Frank Norris
Der Ozean ruft
Frank Norris

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel

Moran Sternersen

Wieder San Franziskol

Zwei Tage lang hatte die »Bertha Miliner« bei ihrer Fahrt entlang der Küste gegen heftigen Nordwind und hohe See angekämpft.

Die Wärme, die Ruhe, – die einschläfernde Stille der Magdalena-Bai, über welcher das goldene Auge eines tropischen Himmels strahlte, die helle Bai mit ihren Luftspiegelungen am Morgen und ihrem prachtvollen Sonnenuntergang, dem wunderbaren Geheimnis der purpurnen Nacht mit den funkelnden Sternen und dem leuchtenden Mond – war nun vom brüllenden Sturm abgelöst worden, der große Brecher gegen die Küste hetzte.

Eine Unmenge grauer Seen schwemmte am Schoner entlang, brach sich auch zuweilen, das Schiff mit weißem Gischt umrauschend, das Deck mit gewaltigen Spritzern übersprühend.

Es war sehr kalt geworden, stellenweise lagerte dicker Nebel über dem Wasser.

Im Osten wanderte eine kahle Bergkette allmählich gegen Süden, man passierte Leuchttürme, am westlichen Horizont kündeten Rauchfahnen die Wege der großen Dampfer, hin und wieder begegneten sie einem riesigen Kap Horner, einem großen Viermaster, der, alle Segel aufgesetzt, ruhig und hoheitsvoll durch die Wellen, die den Schoner tanzen ließen, glitt.

Endlich tauchten im Norden die Farallonen auf, dann kamen sie an der Signaltonne vorbei, an den Seal Rocks und Point Reyes, bis es schließlich durch das »Goldene Tor« nach Lime Point ging.

Am Mittag eines dieser grauen, stürmischen Tage, bei heftigem Wind und kalten Regenschauern, ging die »Bertha Millner« in der San-Franzisko-Bai, wenige hundert Meter von der Rettungsstation entfernt, vor Anker.

Seit ihrer Ausfahrt waren genau fünf Monate vergangen. Vom Ankerplatz zur Stadt und zum Hafen waren noch drei bis vier Seemeilen.

Aber Moran scheute eine nähere Berührung mit der Zivilisation und Wilbur wollte zumindest noch für einen Tag die Aufregung hinausschieben, die die Heimkehr der »Bertha Millner« bestimmt auslösen würde.

Zudem dachte er an die hunderttausend Dollar, die sich auf dem kleinen Schiff befanden.

Bevor sie nicht sicher gelandet und unter Dach waren, fand er es nicht erstrebenswert, daß ihre Anwesenheit im Hafen bekannt würde.

So viele Tage und Wochen hatte Wilbur Sehnsucht nach seiner Rückkehr gehabt.

Er hatte sich im Geiste schon in seinen alten Lokalen, in seinem Klub, in den Häusern in der Pazifik-Avenue, wo er oft verkehrte, gesehen.

Als aber die Ankerkette der »Bertha Millner« nun herunterrasselte, wandelte sich sein Gefühl auf einmal wieder.

Der neue Mensch, der so jäh in ihm zum Leben erwacht war, Wilbur, der Maat auf der »Bertha Millner«, der Moran gehörte, glaubte nunmehr, daß ihm das Leben in der Stadt nichts mehr bieten könne. Ihn zog es mit mächtiger Sehnsucht nach dem schwankenden Deck des Schoners, nach den gewaltigen Stürmen, dem unendlichen Ozean und dem weiten Horizont, der ewig vor dem folgenden Bug des Schiffes zurückwich

So sagte er sich's und glaubte auch daran.

Was sollte ihm die Stadt an Freuden, an Vergnügungen bieten? Er hatte das geregelte, bürgerliche Dasein über Bord geworfen.

Er hatte nun das romantische Leben kennengelernt und große, schlichte, aber echte Gefühle erlebt, er hatte mit Piraten gekämpft, und gesehen, wie starke, zügellose Leidenschaft aufloderte, er konnte empfinden, wie der Tod gleich einem kalten Lufthauch an ihm vorbeistrich.

Sein früheres Leben, das Leben in der Stadt, bot ihm keinen Anreiz mehr.

Wilbur hatte die feste Überzeugung, daß er bis in den tiefsten Grund seiner Seele völlig verändert war.

Er glaubte, daß er gleich Moran ein Seemann sein werde und den Rest seines Lebens zusammen mit ihr auf dem kleinen, treuen Schoner verbringen würde.

Die ganze Welt würde ihnen gehören, die Länder und die Meere, niemand konnte ihnen befehlen.

Wenn sie nur erst wieder draußen wären! Alle die Städte mit ihren nichtigen Dingen mußten weit hinter ihnen bleiben! Sie würden beide wieder allein, allein inmitten der großen Welt der Romantik sein.

Eine Stunde nach Ihrer Ankunft bei der Hafenstation sagte Moran tu Wilbur als Hoang und die Chinesen die Segel einrollten und das Boot hinausließen:

»Es ist gut, daß wir schon da sind, das Glas fällt schnell, der Wind frischt von Westen her auf, es gibt Sturm, bald wird das Wasser ausfluten, wir wären niemals gegen Strom und Wind gelandet.«

»Moran, ich geh' an Land«, sagte Wilbur, »dort zur Station, die haben gewiß ein Telephon, da, sieh die Drähte! Ich bin außerstande, etwas zu unternehmen, ehe ich nicht neue Kleider habe. Was glaubst du, was man mit mir tun würde, wenn ich in Kearney Street in so einem Aufzüge erscheinen würde. Ich will Langley & Michaels anrufen, es ist die Großhandlung für Drogen hier, damit sie einen Vertreter herschicken, der mit uns über den Ankauf des Ambra verhandeln kann. Wir müssen den Kulis noch das versprochene Geld auszahlen. Sobald wir dann unser Geld haben, können wir an die Ausrüstung unserer ›Bertha Miliner‹ gehen.«

Moran wollte ihn nicht in die Rettungsstation begleiten, sie hatte eine Abneigung gegen Häuser mit Dächern, sie fühlte sich schon beim Anblick des noch entfernten San Franzisko wenig behaglich, die vielen Straßen und Häuser, selbst der vom Lande umschlossene Hafen war ihr zuwider.

Als Wilbur ihr das Palasthotel gezeigt hatte, das in der Ferne als großer, grauer Block schattete, hoch über die anderen Dächer ragend, hatte sie einen leisen Fluch hören lassen.

»Da können Menschen leben? Gott im Himmel! Warum nicht gleich in Kaninchenlöchern? Maat, wann können wir wieder in See gehen? Ich hasse diese Stadt!«

Wilbur fand den Kapitän der Station gerade beim Essen, es gab Rindfleisch mit Kohl.

Der Mann war groß und stark, dem Äußeren nach glich er eher einem Soldaten, denn einem Seemann.

Er hatte den Schoner bereits durch sein Fenster erblickt und auch erkannt. Sogleich fragte er nach Kapitän Kitchell.

Wilbur berichtete von seiner Fahrt, soviel er für nötig hielt, doch entnahm er aus den Worten des Kapitäns, daß seine Rückkehr bereits von Coronado aus depeschiert worden war: somit war es ausgeschlossen, der allgemeinen Neugierde zu entgehen.

Hodgson, so hieß der Kapitän, hieß Wilbur herzlich willkommen, er bestand darauf, daß er mit ihm speise, und nach dem Mahle rief er selbst Longley & Michaels an.

Hodgson gab ihm auch Aufklärung über das Rätsel des Hebens und Fallens des Schoners und das ebenso mysteriöse Zerschellen der Dschonke.

Wilbur war wohl von dieser Deutung Hodgsons wenig befriedigt, aber es war die einzige, die er jemals hören sollte.

Als Hodgson die Vorkommnisse beschrieben bekam, nickte er bloß mit dem Kopfe.

»Schwefelgründlinge.«

»Schwefelgründlinge?« fragte Wilbur erstaunt.

»Ja, es ist dies eine Walgattung, auf deren Rücken sich Muscheln und Seeläuse festsetzen, dann kommen die Wale hoch und wetzen sich an dem Kiel des Schiffes, wie ein Schwein unter dem Gatter.«

Wilbur hatte nun seine Geschäfte erledigt und wandte sich zum Gehen, um zum Schoner zurückzukehren.

Da meinte Hodgson ganz unvermittelt zu ihm: »Ich habe gehört, daß Sie ein schönes Mädchen an Bord haben. Wie kamen Sie denn nur dazu?« Und er zwinkerte lächelnd.

Wilbur erschrak aufs tiefste, als hätte ihn ein Schlag getroffen ... er stürmte davon.

Jetzt machten ihn die Worte des Mannes nachdenklich.

Dort oben in der Magdalena-Bai hatte Moran ihre Rolle in der Welt, doch hier ... was sollte er seinen Bekannten zur Aufklärung sagen?

Sein Verhalten mußte von den Freunden im Klub, von den Frauen, deren Gast er wieder sein würde, seltsam angesehen werden. Keiner würde die Verwandlung begreifen können, die mit ihm erfolgt war.

Kannte doch niemand Moran, die wilde Walküre, die urplötzlich ein irdisches Weib geworden war ...

Bei größter Eile war nicht damit zu rechnen, daß der Schoner vor vierzehn Tagen in See gehen könnte.

Wenn er auch diese Zeit über nur an Bord wohnen sollte, die Vorbereitungen für die Fahrt mußten ihn oft in die Stadt führen.

Er vermochte Moran nicht zu verheimlichen. In der Tat wußte schon alle Welt um ihre Anwesenheit.

Von einem anderen Standpunkt gesehen, konnte er die Ansicht Morans voll verstehen, ihr mußte es ganz selbstverständlich erscheinen, daß sie beide – sie liebten sich doch – weitersegelten, um ihr Leben auf See zu verbringen, wie sie und ihr Vater es bisher getan hatten.

Wie alle Männer mußte er gehen, wenn er nachdenken wollte ...

Wilbur sandte das Boot zum Schoner zurück, mit einer Botschaft für Moran, daß er einen Gang um die Bucht vorhabe und in ein bis zwei Stunden zurück zu sein gedenke.

Er wanderte dann in die Richtung nach Fort Mason, der alten Befestigung aus roten Steinen, die in einer verlassenen Gegend an der Einfahrt des »Goldenen Tores« gelegen ist.

Er folgte dem Verlauf der Küste, um zu dem alten Fort zu gelangen.

Dort aber, an der Schwelle der westlichen Welt, dem Vorposten der Zivilisation, setzte er sich auf das zerfallene Gemäuer der Feste und ließ, Bild um Bild, die Begebenheiten der letzten sechs Monate an sich vorüberziehen.

Vor ihm flutete der enge Strom des »Goldenen Tores«, rechts von ihm lagen Bucht und Stadt, zur Linken aber weitete sich der Pazifik.

Er sah sich im Gesellschaftsanzug an Deck des Schoners kommen, kurz danach am Ankerspill, als die »Petrel« vorbeirauschte, ohne daß er die Lippen hätte bewegen können.

Dann aber jagten sich die Ereignisse:

Das Wrack der »Lady Letty«, bis zur Reling überhängend, gänzlich verlassen; der vermeintliche Junge am Steuerrad, Kitchell – als er den Schreibtisch in der Kajüte erbrach, dann die Bestattung Kapitän Sternersens auf hoher See, seine falschen Zähne, umgedreht im Munde; die schauerliche Sturmböe, und Moran am Steuer.

Dieselbe Moran, später in voller Länge auf dem Deck liegend, wie sie die Höhe eines Sternes maß.

Oben dann die Magdalena-Bai, der Haifischfang, das geheimnisvolle Zittern und Heben des Schoners; die Dschonke der Strandräuber, bemalt mit roten, starrenden Augen, Hoang, bis zum Gürtel nackt, glänzend vorn Schweiß und Walfischöl, das Ambra; des sinkenden Schoners Fahrt zur Bucht, die unvergleichliche Nacht, als er und Moran an der Küste geschlafen hatten; die Gefangennahme Hoangs, die entsetzliche Feile zwischen seinen Zähnen, die Strandräuber, wortlos und wachsam hinter ihrem Sandwall, der Chinese, den sein, Wilburs Messer zu seinen Füßen hingestreckt hatte; Moran, wie ein Berserker aus Staub und Kampfgetümmel auf ihn losstürmend; Charlies Tod an Bord des Schoners, die Bestellung seines eigenen Begräbnisses mit den »vier« Pferden; endlich Coronado, der Empfang im Ballsaal, Josie Herrick in weißer Robe, als sie Moran ihre Hand entgegenstreckte, Moran, wie stets, in langen Stiefeln, gegürtet und ohne Hut, die Ärmel hochgerollt, die weißen, kräftigen Arme frei, ihr frisches, rotes Gesicht, ihre hellen blauen Augen prüfend auf Josie gerichtet, die schweren Zöpfe, golden wie reifes Korn, über Schulter und Brust hängend.

Eine kalte Böe aus dem Westen riß Wilbur schnell aus seinen Gedanken und ließ ihn aufblicken.

Der graue Himmel hatte den Anschein, als eile er dahin, dicht über ihm. Die Bucht, der enge Kanal des »Goldenen Tores« und der weite Ozean schimmerten weiß von unzähligen Schaumkronen.

Zu Wilburs Füßen dröhnten die gewaltigen grünen Grundseen im Ansturm gegen die granitenen Grundmauern der Feste.

Die Bai schien durch das »Goldene Tor« in den unendlichen Ozean hinauszuströmen.

Eine aufgescheuchte Möwe schoß vorbei und kämpfte mit den Böen, die sie hinaus aufs Meer wirbeln wollten.

Gleich mußte der Sturm hereinbrechen.

Wilbur erhob sich und .... sah, er wollte seinen Augen nicht trauen – die »Bertha Millner«, nicht weit von hier entfernt, ledig und frei wie ein Rennpferd, direkt auf die offene See zu treiben, hinausrauschen mit der verdoppelten Gewalt von Sturm und Strom.


 << zurück weiter >>