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4. Die Missa solennis und die Neunte Symphonie.

(1813–23)

»Ergebenheit, innigste Ergebenheit in dein Schicksal – du darfst nicht Mensch sein, für dich nicht, nur für andere, für dich gibts kein Glück mehr als in dir selbst, in deiner Kunst. O Gott, gib mir Kraft mich zu besiegen, mich darf ja nichts mehr an das Leben fesseln«, mit diesem Ausruf im Tagebuche von 1812 weiht er selbst sich für die hohe Aufgabe ein, die er sich fortan stellt, zu schreiben »zur Ehre des Allmächtigen, des Ewigen, Unendlichen.«

Das Nächste, was schon wegen der rein äußerlichen Subsistenz zu unternehmen war, – denn der Staatsbankerott Oesterreichs hatte auch Beethoven geschädigt und ihn vor allem genöthigt seinen kranken Bruder Carl zu unterstützen, – war eine öffentliche Aufführung der neuen Werke. Es sollte sich dazu denn auch bald ein besonderer Anlaß finden, der dieselbe zugleich zu einer wirklichen Feier machte und so Beethovens Schaffen mit zu den bewegenden Mächten des damaligen öffentlichen Lebens erhob. Das Schicksal Napoleons nahte seinem Ende, und das ungeheure Ringen, das um den Sturz des Tyrannen von Europa begann, zog auch ihn mitleidend und mitthätig in seine Kreise.

»Eine große Handlung, welche sein kann zu unterlassen und so bleiben, o welch ein Unterschied gegen ein unbeflissenes Leben, welches sich in mir so oft abbildete – o schreckliche Umstände, die mein Gefühl für Häuslichkeit nicht unterdrücken, aber deren Ausführung. O Gott, Gott, sieh auf den unglücklichen Beethoven herab, laß es nicht länger so dauern«, schreibt er im Mai 1813 in sein Tagebuch. Frau Streicher nahm sich diesmal seiner häuslichen Verwirrung an, die so arg war, daß er einmal nicht einmal Stiefel gehabt hatte, um auszugehen. »Unverschuldet ist eben meine sonstige Lage die ungünstigste meines Lebens«, schreibt er selbst. Durch den jähen Tod Kinskys blieben dessen Zahlungen aus, und den Fürsten Lobkowitz hatte seine Neigung zu Musik und Theater selbst in die schlimmste öconomische Bedrängung gebracht. Doch mußte eben der schlechten Zeiten wegen zunächst die Absicht eines Concertes aufgegeben werden.

Umsomehr faßte der Gedanke einer Reise nach London Fuß, als welcher jene »große Handlung« zu betrachten ist und der uns deshalb ganz besonders angeht, weil ihm schließlich die Neunte Symphonie entsprang.

Jener Metronomerfinder Mälzl nämlich hatte ein Panharmonicum verfertigt und wollte die Reise mit Beethoven gemeinschaftlich unternehmen. Er, der schon selbst den Brand von Moskau für sein Instrument gesetzt hatte, wollte jetzt das zweite Hauptereigniß der Zeit, Wellingtons Sieg bei Vittoria musikalisch dargestellt sehen und gab Beethoven die Idee dazu. Dessen Haß gegen Napoleon und Liebe zu England ließen ihn bald darauf eingehen, und so entstand diese »Schlachtsymphonie« (Op. 91). Denn auf Mälzls Vorschlag arbeitete er das anfängliche Trompeterstück zu einer Instrumentalcomposition aus. Und jetzt traten sie also damit zunächst in einer großen Aufführung »zum Besten der in der Schlacht bei Hanau invalid gewordenen Krieger« hervor, und – Ironie des Schicksals – ein Werk, das Beethoven selbst für eine »Dummheit« erklärte, »schlug die Wiener« und machte ihn mit diesem einen Schlage in Wien populär.

Es war am 12. Dezember 1813, der Beifall »stieg bis zur Entzückung«. Es waren aber auch sämmtliche erste Künstler der Stadt dabei, Salieri, Hummel, Moscheles, Schuppanzigh und Mayfeder, und Fremde wie Meyerbeer wirkten ebenfalls mit. Den idealen Untergrund der ganzen Production bildete freilich eben die Siebente Symphonie, das Bild jenes neuen Erwachens des Heldengeistes in der Nation. »Alle bisher dissentirenden Stimmen mit Ausnahme weniger Fachmänner hatten sich endlich dahin geeinigt ihn des Lorbeers würdig zu halten,« sagt der erste Biograph Beethovens, Anton Schindler, den wir schon mehrmals vernahmen und bald als seinen Famulus kennen lernen werden. Er nennt es mit Recht eine der wichtigsten Begebenheiten in Beethovens Leben, was hier geschehen war. Denn jetzt waren die Pforten des Ruhmes weit geöffnet, und hätte er nichts »Edleres, Besseres« in der Welt zu thun gehabt, Geld und Gut wären ihm fortan sicher nicht ausgeblieben.

Das Nächste war, wenigstens den Augenblick zu nützen und selbst einige Concerte mit Wellingtons Sieg zu geben, um so wieder freien Raum zur Arbeit zu gewinnen. Dabei kamen auch Stücke aus den »Ruinen von Athen« zur Aufführung, und namentlich der Erfolg einer Arie brachte jetzt einen der Hofopernsänger auf die Idee auch den Fidelio wieder ins Leben zu rufen. Damals ward demselben dann die Gestalt gegeben, in der wir ihn heute sehen. Und wie sehr des Künstlers Seele noch immer bei dieser Leonore war, erfahren wir aus der Erzählung des Theaterdichters Treitschke, der den Text abermals zusammenzudrängen trachtete. Er hatte das letzte Aufflammen des Lebens in Florestans Kerkerscene in den Worten ausgesprochen:

»Und spür' ich nicht linde, sanft säuselnde Luft,
Und ist nicht mein Grab mir erhellet?
Ich seh', wie ein Engel im rosigen Duft
Sich tröstend zur Seite mir stellet,
Ein Engel, Leonoren, der Gattin so gleich,
Der führt mich zur Freiheit, ins himmlische Reich.«

»Was ich nun erzähle,« fährt er fort, »lebt ewig in meinem Gedächtnisse. Beethoven kam Abends zu mir. Er las, lief im Zimmer auf und ab, murmelte, brummte, wie er gewöhnlich statt zu singen that, und riß das Fortepiano auf. Meine Frau hatte ihn oft vergeblich gebeten zu spielen, heute legte er den Text vor sich hin und begann wunderbare Melodien, die leider kein Zaubermittel festhalten konnte. Die Stunde schwand, aber Beethoven phantasirte fort. Das Nachtessen wurde aufgetragen, aber er ließ sich nicht stören. Spät erst umarmte er mich und auf das Mahl verzichtend eilte er nach Hause. Tags darauf war das Musikstück fertig.«

»Mein Reich ist in der Luft, wie der Wind ist, so wirbeln die Töne, so oft wirbelts auch in der Seele,« schrieb er in diesen Tagen an Brunswick, und an Treitschke: »Kurzum ich versichere Sie, die Oper erwirbt mir die Märtyrerkrone.« Leonorens Leiden und Sieg fand denn auch noch einen zweiten völlig eigenen Ausdruck: damals entstand die sogenannte Fidelioouverture (Edur). Bei der Aufführung am 23. Mai 1814 wurde der Meister bereits nach dem ersten Acte stürmisch gerufen und enthusiastisch begrüßt. Der Beifall stieg mit jeder Vorstellung.

Beethoven blieb jetzt eine der gekanntesten Erscheinungen Wiens. Denn es waren noch mehrere Concerte von ihm oder mit Musik von ihm vorausgegangen. Das bekannte Portrait von Letronne erschien damals, – »aus seinem Antlitze schaut Er heraus,« sagt Dr. Weißenbach von ihm. Was war begreiflicher als der Gedanke, mit seiner Musik, die bereits am 26. September im Fidelio die zum Wiener Congreß versammelten Monarchen empfangen hatte, dieselben auch einmal selbständig und unmittelbar festlich zu begrüßen: es entstand die Cantate »der glorreiche Augenblick« (Op. 136). Die Aufführung derselben geschah in jener denkwürdigen Akademie vom 29. November 1814, als Beethoven vor einem »Parterre von Königen« und was mehr war, vor dem gebildeten Europa einzig mit dem Hilfsmittel seiner Kunst ebenfalls den großen Augenblick feiern half, wo endlich der Druck der Tyrannei gehoben war und neue glücklichere Zeiten beginnen sollten. Nach Tausenden zählte diese Zuhörerschaft, und »die ehrfurchtsvolle Zurückhaltung von jedem lautem Beifallszeichen gab dem Ganzen den Charakter einer großen Kirchenfeier: Jeder schien zu fühlen, ein solcher Moment werde in seinem Leben niemals wiederkehren.« So berichtet wieder Schindler. Allein trotzdem brach an einzelnen Stellen »das Entzücken aus allen Anwesenden mit dem lautesten Beifall hervor, der die starke Begleitung des Componisten übertönte.« Wieder dienten auch diesmal die »Schlacht« und die Siebente Symphonie solchen Sieg herbeizuführen. »Noch erschöpft von Strapatzen, Verdruß, Vergnügen und Freude, alles auf einmal durcheinander«, schreibt er hinterher an den Erzherzog. Allein ganz gibt den überwältigenden Eindruck dieser Tage sein Tagebuch vom nächsten Frühjahr wieder, als nun sozusagen die Fülle der einzelnen Erlebnisse sich zu einem sicheren Gefühl und Bewußtsein zusammengedrängt hatte. »Alles was Leben heißt, sei der erhabenen geopfert und ein Heiligthum der Kunst!« sagt er hier. »Laß mich leben, sei es auch mit Hilfsmitteln, wenn sie sich nur finden! Die Ohrenmaschine womöglich zur Reife bringen, alsdann reisen! Dieses bist du dir, den Menschen und ihm, dem Allmächtigen schuldig. Nur so kannst du noch einmal alles entwickeln, was in dir alles verschlossen bleiben muß, und ein kleiner Hof – eine kleine Capelle, von mir in ihr der Gesang geschrieben, angeführt, zur Ehre des Allmächtigen, des Ewigen, Unendlichen! – So mögen die letzten Tage verfließen und der künftigen Menschheit – –«

Er bricht ab, als brauche er mit Worten nicht zu sagen, was er erstrebt und hinterlassen. Aber die Stufe des Ruhmes, auf die er damals gelangt, wird mit Recht »als eine der erhabensten bezeichnet, die je von einem Musiker erreicht worden ist.« Auch ward er jetzt erst recht der Gegenstand allgemeinster Aufmerksamkeit, zumal bei den glänzenden Festlichkeiten, die als russischer Gesandter Graf Rasumowsky den anwesenden Monarchen gab und wobei er selbst diesen vorgestellt ward. Die Kaiserin von Rußland wünschte ihn besonders zu »becomplimentiren« und dies fand beim Erzherzog Rudolph statt, der so die Triumphe seines verehrten Lehrers mitfeierte. In einem Hofconcerte vom 25. Januar 1815 begleitete er selbst seinem Florestan Wild die Adelaide, und Schindler schließt seinen Bericht mit den Worten: »Nicht ohne Rührung gedachte der große Meister jener Tage und sagte einstmals mit einem gewissen Stolze, er habe sich von den hohen Häuptern die Kur machen lassen und sich dabei stets vornehm benommen.« »Ihr müßt ihnen tüchtig an den Kopf werfen, was sie an euch haben«, dieses Wort gegen Goethe hatte sich also doch als richtig bewährt.

Aber auch die ersehnten »Hilfsmittel« stellten sich ein, durch die Geschenke der Monarchen, vor allem das »großmüthige« der Kaiserin von Rußland, für welche er damals die Polonaise Op. 89 schrieb. Eben dadurch begründete Beethoven das kleine Capital von nahezu 20 000 Mark, das sich für seine Umgebung so unerwartet in seinem Nachlasse fand. Allein obwohl nun zugleich die Jahreseinnahme aus dem »Decret« sich so regelte, daß er von jetzt an bis zum Tode etwa 2700 Mark bezog, so blieb er dennoch wie bisher aufs äußerste an seine geistige Arbeit als Einnahmequelle gebunden. Denn sein geliebter Bruder Karl starb und hinterließ ihm, weil die Mutter wenig zuverlässig war und keines guten Rufes genoß, seinen achtjährigen Sohn Karl sozusagen als Erbschaft. Die Kämpfe um diesen »Sohn«, den unseligen Neffen, mit der Mutter, von Beethoven einfach »Königin der Nacht« genannt, erfüllen in Prozessen und Verhandlungen die nächstfolgenden Jahre in solcher Weise, daß er dabei sogar in seiner Arbeit gehemmt erscheint. Ja tiefste Gemüthserschütterungen in Verbindung mit der trostlosen Verkommenheit, die sogleich nach dem Congreß in sozialer und politischer Hinsicht in Wien hereinbrach, ließen den Glanz der Tage, die wir soeben gesehen, bald gänzlich verbleichen und nur für kurze Momente, wie in dem berühmten Concert vom Jahre 1824 den alten Ruhm und Stolz wiedererstehen. Die darin aufgeführten Werke waren eben die Missa solennis und die Neunte Symphonie, erstere eine Spende des Dankes und der Hingebung für den Erzherzog Rudolph, jedoch zugleich der Ausdruck der persönlichsten Seelenstimmung des Meisters selbst, wie wir sie oben von ihm ausgesprochen hörten, die Symphonie aber »für London« geschrieben, wohin sich in diesen betrübenden Zeiten sein Blick immer mehr richtete und das also, wenn er die Reise selbst auch nie ausführte, der Anstoß zu manchem bedeutenden Schaffen Beethovens geworden ist.

Von Werken, die noch in die Zeit von 1814 und 15 fallen, nennen wir die Sonate Op. 90, ein »Kampf zwischen Kopf und Herz,« im Sommer 1814 dem Grafen Moritz Lichnowsky zu seiner Verbindung mit einer Wiener Sängerin geschrieben, das Lied »Merkenstein« (Op. 100) vom Winter 1814, Tiedges » Hoffnung« (Op. 94), nach jenem letzten Hofconcerte für den Sänger Wild componirt, den Chor » Meeresstille« und » Glückliche Fahrt« (Op. 112), 1815 geschrieben und 1822 »dem unsterblichen Goethe hochachtungsvoll gewidmet«, endlich die herrlichen, dem Sommer 1815 entstammenden Cellosonaten Op. 102, der Gräfin Erdödy gewidmet, die in diesem glorreichen Winter sich ebenfalls wieder nahte, nachdem eine Weile eine Spannung zwischen ihnen gewaltet hatte. Die erste derselben nennt er selbst »freie Sonate«, und in der That beginnt jetzt die freie Dichtung für seine höheren künstlerischen Bilder letztentscheidend zu sein. Das Adagio der zweiten aber weist in der choralmäßigen Bildung seines Themas auf die mehr und mehr vorwaltende religiöse Richtung seiner Seele hin, die auch in zahlreichen Aeußerungen und Citaten des Tagebuches hervortritt.

Den »Liederkreis« Op. 98 nannten wir schon. Mit ihm zugleich ward an der Sonate Op. 101 gearbeitet, die, ein Ausdruck innerster Seelenpoesie, im nächsten Jahre fertig war und der Frau von Ertmann, seiner »lieben werthen Dorothea-Cäcilia«, gewidmet ist, welche ihrerseits durch Erkenntniß seiner feinsten dichterischen Intentionen zu einem wahren Apostel seiner Clavierwerke wurde. Mendelssohn konnte noch 1831 von diesem so tief ausdrucksvollen Vortrage sogar »manches lernen«. Beethoven hatte aber auch die edle Frau selbst, als sie während der Abwesenheit ihres Gemahls in den Befreiungskriegen ihren einzigen Sohn verloren hatte, aus einer an Gemüthskrankheit grenzenden Schwermuth befreit, indem er zu ihr kam und ihr vorspielte, bis sie in Thränen ausbrach: – »da war der Bann gelöst«. »Wir Endliche mit dem unendlichen Geist sind nur zu Leiden und Freude geboren, und beinahe könnte man sagen, die ausgezeichnetsten erhalten durch Leiden Freude,« diesen Ausspruch gegen die Gräfin Erdödy bestätigt uns auch jenes kleine Ereigniß, und dem Künstler selbst gaben seine Leiden die Laute zu jenem Schaffen, das ihm dann wieder das »theuerste Geschenk des Himmels« und wie ein Trost von oben war.

Wir fahren im Biographischen fort.

Als er nun nach einem heftigen Anprall mit der Mutter als alleiniger Vormund den Neffen ganz sein nannte, da brach, so erzählt eine Dame, deren Tagebuch in dem Büchlein »Eine stille Liebe zu Beethoven« (Leipzig 1875) veröffentlicht ist, ein neues Gemüthsleben bei Beethoven hervor: er schien sich dem Jungen mit Leib und Seele weihen zu wollen und je nachdem er fröhlich war durch seinen Neffen oder in Verdrießlichkeiten verwickelt wurde, schrieb er oder konnte er nicht schreiben. So begreifen wir doppelt, daß sie eines Tages in einem Notizbuch seine Worte fand: »Mein Herz strömt über beim Anblick der schönen Natur – obschon ohne sie.« Die »ferne Geliebte« wäre ihm jetzt auch noch über seine eigene Person hinaus der wertheste Besitz des Lebens geworden.

Mehrere größere Projecte wie eine Oper »Romulus« von Treitschke, ferner ein Oratorium für die neubegründete »Gesellschaft der Musikfreunde« in Wien standen in Aussicht. Erstere scheiterte an der »knickerigen Direktion,« letzteres ward nie fertig, erfüllte den Meister aber als Absicht bis zum Lebensende. Im Herbst 1816 wünschte ein englischer General Kyd um 200 Ducaten eine Symphonie. Da er sie jedoch im Style der früheren Werke will, weist Beethoven erbost den Antrag zurück. Doch hatte ihm dieser beschränkte Enthusiast die gewinnversprechendsten Beschreibungen von London selbst gemacht, und da er dort in letzter Zeit abermals viele Werke verkauft und ihm die neue »Philharmonische Gesellschaft« auch drei Ouvertüren entsprechend honorirt hatte, so richtete sich sein Blick bestimmter über den Canal, wo besonders die »Schlacht« und die Cmollsymphonie bereits glänzende Aufnahme gefunden hatten. Ging man doch dort mit der Absicht um, für ihn selbst mit seinen Werken ein »Benefice« zu geben, was, ihm dann in der That auch noch wenigstens auf dem Todesbette zu statten kommen sollte. So schreibt er denn selbst im Herbst 1816, es würde ihm schmeicheln, für die Gesellschaft, die allerdings eine Fülle von tüchtigen Musikern umfaßte wie damals kaum eine andere in Europa, einige neue Werke, wie Symphonien, ein Oratorium schreiben zu können.

Das Tagebuch aus dieser Zeit bis 1818, wegen seiner zahlreichen Notizen und ergreifenden Seelenausrufe veröffentlicht in der Schrift »Die Beethovenfeier und die deutsche Kunst« (Wien 1871), enthält ebenfalls den bezeichnenden Zuruf: »Opern und alles sein lassen, nur für deine Weise schreiben.« Die Skizzen der Siebenten Symphonie aber enthielten schon die Bemerkung »2. Sinfonie Dmoll« und die der 8. gar »Sinfonie in Dmoll – 3. Sinfonie.« Aus den Jahren nach 1812 sind auch Entwürfe vom Scherzo der Neunten Symphonie vorhanden. Denn auf diese war mit jenen Aufschriften unzweifelhaft gezielt. Allein Skizzen des 1. Satzes, der eben ein solches Werk entscheidet, finden sich erst im Jahre 1816, dann aber auch sogleich in jener charaktervoll männlichen Physiognomie, die eben diese »Symphonie für London« auszeichnet. Wie er selbst einmal die Engländer »meistens tüchtige Kerle« nennt, so hatte er, von dem Zelter an Goethe schrieb, daß »seine Mutter ein Mann gewesen sein müsse«, das Gefühl dort als Mann mit Männern zu thun zu haben und als Künstler mit einem Händel zu wetteifern, dessen mächtige Wirkung ebenfalls auf der entschiedenen Männlichkeit seines Charakters beruht. Und dann, hatte nicht dieses Volk einen Tragiker wie Shakespeare erzeugt, den Beethoven über alles liebte? Tieftragischer Ernst und männlichster Schicksalskampf sind denn auch hier der Grundton und der Vorwurf des Ganzen. »Und dann eine Kutte, wo du das unglückliche Leben beschließest,« lautet der Schluß jenes Aufrufs »nur für seine Weise zu schreiben«.

Und jetzt, im Juli 1817, kam denn auch von London die »directe Bestellung«, die er lange erstrebt hatte. Die Gesellschaft wünsche ihm einen Beweis der großen Achtung und Erkenntlichkeit zu geben für die so vielen schönen Augenblicke, die sie durch seine so genialen Werke so oft genossen habe, und lade ihn gegen ein Honorar von 300 L. (6000 M.) ein, nach London zu kommen und zwei große Symphonien zu schreiben. Beethoven nimmt den Antrag auch sofort an und versichert, daß er alle Kräfte anwenden werde sich des ehrenvollen Auftrages einer so erlesenen Künstlergesellschaft auf die würdigste Art zu entledigen: er fange sogleich an der Composition selbst an. »Er glaubte, daß ihm nirgends die Auszeichnung, wie sie sein ungeheures, viele Jahrhunderte vorauseilendes Genie verdiente, zu Theil werden könnte als in Großbritanien. Die Auszeichnung der Briten war ihm mehr werth, als was ihm das ganze übrige Europa geben konnte. Sein Selbstgefühl mag wohl zur Vorliebe für diese Nation beigetragen haben, da sie ihm selbst so auszeichnend entgegenkam,« so sagt einer seiner nächsten Freunde in Wien, jener Baron von Zmeskall, und gewiß ist, daß er an dieses Werk wie an nur irgendeines seine beste Kraft und sein ganzes Können gesetzt: es ist trotz der Cmollsymphonie so typisch Beethovensch wie kein anderes, das ganze Bild seiner persönlichen Existenz und der Tragik menschlichen Daseins überhaupt. Und ihm sollte eine Zehnte Symphonie folgen, von der wir wenigstens die »poetische Idee« ebenfalls kennen. Der erste Satz sollte eine »Bacchusfeier« darstellen, das Adagio einen cantique ecclesiastique, das Finale aber die Versöhnung der von ihm so hoch gehaltenen antiken Welt mit dem Geist des Christenthums, der ja ihm ebenfalls mehr und mehr nach seiner vollen Tiefe aufgegangen war. Man sieht, er hat hochfliegende Plane, kein Dichter schwang sich je höher. Wir haben also diese gewaltigen Absichten und Arbeiten im Auge zu behalten, um sein weiteres Dasein richtig zu verstehen und namentlich zu begreifen, daß er in der öden und oft so tief zerrissenen Existenz, die er fortan erst recht zu führen hatte, nicht erstarrte, sondern im Gegentheil stets höheren Aufschwung nahm, stets größere Vollendung und Vertiefung in seinem Schaffen bethätigte.

Wir sehen denn auch das eine der Werke vor unseren Augen aus seinem Leben selbst sich hervorgebären.

Im Winter 1816–17 entstanden die Lieder »Ruf vom Berge« und »So oder so«, im Frühjahr darauf nach dem jähen Tode eines Freundes der Chor »Rasch tritt der Tod« aus Schillers Tell. »Gott helfe, du siehst mich von der ganzen Menschheit verlassen. O hartes Geschick, o grausames Verhängniß, nein, nein, mein unglücklicher Zustand endet nie. Dich zu retten, ist kein anderes Mittel als von hier, nur dadurch kannst du wieder so zu den Höhen deiner Kunst entschweben, wo du hier in Gemeinheit versinkst, nur eine Symphonie und dann fort, fort, fort!« heißt es im Tagebuche. Zunächst wurde 1817 die Quintettfuge Op. 137, 1818 aber die »große Sonate für das Hammerclavier« Op. 106 vollendet: ihr Adagio ist der musikalische Ausdruck jenes Flehens zu Gott, wie ihr erster Satz ihn wieder zu den Höhen seiner Kunst hatte entschweben lassen. »Die Sonate ist in drangvollen Umständen geschrieben,« sagt er zu seinem Schüler Ries, und: »Fahren Sie fort, sich immer weiter in den Kunsthimmel hinaufzuversetzen, es gibt keine ungestörtere ungemischtere reinere Freude, als die von daher entsteht,« zu einem jüngeren Kunstgenossen, dem Componisten Schnyder von Wartensee. Aber ebenso lautet es in diesen Tagen, als er das zum Quintett Op. 104 umgearbeitete Claviertrio in Cmoll, sein Op. 1, dem Freunde Zmeskall zum Probiren zusagt: »Ich probire ohne Musik alle Tage dem Grabe näher zu kommen.« Dem entspricht das Lied »Lisch aus mein Licht«, das auch aus dieser Zeit stammt. Ebenso steht im Tagebuch von damals der Ausruf: »O höre stets Unaussprechlicher, höre mich, deinen unglücklichen, unglücklichsten aller Sterblichen!« So ist es denn nur seiner ganzen Seelenstimmung gemäß, als er eben 1818 den Entschluß faßt, zur Einführung seines hohen Schülers als Erzbischof von Olmütz eine feierliche Messe zu schreiben. Es war der »kleine Hof«, die »kleine Capelle«, für die er den Gesang schreiben wollte »zur Ehre des Allmächtigen des Ewigen Unendlichen.« Denn der Erzherzog hatte gedacht, ihn dort zu seinem Capellmeister zu machen. Es ward, nach einer Arbeit von vier Jahren, die Missa solennis (Op. 123) » l'oeuvre le plus accompli, mein vollendetstes Werk,« wie Beethoven selbst es genannt, freilich gleich dem Fidelio mehr der Mühe und Arbeit als dem wirklichen Bestande nach.

»Opfere noch einmal alle Kleinigkeiten des gesellschaftlichen Lebens deiner Kunst. O Gott über alles!

Denn die ewige Vorsicht
Lenkt allwissend das Glück oder Unglück sterblicher Menschen!«

– mit diesem Wort aus der Odyssee weiht er sich zu diesem großen Werke. Und es war in der That ein Entschluß. Denn wie in der Oper wußte er sich hier an hergebrachte Formen und vor allem an das Wort gebunden, das ihm zwar im Einzelnen für die eigene Vorstellung hohe Nahrung bot, aber als Ganzes den natürlichen Strom der Phantasie hemmte. Seltsame Zeiten der »Erdenentrücktheit«, der völligen Weltabgeschiedenheit nahen jetzt. Einmal sah ihn der Maler Klöber, von dem das bekannteste, auch in »Beethovens Brevier« befindliche Portrait aus diesem Sommer 1818 herrührt, »unter einen Kiefernbaum sich hinwerfen und lange in den Himmel hineinschauen.« In den Couversationsheften, wie sie der stets mehr ertaubende Meister jetzt gebraucht, um sich nur seiner Umgebung verständlich zu machen, steht im Winter 1819-20: »Sokrates und Jesus waren mir Muster«, dann »das moralische Gesetz in uns und der gestirnte Himmel über uns. Kant!!!« – sowie er am 4. März 1820 das »Abendlied an den gestirnten Himmel« schreibt mit den Schlußworten:

»Ernte bald an Gottes Thron
Meiner Leiden schönen Lohn.«

Es war die Zeit der Kämpfe, die er mit der Mutter seines »Sohnes«, und der inneren Leiden, die er um der moralischen Verkommenheit des armen Knabens selbst zu erleiden hatte, der stets haltlos zwischen zwei verschiedenartigsten Polen schwebend, nicht wußte, wohin er eigentlich gehöre und daher beide Theile hinterging. »Vom Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen,« steht auf der Partitur der Messe, und »gleich beim Beginn dieser Arbeit schien sein ganzes Wesen eine andere Gestalt angenommen zu haben«, sagt Schindler, der eben damals völlig sein Famulus war. Im Speisehaus sitzt er nun vertieft da, vergißt zu bestellen und will doch nachher bezahlen. »Einige sagen, er ist ein Narr«, schreibt 1819 Zelter an Goethe. »Wirklich schien er auch in jener Zeit ganz besessen zu sein, besonders als er die Fuge und das Benedictus schrieb,« erzählt Schindler. Jene Fuge »Et vitam venturi« (ein ewiges Leben!) ist denn auch der Höhepunkt des Werkes, da die Vorstellung der Unvergänglichkeit und Unerschöpflichkeit des Seins diesem mächtigen Geiste die zugänglichste und gewohnteste war. Das wunderbar herabschwebende Benedictus (»Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn«), die Spende der allbeseligenden Hilfe von oben ist für Wagner später das Vorbild zu dem Niedersteigen des heiligen Grals, des Sinnbilds der göttlichen Gnade, im Vorspiel des Lohengrin geworden. »Vergegenwärtige ich mir seine geistige Aufgeregtheit, so muß ich gestehen, daß ich niemals vor und niemals nach diesem Zeitpunkt völliger Erdenentrücktheit wieder Aehnliches an ihm wahrgenommen habe,« sagt Schindler. Sie waren ihn im nahen Kurort Baden, wo er so gern »die heimlichen Tannenwälder durchirrte« und seine Werke »dichtete«, besuchen gegangen. Es war Nachmittags 4 Uhr. Bei verschlossener Thür hörten sie ihn über der Fuge »singen, heulen, stampfen«. Nachdem sie dieser »nahezu schauerlichen« Scene lange zugehorcht, öffnete sich die Thüre und Beethoven stand vor ihnen mit verstörten Gesichtszügen. Er sah aus, als habe er soeben einen Kampf auf Leben und Tod bestanden. »Saubere Wirthschaft, alles ist davon gelaufen und ich habe seit gestern Mittag nichts gegessen«, sagte er. Er hatte den Abend vorher bis nach Mitternacht gearbeitet, so waren die Speisen kalt geworden und infolge eines Auftritts beide Dienerinnen davon gegangen.

Die Arbeit nahm eben mit seiner wachsenden Vorstellung von der Größe des Gegenstandes auch stets größere Dimensionen an. Von einer Vollendung zur Installationsfeier ist nicht mehr Rede. Es ward zu einem gewaltigen Frescogemälde, zu einer Symphonie in Chören über den Messentext, was er hier dichtete, und so begann er sich allmählich auch mehr ruhige Muße zur Arbeit zu nehmen und theils zur Ausgleichung der mächtig erregten Phantasie theils zur nöthigen Subsistenz mit dem »theuren« Neffen andere Werke einzuschalten. So entstanden während der Messecomposition nicht bloß die »Variirten Themen« Op. 105 und 107, die der Edinburger Thomson bestellt hatte, der auch die » Schottischen Lieder« wie Op. 108 selbst zur Bearbeitung an Beethoven sandte, sondern auch die drei Letzten Sonaten entstanden in dieser Zeit:

Op. 109, Bettinas Nichte Maximiliane Brentano gewidmet, deren vortrefflichem Vater er in diesen bedrängten Jahren stets bereiteste Aushilfe verdankt hatte, – Op. 110, zu Weihnachten 1821, und Op. 111, am 13. Januar 1822 vollendet. Er selbst soll diese Sonaten höher gestellt haben als seine früheren. Sie sind jedoch nur in einzelnen Sätzen überragend und in dem großen freien Styl jener Zeit geschrieben, besonders die »Arietta« im letzten Opus, deren Variationen in der That wie eigene Seelenbilder dastehen. Dazwischen fielen aber auch wirklich bloße »Gedankenspäne« wie die Bagatellen Op. 119 ab, die eben seine materielle Lage, da er »wie ein tapferer Ritter von seinem Schwerte« nur von seiner Feder zu leben hatte, in der That nöthig machte. Und selbst die »33 Veränderungen« Op. 120 auf den Walzer von Diabelli aus dem Jahre 1822-23 sind mehr geistreiches Spiel einer sich unerschöpflich wissenden künstlerischen Phantasie als jener wirklich schaffenden Kraft des Innern, die in Beethoven so echt und riesengroß war. Die Ueberspannung bei der Messenarbeit hatte in der That für einen Augenblick diese Kraft erschöpft. Die beiden Chorlieder Op. 121 b und Op. 122, Opferlied und Bundeslied, aus dem Winter 1822-23 stammend, tragen ganz den Stempel der Gelegenheitscomposition, die sie sind.

Allein derweilen hatte der Löwe sich bereits wieder aufgereckt. An der Messe ward nur noch »gefeilt« und im Frühjahr 1823 war sie ganz fertig. Der Sommer 1822 findet ihn völlig an dem großen monumentalen Schaffen der »Neunten«, und die Befreiung von jener Qual der mühevollen Arbeit wie die völlige Hinwendung zu »seiner Weise« gibt auch der Phantasie rasch den alten Schwung, die ganze Fruchtbarkeit wieder: es ist kaum ein Jahr ergiebiger für seine Muse gewesen als dieses Jahr 1822.

»Unser Beethoven scheint wieder für Musik empfänglicher zu werden, welche er seit seinem zunehmenden Gehörübel beinahe als Weiberfeind geflohen hatte. Er phantasirte bereits einige Male ganz meisterlich zur allgemeinen Freude«, meldet im Frühling 1822 die Leipziger Musikzeitung, und einen solchen Abend beschreibt auf besonders fesselnde Weise in dem Cottaschen Beethovenbuche der Engländer John Russell. Ja Weißes neckisches Gedichtchen »Der Kuß« (Op. 128) findet sich unter den ernsten Skizzen dieses Jahres. Es kommt aber jetzt auch eine ganze Reihe von Anträgen an ihn: ein englischer Capitän Reigersfeld will ein Quartett, Breitkopf und Härtel, »ehe er seine Harfe völlig aufhänge«, ein seiner Kunst würdiges Operngedicht, Andere anderes – »kurzum, man reißt sich um Werke von mir, welcher unglücklicher glücklicher Mensch bin ich; wird nur meine Gesundheit gut, so dürfte ich noch auf einen grünen Zweig kommen«, schreibt er an den Bruder Johann. Eine »Musik zum Faust« trägt ihm ebenfalls von Breitkopf und Härtel Friedrich Rochlitz an, und dieser gibt ebendamals einen sehr anziehenden Bericht von Beethovens ganzer Existenz und Erscheinung. Nicht das vernachlässigte fast verwilderte Aeußere, nicht das dicke schwarze Haar, das struppig um des Künstlers Kopf hing, würde ihn gestört haben, sagt er, sondern das Ganze der Erscheinung des tauben Mannes, der doch Millionen nur Freude bringe, reine geistige Freude! Bei dem Auftrag selbst aber hatte er die Hand hoch emporwerfend ausgerufen: »Ha das könnte was geben! Allein ich trage mich schon eine Zeit mit drei andern großen Werken: zwei große Symphonien und jede anders, jede auch anders als die übrigen und ein Oratorium. Es graut mir vorm Anfang so großer Werke. Bin ich drin, da gehts wohl.« Es war die »Neunte«, an der er jetzt mit Ernst die Vollendungsarbeit begonnen hatte.

Unterbrochen ward dieselbe für kurze Zeit durch die Ouverture »Zur Weihe des Hauses« (Op. 124), nämlich zur Eröffnung des erneuerten Josephstädter Theaters mit den »Ruinen von Athen« von 1812. Es ist das Portal zu dem Tempel, in dem die Kunst als ein geweihtes Gut der Menschheit gefeiert wird, das uns auf schöne Augenblicke auch in das Gebiet des Reinigenden und Erhebenden der Religion zu versetzen vermag. Man vernimmt schon in diesem aus dem September 1822 stammenden Werke die breiten Feierklänge und Rhythmen der Neunten Symphonie. Und in der That steht da nach einer Notiz über jene »ungarische Geschichte« in den Skizzen: »Finale, Freude schöner Götterfunken« mit der so wunderbar einfachen Melodie selbst, die wie die Erlösung der Menschheit zu ihrem besseren Selbst klingt. Beethovens eigenes Wesen ging damals in hohen Wogen. Webers Freischütz hatte mit der später so berühmten Wilhelmine Schröder einen »beispiellosen Enthusiasmus« erzeugt, Rossinis Aufnahme in Wien »glich einer Vergötterung«, – es galt den eigenen Genius einmal wieder in ganzer Schöne leuchten zu lassen und dazu konnte nur ein Werk in »seiner Weise« führen. Die Welt war »noch auf einen Abend sein«, er wollte ihn nützen, diesen Abend. Und hatte er nicht eine Welt von Leiden zu malen, die ihm das wirkliche Leben brachte? – Eine Welt aber auch von Freuden, die aus der Hingabe an ein höheres Dasein ihm beschieden ward!

Eine Begebenheit aus diesem Herbst 1822 führt uns in diese düstere Nacht seines persönlichen Daseins. Die junge Schröder hatte, ermuthigt durch ihre Erfolge mit Pamina und Agathe zum Benefice den Fidelio erwählt, und Beethoven selbst sollte ihn dirigiren. Schindler erzählt, wie es dabei sofort mit der ersten Scene der Oper ergangen, nämlich daß bald alles auseinander gewesen sei; Niemand aber habe das betrübende Wort: »Es geht nicht, unglücklicher Mann!« aussprechen wollen. Endlich habe auf seine eigene Frage er es ihm aufgeschrieben. Im Nu sprang er ins Parterre und sagte bloß: »Geschwinde hinaus!« Unaufhaltsam lief er nach seiner Wohnung, warf sich auf das Sopha, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und verblieb in dieser Lage bis zu Tische. Aber auch da kein Laut, die ganze Gestalt das Bild der tiefsten Schwermuth! »Dieser Novembertag hatte in der ganzen Reihe der Erlebnisse mit dem gewaltigen Manne nicht seines gleichen. Was auch ungünstige Verhältnisse Widerwärtiges gebracht, ich sah den Meister nur momentan verstimmt, zuweilen auch niedergebeugt, alsbald aber konnte man ihn wieder ermannt, den Kopf stolz erhoben, fest und stramm einherschreiten und in der Werkstätte seines Genius walten sehen. Von der Einwirkung dieses Schlages hat er sich nie mehr ganz erholt,« so schließt der Bericht.

Die Aufführung selbst brachte jenes völlige Erstehen der musikalisch-dramatischen Kunst in der Darstellung der Scene »Tödt' erst sein Weib!« R. Wagner, der diese musikalisch-dramatische Kunst so hoch entwickelt, gesteht selbst, daß er erst von dieser späteren Schröder-Devrient die wirkliche Vorstellung des plastischen Gestaltens für die Bühne gewonnen habe. Auch für Beethoven sollte sie den unmittelbaren Erfolg erringen, daß er noch in dem gleichen Winter 1822-23 zur Composition einer neuen Oper eingeladen wurde. Es war Grillparzers »Melusine«, die aber ebenfalls stets Vorhaben blieb. Allein in der That wir haben den Höhepunkt dieses Künstlerlebens erreicht: außer der Neunten Symphonie wurden nur noch die Fünf letzten Quartette fertig, diese aber allerdings in ihren zahlreichen Sätzen strahlend »wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt.« Und zu diesen letzteren war ihm gerade damals durch die Bestellung des russischen Fürsten Galitzin, der jedes Honorar dafür frei stellte, die willkommene Anregung geworden. Die Symphonie aber füllte das jetzt folgende Jahr 1823 aus. Nur die »Gedankenspäne« der Bagatellen Op. 126 fallen noch hinein.

Es war, wie er selbst damals an den Erzherzog schreibt, »das dem edleren Menschen so sehr wesentliche Bedürfniß, gerade nur das, was wir wünschen, fühlen, darzustellen«, was dieses mächtige symphonische Werk des großen Meisters auszeichnet und sozusagen den Endinhalt seines Lebens und seiner Anschauung bildet. Man hat dasselbe schon früh in Verbindung mit Goethes Faust gebracht, um seine Besonderheit als einer Darstellung des tragischen Charakters und Verlaufs menschlicher Existenz auch in Wort und Bild deutlich zu machen. Und wenn wir bedenken, wie eng in der That der Musiker gerade hier dem Dichter verwandt war, so erscheint solche Auslegung des Werkes, wie sie zuerst R. Wagner bei der Aufführung desselben in Dresden im Jahre 1846 gegeben hat (Ges. Schriften II, 65), nur gerechtfertigt. Was hatte das Leben als solches ihm nicht alles entzogen. »Entbehren sollst du, sollst entbehren!« war überall das letzte Wort, das es ihm zurief. Und jetzt, wo er dieses vergebliche Ankämpfen gegen das unerbittliche Geschick völlig auch in Tönen ausmalen wollte, leiht ihm auch das nächste Erleben noch die lebendigen Farben dazu. Wie Grazien umtanzen ihn die holdesten Jugenderinnerungen, – jene »schöne lebhafte Blondine« der Bonner Zeit, die Gräfin Giulietta, die kurz zuvor mit ihrem Gemahl nach Wien zurückgekehrt war, und die »ferne Geliebte« in Berlin! Ein Spaziergang durchs liebe Heiligenstädter Wiesenthal im Frühjahr 1823 hebt ihm die Bilder der versöhnenden Natur wie das furchtbare Schicksalspochen, die Pastorale und die Cmollsymphonie, neu vor die Seele: er konnte ihren gemeinsamen Sinn jetzt ganz anders erfassen und kräftiger darlegen als damals, und es beginnt bei ihm die volle Vertiefung in diese letzten Räthselfragen des Daseins.

Urplötzlich war aber aller Humor verschwunden, alle Besuche wurden abgewiesen. »Samothrazier! bemüht euch nicht hieher, bringt auch Niemanden«, schrieb er vom stillen Landleben aus an Schindler. Was früher im höchsten Stadium geistiger Exaltation nie vorgekommen war, geschah dermalen, daß er von den Wanderungen durch Flur und Wald wiederholt ohne Hut zurückkehrte. »Höheres gibt es nichts, als der Gottheit sich mehr als andere Menschen nähern und von hier aus die Strahlen der Gottheit unter das Menschengeschlecht verbreiten,« in diesen Worten gegen den Erzherzog Rudolph faßt er seine Anschauung, sein Wollen auch in seiner Kunst zusammen: sie ist ihm Rede, Trost, Mahnung, Erleuchtung, Prophetie.

Dies sagt uns am deutlichsten diese Neunte Symphonie, die damals in Baden vollendet ward.

Aus den dunklen Abgründen des Nichts steigt der Wille, der unermeßliche, herauf, – mit ihm auch der Kampf und das Leid des Lebens. Aber es ist nicht das persönliche Leid mehr, – was ist alles persönliche Leid gegen das Leid der Welt, wie es ein großer Geist erkennt, ein großes Gemüth empfindet? – es ist jener Kampf um das höhere Sein, den »wir Endliche mit dem unendlichen Geist« in diesem bloß endlichen Dasein zu bestehen haben. »Schon mehrmals fluchte ich meinem Schöpfer, daß er seine Geschöpfe dem kleinsten Zufall ausgesetzt,« solche Angst- und Zornesrufe großer Seelen, denen die Welt ihre weite Anschauung einengt, ihr großes Wollen beschränkt, werden hier ausgestoßen. »Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen«, heißt es abermals, und ungeheuer ist das Ringen, sowie das Bewußtsein von einem höheren Besitz, das uns als Verheißung in tiefster Brust lebt, ein unumstößliches ist. Es sind solche Schläge, solches Murren, solches Flehen, solches Sehnen und Verzweifeln und doch wieder solches kühnes Sichaufrichten noch nicht gehört worden, – es ertönen die Mächte, die durch alle Geschichte hindurch Geschichte machten, die Mächte, die den Bestand der Menschheit erhalten und erneuern, und so steht er auch zuletzt nach einem furchtbaren Aufbäumen und Sichzusammenfassen in sich selbst fest, kühn, klaren Auges da, der Wille, der Geist, der Mensch, denn er ist die Welt selbst.

Allein er ist, eben wo er als Mensch erscheint, in sich selbst entzweit, sein Wesen ist als Individuum »verzweiflungsvoll«: wir haben es Beethoven oft genug sagen hören, daß er die Welt »detestabel« finde, und werden ihn gerade bei diesem Werke noch selbst deutlich seine Meinung darüber aussprechen sehen.

So zeigt er uns denn mit dem zweiten Satze, den er selbst nur › Allegro vivace‹ nennt, der aber auch in der That kein Scherzo, selbst kein Beethovensches mehr ist, sondern »mehr Malerei«, d. h. ein dramatisches Bild der irdischen Welt, in einem völligen Reihentanze ihrer Welt-Freuden, und zwar von der unbefangensten Lust des bloßen Daseins, wie sie bei ihm selbst manchmal in voller Heiterkeit und dem übermüthigsten Humor erstrahlte, sodaß er über Tisch und Stühle sprang, bis zum wüthenden Lebenswillen und bacchantischen Taumel des Genusses, – ebenfalls ein Frescogemälde der »lieben Gewohnheit des Daseins«, der Freude am Bestehenden, des Jauchzens und Jubels wie andererseits des Dämonischen der sinnenhaften Lust und Existenz. Allein wie mag sie auch in ihrem höchsten Glanz und Spiele dem Geist, dem edlen, selbst dauernd Nahrung und Genügen sein? Gerade aus ihren bestrickenden Kalypso-Armen zieht es ihn am ehesten wehmüthig sehnsuchtsvoll »zu den Sternen«, von dem bloßen »Schauspiel« zur »Natur«, vom Schein zu einem wirklichen Sein.

Dieses ideale Reich der still erhabenen Weltordnung, das unserer endlichen Sehnsucht Geist und Sinne sänftigt, erklingt in dem Adagio des Werkes. Und wenn hier in einer unvergleichlich poetischen Vereinigung dem ruhigen Wandel der Sterne und dem ewig geordneten Gang der Dinge das sehnend wogende Menschenherz in einer zweiten Melodie entgegengesetzt wird, wie sie an innerer Schönheit reicher nie erdacht worden ist, so sieht man doch zuletzt dieses Gemüth in dem erhabenen Wandel des Alls aufgehen und völlig vor sich selbst verschwinden: das Pochen der Weltenuhr in den machtvollen Rhythmen der Accordschläge dieses Schlußbildes ist wie die Todesglocke dieses Menschenherzens selbst, dessen Bedürftigkeit und Wünschen vor solcher Erhabenheit verstummt und ins Nichts hinübersinkt.

Aber die Welt ist der Mensch, ist das Herz und es will leben, leben! – So bleibt auch hier der letztentscheidende Hall immer noch das gleiche sehnend schlagende Tönen der menschlichen Empfindung.

Das Weitere der Entwicklung dieser machtvollen Tragödie gibt uns auch in Worten Beethoven selbst und bestätigt so jene Auslegung wie den sicheren Bestand der letzten Wahrheit in seinem eigenen Herzen. Denn da steht nach jenem fast wüthenden Aufschrei aller irdischen Existenz in dem Orchestersturm des Beginns vom Finale, der schon damals ein »Fest des Hohnes über alles was Menschenfreude heißt« genannt ward, in den Skizzen gewissermaßen als Text zu den mächtigen Recitativen der Contrabässe: »Nein diese Wirrnisse erinnern an unsern verzweiflungsvollen Zustand, heut ist ein feierlicher Tag, dieser sei gefeiert durch Gesang.« Es folgt das Thema des ersten Satzes: »O nein, dieses ist es nicht, etwas Anderes ist es was ich fordere«, – Wille und Bewußtsein des Menschen sind ja in sich selbst entzweit und der Grund unseres »verzweiflungsvollen Zustandes.« Folgt das Scherzomotiv: »Auch dieses ist es nicht, es ist nur Possen, nur Geplauder«, – Tand der Sinnenlust. Folgt das Adagiothema: »auch dieses ist es nicht«, – und darauf die Worte: »Ich selbst werde singen, – sie muß uns trösten, Musik uns erheitern«, worauf dann die Melodie »Freude schöner Götterfunken« ertönt, der wiedergewonnene Frieden der Seele, die Menschengestalt in der vollen Schöne ihrer aus sich selbst hergestellten Einheit und Unschuld. Beethoven wußte, aus welchen Tiefen der Menschheit die Musik hervorgeboren ist und was sie ihr selbst im letzten Bestande bedeutet.

Dies erfahren wir nun noch näher durch die Weiterführung dieses Finales, das ja die Lösung des Conflictes dieser Lebenstragödie darstellt. Denn die »Freude«, die hier gesungen wird, erweist sich als aus ihrer einzig wahren und dauernden Quelle, aus dem Gefühle der allumschlingenden Liebe entstammend, wie sie in der Religion den Menschen erfüllt. Das »Ihr stürzt nieder, Millionen« ist Grundlage und Mutterschooß (musikalisch ausgedrückt der Contrapunkt und zwar der doppelte) des »Seid umschlungen Millionen«, und das Ganze singt dann die »Freude« als die Verklärung der irdischen Welt durch die ewige Liebe. Der Wille kann nichts Größeres verrichten, als zum Heil des Ganzen sich selbst brechen. Auch diesem großen Geist war die größte und wichtigste Erscheinung der Welt nicht der Welteroberer, sondern der Weltüberwinder, und er weiß, daß dieser »Geist der Liebe« nicht ersterben kann.

Dies feiert unser Finale als letztes Ergebniß des »Kampfes mit dem Schicksal«, des menschlichen Lebenskampfes. Ist es zuviel gesagt, daß aus dem Geiste dieser Musik eine »neue Civilisation« und eine würdigere Menschenexistenz sich entwickeln könne, die selbst wieder auf deren Grund und Quelle, auf die Religion zurückführt? Beethoven gehört zu den Geistern, die weit über das bloße Schöne der Kunst hinaus der Menschheit ihren wirklichen Geistesbesitz erweitert haben. So begreifen wir, daß er als Gegenstück und letzte Ausführung dieser höchsten Vorstellungen von dem Zweck und Wesen unseres Geschlechts noch eine Zehnte Symphonie schreiben wollte, die das bloße menschlich Schöne der alten Welt durch die schöne Menschlichkeit der modernen Anschauung, das Irdische durch das wahrhaft Himmlische verklären wollte, – begreifen, daß von ihm selbst berichtet wird, sobald sich sein Gesicht zur Freundlichkeit aufgeheitert, habe es alle Reize der kindlichsten Unschuld verbreitet: »wenn er lächelte, so glaubte man nicht bloß an ihn, sondern an die Menschheit.« Ja zuweilen erblühte auf seinen Lippen ein Lächeln, das die Zeugen nicht anders als mit »himmlisch« bezeichnen konnten. So sehr lebte in seinem innersten Herzen der letzte Besitz der Menschheit.

Wir werden sehen, daß die jetzt folgenden Letzten Quartette diesen seinen erhaben verklärten Seelenzustand in den mannichfachsten Bildern darstellen und bis auf seinen tiefsten Grund aufdecken. –

Von Werken dieses Zeitraums sind noch zu nennen: Marsch zu »Tarpeja« und der Bardengeist, comp. 1813; Gute Nachricht, Elegischer Gesang, Kriegers Abschied, comp. 1814; Duos für Clarinette und Fagott, ersch. 1815; » Es ist vollbracht«, Sehnsucht, Schottische Lieder, comp. 1815; der Mann von Wort Op. 99, Militärmarsch, comp. 1816; Quintett Op. 104 (nach Op. 1, III), comp. 1817; Clavierstück in B, comp. 1818; Gratulationsmenuet, comp. 1822. Die Zahl der Werke, sieht man, wird je kleiner, je größer ihr Umfang oder je tiefer ihr Gehalt ist. Das letztere werden namentlich die jetzt folgenden Quartette zeigen, die so gut wie ganz allein stehen.

 


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