung begegnen. Zweckmäßige Reaktionen können sich naturgemäß nur für solche Einwirkungen ausbilden, denen der Organismus oft und regelmäßig unterliegt. Daher kommt es, daß für ungewöhnliche Vorgänge im allgemeinen keine Anpassungen vorhanden sind und die Organismen sich ihnen gegenüber oft äußerst unzweckmäßig verhalten. Das typische Beispiel hierfür ist die Motte, die ins Licht fliegt, um dort zu verbrennen.
Mit zunehmender Festsetzung der Reaktionen werden diese zu immer längeren und verwickelteren Folgenreihen ausgebildet, die uns dann als Instinkthandlungen erscheinen. Auch hier findet sich aber die charakteristische Unzweckmäßigkeit ungewohnten Verhältnissen gegenüber, wenn auch die Mannigfaltigkeit der zweckmäßig behandelten Einwirkungen zunimmt.
Als höchste Stufe dieser Reihe erscheinen uns endlich die bewußten Handlungen, mit deren zweckmäßiger Regelung bis in die höchsten Betätigungen hinauf sich auch dieses Buch beschäftigt. Sie unterscheiden sich von den Instinkthandlungen dadurch, daß ihr Verlauf nicht mehr in einer bestimmten Reihe erfolgt, sondern nach Bedarf in der mannigfaltigsten Weise gestaltet wird. Aber die grundlegende Beschaffenheit, daß nämlich die Handlungen auf Wiederholung der übereinstimmenden Erlebnisse gegründet sind, ist auch hier von vornherein zutage getreten, indem die Grundlage alles bewußten Seelenlebens, die Bildung von Begriffen, nur durch Wiederholung möglich ist. So ergibt sich die Berechtigung, die verschiedenen Stufen geistiger Tätigkeit von der einfachsten Reflexerscheinung bis zur höchsten Denkleistung als eine zusammenhängende Reihe zunehmend mannigfaltigerer und zweckmäßigerer Tätigkeiten anzusehen, die von der gleichen physiko-chemischen und physiologischen Grundlage ausgehen.
57. Fühlen, Denken, Handeln.
Es wird aus guten Gründen allgemein angenommen, daß die gegenwärtigen Lebewesen nicht immer so gewesen sind, sondern sich aus früheren einfacheren Formen »entwickelt« haben, wobei dahingestellt bleiben mag, ob es nur eine Stammform oder mehrere gegeben hat, und wie das Leben zuerst auf die Erde gekommen sein mag. Solange die verschiedenen Annahmen hierüber noch nicht zu entscheidenden, tatsächlich nachweisbaren Verschiedenheiten in den Folgen führen, ist eine Verhandlung über diese Frage ergebnislos und daher unwissenschaftlich. Das Wort Entwicklung ist insofern unzweckmäßig, als es auf das Zutagetreten von etwas bereits Vorhandenem hinweist; vielmehr darf die andere Auffassung als gesichert angesehen werden, wonach der Einfluß veränderter Bedingungen den wichtigsten Faktor für eintretende Veränderung abgegeben hat.
Die Umbildung der Lebewesen zeigt nun eine bestimmte Richtung in solchem Sinne, daß sich immer verwickeltere und mannigfaltigere Gebilde gestalten, welche dadurch gekennzeichnet sind, daß die verschiedenen Verrichtungen der Lebetätigkeit sich einzeln auf besonders ausgebildete Organe verteilen. Hierdurch wird das Wesen einerseits geeigneter, jene Verrichtungen auszuführen, andererseits wird es aber auch empfindlicher gegen Schädigungen, da seine Existenz von der gleichzeitigen richtigen Betätigung der verschiedenen Organe abhängt. Eine solche Entwicklung kann also nur dann eintreten, wenn die allgemeinen Lebensbedingungen stetiger werden, so daß die Gefahr der Störung geringer wird. Wir sind gewohnt, Veränderungen in dieser Richtung als Höherentwickelungen aufzufassen und vorschreitende Vereinfachungen der Organisation (z.B. bei Parasiten) als Rückschritte anzusehen.
Da hierin zweifellos eine Willkür liegt, so werden wir uns die Frage zu stellen haben, ob sich ein objektiver Maßstab einer Vervollkommnung angeben läßt. Die Frage ist zu bejahen, und zwar in folgendem Sinne. Da auf der Erde die Menge der verfügbaren freien Energie begrenzt ist, so ist dasjenige Lebewesen als das vollkommenere anzusehen, das die ihm zur Verfügung stehende Energie vollkommener und mit dem geringeren Verluste in die Energieformen seiner Lebensbetätigung transformiert. In der Tat erkennen wir mit zunehmender Verwickelung der Lebewesen auch meist eine zunehmende Verbesserung in solcher Richtung und können daher von vollkommeneren Wesen sprechen. Besonders wesentlich wird aber dieser Gesichtspunkt für die Beurteilung der menschlichen Fortschritte, indem er sich als der allgemeine Maßstab aller Kultur erweist.
Die Vervollkommnung der Lebewesen zeigt sich bezüglich ihres Verhältnisses zur Außenwelt in der Entwicklung der Sinnesorgane. Während ein einzelliges Wesen fast nur auf chemische, zuweilen auch auf optische Reize reagiert und diese mit seiner ganzen Körperoberfläche aufnimmt, bilden sich mit zunehmender Vervollkommnung einzelne Körperstellen aus, welche diese Reize besonders leicht wahrnehmen, d.h. durch zunehmend geringere Energiemengen betätigt werden. Hierbei trennen sich die Stellen der Reizaufnahme von denen der Reaktion, und beide werden durch Leitungsbahnen verbunden, in denen sich ein energetischer Vorgang vollzieht, dessen Kenntnis zurzeit noch viel zu wünschen übrigläßt. Es ist ein Vorgang, der sich mit ziemlich großer, aber keineswegs außerordentlicher Geschwindigkeit (etwas wie zehn Meter in der Sekunde) längs der entsprechenden Leitungsbahnen, der Nerven, bewegt. An dem einen Ende dieser Bahn wird er durch Einwirkungen verschiedener Art hervorgerufen, vorwiegend aber durch die spezifische Energie, für welche der Sinnesapparat entwickelt ist; am anderen Ende löst er spezifische Wirkungen aus. Es besteht kein Zweifel, daß es sich beide Male um Energieumwandlungen handelt, die mit Auslösungen verbunden sind, d.h. mit den Betätigungen anderer Energien, welche an den Endstellen zur Umwandlung bereit liegen. Daher besteht keine Äquivalenz zwischen diesen verschiedenen Energiemengen, meist nicht einmal eine Proportionalität, wenn auch beide gleichzeitig zu- und abnehmen.
Welcher Art die Energie ist, die sich im Nerven fortpflanzt, ist unbekannt. Es kann entweder eine besondere Art sein, die nur unter den hier vorhandenen Bedingungen entsteht (etwa wie ein galvanischer Strom nur unter bestimmten chemischen und räumlichen Bedingungen entsteht), oder es handelt sich um eine besondere Verbindung bekannter Energien, wie beim Schall und wahrscheinlich beim Licht. Die genauere Kenntnis des Nervenvorganges wird voraussichtlich einmal die Entscheidung in dieser Frage bringen.
Wird ein solcher Vorgang durch irgendeine Energiewirkung von außen hervorgerufen, so kann er verschiedene Folgen haben. Im einfachsten Falle löst er die entsprechende Reaktion aus, wie sich die Blätter der Sinnpflanze auf Berührung schließen. Oder er veranlaßt eine Reihe von nacheinander erfolgenden Vorgängen, wie bei den Instinkthandlungen. Oder endlich, er bewirkt eine Reihe innerer Vorgänge, die zu einer weitgehenden Unterscheidung geringer Verschiedenheiten dieser Einwirkung und einer entsprechend abgestuften Reaktion unter Voraussicht ihres Erfolges führen. Dies nennen wir bewußtes Denken, Wollen und Handeln.
Durch die jahrtausendlange Nachwirkung des von Plato begangenen Mißgriffes, der in seiner grundsätzlichen Trennung des geistigen Lebens vom physischen liegt, können wir uns nur unter äußersten Schwierigkeiten an den Gedanken vom stetigen Zusammenhang der einfachsten physiologischen mit den höchsten geistigen Leistungen gewöhnen. Hierzu kommt noch die Betonung dieses Gegensatzes durch die mechanistische Hypothese. Gibt man diese auf und hält sich an die hypothesenfreie Zusammenfassung der Erfahrung, wie sie in der Energielehre vorliegt, so verschwindet dieser Gegensatz. Denn wenn auch die Unmöglichkeit zugegeben werden muß, das Denken mechanisch zu fassen, so besteht doch keine Schwierigkeit, es energetisch zu fassen, zumal Denkarbeit bekanntlich ebenso mit Energieverbrauch und Ermüdung verbunden ist, wie physische Arbeit. Allerdings ist hier noch so gut wie alles von der Zukunft zu erwarten, da die eben entwickelte Auffassung nur eben erst begonnen hat, die wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiete zu beeinflussen. Aber nach dem, was sie bereits geleistet hat, darf man auf eine baldige Entwicklung hoffen.
58. Die Gesellschaft.
Bereits durch den äußerlichen Umstand, daß bei der Fortpflanzung die neuen Lebewesen in der Nähe des elterlichen entstehen müssen, ist ein Anlaß gegeben, daß Wesen gleicher Art räumlich zusammengeschlossene Gruppen bilden. Doch tritt eine Zerstreuung ein, falls nicht das Zusammenbleiben durch irgendwelche Vorteile erhalten wird, welche die Nachteile des engen Nahrungswettbewerbes überwiegen. So sehen wir die verschiedenen Pflanzen und Tiere sich in dieser Hinsicht ganz verschieden verhalten: während einige Arten sich möglichst vereinzeln, bilden andere dagegen Lebensgemeinschaften, auch wenn ein mechanischer Zusammenhalt durch eine gemeinsame Haut nicht vorhanden ist.
Da beim Menschen der zweite Fall in ausgeprägter Weise vorhanden ist, so bilden seine sozialen Eigenschaften und Bedürfnisse einen großen und wichtigen Teil seines Lebens. Und da ferner die Sozialisierung des Menschen mit zunehmender Kultur immer weitere Fortschritte macht – man braucht nur an die Entwicklung der früheren kleinen Gruppen und Stämme zu Staaten und die gegenwärtig machtvoll sich betätigende Internationalisierung der wichtigsten menschlichen Angelegenheiten, insbesondere der Wissenschaft, zu denken – so nehmen auch die sozialen Probleme einen immer breiteren Raum in der Organisation des menschlichen Lebens ein.
Was den Menschen am wesentlichsten von den Tieren, auch den vorgeschrittensten, unterscheidet, ist seine Fähigkeit zur Vervollkommnung, der das Tier höchstens seine Fähigkeit zur Erhaltung entgegenstellen kann. Während innerhalb des kurzen Zeitgebietes, von dem wir geschichtliche Kenntnis haben, die Beschaffenheit der Tierwelt anscheinend im wesentlichen unverändert geblieben ist, hat sich die der Menschenwelt in ganz außerordentlicher Weise verändert. Diese Veränderung besteht in einer zunehmenden Beherrschung der Außenwelt für menschliche Zwecke und beruht auf der zunehmenden Sozialisierung seiner Betätigungen.
Durch die Erinnerung und die Vererbung (welche letztere nur eine Ausdehnung der Erinnerung auf die Nachkommen bedeutet, die als ein Teil des elterlichen Organismus aufgefaßt werden müssen) wird zunächst nur die Erhaltung des Bestandes und die erneute Entwickelung des einzelnen neuen Individuums auf den Durchschnittstyp gesichert. Bringt es ein besonders glücklich beanlagtes Individuum zu höheren Leistungen, so kann es diese günstigenfalls als Anlage auf seine Nachkommen vererben. Einen Vorteil im Kampfe ums Dasein gewinnen diese aber hieraus nur in dem Falle, daß hierbei die anderen Seiten der Betätigung nicht zu kurz kommen. Bei der begrenzten Menge Energie, die dem einzelnen zu Gebote steht, wird aber eine jede außerordentliche Leistung eine entsprechende Einseitigkeit im Gefolge haben, und wird, sobald sie ein gewisses geringes Maß überschreitet, eine entsprechende Minderung der anderen Funktionen bewirken, welche dieses Individuum weniger geeignet macht, im Daseinskampfe zu bestehen. Dies gilt aber nur so lange, als das Einzelwesen für sich bestehen muß. Sobald es einen Bestandteil einer sozialen Organisation bildet, welcher jene besonderen Leistungen zugute kommen, so gleicht jene Organisation die persönlichen Nachteile durch ihre gesamten Leistungen aus, und für derartige Sonderentwickelungen ist hier nicht nur Raum, sondern auch Förderung vorhanden. Derartige Erscheinungen sind uns bereits innerhalb des Organismus entgegengetreten, wo höhere Einzelleistungen, wie die Ausbildung von empfindlichen Sinnesorganen, nur unter Verzicht des betreffenden Organs auf die allgemeinen Leistungen erreicht wurden. Wir erkennen sie bei allen sozial organisierten Wesen, wie Bienen und Ameisen, welche eine sehr starke Sonderung der Funktionen einzelner Untergruppen aufweisen, die oft so weit geht, daß die einzelnen Gruppen für sich überhaupt nicht mehr zu existieren vermögen, sondern nur noch das Gesamtgebilde dauernd lebensfähig ist.
Während die Ausbildung solcher ausgezeichneter Funktionen eine entsprechende Verschiedenheit, und somit Entfernung und Absonderung der Ausgezeichneten innerhalb des sozialen Gebildes zur Folge hat, bewirkt die Notwendigkeit der Mitteilung und gegenseitigen Förderung wieder umgekehrt eine Annäherung der Individuen und Gruppen. Es werden also in jeder Gesellschaft solche zerstreuende und sammelnde Kräfte gleichzeitig mit- und gegeneinander wirken. Während die äußerste Spezialisierung einerseits die beste Sonderleistung zu verbürgen scheint, macht sie doch andererseits das Gesamtgebilde viel abhängiger und daher verletzbarer, wie etwa das Beispiel der Bienenkönigin zeigt, deren Abgang das Dasein des ganzen Stocks bedroht. Somit wird ein mittleres Maß von Differenzierung im allgemeinen die dauerhaftesten sozialen Gebilde ergeben.
59. Sprache und Verkehr.
Der wesentlichste Wert der sozialen Organisation liegt in dem Umstande, daß die Leistung des einzelnen, soweit sie dazu geeignet sind, der Gesamtheit zugute kommen. Hierzu ist unbedingt erforderlich, daß die Genossen dieser Gesamtheit untereinander verkehren können, damit die Mitteilung jeder Leistung an die anderen erfolgen kann. Dieser Verkehr erfolgt durch die Sprache im allgemeinsten Sinne.
Das Wesen der Sprache ist bereits in der Zuordnung von Begriffen zu Zeichen gefunden worden. Die soziale Anwendung verlangt, daß gleichen Begriffen die gleichen Zeichen von allen Teilnehmern der Gemeinschaft zugeordnet werden; hierauf beruht deren gegenseitiges Verstehen. Hierdurch und durch die Arbeitsteilung erlangt aber das sprachlich niedergelegte Wissen der Gesamtheit eine Art selbständiger Existenz. Schon seit vielen Jahrhunderten hat die Möglichkeit aufgehört, daß ein einzelner den gesamten Schatz menschlichen Wissens in seinem Gedächtnis vereinigen könnte; es existieren nur solche Menschen, welche über einzelne Teile des Wissens verfügen, und das Gesamtwissen erscheint zunächst nur als eine bloß gedachte Einheit. Dadurch aber, daß dieses Wissen in Zeichen niedergelegt ist, welche das Leben des einzelnen weit überdauern, und selbst nach langer Unwirksamkeit im geeigneten Augenblick wieder seine ganze Kraft entfalten kann, hat es ein vom einzelnen Menschen unabhängiges Dasein von sozialer Beschaffenheit gewonnen, denn es überdauert zwar das individuelle Leben, würde aber den Tod der menschlichen Gesellschaft nicht überdauern.
In dem Maße, als die Sozialisierung der gesamten Menschheit zu immer größeren Einheiten fortschreitet, erweisen sich die aus früheren Entwickelungsstadien stammenden sprachlichen Grenzen als hemmend. Es werden daher nach Wiederherstellung friedlicher Beziehungen zwischen allen Völkern die Bestrebungen, abgesehen von der Muttersprache jedes einzelnen, die für ihn das erste und wichtigste Eintrittstor in die Kulturgemeinschaft ist, eine allgemeine Hilfssprache (S. 110) zu schaffen, welche den Verkehr über die Sprachgrenzen hinaus vermittelt, mit erneutem Eifer aufgenommen werden und hoffentlich zu einem Erfolg führen.
60. Die Kultur.
Als Kultur wird sachgemäß alles bezeichnet, was dem menschlich-sozialen Fortschritt dient. Der Fortschritt seinerseits hat seine objektive Kennzeichnung darin gefunden, daß er in einer Verbesserung des Umsatzverhältnisses der rohen Energien, wie sie die Natur darbietet, für menschliche Zwecke besteht. So war es eine Kulturtat, als ein primitiver Mensch entdeckte, daß er durch einen in die Hand genommenen Baumast den Bereich erweitern konnte, über den sich seine Muskelenergie erstreckt, und ein anderer, daß er mit einem geschleuderten Stein gar seine Muskelenergie viele Meter weit an den gewünschten Punkt senden konnte. Die Wirkung des Messers, des Speers, des Pfeils und all der anderen primitiven Werkzeuge läßt sich in jedem einzelnen Falle als eine zweckentsprechende Energietransformation bezeichnen. Und am anderen Ende bedeutet die abstrakteste wissenschaftliche Entdeckung kraft der Verallgemeinerung und Vereinfachung, welche sie enthält, eine entsprechende Energieersparnis für alle kommenden Geschlechter, die irgendwie mit dieser Angelegenheit zu tun haben. So umspannt diese Begriffsbestimmung in der Tat den gesamten Umfang menschlicher Vervollkommnungstätigkeit oder Kultur, und läßt gleichzeitig den großen wissenschaftlichen Wert des Energiebegriffes erkennen.
Überlegt man nun weiter, daß gemäß dem zweiten Hauptsatze die uns zugängliche freie Energie nur ab-, nie zunehmen kann, während die Anzahl der Menschen, deren Existenz ja unmittelbar von dem Verbrauch eines angemessenen Anteils freier Energie abhängt, in dauernder Zunahme begriffen ist, so erkennt man alsbald auch die objektive Notwendigkeit der Kulturentwicklung in solchem Sinne. Durch die Voraussicht setzt sich der Mensch in den Stand, kulturgemäß zu handeln; prüft man aber unsere gegenwärtige soziale Organisation unter diesem Gesichtspunkt, so erkennt man bald mit Schrecken, wie barbarisch sie noch ist. Nicht nur, daß Mord und Krieg Kulturwerte ersatzlos vernichten; auch alle die zahllosen Reibungen, die nicht nur zwischen den verschiedenen Völkern und politischen Organisationen, sondern auch innerhalb desselben Volkes zwischen den verschiedenen sozialen Schichten bestehen, wirken kulturwidrig, denn sie vernichten entsprechende Mengen freier Energie, die dadurch der eigentlichen Kulturverwertung entzogen werden. Die Menschheit befindet sich gegenwärtig auf einer Entwicklungsstufe, wo der Fortschritt viel weniger von der Führung durch einzelne, ausgezeichnete Individuen, als von der gemeinsamen Arbeit der Tätigkeitsgenossen abhängt. Ein Beweis hierfür ist, daß die großen wissenschaftlichen Entdeckungen mehr und mehr von mehreren unabhängigen Forschern gleichzeitig gemacht werden, zum Zeichen, daß die Gesellschaft die individuellen Bedingungen zu ihrer Ausführung gleichartig an mehreren Stellen schafft. So leben wir in einer Zeit, in welcher nach einer Periode weitestgehender Funktions- und Arbeits teilung die entsprechend höhere Aufgabe der Funktions vereinigung bewußt in Angriff genommen wird. Dies geschieht auf dem wirtschaftlichen Gebiete durch die Sozialisierung der Produktion, auf dem technischen durch die Aufstellung von Normen und Typen; auch auf dem geistigen Gebiete wird bewußte Arbeit getan, um an die Stelle der bisherigen Isolierung der geistigen Arbeiter und ihrer Produkte einen organischen Zusammenhang zwischen ihnen herzustellen. Das Ziel hierbei ist, daß jede geistige Arbeit, nachdem sie einmal getan ist, jedem Menschen zugänglich wird, so daß sie niemals wieder von neuem getan zu werden braucht. Alle diese organisatorischen Maßnahmen aber sind nichts anderes, als einzelne Verwirklichungen der Forderung, auf welche uns die allgemeine Betrachtung alles Geschehens geführt hat, des energetischen Imperativs, der da fordert: Vergeude keine Energie; veredle sie!
Ende.