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St. Claire fiel in diesem Jahre gerade auf einen Sonntag, St. Susanne in glücklichem Zusammentreffen auf den Tag vorher. Philipp, der seit dem Schiffbruche seines Glückes sein ganzes Leben den Anforderungen seiner Stellung unterordnete, glaubte sich von der Feier dieses doppelten Namenstages nicht dispensieren zu dürfen. Seit seiner Verheiratung hatte er fast noch nie Gäste empfangen. Die Krankheit Claires nahm den ganzen Winter in Anspruch und ihre Rekonvalescenz erstreckte sich bis tief in den Frühling, so daß der Hüttenbesitzer selbst in den Augen der Argwöhnischsten entschuldigt sein konnte, seine Salons in dieser Saison nicht geöffnet zu haben.
Die große Erregung Claires, die sich bei verschiedenen Anlässen deutlich verraten hatte, bewog den Hüttenbesitzer gleichfalls, seine eheliche Zärtlichkeit öffentlich zu beweisen, indem er seiner Frau zu Ehren ein Fest gab.
Die Einladungen waren schon seit zehn Tagen ergangen, als der von Claire gemachte Annäherungsversuch an ihren Gatten das schmerzliche Verhältnis, welches als chronisches Uebel zwischen beiden bestand, zu einem akuten gemacht hatte.
Philipp dachte in seiner Entmutigung daran, das Fest absagen zu lassen; doch man befand sich bereits am Vorabende des bestimmten Tages. Er mußte auf die Energie Claires rechnen; wußte er doch, daß sie in ihrem Stolze wohl fähig war, ihrer Umgebung ein lachendes Antlitz zu zeigen. Mit schwerem Herzen und unzufrieden mit sich und den andern schickte der Hüttenbesitzer sich an, die Rolle des Wirtes in möglichst heiterer Weise zu spielen.
Von früh morgens an in ihre Gemächer eingeschlossen, bereitete sich Claire ihrerseits zum Kampfe vor. Sie wollte gefallen und schmückte sich mit größter Sorgfalt wie eine Kokette, welche die Eroberung eines Nabob machen will, keinerlei Toilettenkünste verschmähend, um durch den Reiz ihrer Kleidung ihre unvergleichliche Schönheit zu erhöhen. Sie wählte ein weißes Kleid, mit Valenciennesspitzen garniert und mit natürlichen Rosenbouquets geschmückt. Die Taille, die bis zur Mitte des Rückens reichte, ließ den Beginn der prächtigen Schultern sehen und zeigte, vorne ausgeschnitten, die bewunderungswürdige Büste, deren schimmerndes Weiß durch den leuchtenden Ton einer Rosenguirlande noch gehoben wurde, welche die junge Frau in duftigen Windungen, von der Schulter bis an den Saum des Kleides hinab, umgab. Ihr schönes, blondes Haar, hoch am Kopfe geordnet, entblößte kühn den schneeigen Nacken und trug als einzigen Schmuck eine rote Rose. Sie sah so schön aus, daß Susanne und Brigitte, welche selbst beim Ankleiden behilflich gewesen, vor Bewunderung in die Hände schlugen. Claire warf einen dankbaren Blick in den Spiegel und bebend stieg sie zur anberaumten Stunde in die Empfangsräume hinab.
In dem großen Salon im Stile Louis XIV. plauderte Philipp im schwarzen Frack und weißer Kravatte mit dem Baron, der die Aermel seines Jaquets zurückgeschlagen und die Hände völlig mit gelber Farbe überzogen hatte. Die Baronin, die mit Claire eintrat, stieß einen Schrei der Verzweiflung aus:
»Aber, mein Freund, woher kommen Sie denn, in einem solchen Zustande und zu dieser Stunde, und wie sehen Ihre Hände aus?«
»Entschuldigen Sie, Teuerste,« erwiderte der Baron errötend wie ein Schulknabe, der auf einem Fehler ertappt worden, »ich habe mich ein wenig im Laboratorium verspätet. – Und ein Jodbad, das ich aus Versehen umstieß, hat mir leicht die Nägel gefärbt.«
»Leicht gefärbt!« rief die junge Frau, »aber das ist ganz entsetzlich, Sie sind gar nicht präsentabel! Sie sehen ja wie ein Photograph aus!«
Der Baron fing zu lachen an.
»Ich versichere Sie, daß man dies sehr schnell fortbringt!«
Dabei wollte er sich seiner Frau nähern.
»Kommen Sie mir nicht zu nahe!« schrie diese, erschrocken zurückweichend. »Ich habe eine neue Toilette. Entfernen Sie sich rasch, Sie haben noch gerade so viel Zeit, sich umzukleiden.«
Philipp blickte auf Claire, die in der ganzen Pracht ihrer Schönheit ihm entgegenschritt. Sie sah strahlend aus und auf ihrem heitern Antlitz war keine Spur ihres Kummers bemerkbar. Bei sich bewunderte der Hüttenbesitzer die Seelenstärke und Tapferkeit der jungen Frau und wußte ihr dafür Dank, daß sie in solch glänzender Weise ihre Pflichten als Hausfrau erfüllen wollte. Mit einem Lächeln, das sie vor Freude erblassen ließ, näherte er sich ihr, ein Schmuckkästchen aus schwarzem Leder in der Hand, auf welchem die Initialen C. D. graviert waren.
»Ihr Besitz an Juwelen ist nicht sehr groß,« sagte er mit einer Verbeugung. »Zur Zeit unserer Verheiratung konnte ich mir nicht alles, was ich für Sie wünschte, verschaffen. Lassen Sie mich mein Versäumnis heute gutmachen.«
Dabei überreichte er ihr das Schmuckkästchen. Claire, sehr betroffen, zauderte, es anzunehmen; die Baronin bemächtigte sich jedoch rasch desselben, öffnete es und entnahm ihm ein herrliches Diamantenhalsband, das sie unter Jubelrufen im Lichte funkeln ließ.
»Oh, meine Teure, sieh doch, das ist ein fürstliches Geschenk.«
Claires Stirn verdüsterte sich, Es war in der That ein fürstliches Geschenk. Zugleich gedachte die junge Frau der 40 000 Franken, die angeblich als Zinsen ihrer Mitgift in ihrem Ebenholzschranke ruhten. Sie fügte die Summe hinzu, welche das Halsband kosten mußte und fühlte sich aufs Tiefste gedemütigt. Welch neuer Beweis der Großmut Philipps! Das Geld, das ihr höchster Trumpf gewesen, gab Philipp mit königlicher Gleichgültigkeit aus, und ob er es gleich durch angestrengte Arbeit erworben hatte, schien er doch nicht viel Wert darauf zu legen.
»Nun denn, Philipp, befestigen Sie selber dies Zeichen der Sklaverei am Halse Ihrer Frau. Es ist ohnehin das Wenigste, was Sie thun können,« sagte die Baronin malitiös.
Dann sich zu ihrem Manne wendend, der eben, mit vollendeter Korrektheit gekleidet, wieder eintrat:
»Sie, der Sie fortwährend nach Steinen suchen, mein Teurer, trachten Sie doch einmal, welche von dieser Sorte zu finden!«
Der Hüttenbesitzer legte mit zitternder Hand das mit Diamanten geschmückte silberne Band um die Schultern seiner Frau. Seine Finger berührten die samtartige Haut, und er sah sie unter seiner Berührung erbeben.
»Nun, nun!« fuhr die Baronin fort, »an einem Tage, wie der heutige, ist es Brauch, daß man sich küßt.«
Dabei stieß sie Claire in die Arme Philipps, der totenblaß geworden war. Der Hüttenbesitzer berührte mit seinen Lippen die Stirn seiner Frau und mit vor Erregung zusammengeschnürter Kehle, verstörten Augen, sich angstvoll fragend, ob er nicht in Ohnmacht sinken würde, empfing er den kältesten und zugleich heißbegehrtesten Kuß.
Hierauf trat er rasch in den angrenzenden Salon, um sich dem fesselnden Reiz dieser Annäherung zu entziehen.
Claire hatte bis dahin die ganze Wichtigkeit der Stellung ihres Mannes nicht ermessen können. Wohl sah sie, daß er überall mit Ehrerbietung aufgenommen wurde; doch sie begriff erst, über welch großen Einfluß der Hüttenbesitzer verfüge, als sie alle hervorragenden Persönlichkeiten des Departements bei sich empfing.
Das Diner vereinigte Herrn Monicaud, den republikanischen Präfekten, der übrigens seine Gesinnungen zu mildern wußte, wenn er in Gesellschaft ging; den General-Prokurator, einen ernsten, gemessenen Mann; den Trésorier, einen ehemaligen Lebemann, der sich äußerst liebenswürdig benahm, und den General, den Kommandanten der Division; sämtliche Civil- und Militär-Autoritäten. Der Erzbischof von Besançon war gleichfalls erschienen und der lächelnde liebenswürdige Greis hatte zur Rechten Claires Platz genommen.
Athénaïs, die vor Neid völlig außer sich war, wohnte dem Triumphe ihrer Rivalin bei. Claire, die zum erstenmal von den freundlichen Blicken ihres Mannes unterstützt wurde, fand ihre Zuversicht wieder; sie unterhielt mit sehr viel Geist ihre Gäste und fand für jeden einzelnen das rechte Wort, seiner Eigenliebe zu schmeicheln, und beseelt von dem Wunsche, ihrem Manne, von dem sie sich bewundert fühlte, zu gefallen, entfaltete sie alle Hilfsquellen ihres bevorzugten Geistes.
Auf den Herzog machte ihr gewinnendes Auftreten tiefen Eindruck; die junge Frau, die ihre Willenskraft aufs äußerste anstrengte, war aber auch wirklich blendend und Bligny, der förmlich fasciniert war, ließ sich hinreißen, sie mit unverhehlter Bewunderung zu betrachten. Sie unablässig anstarrend, vergaß er, was um ihn her vorging und seine überreizte Leidenschaft ließ ihn alles Maß verlieren.
Er bemerkte nicht, daß Philipp ihn mit drohender Aufmerksamkeit beobachtete. Was lag ihm übrigens auch an dem Gemahl? Er war längst als der Mann bekannt, jemand das Leben zu nehmen, nachdem er ihm die Ehre geraubt.
Moulinet, so sehr er bemüht war, den Präfekten zu umgarnen, der sich ungezwungenen Betrachtungen überließ, indem er sich ausführlich über seine an Entbehrungen reiche Vergangenheit und über die Genüsse des Wohllebens erging, wurde ebenfalls auf das Benehmen Blignys aufmerksam. Er hatte schon früher bemerkt, daß der Herzog seit seiner Rückkehr sich viel zu viel mit Claire beschäftige.
Im allgemeinen legte er derlei Launen des jungen Mannes keine Wichtigkeit bei, aber in diesem speciellen Falle fühlte er sich höchst beunruhigt. Der Hüttenbesitzer war eine Großmacht, und am Vorabende der Wahlen mußte man auf ihn Rücksicht nehmen. Er nahm sich daher vor, mit seinem Schwiegersohne über diesen wichtigen Gegenstand zu sprechen.
Die Herzogin, die neben Philipp saß, bemühte sich durch ihr Geschwätz seine Aufmerksamkeit zu fesseln, fand ihn jedoch kalt und zerstreut.
Die Marquise von Beaulieu, die ihren Platz zur Rechten des Hüttenbesitzers hatte, litt sehr unter der Hitze der Kronleuchter und war bemüht, ihre Stirn mit dem Fächer dagegen zu schützen. Philipp, der gezwungen war, sich nach links und rechts zu unterhalten und durch seine Pflichten als Wirt vielseitig in Anspruch genommen, stand Qualen aus, als er den Herzog Claire fixieren sah, und es schien ihm, als ob Bligny, der die nackten Schultern der jungen Frau mit seinen Augen verschlang, sie in Gedanken mit seinen Zärtlichkeiten entweihe. Ein schrecklicher Zorn erfaßte ihn und von allen Qualen der Eifersucht gepeinigt, träumte er von der hohen Befriedigung, den Mann töten zu können, der ihm schon so viel Böses angethan und ihn noch immer so grausam marterte.
Die nichtigen Reden der Herzogin ermüdeten ihn und er wünschte lebhaft, von den beiden ihm verhaßten Wesen befreit zu werden. Das Verlangen seiner Frau, den Herzog und die Herzogin zu entfernen, kam ihm in den Sinn und er begriff die Entmutigung Claires im Kampfe mit dem Hasse der Frau und der Liebe des Mannes. Er beschloß, sie von beiden zu befreien. Doch es genügte ihm nicht mehr, den Herzog bloß zu entfernen; dazu haßte er ihn bereits zu sehr.
Das Ende des Diners war für Derblay eine Erleichterung. Auf der Terrasse herrschte eine köstliche Frische, und eine reizende Ueberraschung erwartete hier Claire. Alle Gebüsche des Parks waren illuminiert und Blumenguirlanden umrankten die ganze Fassade des Schlosses.
Moulinet hatte für dieses Fest seine Gewächshäuser ausgeplündert, und ein drei Meter langer Korb aus geflochtenen und vergoldeten Binsen war mit den wundervollsten Orchideenarten gefüllt worden.
»Mein Gärtner raufte sich die Haare aus, als er sie von Varenne fortbringen sah«, sagte der ehemalige Handelsrichter, als man ihm darüber Komplimente machte, halblaut und zerstreut, ohne dabei seinen Schwiegersohn aus dem Auge zu lassen, dem es durch geschicktes Manövrieren geglückt war, Claire von der Gruppe der jungen Frauen zu trennen und sie in einem günstig gelegenen Winkel zu blokieren.
Hier tauschten die beiden, die sich ehemals geliebt hatten, mit lächelnder Miene die gefährlichsten Worte aus. Der Herzog, in seiner Leidenschaft bemühte sich, die Gunst der jungen Frau zu gewinnen, pries ihre Schönheit und beteuerte seine Liebe: Claire, in ihrem Zorne, wollte sich von einem tête-á-tête befreien, das sie erbeben machte. Sie erhob ihre Stimme immer lauter, auf die Gefahr hin, die Aufmerksamkeit Philipps zu erregen.
Da änderte Bligny seine Taktik und seine Worte wurden sanft und honigsüß; er sprach nur noch von seiner Freundschaft und verlangte, daß ihm Claire wenigstens die Hand reiche, als Zeichen der Verzeihung. Doch indem er so redete, flammten seine Augen, seine Worte Lügen strafend, in glühender Leidenschaft. Er näherte sich ihr allmählich und vom Halbdunkel begünstigt, zog er Claire während eines Momentes so nahe an sich heran, daß sie entrüstet ausrief:
»Hüten Sie sich! Wenn Sie sich nicht sofort entfernen, so rufe ich auf die Gefahr eines Skandals meinen Mann herbei.«
Der Herzog hatte die Aufregung der jungen Frau aufs Aeußerste getrieben, doch verhütete Moulinet diesmal noch einen Ausbruch. Er kam lächelnd herbei, indem er das Gespräch mit einem jener Gemeinplätze eröffnete, wofür er ein besonderes Talent besaß und womit er seinen Schwiegersohn stets im höchsten Grade aufbrachte.
»Wie klar der Himmel heute abend ist,« begann der ehemalige Handelsrichter in elegischem Tone. »Der Mond ist im ersten Viertel, wir werden die ganze Woche hindurch schönes Wetter haben.«
Der Herzog sah Moulinet von der Seite an, und Claire, diese Dazwischenkunft benützend, konnte zu ihrer großen Erleichterung entschlüpfen.
Der Herzog that einen Schritt vorwärts, um ihr zu folgen, doch sein Schwiegervater hielt ihn mit feierlicher Gebärde zurück und ihn an den Rand des Teiches führend, sagte er:
»Herr Herzog, ich bemerke mit Verdruß, daß Sie in sehr sonderbarer Weise die guten Beziehungen zu trüben suchen, welche ich mit Herrn Derblay zu unterhalten mich bestrebe, um . . .«
»Um?« wiederholte der Herzog, indem er Herrn Moulinet mit seiner gewohnten impertinenten Miene von oben bis unten maß.
»Vor allem, mein Schwiegersohn, bitte ich Sie,« rief der ehemalige Handelsrichter, zum erstenmal die Geduld verlierend, aus, »die Güte zu haben, mir gegenüber nicht mehr jenen spöttischen Ton anzunehmen, den ich länger zu ertragen keine Lust habe.«
»Herr Moulinet empört sich, er erhebt die Fahne des Handelsgerichtes,« sagte Bligny lachend.
»Herr Moulinet findet, daß Sie sich höchst ungebührlich benehmen,« erwiederte der Schwiegervater mit lautem Tone, »sowohl ihm gegenüber als auch gegen Ihren Gastgeber, dessen Frau Sie in skandalöser Weise den Hof machen.«
»Erweist mir Ihre Frau Tochter die Gnade, sich darüber zu beklagen?« fragte der Herzog, indem er eine übertriebene Höflichkeit affektierte, die noch beleidigender klang, als sein früherer Spott.
»Meiner Treu, nein,« erwiderte Moulinet. »Sie scheint sich sogar höchst wenig um Ihre Treue zu kümmern . . . und ich begreife dies.«
»Gut. Und weiter?« fuhr Bligny spöttisch fort.
Herr Moulinet machte eine Dreiviertelswendung und seinen Schwiegersohn mit dem Blicke förmlich niederschmetternd, rief er:
»Und die Moral, mein Herr?«
»Oh, die Moral der Rue des Lombards!« versetzte der Herzog mit leichtfertiger Miene.
Moulinet nahm eine wichtige Haltung an.
»Die Rue des Lombards hat auch ihren Wert,« entgegnete er langsam. »Sie wüßten wohl einiges davon zu erzählen!«
»O pfui, Herr Moulinet,« rief der Herzog. »Rumoren Sie nicht so stark mit Ihren schweren Geldstücken. Man weiß ja, daß Sie reich sind.« Und den ehemaligen Handelsrichter verächtlich von oben bis unten messend: »Das ist Ihr einziges Verdienst, mißbrauchen Sie es nicht!«
»Mein Verdienst in diesem Falle,« entgegnete Moulinet, seine Ruhe vollständig verlierend, »hat den Vorteil vor dem Ihrigen, daß es täglich zunimmt. Uebrigens bin ich sehr einfältig, mich Ihrer anzunehmen. Setzen Sie Ihr sündhaftes Unternehmen fort. Das einzige Resultat, das Sie erreichen werden, dürfte ein ganz ernsthafter Kampf mit dem Gemahl sein, und ich erkläre Ihnen im voraus, daß alle meine Sympathieen auf seiner Seite sein werden.«
»Vortrefflich!« rief der Herzog.
»Wenn er Sie tötet,« fuhr Moulinet immer erregter fort, »wird Ihnen nur das werden, was Sie verdienen.«
»Ein Gottesurteil!« spottete Bligny.
»Meine Tochter und ich, wir werden Ihnen eine Leichenfeier veranstalten, wie es unserem Vermögen zukommt, und dann werden wir, um Sie zu beweinen, während der üblichen Trauerzeit nach Monaco oder in ein Seebad gehen.«
»Kurz, eine lustige Trauer!«
»Beschimpft von Ihren zügellosen Ausschweifungen . . .«
»Herr Moulinet! machen wir ein Ende,« unterbrach ihn der Herzog stolz. »Ich verlange keine Ratschläge und nehme keine an. Während einiger Minuten konnte mich Ihre spießbürgerliche Beschränktheit belustigen, aber jetzt ist es genug damit!«
»Sehr wohl, Herr Herzog,« sagte Moulinet, von der Frechheit Blignys eingeschüchtert, »handeln Sie nach Ihrem Belieben. Ich wasche meine Hände in Unschuld.«
Und den Kopf würdevoll schüttelnd, zog der Schwiegervater sich in den Salon zurück.
Auf der Terrasse war eine große Bewegung entstanden. Susanne war herbeigeeilt und hatte ihrem Bruder, der mit dem Generalprokurator und dem Präfekten plauderte, ein wenig außer Atem und aufgeregt die Mitteilung gemacht, daß eine Arbeiterdeputation vorgelassen zu werden wünsche.
»Was sagen Sie?« rief der Präfekt, in welchem bei dem Worte »Arbeiterdeputation« der Demokrat erwachte, »eine kleine Volksdemonstration. Das ist prächtig!«
»Er wird am Ende wollen, daß man die Marseillaise spiele,« murmelte der Trésorier lächelnd.
Philipp war den Arbeitern entgegengeschritten. »Ah! Ihr seid es, Gobert!« sagte er, als er seinen ältesten Werkmeister erkannte, der in seinen Festkleidern, den Hut und ein riesiges Bouquet in der Hand, mit verlegenem Lächeln dastand.
»Tretet näher, mein Guter, und Ihr auch, meine Freunde!«
Gobert, ein hochgewachsener Greis mit weißem Haar, blieb jedoch wie am Boden festgewurzelt stehen, verblüfft von dem Anblick der vornehmen Gesellschaft, die, auf der Terrasse gruppiert, ihn mit neugierigen Blicken betrachtete.
»So geh doch,« flüsterte hinter seinem Rücken einer seiner Kameraden, »so geh doch! Du mußt ja die Ansprache halten.«
Doch der gute Alte war von unbezwinglicher Erregung wie gelähmt und blickte mit verwirrten Augen umher, regungslos, wie zu Stein verwandelt.
Susanne brach den Bann, indem sie den alten Mann, den sie seit ihrer Kindheit kannte, bei der Hand nahm und ihn zu Claire führte. Der Werkmeister verbeugte sich tief vor der jungen Frau und sehr gerührt, nach Worten suchend, wiewohl er seine kleine Rede sehr gut auswendig gelernt hatte, begann er stotternd:
»Mit Erlaubnis unseres verehrten Prinzipals geruhen Sie dieses Bouquet anzunehmen, welches ich beauftragt bin, Ihnen im Namen aller unserer Kameraden anzubieten, indem ich Ihnen dabei zum Namenstage gratuliere. Sie wissen, daß wir in Pont-Avesnes achtzehnhundert Seelen sind, welche ihr ganzes Besitztum Ihrem Herrn Gemahl verdanken, der uns Häuser und Schulen bauen ließ und uns wie seine Kinder behandelt . . . Und nun, sehen Sie, wollten wir Ihnen für das Glück dankbar sein, das Sie ihm bereiten.«
Das Wort blieb dem gerührten Gobert in der Kehle stecken. Laute Beifallsrufe ertönten. Der Präfekt hatte das Zeichen dazu gegeben, indem er sich mit wohlwollendem Lächeln zu dem jungen Paare wendete. Als Claire den Werkmeister von dem Glücke sprechen hörte, welches sie ihrem Gatten bereitete, zuckte sie schmerzlich zusammen. So wurde sie von allen Seiten immer und überall mit ironischen Lobsprüchen überhäuft.
Der Tumult legte sich. Gobert war jetzt seines Bouquets entledigt, er blieb aber noch immer vor Herrn Derblay und seiner Gemahlin aufgepflanzt.
»Aber,« fing er von neuem an, »ich habe noch etwas zu sagen. Die Provinz wird nächstens einen Deputierten zu wählen haben.«
Bei diesen Worten that Moulinet einen Schritt vorwärts, als ginge nun die Sache direkt ihn an und der Präfekt richtete sich empor, mit einem Blick voll selbstbewußter Würde um sich schauend.
»Und wir kommen nun,« fuhr Gobert fort, »Herrn Derblay zu bitten, er möge sich im Bezirk von Pont-Avesnes als Kandidat aufstellen lassen.«
Moulinet stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
»Ah, das ist der an Varenne grenzende Wahlkreis!« rief er aus. »Bravo!« . . .
Ein stürmisches Hurra erscholl von dem Gitter des Schloßhofes her als das Echo auf die Anrede des Werkmeisters. Die Arbeiter des Hüttenwerkes, sämtlich im Sonntagsstaat, drängten sich mit ihren Frauen und Töchtern auf dem Platze vor dem Schlosse, indem sie so der Kundgebung, die sie veranstaltet, von ferne anwohnten.
Philipp gab Befehl, das Thor zu öffnen, damit alle eintreten könnten.
In einem Nu verbreitete sich der fröhliche Schwarm in den Alleen des Parkes, zwischen den Blumenbeeten des Parterres, unter dem Scheine der venezianischen Laternen, welche die dunklen Wege und die geheimnisvollen, mit Statuen geschmückten Rundplätze mit buntem Lichte erhellten.
»Die guten Leute hatten da einen vortrefflichen Gedanken,« sagte der Präfekt in zuvorkommender Weise; »Herr Derblay zählt zu den Unsrigen, er ist liberal in der schönsten Bedeutung des Wortes. Kurz, um alles zu sagen, sein Name bedeutet: Wissenschaft, Redlichkeit, Arbeit und Freiheit.«
»Das ist eine Kandidatur, die ich unterstütze,« rief Moulinet. »Wir beide, wir werden dem Arrondissement Ehre machen. Ich werde meine Pächter gehörig bearbeiten.«
»Hören Sie, Herr Präfekt, wie mir scheint, treiben wir ein wenig offizielle Wahlpolitik,« ließ sich die martialische Stimme des Generals hinter dem Rücken des Präfekten vernehmen. Dieser wendete sich hastig um, als wäre ihm jemand auf den Fuß getreten und sah sich dem General gegenüber, der ihn schmunzelnd anblickte. Der Chef der Civilverwaltung richtete hierauf ein Lächeln an den Chef der Militärverwaltung.
»Mein lieber Herr General, wenn man bei den Leuten so ausgezeichnet gespeist hat, kann man sie doch beim Dessert nicht bekämpfen. Verdauungshöflichkeit!«
Und sich auf den Hacken umwendend, murmelte er zwischen den Zähnen:
»Prätorianer!«
»Meine lieben Freunde,« antwortete Philipp, »ich nehme die Ehre, die ihr mir erweiset, an. Nicht in ehrgeizigen Absichten – ihr wisset, daß ich nicht danach strebe, in die Oeffentlichkeit zu treten – sondern weil ich hoffe, eurer Sache dadurch nützen zu können.«
Ein großer Tumult entstand, laute Vivatrufe ertönten aus der Menge und während einiger Minuten sah man nur emporgestreckte Arme, welche wie rasend Hüte und Mützen in die Höhe schwenkten.
Allmählich legte sich das Getöse und Claire trat nun vor:
»Auch ich, meine Freunde,« sagte sie, »danke euch aus dem Grunde meines Herzens für eure gute Meinung. Und Ihr, Gobert, als Aeltester des Hüttenwerkes, kommt her und küsset mich.«
Und graziös lächelnd bot sie ihre Wange dem alten Werkmeister dar, der sich in seinem schwarzen Rock sehr unbehaglich fühlte und unter seinen weißen Haaren ganz rot geworden war. Gobert näherte sich und mit ungemeiner Vorsicht, als wäre das sanfte Gesicht Claires glühend wie das Eisen, das er zu hämmern gewohnt war, küßte er die junge Frau.
»O, Madame,« sagte der wackere Mann, der eine Thräne nicht zurückzuhalten vermochte, »die Derblays waren immer ausgezeichnete Leute und Sie sind würdig, in die Familie eingetreten zu sein.«
Claire warf ihrem Manne einen triumphierenden Blick zu. Es schien ihr, als hätten die Worte des Arbeiters die Bande befestigt, welche sie an Philipp knüpften.
Athénaïs flüsterte kichernd den Herren La Brède und Du Tremblays zu:
»O, das ist wirklich zu reizend! Wir schwimmen ja mitten im Socialismus.«
Allgemeines Jauchzen schnitt der Herzogin das Wort ab.
Philipp hatte Befehl erteilt, mehrere Fässer Wein auf eine Lichtung des Parkes zu rollen und die Dorfmusik zu bestellen.
Sofort wurde eine Estrade aus Brettern improvisiert, und nachdem sich die Musiker auf das Gerüste hinaufgeschwungen hatten, ließen sie die kreischenden Töne ihrer Instrumente erschallen. Die benachbarten Winzer, von dem Lärm herbeigelockt, mischten sich gleichfalls unter die Hüttenarbeiter, und die alte Feindseligkeit, die den Ort in zwei Lager teilte, war auf gutem Wege, zu verschwinden. Wie ein schwarzer Ameisenschwarm wimmelte die bewegte und lärmende Menge beim Schein der bunten Lampen, die wie phantastische Blumen in dem dunklen Grün der Bäume glühten, in den großen Alleen.
Plötzlich durchfuhr ein flammender Lichtschein das Dunkel und die erste Bombe eines Feuerwerks, das ganz im geheimen von dem Baron vorbereitet worden war, zerplatzte krachend in den Lüften, auf die erstaunt gaffende Menge einen flimmernden Sternenregen niederregnend. Hierauf durchzogen Raketen mit ihren Feuerstreifen den Himmelsraum und das Gehölz des Parkes erstrahlte in grünem und rotem Schimmer bengalischer Flammen.
Die Musiker hatten mit dem Spielen aufgehört und folgten, die Instrumente auf den Knieen, dem launenhaften Fluge der Schwärmer und dem prächtigen Sprühen der romanischen Lichter.
Der Präfekt rief, zu Moulinet gewendet, enthusiastisch aus:
»Sehen Sie doch, wie schön das Rot in dem Feuerwerk aussieht. Welch herrliche Farbe!«
»Mir gefällt auch das Grün,« erwiderte Moulinet, welcher die Anspielung nicht verstanden hatte.
»Das ist die Farbe der Hoffnung,« sagte der Trésorier in verbindlichem Tone, indem er Moulinet zuwinkte.
Nun fing der ehemalige Handelsrichter zu verstehen an; denn, wo sein Interesse ins Spiel kam, war er stets höchst scharfsinnig. Er sah den ehemaligen Lebemann wohlwollend an und fand, daß er ein Mann comme il faut sei; hatte er doch auch das schönste Paar Pferde weit und breit.
»Nun, Herr Moulinet,« sagte der Baron, der sich ihm genähert hatte, »die Sache läßt sich gut an. Sie scheinen entzückt zu sein?«
»Ja, Herr Baron,« antwortete der Vater der Herzogin in überschwänglichem Tone, »dieser Luxus, diese Feststimmung, diese Lebhaftigkeit bezaubern mich. Ich bin für das große Leben geboren. Meine Geschmacksrichtung protestiert gegen die Ungerechtigkeit meiner Abstammung.«
»Ihr Geist genügt, um sie vergessen zu machen,« bemerkte der Baron mit bewunderungswürdigem Gleichmut.
Eine glühende Röte erleuchtete plötzlich den Himmel. Die Effektstücke wurden abgebrannt und unter einem flammenden Triumphbogen krönte ein aus rosigem Feuerlicht gebildetes Kind eine große Frau, die in weißem Lichte strahlte.
»Die Liebe, die Industrie krönend,« sagte der Baron, der die Allegorie erklären zu müssen glaubte.
»Bekannt!« flüsterte der Präfekt dem General ins Ohr. »In Neufchatel, wo ich Unterpräfekt war, präsentierte man uns im vergangenen Jahre am Abend des Nationalfestes das rosenfarbene Kind und die weiße Frau unter dem Titel ›die Zukunft, Frankreich krönend‹«.
»Und ich,« sagte heiter der Trésorier, »ich sah sie einst in Ville d'Avray beim Namensfeste des berühmten Accoucheurs Doktor Thomson unter der Bezeichnung glänzen: ›Die Kindheit, die Medicin krönend.‹«
Ein schreckliches Getöse und eine blendende Helle unterbrach die Unterhaltung der Gäste und eine leuchtende Feuergarbe stieg zum Himmel empor, welche sich über den Köpfen der Zuschauer wie ein Gewölbe ausbreitete. Zugleich fiel ein Hagel von geschwärzten Spänen unter allgemeinem Geschrei und Gelächter auf die Häupter derjenigen herab, die sich zu weit vorgewagt. Hierauf wurde der Himmel wieder dunkel, und der Park, von dem milden Lichte der buntfarbigen Laternen erhellt, nahm sein früheres Aussehen an. Als hätte eine unsichtbare Hand das Zeichen gegeben, begannen jetzt alle Blasinstrumente auf einmal die ersten Takte einer Quadrille in den Abendwind hinauszuschmettern. Dann wurde es still und mit lustiger Stimme rief ein kleiner Schlingel: »Antreten zum Contretanz!«
Athénaïs, die plötzlich von einer Grisettenlaune angewandelt wurde, bekam eine tolle Lust, inmitten der Bauerngesellschaft zu tanzen, und dies Verlangen war so unbezwinglich, daß sie mit glänzenden Augen und geröteten Wangen sich zu Philipp wendete:
»O, Herr Derblay, eröffnen wir diesen bal champêtre! . . . Das wird reizend . . . Kommen Sie, tanzen Sie mit mir! . . .«
Philipp rührte sich nicht, noch schwankend zwischen dem Wunsche, das Anerbieten abzuweisen, und der Besorgnis, unhöflich zu werden. Er tauschte einen Blick mit Claire.
Die junge Frau war bei diesem neuen herausfordernden Ansinnen der Herzogin tief erblaßt.
Nun hielt sie das Maß für voll. Hatte sie es sich doch zugeschworen, es nicht mehr zu dulden, daß Athénaïs sich Philipps bemächtige. Sie zauderte indessen noch, aus Furcht, ihrem Manne zu mißfallen.
Da vernahm sie die spöttische Stimme des Herzogs, der ihr zuflüsterte:
»Sehen Sie?«
Mit einer Handbewegung wies er auf Athénaïs, die, zu Philipp gewendet, ihn mit dem schmeichelnden Blicke ihrer Augen zu bannen schien.
Claire erbebte vor Schmerz und Scham. Ihr Weh wurde durch das unbedachte Dazwischentreten des Herzogs verzehnfacht. In demselben Moment, als sollte ihr Schicksal sich endlich entscheiden, begegneten die Augen Philipps denen seiner Frau, und diese las in den Blicken ihres Mannes so deutlich lästigen Zwang und Verdruß, daß sie sich von unwiderstehlicher Gewalt hingezogen fühlte. Sie that einige Schritte vorwärts und berührte leicht den Arm der Herzogin, die eben wiederholte: »Wir eröffnen doch den Ball zusammen. Nicht wahr?«
»Verzeihe, wenn ich dich störe,« redete sie dieselbe an, »aber ich habe einige Minuten mit dir zu sprechen!«
»Mit mir zu sprechen?« sagte die Herzogin mit verdrießlichem Erstaunen. »Muß es denn jetzt gleich sein?«
»Jawohl, augenblicklich,« bekräftigte Madame Derblay.
»Es ist demnach etwas Wichtiges?«
»Etwas äußerst Wichtiges!«
Athénaïs sah ihrer Freundin forschend ins Gesicht, doch Claire ertrug diesen Blick mit einer Festigkeit, daß die Herzogin, einen ernstlichen Zwischenfall befürchtend, beunruhigt die Augen niederschlug.
»Was gibt es denn, meine Teure?« fragte sie in süßlichem Tone, indem sie versuchte, Claires Hand zu ergreifen.
»Folge mir und du wirst es erfahren,« antwortete Claire kalt.
Und ohne ein Wort hinzuzufügen, ohne sich nach Philipp umzusehen, zog Claire mit hochklopfendem Herzen, aber festem Entschlusse Athénaïs mit sich fort nach dem kleinen Salon.
Einen Augenblick standen die beiden Gegnerinnen kampfbereit einander gegenüber. In der Ferne unter dem Laub der Bäume spielte das improvisierte Orchester und der Lärm der fröhlichen, erregten Menge klang gedämpft in unregelmäßigen Zwischenräumen bis zum Schlosse hinüber. Alle Gäste waren in den Park hinabgestiegen und Athénaïs und Claire sahen sich auf ihre eigenen Kräfte angewiesen.
»Setzen wir uns, willst du?« sagte Frau Derblay kurz.
»Es wird also lange dauern?« fragte die Herzogin, ein beleidigendes Gähnen halb unterdrückend.
»Hoffentlich nicht,« antwortete Claire.
Athénaïs lehnte sich in einen Fauteuil zurück, streckte ein Bein aus, heftete ihre Augen auf die mit Jais geschmückte Spitze ihres Schuhs und ließ ihn im Lichte der Kronleuchter funkeln, dem Anliegen Claires, wie es schien, wenig Wichtigkeit beimessend.
»Ich habe eine Bitte an dich,« fuhr Claire fort.
»Werde ich das Glück haben, dir gefällig sein zu können?« fragte Athénaïs gleichgültig.
»Jawohl! Letzthin, während der Jagd im Walde, als du meinen Mann mit dir fortnahmst, fragtest du mich, ob mir dies nicht mißfalle und ob ich nicht ein wenig eifersüchtig sei . . .«
Die Herzogin schlug ungeduldig mit dem Absatze auf das Parkett und sagte:
»Ein schlechter Scherz, denn du trafst damit die Wahrheit,« erklärte Frau Derblay.
Athénaïs, über diese Bemerkung aufs höchste erstaunt, gab ihre nachlässige Haltung auf und begann auf ihrer Hut zu sein.
»Du eifersüchtig?« rief sie.
»Ja!«
»Auf mich?« fragte die Herzogin weiter.
»Auf dich,« bestätigte Claire, und mit gezwungenem Lächeln fügte sie hinzu: »Du siehst, daß ich offen bin. Es scheint mir, als beschäftige sich mein Mann mit dir etwas mehr als nötig wäre, und ich wende mich deshalb direkt an dich, damit du einer Galanterie ein Ende machst, die für dich sichtlich keinerlei Wert hat und die mir peinlich ist.«
»Mein liebes Kind,« rief Athénaïs aus, indem sie sich voll lebhafter und zärtlicher Teilnahme Claire zuwendete: »Wie, du hast gelitten und sagtest nichts davon? Aber übertreibst du nicht ein wenig? Ich erinnere mich wahrhaftig an nichts, was deinen Argwohn bestätigen könnte. Herr Derblay ist sehr zuvorkommend gegen mich und scheint an meiner Unterhaltung Gefallen zu finden, aber eine derartige Sympathie ist zwischen Verwandten nicht überraschend oder unerlaubt.«
»Ich leide aber darunter!« beharrte Claire.
Die kleine Herzogin richtete sich in die Höhe und versetzte mit nadelspitzem Tone:
»Meine liebe Freundin, an deinem Manne ist es, dein Leid zu stillen, du mußt dich daher an ihn wenden, ich vermag in dieser Hinsicht nichts . . .«
»Doch! Du kannst auf sehr leichte Weise diese Vertraulichkeit abbrechen.«
Athénaïs ließ sich ermüdet in den Fauteuil zurückfallen. Sie wußte nun, wo Claire hinauswollte, und daß sie eine Entwaffnung fordere. Die Herzogin milderte den herben Ton und mit einer Artigkeit, die viel beleidigender klang, als ihre frühere Schroffheit, entgegnete sie:
»Und auf welche Weise könnte ich dies erreichen? Indem ich deinem Manne unfreundlich entgegenkomme? Erstens hieße das, mir eine höchst widerwärtige Rolle aufbürden, und dann, hältst du denn in der That dieses Mittel für wirksam?«
Sie lächelte bei diesen Worten mit dem prahlerischen Trotze einer Frau, die sich ihrer ganzen Macht bewußt ist.
»Das ist es auch nicht, was ich dir vorschlagen will,« erwiderte Claire mit heiterer Ruhe.
»Was also denn?«
Madame Derblay zauderte einen Moment, dann sagte sie rasch:
»Ich wünsche, daß du dich eine Zeitlang von unserem Hause fern hältst.«
Athénaïs fuhr auf und ohne sich länger zu beherrschen, schrie sie:
»Das sagst du mir?«
»Ja,« erwiderte Claire mit ebensoviel Sanftmut, als ihre Rivalin Heftigkeit zeigte. »Und in bittendem Tone verlange ich es von dir. Halte mich für wahnsinnig, aber erfülle meinen Wunsch, es handelt sich um mein Lebensglück.«
»Und welchen Vorwand soll ich für diese Entfernung gebrauchen?« entgegnete Athénaïs. »Was wird man von einer plötzlichen Trennung sagen, die so ganz einem Bruche gleicht?«
»Wir werden uns bemühen, sie auf die beste Art zu erklären.«
Die Beharrlichkeit ihrer Gegnerin brachte Athénaïs in große Verlegenheit. Sie sah, daß Claire stärker sei, als sie geglaubt, und daß, wenn sie sich zu dem geringsten Zugeständnisse bewegen ließe, alles verloren wäre, und sie beschloß, dem Uebel an die Wurzel zu gehen.
»Das wird uns nicht gelingen,« sagte sie, »und fiele in jedem Falle für mich höchst unglücklich aus. Du warst offen, ich werde es gleichfalls sein. Ich bin neu in der Welt, in welche der Herzog von Bligny mich eingeführt; es gefällt mir dort und ich bin bestrebt, mir den Platz zu wahren, den ich mir schon zu erringen wußte. Aber man ist in jener Welt von größtem Rigorismus und es ist klar, daß, wenn die Familie meines Mannes mir kalt begegnet, dies einen willkommenen Anlaß bietet, um mir diesen Platz streitig zu machen. O, ich werde sehr beneidet . . . Du hast deine Liebe, ich habe meinen Ehrgeiz. Ich begreife, daß du das eine schützen willst: gestatte mir, daß ich das andere verteidige!«
Claire, die zu beben anfing und nur noch mit Mühe an sich hielt, hatte Lust, dies elende Geschöpf zu vernichten.
»Du lehnst demnach meine Bitte ab?« fragte sie mit halb erstickter Stimme.
»Sehr wider meinen Willen! Aber, offen gestanden, setze dich an meine Stelle! . . .«
Der Spott dieser Worte war so treffend, daß Athénaïs ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.
Claire that einen Schritt vor, und ohne sich länger beherrschen zu wollen, rief sie:
»Ich soll mich an deine Stelle setzen? Du bist es, die sich an die meinige gesetzt und die es heute nochmals thun will. Seitdem ich dich kenne, verfolgst du mich mit deinem Neid und deinem Hasse. Als Mädchen nahmst du mir meinen Verlobten, als Frau trachtest du, mir meinen Gatten zu entführen. Ich habe es nicht verstanden, mir den einen zu bewahren, aber ich werde dir den andern zu entreißen wissen.«
»Ah, ist es so weit gekommen!« rief Athénaïs zitternd vor Wut aus. »Gut denn, sei es. Nehmen wir die Maske ab. Die Verstellung drückt mich in der That schon zu schwer. Ja, seit meiner Kindheit gebe ich dir an Haß zurück, was du und deinesgleichen an Verachtung an mir verschwendet habt. Du hast mich seit zehn Jahren mit deinem Namen, deinem Reichtum, deinem Geist erdrückt. Wohlan! Sieh nun! Heute besitze ich Millionen, ich bin Herzogin und du mußt dich bittend an mich wenden!«
»Hüte dich,« sagte Claire, »ich entstamme nicht einem Blute, das sich lange ungestraft beleidigen läßt.«
»Und ich,« entgegnete die Herzogin, »ich trage einen Namen, der mich hoch über deinen Zorn stellt.«
»Ich werde über dein Benehmen mir gegenüber entscheiden lassen!«
»Wen?« fragte Athénaïs spottend.
»Die Welt.«
»Welche? Die deine, zu der ich mich erhoben, oder meine, zu der du hinabgestiegen bist?«
»Welche immer, in der es ehrenhafte Menschen gibt, denen es Pflicht ist, andere zu achten und die es als Recht erkennen, daß man sich selber Achtung verschafft. Vor denen, hörst du, werde ich laut wiederholen, was ich dir eben gesagt; ich werde dich öffentlich so kennzeichnen, wie du in Wahrheit bist, und wir werden sehen, ob der Name, den du trägst, so groß er auch sein mag, genügen wird, um deine Falschheit und die Niedrigkeit deiner Gesinnung zu verbergen.«
Die Herzogin wollte antworten, doch vergeblich suchte sie in ihrem wutgeschwellten Herzen nach Worten und ihren Lippen entfuhr nur ein dumpfes Pfeifen. Da sie nicht reden konnte, versuchte sie wenigstens durch eine beleidigende Gebärde ihren Zorn zu äußern. Doch sie sah sich Claire mit so mutigen Augen und in solch' drohender Haltung gegenüberstehen, daß sie Furcht bekam. Sie wich zurück und, ihre Stimme mäßigend, rief sie:
»Du suchst einen Skandal herbeizuführen?«
»Es ist ein Strafgericht, das ich vollführen will. Zum letztenmal, willst du mein Verlangen erfüllen?«
»Nein, hundertmal nein!« wiederholte Athénaïs, mit den Zahnen knirschend.
»Nun, so sollst du sehen!«
Von der Terrasse her vernahm man näherkommende Schritte und fröhliches Stimmengewirr drang durch die geöffneten Fenster in den Salon. Auf dem Perron erschien Philipp mit der Baronin am Arm; der Herzog, mit La Brède scherzend, folgte, und den Schluß bildete Herr Moulinet, der sich an den Baron gehängt hatte.
Als sie eintraten, sahen sie Athénaïs und Claire blaß und bebend einander gegenüber stehen. Die Haltung der beiden Frauen war so unverkennbar feindlich, daß alle höchst betroffen stehen blieben. Da trat Claire mit erhobener Stirne im Bewußtsein ihres guten Gewissens und stark durch den erlittenen Schmerz in die Mitte des Salons und, mit vernichtender Gebärde auf Athénaïs deutend, rief sie:
»Herzog, führen Sie Ihre Frau hinweg, wenn Sie nicht wollen, daß ich sie vor der ganzen Gesellschaft hinausjage!«
Bligny blieb ruhig und nur ein mattes Lächeln glitt über seine Lippen. Aber Moulinet, der seinen Ohren nicht traute, stürzte mit verstörtem Blick, mit gen Himmel erhobenen Armen vor:
»Hinausjagen, meine Tochter! Die Herzogin, meine Tochter!« wiederholte er mit Nachdruck, als hätte man in ihr den gesamten Adel Frankreichs beleidigt.
Athénaïs rief, sich an den Herzog wendend, mit durchdringender Stimme:
»Mein Herr, lassen Sie mich in dieser Weise beschimpfen, ohne mich zu verteidigen?«
Bligny trat zwei Schritte gegen Philipp hin und sagte mit unerschütterter Ruhe:
»Mein Herr, billigen Sie die Worte, welche Madame Derblay soeben an die Herzogin gerichtet, und sind Sie geneigt, dieselben zu entschuldigen, oder bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen?«
Das war höflich, bestimmt und schneidig wie ein Schwert.
Claire heftete einen angstvollen Blick auf ihren Gatten. Würde Philipp ihr Vorgehen mißbilligen oder laut ihre Partei ergreifen? Der bange Zweifel, der sie beschlich, verursachte ihr einen Augenblick lang mehr Schmerz als alles, was sie schon erduldet hatte.
Bei diesen Worten des Herzogs war der Hüttenbesitzer näher getreten, seine Gestalt richtete sich in ihrer ganzen männlichen Kraft in die Höhe, und er antwortete mit einem Ernst und einer Energie, welche alle Anwesenden erbeben machten:
»Herr Herzog, was auch Madame Derblay thun möge, welche Ursache sie auch dafür haben mag, ich halte alles, was sie thut, für recht gethan!«
Der Herzog grüßte mit unvergleichlicher Eleganz, wendete sich an La Brède, dem er einen Wink gab, und sagte:
»Abgemacht!«
Sodann der fassungslosen Athénaïs den Arm bietend, schritt er, von dem bestürzten Moulinet und dem getreuen La Brède begleitet, hinaus. Der letztere murmelte vor sich hin:
»Teufelsgeschichte! Zwei Cousins! Bligny ist der Beleidigte: er wird Pistolen wählen . . . der Hüttenbesitzer ist ein toter Mann! . . .«
Als Claire ihre Rivalin gedemütigt und besiegt abziehen sah, dachte sie nicht an die schrecklichen Folgen, die ihre kühne That nach sich ziehen sollte, sondern stieß einen triumphierenden Schrei aus, und mit leidenschaftlicher Dankbarkeit auf ihren Mann zuschreitend, sagte sie:
»O, meinen Dank, Philipp!« und sie wollte ihm die Hände reichen.
Doch augenblicklich sank ihr der Mut, als sie ihren Mann anblickte, der wieder ganz ruhig und kalt geworden war.
»Sie schulden mir keinen Dank,« sagte er; »indem ich Sie schützte, verteidigte ich meine Ehre.«
Und als Claire stumm und düster dastand, fuhr er fort:
»Vergessen Sie nicht, daß Sie Gäste haben und daß niemand ahnen darf, was hier vorgefallen.
Er reichte seinen Arm der Baronin, deren Nerven so erschüttert waren, daß sie Lust hatte, zu gleicher Zeit zu weinen und zu lachen. Claire trocknete eine Thräne, die über ihre Wange rollte; dann sagte sie mit traurigem Lächeln zu dem Baron, der an ihrer Seite geblieben war:
»Kommen Sie, es muß ja doch sein. Tanzen wir.«