Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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I.

Gnädige Frau, wissen Sie denn, daß Stassingk wieder da ist? – fragte im gleichgültigen Ton des Ballgespräches, nur um etwas zu sagen, Herr von Nyvenström, der schwedische Gesandtschaftssekretär. Dabei lachte der große, blonde Mann, dessen Kopf mit dem dichten, hängenden Schnurrbart, den fast weißen Augenbrauen und kurzen, weißblonden, nach hinten gekämmten Haaren durch die kugelrunde Schädelform etwas Seerobbenartiges erhielt.

Maria da Caza blickte ihn mit ihren mandelförmigen, dunklen Augen verwundert an, schob sich die Armbänder höher auf den schöngeformten Arm hinauf und antwortete:

– Wer ist Stassingk?

– Er war doch früher schon in Berlin!

– Ich kenne ihn nicht!

Ueber Herrn von Nyvenströms Antlitz glitt ein Lächeln, als freue er sich, wenn er nur den Namen hörte:

– Stassingk? Gnädige Frau, den sollten Sie nicht kennen? Sie haben vielleicht den Namen vergessen! Das ist ein zu reizender Mensch. Er war Attaché bei der deutschen Legation in Stockholm, als ich im Ministerium arbeitete. Dann habe ich ihn in Washington wiedergetroffen und in Madrid. Und überall hatte er das gleiche Glück bei allen Damen!«

Maria da Caza hörte gleichmütig zu und hob nur ein wenig den schönen Kopf mit dem reichen, schwarzen Haar, in dem ein Diadem von Brillanten blitzte. Als der Schwede die letzten Worte sprach, ward sie ungeduldig:

– Dieser Herr von Stassingk oder wie er heißt ...

– Pardon, Graf Stassingk ...

– Also Graf Stassingk ... hat »Glück bei allen Damen?« Dazu gehören zwei.

Dabei machte sie ein spöttisches Gesicht und die edlen, regelmäßigen Linien ihres Antlitzes verzogen sich zu einem überlegenen, unnahbaren Lächeln.

Herr von Nyvenström konnte nicht mehr entgegnen, denn Leutnant von Remer bat Maria da Caza um eine Extratour, und eine Sekunde später schwebte sie mit ihm durch den Ballsaal. Aber es war, als vermöchte sie diesem Gespräche nicht zu entgehen. Als ihr Tänzer sie wieder an ihren Platz brachte, fand er den Gesandtschaftssekretär nicht mehr vor: er hatte die Zeit benutzt, um selbst eine Dame aufzufordern. Und der junge Offizier, der sich gegen Frau da Caza liebenswürdig zeigen wollte, weil er von ihrem Mann öfters einen guten Ritt im Rennen erhielt, suchte in der Eile nach einem Gesprächsstoff. Schwer von Zunge, fand er nichts als die Neuigkeit, die eben die ganze Gesellschaft durchlief:

– Haben Sie gehört, daß Graf Stasstingk plötzlich zurückgekommen ist?

Sie fing an, sich nun über diesen Grafen Stassingk, von dem alle Welt sprach, zu ärgern, weil sie die einzige zu sein schien, die ihn nicht kannte, denn in diesem Augenblick näherte sich der Gastgeber, Regierungsrat von Lindstedt, ein dicker Herr mit ewig lächelndem Zug um den Mund und listig, fast lüstern blinzelnden, kleinen Augen. Er ließ sie unausgesetzt herumschweifen, um jemand zu finden, dem er die für den Abend zurechtgelegte Geschichte erzählen könnte:

– Meine verehrteste gnädigste Frau, haben Sie denn schon gehört, weshalb Graf Stassingk von der Botschaft in Konstantinopel abberufen ist?

Maria da Caza antwortete ärgerlich, indem sie ein paarmal tiefer atmete, so daß der Regierungsrat unwillkürlich einen seiner lächelnden Blicke über ihre vollen, schönen Schultern gleiten ließ:

– Er wird wohl Schulden gemacht haben!

Der Herr des Hauses lachte meckernd:

– Nein, o nein! Er soll nämlich von der Lieblingsfrau eines der Großwürdenträger des ottomanischen Reiches täglich, wenn der Muezzin den frommen Moslem zum Gebete ruft, in Privataudienz empfangen worden sein.

Herr von Nyvenström war zurückgekommen:

– Erzählen Sie's auch eben? Es macht die Runde, wie es scheint...

Der Regierungsrat ließ ihn nicht ausreden, in der Befürchtung, er möchte ihm seine Geschichte stören, und fuhr eifrig fort:

– Der ganze diplomatische Apparat ist in Tätigkeit gesetzt worden, und die Hohe Pforte hat das Deutsche Reich feierlich um Ablösung eines so gefährlichen jungen Mannes gebeten! Wenn die Abberufung nicht erfolgt wäre, so würden ganz unabsehbare Schwierigkeiten die Folge gewesen sein. 's ist ein Mordskerl, der Stassingk!

Wieder meckerte er und ließ noch ein paar Worte fallen in einem internationalen Kauderwelsch von: » homme à femme«, » ladykiller«, » »geboren für den Flirt« ... Dabei war er aber offenbar schon mit den Gedanken anderwärts, und seine Augen suchten den nächsten seiner Gäste, dem er die Neuigkeit des Abends erzählen könnte. Er schien jemanden gefunden zu haben, wandte sich ab, und man konnte deutlich vernehmen, wie er zu einer hübschen, blonden, nur etwas zu starken Dame sagte:

– Haben Sie denn schon gehört ....

Leutnant von Remer war gegangen, und die junge Frau stand nun wieder allein neben dem Schweden, der, nicht sonderlich gesprächig, seinen dicken, hängenden Schnurrbart strich, während sie sich im Saal umblickte. Sie bemerkte, wie die blonde, starke Dame, der Herr von Lindstedt seine Geschichte erzählte, sich darüber zu ärgern schien, und fragte daher ihren Tänzer:

– Wer ist die Dame dort? Lachsfarbenes Kleid, dort! Mit dem Doppelkinn!

– Die dem Regierungsrat ein so böses Gesicht macht?

– Ja!

Er zuckte die Achseln, aber Rittmeister Hendrich beugte sich vor und flüsterte, weil gerade die Musik schwieg, und die Dame, von der die Rede war, am Arme des Regierungsrates vorüberkam:

– Prinzessin Löwengaard-Espenburg ist es, gnädige Frau.

Maria da Caza drehte sich halb herum und blieb nun mit dem Rittmeister allein, dem sie den nächsten Tanz gegeben. Sobald sich Herr von Nyvenström entfernt hatte, machte sie sich Luft:

– Gott, ist das ein langweiliger Mensch, dieser Schwede!

– Er soll aber ein vorzüglicher Diplomat sein. Er spricht nicht viel, aber er sieht alles, hört alles, weiß alles, und – man muß es doch wenigstens annehmen – berichtet auch alles nach Stockholm.

Etwas ängstlich gemacht, blickte sich Maria da Caza um, und meinte, sie hoffe nichts Staatsgefährliches gesagt zu haben, was etwa in Stockholm verwertet werden könnte. Rittmeister Hendrich zeigte lächelnd seine schönen Zähne in dem fast puppenhaft regelmäßigen Gesicht, das nur dadurch einen besonderen Ausdruck erhielt, daß die blauschimmernden, rasierten Wangen und das Kinn bei dem starten Bartwuchs eine wie mit dem Pinsel gezogene Linie zeigten, wo die behaarte Zone schroff gegen den bartlosen Teil abstach. Er meinte beruhigend:

– Mit Schweden stehen wir ja auf dem besten Fuße, und so sind nun mal mehr oder weniger alle Diplomaten! Auf irgendeine Manier müssen sie doch auch was 'rauskriegen. Nicht? Na, einer macht's so, einer so.´Es gibt ja Attachés, die sich um gar nichts kümmern. Die haben wir ja auch in Berlin in so und so viel Exemplaren, aber sicher ist's auch nicht. Manchmal tun sie bloß so. So einer ist eben dieser Stassingk, von dem alles redet heute abend. Der wird auch wahrscheinlich fortwährend abgelöst werden, aber nicht, weil er nichts taugte. Wenigstens hat mir ein Herr aus dem Auswärtigen Amt gesagt, daß er famose Dienste leiste ....

– Dieser Graf Stassingk ist langweilig! Als ob es nichts anderes zu reden gäbe. Seitdem der Ball angefangen hat, heißt es fortwährend Stassingk ... Stassingk ... Stassingk ...

Maria da Caza bewegte ungeduldig den Spitzenfächer, daß ein paar lose Härchen an ihrer Stirn flatterten. Der Rittmeister, ein Freund der Cazas, lenkte ein:

– Nicht böse sein! Wozu? Ich kam unwillkürlich darauf, weil Sie mich nach der Prinzessin fragten.

– Was hat die damit zu tun?

– Sie sollte ihn mal heiraten!

– Ach! – entfloh es ihr unwillkürlich, während sie die Prinzessin mit den Blicken suchte als jemand bisher Gleichgültiges, der plötzlich Interesse gewonnen hat. Und nun ward sie neugierig und wollte wissen, warum die beiden sich nicht geheiratet hätten. Das konnte der Rittmeister jedoch nicht sagen, nur die Tatsache war bekannt. Die Prinzessin war noch hübsch, danach vor vier oder fünf Jahren sogar sehr hübsch gewesen, dazu hatte sie gerade für einen Diplomaten wertvolle Verwandtschaft mit einer Reihe mediatisierter Häuser, ihre Eltern waren durchaus einverstanden gewesen trotz der »Mesalliance«, und sie besaß, wie behauptet wurde, ein sehr bedeutendes Vermögen.

– Wissen Sie, was dieser Graf Stassingk nach alledem zu sein scheint? – fragte nun wieder heiter und aufgeräumt Maria da Caza mit blitzenden Augen.

– Nun?

– Töricht!

Sie lachten alle beide, und da der Galopp erklang, machte der Rittmeister der schönen, jungen Frau eine leichte Verbeugung, legte den Arm um ihre schlanke Taille, und zog sie in den Saal. Sie tanzte auf eine eigene Art. Etwas Unbewegliches war dabei an ihr, indem sie aufgerichtet in ihrer stolzen Haltung blieb. Und dennoch sah das nicht steif aus, sondern nur vornehm. Das diamantenblitzende Diadem gab ihr etwas von einer Königin. Wenn sie tanzte, blickte ihr alles nach. Unwillkürlich machte man dem Paare Platz und überließ ihm allein das Feld. Maria da Caza wußte es. Sie war es nicht anders gewöhnt seit den fünf Jahren, die sie in Berlin verheiratet war.

Kaum hatte sie der Rittmeister auf ihren Platz zurückgebracht, als sie auch schon ein anderer Herr fortholte, und unterwegs, noch ehe der Tänzer sie abgesetzt, mußte er sie einem dritten überlassen.

– Maria da Caza tanzt! Achtung, meine Herren! – sagte Regierungsrat von Lindstedt zu ein paar jungen Offizieren und Herren im Frack, die in der Tür zu den Nebenräumen standen. Die jungen Leute blickten ihr nach und begannen sich über sie zu unterhalten. Man bewunderte ihre Schönheit, ihr dichtes, schwarzes Haar, die dunklen Augen, die schlanke und doch volle Gestalt, man sprach von ihrem Kleid, das ihr so gut stand, und von dem Diadem auf der Stirn.

Doch plötzlich nahm das Gespräch eine andere Wendung, irgendeiner hatte gerufen: »Stassingk ist da!« und wie ein Lauffeuer pflanzte sich die Nachricht fort von Mund zu Mund. Man sah ihn noch nicht, aber mehrere Herren verschwanden in den nebenangelegenen Zimmern, und andere folgten. Auch die jungen Leute in der Tür schlossen sich an: alle Welt wollte aus dem Munde des um des Staatswohles der Hohen Pforte willen Zurückgekehrten das Abenteuer mit der schönen Haremsdame selbst vernehmen.

Maria da Caza war vergessen. Graf Stassingk trat an ihre Stelle. Und er nahm das Interesse der Gäste so in Anspruch, daß sich in der nächsten Tanzpause der Saal fast ganz leerte, denn die Damen ließen sich in die Nebenräume führen, um aus Neugierde den jungen Diplomaten wiederzusehen, von dem so Eigentümliches erzählt ward, oder wenn sie ihn noch nicht kannten, ihn zu betrachten, dem ein so eigner Ruf voranging. Nur wenige Paare blieben zurück, unter ihnen die Prinzessin Löwengaard-Espenburg und Maria da Caza mit Rittmeister Hendrich.

»Wie neugierig doch die Menschen sein können!« sagte sie wegwerfend. Der Rittmeister flüsterte ihr zu: »Gnädige Frau, seien Sie mal ehrlich: wenn der Stassingk jetzt hereinkommt, und die Prinzessin und er sich wiedertreffen, werden Sie sich das nicht auch mit ansehen wollen?

Ehe sie antworten konnte, strömte die Menge wieder in den Saal zurück. Einer der ersten Eintretenden war der Regierungsrat, der einen Herrn untergehakt hatte und freundschaftlich auf ihn einsprach.

»Das ist er!« meinte der Rittmeister. Maria da Caza blickte auf. Sie sah einen mittelgroßen, jungen Mann in tadellosem Frack, weißer Weste und einem Ordenskettchen im Knopfloch. Er hatte blondes, leicht gewelltes Haar, das er ziemlich kurz trug, einen kleinen, keck nach oben gewirbelten, gebrannten Schnurrbart, und ein frisches, offenes Gesicht, aus dem ein paar lustige, hübsche, blaue Augen lachten. Sein Gang hatte etwas Leichtes, Schwebendes, Fröhliches, als ob er gewohnt sei, den Weg nur immer geebnet zu finden.

– Das ist er? – wiederholte enttäuscht Maria da Caza, und man merkte ihr so sehr an, was sie empfand, daß Rittmeister Hendrich laut lachend fragte:

– Sie haben ihn sich wohl anders gedacht?

– Ja, allerdings!

– Wie denn?

– Schöner.

– Er sieht aber doch ganz gut aus?

Sie schüttelte den Kopf:

– Ich dachte ihn mir groß, mit dunklen Augen, ernst ... so ... nun eben anders.

– So eine Art fliegender Holländer, nicht wahr?

– Nein, aber der ....

Und sie blies leicht die Luft durch die Lippen und fing an, von Gleichgültigem zu sprechen.

Wieder begann der Tanz und allmählich ward auch Graf Stassingk vergessen. Die erste Neugierde war gestillt, nun dachte jeder an sein Engagement, Tanzverpflichtungen, Vorstellen und gesellschaftliche Höflichkeiten.

Nur einmal noch erregte der Neuankömmling die allgemeine Aufmerksamkeit, als ihn Regierungsrat von Lindstedt Zur Prinzessin brachte. Er tat es absichtlich als letzten Trumpf der Neugierde, und die Art und Weise, wie er sich dabei nach seinen Gästen umsah, zeigte deutlich, welches Glück er empfand, daß sich diese peinliche Szene gerade in seinem Hause abspielte und sein Ball wieder etwas Besonderes bot, was ihm andere Gastgeber nicht nachmachen konnten.

Als sich Graf Stassingk plötzlich der Prinzessin gegenübersah, schwieg rings die Unterhaltung auf einen Schlag, wie einem Kommando zufolge. Man stieß sich an, und alle Augen wandten sich zu den beiden. Sie war dunkelrot geworden und tat zuerst, als ob sie des jungen Diplomaten nicht ansichtig geworden wäre. Erst als er auf sie zutrat, neigte sie den Kopf, ohne ihm jedoch die Hand zu reichen. Er aber hatte nicht einen Augenblick seine Fassung verloren. Sofort fand er ein Gespräch, und bei der fast vollkommenen Stille, die eingetreten war, konnte man jedes Wort verstehen:

– Durchlaucht! Nein, Sie sind es! Das ist ja zu nett! Wie ich mich freue. Ich fühle mich ganz, als wäre ich nie fort gewesen. Alle alten Freunde und lieben Bekannten treffe ich wieder. Es war wirklich eine zu charmante Idee von Herrn von Lindstedt, ins Hotel zu schicken, um mir sagen zu lassen, ich möchte doch zum Ball kommen. Mit dem Orientexpreß bin ich kaum angekommen, da hieß es auch schon, evening dress anziehen und die alten, lieben Freunde aufsuchen. Wie ist es Ihnen denn ergangen in den Jahren? Ich hätte mich gern mal wieder in Berlin sehen lassen ....

Die Stimme sank nun fast zum Flüstern herab, und Lärm und Treiben im Saal hatte auch schon wieder begonnen, so daß nur Maria da Caza, weil sie zunächst saß, einigermaßen verstehen konnte, was Graf Stassingk weiter sprach. Ihr Tänzer, der österreichische Attaché Ritter Boljèn von Boljena, unterhielt sie die ganze Zeit und erzählte ihr in so selbstgefälliger Weise von seinen Tigerjagden in Vorderindien, daß er gar nicht merkte, wie sie nur Ohren für die Nachbarunterhaltung besaß.

Graf Stassingk sagte der Prinzessin, er hätte weder in Madrid, noch jetzt später in Konstantinopel Urlaub erhalten können, sonst wäre er selbstverständlich nach Berlin gekommen, denn es wäre ihm wirklich peinlich, etwa in den Verdacht zu geraten, als hätte er mit dem Ortswechsel alle vergessen, die ihm daheim einst lieb und teuer gewesen. Oft habe er mit sehnsüchtigem Herzen an seine Freunde gedacht, an alles das, was er im Norden gelassen, und ihn habe solches Heimweh überkommen, daß er sich habe bezwingen müssen, nicht einfach von seinem Posten zu entfliehen.

Er brachte das alles so natürlich vor, so selbstverständlich, dabei so gar nicht auftragend und in schwunghaftem Ton, sondern fast bescheiden, daß seine Ausführungen den Stempel der Wahrheit erhielten. Man mußte ihm glauben. Und er hatte eine Art und Weise, zu sprechen, halbleise, eindringlich, nur ganz persönlich auf den einzelnen Menschen gerichtet, mit dem er sich unterhielt, daß ihm sein Wesen sofort den Hörer gewann.

Die Prinzessin war sehr bald gefangen, sie begann zu lächeln, sie begegnete ihm nicht mehr steif, wurde entgegenkommender, die Röte wich von ihren Wangen, und es schien, als habe sie alles vergessen und vergeben, nachdem er sich kaum zehn Minuten mit ihr unterhalten. Ihr Herr, der den Tanz hatte, war gegangen. Kurz hatte er sich bekannt gemacht, und nun, wo er fühlte, daß diese beiden sich mehr zu sagen hatten, als ihm das Ballgespräch eingab, überließ er die Prinzessin dem Fremden und rettete sich ans Büfett, um bei einem Glase Sekt Trost zu suchen.

Graf Stassingk trat jetzt stillschweigend ganz an seine Stelle und tanzte mit der Prinzessin, die, etwas schwer und nicht immer den leichten Bewegungen ihres Herren folgend, sich von ihm führen ließ. Als das Paar sich unter die Schar der Tanzenden mischte, machte wohl hier und da einer den anderen auf sie aufmerksam, aber im allgemeinen hatte man sich mit der Tatsache, daß die beiden wieder beieinander waren, versöhnt. Die Rückkehr des herzengefährlichen, jungen Diplomaten nach Berlin war nun schon etwas Altes.

Langgezogen klangen die Töne des Walzers »Sweet, sweet heart«, der die Mode der Saison war, und alles begann zu tanzen, denn wenn die süßlichen Anfangstakte schwirrten, sahen sich die Paare an, als wollten sie sagen: »Diesmal dürfen wir nicht aussetzen, denn »Sweet, sweet heart« reißt alle mit sich fort.« Die Schuhe schlürften, die Kleider rauschten, leise klang das Knistern der Seide, das Zusammenschlagen der Sporen, die sich kurz berührten, knappe Worte fielen dazwischen, die man kaum im Vorübereilen erhaschen konnte. Und das Kerzenlicht fiel aus drei großen, venezianischen Kronleuchtern nieder auf die glänzenden Nacken, jugendlich glatt und schmucklos, oder mit Perlenschnüren und Steinen behängen, auf die blitzenden Uniformen und Orden.

Und immer tönte langgezogen das »Sweet, sweet heart«, dessen Melodie, alle fünf Takte von einem neuen Instrument angeschlagen, aus dem Gewirr der Klänge scholl.

Maria da CazZa tanzte unaufhörlich. Nicht eine Sekunde setzte sie aus, und außer Graf Stassingk gab es fast keinen der jüngeren Herren mehr, der sich mit ihr nicht einmal im Walzer gewiegt.

Der Regierungsrat brachte eben seine Frau, eine unscheinbare, stille Blondine, auf ihren Platz zurück. Sie machte sich nichts aus diesen Festen, obwohl ihr Mann zu sagen pflegte, er gäbe seine Bälle nur auf Wunsch seiner »Gattin«, um ihr auch einmal ein Vergnügen zu bereiten.

Sofort wandte sich Stassingk mit einem artigen Worte ihr zu:

– Es ist so nett, gnädige Frau, wenn Mann und Frau miteinander tanzen!

– So? – antwortete sie, verlegen lächelnd, und er fuhr fort, indem er sich artig gegen sie neigte:

– Vor allem, wenn jemand so gut tanzt wie Sie ....

Ob der Schmeichelei wußte die junge Frau erst recht nicht, was sie erwidern sollte. Der Regierungsrat aber kniff wieder in seiner beliebten Art ein Auge zu, stieß Graf Stassingk leicht an, schnalzte und sprach:

– Maria da Caza tanzt!

– Wer?

– Maria da Caza tanzt!

– Was heißt das?

– Ich sage nichts, als: Maria da Caza tanzt.

Graf Stassingk tat ganz naiv:

– Das ist wohl die große, schöne Dame mit dem schwarzen Haar? Sie saß vorhin neben der Prinzessin Löwengaard! Nicht wahr, Herr Regierungsrat? – Kennen Sie denn Maria da Caza nicht? Die schönste Frau in der Gesellschaft? Ach so, pardon, ich denke ja nicht daran, daß Sie so lange fern von Madrid – pardon in Madrid – oder am Bosporus weilten. Da kennen Sie sie wohl nicht. Soll ich Sie nicht vorstellen?

– Später, später! Sehr gern! Später, bitte.

Der Regierungsrat lächelte und machte eine Anspielung auf die schönen Frauen des Orients, die dem jungen Diplomaten wohl den Geschmack verdorben hätten. Geheimnisvoll, scheinbar vielsagend, gab jener das Lächeln zurück. Er hätte längst Maria da Caza bemerkt, entgegnete er, nur den Namen nicht gewußt. Nun betrachteten sie beide Frau da Caza, wie sie tanzte. Jedesmal, wenn sie, die mit ihrem Herren immer bloß einen Kreis um den halben Saal beschrieb, an ihm vorüberkam, blickte ihr Stassingk ins Gesicht, so daß sie es gewahr wurde und die Augen niederschlug, weil ihr dieses unausgesetzte Anschauen unangenehm war. Auch dann, als sie eine Pause machte, verließ er sie nicht mit den Blicken, aber er richtete es so ein, daß es nicht auffiel und die anderen dachten, er sähe in das bunte Ballbild hinein, ohne einen bestimmten Menschen zu betrachten.

Maria du Caza ärgerte sich über Stassingk, doch sie redete es sich mehr ein, und im Innersten gestand sie sich, daß es ihr schmeichle, von diesem Manne beachtet zu werden, dem ein so eigner Ruf voranging. Nur hätte sie gewünscht, er möchte sich ihr vorstellen lassen. Das tat er nicht. Dann kam das Souper dazwischen, bei dem sie »gesetzt« war und ihn so gänzlich aus den Augen verlor. Aber auch später machte er keine Miene, sich ihr zu nähern. Nur von weitem trafen sie immer seine Blicke, und plötzlich war er verschwunden und erschien nicht wieder.

Sie suchte ihn, als hätte sie schon ein Interesse an ihm gefunden, und ertappte sich dabei, daß es sie, die sich nie ernstlich um einen Herrn gekümmert, förmlich aufregte, zu erfahren, wo er denn sei. Ihren Tänzer wagte sie nicht zu fragen. Sie kannte ihn wenig: er verkehrte nicht in ihrem Hause. Von den Herren, die sie bei sich sah, konnte sie keinen erreichen.

Da kam ihr ein Gedanke: vielleicht saß er mit der Prinzessin in einem Nebenraum. Unwillkürlich ärgerte sie diese Vermutung. Doch Prinzessin Löwengaard stand ihr schräg gegenüber, und es schien Maria da Caza, als ob sie ihre Augen umherwandeln ließe, suchend und ängstlich. Da mußte sie unwillkürlich über sich selbst lachen.

Was ging sie dieser Fremde an? Dieser unerzogene Mensch, der so und so oft in ihrer Nähe gestanden, der sie mehr als gebührend angestarrt, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich ihr nennen zu lassen!

Als nun der Regierungsrat herumlief mit einem unter Einwirkung des Champagners noch auffälligeren Augenzwinkern als sonst und sein neues Schlagwort an den Mann brachte: »Stassingk ist wieder fort, hoffentlich mußte er nicht schon wieder von Berlin versetzt werden!« da ärgerte sie die Gewißheit, daß er nun wirklich gegangen war, ohne es für nötig zu halten, sich ihr bekannt machen zu lassen, derart, daß sie zu Herrn von Lindstedt wütend sagte:

– Flegel!

– Wer?

– Eben dieser Graf Stassingk!

Sie erklärte ihm empört, warum sie Stassingk für einen Flegel halte. Der Regierungsrat aber verteidigte ihn, und in diesem Augenblick kam aus dem Spielzimmer nebenan Herr da Caza, der statt zu tanzen den ganzen Abend Whist gespielt hatte. Er hatte die letzten Worte seiner Frau gehört. Der große, schlanke Mann, dessen bräunliches, hübsches Gesicht, das von einem schwarzen spitzgeschnittenen Barte umrahmt war, nur etwas Starres durch ein Glasauge rechts erhielt, schien fast erschrocken zu sein:

– Weißt Du denn aber, daß Graf Stassingk von Dir gerade das Gegenteil gesagt hat?

Maria da Caza blieb bei ihrer Meinung:

– Das mag sein, gezeigt hat er's nicht.

Herr da Caza sprach, und er erhob seine Stimme, daß es auch ja die Umstehenden hören sollten:

– Die Partie war gerade zu Ende, da kamen Hendrich und er, um sich »spanisch zu drücken«, wie es heißt. Und da fragte ihn die alte Exzellenz Dessow, ihm gehe doch der Ruf als Kenner voran, wer denn auf dem Balle die hübscheste Dame sei. Stassingk meinte: eine käme überhaupt nur in Frage, gegen die die anderen gar nicht zu nennen wären. Allgemeine Spannung. Exzellenz Dessow fragt: »Das ist?« – »Maria da Caza«. Er schwieg und lächelte, stolz seine Frau betrachtend, mit dem einen Auge, das bloß noch einen Strahl des Lebens zu versenden vermochte, wie jemand, der sich freut, ein unbesiegtes, edles Pferd im Stalle zu haben.

Maria da Cazas schönes Antlitz hellte sich auf. Ihr Mann aber fuhr fort:

– Ich habe mich so darüber gefreut, so sehr ...

Leise fügte er hinzu:

– Ich habe ihm nahe gelegt, uns aufzusuchen! Unsicher, sie wußte nicht, sollte sie es gutheißen oder nicht, fragte sie:

– Wird er kommen?

– Er kommt.


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