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Von den europäischen Architekten, die gebildet sind an den Traditionen von Stein- und Ziegelbau, mag unser japanisches Arbeiten mit Holz und Bambus nur schwer als Baukunst bewertet werden. Erst in allerjüngster Zeit hat ein Fachmann abendländischer Architektur die außerordentliche Vollkommenheit unserer großen Tempelbauten erkannt und ihr seinen Tribut gezollt Es sei verwiesen auf Ralph U. Crams »Impressions of Japanese Architecture«. Erschienen 1905 bei Baker and Taylor Co., in New York.. Da es sogar unserer klassischen Architektur so geht, wie sollten dann Außenstehende die versteckte Schönheit des Teeraums zu würdigen wissen, zumal er sich in Bau und Ausbau von den Methoden des Abendlandes grundsätzlich unterscheidet.
Der Teeraum (Sukiya) will nichts anderes sein als ein Häuschen, eine Strohhütte. Die ursprünglichen Idiogramme für Sukiya besagen Stätte der Phantasie. Späterhin wurden sie von den verschiedenen Teemeistern, entsprechend ihrer Auffassung vom Teeraum, ersetzt durch andere chinesische Schriftcharaktere, nach denen der Begriff Sukiya etwa bedeuten könnte: Stätte des Leerseins, Stätte mangelnder Symmetrie. Stätte der Phantasie ist der Teeraum, insofern er gebaut ist als vorübergehende Herberge dichterischen Gefühls. Stätte des Leerseins ist er, insofern er bar ist jeden Schmucks, mit Ausnahme des Wenigen, das dort Platz haben muß, um das ästhetische Bedürfnis des Augenblicks zu befriedigen, und Stätte mangelnder Symmetrie ist er, insofern er bestimmt ist zur Verehrung des Unvollendeten, wobei vorsätzlich einiges unfertig bleibt, um im Spiel der Phantasie vervollkommnet zu werden. Die Ideale des Teeismus haben seit dem sechzehnten Jahrhundert unsere Architektur derartig beeinflußt, daß auch das gewöhnliche japanische Interieur unserer Tage, dank der äußersten Einfachheit und strengen Keuschheit seiner Ausschmückung, dem Ausländer einen fast kahlen Eindruck macht. Der erste für sich stehende Teeraum war eine Schöpfung Sen-no Soyekis, den man gemeinhin mit seinem späteren Namen Rikyu nennt, des größten aller Teemeister, der im sechzehnten Jahrhundert unter dem Patronat Taiko Hideyoshis Grund zu den Formen der Tee-Zeremonie legte und sie zugleich zu hoher Vollendung brachte. Die Maße des Teeraums waren vor ihm von Jowo, einem berühmten Teemeister des fünfzehnten Jahrhunderts, festgelegt worden. Der frühere Teeraum war nur ein Teil des gewöhnlichen Empfangszimmers, von ihm geschieden durch Wandschirme, eine Teetrinkstätte. Dieser abgetrennte Raum hieß: Kakoi (Klause), ein Name, der auch heute noch angewendet wird auf die Teeräume, die in das Haus eingebaut sind, also nicht für sich stehen. Der Sukiya besteht aus dem eigentlichen Teeraum, der nicht mehr als fünf Personen Platz geben soll, also einer Zahl »größer als die Grazien und kleiner als die Musen«, wie das bekannte Wort sagt; ferner dem Vorraum »Mizuya«, wo das Teegerät gespült und angerichtet wird, einer Vorhalle (Machiai), wo die Gäste warten, bis sie den Ruf zum Eintritt in den Teeraum empfangen, und dem »Roji«, einem Gartenpfad, der den Machiai mit dem Teeraum verbindet. Der Teeraum ist äußerlich unscheinbar. Er ist kleiner als das kleinste japanische Haus. Seine Baustoffe sollen den Eindruck kultivierter Armut erwecken, und doch muß man im Auge behalten, daß jede Einzelheit Ergebnis tiefster künstlerischer Überlegung, und daß alles mit einer Sorgsamkeit durchgearbeitet ist, wie sie größer kaum bei dem Bau der reichsten Paläste und Tempel verwandt werden könnte. Ein guter Teeraum kostet mehr als ein Wohnhaus. Denn die Wahl der Materialien und der Arbeitskräfte erfordert die größte Sorgfalt und Exaktheit. So bilden denn auch die Zimmerleute, die unter den Teemeistern arbeiten, eine besondere und hochgeehrte Zunft, denn ihre Arbeit erfordert keine geringere Zartheit als die der Lackarbeiter.
Der Teeraum unterscheidet sich aber nicht nur von jedem Werk abendländischer Architektur, sondern er steht auch im ausgesprochenen Gegensatz zur klassischen Baukunst Japans. Unsere stolzen alten Bauten, die weltlichen sowohl wie die kirchlichen, sind allein schon ihrer Größe wegen nicht zu verachten. Die wenigen, die von den verheerenden Bränden aller Jahrhunderte verschont geblieben sind, überwältigen uns durch die Großartigkeit und den Pomp ihrer Ausschmückung. Riesenpfeiler aus Holz, zwei bis drei Fuß im Durchmesser und dreißig bis vierzig Fuß hoch, tragen mit Hilfe eines vielfältigen Stabnetzwerkes die ungeheuren Balken, die die Wucht der schrägen Ziegeldächer halten. Material wie Bauart haben sich zwar gegen Feuer als widerstandslos erwiesen, hielten aber um so besser die Erdbeben aus und waren den klimatischen Verhältnissen sehr gut angepaßt. In der »Goldenen Halle von Horyu-ji« und der Pagode von Yakushi-ji haben wir solche bemerkenswerten Beispiele von der Dauerhaftigkeit unserer Holzarchitektur. Fast zwölf Jahrhunderte sind diese Gebäude sozusagen intakt geblieben. Das Innere der alten Tempel und Paläste war verschwenderisch ausgeschmückt. Im Hoodo-Terapel von Uji aus dem zehnten Jahrhundert sehen wir noch heute die reichgearbeiteten Altarhimmel und goldenen Baldachine, vielfarbig mit ihren Intarsien aus Spiegelglas und Perlmutter, und die Reste der alten Malerei und Skulptur, die einst die Wände schmückten. In Nikko und im Nijo-Schloß in Kyoto aus späterer Zeit finden wir die bauliche Schönheit aufgeopfert einem Reichtum an Ornamenten, der in Farbe und Pracht den Details der üppigsten Verschwendung arabischer und maurischer Arbeit gleichkommt.
Die Einfachheit und der Purismus des Teeraums waren eine Folge der Nachbildung von Zen-Klöstern. Das Zen-Kloster unterscheidet sich von dem anderer buddhistischer Sekten dadurch, daß es nichts anderes sein will als Wohnort für die Mönche. Seine Kapelle ist nicht Betstätte oder Wallfahrtsort, sondern ein Studienraum, wo die Schüler sich zu Diskussionen oder Meditationsübungen versammeln. Der Raum ist kahl. Nur hinter dem Altar in einer Mittelnische steht eine Statue Bodhidharmas, des Stifters der Sekte, oder Sakyamunis selbdritt mit Kasyapa und Ananda, den beiden ersten Zen-Patriarchen. Auf dem Altar werden Blumen und Weihrauch dargebracht zum Gedächtnis der großen Gaben, die diese beiden Weisen dem Zen gemacht haben. Es ist bereits gesagt worden, daß durch die Zen-Mönche der Ritus eingeführt wurde, den Tee reihum aus einer Schale vor dem Bildnis Bodhidharmas zu trinken, was den Grund zur ganzen Tee-Zeremonie legte. Bei dieser Gelegenheit mag auch hinzugefügt werden, daß der Altar der Zen-Kapelle das Urbild des Tokonoma's ist, des Ehrenplatzes im japanischen Teeraum, wo zur Freude der Gäste Blumen und Bilder aufgestellt werden.
Alle unsere großen Teemeister waren Jünger des Zennismus und suchten mit seinem Geiste die Realitäten des Lebens zu durchdringen. So spiegelte denn auch der Raum wie das übrige Zubehör des Tee-Zeremonials manche zennistische Doktrin wider. Schon die Größe des orthodoxen Teeraums, viereinhalb Matten, das sind zehn Fuß im Quadrat, ist bestimmt durch eine Stelle in der Sutra des Vikramaditya. In diesem interessanten Werk heißt irgendwo Vikramaditya den heiligen Manjusri und 84 000 Buddhaschüler in einem Raum solchen Maßes willkommen, eine Allegorie, die auf der Theorie fußt, daß es für den wahrhaft Erleuchteten keinen Raum gibt. Der Roji wiederum, der Gartenpfad vom Machiai zum Teeraum, steht für das erste Stadium der Meditation: ist der Übergang zur inneren Erleuchtung. Der Roji sollte den Zusammenhang mit der Außenwelt brechen und ein von ihr freies Gefühl hervorrufen, das empfänglich macht für den vollen Genuß ästhetischen Empfindens im Teeraum selbst. Wer diesen Pfad gewandelt ist, wird unfehlbar daran gemahnt, wie sein Geist sich über die gewöhnlichen Gedanken erhob, da er in dem Dämmerlicht ewigen Grüns dahinschritt über die regelmäßig -- unregelmäßigen Steine auf den trockenen Tannennadeln, vorbei an den bemoosten Granitlaternen. Man kann mitten in einer Stadt sein und sich dennoch weit weg von ihrem Lärm und Staub wie in einem Walde fühlen. Wahrhaft groß waren die Teemeister im Ausdenken solcher Wirkungen von innerer Reinheit und Klarheit. Das Wesen der Gefühle, wie sie der Gang durch den Roji schafft, war unterschiedlich bei den verschiedenen Teemeistern. Einige wie Rikyu sannen auf äußerste Einsamkeit und meinten, das Geheimnis des Roji läge umschlossen in dem alten Liedchen:
»Ausschau halte ich:
Da sind keine Blumen
Und bunte Blätter.
Am Strande der See
Steht einsam eine Hütte
Im schwindenden Licht
Eines herbstlichen Abends.«
Andere wieder wie Kobori Enshu trachteten nach anderer Wirkung. Enshu meinte die Idee des Gartenpfads in folgenden Verszeilen gefunden zu haben:
»Eine Gruppe sommerlicher Bäume,
Ein Stückchen Meer,
Ein blasser Abendmond.«
Es ist nicht schwer, seine Gedanken zu erfassen. Er wollte eben den Zustand einer Seele schaffen, die neu erwachend noch verweilt unter dem Schatten träumender Vergangenheit, noch umflossen ist vom süßen Sich-nicht-wissen im milden Licht des Geistes, und doch schon verlangt nach der Freiheit, die weit im Räume liegt.
Also bereit wird der Gast sich schweigend dem Heiligtume nahen und wird, wenn er ein Samurai ist, sein Schwert auf dem Sims unter dem Dach lassen, denn der Teeraum ist das wahre Haus des Friedens. Dann wird er, sich tief beugend, durch die enge, kaum drei Fuß hohe Tür in den Raum schlüpfen. Diese Prozedur blieb keinem Gast erspart, dem hohen nicht und dem niederen; ihr Sinn war Zucht zur Demut. Die Frage des Vortritts löst gemeinsamer Beschluß beim Warten im Machiai. Dann treten die Gäste einer nach dem anderen lautlos ein und setzen sich erst, nachdem sie dem Bild oder den Blumen auf dem Tokonoma ihre Reverenz erwiesen haben. Der Gastgeber kommt erst, wenn alle Gäste sitzen und Stille herrscht, die nur das Tönen des kochenden Wassers im Eisenkessel unterbricht. Der Kessel singt gut, denn auf seinem Grund sind Eisenstückchen so gelegt, daß sie eine eigene Melodie erzeugen, aus der man das Echo zu hören meint von einem Katarakt, abgedämpft durch Wolken, das Echo fernen Meers, brandend an den Felsen, des Regensturms, der durch den Bambuswald peitscht, und auch das Echo sausender Tannen auf irgendeinem weiten Hügel.
Selbst bei Tage ist das Licht im Raum gedämpft, denn die niederen Giebel des schiefen Daches lassen nur wenig Sonnenstrahlen ein. Alles ist ruhig in der Farbe von der Decke bis zum Boden; auch die Gäste wählen sorgfältig Kleider von unauffälligen Farben. Reife Milde des Alters ruht über allem. Was irgend aussehen könnte, als wäre es neu angeschafft, ist verbannt. Im Kontrast dazu stehen einzig Bambusschöpfer und leinenes Mundtuch, die beide makellos weiß und frisch sind. So abgebraucht Teeraum und Gerät auch sein mögen, alles ist restlos sauber. Auch in der dunkelsten Ecke findet sich kein Körnchen Staub, denn, wenn es da wäre, so wäre der Gastgeber kein Teemeister. Eine der unerläßlichen Eigenschaften eines Teemeisters ist das Wissen ums Fegen, Reinigen und Waschen. Reinigen und Abstauben ist auch eine Kunst. Ein Stück antiker Metallarbeit darf nicht mit dem rücksichtslosen Übereifer einer holländischen Hausfrau bearbeitet werden. Wassertropfen von einer Blumenvase brauchen nicht weggewischt zu werden, denn sie mahnen die Phantasie an Tau und Kühle.
In diesen Zusammenhang gehört eine Geschichte von Rikyu, die recht gut die Reinlichkeitsbegriffe, wie sie von den Teemeistern gepflegt werden, illustriert. Rikyu sah einmal seinem Sohne Shoan zu, wie er den Gartenpfad fegte und sprengte. »Nicht rein genug«, sagte Rikyu, als Shoan mit seiner Arbeit fertig war, und hieß sie ihn von neuem beginnen. Nach einer harten Stunde Arbeit kam der Sohn wieder zu Rikyu und sagte: »Vater, es ist nichts mehr zu tun. Die Stufen sind schon zum dritten Male gewaschen, die Steinlaternen und die Bäume gut abgesprengt, Moos und Flechten leuchten in grüner Frische; ich ließ auch keinen Zweig und kein Blatt auf dem Boden.« »Närrischer Junge,« schalt der Teemeister, »auf diese Weise soll man keinen Garten fegen.« Sagte es und ging hinab in den Garten, schüttelte einen Baum, daß die goldenen und roten Blätter über den Garten hinstoben, Fetzen herbstlichen Brokats! Was Rikyu wollte, war nicht Sauberkeit allein, es war auch das Schöne und das Natürliche.
Der Ausdruck »Stätte der Phantasie« deutet auf einen Bau hin, dazu geschaffen, ein individuelles künstlerisches Bedürfnis zu befriedigen. Der Teeraum ist für den Teemeister gemacht, und nicht der Teemeister für den Teeraum. Er ist nicht auf die Nachwelt gemünzt und darum vergänglich. Der Gedanke, daß jeder ein Haus sein eigen nennen soll, gründet sich auf die alte japanische Sitte, den Shinto-Aberglauben, nach dem jedes Wohnhaus beim Tode seines Hauptinhabers geräumt werden muß. Vielleicht hat dieser Brauch irgendeine unklare hygienische Ursache. Ein anderer uralter Brauch fordert, daß jedem jungen Ehepaar ein neugebautes Haus gestellt wird. Auf diese Sitte ist auch die Tatsache zurückzuführen, daß die Kaiserstädte in den alten Zeiten so häufig hin und her wanderten. Auch der alle 20 Jahre erfolgte Neubau des Ise-Tempels, des höchsten Heiligtumes der Sonnengöttin, ist ein Beispiel für einen dieser alten Riten, die sich bis auf unsere Tage erhalten haben. Ihre Beobachtung war aber auch nur möglich bei einer Bauart, wie sie durch unser System der Holzarchitektur gegeben war, wo man ebenso leicht aufbauen wie niederreißen konnte. Eine dauerhaftere Bauart mit Ziegel und Steinen hätte derartige Wanderungen unmöglich gemacht, wie es auch geschah, als die stabileren und massiveren Holzkonstruktionen Chinas nach der Nara-Periode bei uns heimisch wurden.
Mit der wachsenden Vorherrschaft des Zen-Individualismus im fünfzehnten Jahrhundert wurde die alte Idee des Teeraums von tieferer Bedeutung durchtränkt. Der Zennismus erkannte kraft der buddhistischen Theorie von der Vergänglichkeit und ihrer Forderung nach der Herrschaft des Geistes über die Materie das Haus nur als einen zeitlichen Zufluchtsort des Körpers an. Der Körper selbst war nur eine Hütte in der Wildnis, wie man sie sich schafft durch das Bündeln von Halmen, die ringsum wachsen, ein gebrechlicher Unterschlupf, der wieder ins Nichts aufging, wenn man die Bündel löste. Beim Teeraum ist das Flüchtige angedeutet in dem Strohdach, das Zerbrechliche in den schlanken Säulen, die Leichtigkeit in den Bambusträgern, die scheinbare Unsorgsamkeit in der Verwendung alltäglichen Materials. Das Ewige ist einzig und allein in dem Geist zu finden, der sich in dieser Einfachheit um ihn her verkörpert, und sie verschönt durch das Leuchten, das unfaßbar von ihm ausströmt.
Die Forderung, daß der Teeraum da sein soll, um dem Geschmack des Einzelnen nachzugehen, verstärkt das Prinzip der Lebendigkeit in der Kunst. Kunst, die restlos gewürdigt werden will, muß dem Leben der Zeit treu sein. Nicht weil wir die Rechte der Vergangenheit übersehen wollen, sondern weil wir mehr darauf bedacht sein sollen, das Gegenwärtige zu genießen. Nicht weil wir die Schöpfungen vor uns mißachten wollen, sondern weil es gilt, sie unserer Innerlichkeit anzugleichen. Sklavische Anpassung an Überlieferungen und Formern legt die individuelle Ausdrucksmöglichkeit in der Architektur in Fesseln. Muß man nicht weinen über die sinnlosen Nachahmungen europäischer Bauten, die man im modernen Japan sieht? Es ist erstaunlich, daß die Architektur gerade der fortgeschrittensten Völker des Westens so jeder Originalität bar und so überlastet ist mit Wiederholung toter Stile. Es ist möglich, daß wir gerade jetzt eine Zeit der Demokratisierung in der Kunst durchmachen und dabei eines königlichen Meisters harren, der eine neue Kunstdynastie aufrichten soll. Ich wollte, wir liebten die Alten mehr und kopierten sie weniger. Man hat von den Griechen gesagt, sie wären darum so groß gewesen, weil sie nie aus der Antike geschöpft hätten.
Der Ausdruck »Stätte des Leerseins« schließt den Begriff eines dauernd notwendigen Wechsels des Dekorativen ein, zumal er ja die taoistische Theorie vom Umfassen des Alls enthält. Der Teeraum ist völlig leer, mit Ausnahme dessen, was vorübergehend dort zur Befriedigung einer ästhetischen Stimmung Platz findet. Irgendein Kunstgegenstand wird für irgendeine Gelegenheit hineingebracht, und alles andere wird so gewählt und gestellt, daß es die Schönheit dieses Leitmotivs verstärkt. Man kann nicht verschiedenen Musikstücken zu gleicher Zeit zuhören, und so ist auch das wahre Erfassen des Schönen nur möglich in der Konzentration auf irgendein Hauptmotiv. Daraus erhellt, daß das dekorative Prinzip in unserm Teeraum dem völlig entgegengesetzt ist, das in Europa herrscht, wo das Innere eines Hauses oft in ein Museum verwandelt wird. Für einen Japaner, der an die Einfachheit der Ausschmückung und an den häufigen Wechsel des Dekorativen gewöhnt ist, macht das europäische Interieur mit seiner üppigen Sammlung von Bildern, Statuen und Kleinkunst den Eindruck der rein vulgären Ausstellung von Reichtümern. Schon der dauernde Anblick eines einzigen Meisterwerkes setzt einen großen Reichtum an Kunstverständnis voraus. Aber ohne Grenzen müßte in der Tat die Fähigkeit künstlerischen Nachfühlens bei denen sein, die Tag für Tag inmitten eines derartigen Zusammenflusses von Farben und Formen leben wollen, wie wir sie in einzelnen Häusern in Europa und Amerika so oft wahrnehmen.
»Stätte mangelnder Symmetrie« wiederum ist der Ausdruck für eine andere Phase unserer dekorativen Kunst. Das Fehlen der Symmetrie bei unseren Kunstwerken ist häufig von westlichen Kritikern erörtert worden. Sie ist ebenfalls ein Ergebnis der Auswirkung taoistischer Ideen auf dem Wege über den Zennismus. Der Konfuzianismus mit seiner tiefwurzelnden Idee des Dualismus und der Buddhismus des Nordens mit seinem Kult einer Dreieinigkeit standen in keinem Punkte im Gegensatz zu einer symmetrischen Ausdrucksform. Tatsächlich erkennen wir auch beim Studium altchinesischer Bronzen oder der religiösen Kunstwerke der T'ang-Dynastie und der Nara-Periode ein unablässiges Streben nach Symmetrie. Auch die Ausschmückung unserer klassischen Interieurs war in ihrer ganzen Anordnung ausgesprochen regelmäßig. Die taoistische und zennistische Auffassung indessen von der Vollkommenheit war anders. Der dynamische Charakter ihrer Philosophie legte das Hauptgewicht auf den Prozeß, durch den die Vollkommenheit erreicht werden sollte, und nicht auf die Vollkommenheit selbst. Das wahrhaft Schöne ließ sich nur von dem entdecken, der denkend das Unvollendete vollendete. Die Kraft des Lebens und der Kunst lag in ihren Möglichkeiten zu wachsen. Im Teeraum ist es jedem Gast gegeben, in seiner Phantasie die gesamte Wirkung in ihrer Beziehung zu seinem Ich zu vollenden. Nachdem der Zennismus die herrschende Gedankenrichtung geworden war, vermied die Kunst des äußersten Ostens bewußt die Symmetrie, weil sie Wiederholung bringt und nicht nur Vollendung. Uniformität im Entwurf galt als verhängnisvoll für die Frische der Phantasie. So wurden denn Landschaften, Vögel und Blumen beliebte Vorwürfe der Malerei statt des Menschen, der ja in der Person des Beschauers stets gegenwärtig ist. Wir treten sowieso allzu oft ins Sichtbare, und bei aller unserer Eitelkeit wird sogar die Selbstbetrachtung allmählich langweilig.
Sich wiederholen zu können ist die ewige Furcht, die aus dem Teeraum spricht. Die verschiedenen Ausschmückungsgegenstände werden so gewählt, daß sich ja nicht eine Farbe oder ein Muster wiederholt. Wenn eine lebende Blume da ist, ist das Blumenbild verpönt. Wird ein runder Kessel gebraucht, muß der Wasserkrug eckig sein. Hat die Tasse eine schwarze Glasur, so darf sie nicht zusammengebracht werden mit einer Teebüchse von schwarzem Lack. Stellt man eine Vase auf das Weihrauchbecken des Tokonoma's, so muß Sorge getragen werden, daß man sie nicht gerade in die Mitte stellt, auf daß sie nicht den Raum in zwei gleiche Teile teile. Die Säule vom Tokonoma soll von anderer Holzart sein als die übrigen Pfeiler, damit kein Gefühl von Monotonie in dem Raum aufkommt.
Auch hier wieder scheidet sich die japanische Art der Innendekoration von der des Okzidents, wo wir alle Dinge symmetrisch angeordnet finden auf Kaminsimsen und anderwärts. In den Häusern des Westens stehen wir oft dem gegenüber, was uns als nutzlose Wiederholung erscheint. Es fällt uns schwer, uns mit einem Manne zu unterhalten, dessen lebensgroßes Bild uns über seinem Rücken von der Wand her anstarrt. Wir fragen uns, wer nun wirklich da ist, der auf dem Bild oder der, welcher spricht, und wir haben das seltsame Gefühl, daß einer von beiden gefälscht sein muß. Wie oft mußten wir uns an die festliche Tafel setzen und mit innerem Entsetzen für unsere Verdauung die Darstellung einer Speisenfülle an den Eßzimmerwänden betrachten. Wozu diese gemalten Opfer von Jagd und Sport, diese kunstvollen Darstellungen von Fischen und Früchten? Wozu diese Ausstellung von Familiensilber, die uns an die erinnert, die gegessen haben und nun tot sind?
Die Einfachheit und das Freisein vom Alltag macht den Teeraum wahrhaft zu einer Freistatt vor den Ärgernissen der Außenwelt. Dort und dort allein kann man sich ungestört der Anbetung des Schönen weihen. Im 16. Jahrhundert gewährte der Teeraum den rauhen Kriegsleuten und Staatsmännern, die für die Einheit und den Aufbau Japans tätig waren, eine willkommene Erholung von ihrer Arbeit. Im 17. Jahrhundert, als der strenge Formalismus der Tokugawa-Herrschaft entwickelt war, bot er die einzige Möglichkeit für einen freien Verkehr künstlerischer Geister. Denn vor einem großen Kunstwerk gab es keinen Unterschied mehr zwischen Daimyo, Samurai und gemeinem Mann. Heutzutage macht der Industrialismus in der ganzen Welt wirkliche Kultur schwerer und schwerer. Brauchen wir darum den Teeraum nicht mehr denn je?