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Wenn wir Strauß, den Bekenner, recht verstanden haben, so ist er selbst ein wirklicher Philister mit eingeengter, trockener Seele und mit gelehrten und nüchternen Bedürfnissen; und trotzdem würde niemand mehr erzürnt sein, ein Philister genannt zu werden, als David Strauß, der Schriftsteller. Es würde ihm recht sein, wenn man ihn mutwillig, verwegen, boshaft, tollkühn nennte; sein höchstes Glück wäre aber, mit Lessing oder Voltaire verglichen zu werden, weil diese gewiß keine Philister waren. In der Sucht nach diesem Glück schwankt er öfter, ob er es dem tapferen dialektischen Ungestüm Lessings gleichtun solle, oder ob es ihm besser anstehe, sich als faunischen, freigeisterischen Alten in der Art Voltaires zu gebärden. Beständig macht er, wenn er sich zum Schreiben niedersetzt, ein Gesicht, wie wenn er sich malen lassen wollte, und zwar bald ein Lessingsches, bald ein Voltairesches Gesicht. Wenn wir sein Lob der Voltaireschen Darstellung lesen (S. 217, Voltaire), so scheint er der Gegenwart nachdrücklich ins Gewissen zu reden, weshalb sie nicht längst wisse, was sie an dem modernen Voltaire habe: »auch sind die Vorzüge«, sagt er, »überall dieselben: einfache Natürlichkeit, durchsichtige, Klarheit, lebendige Beweglichkeit, gefällige Anmut. Wärme und Nachdruck fehlen, wo sie hingehören, nicht; gegen Schwulst und Affektation kam der Widerwille aus Voltaires innerster Natur; wie andererseits, wenn zuweilen Mutwille oder Leidenschaften seinen Ausdruck ins Gemeine herabzogen, die Schuld nicht am Stilisten, sondern am Menschen in ihm lag.« Strauß scheint demnach recht wohl zu wissen, was es mit der Simplizität des Stiles auf sich hat: sie ist immer das Merkmal des Genies gewesen, als welches allein das Vorrecht hat, sich einfach, natürlich und mit Naivität auszusprechen. Es verrät sich also nicht der gemeinste Ehrgeiz, wenn ein Autor eine simple Manier wählt: denn obgleich mancher merkt, für was ein solcher Autor gehalten werden möchte, so ist doch mancher auch so gefällig, ihn ebendafür zu halten. Der geniale Autor verrät sich aber nicht nur in der Schlichtheit und Bestimmtheit des Ausdruckes: seine übergroße Kraft spielt mit dem Stoffe, selbst wenn er gefährlich und schwierig ist. Niemand geht mit steifem Schritte auf unbekanntem und von tausend Abgründen unterbrochenem Wege: aber das Genie läuft behend und mit verwegenen oder zierlichen Sprüngen auf einem solchen Pfade und verhöhnt das sorgfältige und furchtsame Abmessen der Schritte.
Daß die Probleme, an denen Strauß vorüberläuft, ernst und schrecklich sind und als solche von den Weisen aller Jahrtausende behandelt wurden, weiß Strauß selbst, und trotzdem nennt er sein Buch leicht geschürzt. Von allen diesen Schrecken, von dem finsteren Ernste des Nachdenkens, in den man sonst bei den Fragen über den Wert des Daseins und die Pflichten des Menschen von selbst verfällt, ahnt man nichts mehr, wenn der genialische Magister an uns vorübergaukelt, »leicht geschürzt und mit Absicht«, ja leichter geschürzt als sein Rousseau, von dem er uns zu erzählen weiß, daß er sich von unten entblößte und nach oben zu drapierte, während Goethe sich unten drapiert und oben entblößt haben soll. Ganz naive Genies, scheint es, drapieren sich gar nicht, und vielleicht ist das Wort »leicht geschürzt« überhaupt nur ein Euphemismus für nackt. Von der Göttin Wahrheit behaupten ja die Wenigen, die sie gesehen haben, daß sie nackt gewesen sei: und vielleicht ist im Auge solcher, die sie nicht gesehen haben, aber jenen Wenigen glauben, Nacktheit oder Leicht-Geschürztheit schon ein Beweis, mindestens ein Indizium der Wahrheit. Schon der Verdacht ist hier von Vorteil für den Ehrgeiz des Autors: jemand sieht etwas Nacktes – »wie, wenn es die Wahrheit wäre!« sagt er sich und nimmt eine feierlichere Miene an, als ihm sonst gewöhnlich ist. Damit hat aber der Autor schon viel gewonnen, wenn er seine Leser zwingt, ihn feierlicher anzusehen als einen beliebigen fester geschürzten Autor. Es ist der Weg dazu, einmal ein »Klassiker« zu werden: und Strauß erzählt uns selbst, »daß man ihm die ungesuchte Ehre erwiesen habe, ihn als eine Art von klassischem Prosaschreiber anzusehen«, daß er also im Ziele seines Weges angekommen sei. Das Genie Strauß läuft in der Kleidung leicht geschürzter Göttinnen als »Klassiker« auf den Straßen herum, und der Philister Strauß soll durchaus, um uns einer Originalwendung dieses Genies zu bedienen, »in Abgang dekretiert« oder »auf Nimmerwiederkehr hinausgeworfen werden«.
Ach, der Philister kehrt aber trotz aller Abgangs-Dekrete und alles Hinauswerfens doch wieder und oft wieder! Ach das Gesicht, in Voltairesche und Lessingsche Falten gezwängt, schnellt doch von Zeit zu Zeit in seine alten ehrlichen originalen Formen zurück! Ach die Genielarve fällt zu oft herab, und nie war der Blick des Magisters verdrossener, nie waren seine Bewegungen steifer, als wenn er eben den Sprung des Genies nachzuspringen und mit dem Feuerblick des Genies zu blicken versucht hatte. Gerade dadurch, daß er sich in unserer kalten Zone so leicht schürzt, setzt er sich der Gefahr aus, sich öfter und schwerer zu erkälten als ein anderer; daß dies alles dann auch die anderen merken, mag recht peinlich sein, aber es muß ihm, wenn er je Heilung finden will, auch öffentlich folgende Diagnose gestellt werden: Es gab einen Strauß, einen wackeren, strengen und straffgeschürzten Gelehrten, der uns eben so sympathisch war, wie jeder, der in Deutschland mit Ernst und Nachdruck der Wahrheit dient und innerhalb seiner Grenzen zu herrschen versteht; der, welcher jetzt in der öffentlichen Meinung als David Strauß berühmt ist, ist ein anderer geworden: die Theologen mögen es verschuldet haben, daß er dieser andere geworden ist; genug, sein jetziges Spiel mit der Genie-Maske ist uns ebenso verhaßt oder lächerlich, als uns sein früherer Ernst zum Ernste und zur Sympathie zwang. Wenn er uns neuerdings erklärt: »es wäre auch Undank gegen meinen Genius, wollte ich mich nicht freuen, daß mir neben der Gabe der schonungslos zersetzenden Kritik zugleich die harmlose Freude am künstlerischen Gestalten verliehen ward«, so mag es ihn überraschen, daß es trotz diesem Selbstzeugnis Menschen gibt, welche das Umgekehrte behaupten; einmal, daß er die Gabe künstlerischen Gestaltens nie gehabt habe, und sodann, daß die von ihm »harmlos« genannte Freude nichts weniger als harmlos sei, sofern sie eine im Grunde kräftig und tief angelegte Gelehrten- und Kritiker-Natur, das heißt den eigentlichen Straußschen Genius, allmählich untergraben und zuletzt zerstört hat. In einer Anwandlung von unbegrenzter Ehrlichkeit fügt zwar Strauß selbst hinzu, er habe immer »den Merck in sich getragen, der ihm zurief: solchen Quark mußt du nicht mehr machen, das können die anderen auch!«. Das war die Stimme des echten Straußschen Genius: diese selbst sagt ihm auch, wie viel oder wie wenig sein neues, harmlos leicht geschürztes Testament des modernen Philisters wert sei. Das können die anderen auch! Und viele könnten es besser! Und die es am besten könnten, begabtere und reichere Geister als Strauß, würden immer nur – Quark gemacht haben.
Ich glaube, daß man wohl verstanden hat, wie sehr ich den Schriftsteller Strauß schätze: nämlich wie einen Schauspieler, der das naive Genie und den Klassiker spielt. Wenn Lichtenberg einmal sagt: »Die simple Schreibart ist schon deshalb zu empfehlen, weil kein rechtschaffener Mann an seinen Ausdrücken künstelt und klügelt«, so ist deshalb die simple Manier doch noch lange nicht ein Beweis für schriftstellerische Rechtschaffenheit. Ich wünschte, der Schriftsteller Strauß wäre ehrlicher, dann würde er besser schreiben und weniger berühmt sein. Oder – wenn er durchaus Schauspieler sein will so wünschte ich, er wäre ein guter Schauspieler und machte es dem naiven Genie und dem Klassiker besser nach, wie man klassisch und genial schreibt. Es bleibt nämlich übrig zu sagen, daß Strauß ein schlechter Schauspieler und sogar ein ganz nichtswürdiger Stilist ist.