Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.

Zu einer Vorbesprechung waren die Hauptmitwirkenden zu Lindstedts gebeten worden. Man mußte sich über die meisten Buchstaben des Wortes Carmen erst noch einigen, das M als Maria Stuart, das C als Carmen stand fest. Dem Regierungsrat war öfters gesagt worden, er sähe mit seiner kurzen, gedrungenen Figur, dem gelichteten Haupthaar und dem runden Kopf Napoleon dem Ersten ähnlich. So war er entschlossen, diesen Zufall zu benutzen, um so mehr, da für das N bisher nur Vorschläge gemacht worden, die wie Nepomuk nicht gingen oder wie Nasenstüber den Stil der übrigen beeinträchtigt hätten.

– Wie denken Sie sich Napoleon? – fragte Graf Stassingk, der die Oberleitung haben und nur den Künstlern die Bilder selbst überlassen sollte. Der Regierungsrat wußte es nicht. Professor Charrier dachte an das bekannte Bild im Leipziger Museum. Aber er gab seiner Meinung nicht ernstlich Ausdruck, denn ihm war der gesellschaftliche Teil bei diesen lebenden Bildern die Hauptsache. Am liebsten hätte er alles Peter Stöckl überlassen, doch dieser war nicht erschienen. So schlug denn einer ein Meissonniersches Bild vor, einige Dutzende von Pferden darauf, so daß ihn allgemeine Heiterkeit belohnte. Herr von Lindstedt wünschte auf einem Piedestal zu stehen mit unterschlagenen Armen in einsamer Größe.

– Unten und oben Wolken, aus denen Blitze flammen! – meinte spöttisch Rittmeister Hendrich, und Graf Selbotten riet ernsthaft:

– Warum nehmen Sie ihn nicht als halbverhungerten Sous-Leutnant?

– Meine Taille! Das ist doch unmöglich, lieber Graf! –- jammerte Herr von Lindstedt. Dann schlug der kleine Remer, immer nur mit dem Gedanken beim Reiten, vor, den Schlachtenkaiser zu Pferde darzustellen, wie er durch das Fernrohr den Gang der Schlacht verfolgt, aber das Pferd erregte wiederum Anstoß, und Herr von Nyvenström, dem man solche Spitze gar nicht zutraute, fragte leise:

– Kann unser Napoleon denn reiten, meine Herren?

Allgemeines Gelächter ertönte. Eine Viertelstunde lang ward zu allgemeiner Heiterkeit die Frage hin und hergewendet, ob ein Pferd in den Saal gebracht werden könne, ob es ruhig stehen würde, wie man die Hufe umwickeln müsse, damit es keinen Lärm mache, welche Farbe Napoleon gewöhnlich bevorzugt habe, welche Rasse.

Da stand Stassingk auf und schlich sich zu den Damen hinüber, die im Zimmer der Frau von Lindstedt auf das Ergebnis der Debatte warteten.

– Sind Sie fertig? – fragte die kleine Gräfin.

– Wir haben noch gar nicht angefangen. Bis jetzt wird die Frage erörtert, ob man ein Pferd in den Saal bringen kann, und das dürfte wohl noch eine Weile dauern. Inzwischen wollte ich doch einmal sehen, was die Damen machen!

Maria da Caza wartete, wohin er sich wohl setzen würde. Er warf ihr einen Blick zu, aber da sie ein Stück von ihm entfernt war, konnte er nicht sofort auf sie zugehen. Und nun beobachtete sie ihn fortwährend, wie er mit dieser und jener sprach, sich hier und dorthin neigte.

Es war ein fortwährendes Hin und Her: junge Mädchen, die zu den Bildern in Aussicht genommen waren, ließen sich vorstellen, und Maria da Caza mußte ihnen ein paar gleichgültige Worte sagen, während ihre Gedanken sich drüben bei Stassingk befanden.

Da trat Prinzessin Löwengaard ein. Frau von Lindstedt ging ihr entgegen, und es traf sich zufällig, daß sie sich einen Moment darauf neben Maria da Caza befanden. Wie nun die beiden sich etwas steif gegenüber standen, bemerkte Frau von Lindstedt, daß sie sich offenbar nicht kannten, und nannte mit ein paar verlegenen Redensarten die Namen.

Die Prinzessin sagte sofort mit großer Sicherheit:

– Wir haben uns schon öfters gesehen, wenn auch nur aus der Entfernung ...

Maria da Caza legte ihren schönen Kopf zurück, sie wollte etwas Scharfes entgegnen, doch Stassingk hatte sie angeblickt, und ihr war, als hätte etwas wie eine Bitte darin gelegen. Sie bezwang sich. Ihr Ausdruck ward freundlicher und sie sagte:

– Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen!

Prinzessin Löwengaard zögerte eine Sekunde, dann streckte sie Maria die Hand entgegen:

– Ich muß Ihnen ein Unrecht abbitten?

– Mir?

– Auf dem Ball hier, diesen Winter habe ich mich Ihnen nicht genähert!

Zuerst wollte Maria da Caza tun, als ob ihr das nicht aufgefallen, dann traten ihr die Worte auf die Lippen, sie sei die Jüngere und hätte infolgedessen den ersten Schritt tun sollen, doch sie kämpfte die kleinliche Spitze nieder, die darin gelegen hätte, dem Mädchen fühlbar zu machen, daß es älter sei als sie, die Frau:

– Ich hätte sollen – es ist meine Schuld.

Ihre Hände ruhten einen Augenblick ineinander. Stassingk, der sich bis zu ihnen durchgearbeitet, begann mit beiden zu sprechen. Aber er redete nur allgemeine Dinge und wußte die Worte so zu wenden, daß er nichts berührte, was einer der beiden hätte unangenehm sein können.

Der Regierungsrat ließ Stassingk zur Beratung zurückrufen, die ihrem Ende zuging:

– Immer wenn man sich am besten unterhält, muß man fort! Ich bliebe tausendmal lieber hier! – sagte der junge Diplomat, jede von beiden Damen in der Ueberzeugung zurücklassend, daß seine Worte doch mehr ihr gegolten als der anderen. Maria da Caza glaubte einen Blick von ihm aufgefangen zu haben, der etwas bedeutete wie ein Achselzucken über die Prinzessin. Jener ward ein leiser Hoffnungsschimmer von neuem im Herzen entfacht.

Stassingk aber freute sich, das Peinliche der Lage so gut überwunden zu haben.

Der Regierungsrat teilte ihm mit, die Herren hätten sich bereits über das R schlüssig gemacht als Rennen. Das »wie« würde Peter Stöckl übertragen werden. Nun fehlte bloß noch E und A.

»Einsamkeit« schlug jemand vor, und Rittmeister Hendrich fand sofort die Darstellung:

»Ein leerer Rahmen.«

Herr da Caza, der bis dahin geschwiegen, hatte einen Gedanken:

»Engel. Wir lassen eine Dame oder mehrere als Engel auftreten.«

»Oben die eine Charrier, unten die andere. Die ergänzen sich!« flüsterte der Regierungsrat dem nächststehenden Herrn zu, weil es ihm unmöglich war, einen Witz, der ihm gekommen, zu unterdrücken, und wenn er ihm auch die größten Unannehmlichkeiten bereitet hätte. Professor Charrier hatte es gehört. Er war nicht gekränkt, sondern sagte ganz ruhig beistimmend:

»Ich habe öfters meine Töchter gemeinsam so auf ein Bild gebracht. Aber vielleicht wäre Ihre Durchlaucht die Prinzessin Löwengaard passend als Engel! Sie ist zwar etwas stark, aber im faltigen Büßergewande mit großen Flügeln fällt es nicht auf, und sie hat einen schönen Kopf mit blondem Haar und hübsche Hände. Die sind würdig, gezeigt zu werden: wenn sie gefaltet sind, wird man besonders auf sie aufmerksam.«

Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Es fehlte nur noch das A, und darüber begann von neuem eine so erregte Auseinandersetzung, daß sich Stassingk wieder stillschweigend davonschlich.

Maria da Caza hatte ihn kommen sehen und war ihm in ein kleines Nebenzimmer entgegengegangen. Er zog ihre Hand an die Lippen, ohne daß es jemand bemerkte:

– Ich mußte doch auch mit der Prinzessin sprechen!

– Nun ja, und?

– Ich fürchtete, Sie wären böse, gnädige Frau.

– Warum?

– Weil man Ihnen über die Prinzessin und über mich allerlei gesagt hat!

– Das ist vergessen!

– Nie gewesen ist es!

Mavm da Caza blickte ihm forschend in die Augen, so daß er verlegen fragte, ob sie ihm nicht glaube. Sie antwortete nur hastig und eindringlich:

– Wie finden Sie die Prinzessin?

Er wußte nichts Hartes zu erwidern, da sie auch für kurze Zeit einmal sein Herz tiefer verwundet, aber dann meinte er wieder, Maria würde eifersüchtig sein, wenn sein Urteil zu günstig ausfiele, und von selbst kamen ihm die Worte, die doch der Wahrheit entsprachen:

– Sie war einmal sehr hübsch. Jetzt ist sie etwas zu stark geworden!

Da überfiel Maria da Caza plötzlich quälend die Eifersucht. Sein Ton war ihr nicht entschieden genug gewesen, und sie zischte mit einem bitteren, schmerzlichen Zug um den Mund, indem sie ihn ganz von selbst zum ersten Male beim Vornamen nannte:

– Ernst ... liebten Sie einmal die Prinzessin?

– Niemals, Maria! – antwortete er mit gutem Gewissen. Sie nahmen beide einen ruhigen Ausdruck an, denn ein paar Damen waren eingetreten. Stassingk wandte sich sofort zu ihnen und erzählte, sie würden Flügel bekommen, um als Engel durch den Saal zu fliegen. Nun wollten alle Näheres wissen und er sah sich bald von lauter jungen Mädchen umdrängt, die er nach allen Seiten als Engel begrüßte:

»Gnädigste Engel! Ihnen wird ja die Verwandlung gar nicht schwer. Sie sind ja alle Engel. Klappen Sie nur, bitte, ja Ihre Flügel auseinander!

Maria da Caza mußte lächeln, als sie die Schar ihn umringen sah. Es war so harmlos und dennoch gefiel es ihr nicht. Er brauchte nicht so mit allen zu scherzen und Geschichten zu erzählen.

Die Herren kamen herein. Man hatte sich über das A nicht einigen können und wollte es vor der Hand auslassen. Es würde sich schon finden. Als der Regierungsrat Stassingk sah, tat er sehr böse, daß er nicht mit an der Beratung teilgenommen hätte:

– Ja, »wenn solche Köpfe feiern«!

Dann zog er ihn jedoch beiseite, ihm zuraunend:

– Im Buchstaben-Bilde Maria Stuart sollen Sie der Lord Leicester sein. Uebrigens hätte ich ein gutes Bild gewußt: Caza als Wotan oder Polyphem. Nur brauchen wir leider kein W oder P, sondern A.

Stassingk konnte es nicht leiden, wenn jemand über ein körperliches Gebrechen witzelte, und sagte ziemlich scharf:

»Sie haben wirklich eine ... eine gottlose Zunge!

Dann begannen endlose Auseinandersetzungen mit den Damen über die Kostüme, die sie sich beschaffen sollten. Es bildeten sich Gruppen derer, die in einem Bilde zusammen standen und sich eifersüchtig, daß andere nichts von den Plänen hören möchten, in den Ecken versammelten. Endlich kam man überein, der nahenden stillen Woche halber, um die Sache zu beschleunigen, die einzelnen Bilder im Hause irgend eines der dabei Mitwirkenden zu versuchen und nur die Generalprobe bei Lindstedts stattfinden zu lassen.

Das N blieb beim Regierungsrat, das A sollte bei Charriers sein, das E bei einer Baronin Lennen, einer hübschen Witwe in der Mitte der Dreißiger, von der man sagte, Herr von Lindstedt sei einmal fast mit ihr verlobt gewesen, sie habe sich jedoch im entscheidenden Augenblick nicht entschließen können. Das R übernahmen Selbottens vorzubereiten, trotz des geringen Raumes, den sie zur Verfügung hatten, und die Buchstaben M und C fielen von selbst Cazas zu, weil Maria da Caza die Hauptfigur stellte.

Als sich die Gesellschaft trennen wollte, erschien noch Peter Stöckl. Herr da Caza fragte ihn, wie er sich Maria Stuart und Carmen denke und wie viel Personen dazu erforderlich wären. Der junge Maler sann einen Augenblick nach, dann sagte er lächelnd:

– Ich brauche für die Maria nur einen Leicester, für die Carmen nur einen Jose! Viel Personen in einem lebenden Bild wirken immer schlecht. Die Luft fehlt!

– Der Leicester ist schon bestimmt – Graf Stassingk, und den Jose kann, denke ich, Stassingk auch übernehmen, denn die anderen Herren haben gebeten, nur als Chor verwendet zu werden!

Der Maler nickte. Er fragte, ob Herr da Caza nicht vielleicht den José stellen wolle, doch jener meinte korrekt wie immer:

– Lieber nicht. Mann und Frau als Hauptpersonen? Das macht sich nicht gut, als ob man das Beste für sich genommen hätte! Und – mir fällt eben ein, daß ich auf dem Rennbilde sein soll, das Charrier bei Selbottens stellt. Das genügt mir ...

Darauf verabredeten sie, daß die Beteiligten um sieben Uhr in der Villa Caza essen sollten. Nach Tisch würde die erste Probe sein.

Aber als nach dem Diner bei Cazas Peter Stöckl eben beginnen wollte, auseinanderzusetzen, wie er sich die beiden Bilder dächte – wurde Herr da Caza abgerufen. Gräfin Selbotten schickte herüber, er möchte augenblicklich zum Rennbilde kommen. Er empfahl sich:

»Sehen Sie – ich sagte es doch! Meine Frau muß Ihnen also die Honneurs machen!

Nun war Maria da Caza allein mit Stassingk und dem jungen Maler. Sie fürchtete, das Bild möchte so gestellt werden, daß Leicester etwa vor ihr ein Knie beugen solle, ihr seine Liebe zu gestehen. An die Zuschauer dachte sie dabei nicht, nur an die kleine Freundin, deren forschende Augen sie schon in Gedanken auf ihrem Antlitz brennen fühlte. Aber Peter Stöckl wollte nichts Konventionelles:

»Also, gnädige Frau, darf ich nun meine Idee sagen – Ich möchte nicht etwa Akt x, Szene y geben, sondern ohne Anlehnung an das Stück eine freierfundene Szene, die trotzdem in die Maria Stuart paßt und vor allen Dingen besonders für die Maria Stuart geeignet ist. Ich will tiefer gehen. Nicht bloß eine Szene stellen. Wenn es Sie nicht langweilt, muß ich ein bißchen ausholen dazu! ...

Maria da Caza, die den jungen Maler nur immer als schweigsamen, in sich gekehrten Menschen kannte und ihn im stillen ein wenig langweilig gefunden, war ganz erstaunt, ihn so reden zu hören mit blitzenden Augen, die nichts Körperliches vor sich schauten, die in der Luft das zu sehen schienen, was seine Phantasie beschäftigte. Sie blickte Stassingk an. Er schien zu lauschen. Peter Stöckl erklärte:

»Der Hintergrund – mit dem Aeußerlichen beginne ich – ist mir gleich, den mache ich an Ort und Stelle: Pflanzen, einen matten, ruhigen Teppich ... Kulissen stelle ich nicht, der Ort würde mich stören. Ich sehe nichts als die beiden Figuren. Leicester und José. Beide in Beziehung zu einer Frau, einer blendend schönen Frau: Maria Stuart und Carmen. Der Typus verschieden, das Anziehende, Verführerische, die Männer Berückende, bei beiden gleich. Aber ein Unterschied in ihrer Beziehung zum Manne. José liebt Carmen bis zum Wahnsinn. Sie ist die Kokette, Grausame, Wetterwendische, der böse Dämon im Weib dem Manne gegenüber. Maria dagegen liebt Leicester, aber er ist der Feigling, der Schwache, der sie zwar liebt oder geliebt hat, aber der Höfling ist und Schranze, der es mit der siegenden Partei – der Elisabeth, nicht verderben will. Da ist er der Kokette, Grausame, Wetterwendische, der böse Dämon im Manne dem Weibe gegenüber... Sie kennen also die Rollen.

Dann hielt der Maler einen Augenblick inne und bat darauf Maria da Caza eine Zigarette zwischen die Finger zu nehmen. Er gab ihr eine leichte Stellung, die linke Hand in die Hüfte gestemmt, den Körper geneigt, in der Rechten den erhobenen Papyros.

– Nun, gnädige Frau, eine Miene, als bliesen Sie gleichgültig lächelnd den Rauch davon. Dabei streifen Sie Graf Stassingk mit einem halb koketten, halb höhnischen Blick!

Sie versuchte es, aber er war nicht recht zufrieden, und auch mit Stassingk, der mit verzehrenden Augen Carmen betrachten sollte und wie flehend die Hände gegen sie strecken, war er nicht ganz einverstanden. Wie aber die Stuartgruppe versucht ward: Maria, stolz in königlicher Haltung, Fürstin und doch Weib, Leicester jedoch in gewundener, verlegener Huldigung, da sagte Peter Stöckl rasch:

– Das brauchen wir gar nicht groß zu probieren! Das geht! Sie sind eine Maria Stuart, gnädige Frau, wie ein Maler sie sich nicht besser wünschen könnte. Wenn ich historische Maschinen malte, ich würde darum bitten!

Er setzte sich in eine Ecke und skizzierte aus dem Kopf einige Stellungen auf dem Papier. Maria da Caza unterhielt sich mit Stassingk. In des Dritten Gegenwart sprachen sie über gleichgültige Dinge: über spanische Kostüme, über das Gewand der Maria Stuart, die hohe Halskrause und Leicesters Hofkleid. Da machte Peter Stöckl, der, wenn ihn etwas in seiner Kunst störte, keine Rücksichten kannte, ungeduldig: – Pst!

Das laute Sprechen gerade über das, was ihn in. diesem Augenblick gefangen hielt, was er im Geiste hin und herwendete, störte ihn empfindlich, Maria da Caza gab Stassingk ein Zeichen, ihr in das Nebenzimmer zu folgen. Leise standen sie auf und gingen in den kleinen Salon.

– Wir stören unseren Künstler! – sagte sie mit trockener Kehle, weil sie fühlte, daß heute, wo sie fast allein waren und sie sich beim Vornamen genannt, irgend etwas geschehen müsse. Stassingk scherzte in seinem leichten Ton, den sie nicht mochte:

– Oder vielmehr, er stört uns!

Sie hatte ein leises Gefühl des Unbehagens und strich sich an den schönen, schlanken, bloßen Armen die Armbänder in die Höhe, als wollte sie das Unangenehme abstreifen. Immer zum Diner trug sie ein ausgeschnittenes Kleid, wie ihr Mann, der englische Sitten nachahmte, es verlangte. Es war ihr, als glitte Stassingks Blick über ihre Schultern, und seine Augen schienen ihr nicht mehr das Lustige, Oberflächliche zu haben, sondern tief und warm zu leuchten, so daß sie gleich wieder für ihn gestimmt war.

Stassingk sagte plötzlich:

– Sie sind heute wieder so schön, Maria! so schön, so überwältigend schön.

Aber sie ging auf den Ton nicht ein und antwortete nur:

– Wir werden gleich wieder herein müssen.

– Jetzt bleiben wir.

– Er wird uns rufen, nach uns suchen.

– Nein, Maria, er zeichnet. Ich sehe ihn, und wenn er uns sucht... was schadet das ... und wenn er uns auch findet ... das ist ja ganz gleich, Maria, ganz, ganz gleich!

Sie blickte ihn ängstlich fragend an, und in Stassingk stieg plötzlich, wie er sie vor sich stehen sah in strahlender Schönheit, die Leidenschaft empor, daß er ihrer nicht mehr Herr ward. Seine Hände zitterten, die Schläfen pochten, ihm war es, als drehte sich alles um ihn, sein Glückstaumel wuchs und wuchs, er vermochte sich nicht mehr zu beherrschen, und er nahm ihre Hand und bedeckte ihren Arm mit Küssen. – Durch die Portiere hindurch meinte er den Maler, der immer noch ruhig zeichnete, sich bewegen zu sehen. In jähem Gedankengang griff er nach dem kleinen Hebel der elektrischen Leitung und ließ ihn herumschnellen.

Das Licht verlöschte.

Maria da Caza stammelte nur:

– Was ... warum ... was machen Sie ...

Er aber zog sie an sich und bedeckte Schultern und Hals mit Küssen. Er liebte sie, und es kam ganz ehrlich von seinen Lippen, daß er in glühender Leidenschaft des Augenblicks flüsterte:

– Maria, wir müssen zusammen ommen, wir müssen, willst Du? Ich will ja alles tun, was Du verlangst, denn ich muß leben mit Dir! Allein kann ich es nicht. Liebst Du mich denn? Liebst Du mich?

Da war sie ihrer nicht mehr mächtig, zog ihn an sich, nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und küßte ihn auf den Mund, und wieder und wieder, und ließ sich küssen und sagte aus tiefster Seele:

– Ja, ich liebe Dich! O Gott, o Gott, ich liebe Dich! Ich liebe Dich!

Das Plätschern des Wassers übertönte ihre Worte. Einen Augenblick blieben sie im Taumel der Leidenschaft einander umschlungen haltend. Maria da Caza dachte an nichts als ihr Glück, an ihre Liebe. Stassingk jedoch horchte einen Augenblick auf, und sah, wie sich drüben im großen Salon der Maler erhob. Er ließ Maria los und zischte ihr zu:

– Stöckl kommt!

Mit aller Geistesgegenwart sprang er auf, trat, Maria da Caza im Dunkeln lassend, in den Salon, indem er rasch auf Peter Stöckl zuging:

– Nun, haben Sie etwas gefunden?

Sie lehnten sich am Tisch über das Papier. Maria blieb sitzen, unbeweglich, wie erstarrt. Die Szene hatte nur wenige Sekunden gedauert, und doch schien es ihr, als wäre es ein langes, langes Glück gewesen, als Entschädigung für Jahre der Entsagung, der Gleichgültigkeit und Kälte. Ein Versprechen hatte er ihr gegeben: er wollte leben mit ihr. Sie hatte es ja gefühlt, daß sie zu einander kommen mußten, einmal doch über kurz oder lang. Sie wußte, daß sie ihm vertrauen konnte, daß er es einmal sagen würde, und nun, daß sie ihm vertrauen mußte, wann er es ausführen wollte.

Jetzt fühlte sie sich plötzlich schon wie fremd in diesem Hause, das sie einst würde verlassen müssen, um ihm zu folgen und mit ihm glücklich zu sein, als sein Weib bis ans Ende.


 << zurück weiter >>