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(1700-1850 n. Chr.)
In ihrem eifrigen Streben nach Einheit und Disziplin erstickten die Tokugawa den Lebensfunken in der Kunst wie in der Wirklichkeit. Einzig die von ihnen auf dem Gebiete des Erziehungswesens geschaffenen Einrichtungen, die im Laufe der Zeit bis in die niedrigsten Volksklassen drangen, haben diese Fehler in geringem Maße wieder wettgemacht.
Als die Tokugawa auf dem Gipfel ihrer Macht standen, war das gesamte Leben im Staate nach einem bestimmten Schema zugeschnitten, und die Kunst bildete hiervon keine Ausnahme. Der gleiche Geist, der Japan von allem Verkehr mit der Außenwelt abschnitt und selbst den Verlauf des Alltagslebens bei dem Daimyô wie bei dem geringsten Bauern festlegte, zwängte auch die künstlerische Schaffenskraft in enge Grenzen.
Von den zwanzig Kanô-Akademien Kanô-Akademien: verdanken ihren Namen einer Künstlerfamilie, die zu Hofmalern der Tokugawa ernannt war. standen vier unter dem unmittelbaren Schutz der Shôgune und sechzehn unter dem Protektorat der Regierung; alle aber waren geleitet von den disziplinarischen Instinkten Ieyasus und ganz nach der Art feudaler Lehen eingerichtet. Jede Hochschule hatte ihren Oberherrn, der seinem Berufe nachging, einerlei ob er ein mittelmäßiger Künstler war oder nicht, und Scharen von Schülern aus allen Teilen des Landes unter seinem Befehl vereinigte. Diese wuchsen dann zu den offiziellen Malern der Provinz-Daimyôs heran. Wenn der Studierende in Yedo promoviert hatte, war es strenge Regel, daß er auf das Land zurückkehrte und seine Arbeiten dort nach den gelehrten Methoden und Vorbildern seines Meisters ausführte. Wer nicht der Vasall irgendeines Daimyôs war, galt in gewissem Sinne als Erbuntertan der Kanô-Herren. Jeder mußte sich streng an den von Tan-yû und Tsunenobu vorgeschriebenen Studienplan halten und zeichnete und malte bestimmte Vorwürfe auf eine bestimmte Art. Eine Abweichung von diesen Vorschriften hatte den sofortigen Ausschluß vom Künstlerstande und die Herabwürdigung zum Handwerker im Gefolge, denn die Ehre, zwei Schwerter zu tragen, war dem Betreffenden dann nicht mehr gestattet. Derartige Zustände mußten notgedrungen der Originalität und dem Können Abbruch tun.
Zu Beginn ihrer Herrschaft setzten die Tokugawa neben den Kanô auch noch das altberühmte Malergeschlecht der Tosa mit seinem jüngeren Zweig, den Sumiyoshi, wieder zu offiziellen Lehrern ein samt allen ihren alten Ehren und Vorrechten. Allein der Einfluß und die Kunsttradition der Tosa hatten seit den Tagen des zur Ashikaga-Zeit heldenhaft an der alten Schule festhaltenden Mitsunobu sehr gelitten. Zwar bedeutet Mitsunobus Widerstand gegen die nationale Kunstrichtung einen Mangel an Erkenntnis, allein er blieb dafür auch der wunderbaren Farbentradition früherer Tage treu zu einer Zeit, da alle anderen nur noch in Tusche malten. Die neue Tosa-Schule ahmte jedoch nur die Manier ihrer Vorfahren nach; was sie dabei an Leben schuf, war nichts als ein Reflex der Kanô, wie die Bilder von Mitsuoki und Gukei beweisen.
Der durchaus kleinlich gesinnte Adel jener Tage fand dies alles sehr natürlich, denn sein Leben war ja nach den gleichen Prinzipien eingerichtet. Der Sohn pflegte bei einem zeitgenössischen Kanô oder Tosa ein Bild zu bestellen, ganz wie sein Vater es bei ihren Vorgängern getan hatte. Mittlerweile führte das Volk ein Leben für sich. Seine Neigungen und Ziele waren ganz, ganz andere, mochte auch der Kreislauf seines Lebens nicht minder stereotyp sein. Da die Genüsse des Hoflebens und der Umgang mit der Aristokratie den Leuten aus dem Volk versagt waren, suchten sie Zerstreuung in weltlichen Vergnügungen, im Theater und in dem lustigen Treiben von Yoshiwara. Ihre Literatur stellt eine ganz andre Welt als die der Samurai dar, und auch ihre Kunst nimmt mit Vorliebe die Form von Illustrationen berühmter Theaterwerke an und spiegelt überall die Lebensfreude wider.
Die volkstümliche Malerschule erreichte zwar ein ziemliches Geschick in der Farben- und Pinselführung, entbehrt aber des Idealismus, der die Grundlage der japanischen Kunst ist. Die anmutigen, lebensvollen und vielseitigen farbigen Holzschnitte von Utamaro, Shunman, Kiyonobu, Harunobu, Kiyonaga, Toyokuni und Hokusai stehen völlig abseits von der Hauptlinie der seit der Nara-Zeit einheitlich verlaufenden Entwicklung der japanischen Kunst. Die Inrô Inrô: kleine Medizinkästchen aus Lack, am Obi oder Gürtel zu tragen., die Netsuke Netsuke: Zierknöpfe, um das Inrô oder den Tabaksbeutel zu befestigen., die Stichblätter und die entzückenden Lackarbeiten der Tokugawa sind nur Spielereien und atmen als solche nicht die Inbrunst aus, die jeder wahren Kunst eigen ist. Große Kunst ist etwas, vor dessen Angesicht man sterben möchte; die Kunst der späteren Tokugawa-Zeit jedoch ruft nur die Freude an der Phantasie wach. Gerade weil die nur äußerlich anmutigen Werke dieser Zeit zuerst in Europa bekannt wurden, an Stelle der in den Sammlungen der Daimyôs und in den Schatzkammern der Tempel verborgenen, erhabenen Werke der großen Meister, wird die japanische Kunst im Abendlande bisher nicht genügend ernst genommen.
Die in dem gefürchteten Schatten der Shôgune aufgewachsene Kunst von Yedo (Tôkyô) kannte daher nur einen engen Kreis von Ausdrucksmitteln. Allein der freieren Atmosphäre Kyôtos ist es zu verdanken, daß eine höhere, demokratische Kunstform sich entwickeln konnte. Kyôto war noch immer kaiserliche Residenz und darum verhältnismäßig frei von der Tokugawa-Herrschaft, denn die Shôgune wagten sich dort nicht so öffentlich zu behaupten wie in Yedo und in den anderen Landesteilen. Hier strömten daher die Gelehrten und Freidenker zusammen, und Yedo wurde so zum Angelpunkt, um den sich dann später der Hebel der Meiji-Restauration drehte. Hier konnten die Künstler, die dem Joche der Kanô trotzten, es wagen, mit der Überlieferung zu brechen; hier durfte der reiche Mittelstand ihre Originalität bewundern. Hier rang Buson in seinen Illustrationen volkstümlicher Poesie nach dem neuen Stil; hier war auch der Wohnsitz Watanabe Shikôs, der die Kunst Kôrins nachzuempfinden suchte, und Shôhakus, der das naive Kindergemüt eines Blake mit dem wilden Phantasiereichtum Jasokûs aus der Ashikaga-Zeit vereinigte. Hier endlich lebte auch Jakuchu, ein Fanatiker, der mit wahrer Leidenschaft die unglaublichsten Vögel malte.
Zwei Dinge haben indes auf die Kyôtoer Malerschule einen starken Einfluß ausgeübt. Das eine war die Wiedererweckung des späten Ming- und frühen Mandschu (Ts'ing)-Stils in Japan, der in China selbst durch Dilettanten und Ästheten verbreitet wurde, welche alle Werke von Berufsmalern für wertlos hielten und die spielerischste Skizze eines bedeutenden Gelehrten höher schätzten als das erhabene Werk eines großen Meisters. Selbst diese Tatsache muß jedoch, von einem bestimmten Gesichtspunkt aus betrachtet, als ein Beweis für die ungeheure Kraft des chinesischen Intellektes gelten, da er auf diesem Wege allein den unter der Mongolen-Dynastie aufgezwungenen Formalismus der Yüan-Akademien durchbrach. Die Kyôtoer Künstler strömten in Nagasaki, dem einzigen damals offenen Hafen Japans, zusammen, um bei chinesischen Händlern den neuen Stil zu studieren, der indes bereits zur Manier erstarrt war, ehe er Japan erreichte.
Das zweite war der Einfluß, der von dem Studium der naturalistischen Kunst Europas ausging. Die erste Anregung hierzu hatte Matteo Ricci, ein römisch-katholischer Missionar, gegeben, der während der Ming-Dynastie nach China gekommen war, und dessen früherem Wirken es jetzt zu verdanken war, daß die neue realistische Kunst des Abendlandes in den Städten an der Mündung des Yang-tse-kiang bekannt wurde. Ein chinesischer Künstler dieser Richtung namens Shen Nan-pin, der wegen seiner Blumen- und Vogelbilder berühmt war, ließ sich auf drei Jahre in Nagasaki nieder und legte so den Grund zu der naturalistischen Schule von Kyôto.
Holländische Reproduktionen wurden eifrig gekauft und kopiert, und Maruyama Ôkyo, der Gründer der Maruyama-Schule, brachte seine ganze Jugend mit dieser Arbeit hin, indem er mit rührender Sorgfalt und Geduld jedes Strichelchen auf den Kupferstichen mit dem Pinsel nachmalte. Dieser Künstler faßte die Bewegung zu einem Brennpunkt zusammen, denn er vermochte, da er aus einer Kano-Akademie hervorgegangen war, seinen eigenen Stil mit den neuen Methoden zu vereinigen. Er war ein glühender Naturschwärmer und suchte ihren Stimmungen in allen Einzelheiten gerecht zu werden, wobei die Zartheit und Weichheit seiner Malerei sowie die wunderbare Abtönung seiner auf Seide aufgetragenen Farben ihn mit Recht als den ersten Künstler seiner Zeit erscheinen lassen.
Sein Nebenbuhler Goshun, der Gründer der Shijô-Schule, trat dicht in seine Fußtapfen, wenn er sich auch durch die aus dem späten Ming-Stil stammende Manieriertheit seiner Bilder von ihm abhebt.
Ein dritter Naturalist, Ganku, wurde der Vorfahr der Kishi-Schule und unterscheidet sich von den beiden Vorhergehenden durch seine stärkere Ähnlichkeit mit Shen Nan-pin.
Diese drei Richtungen bilden zusammen die moderne naturalistische Schule von Kyôto. Ihr Grundton ist ein anderer als der der Kanô; dennoch ist es ihr, trotz aller Kunst und Geschicklichkeit, nicht gelungen, unsere wahre nationale Eigenart zu entdecken, ebenso wie dies ihrer Schwester, der volkstümlichen Schule von Yedo, mißglückt ist. Ihre Werke sind reizend und anmutig, geben aber niemals das Wesentliche eines Vorwurfs wieder, wie Sesshû und andere es tun. In den wenigen Fällen, da Ôkyo sich zu größerer Höhe erhebt, greift er unbewußt auf die Methoden der alten Meister zurück.
Seit dem Tode dieser drei größten Könner erschöpft sich die Kunst von Kyôto in einer Reihe von Versuchen von Epigonen, die jeweiligen Vorzüge ihrer Vorbilder miteinander zu vereinigen. Allein bis zur Blüte der neusten japanischen Kunst im zweiten Jahrzehnt der Meiji-Restauration waren die Kyôtoer Künstler führend auf dem Gebiete der Malerei.