Georges Ohnet
Der Hüttenbesitzer – Zweiter Band
Georges Ohnet

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Vierzehntes Kapitel

Das Rondel an den Teichen liegt an der Grenze der Waldungen von Pont-Avesnes und von Varenne. Mehrere Weiher, bedeckt mit Binsen und breitblätterigen Pflanzen, die ihre blinkenden Stengel wie ruhende Schlangen auf der Oberfläche des Wassers ausbreiten, ziehen sich in einer Ausdehnung von drei- bis vierhundert Meter hin und gaben dem Rondel seinen Namen. Die niedrigen Zweige der Eichen neigen sich, wie nach Erfrischung lechzend, zu denselben hinab und das alljährlich im Herbst abgefallene Laub bildet, in Fäulnis übergehend, längs der Ufer eine dichte Schlammschichte, in welcher sich jeden Morgen die Wildschweine vergnügt umherwälzen. Weißgestrichene Schranken, die sonst die Waldwege abschließen, umgeben heute eine Wegkreuzung von zweihundert Meter im Geviert, die mit dichtem, weichem samtartigem Rasen bedeckt ist.

Riesige Buchen mit grauweißlichem Stamme und dichtem Laubwerk verbreiten kühlenden Schatten über das Rondel. Die acht breiten Wege, welche in die Kreuzung münden, verlieren sich, mit rötlichem Heidekraut gesäumt, geradlinig in dem Dickicht des Gehölzes. Es ist dies ein stiller, geheimnisvoller Platz; die Sonne bestrahlt mit schimmerndem Glanze die von einer leichten Briese gekräuselten Gewässer, in denen sich der Azur des Himmels widerspiegelt; für eine Jagd im Walde eignet sich dieser Ort vorzüglich.

Die von den Hunden gehetzten Rehe flüchten ermüdet hierher, um in den Weihern die zitternden Beine zu erfrischen und trinkend neue Kraft aus denselben zu schöpfen, so daß ein Schütze, der am Ufer hinter einer der großen Eichen postiert ist, hier leicht die ersehnte Gelegenheit finden kann, zum Schuß zu kommen.

Herr Moulinet, als passionierter Liebhaber der schönen Natur, hat, von dem Reiz der Landschaft verführt, den Platz verunstaltet, indem er dort einen chinesischen Kiosk erbauen ließ.

In der Mitte des weiten Rondels bot eine im Freien aufgestellte Tafel, von Lakaien in Galalivree bedient, den Gästen der Herzogin alle die Erfrischungen, welche vor Beginn eines langen Rittes erwünscht sind. Seit einer Stunde schon durcheilt La Brède, begleitet von seinem getreuen Du Tremblays, das Gehölz, um kleine Papierschnitzel, welche im voraus die Fährte bezeichnen sollen, umherzustreuen, die Wege zu verrammeln, die Hindernisse zu verdoppeln und zu gleicher Zeit die falsche Spur mit peinlicher Gewissenhaftigkeit zu bezeichnen.

Auf allen Wegen, die zum Rondel führen, kamen die Reiter, die Amazonen, die Breaks und die Kutschen herbei. Die hellen Toiletten der Damen, von buntfarbigen Sonnenschirmen beschützt, die blauen Dolmans und die roten Hosen der Husaren bildeten farbige Punkte auf dem düsteren Grün der Bäume; die Pferde, die von Wächtern mit runden Kappen und grünen Röcken am Zügel gehalten wurden, streckten die lüsterne Zunge auf den mit frischen Kräutern bedeckten Boden hinab, die Steigbügel klangen aneinanderstoßend und lautes Wiehern erscholl. Die Pfropfen der Champagnerflaschen knallten lustig und ließen den Schaum in die Gläser strömen.

Von ihrer schwarzen Amazone eng umschlossen, in der fein behandschuhten Rechten eine Reitgerte schwingend, deren Knopf ein großes Katzenauge schmückte, machte Athénaïs mit Heiterkeit, Ungezwungenheit und überraschender Anmut den Ankommenden die Honneurs des Waldes.

Auf den Kissen der großen Reisekutsche des Herzogs saßen längs der mit Rasen bekleideten Böschung die Damen. Moulinet in blauem Frack und perlgrauen Handschuhen wich nicht von der Seite des Barons, den er mit seiner aufdringlichen Zuneigung quälte. Der Herzog trug das englische Jagdkostüm: roten Rock, weißlederne Beinkleider, schwarzsamtene Kappe, hinten mit einem grünen Knoten geschmückt: es waren seine Wappenfarben, sein Schild mit grünem Felde.

Philipp war wie gewöhnlich schwarz gekleidet, nur trug er Beinkleider aus grauem Samt, die in gleichfarbigen Gamaschen steckten.

Claire und die Baronin trugen gleiche Reitkostüme von dunkelblauem Tuche und runde, mit einer schwarzen Feder geschmückte Hüte. Sie sahen beide entzückend aus: Frau v. Préfont, mit ihrer zierlichen Taille elegant, Claire prächtig mit ihrem hohen schlanken Wuchse, den schönen Schultern und den herrlichen Formen, die in dem einfachen schmucklosen Kleid vorzüglich zur Geltung kamen.

Susanne, welche von Octave bedient wurde, tauchte ein Biskuit in ein Glas Malaga und ließ dabei Philipp nicht aus den Augen, der sorgfältig den Sattelgurt ihres Ponny fester schnallte und aufmerksam dessen Kinnkette prüfte, während Herr Bachelin, langsam sein Pferd ausspannend, demselben mit Hilfe eines Dieners den Sattel auflegte, den er in seinem Kabriolett mitgebracht. Die Sonne vergoldete das Gehölz und übergoß mit strahlendem Lichte das glänzende Bild. Die Luft war frisch und klar und alles atmete wonnige Lebensfreude.

»Herr Derblay!« . . . rief plötzlich Athénaïs und ließ den sehnlichst erwarteten Präfekten stehen, mit dem sie gerade plauderte.

Und als Philipp ruhig zu ihr trat, sagte sie: »Halten Sie es nicht für angezeigt, uns auf den Weg zu machen? Es ist mindestens schon eine Stunde verstrichen, seitdem die Herren mit ihren Papierschnitzeln fortgeritten sind und wenn sie nur ein wenig flink waren, werden wir tüchtig galoppieren müssen, um sie einzuholen.«

»Mein Gott, Madame,« erwiderte Philipp, »ich muß gestehen, daß ich mit dieser Art des Jagens wenig vertraut bin. Wollen Sie sich nicht lieber an Pontac wenden, der in seiner Eigenschaft als Jägermeister besser Bescheid wissen wird?«

Und dabei wies Philipp mit einer Handbewegung auf einen großen jungen Mann in silberbetreßtem Jägerkostüme von reinstem Stil, mit dem dreispitzigen Hute auf dem Kopfe, das Jagdmesser an der Seite und das Hifthorn an der Schulter. Als hätte er bloß auf die Gelegenheit, sich vorzustellen, gewartet, trat der Vicomte v. Pontac in die Mitte des Rondels, und indem er sich mit englischer Steifheit vor Frau v. Bligny verbeugte, sagte er:

»Frau Herzogin, ich stehe zu Ihren Diensten. Wenn Sie mir die Führung der Jagd anvertrauen wollen, erbiete ich mich, vor Ablauf von zwei Stunden die Herren La Brède und Du Tremblays erjagt zu haben. Wünschen Sie, daß wir das Signal zum Aufbruch geben? Dort ist mein Piqueur . . . Ho! Ho! Bistoque!«

Ein großer, stämmiger Junge in galoniertem Wams, mit rötlich-gelben Gamaschen und einer roten Nase, die inmitten seines lederartigen Gesichtes funkelte wie eine Erdbeere auf gelber Erde, trat aus der Gruppe der Bedienten heraus, das Bein nachschleppend und einen dürren, schlecht gestriegelten Klepper am Zügel hinter sich herziehend. Einige Schritte von Pontac entfernt blieb er stehen, legte in soldatischer Art die Hand an den Schild seiner Kappe und wartete, daß man ihm seinen Rapport abverlange.

»Befehlen Sie, daß ich ihn befrage?« sagte der Vicomte zur Herzogin.

»O, gewiß,« antwortete Athénaïs, entzückt von dem Ceremoniel des Vorganges.

»Schau sie dir doch gut an, meine Liebe,« flüsterte die Baronin mit halblauter Stimme, »sie gibt sich das Ansehen einer Königin! Und Pontac, wie ernsthaft der seine Rolle nimmt! All dies, um hinter kleinen Papierschnitzeln herzurennen. O, wie lustig!«

»Bei la Héronnière beginnt die Jagd,« sagte Bistoque, »denn da ist der Anfang der Fährte. Es liegt nämlich ein Blatt Papier dort, so groß wie meine Hand. Sonst keine Spur, keine geknickten Zweige, nichts weiter! Die Herren fürchteten sicherlich, daß man sie zu leicht finden könnte! . . . Sie hätten gleich eine ganze Zeitung hinlegen können . . . Das Wild,« entschuldigen Sie, »die Herren gaben sich den Anschein, als setzten sie ihren Weg durch den Hochwald fort, sie haben jedoch die Straße übersprungen, sich dann zur Ebene gewendet, sind bei Belle-Empleuse in den Wald zurückgekehrt, und dann zu Fuß an der Hecke weiter gegangen, sind dann auf der Gegenspur nach la Boulottière . . .«

»Halt!« fiel Herr von Pontac lachend ein, »wenn man ihn gehen läßt, wird er uns noch die ganze Jagdroute mitteilen.«

»Wohl möglich,« versetzte der Piqueur, mit den Augen zwinkernd. »Man muß nicht glauben, daß ein gewöhnlicher Mensch so leicht den Hirschen nachahmen kann. Dazu gehört mehr als Brotessen,« fügte er mit possierlicher Miene hinzu. Die Herzogin brach in Lachen aus und sich an Pontac wendend:

»Wie komisch ist doch dieser Bursche,« rief sie; »Papa, gib doch dem guten Jungen einen Louisdor. Gegen eine solche Spürnase werden La Brède und Du Tremblays sich sehr anstrengen müssen, um nicht bald gefangen zu werden, . . .«

»Ein baldiges Halali!« sagte Pontac, ». . . Frau Herzogin, soll man zum Aufbruch blasen?«

»Blasen Sie, Vicomte.«

Pontac stellte sich, seine Trompete mit der linken Hand umwendend, in die Mitte des Plateaus und die Backen weit aufblasend, als ob er alle Bäume des Waldes niederstürzen wollte, sandte er dem Echo die schmetternden Töne einer Fanfare entgegen.

»Mein Kompliment, Herr Vicomte,« sagte die Herzogin, »Sie besitzen ein auffallendes Talent!«

»Das ist in unserer Familie erblich,« entgegnete Pontac mit träumerischem Ernste. »Vom Vater auf den Sohn blasen wir seit drei Jahrhunderten die Trompete.« Und mit der Miene eines überlegenen Mannes schritt der Vicomte auf sein Reitpferd zu.

Im Nu geriet die ganze Gesellschaft in Bewegung; die Reiter setzten den Fuß in den Steigbügel, die Neugierigen, die zu Wagen folgen wollten, nahmen auf den Kissen der Fuhrwerke aller Art Platz und in allgemeiner Begeisterung zog die ganze Masse der Anwesenden in die Alleen, welche an la Héronnière grenzten. Die dumpfen Hufschläge der Pferde, die im Galopp über den bemoosten Weg dahinsprengten, verloren sich in der Ferne, während Bistoque, der die Jäger führte, beim scharfen Trabe seines Kleppers das freudige Signal zum Anfang der Jagd erschallen ließ.

»Herr Derblay,« sagte die Herzogin mit süßem Lächeln, »wollen Sie, da Sie das Terrain so gut kennen, nicht die Liebenswürdigkeit haben, mein Führer zu sein? Lassen wir das Gros der Jagd fortreiten. Sie haben ein mutiges Tier, ich ebenfalls, wir wollen quer den Wald durchschneiden und auf diese Weise einen großen Vorsprung gewinnen.

»Aber Frau Herzogin, haben Sie nicht Pontac, der Sie besser führen kann als ich?« sagte Philipp.

»Nein,« entgegnete lustig die Herzogin, »ich wünsche, daß Sie es thun, wofern Sie es mir nicht abschlagen. Aber ich glaube nicht, daß Sie dessen fähig wären . . .«

Der Hüttenbesitzer verbeugte sich, ohne etwas zu erwidern. Claire, die in der Nähe stand und zornbebend den kühnen Lockruf der Herzogin mit angehört hatte, traten Thränen des Schmerzes in die Augen und ohne es zu wissen, preßte sie konvulsivisch den Arm der bestürzten Baronin.

»Du reitest mit uns, nicht wahr?« sagte alsdann die Herzogin, sich an Claire wendend.

Die junge Frau senkte das schöne verdüsterte Antlitz und antwortete mit ruhiger Stimme:

»Nein, ich habe meinen Kräften zu viel zugemutet als ich dachte, die Jagd zu Pferde begleiten zu können. Ich werde mit dem Wagen folgen.«

Dabei warf Claire ihrem Manne einen leidenden Blick zu, der ihn zu bitten schien, sie nicht zu verlassen.

»Ist es dir etwa unangenehm, wenn ich dir deinen Mann entführe?« fragte die Herzogin mit falscher Sorglichkeit und fügte lachend hinzu: »Wärest du gar ein wenig eifersüchtig?«

»Nein,« antwortete Claire, die ihre Ohnmacht und ihren Schmerz nicht gestehen durfte.

»Nun, denn, zu Pferde!« rief Athénaïs fröhlich aus, begierig, den Sieg zu vollenden.

Claire sah mit gepreßtem Herzen ihren Mann sich entfernen: einen Augenblick lang dachte sie, ihn zu rufen, ihn zurückzuhalten. Sie rief: »Philipp!« Der Hüttenbesitzer wendete sich rasch um, und zu ihr zurückkehrend, fragte er: »Was haben Sie? Sind Sie vielleicht unwohl? Wünschen Sie etwas?«

Hätte Claire nur ein Wort gesprochen, ihr Mann wäre gewiß bei ihr geblieben und vielleicht wäre ihr viel Leid dadurch erspart worden. Doch der Stolz, der noch immer mächtiger war als die Liebe, hielt das bittende Wort auf Claires Lippen zurück. Sie schüttelte verneinend den Kopf und mit kalter Miene und verächtlicher Gebärde sagte sie:

»Nein, ich habe nichts, ich will nichts! Gehen Sie nur!« Philipp entfernte sich und einen Augenblick dehnte Claire den stets wachsenden Haß, den sie gegen Athénaïs empfand, auch auf ihn aus. Sie wurde von einem jener Zornanfälle ergriffen, in denen man einen Mord begehen kann.

Die Herzogin hatte ihr Kleid etwas in die Höhe gehoben, so daß einer ihrer feinen und eleganten in hirschlederne Stiefelchen gepreßten Füßchen, das sie auf den Rand des Grabens setzte, sichtbar wurde, und zeigte Herrn Derblay den Riemen ihres Sporns, der sich gelöst hatte. Der Hüttenbesitzer bückte sich und befestigte auf der leichten Wölbung des Fußes den ledernen, mit Stahlringen geschmückten Riemen und schloß die an der Ferse befindliche Schnalle. Kühn und herausfordernd berührte die Herzogin mit dem Knopfe ihrer Peitsche die Schulter Philipps, wie um ihre Macht zu beweisen.

»Oh, was soll denn das heißen?« murmelte die Baronin. Doch als sie dabei auf ihre Freundin blickte und dieselbe so bleich und zitternd sah, wagte sie nicht, ihre Frage fortzusetzen.

Von Philipps starken Armen emporgehoben, hatte sich die Herzogin in den Sattel geschwungen. Sie erfaßte die Zügel, winkte ihrer vernichteten Rivalin mit stolzer Gebärde zu, und ihr Pferd in Galopp setzend, ließ sie es mit einem Sprunge den Graben nehmen, der die Wegkreuzung vom Hochwalde trennte. Philipp folgte und einen Augenblick später verloren sich ihre Schatten im Dickicht des Waldes.

»Wünschen Sie, daß ich Ihnen Gesellschaft leiste?« flüsterte eine sanfte Stimme neben Claire, die regungslos, vernichtet den beiden Reitern nachstarrte, als ob diese ihr ganzes Lebensglück mit sich hinwegführten. Die junge Frau drehte sich um. Der Herzog stand neben ihr. Sie erstickte einen Schreckensruf und ihre Handschuhe hastig ausziehend, antwortete sie mit ernster Stirn und gesenktem Blick:

»Lassen Sie mich, ich will allein bleiben.« Und den Arm der Baronin nehmend, stieg sie mit ihr zu den Weihern hinauf, während der Herzog zu Pferde die Richtung einschlug, welche die Jagdgesellschaft genommen und die ihm ferner Hörnerschall anzeigte.

Octave und Susanne wandelten, unbekümmert um die Jagd, plaudernd auf dem grünen Waldpfade dahin. Ihre beiden Pferde waren an einem Baum festgebunden und rieben liebkosend die Hälse aneinander oder rissen mit ihrem von dem Stahlgebiß versperrten Mäulern heftig an den Schößlingen der Zweige. Der Baron, sich selbst überlassen, zerklopfte mit einem kleinen Hammer Muster von Gestein, das er am Wege aufgelesen hatte.

Die beiden Frauen gelangten, ohne zu sprechen, in den Kiosk und ließen sich auf eine der Bänke nieder, welche denselben umgaben. Tiefe Stille, die dem Lärm und der Bewegung gefolgt war, lagerte über dem Walde. Eine leichte Brise bewegte das Schilfrohr, über welchem schimmernd in ihrem schwankenden Fluge Libellen hinstrichen. Die Baronin betrachtete ihre Freundin aufmerksam. Claire hatte ihre Selbstbeherrschung wieder gewonnen, nur ein leichtes Beben ihrer Lippen offenbarte die noch fortdauernde Erregung ihrer Nerven. Sie befürchtete, von der Baronin erraten worden zu sein und wendete die Blicke von ihr weg, mit gleichgültiger Miene den Sand zu ihren Füßen anstarrend.

»Mein Gott, was hat dies alles zu bedeuten?« rief die Baronin aus, unfähig länger an sich zu halten. »Ich komme bei euch an in dem Glauben, die Leute in biblischer Ruhe anzutreffen und statt dessen gerate ich mitten in Zerwürfnisse und Wirren hinein. Dein Gemahl galoppiert mit Athénaïs davon und der Herzog bietet dir demütig seine Gesellschaft an . . .«

»Wie bei einer Quadrille,« sagte Claire nervös lachend; »man wechselt die Damen.«

Die Baronin wurde ernst und ergriff die Hand ihrer Cousine.

»Warum willst du mich täuschen? Hältst du mich für so einfältig, daß ich nicht begreifen könne, was in Dir vorgeht? Claire, du bist nicht glücklich!«

»Ich! Wie sollte ich es nicht sein? Ich lebe inmitten von Luxus und Zerstreuungen, habe eine Familie, die mich liebt, bin von Freunden umgeben, mein Mann läßt mir meine Freiheit . . . Du siehst, ich besitze alles, was ich einstens wünschte. Wie sollte ich nun nicht glücklich sein?«

»Aber, mein armes Kind, das, was du einst gewünscht, bringt dich heute zur Verzweiflung. Dein Gatte läßt dir Freiheit, doch auch er hat die seinige in Anspruch genommen; und wenn du ihn nun neben einer andern siehst, so blutet dir das Herz. Aus Stolz möchtest du es leugnen, doch dein Schmerz verrät dich! Nein, du bist nicht glücklich! Du kannst es nicht sein, denn du bist eifersüchtig!«

»Ich!« rief Claire erregt aus.

Sie brach in schmerzliches Lachen aus, das mit einem Schluchzen endigte, ihre Augen füllten sich mit Thränen und, mit schamrotem Antlitz ihrer Freundin in die Arme sinkend, begann sie bitterlich zu weinen.

Die Baronin ließ schweigend das von Trübsal erfüllte Herz sich erleichtern und erst als sich Claire beruhigt hatte, entriß sie ihr das Geheimnis ihres Bruches mit Philipp.

Die junge Frau war tief betroffen. Sie begriff die Qualen, welche Claire erdulden mußte, und ahnte diejenigen, welche der Hüttenbesitzer ertrug. Sie erriet das Entsetzliche des Kontrastes, der zwischen der äußeren Existenz dieser beiden Wesen und ihrem inneren Leben bestand. Aeußerlich der Schein der Heiterkeit und des guten Einvernehmens, im Innern Kälte, Schweigen und Einsamkeit. Vor der Welt spielten die beiden Unglücklichen eine Komödie und sie waren gezwungen, sie gut zu spielen. Von nun an hatte die Baronin nur noch den einen Gedanken: die Versöhnung der beiden Gatten herbeizuführen, die durch eine beklagenswerte Thorheit von einander getrennt waren, und zu diesem Zwecke wollte sie die Gedanken Claires völlig ergründen.

»Aber als dein Gatte dich mit soviel Hingebung gepflegt,« begann sie, »kam es dir gar nicht in den Sinn, dich ihm zu nähern und zu versuchen, die gelösten Bande wieder anzuknüpfen?«

»Ja,« antwortete Claire errötend. »Ich weiß nicht, was in mir vorging, ich fühlte mich nicht mehr dieselbe. War's Dankbarkeit oder eine gerechtere Würdigung seines Charakters, was mich zu ihm zog, genug, wenn er nicht anwesend war, suchte ich ihn unwillkürlich; sobald er jedoch neben mir weilte, schaute ich ihn gar nicht an und dennoch sah ich ihn. Er war stets so ernst, so traurig, daß ich nicht wagte, mit ihm zu sprechen. Oh, wenn er mich ermutigt hätte!«

»Er that es nicht?«

»Nein, er ist ebenso stolz als ich und viel entschlossener. Ach, es ist nichts zu hoffen, und wir sind für immer geschieden.«

»Uebrigens scheint er mit seinem Los ganz zufrieden und unsere schöne, kleine Herzogin Moulinet . . .«

»Beschuldige Philipp nicht,« fiel ihr Claire lebhaft ins Wort. – »Sie ist es, die sich ihm unverschämterweise an den Hals wirft. – Sie verfolgt mich unablässig. Nach meinem Verlobten meinen Gatten! Welch ein Triumph, nicht wahr? Und wie ihn ihr entreißen? Was thun, um mich zu verteidigen? Habe ich übrigens ein Recht auf ihn? Gehört er denn mir?«

»Ei freilich, jedenfalls ein wenig mehr dir, als ihr!«

»O! Aber sie soll sich in acht nehmen,« rief Claire heftig werdend aus. »Ich habe durch sie schon zu viel gelitten. Auch die langmütigste Geduld hat ihre Grenzen, und wenn sie mich zwingt, dieselben zu überschreiten, weiß ich nicht, wozu sie mich bringen kann; aber es wird jedenfalls eine Thorheit sein, welche die eine oder die andere ins Verderben stürzen wird.«

»Da haben wir's! beruhige dich nur, meine Schöne. Jetzt spiele ich auch mit und ich bürge dir, daß wir mit der reizenden Athénaïs fertig werden. Sie gehört zu den Kipperern, siehst du! Das hat sie von ihrer Familie. Ihr Vater legte einst die Hand auf alle Zuckervorräte. Ihre Specialität sind die Ehemänner. Sie will sie alle haben. Mein Gott! wenn sie es sich nur in den Kopf setzen wollte, den Baron zu verführen. Wie mich das amüsieren würde!«

Bei diesen Worten wies die Baronin auf den guten Préfont, der sich die Zeit des Wartens damit vertrieb, kleine Kieselsteine zu sammeln, mit denen er sich die Taschen vollstopfte. Claire konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, denn das Bild Philipps erschien vor ihren Augen; er war kein fügsamer, geduldiger Diener, er war ein gebieterischer, strenger Herr.

»Die Lage ist sehr ernst, man darf es sich nicht verhehlen,« fing die Baronin wieder an. »Könnte man sich erklären, wäre eine Verständigung äußerst leicht; doch indem man spricht, setzt man sich einer möglichen Zurückweisung aus und dann gute Nacht. Dann ist alles aus . . . Man muß also diplomatisch zu Werke gehen. Nichts wird mich übrigens von dem Gedanken abbringen, daß dein Gatte dich anbetet, es jedoch nicht merken lassen will. Männer, wie er, lieben nur einmal und das fürs ganze Leben. Hast du Herrn Derblay schon genau betrachtet? Er hat einen Kopf, um Mauern damit durchbrechen zu können. Einen solchen Charakter kannst du nur entwaffnen, indem du dich vor ihm demütigst.«

»O ich würde nicht zaudern es zu thun. Nichts würde mir zu schwer fallen, ihn mir wieder zu erobern. Aber wird er in diesem Schritte nicht bloß eine neue Laune erblicken?«

»Man muß also eine günstige Gelegenheit abwarten, um zu siegen,« erwiderte die Baronin. »Und wenn sie sich nicht selbst darbietet, so wollen wir eine herbeiführen . . . Aber ums Himmels willen, zeige doch keine so düstere und verzweifelte Miene, du würdest unserer teuren Freundin damit zu viel Freude machen. Erinnere dich, daß du vor der Welt glücklich bist, und gib dir solange den Anschein des Glücks, bis du es in Wahrheit besitzen wirst.«

Claire stieß einen Seufzer aus. Sie, die ehemals unbezähmbar alle Hindernisse bewältigen zu können glaubte, zweifelte nun an ihrer Macht und mißtraute ihrer Willenskraft.

»Es scheint, daß wir seit einer halben Stunde in gar zu ernsthafter Weise plaudern,« sagte die Baronin, »diese eheliche Psychologie hat mir den Kopf ganz schwer gemacht. Wenn du mitkommen willst, so galoppieren wir ein wenig. Und dann möchte ich auch gerne wissen, was unsere schöne, kleine Herzogin Moulinet mit deinem Manne macht. – Kommst du mit?«

»Nein,« erwiderte Claire, »ich bin müde, ich werde hier bleiben. Mein Bruder und Susanne, die auch keine Lust zu haben scheinen, der Jagd zu folgen, werden mir Gesellschaft leisten.«

Oktave und Susanne, die langsamen Schrittes zurückkehrten, sprachen nicht mehr miteinander und der Marquis war etwas ernster als gewöhnlich, während Susanne mit gesenktem Kopf lächelte wie über einen glücklichen Gedanken. So gelangten sie zu dem Platze, wo ihre Pferde standen, und der junge Mann machte die Zügel vom Baume los, indem er zu Susanne gewendet, sprach:

»Erlauben Sie, daß ich es meiner Schwester sage?« Susanne neigte das schöne Haupt zum Zeichen des Einverständnisses und erwiderte:

»Sprechen Sie mit ihr, ich wünsche es. Sie wissen, wie sehr sie uns liebt. Sie wird darüber glücklich sein.«

»So reiten Sie denn mit dem Baron und der Baronin fort, während ich bei Claire bleiben und ihr unser Geheimnis anvertrauen will.«

Und indem er Susannen seine beiden Hände gekreuzt darbot, in welche sie ihren kleinen Fuß setzte, half er ihr in den Sattel. Das junge Mädchen schlug die Augen auf und sah Octave etwas länger, als vielleicht nötig war, an, wechselte mit ihm einen Händedruck, durch welchen sie alles andeutete, was auszusprechen sie nicht wagte und hierauf, den Hals ihres Pferdes mit der Reitgerte berührend, war sie mit einem Satze mitten im Rondel. Fern im Walde erscholl das Jagdhorn, dem verfolgten La Brède und Du Tremblays Flügel leihend.

»Vorwärts, Baron, zu Pferde!« sagte Frau v. Préfont zu ihrem Manne.

»Ich stehe zu Ihren Diensten, meine liebe Freundin,« erwiderte der liebenswürdige Mensch, sich der Betrachtung seiner Mineralien entreißend. »Sonderbar, denken Sie nur, daß es mich gar nicht wundernähme, wenn dieses Gestein alaunhaltig wäre. Ich muß mit Herrn Derblay darüber sprechen. Man könnte vielleicht den Alaunhütten Italiens Konkurrenz machen. Das wäre ein gutes Geschäft.«

»Ja, mein lieber Baron, ja,« sagte die junge Frau mit plötzlicher Rührung, »Sie sind ein Engel, und was noch mehr ist, ein gelehrter Engel! Da, küssen Sie meine Hand!«

»Mit Vergnügen,« sagte der Baron, und ohne etwas von seiner schönen Ruhe zu verlieren, führte er die feine Hand seiner Frau an die Lippen. Die Baronin ließ ihr Pferd steigen, grüßte mit der Hand Claire und Octave und wendete sich an Susanne.

»Ah, Sie sind da, Susanne? . . . Also vorwärts.« Und von ihrem Manne und dem jungen Mädchen begleitet, sprengte sie im schärfsten Trabe davon.

Während Octave und Claire den Reitern nachblickten, verstrich ein Augenblick des Schweigens. Der junge Mann war ernst und gesammelt, etwas bedrückt und aufgeregt durch das Geständnis, das er zu machen beabsichtigte, während die junge Frau noch immer an die Worte der Baronin dachte und mit peinlicher Unruhe alle Chancen ihres schwierigen Unternehmens erwog. Die Stimme ihres Bruders weckte sie aus ihrem Sinnen.

»Claire,« fing Octave an, »ich habe dir eine große Neuigkeit mitzuteilen.«

Und als seine Schwester ihn überrascht und fragend anblickte, fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu:

»Susanne und ich lieben einander.«

Das melancholische Antlitz Claires erhellte sich, wie wenn plötzlich ein Sonnenstrahl den bewölkten Himmel durchbricht. Sie reichte ihm beide Hände, zog ihn lebhaft an sich und ließ ihn an ihrer Seite niedersitzen, mit köstlicher Erregung, gespanntem Geiste, begierig, alles zu erfahren, und die günstige Gelegenheit nahe fühlend, welche ihr die Annäherung an Philipp erleichtern sollte. Und hier, in der Stille des Waldes, erzählte ihr Octave mit Entzücken den so einfachen und doch schon ziemlich lange währenden Roman dieser beiden jungen Herzen, die sich allmählich eines des andern bemächtigt hatten. Zarte, treuherzige Liebe, voll reiner Begeisterung, still erblüht, ohne Zwang und ohne Kunst, wie schöne Blumen unter einem milden, blauen Himmel!

»Du hast so großen Einfluß auf Philipp,« sagte der Marquis zu seiner Schwester, »sprich mit ihm und bestimme ihn, daß er mir Susanne gibt. Er kennt seit langem schon meine Grundsätze, er weiß, daß ich den Vorzug der Geburt für nichts erachte und daß ich mir selbst eine Stellung gründen will. Sei beredt, suche ihn zu überzeugen, denn du hältst mein Glück in deinen Händen.«

Claire wurde plötzlich wieder ernst. Dieser Einfluß, den ihr Bruder ihr zuschrieb, sie besaß ihn nicht. Noch niemals seit jener Unglücksnacht, die zum Ausgangspunkt so vieler Leiden geworden, hatte sie mit Philipp ein ernsthaftes Wort gewechselt; sie unterhielten sich stets von gleichgültigen Dingen. Und nun sollte sie ohne jede Vorbereitung, ohne jede Ermutigung mit ihm über einen so wichtigen Gegenstand sprechen. Sie zögerte indessen nicht, denn ihr Vertrauen war wiedergekehrt und mit ihm eine Vorahnung von Glück.

Durch Claires Schweigen beunruhigt, war Octave, wie alle Verliebten, gleich dabei, Schwierigkeiten zu wittern und rief:

»Du weigerst dich doch etwa nicht, mein Anliegen vorzubringen?«

»Nein, gewiß nicht,« erwiderte die junge Frau mit tapferem Lächeln, »sei ruhig, ich werde deine Sache führen, als wäre sie die meinige.«

»O, wie danke ich dir!« sagte Octave und seine Schwester umfassend, drückte er sie zärtlich an sein Herz.

»Ist das mein Honorar?« sagte sie mit einer Heiterkeit, wie man seit langem nicht mehr an ihr bemerkt hatte. »Man sieht, daß du Vertrauen hast, du bezahlst im voraus. Eile nun Susannen nach, da du dein Verbrechen gestanden hast. Du weißt, daß ich die Einsamkeit nicht fürchte, und schließlich muß ich auch über das, was du mir eben gesagt hast, nachdenken.«

Der junge Mann eilte zu seinem Pferde und war mit einem Satze im Sattel; er warf seiner Schwester, die ihn lächelnd anblickte, eine Kußhand zu und ritt fort mit dem feurigen Ungestüm eines Mannes, der sicher ist, diejenige auf seinem Wege zu finden, die er liebt.



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