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Damals stand ich nämlich noch bei der neunten Kompagnie. Mir fielen die Requisitionen zu, dank der Bonne aus dem Canton de Vaud, die mir im Beginn meiner Erdendienstzeit Französisch beigebracht hat. Ich mußte so grundsätzlich Freßkolonnen in Bewegung setzen, daß ich mich fast schon zum ›Guß‹ (Train) versetzt wähnte. Da es nun aber bereits die ruhigere Zeit war nach Sedan, dachte ich: immer noch besser als ›Griffe kloppen‹! Und allmählich entwickelte ich 'n kolossalen Ehrgeiz. Wenn ich nicht mindestens ... na sagen wir 'mal für ›Gigot Soubise‹ in unserm Lustlager gesorgt hatte, fühlte ich mich sozusagen als Soldat zweiter Klasse.
Ich darf aber nicht verschweigen, daß ich einen Adjutanten mitbekam: Herrn Mucke. Bei der Kompagnie: Gefreiter Mucke. Auf Requisition: Monsieur Mouqué. Gottvoller Kerl. Unbezahlbar. Seines Zeichens eigentlich Faßbinder, war er alles gewesen, was ein Christenmensch nur werden kann: Schiffskoch, Tischler, Hausdiener, Kuhhirt, Marktschreier, Postbote, Coupletsänger, Fleischerbursche, Straßenkehrer, Kulissenschieber, kurz, so viel ›von Profession‹ etwa wie 'ne ganze Kompagnie. So kam es, daß er immer Rat wußte. Bei Saint-Jean-la-vallée, als wir die böse Stunde im Granatfeuer standen und uns verschossen hatten, weil die Munitionskolonnen nicht über die Bronne kamen, trieb er in einem großen Pachthof Ochsenseile auf, fabrizierte eine ›Gierfähre‹, wie er's nannte, und zog in einem Maisbottich Patronen über das reißende Wasser. Und dann bei unserer berüchtigten Biwakswoche, als wir in den Kartoffelfurchen lagen, in denen das Wasser fußhoch stand, wer hat da den Kerls die Laune erhalten: Herr Mucke. Jeden Abend sang er ›eigene Grütze‹, wie er's nannte. Es hat die Runde gemacht in der ganzen Armee. Keiner hat 'ne Ahnung, von wem das schöne Lied ist: ›Bei Sedang, bei Sedang, da jing et schief‹ – von Herrn Mucke! Oder: ›Lulu, willste Pulver riechen?‹ – von Herrn Mucke. Er gewann das Vertrauen aller alten Weiber, die etwa in den Dörfern zurückgeblieben waren, wickelte den Maire um den kleinen Finger, kriegte den Pfarrer herum, lackierte den pfiffigsten Bauer. Dabei konnte er nur ein paar Brocken Französisch, und die verstand keiner bei der Aussprache!
Nun werden Sie fragen: wie verständigte er sich denn dann? Ganz einfach: durch sein rasend dummes Gesicht. Wenn Herr Mucke mit offenem Maul, den Kopf zur Schulter geneigt, die Franzosen so treuherzig ansah, als könne er nicht bis drei zählen, dann hatte er sie alle in der Tasche. Wo wir hinkamen, machte er sich nützlich: dem Herrn Curé wichste er die Stiebeln, dem alten Brummkopf, der uns fahren sollte, machte er 'ne neue Peitschenschnur, den Weibern trug er's Wasser in die Küche, und wenn einer so recht verängstigt war, die ›maudits prussiens‹ möchten ihn sofort an die Wand stellen und füsilieren, machte Herr Mucke ein so verboten dummes Gesicht, daß es den Bangebüxen klar wurde wie Kloßbrühe: nee, alles ist denkbar bei diesen Barbaren, aber der kann keinem den Hals umdrehen.
Und gerade das verstand er aus dem FF. Als könnt' er kein Wässerchen trüben, fuhr er durch die Gefilde Frankreichs stramm neben mir. Gackerte es aber irgendwo, hu jeh, da konnte mein Mucke die Lauscher spitzen! Und rannte dann gar so 'n dummes Viech direktionslos vor dem Wagen flüchtend über den Weg mit seinen erschrockenen kreisrunden Augen, turkelnd die Beine hinten hinausgeschleudert: gak ... gak ... gakakakak ... war Mucke mit einem Satz unten, stürzte sich auf das Beest, das in höchsten Angsttönen kikrikite, hatte es gepackt, daß die Federn nur so stiebten, drehte ihm den Hals um, und es verschwand ohne Sang und Klang unter der Wagendecke. Dann saß Mucke, der Mörder, da, mit seinem größten Schafsgesicht, als sei nichts geschehen ... Wir aber hatten 'nen Braten.
Manchmal ging's übrigens nicht so glatt, sondern Herrn Mucke strich es der Länge nach hin in den Straßendreck. Aber – und das gehört auch zu seinem Bilde: er hatte stets 'ne Kleiderbürste. Ließ es trocknen und bürstete sich ab. Immer trug er einen tadellos gezogenen Scheitel, immer war er rasiert, auch nach zehn Stunden Gefecht. Kamm und Rasiermesser, alles besaß der Kerl. Ich glaube, wenn ich ihn gefragt hätte:
›Mucke, haben Sie nicht zufällig 'nen Ichneumon bei sich?‹ – ›Zu Befehl, Herr Leutnant‹ – er hätte ihn weiß Gott aus der Tasche geholt.
Dieses liebe Tier, das, wie man behauptet, den trefflichen Krokodilen die Eier stiehlt, bringt mich auf Eier. Wenn man nur daran dachte, hatte Herr Mucke ein Dutzend. Die gewöhnliche Annahme: ohne Huhn kein Ei, machte er völlig unhaltbar. In Gegenden, wo es weit und breit keine Hühner mehr gab, trieb er Eier auf. Sein Geheimnis war ganz einfach: Wir suchten nach versteckten Vorräten an möglichst ungewöhnlichen, entlegenen Stellen. Damit überschätzten wir aber den Witz französischer Bauern. Herr Mucke dagegen hielt sich vor allen Dingen an den Flur, an die Wohnstube, klopfte die Wände ab, hob Dielen auf, tastete mit einer Stange im Kamin hinauf in die Esse, durchsuchte Schränke und fand mehr als wir in Keller, Stall und Boden, nämlich Eier in Kalk oder Häcksel, Schinken, Wein, Schnaps. Jeder neue Anstrich, jeder zu blanke Nagel, abgesplittertes Holz, lockere Erde vor dem Haus – alles erregte seinen Verdacht.
War aber gar der Besitzer selbst anwesend, hatten wir gewonnen Spiel. Herr Mucke schlich, vom bangenden Bauer gefolgt, windend wie ein Hund umher. Und immer sah er dabei mit seinem guten Bähschafsgesicht den Bauer an. Zuckte dem auch nur ein Lid, blieb Herr Mucke sofort stehen. Wie beim Ostereier suchen, wenn Mama Klavier spielt. Leise ... hier ist nichts. Lauter ... man kommt näher. Fortissimo ... >es brennt<.
Einmal waren wir beim Maire, dem größten Bauer des Ortes. Nicht mal zu essen gab's! Keinen Hühnerknochen! Der arme Mann hatte keine Milch, keine Butter, denn nicht eine Kuh stand in seinem Riesenstall. Vergeblich kloppte Herr Mucke die Wände ab – nichts zu hören. Da, als ich mit dem Bauer im Hausgang noch unterhandle, während mein Requisitionsadjutant >auf Patrouille< gegangen war, >muht< es plötzlich ganz laut. Der Bauer wird leichenblaß! Ich mit ein paar Sprüngen zum Stall. Der Bauer hinter mir drein. Ich siegesgewiß. Er immerfort rufend: >Impossible! Impossible!< Und der verfluchte Kerl hatte recht: kein Kuhschwanz zu sehen. Statt dessen steht Herr Mucke mitten im leeren Stall, puterrot, und muht – muht, viel besser, als 'ne Kuh überhaupt muhen kann. Der Maire, nun wieder ganz groß, hält sich den Bauch vor Lachen und ruft, so recht von oben herab: ›Sehen Sie, Herr Leutnant! Das sind nicht meine Kühe!‹
Doch Herr Mucke reißt nochmal das Maul auf, breit wie 'n Wiederkäuer, und brüllt sein ›Mu – uh!‹ daß ihm die Adern nur so wie die Gewehrläufe heraustreten. Und siehe da, dumpf, wie aus weiter Ferne, klingt die Antwort: ›Mu – uh!‹
Der Maire taumelt, als ob 'ne Granate durchs Dach geschlagen wäre. Herr Mucke aber sagt grinsend zu ihm: ›Aber dat sind deine Kühe, du oller Lügenpeter!‹
Und dann zu mir: ›Die haben jleich die Verwandtschaft rausjehört, Herr Leitnant!‹ Aber der Maire schwor Stein und Bein, es sei nur das Echo gewesen. ›Echo!‹ rief Herr Mucke und begann abermals zu muhen, daß ich wirklich meinte, ihm würden die Halsschlagadern platzen. Da klang ein so kläglich freudiges Gebrüll, als sei der ganze Kuhstall los. Und jetzt hatten wir's heraus: aus der Erde schien es zu kommen. Sofort lag Herr Mucke mit dem Ohr am Boden. Der Bauer stand da, weiß wie die Wand. Mucke aber nahm eine Mistgabel und rannte spornstreichs davon. Ein paar Minuten darauf, während ich vergeblich versuchte, dem Maire das Geheimnis des Versteckes zu entlocken, kehrte er zurück:
›Herr Leitnant, ick hab's raus. Vorn im Keller is 'n Holzboden. Da habe ick die Bohlen ufjamacht, weil's so warm rufjestänkert kam. Da drunter is noch 'ne Etage. Dort sind sie. Wie die man bloß da runter jekommen sind! Zwanzig Stück mindestens stehen da unten.‹
Er hatte recht. Wissen Sie noch, meine Herren, die großen Keller, die wir in der Champagne fanden? So einer war's. Offenbar eine natürliche Höhle. Rätselhaft schien nur eins: wie sie das Vieh da hinuntergebracht hatten. Natürlich mußten wir das rauskriegen, denn auf dem gleichen Wege sollte es zurück. Gab es eine geheime Treppe? Hätte am Ende auch keinen Sinn gehabt, denn wie die störrischen Biester die Stufen hinunterschaffen? Oder gar eine Rampe? Höchst unwahrscheinlich. Da nahm ich denn den Herrn Maire ins Gebet. Der schwor, er würde die Wahrheit sagen: sie hätten unten ein Strohbett gemacht und die Kühe einfach hinuntergeschmissen, und das log er mit ganz ernstem Gesicht. So'ne Unverschämtheit!
Ich fragte: ›Und was haben Sie denn mit denen angefangen, die sich's Genick gebrochen haben?‹
Er jammerte:
›Ach, mein guter Herr Leutnant, die haben wir alle schlachten müssen!‹
›Und was haben Sie mit den geschlachteten Tieren gemacht?‹
›Gegessen!‹
Herr Mucke hatte bei dem lebhaften Gebärdenspiel die Antwort erraten, und immer zu Ulk geneigt, klopfte er dem dicken Bauer auf den umfangreichen Bauch.
›Ah so – daher der Wanst!‹
Aber es klang hart und durchaus nicht wie auf gemästetem Leib. Muckes Gesicht wurde lang. Er deutete auf zwei Spitzen, die aus der tief herabreichenden, geblähten Weste des Maire hervor standen:
›Herr Leitnant, da sind noch die Hörner!‹
Und wie auch der Bauer zurückwich, Herr Mucke ließ ihn nicht mehr los, bis er einen geradezu abenteuerlichen alten Schlüssel hervorzog, wie 'n Gewehrschloß groß. Ring und Bart: das waren die Hörnerspitzen. Haben wir da gelacht. Aber nun hieß es, den Eingang finden, und da war guter Rat teuer. Doch Herr Mucke meinte:
›Det wer'n wir schon fingern, Herr Leitnant!‹
Er fingerte es auch. Wie? Nun ganz einfach. Herr Mucke ging auf die Dorfstraße und blickte sich um. Drüben sank der Weinberg sachte nieder. Mucke blinzelte hinüber, aber er schien noch nichts zu entdecken, bis er mit einem Mal den Weg entlanglief, der zwischen den Reben hinabführte, immer die Augen am Boden. Seitwärts stand eine kleine offene Kapelle. Von der schien er sich gar nicht trennen zu können. Als ich ihm nun langsam in den schmucklosen Raum folgte und wir vor dem Altar standen, sagte er:
›Herr Leitnant, ick frage mir, wie kommt det Stroh, der Kuhmist an so'n heil'gen Ort?‹ Richtig, im Winkel vor dem Marienbilde waren trotz der Besenstriche vom Kehren, die man auf dem Estrich des Eingangs sah, Halme und Düngerspuren geblieben.
Mißtrauisch untersuchte ich den Altar mit seinen Glasvasen, in denen Papierblumen steckten. Nichts Verdächtiges war zu finden. Herr Mucke deutete, den Schlüssel in der Hand, auf die linke Wand:
›Herr Leitnant, da hat wat jestanden!‹
Richtig, eine hellere Stelle zeichnete sich ab, oben spitz zulaufend, etwa wie wenn man an einem alten Haus einen Zubau späterer Zeit abgerissen hat, die Dachlinie noch lange sichtbar bleibt. Im gleichen Augenblick schon lief Herr Mucke zurück in den kleinen Vorraum des Kirchleins, mehr ein Wetterdach. Richtig, da stand der Beichtstuhl. Da draußen? Mit einem Satz waren wir dabei ihn abzurücken. Wohl ganz unmöglich! Er war ja gewiß zu schwer! Doch was war das? Er rutschte ganz leicht zurück?
Nie habe ich Herrn Mucke so fröhlich gesehen wie in dem Augenblick, als er an der breiten Tür dahinter mit seinem Riesenschlüssel herumprobierte. O, wie die krächzte und sich stöhnend wehrte, aber Herr Mucke war schon im dunkeln Schlund dahinter verschwunden. Warmer Stalldunst schlug mir entgegen. Es zog förmlich aus dem Loch. Bald klang unten Jubelgeschrei und langgezogenes Muhen – fast so natürlich wie das des Herrn Mucke – das näher und näher kam. Nun tauchte er auf, eine Kuh zog er hinter sich her. Als sie ans Tageslicht kamen, umarmte er sie zärtlich:
›Nich wahr, Liese, int Loch runterschmeißen lassen wir uns nich! Wozu ooch? Et jeht ja 'ne richtige Chaussee runter.‹ Und die Kuh, freute sie sich nun so über den schönen deutschen Namen oder wollte sie sich dankbar zeigen, nach so langer Gefangenschaft die liebe Sonne wieder zu sehen, kurz, plötzlich streckte sie ihre breite, rauhe Zunge heraus wie 'ne schwarze Schnecke, die aus dem Haus kriegt, und leckte Herrn Mucke zärtlich über das ganze Gesicht. Wie er dastand, naßglänzend, besät mit einzelnen grünen Punkten von der letzten Mahlzeit des Wiederkäuers, als ob ihm einer 'ne Kräutersuppe übergeschüttet hätte, da machte er 'n Gesicht – meine Herren, dies Schafsgesicht war echt. Aber Herr Mucke faßte sich schnell wieder: er verbeugte sich vor seiner Kuh und gab ihr einen Klaps:
›Liese, du hältst mir woll vor 'ne Salzsäule?‹
Inzwischen waren die andern Leute des Requisitionskommandos hinzugekommen und förderten nacheinander fast zwei Dutzend Kühe und sogar noch ein paar Kälber ans Tageslicht.
›Et is der reene Viehmarkt!‹ meinte Herr Mucke, als die Tiere im Hof des Bauerngutes versammelt waren. Übrigens der Herr Maire war verschwunden. Unsere Kerls behaupteten, er habe sich zu seinen Kühen auf den Weg begeben, den er uns vorgekohlt, sei nämlich in das Kellerloch hinabgestürzt. Nun, wir ließen ihn laufen. Herr Mucke aber schob vorsorglich den Beichtstuhl wieder an seinen alten Fleck in der Kapelle. Die Tür wurde fein säuberlich zugeschlossen, der Riesenschlüssel dem Maire auf den Tisch gelegt, und Herr Mucke schrieb im Kreis dann mit Kreide:
›Le boeuf, der Ochs,
La vache, die Kuh,
Fermez la porte,
Die Türe zu!‹
Frédéric Mouqué de Berlin.
›Ochs‹ und ›Kuh‹ umschloß er mit einer gemeinsamen Klammer und setzte dahinter: ›futsch = perdu!‹
Dann marschierten wir feierlich ab. Die Kerls hatten den Kühen schnell geflochtene Kränze um den Hals gehängt, und Herr Mucke inszenierte eine Art ›Rückkehr von der Alm‹, indem er jodelte, – ob's richtig war, weiß ich nicht, denn ich bin nie in den Bergen gewesen – daß die französischen Kühe eigentlich ganz verdutzte Gesichter hätten machen müssen. Die Liese hielt er dabei umarmt, aber er schielte immer zu ihr und nahm sich verdammt in acht, denn vor dem Kuß mit Kräutersauce schien er höllischen Respekt zu haben.
Ja, ja, Herr Mucke war ein Mordskerl. War – meine Herren! Sein gutes, unbezahlbares Schafsgesicht ist ernst und stumm geworden. Fröhlich und doch ein ganzer Kerl – er war Gefreiter – tat er seine Pflicht als rechter preußischer Soldat. Wissen Sie, meine Herren, wer uns abends das Rheinweinlied sang? – Herr Mucke. Seine Mutter schrieb jenen Brief, den uns der Herr Oberst vor ein paar Tagen vorlas, jenen Brief, wie nur eine preußische Soldatenmutter ihn schreiben kann! Herr Mucke ist auf Requisition gefallen. Kopfschuß! Mitten in sein gutes, ehrliches Schafsgesicht hinein. Lorbeer kränzt seine Stirn. Eine einfache alte Frau weint um den Sohn. Wir weinen, denn sie weiß es noch nicht, daß wir ihn schon verscharrt haben, den Gefreiten Mucke, Monsieur Frédéric Mouqué, weiland Faßbinder, Schiffskoch, Tischler, Hausdiener, Kuhhirt, Marktschreier, Postbote, Coupletsänger, Fleischerbursche, Straßenkehrer, Kulissenschieber, Viehtreiber und Requisitionsadjutant.
Immer sehe ich ihn vor mir, wie er im Stall steht, mit herausquellenden Adern, und muht – muht, besser, denn je eine Kuh muhen gekonnt. Und die Liese leckt ihm dankbar das brave, ehrliche, dumme Schafsgesicht!
Meine Herren, das ist es, was ich Ihnen von Herrn Mucke erzählen wollte.
Die Herren, die dem Tod in diesen Monaten des Krieges fast täglich ins Auge gesehen, schwiegen nach den letzten Worten des Erzählers nur einige Sekunden. Dann klang Lachen, denn Heiterkeit war den angespannten Nerven vonnöten, gleich einem Gegengewicht. Bald drohte die Einzelerzählung in allgemeine Unterhaltung sich aufzulösen. Doch das schien nicht des Obersten Wille. Er rief mit seiner hellen Kommandostimme:
»Meine Herren ...«
So eifrig waren die Mitglieder der Tafelrunde schon ins Gespräch verstrickt, daß niemand auf ihn hörte. Nun klang es lauter, gleichsam einen Widerspruch nicht duldend:
»Meine Herren ...«
Man schwieg; nur noch das weiche Organ der Johanniterschwester tönte gleich leiser Beruhigung, daß man wohl begriff, wie ihr Zuspruch am Schmerzenslager die Verwundeten über ihre Qualen hinwegzutäuschen vermochte. Endlich war völlige Stille. Die Gräfin wandte ihren schönen Kopf dem Obersten zu. Der sprach:
»Meine Herren! Wir sind nur einmal so jung beisammen, wie der selige General Giesebrecht, unser einstiger Brigadier, zu sagen pflegte, also nutzen wir die Zeit. Vielleicht gibt der Herr Oberstabsarzt etwas zum besten ...«
Er blickte sich um. Der Platz des Arztes war leer, und der Oberstleutnant erklärte, daß der Abwesende, just als Herr Mucke so fürchterlich zu muhen begonnen, vom Oberlazarettgehilfen abgerufen worden sei. An seiner Stelle ergriff der Johanniterritter das Wort. Er bedankte sich für die Gastfreundschaft, die er genoß, und erklärte, um sich einigermaßen erkenntlich zu zeigen, wolle er versuchen, etwas zum besten zu geben. Freilich könne er es den Herren nicht gleichtun, denn er sei nie Soldat gewesen: sie müßten sich also bescheiden. Dann starrte er schweigend in die verglimmende Glut des Kamins.
Schon wollte der Oberst, kein Freund von Umschweifen, ihn zum Thema rufen, als der Johanniterritter den dichten grauen Vollbart, den er sinnend mit der Rechten umgriffen gehalten, losließ, sich aufrichtete zur ganzen gebietenden Größe seiner hohen Gestalt und begann: