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Wilbur hatte es sich so ausgemalt, daß sie vom Abhang der Bucht aus plötzlich vorstoßen würden, um erst den Sandwall zu zerstören. Dann würde sich ein Handgemenge um die Hütte entwickeln. Diese Vorstellung stammte aus Büchern, die er gelesen hatte, und die nun seine Phantasie beeinflußten. Seiner Meinung nach mußten die beiden Parteien erst aufeinander losstürzen, dann in einem wilden Gewirr von Staub und Rauch fünf Minuten mit Messern, Keulen und Pistolen kämpfen, bis alles vorübergegangen war ohne daß einem Zeit geblieben wäre, zu überlegen oder auf Angstgefühle zu achten.
Aber nichts dergleichen ereignete sich an diesem Morgen.
Die Mannschaft der »Bertha Millner«, voran Moran und Wilbur mit Charlie in der Mitte, kam Schritt für Schritt an die Reihe der Banditen heran.
Kein Ruf war zu vernehmen.
Jeder hatte sich seinen Feind ausgesucht, und Schritt langsam, die Waffe bereit, den Blick fest auf den Feind gerichtet, auf diesen zu, ohne sich um das Tun der Gefährten zu kümmern.
Moran brach plötzlich die Stille des Augenblicks:
»Siehst du Gewehre bei ihnen. Charlie?«
»Nein, nichts sehen«, erwiderte Charlie. Wilbur tat wieder einen Schritt nach vor und spannte seinen Revolver.
Drüben stieß einer der Piraten einen zornigen Fluch aus. Charlie gab ihn sofort zurück.
Die Linie der Angreifer bewegte sich immer noch langsam auf die Feinde zu.
Wilbur begann zu überlegen, wie lange noch diese entsetzliche, atemraubende Spannung währen möge. Diese Art Kampf enttäuschte all seine Vorstellungen.
Nur noch wenige Meter trennten ihn von seinem Manne. Deutlich erkennbar funkelte der bösartige Blick der kleinen, schiefen Augen des halbnackten Gelben.
Jetzt ging es Fuß um Fuß vorwärts.
Die Chinesen begannen in beiden Fronten einander Schimpfworte zuzurufen und die stille, heiße Luft des tropischen Morgens hallte von den knappen, chinesischen Ausrufen wider, welche, wie Tennisbälle über den glatten Sand, hin und hergeschleudert wurden.
Alles schien in eine Komödie ausklingen zu wollen; die Chinesen von der »Bertha Millner« würden kaum mehr kämpfen.
Als sie noch im Schutze ihres Schiffes gewesen waren, war alles gut gegangen, als sie sich auf Hoang gestürzt hatten, zeigten sie allerhand Tapferkeit. Hier aber, Auge in Auge mit dem Feinde, mit funkelndem Sonnenspiel auf Messer und Spaten, war es doch anders.
Nach Wilburs Meinung hätte der Überfall schlagartig erfolgen müssen, um einen Erfolg zu zeitigen. Nun erschien ihm als bestes, sich vom Feinde zu lösen und einen neuen Plan zurechtzulegen.
Charlie rief ihn an; Worte in gebrochenem Englisch waren es, die er nicht verstehen konnte, aber dennoch beantwortete, dabei vorwärts schreitend, um mit dem Kuli zur Linken gleiche Linie zu halten.
Mit einem Male begann der Whisky, den er zuvor genossen hatte, zu wirken, wenngleich er sich bewußt war, einen klaren Kopf zu haben.
Es widerstrebte ihm, vor allen davonzulaufen, aber er würde viel darum gegeben haben, wenn sich ein passender Anlaß gefunden hätte, die Kampfhandlung aufzuschieben, wenn sie schon unumgänglich sein mußte.
Doch er hatte ja einen Revolver, fiel ihm ein, er hob diesen und nahm seinen Mann aufs Korn.
Der Revolver versagte.
Wilbur sagte zu dem Chinesen neben ihm in erregtem Tone:
»Gib schnell ein Messer her, oder sonst etwas, womit ich kämpfen kann, dieser Revolver ist ja nichts.«
Morans Ruf gellte dazwischen.
»Aufpassen, sie kommen!«
Zwei der Räuber sprangen über den Sandwall und rannten auf Charlie zu, ihre Messer vorgestreckt, bereit, ihn aufzuschlitzen.
»Schieß, schieß!« schrie Moran.
Wilbur hob abermals den Revolver und zog ab. Ein Knall folgte und die Waffe prellte seine Hand. Pulvergeruch drang in seine Nase.
Erstaunt konnte er sich selbst laut schreien hören.
»Los jetzt, alle Mann auf sie! Los!«
Die Chinesen der »Bertha Millner« stürmten vor, hinter den Dreien nach.
Charlie rang mit einem Räuber, der ein Messer mit beiden Händen hielt, und Wilbur sah im Moment auch, wie ein anderer, die Hand im Munde, im Sande hockte, und zwischen seinen Fingern spritzte Blut hervor.
Wilbur fand sich selbst, ein Messer in der Hand, vor dem Sandwall stehend.
Er konnte sich nicht entsinnen, woher er das Messer hatte, obgleich ihm später die Erinnerung sagte, daß er den geladenen Revolver von sich geschleudert habe.
Er wußte noch, daß er den Wall übersprungen hatte.
Vor sich sah er einen Chinesen, der sich mit bereitem Dolche zurückzog und ihn beobachtete.
Wilbur konnte gerade noch die Erwartung fühlen, im nächsten Augenblick getötet zu werden, da hielt der Chinese an, machte einen Schritt nach vor, wider Wilburs Erwarten, warf sich auf die Knie, um sein Messer mit aller Wucht in Wilburs Wade zu stoßen.
Nur das dicke Leder seiner Stiefel bewahrte ihn vor einer Verletzung seiner Wadensehnen.
Er fühlte, wie das Messer abgleitend fast bis an den Knochen stieß, Blut rann in den Stiefel, im Augenblick begann er zu schwanken und wäre fast über den Mann vor ihm gestrauchelt.
Der Chinese sprang auf, doch Wilbur faßte sogleich zu, instinktiv empfindend, daß es sein Vorteil sein müsse, wenn er den Kerl umklammerte und ihn mit seinem Gewicht niederzwänge.
Unermüdlich bemühte er sich, den geschmeidigen Körper zu halten, doch der Gegner duckte und wand sich, glitt fort, schwerer greifbar als ein Aal.
Rings um sich hörte Wilbur jetzt ein Trampeln und Rennen, kurze, heiße Schreie und das dumpfe Fallen der Körper.
Nun war es doch keine Komödie geworden. Es war wirklicher, ernsthafte Kampf – da ganz dicht neben ihm rangen sie, einer des anderen Todfeind –, alle mitsammen Chinesen.
Sie kämpften auf ihre barbarische, asiatische Art, nahmen Nägel und Zähne zu Hilfe, wenn Messer und Dolche nicht mehr genügten.
Was aber tat er, ein Städter, ein Klubmensch, in diesem furchtbaren Ringen, das sich in der heißen, tropischen Bai hier unter glühender Morgensonne abspielte?
Jäh schoß eine rote Flamme auf, gefolgt von einer Wolke dicken, gelben Rauches, die bald die Luft erfüllte.
Die Hütte brannte.
Der Chinese, welcher Wilbur angesprungen hatte, war im Begriff, in diese Richtung zu flüchten. Er war bereits dicht neben dem Hause, als das Feuer aus dem Fenster loderte; der Weg war ihm versperrt.
Nun versuchte er zwischen seinem Feinde und dem brennenden Hause zu entweichen. Wilbur schob rasch seinen Fuß vor, der Räuber stolperte und fiel, im Fallen noch konnte ihm Wilbur das Messer in die Rippen stoßen.
Da erwachte in ihm, eben als der besiegte Gegner vor seine Füße fiel, der Urmensch, das Tier in Wilburs Brust erstand, er fühlte, wie ungeahnte Kräfte seine Muskeln spannten. Die Nerven fieberten, in den Adern schwoll das Blut. Ihn überkam ein wilder Rausch, wie er ihn noch nie gefühlt hatte.
Das Bewußtsein, daß er zu töten imstande war, belebte ihn mit einem Kraftgefühl, das er herrlich empfand. Ihm schien es, eine körperliche Vervollkommnung erreicht zu haben.
Es war die Kampfeslust, die grauenhafte Lust am Töten, das Tier im Menschen, die Bestie in Menschengestalt, die vorsprang und alles andere niederzwang. was ihn gefühls- und gewohnheitsmäßig an jahrhundertelange Zivilisation band.
Und weiter tobte der Kampf.
Wilbur konnte nur mehr den Lärm hören, obgleich ihm von der brennenden, qualmenden Hütte alle Sicht genommen war.
Als er sich umwandte, sein Messer noch in der Hand, und tatenlustig Umschau hielt, trat aus dem Qualm, dunkel und schemenhaft, eine Gestalt auf ihn zu.
Moran war es, doch eine Moran, wie er sie nie gesehen hatte. In ihren Augen flackerte es wie der brennende Dornbusch, die Arme waren bis zum Ellbogen entblößt, die schweren Zöpfe flatterten wirr.
Moran sang, mit einer Stimme, die vom Schreien heiser war, sang in längst vergessener Nordlandsprache verbliebene Stücke alter Schlachtlieder, Worte, Sätze, deren Sinn ihr selbst verborgen war.
Die Wut des Kampfes hatten sie in Wahn versetzt. Sie kannten sich vor Zornekstase selbst nicht mehr.
Nun war Moran wieder jenen Wikingern und Seeräubern des zehnten Jahrhunderts angehörig – wieder erstandene Brunhild, ein Mädchen, kämpfend mit Speer und Schild, eine Walküre, Berserkerin etwa sogar, Tochter der Berserker!
Sie kämpfte auch wie diese, im Herzen die Kampfeslust, geblendet, betäubt, alle Sinne ausgeschaltet, die Kräfte ins Gigantische gesteigert, unempfänglich wider jeden Schmerz, unzugänglich aller Vernunft.
Das Messer hoch erhoben trat sie auf Wilbur zu, immer noch singend. Dieser erschrak bei ihrem Anblick so tief, daß er seine Sprache nicht fand, aber sein klares Denken war infolge dieses ungeahnten Angriffs wieder da.
Sie kam näher, Wilbur rief sie an:
»Moran! Moran!« rief er, »was geschah mit dir? Du irrst! Ich bin es doch! Wilbur – dein Maat, erkennst du mich nicht mehr?«
Nein, Moran konnte nicht mehr sehen. Ihr geblendeter Blick unterschied nicht Freund und Feind, sie hörte auch nichts mehr.
Mit aller Kraft hieb sie auf ihn ein.
Wilbur warf sein Messer fort und fing ihre rechte Hand im Gelenk ab.
Im selben Augenblick fuhr ihre freie Hand an seine Kehle.
Als Wilbur plötzlich ihre Kraft verdoppelt, verdreifacht in der Raserei ihres Rausches – an sich fühlte, wurde ihm klar, wie leicht auch er vorhin seinen Gegner besiegt hatte, nun aber war es an ihm, um sein Leben zu kämpfen.
Vorerst versuchte es Wilbur, Moran nur abzuwehren und sie am Gebrauch ihrer Waffe zu hindern.
Behutsam wehrte er sich, um sie nicht zu verletzen. Doch der Alkohol, den er vor dem Kampfe getrunken hatte, die Erregung des Ringens, das Wachwerden des Tierischen in ihm unmittelbar zuvor, all dies hatte sein klares Bewußtsein getrübt.
Es begann sich alles zu verwirren. Seine neuentdeckte Kraft fand Freude an dem Zweikampf mit einer Gleichstarken.
Er nahm den Kampf mit Moran auf, nicht etwa, wie er mit irgend einem anderen Manne oder auch mit einer Frau gerungen hätte, nein, nur um des Kampfes willen tat er es.
Er rang mit ihr wie gegen eine unpersönliche Gewalt, der er Herr werden mußte, die er zu bezwingen hatte, wenn er sein Leben bewahren wollte.
Schlug sie, so schlug er wieder, Hieb um Hieb. Mit Befriedigung stemmte er seine Kraft gegen die ihre, ohne jeweils zu vergessen, daß sein Gegner das Mädchen war, dem seine Liebe gehörte.
Moran war es, mit der er rang, ihre Kraft, ihr Wagemut, ihr Wille, ihre stolze Freiheit meinte er überwinden zu müssen.
Auch sie hatte ihr Messer bereits weggeschleudert und die Entscheidung des Kampfes gehörte der körperlichen Kraft.
Nun mußte sich entscheiden, wer Herr des anderen sein sollte. Zweimal bereits war es Moran, mit der Hand sein Gesicht, den Kopf zurückstemmend, gelungen, Wilbur auf die Knie zu bringen, doch jedesmal wieder hatte er sich hochgerungen, außer Atem, blutend, mit dem trotzigen Entschluß, nicht zu unterliegen.
Dann nahm er einmal seinen Vorteil wahr und hieb ihr die Faust zwischen die Augen. Er hoffte, sie dadurch zu betäuben und dem Kampfe so ein rasches Ende zu bereiten.
Jedoch Moran schien dieser Schlag nicht im geringsten berührt zu haben.
Nun beobachtete er aber, wie ihre Berserkerwut sich zu klären begann, als kläre sich gärender Wein.
Jetzt wußte sie, mit wem sie kämpfte, und tat dies mit der Freude, ihre Kraft an der seinen messen zu können.
Auch Wilbur erkannte den Sinn dieses Ringens und fand, daß es todernst war und um mehr ging, als ums Leben selbst.
Einem Schwächling hätte nur Morans Verachtung gehört. Einen Atemzug lang ließen sie voneinander. Moran erhob sich keuchend, krempelte die Ärmel wieder hoch.
Als das Mädchen wieder auf ihn losging, war Wilbur schon bereit, legte seinen Arm um ihren Nacken, drehte ihr linkes Handgelenk mit seiner rechten Hand auf ihren Rücken und beugte Moran mit aller Kraft nieder, bis es ihm endlich gelang, seine Hüfte als Stütze benützend, sie um den festen Stand zu bringen und dann auf den Rücken zu werfen.
So drückte er sie nieder, stemmte sein Knie auf ihre Brust, ihre Handgelenke fest wie in einem Schraubstock umklammernd.
Da gab Moran plötzlich nach und im nächsten Augenblicke erschlaffte sie.
Wilbur erstaunte, als er sie nunmehr lächeln sah.
»Hoi, Maat, das war ein Kampf, ich bin geschlagen: du bist stärker, als ich ahnen konnte.«
Wilbur gab sie frei und erhob sich.
»Da«, sprach Moran weiter, »gib mir deine Hand. Ich fühle mich schwach wie ein Kind.«
Wilbur half ihr auf die Füße, Moran befühlte ihre Stirne, wo man deutlich die Spur von Wilburs Faust sehen konnte, und lächelte ihm zu.
Sie war nicht böse.
»Ein andermal«, meinte sie, »nimm doch einen Stein, oder einen Nagel, oder was anderes, das nicht verletzt, aber nicht deine Faust, Maat!«
Voll Bewunderung blickte sie ihn an.
»Wenn ich dir auch sagte, ich sei stärker als die meisten Männer, von uns beiden aber bin ich doch die Schwächere, nun ist es klar. Du hast mich besiegt, Maat, ich muß es zugeben. Du hast mich erobert. und –«
Sie stockte einen Augenblick und fuhr dann fort:
»Und weißt du, Maat, ich liebe dich darum!«