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Viertes Kapitel.
Rom.

»Niederkniend vor Gott dem Allmächtigen und unserm Schöpfer verspreche ich, Augustus Friedrich, Dir, Auguste Murray, und schwöre ich auf die Bibel, so wahr ich hoffe selig zu werden in der künftigen Welt, daß ich Dich, Auguste Murray, zu meinem Weibe nehmen will, im Glück und Unglück, in Reichthum und Armuth, in Krankheit und Gesundheit, daß ich Dich lieben und pflegen will, bis der Tod uns trennt, daß ich Dich allein lieben will und keine andere, und möge Gott mich vergessen, wenn ich Dich je vergesse. Der Name des Herrn sei gelobt! So segne mich, so segne uns, o Gott! Gegenwärtiges unterzeichne ich, Augustus Friedrich, mit eigener Hand zu Rom, am 21. März 1793, und setze mein Siegel und meinen Namen darunter.« Also schrieb der sechste Sohn Georg's III., damals zwanzigjährig und stark verliebt in die Lady Auguste Murray, die sich rühmte des königlichen Bluts, sowol von väterlicher als mütterlicher Seite; war doch ihr Großvater, der Earl von Dunmore, noch souveräner König von Man gewesen und hatte seine Souveränetätsrechte erst 1765 veräußert.

Die Mutter der Lady, mit der Auguste seit dem letzten Winter in Neapel und Rom gewesen, wußte nichts von der Verlobung, sie kannte die Parlamentsacte vom Jahre 1772, welche die Einwilligung des Königs zu jeder rechtsgültigen Ehe des Prinzen erforderte, und wußte, daß Georg III. die Earls und Pairs, die sich ihm gleichstellten, ihm ihre Ministerien aufdrängten, tödlich haßte, daß er alles aufbieten würde, eine Ehe seines Sohnes mit der Tochter der Lady Charlotte Stewart für ungültig erklären zu lassen. Aber Auguste Murray hatte dem Prinzen ein gleiches Gelöbniß gemacht wie das obige, und als man in Rom einen Geistlichen der Anglikanischen Kirche gefunden, wurde die Trauung heimlich vollzogen am 4. April 1793.

Aber man war in London doch bald von dem, was geschehen, unterrichtet, und Georg tobte seine Wuth über das Ereigniß in jenen Parforceritten aus, die kaum ein zweiter sich mitzumachen getraute. Er beauftragte den Grafen Münster, den Prinzen August und seine Maitresse, wie er sie nannte, nach England zu bringen, sei es in Güte oder mit Gewalt. Münster sollte auf dem schnellsten Wege nach Italien reisen, ein Kriegsschiff zu seiner Verfügung in Livorno sein, um den Prinzen heimzubringen; die Lady mußte man gleichfalls in England haben, um einen Scheidungsproceß einleiten zu können.

Der Graf und sein Privatsecretär Karl Haus trafen den Prinzen in dem fetten Bologna, noch immer in glücklichen Flitterwochen lebend. Graf Münster kannte den Prinzen schon von dem hannoverischen Bologna her, als die Prinzen Ernst, August und Adolf, damals noch Knaben beinahe, dort studirten. Er hatte ihnen in Göttingen schon durch sein kaltes, vornehmes Wesen zu imponiren gewußt und das später fortgesetzt, als Prinz Augustus sich bis zum vorigen Jahre in Hannover aufgehalten. August selbst hatte dem Vater gegenüber oft des Grafen lobend und ihn als großen Staatsmann verehrend gedacht.

Graf Münster war mit dem Glauben nach Italien gekommen, der junge Prinz sei von der Mutter der Lady Auguste gefangen; er fand ein sich zärtlich liebendes Paar, das sich sogar wider den Willen, oder mindestens ohne den Willen der Mutter verheirathet haben wollte. Der Prinz schloß sich vertrauensvoll an Münster an, und dieser offenbarte ihm, anscheinend ebenso vertrauensvoll, daß Georg III. mit nichts Geringerm umgehe, als die Ehe annulliren zu lassen. Er wußte den Prinzen zu überzeugen, daß der einzig mögliche Weg, den Vater zu einem andern Entschluß zu bewegen, der sei, daß er selbst nach England reise und sich ihm, Verzeihung erflehend, zu Füßen werfe. Augustus und Augusta wurden für diesen Plan gewonnen; man ging nach Florenz, um hier die Ankunft des Kriegsschiffes zu erwarten, schiffte sich dann in Livorno ein nach Toulon, das damals seinen Hafen den Engländern und Spaniern eröffnet hatte. Karl lernte auf der Rückfahrt Leuktra und Tetuan in Nordafrika sowie Gibraltar kennen. Mit Mühe und Noth entkam man den zahlreichen französischen Kreuzern und Kapern, die von den Thoren Gibraltars bis zum Kanale schwärmten.

Der Graf hatte seinen Auftrag vollführt; Augustus flehte die Verzeihung des Vaters an, aber Georg III. zeigte sich unerbittlich dem Flehen des Sohnes gegenüber, und die Königin-Mutter, die sich später gegen die Frau des Herzogs von Cumberland so streng erwies, hatte auch damals mit dem jüngern Prinzen kein Mitleid. Ein Welfe und ein König von Man, welch ein Unterschied!

Dem Prinzen fehlten Documente über seine Heirath in Rom; er miethete sich und seine Frau in Hannover Square ein und ließ sich nach dreimaligem kirchlichen Aufgebote als Augustus Friedrich mit Auguste Murray in der Saint Georg's Church am 4. December 1793 nochmals vor Zeugen trauen.

Am 13. Januar 1794 gebar Auguste einen Sohn, der den Namen Augustus Friedrich und künftig den Zunamen von Este führte, welcher der Familie allein zukam, da eine welfische Abstammung derer, die sich Welfen nennen, nicht nachweisbar ist. Schon drei Tage nach der Geburt war der Wöchnerin aber die Klage des königlichen Generalprocurators behändigt, mit dem Auftrage, daß Se. königliche Hoheit Prinz Augustus Friedrich frei gewesen und noch sei von allem Ehebande mit der genannten hochachtbaren Lady Auguste Murray, und das erzbischöfliche Gericht in London erklärte am 14. Juli 1794 die Ehe für null und nichtig, weil ihr das wesentlichste Erforderniß, die Einwilligung des Königs und Vaters fehlte.

Prinz August vertheidigte aber mit Standhaftigkeit und Ausdauer die Rechtsgültigkeit und Standesgemäßheit der Ehe, da die Parlamentsacte von 1772 nicht anwendbar sei auf außerhalb Großbritannien geschlossene Ehen und daneben ihn und seine Nachkommen, insofern er zugleich hannoverischer Prinz und dort erbberechtigt sei, nicht treffe.

Die Frau Auguste war, noch ehe die Scheidung ausgesprochen, wieder nach Italien zu ihrer Mutter abgereist. Vater und Mutter des Prinzen August konnten mit diesem, der eine tüchtige Portion des väterlichen Eigensinns geerbt hatte, nichts anfangen und erlaubten endlich, daß er sich in Begleitung des Grafen Münster, als seines Mentors, im Frühjahr 1794 gleichfalls nach Italien begab. So kam es, daß wir zu Pfingsten 1794 Karl Haus in Rom treffen.

Die Mission Münster's war eine sehr delicate. Man fürchtete in Carlton House nicht so sehr die Gemahlin des Prinzen, die weniger geistreich als schön war, als deren Mutter, die man für ein herrschsüchtiges, gefährliches Weib ansah. Der Mentor sollte daher nicht die Gatten voneinander fern halten, sondern die Mutter von der Tochter und dem Schwiegersohne. Er sollte versuchen, in dem Prinzen irgendwelchen Kunstenthusiasmus, Liebe zur Kunde des classischen Alterthums oder eine neue Leidenschaft für eine Sängerin, oder was es sonst für ein Subject oder Object sei, anzuregen, wenn es den Prinzen nur von der einzigen Beschäftigung seines damaligen Lebens, von der Liebe zur Gemahlin abzog. Dieser und die Mutter theilten sich damals in die Tochter; war die Mutter zu bewegen, sich von dem Aufenthalte des Prinzen fern zu halten, so lebten Graf und Gräfin Este, wie sie sich nannten, vereint; kam die Mutter nach Rom, so verließ Münster mit dem Prinzen diese Stadt, um einen Ausflug nach Florenz oder einer andern Stadt zu machen, dann lebten Mutter und Tochter in Rom zusammen.

Der Führer des Prinzen hatte in Göttingen und Hannover wenig Gelegenheit gehabt, Kunststudien zu machen, seine Kenntniß vom classischen Alterthum war eine geringe, hier im täglichen Umgange mit Männern, wie der spätere Cardinal und Staatssekretär Ercole Consalvi, dem besten Kenner der Kunst und des Alterthums, dem freigebigen Beförderer der Tonkunst, trat das Bedürfniß, etwas von Kunst und Alterthum zu wissen, hervor und bestand des Secretärs Beschäftigung hauptsächlich darin, Vorstudien für seinen Herrn zu machen. Er mußte die Kunstsammlungen, die Alterthümer, die der Graf mit dem Prinzen besuchen wollte, vorher besehen und alles was darüber geschrieben war von Italienern wie von Winckelmann, Hirt, Zanger u. a. studiren, um dem Grafen Vorträge darüber zu halten, sodaß dieser den Cicerone beinahe entbehren konnte. Unser Heustedter erhielt auf diese Weise die anschaulichste Kenntniß des Alterthums, seines Lebens und seiner Kunst, wie des Mittelalters und der Neuzeit. Hier das alte Capitol der Römerwelt, dort Vatican, Engelsburg und Peterskirche mit ihren Kunstwerken. Karl studirte oft wochenlang, um dem Grafen die Lage eines alten Stadttheils, z. B. des herrlichen Marsfeldes, veranschaulichen zu können, ihm selbst war aber die ganze Situation des jetzt im volkreichsten Theile Roms liegenden schönsten Platzes, den je die Welt gesehen hat, klar. Das Rom, was durch Nero niedergebrannt wurde, war bis auf die Staatsbauten des Augustus, die schon das Marsfeld schmückten, eine häßliche Stadt mit sehr hohen Backsteinhäusern, sehr engen Gassen, die sich bergauf und bergab zogen, die sich nicht mit dem in der schönen Ebene ausgebreiteten Capua, noch weniger mit Alexandria oder Antiochien, mit ihren meilenlangen Prachtstraßen messen konnte. Alle diese engen Straßen waren von Krämern, Händlern, Fleischern, Schenkwirthen, Barbieren in Beschlag genommen, sodaß Rom nur eine große Taverne schien.

Die Marmorstadt des Augustus begann auf dem Marsfelde, dieser weiten, auf drei Seiten von der Windung des Stromes umschlossenen Ebene, mit immer grünem Boden, ringsum von Prachtgebäuden und Denkmälern, von einem Labyrinth säulengetragener Hallen, Kuppeln, Giebeldächern umgeben, die unterbrochen wurden von dem Grün der Lusthaine und Baumgänge. Hier war das Mausoleum des Augustus mit seinen zwei Obelisken, die Bäder des Nero, der Circus Alexander Severus', das Pantheon, die Bäder Adrian's, die Bäder des Agrippa, das Theater des Pompejus mit seinem Koloß, der Circus Flaminius, dieser Machtbau aus tiburtinischem Stein, so hoch emporragend, daß der Blick kaum bis zur äußersten Höhe emporreichte. Hier war das Theater des Marcellus, die Naumachia des Augustus, die Antoninische Säule, Springbrunnen in großer Menge, Lorber- und Platanengänge. Die Wände der Hallen und Tempel prangten im Farbenschmuck der Mauergemälde und Bildertafeln, Erz und Marmorstatuen füllten ihre Räume wie die Straßen. In der Mitte des Marsfeldes stand der einhundertsechzehn Fuß hohe Sonnenobelisk, den Augustus aus Aegypten nach Rom gebracht, und welcher der ungeheuern Sonnenuhr mit ellenlangen Ziffern von Bronze auf weißmarmornem Grunde als Träger diente. Jetzt lag dieser Obelisk zerbrochen auf der Erde in einem Winkel, nahe bei seinem alten Standplatze, und seine unzähligen Hieroglyphen waren mit Staub und Schmuz überzogen.

Karl gab sich solchen Studien, die ihn zugleich zu der Geschichte der Mythologie zurückführten, mit der größten Lust und Ausdauer hin, denn nur so oder wenn er in den Copien des Vaticans dem Genius Rafael's und Leonardo da Vinci's nachsann, oder in der Sixtinischen Kapelle in das »Weltgericht« Michel Angelo's sich vertiefte, den Gott Jupiter hier verchristlicht wiederfand, oder darüber nachdachte, was wol der Grund sein möge, daß man öffentlich im Vatican die Pariser Bluthochzeit durch ein Bildniß verewige und ehre, vergaß er Olga's, deren Bild ihn in jedem müßigen Augenblicke, am Tage wie nachts im Traume umschwebte. Sein Durst nach großartigem Wirken, seine Sehnsucht, die Lebensaufgabe, die ihm die Geliebte gesteckt hatte, zu verwirklichen, und die Unmöglichkeit, in seiner Stellung auch nur das Kleinste zu schaffen, machte ihn aber nicht zu einem Selbstpeiniger und Weltschmerzmenschen, sondern er suchte sich mit der Wirklichkeit zu versöhnen, indem er sich in die Vergangenheit vertiefte.

Die Politik war ihm in Rom und der Umgebung, worin er lebte, fern gerückt; selten daß er die Zeitungen in die Hände bekam, und dann waren es englische, die vom Kriege berichteten und gegen die Ideen der Französischen Revolution ankämpften.

Am Schlusse des vorigen Jahrhunderts überwog bei der jungen Männerwelt Europas das genial-liederliche wie das liederliche Element über die idealen Mondscheinsschwärmer, die eigentlich erst das neunzehnte Jahrhundert geboren hat, nachdem Jean Jacques und Jean Paul ihre Urideale gezeichnet hatten. Das lag in dem ganzen Jahrhundert der Pompadour und Dubarry, und die Verdorbenheit der Weiber hatte dazu einen Grund mitgelegt. In Berlin hatte erst König Saul, dann Prinz Ludwig Ferdinand, Gentz und Genossen den Ton angegeben, in Wien Kaiser Leopold II., Goethe's italienische Reise und die, ich sage nicht wo, scandirten »Römischen Elegien« bewiesen, wie weit man es in Weimar und andern kleinen Orten brachte.

Karl cultivirte zwar eine Mondscheinliebe zu Olga, er war eine weiche Jean Paul'sche Waldnatur und deshalb von Bollmann oft gehänselt und verspottet, aber keine Werther-Hölty'schen Liebesklagen und Petrarca's Seufzer waren ihm verständlich; unverständlich Anakreontische Liebeslieder; Wieland'sche Lascivitäten widerten ihn an, aber er war keineswegs prüde, die Anschauungen der antiken Kunst hatten die Schönheit des Nackten ihm verständlich gemacht, und er konnte die Etikette, welche Feigenblätter vorzubinden befahl, sogar hassen. Das Aufsuchen des Materials zu seinen Studien, der häufige Besuch der Kunstschätze des Vatikans, sein Schwärmen auf dem Forum und andern Orten der classischen Zeit, hatten ihn mit einem Kreise deutscher Künstler bekannt gemacht, der weniger für die französische Republik als für eine Republik im Sinne von Heinse's Ardinghello schwärmte. Er hatte dem einen oder andern dadurch, daß er den Grafen Münster auf ihre Werke aufmerksam machte, den Verkauf von Gemälden, Statuetten, geschnittenen Steinen und Gemmen an den Prinzen möglich gemacht und war in ihren Kreisen gern gesehen. Außer wenigen Morgenstunden, in denen er den Grafen in Alterthumskunde und Kunst instruirte und ihn zum Cicerone bei dem Prinzen befähigte, war er unbeschränkter Herr seiner Zeit und gern gesehen in den Werkstätten der Künstler, wie abends und nachts in ihren lorbergezeichneten Osterien. Sie alle nahmen das Liebeleben von der leichtesten und genialsten Seite, die meisten hatten schöne Römerinnen oder Albanerinnen zu Geliebten, die, wenn es sein mußte, Modell standen und an Sonn- und Festtagen mit dem Freunde in die Gebirge wanderten, um den Tag tanzend und kosend, singend und kränzewindend hinzubringen. Unser deutscher Freund hieß in diesen Kreisen nur der blöde Schäfer, die Mädchen und Frauen wurden von den Künstlern förmlich gehetzt, ihn zu bekehren, ihn liebeglühend zu machen. Aber weder diese schlanken, hohen Gestalten, noch die üppig vollen oder die jugendlich zarten mit den schönen schwellenden Lippen vermochten den trüben Ernst und die melancholische Traurigkeit, die sich um sein Herz gelagert, ganz zu verscheuchen. Selbst wenn der Sorgenbrecher, der edle Wein, dem die Künstler neben der Liebe ihre Huldigung darbrachten, ihm von schöner Hand credenzt und von noch schönern Lippen zugetrunken war, blieb er ernst und kalt; das Bild der fernen Verlorenen in seiner Phantasie ließ ihn alle Schönheit um ihn her nur mit halben Augen anschauen. Unter den Mädchen dieses Kreises waren es besonders zwei, welche sich vorgenommen hatten, das Steinherz des Schäfers zu erweichen. Fulvia, die Geliebte Robert's, eine echte Römerin, mit schwarzem, glühendem Augenpaar, üppig schwarzem Haar und den ebenmäßigsten Körperformen, und Angelina, das siebzehnjährige Modell des Bildhauers Otto zu einer Flora, die der Prinz August gekauft und seiner Augusta geschenkt hatte, Angelina hatte den reizendsten Mund, blaue Augen mit langen, schwarzen Wimpern, fein gewölbte schwarze Augenbrauen und eine reiche, üppige Flechte von dunkelbraunem Haar; die reinste vollendetste Jugend lachte aus ihren Augen, trat in ihren zarten und doch vollen Formen zu Tage. Angelina war aus Albano und lud die Gesellschaft zur Hochzeit einer Schwester, die in einer großen Weinlaube gefeiert wurde.

Das war ein Tag voll froher, leichtsinniger Freude, selbst unser Freund thaute auf und lebte der Gegenwart. Er sah zuerst, wie wahrhaft schön die Mädchengestalten waren, mit denen er hier verkehrte auf dieser Hochzeit, die glühenden Blicke, welche Fulvia ihm zuwarf, machten ihn erröthen, und wenn Angelina ihn mit ihren blauen Augen zärtlich anblickte, vergaß er Olga's. Gegen Abend ging man hinaus zum See, wohin die Künstler ein Nachtessen für die Hochzeitsgäste aus der Osterie hatten bringen lassen. Unter Sang und Klang zog man in das Waldesdunkel, der Erdboden war mit dem frischesten Grün bekleidet, aus dem tausend bunte Blumen hervorleuchteten. Freundliche Villen und Klöster blickten aus der Landschaft hervor; links sah man Castel-Gandolfo, rechts auf der Spitze des tiefvioletten Monte-Cavo das Kloster der Passionisten. Geradeaus, über dem Hügelsaum hinweg, glänzte silberdurchsichtig die Campagna, umsäumt von der schönen Kante des Sabinergebirges und dem einsamen Soracte, der wie im Goldduft schwamm. Inmitten aller dieser Herrlichkeit lag Rom weit ausgebreitet in den dunkelgoldigen Strahlen der untergehenden Sonne, und Sanct Peter streckte daraus sein Riesenhaupt hoch empor, als wollte er sagen: »Siehe, hier ist der Mittelpunkt der Welt, und alle Welt wird von hier regiert.« Als man zuerst den dunkelblauen See durch die belaubten Bäume schimmern sah, machte man in dem Pinienwalde halt. Die Hochzeitsgesellschaft lagerte im Kreise, der Becher machte die Runde, man sang, tanzte und lachte. Die Frauen hatten ihre Häupter mit Kränzen von Epheu, Rosen und andern Blumen geschmückt. Während die tiefvioletten Wolkenschichten mit ihren vergoldeten Rändern am Westhimmel sich schon blauschwarz gefärbt hatten, war in Osten der Mond heraufgestiegen und durchzitterte mit seinem Silberschein die Pinienzweige, spiegelte sich da unten im blauen See. Die Lust stieg immer höher, es wurden allerlei Possen und Albernheiten getrieben. Da rief plötzlich Robert: »Zu Ehren der heiligen Jungfrau und der jungen Frau sollen, mit Ausnahme der letztern, alle Mädchen heute das Recht haben, ihren Geliebten treulos zu werden und sich selbst einen andern zu wählen, für heute nur.«

Allgemeines Bravo, nun ging es an die Wahl, Fulvia stürzte von der einen, Angelina von der andern Seite auf den blöden Schäfer zu, und bald geriethen die beiden Freundinnen in Streit um ihre Beute, da jede behauptete, die erste Bewerbung gemacht zu haben.

»Ruhig da, meine Schönen! der blöde Schäfer soll ausgelost werden!« rief Otto, der Bildhauer, und der Chorus stimmte lachend ein. Angelina zog das große Los und durfte den Schäfer entführen.

Die Paare lagerten sich nun wieder, jedes in einiger Entfernung von dem andern; hier machte der Herr der neuen Geliebten, die spröde und zurückhaltend sich stellte, die Cour, dort suchte die neue Geliebte das Herz des Mannes, den sie gewählt, zu gewinnen, sodaß die alte Geliebte zuweilen dazwischensprang und den Scherz nicht weiter getrieben wissen wollte. Angelina legte ihren Kopf auf Karl's Schos, zu ihm hinaufsehend mit Blicken, aus denen Amor seine süßesten Pfeile abschoß; sie spitzte die schwellenden, purpurnen Lippen noch üppiger zusammen als eine eben aufgebrochene Rosenknospe, warf die schönen, weißen Arme nach rückwärts hinter den Kopf, daß die herrliche Büste in plastischer Rundung unter dem Mieder sich hervordrängte, und begann dann die langen schwarzen Augenwimpern zu senken. Da hielt es der Blöde nicht länger aus, er drückte einen heißen Kuß auf die ihm gebotenen Lippen. Nun aber schnellte Angelina empor, umfaßte seinen Nacken und küßte ihn mit bacchantischer Wuth.

Fulvia, die neben dem Bildhauer saß, hatte nur Auge und Ohr für dieses Liebespaar, sie schoß empor und verlangte, daß man dem Spiele ein Ende mache und aufbreche. Dagegen wurde von allen Seiten protestirt und die Eifersüchtige mußte sich in ihr Schicksal ergeben; sie hatte aber den Liebesrausch unterbrochen, den Zauber gelöst, mit dem Angelina Karl umfangen. Dieser kam zu sich, Angelina hatte seine Sinnlichkeit ausgeküßt, er war kein Traummensch mehr, er sah seine Umgebung nicht mehr halb im Geiste abwesend bei Olga; er sah sie ganz und fühlte durch alle Nervenfäden seines Körpers, daß das Weib, das zu seinen Füßen saß, des Begehrens würdig sei.

Es war eine wonnige Mainacht; die Nachtigallen lockten und klagten; erst die den Morgen verkündende Kälte trieb die Gesellschaft aus dem Pinienwalde. In Albano angekommen, rüstete man sich bald zur Abfahrt; die alten Liebhaber nahmen ihre Rechte in Anspruch; der nicht mehr blöde Schäfer war wieder isolirt, er verzichtete auf den Platz im Wagen, um den Weg zu Fuß zurückzulegen. Er träumte auf diesem Wege nicht von seiner Gräfin, sondern alle seine Gefühle und Gedanken waren bei Angelina. Seine Reflexionen behandelten das Horazische Thema: carpe diem, genieße das Leben, solange du noch jung bist, jage keinen Träumen nach, die sich nicht verwirklichen lassen. Olga ist Gräfin von Schlottheim und für dich verloren, die Flora Otto's liebt dich, und sie ist liebenswerth.

Fulvia aber wollte nicht, daß Angelina das Verdienst habe, das Steinherz des Deutschen der Liebe erschlossen zu haben, sie brütete auf dem Rückwege, in Robert's Armen ruhend, einen Plan aus, wie sie Karl der Nebenbuhlerin entreiße. Ihr Geliebter hatte seit länger als einem halben Jahre sein Atelier jedem Freunde verschlossen gehalten, er hatte den Gegenstand seiner Tätigkeit selbst den befreundeten Kunstgenossen verschwiegen. Um so mehr war unser Freund erstaunt, als er einige Tage nach dem Ausfluge in das Albanergebirge eine schriftliche Einladung erhielt, sich zu einer bestimmten Stunde in Robert's Atelier einzufinden, um dessen neueste Schöpfung zuerst zu schauen. Er verfehlte die ihm bestimmte Zeit nicht. Aus der Staffel Robert's erblickte er eine auf einem rothen Sammtdivan ruhende Venus.

Es war ein Meisterstück, und wenn auch die ganze Situation stark an die Venus von Tizian erinnerte, mußte Karl doch zugestehen, daß der Maler sich selbst übertroffen. »Gelt«, sagte dieser, ein Hesse, »gefällt dir das, blöder Schäfer? Wenn dein Prinz 200 Pfund daranwendet, kann er die Göttin bekommen, schicke ihn her mit dem Grafen.«

Der blöde Schäfer stand noch immer im Anschauen versunken, als ihn Robert auf die Schulter klopfte, die Staffel beiseiteschob und sagte: »Und jetzt, Schäfer, sollst du ein Menschenbild sehen, so schön und prächtig, wie es schwerlich heute ein anderes in Rom gibt.«

Er näherte sich einem Vorhange von schwerer, violetter Seide, zog ihn auseinander, und auf einem rothen Sammtdivan ruhte Fulvia, das Modell der Venus. Ihr Auge schwamm in wollüstig schmachtendem Naß.

»Nun gehe hin, Schäfer, und bringe der Göttin deinen Tribut«, sagte Robert.

Karl kniete nieder vor dem Divan, küßte die schöne Hand Fulvia's, küßte den Mund, küßte die Augen, die seine Sinne verrückten; ein Wonneschauer durchbebte ihn.

»Nun ist's genug«, sagte Robert, riß jenen empor und schob den Vorhang zurück, »schaffe mir heute oder morgen den Grafen Münster mit dem Prinzen Augustus hierher, ich brauche Geld und meine Venus braucht ein neues seidenes Kleid und eine Mantille.«

Aber Karl konnte weder Münster noch Augustus in das Atelier schaffen. Als er noch immer sinnverwirrt in das Palais zurückkehrte, das Münster und der Graf bewohnte, fand er dort alles beschäftigt mit Reisevorkehrungen. Die Lady Charlotte Stewart war gekommen, um ihre Tochter zu besuchen, und Münster entführte den Prinzen nach Neapel.


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