Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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XVIII.

Als Stassingk Marias Telegramm bekam, schlug ihm das Gewissen. Seit Tagen hatte er ihr nicht geschrieben, es war wirklich unerhört. Er begriff selbst in diesem Augenblick nicht, daß es so lange her sein sollte, aber sie hatte allerdings recht. Doch: gedacht hatte er ihrer, und unrecht war es von ihr, zu fürchten, er habe sie vergessen, weil er einmal ein paar Tage nicht die Feder in die Hand genommen. Es war so viel vorgewesen, eines hatte geradezu das andere gejagt, daß er nicht dazu gekommen war, trotzdem er sich immerfort vorgenommen, zu schreiben. Er fühlte sich voller Zuversicht, sie würde es einsehen.

Am Abend des Tages setzte er sich hin und schrieb ihr einen ausführlichen Brief, worin er ihr alles auseinandersetzte und sie wegen seiner Säumnis um Entschuldigung bat. Sie war so gut, sie liebte ihn so, daß er wußte, sie würde ihm schon vergeben. Daran zweifelte er nicht. Die Vorbereitung des Korso hatte ihn außerordentlich in Anspruch genommen. Mit dem Feste war seine Tätigkeit nicht zu Ende, sondern die Ordnung und Einziehung, der Beiträge der einzelnen Wagenbesitzer und Reiter, die Prüfung der Rechnungen, die Ablohnung des für diese Veranstaltung eigens geworbenen Personals verursachte eine Menge Arbeit. Sie kostete so viel Zeit, daß Stassingk abends, wenn er fertig gewesen, obwohl er sich jeden Tag wieder von neuem vorgenommen, Maria zu schreiben, den Brief auf den anderen Morgen verschoben hatte. Am anderen Morgen aber begann seine Tätigkeit von neuem, und aus dem Schreiben wurde nichts.

Dazu weilte gerade in dieser Zeit der englische Botschafter an der Pforte, Sir Henry Gilderdale, mit seinen beiden Töchtern auf der Durchreise nach England einige Tage in Berlin. Stassingk hatte in seinem Hause in Konstantinopel viel verkehrt. Nun wurde er vom Botschafter, der ihn gern mochte, mehrmals eingeladen, und es machte dem jungen Diplomaten Spaß, von allen Seiten gefragt zu werden, wer die beiden Schönheiten wären, mit denen man ihn da wieder einmal erblickt.

So kam es, daß sich Stassingk mit seinem Briefe an Maria begnügte und ganz vergaß, außerdem noch zu ihrer Beruhigung zu telegraphieren. Ihm war es, als ob ihr Bild in seinem Gedächtnis ein wenig an Farbe verloren. Die ganze Episode mit ihr, die so jäh zum Ernste geführt, erschien ihm so weit entfernt, als ob sie sich fast gar nicht zugetragen hätte. Das Leben war ihm immer nur im rosigsten Lichte, wie ein Spiel, entgegengetreten. Daß es nun plötzlich einmal anfing, sich für ihn in nüchtern beleuchteter Wirklichkeit zu zeigen, dünkte ihm beinahe unverständlich.

Wenn er sich überlegte, daß er der Ehe zusteuerte, so überrann ihn ein ganz eignes Gefühl, als könne er selbst nicht daran glauben! Daß die ersten Schritte schon getan waren, begriff er kaum. So geschah, was er mit Staunen, an sich selbst fühlte, daß er Marias Abwesenheit, die er zuerst glaubte nicht überwinden zu können, nicht mehr mit Sehnsucht und Trauer empfand. Sein eignes Herz begriff er nicht. Er dachte an sie wie an etwas, das er liebte, dessen er sich gern erinnerte, aber nicht wie an eine, die er sich in heißem Begehren in die Arme gewünscht.

Das empfand er nicht als Unrecht gegen Maria, denn sein Herz blieb ja doch unbeteiligt. Dann aber lag ihm vor allem daran, den Leuten gegenüber unbefangen zu erscheinen, als ob zwischen Maria da Caza und ihm nichts geschehen sei. Er wußte, daß Marias Flucht bekannt geworden. Er sah es an den verständnisinnig lächelnden, nichtssagenden, doch vieldenkenden Gesichtern, denen er überall begegnete. Daß er mit ihrem Verschwinden zusammenhing, wußte man, nur war der Zweifel darüber, wie die beiden zueinander standen. Keiner redete mit Stassingk davon bis auf Selbottens, sogar der Regierungsrat überwand sich und tat gänzlich gleichgültig. Hinter seinem Rücken freilich sprach er nun von ihm nicht mehr anders als vom »Strohwitwer«.

Herrn da Caza hatte Stassingk noch nicht gesehen. Er war seit ein paar Tagen aus Paris zurück. Am Korso hatte er, der sich früher gerühmt, den bestangespannten Wagen in Berlin zu fahren, sich nicht beteiligt. Nicht ein Pferd war aus dem Stalle gezogen an diesem Tage, an dem alles fuhr, was nur irgend konnte, wenn es auch bloß gewesen wäre, um die Equipagen zu betrachten, die vom Korso wiederkamen.

Natürlich durfte nicht darüber gesprochen werden, sondern es gab eine stichhaltige Erklärung, die von den Freunden des Hauses verbreitet ward: Maria da Caza sei auf einige Zeit zu Besuch in Bayern, in ihrer Heimat, und Herr da Caza, der solche Festlichkeiten allein seiner Frau wegen besuche, habe für dieses Mal darauf verzichtet, weil es ihm ohne sie kein Vergnügen mache.

Als Stassingk mit Sir Henry Gilderdale und seinen beiden schönen Töchtern die Potsdamer Straße hinunterschritt, kamen Herr da Caza und Rittmeister Hendrich ihnen entgegen. Einen Augenblick war Stassingk unentschlossen, er wußte nicht recht, was nun erfolgen sollte, doch er hatte nicht mit Herrn da Cazas Korrektheit gerechnet, der kalt, aber höflich den Hut zog, während der Rittmeister die jungen Damen erstaunt betrachtete mit einem Blicke, der zu sagen schien: Nun, alter Flirt, was hast du denn da wieder für eine neue Flirtation aufgegabelt?

– Wer waren die Herren? – fragte die blonde May Gilderdale, die jüngere der Schwestern, eine etwas müde und gelangweilt ausschauende, kalte Schönheit mit reichem Haar, das sie, wie Stassingk behauptete, frisiert trug wie die Prinzessin Lamballe. Er antwortete, als ginge ihn der Name gar nichts an:

– Ein Herr da Caza!

– Der die schöne Frau hat? – meinte der Botschafter. Als der junge Diplomat über seine Wissenschaft erstaunt schien, fügte er hinzu:

– Sie sehen, man erfährt alles. Aber ich will Sie beruhigen: ein Landsmann von mir hat uns gestern abend von der Dame vorgeschwärmt und behauptet, sie wäre die schönste Frau in Berlin!

Die schöne May wandte sich mit etwas kokettem Augenaufschlag zu Stassingk und blickte ihn eine Weile an, ohne zu sprechen, wie sie es schon früh immer in Konstantinopel getan. Dann fragte sie, als sie gerade an den Potsdamer Platz kamen:

– Finden Sie das auch?

In diesem Augenblick – sah er recht, oder täuschte ihm seine Phantasie etwas vor – tauchte plötzlich Maria vor ihm auf. Sie saß in einer Droschke, die eben, von der Königgrätzer Straße kommend, ein paar Schritte von ihnen in die Bellevuestraße einbog. »Da ist sie«, lag es ihm auf der Zunge, zu rufen. Er war so erstaunt und erschrocken, daß er erst antworten konnte, als das junge Mädchen ein zweites Mal fragte. Sie blickte ihn dabei so eigen an mit ihren großen Rehaugen, langbewimpert, immer wie feucht übergehend, daß er nicht den Mut fand, zu gestehen, eine andere sei die Schönste in Berlin. Er sagte sofort, ohne es sich weiter zu überlegen:

– Früher war sie die Schönste!

Die Gilderdales hatten die leitende Hand der Mutter entbehren müssen und waren, da den Vater meist Dienstgeschäfte abhielten, ein wenig, wie ihre Landsleute es nannten, »fast ladies« geworden. May blickte Stassingk wieder an mit ihrem koketten, nachlässigen, müden, feuchten Blick, daß man das Weiße des Auges blenden sah, mit der Frage in ihrem nur leicht akzent-gefärbten Deutsch:

– Und jetzt?

Er konnte nicht anders und erwiderte schnell, indem er Mays Blick zurückgab:

– Jetzt nicht mehr!

Sie lächelte, schloß zu einem Viertel die Augen, öffnete leicht die Lippen und schritt weiter neben ihm hin in ihrem wiegend nachlässigen Gang, als ob ihr alles langweilig wäre außer dem an ihrer Seite, der sie schön fand.

Stassingk überlegte sich erst jetzt so recht, was er gesagt. Er hatte in brennender Scham das Gefühl, als habe er Maria verleugnet und verraten. Vergeblich suchte er sich vor sich selbst damit zu entschuldigen, daß sie nicht mitzählen könne, weil sie ja nicht mehr in Berlin sei, sondern nun in München. Doch sie war ja wieder in Berlin. Eben hatte er sie gesehen, nur vorbeihuschen im Wagengewirr, ohne daß sie seiner gewahr geworden, aber es gab gar keinen Zweifel, sie war es gewesen. Er verstand nicht, was sie hier wollte? Hatte sie seinen Brief nicht bekommen? Er sann nach und berechnete die Zeit: nein, freilich, wenn sie abgereist war, hatte sie ihn, nicht erhalten, denn er würde gerade jetzt in München eintreffen.

Stassingks erster Gedanke war, zu Selbottens zu eilen, um von Maria zu hören, doch er wußte nicht, was er Gilderdales sagen sollte, denen er versprochen, sie zu führen. Warum mußte sie auch gerade jetzt kommen, wo Sir Henry nur noch ein paar Stunden bis zum Abend blieb! Er ärgerte sich ein wenig über sie. Der Botschafter lud ihn zum Diner im Hotel Bristol ein, zu dem, da Gilderdales kurz nachher abreisten, außer dem jungen Diplomaten nur noch der erste Sekretär der englischen Botschaft mit Frau gebeten worden. Stassingk nahm an.

Maria hatte ihn ja nicht gesehen und in wenigen Stunden waren seine Freunde aus Konstantinopel davon. Dann konnte er sich ihr ganz widmen.

Aber Maria hatte ihn gesehen. Sie hatte die Blicke, die ganze Art der jungen, schönen Engländerin in ein paar Sekunden erfaßt. Mit einem Schlage empfand sie jenes Mädchen als Grund, warum er nicht geschrieben.

Sofort wandte sie sich ab. Sie fühlte sich zu stolz, um einen Gruß zu empfangen, der mit Verlegenheit an der Seite einer anderen gegeben ward. In Angst und Besorgnis hatte sie die Fahrt nach Berlin zurückgelegt, aber immer in der festen Erwartung, durch irgend ein Versehen, durch einen törichten Zufall, einen Irrtum alles aufgeklärt zu finden. Nun schien ihr jede Hoffnung verloren: er hatte sich also dennoch von ihr abgewendet. Ihr dünkte, es wäre nun alles vorüber, als ob ihr Herz einen Stoß bekommen, von dem es sich nie wieder aufrichten könnte. Ihr ganzer Besuch, in Berlin erschien ihr zwecklos, sie wollte wieder zum Bahnhof fahren, mit dem nächsten Zuge nach München zurückzukehren, aber sie fand nicht den Entschluß, sich loszureißen. Sie fürchtete sich vor der Einsamkeit.

Lieber jetzt einen Bruch, ein Ende. Sie wollte ihm schreiben, daß es aus sein sollte zwischen ihnen, daß sie ihm ihr Wort zurückgäbe. Dann gab es die Qual der Unsicherheit nicht mehr. Dann wußte sie, ihr Glück war vernichtet, ihr Leben zerstört, sie wußte, daß es aus war ein für allemal, daß nichts mehr imstande war, ihr seine Liebe wiederzugeben. Wie sie das ertragen würde, begriff sie noch nicht, aber es war tausendmal leichter als dieser Jammer des Hin und Her, dieses Besitzen, ohne daß sie recht wußte, ob sie wirklich besaß.

Sie fuhr sofort zu Selbottens, dort wollte sie ihm gleich den Brief schreiben. Sie hatte ihre Ankunft nicht angezeigt, keiner ahnte etwas davon, so traf sie niemanden zu Hause.

– Wann kommt Frau Gräfin zurück? – fragte sie den Burschen.

– Jeden Augenblick müssen die Herrschaften da sein, Frau Gräfin ist an die Kriegsakademie gegangen, um Herrn Graf abzuholen.

– Gut, dann werde ich warten.

Maria wurde in den Salon geführt, wo sie Stassingk bei der kleinen Freundin kennen gelernt hatte. Die Koffer und Sachen waren vorderhand auf dem Bahnhof geblieben.

Als sie allein im Zimmer saß und Minute auf Minute verrann, ohne daß Selbottens heimkehrten, empfand sie immer stärker ihre Verlassenheit. Aber auch ihr Entschluß, Stassingk abzuschreiben, wurde wankender mit jedem Augenblick. Sie meinte dieses Schrittes doch nicht fähig zu sein. Wenn sie sich ganz von ihm trennen sollte, so würde sie es nicht überleben, glaubte sie. Einer anderen konnte sie ihn nicht lassen, das ging über ihre Kraft. Wenn er ihr sogar nur halb gehörte, so gab es doch immer noch einen Hoffnungsschimmer für sie.

Marias Unruhe stieg, die Rückkehr der Freunde verzögerte sich immer mehr. Als sie auf die Uhr sah, bemerkte sie, daß sie nun schon eine halbe Stunde ihren Gedanken überlassen hier saß. Da raffte, sie sich auf. Sie hielt es nicht mehr aus, ruhig zu sitzen, und sie hinterließ für die kleine Gräfin, sie würde bald wieder zurück sein. Ohne sich darüber klar zu werden, was sie tat, lief sie die Viktoriastraße hinab, ging am Kanal entlang in die Linkstraße einzubiegen. Sie wollte wenigstens seine Fenster sehen.

Langsam schritt sie vorüber an dem Parterre, in das man keinen Blick tun konnte, weil dichte Stores dem Auge den Einblick verschlossen. Sie lugte, als ein kleines Mädchen mit einem Korbe die Tür öffnete, im Vorüberschreiten in den Flur des Hauses hinein. Noch einmal wandte sie sich zurück, in der stillen Hoffnung, er könnte etwa nach Hause zurückgekehrt sein und sie vom Fenster aus erblicken, dann wäre er ihr vielleicht nachgegangen zu Selbottens.

Als sie die Augen nach der Wohnung Stassingks wandte, bemerkte sie nicht, daß hinter ihr auf der Straße die bescheidene, unscheinbare Frau von Lindstedt vorüberfuhr, die sich neugierig nach ihr umsah.

Maria kehrte zu Selbottens zurück. Die kleine Freundin kam ihr schon auf der Treppe entgegen. Erschrocken rief sie:

– Um Gottes willen, Maria, Du bist wieder hier?

– Warum nicht? –

– Weil Du Dir so alles verdirbst!

– Was soll ich mir noch verderben!

– Alles, Euere Zukunft!

Maria schüttelte traurig den Kopf und trat ruhig mit der Freundin in den Salon, wo ihr Graf Selbotten entgegenkam, ihr langsam die Hand küßte mit den bekümmerten Worten:

– Gnädige Frau, das hätten Sie nicht tun sollen!

Die Vorwürfe brachten Maria in Erregung, der Kummer der letzten Zeit, die Müdigkeit von der langen Eisenbahnfahrt, Abspannung, Aerger, die Aufregung über Stassingk: alles wirkte zusammen, daß sie anfing zu zittern und in einem Weinkrampf zusammenbrach. Ihr Körper zuckte und bebte, sie schluchzte laut und war taub für alles Zureden der kleinen Gräfin. Als sie nach langer Zeit etwas ruhiger geworden, blieb sie doch immer noch teilnahmlos am Fenster stehen, hinausstarrend, ohne eine Antwort zu geben. Erst ganz allmählich fing sie an zu erzählen, wie es in München gewesen, daß er nicht geschrieben, auch nicht geantwortet hätte auf ihr Telegramm, dah sie es nicht mehr ausgehalten und gekommen wäre.

Jetzt erst konnten Selbottens mit ihr reden.

– Was soll nun werden? – fragte Graf Selbotten, seine fröhliche Laune beiseite lassend, ganz ernst. Maria hatte sich wiedergefunden, sie war wieder die alte Maria da Caza, sicher, bestimmt, in ihrer geraden, königlichen Haltung, in aller ihrer großen, strengen Schönheit, so daß sie ein anderer Mensch zu sein schien als die gebrochene, nervöse Frau, die sich vor kurzem noch in Schmerzensstürmen und Krämpfen geschüttelt.

– Ich bleibe hier! – entgegnete sie bestimmt, und ebenso bestimmt erwiderte der Offizier:

– Das dürfen Sie nicht!

– Warum nicht?

– Weil Sie sich dadurch alles verderben!

– Ich habe nichts zu verderben!

– Doch, Ihren Ruf!

Sie schwieg und ließ Graf Selbotten weiterreden, ohne ihn mit einem Wort zu unterbrechen:

– Was Sie in Ihre neue Ehe mitbringen werden, das ist Ihr Ruf. Ueber eine geschiedene Frau wird aber immer mehr gesprochen als wahr ist und als notwendig ist. Also sind Sie verpflichtet, alles zu tun, um kein Unrecht auf Ihrer Seite zu begehen. Ich bitte Sie in Ihrem eigenen Interesse, morgen früh nach München zurückzufahren. Meine Frau wird Sie begleiten, in ein paar Tagen wäre sie ja ohnedies zu Ihnen gekommen! Die Nacht aber bleiben Sie bei uns. Man soll nicht Ihren Namen erst noch, als im Hotel angekommen, in allen Blättern lesen!

Er hatte mit einer Sicherheit gesprochen, als dulde er keinen Widerspruch, aber Maria erwiderte leise, den Kopf schüttelnd, mit einem Ausdruck unendlicher Trauer in den großen, dunkeln Augen:

– So kann ich nicht fort, Graf Selbotten!

– Weshalb können Sie nicht fort?

– Ohne ihn gesprochen zu haben.

Er zögerte eine Sekunde nur, dann gab er es nickend zu und schritt schnell davon mit den Worten:

Ich werde ihn holen, gnädige Frau!

Graf Selbotten ging in Stassingks Wohnung. Er war nicht zu Hause, er äße im Hotel Bristol mit einem Herrn aus Konstantinopel. Nun eilte er nach den Linden und ließ den jungen Diplomaten durch einen Kellner aus dem Speisesaal herausrufen mit der Begründung, es sei etwas sehr Wichtiges.

Stassingk erschien lächelnd und heiterster Laune in aller seiner leichtsinnigen Ungebundenheit, mit seinem leise wiegenden Gang auf den Freund zuschreitend:

– Nun, alter Kerl, wo brennt's denn?

Graf Selbotten legte sein Gesicht in ernste Falten:

– Frau da Caza ist da!

Stassingk entfärbte sich. Das Diner war vortrefflich, der Wein gut, Sir Henry erzählte allerhand komische Geschichten aus Stambul in seiner trockenen Manier, May kokettierte mehr denn je, und Stassingk war Feuer und Flamme für sie. Es flirtete sich so schön mit dem jungen Mädchen. Ihr halb geöffneter Mund redete eine beredte Sprache. Er ärgerte sich über die Störung. Er wußte ja, daß Maria da war, aber jetzt wollte er noch nichts davon hören, später, wenn Gilderdales abgereist, war es etwas ganz anderes. Darum antwortete er gereizt:

– So ein Unsinn! Was kommt sie denn hier an? Sie weiß doch, daß wir uns nicht sehen dürfen!

– Aber sie ist da! - antwortete Graf Selbotten scharf.

– Nun ja! Was kann ich dafür? Ich habe es nicht gewollt!

– Aber Du bist daran schuld!

– Ich?

– Ja, Du, denn Du hast ihr nicht geantwortet!

– Ich habe geantwortet. Geschrieben sogar.

Stassingks gute Laune war verflogen. Maria da Cazas Bild hatte in seinem Gedächtnis an Farbe verloren, May Gilderdale beherrschte ihn ganz mit ihrer lachenden Schönheit. Sie war in dem halben Jahre, seit er sie nicht gesehen, erst zur Reife gekommen. Er mußte die kurze Zeit bis zu ihrer Abreise noch einmal ihre Schönheit genießen, schwatzen, kokettieren, den Hof machen und flirten. Dann kam ja doch die Ehe! Er tat ja auch kein Unrecht an Maria, denn er liebte die May nicht, nur ein Strohfeuer war entzündet, das vierundzwanzig Stunden brannte. Dann erlosch es wieder unh Maria da Caza trat von neuem in ihr Recht.

– Kommst Du mit? – fragte Selbotten, doch Stassingk antwortete sofort entschlossen:

– Ich kann nicht! Das sind alte Bekannte von mir aus Konstantinopel. Der englische Botschafter, der ist mit mir wie irgend ein guter Kamerad, und dann sind Damen dabei! Da kann ich doch nicht einfach so fortlaufen, Selbotten. Das mußt Du doch auch einsehen!

– Wer sind die Damen?

– Die Töchter vom Botschafter.

Graf Selbotten blickte ihn fragend an:

– Und ... Stassingk, wegen dieser Damen hast Du für Maria keine Zeit?

Da ereiferte sich der junge Diplomat. Seine lächelnde Leichtlebigkeit verließ ihn einen Augenblick. Er kämpfte mit sich, denn er wollte nicht herzlos erscheinen, aber daß er gezwungen sein sollte, seine Freunde in dieser Sekunde zu verlassen, weil Maria es befahl, weil sie plötzlich aus heiterem Himmel in Berlin wiedererschienen, das sah er nicht ein. Er nahm den Freund beim Arm und erklärte ihm flüsternd, sein Gastgeber habe ihn so ausgezeichnet, so liebenswürdig behandelt, daß er einfach eine grobe Taktlosigkeit begehen würde, wenn er nicht bis zum Abgang des Zuges hierbliebe!

– Wann geht der Zug? – fragte Graf Selbotten, der sich Stassingks Gründen nicht ganz verschließen konnte.

– Elf Uhr dreißig Minuten.

– Dann bist Du erst frei?

– Ja. Aber dann komme ich sofort zu Euch.

– Das ist zu spät. Das will ich nicht. Dann sieht Dich jemand, erfährt, daß sie bei uns war. Nein, dann verderbt Ihr wieder alles. Wir halten gewiß zu Euch beiden, aber das will ich nicht. Dem setze ich mein Haus und meine Frau nicht aus! Halb Zwölf ist zu spät. Also wann kommst Du?

Stassingk war im Aerger leicht errötet. Nun sagte er erregt:

– Tut mir leid, vorher kann ich nicht.

Graf Selbotten erwiderte verstimmt im selben Ton:

– Nachher kann ich nicht.

Da öffnete sich die Tür vom Speisesaal, und Selbotten bemerkte, wie sich ein blonder Mädchenkopf zur Seite neigte und versuchte, Stassingk zu sehen. Zugleich trat der Oberkellner heran:

– Die Herrschaften lassen bitten, zu kommen. Herr Graf möchte doch den Herrn mitbringen, hat das gnädige Fräulein gesagt.

Stassingk stand wie auf Kohlen, und als der Freund ihm drohend sagte:

– Morgen ist's zu spät! – hatte er als Antwort nur ein wütendes:

– Dann kann ich's eben nicht ändern! Meine Freunde warten ...

Er wollte gehen, mäßigte sich noch rechtzeitig ein wenig und setzte hinzu, etwas beschämt über sich selbst, schon wieder der alte Stassingk werdend:

– Kommst Du mit herein?

Doch als Graf Selbotten schroff antwortete:

– Nein, Frau da Caza wartet auf mich! – da gelang es ihm doch nicht, seines Trotzes Herr zu werden: er reichte dem Freunde zum Abschiede nur kurz die Hand und verschwand im Speisesaal.

Diesen Ausgang hatte Graf Selbotten nicht erwartet. Wie betäubt ging er nach Hause. Vielleicht hatte er seine Sendung nicht diplomatisch genug angefaßt. Aber er rechnete damit, daß Stassingk zwar nachlässig mit Briefschreiben gewesen, doch Maria da Caza noch liebte wie sonst, denn noch vor ein paar Tagen beim Korso hatte er ihm, auf die Wagen deutend, gesagt:

– Ich habe sie alle gemustert, unsere süßen, kleinen Damen, sie sind ja lieb und nett und reizend, aber mir ist's, als fehlte eine wirkliche Schönheit! Die gibt's eben nur einmal: Maria da Caza!

Als nun Maria fragte:

– Kommt er?, und Erwartung und Glück, ihn zu sehen, aus ihren Augen leuchtete, da wußte Graf Selbotten nicht, wie er es ihr sagen sollte. Sie hing an seinen Lippen. Ein kleines Zögern genügte ihr schon, die Wahrheit zu ahnen. Bestimmt, ergeben aber mit unendlicher Bitterkeit sprach sie:

– Also er kommt nicht!

Es klang so traurig, daß Graf Selbotten seine Frau ansah, ihr einen Wink zu geben, sie sollte Maria trösten. Die kleine Freundin lehnte sich schmeichelnd an sie an:

– Er wird Dienst haben! Er wirb nicht können! Maria! Sicher, er hat Dienst. Irgend was im Auswärtigen Amt.

– Hat er Dienst?«, fragte Maria scharf. Dabei richtete sie ihr Auge so durchdringend auf den Grafen, daß er die Wahrheit sagen mußte:

– Nein!

Nun wußte sie auch, ohne nur ein Wort zu fragen, was es war. Aller Trost, dass er hatte morgen komen wollen, daß er bestimmt erscheinen würde, daß es vielleicht besser und richtiger wäre, er käme nicht, um doch jedes Gerede der Menschen von vornherein gegenstandslos zu machen, alles nützte nichts. Sie schüttelte nur immerfort traurig den Kopf, indem sie ein Mal nach dem anderen wiederholte:

– Er kommt nicht!

Als ihr dann die kleine Freundin zureden wollte, schüttete sie ihr das Herz aus, ganz gefaßt, nur mit grenzenlosem Weh in der Stimme, zitternden Tones, aber wie ergeben in etwas Unüberwindliches, Unabwendbares:

– Er kann nichts dafür, er kann nicht gegen seine Natur. Ihm ist eine stete Liebe nicht gegeben. Es ist doch immer mit ihm so gewesen, ich habe es nur nicht geglaubt, weil ich es nicht glauben wollte. Aber in Stockholm war es wie in Washington, wie in Madrid und Konstantinopel. In Berlin ist's auch nicht anders gewesen, denn die Prinzessin, die arme, gute, kleine, dicke Prinzeß, die habe ich doch verdrängt, weißt Du nicht? Soll ich mich nun wundern, wenn es mir ebenso geschieht? Tue ich nicht dasselbe mit meinem Mann? Verlasse ich den nicht auch? Der ist immer zuvorkommend gegen mich gewesen und hat jede Rücksicht gebraucht gegen mich, wenn wir uns eben auch nicht mehr lieben konnten. Hart ist er nie gegen mich gewesen. Undankbar auch nicht, denn er wußte, was ich ihm galt. Nun bin ich die Undankbare. Denn ich bin doch auch glücklich gewesen in der Villa. In der alten, lieben Villa dort drüben. Nun verlasse ich ihn. Da darf ich nicht böse sein, wenn mir auch Bitteres geschieht.

Dann aber, als sie sich trennten, um zur Ruhe zu gehen, und die Freundin sie noch zu ihrem Zimmer geleitet, fiel, wie die beiden allein waren, Maria plötzlich der kleinen Gräfin um den Hals und gestand ihr in wilden, glühenden Worten:

– Aber ich liebe ihn! Ich liebe ihn doch! Ich kann ja nicht anders! Das ist ja mein Elend, ich kann, kann ja nicht anders, ich muß ihn lieben! Ehrlich ist er, sein Wort wird er halten, mag er jetzt tun, was er will. Wenn ich einmal seine Frau sein werde, dann wird er erst sehen, wie ich ihn liebe, und dann kehrt er wieder zu mir zurück.

Maria nahm Stassingks Bild aus ihrer kleinen Handtasche und betrachtete es lange, indem neue Hoffnung ihr das Herz schwellen ließ. Nachdem sie es geküßt, stellte sie es sich ans Bett, immer noch in der stillen Ahnung, er würde, wie bei ihrer ersten Abreise von Berlin, am anderen Tage auf dem Anhalter Bahnhofe sein.

Dann wäre alles vergeben und vergessen gewesen.

Aber am nächsten Morgen war Graf Selbotten der einzige, der ihnen das Geleit gab. Vom Bahnhof aus mußte er dann geradewegs zu seinem Dienst in die Kriegsakademie.

Die kleine Gräfin weinte doch ein wenig, als sie Abschied nahm von ihrem Mann. Auch ihm waren die Tränen nahe, denn die kleine Tochter ging natürlich mit, und nun blieb nichts mehr bei ihm im Hause als der Bursche mit den Pferden.

– Ich danke Ihnen tausendmal, daß Sie sie jetzt schon mitlassen! – sagte Maria, indem sie Graf Selbotten, als sich der Zug in Bewegung setzte, die Hand hinstreckte, die er an die Lippen zog.

– Haben Sie Mut! Es wird alles wieder werden! Ich gehe heute zu ihm! – tröstete er noch, dann gab er schnell seiner Frau einen Kuß und sprang vom Trittbrett, da der Schaffner in bestimmtem Tone darum bat.

Die Damen winkten mit den Tüchern, er mit dem Handschuh. Maria spähte noch einmal nach Stassingk aus, dann verließ der Zug die Halle. Und wieder glitten die Hinterfronten der großen Häuserviertel vorüber, der Kanal mit dem Frühgeschäftsleben der Großstadt, dann das Tempelhofer Feld, die Vororte. Nun kamen Aecker, Wiesen, Sandfelder, Heide, Wald und Bruch der Mark. Immer weiter lag Berlin hinter ihnen.

Es wurde kein Wort gesprochen, nur das Kind gab Laute von sich und blickte, auf dem Arm des Kindermädchens, neben der Agnes saß, erstaunt zum Fenster.

Die beiden jungen Frauen befanden sich einander gegenüber, beide bewegt vom Abschied, beide ihren Gedanken überlassen. Sie sprachen lange Zeit hindurch kein Wort. Maria dachte daran, wie sie vor ein paar Wochen das erste Mal Berlin verlassen, und wie sie heute wiederum der Stadt entfloh, wo er weilte, wo ihr Glück blieb.

Sie neigte sich zu Gräfin Selbotten und sagte leise mit ängstlicher Bitte:

– Nicht wahr, aber Du bleibst mir treu!

Da küßte die kleine Freundin sie, traurig lächelnd, auf die Wange.


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