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(1874/78.)
(Aus dem Januar 1874.)
295.
Richard Wagner in Bayreuth.
296.
Wagner versucht die Erneuerung der Kunst von der einzigen noch vorhandenen Basis aus, vom Theater aus: hier wird doch wirklich noch eine Masse aufgeregt und macht sich Nichts vor wie in Museen und Concerten. Freilich ist es eine sehr rohe Masse, und die Theatrokratie wieder zu beherrschen hat sich bis jetzt noch als unmöglich erwiesen. Problem: soll die Kunst ewig sektirerisch und isolirt fortleben? Ist es möglich, sie zur Herrschaft zu bringen? Hier liegt Wagner's Bedeutung, er versucht die Tyrannis mit Hülfe der Theatermassen. Es ist wohl kein Zweifel, daß Wagner als Italiäner sein Ziel erreicht haben würde. Der Deutsche hat keine Achtung vor der Oper und betrachtet sie immer als importirt und als undeutsch. Ja das ganze Theaterwesen nimmt er nicht ernst.
297.
Es liegt etwas Komisches darin: Wagner kann die Deutschen nicht überreden, das Theater ernst zu nehmen. Sie bleiben kalt und ungemüthlich – er ereifert sich, als ob das Heil der Deutschen davon abhienge. Jetzt zumal glauben die Deutschen ernsthafter beschäftigt zu sein, und es kommt ihnen wie eine lustige Schwärmerei vor, daß Jemand der Kunst so feierlich sich zuwendet.
Reformator ist Wagner nicht, denn bis jetzt ist Alles beim Alten geblieben. In Deutschland nimmt Jeder seine Sache ernst, da lacht man über Den, der für sich allein das Ernstnehmen prätendirt.
Einwirkung der Geldkrisen.
Allgemeine Unsicherheit der politischen Lage.
Zweifel an der besonnenen Leitung der deutschen Geschicke.
Zeit der Kunstaufregungen (Liszt u. s. w.) vorüber.
Eine ernste Nation will sich einige Leichtfertigkeit nicht verkümmern lassen, die Deutschen nicht in den theatralischen Künsten.
Hauptsache: die Bedeutung der Kunst, wie sie Wagner hat, paßt nicht in unsre gesellschaftlichen und arbeitenden Verhältnisse. Daher instinktive Abneigung gegen das Ungeeignete.
298.
Die Bedeutung, die Wagner der Kunst zuschreibt, ist nicht deutsch. Hier fehlt es selbst an einer dekorativen Kunst. Alle öffentliche Schicklichkeit für Kunst fehlt. Im Wesentlichen gelehrtenhaft oder ganz gemein. Hier und da vereinzelte Begierde zum Schönen. Musik steht einzig da. Aber selbst diese hat nicht vermocht, eine Organisation zu schaffen: nicht einmal die importirte Theatermusik abzuhalten.
*
Jemand, der heute im Theater klatscht, schämt sich morgen darüber: denn wir haben unsern Hausaltar, Beethoven, Bach – da bleicht die Erinnerung.
299.
Wagner fand das Publikum sehr verschiedenartig ausgebildet, anders in der Beurtheilung, anders für Musik. Er nahm es als Einheit und erklärte seine Ausbrüche von Neigung als aus Einer Wurzel kommend, d. h. er setzte voraus, daß der Effekt durch gleiche Portionen von Einzeleffekten zusammenaddirt sei. So und so viel Freude an der Musik, ebensoviel an der Schauspielkunst, ebensoviel am Drama.
Nun lernt er, daß eine große Schauspielerin diese Rechnung in Verwirrung bringt – zugleich aber steigert sich sein Ideal – was wird die Wirkung erst für eine Höhe erreichen, wenn eine gleich große Musik u. s. w. entspricht?
300.
Das erste Problem Wagner's: »warum bleibt die Wirkung aus, da ich sie empfange?« Dies treibt ihn zu einer Kritik des Publikums, des Staates, der Gesellschaft. Er setzt zwischen Künstler und Publikum das Verhältniß von Subjekt und Objekt – ganz naiv.
301.
Wagner ist eine gesetzgeberische Natur: er übersieht viel Verhältnisse und ist nicht im Kleinen befangen, er ordnet Alles im Großen und ist nicht nach der isolirten Einzelheit zu beurtheilen – Musik, Drama, Poesie, Staat, Kunst u. s. w.
Die Musik ist nicht viel werth, die Poesie auch nicht, das Drama auch nicht, die Schauspielkunst ist oft nur Rhetorik – aber Alles ist im Großen eins und auf einer Höhe.
302.
Wagner's Begabung ist ein aufwachsender Wald, kein einzelner Baum.
303.
Die Heiterkeit Wagner's ist das Sicherheitsgefühl Dessen, der von den größten Gefahren und Ausschweifungen zurückkehrt, in's Begrenzte und Heimische; alle Menschen, mit denen er umgeht, sind solche begrenzte Abschnitte aus seinem eigenen Laufe (wenigstens empfindet er Nichts mehr an ihnen), deshalb kann er hier heiter und überlegen sein, denn hier kann er mit allen Nöthen, Bedenken spielen.
304.
Die eine Eigenschaft Wagner's: Unbändigkeit, Maaßlosigkeit, er geht bis auf die letzte Sprosse seiner Kraft, seiner Empfindung.
Die andre Eigenschaft ist eine große schauspielerische Begabung, die versetzt ist, die sich in andern Wegen Bahn bricht als auf dem ersten nächsten: dazu nämlich fehlt ihm Gestalt, Stimme und die nöthige Bescheidung.
305.
Wagner ist ein geborner Schauspieler, aber gleichsam wie Goethe ein Maler ohne Malerhände. Seine Begabung sucht und findet Auswege.
Nun denke man sich diese versagten Triebe zusammen wirkend.
306.
Wenn Goethe ein versetzter Maler, Schiller ein versetzter Redner ist, so ist Wagner ein versetzter Schauspieler. Er nimmt besonders die Musik hinzu –
307.
Wagner steht zur Musik wie ein Schauspieler: deshalb kann er gleichsam aus verschiednen Musikerseelen sprechen und ganz diverse Welten (Tristan, Meistersinger) nebeneinander hinstellen.
308.
Die Einfachheit in der Anlage der Dramen zeigt den Schauspieler.
*
Wagner schätzt das Einfache der dramatischen Anlage, weil es am stärksten wirkt. Er sammelt alle wirksamen Elemente, in einer Zeit, die sehr rohe und starke Mittel wegen ihrer Stumpfheit braucht. Das Prächtige, Berauschende, Verwirrende, das Grandiose, das Schreckliche, Lärmende, Häßliche, Verzückte, Nervöse, – Alles ist im Recht. Ungeheure Dimensionen, ungeheure Mittel.
Das Unregelmäßige, der überladene Glanz und Schmuck macht den Eindruck des Reichthums und der Üppigkeit. Er weiß, was auf unsre Menschen noch wirkt: dabei hat er sich »unsre Menschen« noch idealisirt und sehr hoch gedacht.
309.
Als Schauspieler wollte er den Menschen nur als den wirksamsten und wirklichsten nachahmen: im höchsten Affekt. Denn seine extreme Natur sah in allen andern Zuständen Schwäche und Unwahrheit. Die Gefahr der Affektmalerei ist für den Künstler außerordentlich. Das Berauschende, das Sinnliche, Ekstatische, das Plötzliche, das Bewegtsein um jeden Preis – schreckliche Tendenzen!
310.
Sein Zurückfliehen zur Natur, das heißt zum Affekt, ist deshalb verdächtig, weil der Affekt am wirkungsreichsten ist. Falsch die Möglichkeit einer Kunst, die reine Improvisation ist: das ist der deutschen Musik entgegen doch nur ein naiver Standpunkt. Die organische Einheit liegt bei Wagner im Drama, durchdringt aber deshalb nicht die Musik (oft nicht), ebensowenig den Text. Der behält den Eindruck des Improvisirten (das nur bei den vollendeten Künstlern etwas Gutes ist, nicht bei werdenden: aber es täuscht immer und erweckt den Eindruck des Reichthums).
311.
Unmäßigkeit und Schrankenlosigkeit galt ihm wohl als Natur.
312.
Man muß nicht unbillig sein und nicht von einem Künstler die Reinheit und Uneigennützigkeit verlangen, wie sie ein Luther u. s. w. besitzt. Doch leuchtet aus Bach und Beethoven eine reinere Natur. Das Ekstatische ist bei Wagner oft gewaltsam und nicht naiv genug, zudem durch starke Contraste zu stark in Scene gesetzt.
313.
Die Sehnsucht nach der Ruhe, Treue – aus dem Unbändigen, Grenzenlosen – im fliegenden Holländer.
*
Im Tannhäuser sucht er eine Reihe von ekstatischen Zuständen an einem Individuum zu motiviren: er scheint zu meinen, erst in diesen Zuständen zeige sich der natürliche Mensch.
In den Meistersingern und in Theilen seiner Nibelungen kehrt er zur Selbstbeherrschung zurück: er ist darin größer als in dem ekstatischen Sichgehenlassen. Die Beschränkung steht ihm wohl.
Ein Mensch, der durch seinen Kunsttrieb disciplinirt wird.
314.
Gefahren der dramatischen Musik für die Musik.
Gefahren des musikalischen Dramas für den dramatischen Dichter.
Gefahren für den Sänger.
315.
Zwischen Musik und Sprache ist eine Verbindung möglich, die wirklich organisch ist: im Lied. Oft auch in ganzen Scenen. Es ist ein Ideal, das Drama und die Musik in ein solches Verhältniß zu bringen: Vorbild im antiken Chortanz. Aber das Ziel ist sofort viel zu hoch genommen: denn wir haben noch keinen Stil der Bewegung, keine ebenso reiche Ausbildung der Orchestik, wie es unsere Musik hat. Die Musik aber in den Dienst einer naturalistischen Leidenschaftlichkeit zwingen, löst sie auf und verwirrt sie selbst und macht sie später unfähig, die gemeinsame Aufgabe zu lösen. Daß uns eine solche Kunst, wie die Wagner's, auf's Höchste gefällt, daß sie eine unendliche Ferne der Kunstentwicklung noch aufzeigt, ist kein Zweifel. Aber der deutsche Formensinn! Wenn nur die Musik nicht schlecht wird und die Form ausbleibt! Im Dienste Hans-Sachsischer Gebärden muß die Musik entarten. (Beckmesser.)
*
Die Musik zu Beckmesser ist superlativisch; sie kann Keinen mehr ausdrücken, der mehr geprügelt und geschunden ist. Man hat ordentlich Mitleid, wie wenn ein Bucklichter verhöhnt wird.
316.
Der Weg vom Tanz bis zur Symphonie kann nicht übersprungen werden: was bleibt übrig als ein naturalistisches Gegenstück der unrhythmischen wirklichen Leidenschaft. Aber mit der unstilisirten Natur kann die Kunst Nichts anfangen. Excesse der bedenklichsten Art im Tristan, zum Beispiel die Ausbrüche am Schluß des zweiten Aktes. Unmäßigkeit in der Prügelscene der Meistersinger. Wagner fühlt, daß er in Hinsicht der Form die ganze Rohheit des Deutschen hat und will lieber unter Hans Sachsens Panier kämpfen als unter dem der Franzosen oder der Griechen. Unsre deutsche Musik (Mozart, Beethoven) hat aber die italiänische Form in sich aufgenommen, wie das Volkslied, und entspricht deshalb mit ihrem feingegliederten Reichthum der Linien nicht mehr der bäuerlich-bürgerlichen Rüpelei.
317.
Die Sprache auf den stärksten Ausdruck gesteigert – Stabreim. Orchester ebenfalls. Die Deutlichkeit der Sprache ist nicht das Höchste, sondern die berauschende Kraft der Ahnung.
318.
Im Großen ist Wagner gesetzmäßig und rhythmisch, im Einzelnen oft gewaltsam und unrhythmisch.
319.
Das Aufhören der großen rhythmischen Perioden, das Übrigbleiben der Taktphrasen macht allerdings den Eindruck der Unendlichkeit, des Meers: aber es ist ein Kunstmittel, nicht das reguläre Gesetz, zu dem es Wagner stempeln möchte. Wir haschen zuerst danach, suchen uns Perioden, werden immer wieder getäuscht, und endlich wirft man sich in die Wellen.
320.
Bei manchen Harmonien hat er etwas Angenehm-Widerstrebendes, wie beim Drehen eines Schlüssels in einem complicirten Schlosse.
321.
Ob man bei Wagner von prächtiger »Aktfigurenmusik« reden könnte? Ihm schwebt das Bild des sichtbar werdenden Innern, des als Bewegung anzuschauenden Gemüthsprocesses vor – dem will er entsprechen: höchst schopenhauerisch den Willen direkt zu fassen.
Musik als Abbild einer Existenz durch das Nacheinander.
322.
Gefahr, daß in den Bewegungen und Handlungen des Dramas die Motive für die Bewegung der Musik liegen, daß sie geleitet wird. Es ist nicht nöthig, daß Eins von Beiden leitet – im vollkommnen Kunstwerk haben wir das Gefühl des nothwendigen Nebeneinanders.
323.
Wagner bezeichnet als den Irrthum im Kunstgenre der Oper, daß ein Mittel des Ausdrucks, die Musik, zum Zwecke, der Zweck des Ausdrucks aber zum Mittel gemacht war. Also die Musik gilt ihm als Mittel des Ausdrucks – sehr charakteristisch für den Schauspieler. Jetzt war man bei einer Symphonie gefragt: wenn die Musik hier Mittel des Ausdrucks ist, was ist der Zweck? Der kann also nicht in der Musik liegen: Das, was seinem Wesen nach Mittel des Ausdrucks ist, muß nun Etwas haben, was es ausdrücken soll: Wagner meint das Drama. Ohne dies hält er die Musik allein für ein Unding: es erweckt die Frage »warum der Lärm?«. Deshalb hielt er die neunte Symphonie für die eigentliche That Beethoven's, weil er hier durch Hinzunahme des Wortes der Musik ihren Sinn gab, Mittel des Ausdrucks zu sein.
Mittel und Zweck – Musik und Drama – ältere Lehre.
Allgemeines und Beispiel – Musik und Drama – neuere Lehre.
Ist die Letztere wahr, so darf das Allgemeine ganz und gar nicht abhängig vom Beispiel sein, das heißt: die absolute Musik ist im Recht, auch die Musik des Dramas muß absolute Musik sein. Nun ist das immer noch mehr ein Gleichniß und Bild – es ist nicht völlig wahr, daß das Drama nur ein Beispiel zur Allgemeinheit der Musik ist: Gattung und Species, worin doch? Als Bewegung von Tönen gegenüber den Bewegungen nun Gestalten (um hier nur vom mimischen Drama zu reden). Nun können aber auch die Bewegungen einer Gestalt das Allgemeinere sein: denn sie drücken innerliche Zustände aus, die viel reicher und nüancirter sind als ihr Bewegungsresultat am äußern Menschen: weshalb wir so oft eine Gebärde mißverstehen. Überdies ist unendlich viel Conventionelles an allen Gebärden – der völlig freie Mensch ist ein Phantasma. Läßt man aber die Bewegtheit der Gestalt fahren und redet vom bewegten Gefühl, so sollte nun die Musik das Allgemeine, das bewegte Gefühl der und jener Person das Specielle sein. Die Musik aber ist eben das bewegte Gefühl des Musikers in Tönen ausgedrückt, also jedenfalls eines Individuums. Und so war es immer (wenn man von der rein formalistischen Tonarabesken-Lehre absieht). So hätte man den vollen Widerspruch: ein ganz specieller Ausdruck des Gefühls als Musik, ganz bestimmt – und daneben das Drama, ein Nebeneinander von Ausdrücken ganz bestimmter Gefühle, der dramatischen Personen, durch Wort und Bewegung. Wie können diese sich je decken? Wohl kann der Musiker den Vorgang des Dramas selbst nachempfinden und als reine Musik wiedergeben (Coriolanouverture). Dieses Abbild hat aber dann zum Drama selbst allerdings den Sinn einer Verallgemeinerung, die politischen Motive, Gründe, Alles ist weggelassen und nur der dumme Wille redet. In jedem andern Sinne ist dramatische Musik schlechte Musik.
Nun aber die verlangte Gleichzeitigkeit und der genaueste Parallelismus! des ganzen Vorgangs, im Musiker und im Drama. Da stört nun die Musik den Dramatiker, denn sie braucht, um Etwas auszudrücken, Zeit, oft zu einer einzigen Regung des Dramas eine ganze Symphonie. Was macht währenddem das Drama? Wagner benutzt dazu den Dialog, überhaupt die Sprache.
Da kommt nun eine neue Macht und Schwierigkeit hinzu: die Sprache. Diese redet in Begriffen. Auch diese haben ihre eignen Zeitgesetze:
Mimus, Begriffswelt, Musik, jedes drückt das zu Grunde liegende Gefühl in andern Zeitmaaßen aus. Im Wortdrama regiert die Macht, die die meiste Zeit braucht, der Begriff. Deshalb ist die Aktion oft ein Ruhen, plastisch, Gruppen. Besonders in der Antike: die ruhende Plastik drückt einen Zustand aus. Der Mimus wird also bedeutend durch das Wortdrama bestimmt.
Nun braucht der Musiker ganz andere Zeiten, und eigentlich sind ihm gar keine Gesetze vorzuschreiben: eine angeschlagene Empfindung kann bei dem einen Musiker lang, bei dem andern kurz sein. Welche Forderung nun, daß hier die Begriffssprache und die Tonsprache neben einander hergehen!
Nun enthält aber die Sprache selbst ein musikalisches Element. Der stark empfundene Satz hat eine Melodie, die auch ein Bild der allgemeinsten Willensregung dabei ist. Diese Melodie ist künstlerisch verwendbar und ausdeutbar, in's Unendliche.
Die Vereinigung aller dieser Faktoren scheint unmöglich: der eine Musiker wird einzelne durch das Drama erregte Stimmungen wiedergeben und mit dem größten Theil des Dramas sich nicht zu helfen wissen: daher dann wohl das Recitativ und die Rhetorik. Der Dichter wird dem Musiker nicht zu helfen vermögen und dadurch sich selbst nicht helfen können: er wünscht nur so viel zu dichten, als man singen kann. Davon hat er aber nur ein theoretisches Bewußtsein, kein innerliches. Der Schauspieler muß vor Allem wieder als Sänger eine Menge thun, was nicht dramatisch ist, den Mund aufsperren u. s. w.; er braucht conventionelle Manieren. Nun würde sich Alles verändern, wenn der Schauspieler einmal zugleich Musiker und Dichter wäre.
Er benutzt Gebärde, Sprache, Sprachmelodie und dazu noch die anerkannten Symbole des Musikausdrucks. Er setzt eine sehr reich entwickelte Musik voraus, die schon für eine Unzahl Regungen einen festeren erkennbaren und wiederkehrenden Ausdruck gewonnen hat. Durch diese Musikcitate erinnert er den Zuhörer an eine bestimmte Stimmung, in der der Schauspieler sich gedacht wissen will. Jetzt ist wirklich die Musik ein »Mittel des Ausdrucks« geworden: steht deshalb künstlerisch auf einer niedern Stufe, denn sie ist nicht mehr organisch in sich. Nun wird der musikalische Meister immer noch die Symbole in der kunstvollsten Weise verflechten können: aber weil der eigentliche Zusammenhang und Plan jenseits und außerhalb der Musik liegt, kann sie nicht organisch sein. Aber es würde unbillig sein, dies dem Dramatiker vorzuwerfen. Er darf zu Gunsten des Dramas die Musik als Mittel gebrauchen, wie er die Malerei als Mittel gebraucht. Solche Musik, rein an sich, ist der gemalten Allegorie zu vergleichen: der eigentliche Sinn liegt nicht im Bilde, deshalb kann es sehr schön sein.
324.
Alles Große, zumal Neue, ist gefährlich: meistens tritt es auf, als ob es einzig berechtigt wäre.
325.
Goethe zweifelte auch nicht Das zu können, was ihm gefiel. Sein Geschmack und sein Können giengen parallel. Das Präsumptuöse.
Was auf Wagner stark wirkte, das wollte er auch machen. Von seinen Vorbildern verstand er nicht mehr, als er auch nachahmen könnte. Schauspieler-Natur.
326.
Wagner ist eine regierende Natur, nur dann in seinem Elemente, nur dann gewiß mäßig und fest: die Hemmung dieses Triebes macht ihn unmäßig, excentrisch, widerhaarig.
327.
Wagner ist für einen Deutschen zu unbescheiden; man denke an Luther, unsre Feldherrn.
328.
Der Mensch, der dieser ungeheuren Entzückungen und Selbstentäußerungen sich fähig fühlt, behält schwerlich Bescheidenheit, denn nur der Wissende ist zum Bescheiden aufgefordert, der Unwissende-Begeisterte ist unbegrenzt. Cult des Genius kommt hinzu, durch Schopenhauer genährt.
329.
Wagner ist moderner Mensch und vermag sich nicht durch den Glauben an Gott zu ermuthigen und zu befestigen. Er glaubt nicht in der Hand eines guten Wesens zu stehen, aber er glaubt an sich. Keiner ist mehr gegen sich ganz ehrlich, der nur an sich glaubt. Wagner beseitigt alle seine Schwachen, dadurch, daß er sie der Zeit und den Gegnern aufbürdet.
330.
Er entladet sich seiner Schwächen, dadurch daß er sie der modernen Zeit zuschiebt: natürlicher Glaube an die Güte der Natur, wenn sie frei waltet.
Er mißt Staat, Gesellschaft, Tugend, Volk, Alles an seiner Kunst: in unbefriedigtem Zustande wünscht er, daß die Welt zu Grunde gehe.
*
Schuld und Unrecht abwälzend – weil er immer wächst, so vergißt er das Unrecht schnell: auf der neuen Stufe erscheint es ihm bereits gering und verharscht. Kann sich über Alles trösten, wie Schopenhauer.
331.
Die künstlerische Kraft veredelt den unbändigen Trieb und engt ihn ein, concentrirt ihn (zu dem Wunsch, dies Werl möglichst vollkommen zu gestalten). Sie veredelt die ganze Natur Wagners. Immer reckt sie sich wieder nach höheren Zielen aus, so hoch als sie nur sehen kann: immer besser werden diese Ziele, endlich auch immer bestimmter und dadurch näher. So scheint der gegenwärtige Wagner dem Wagner von Oper und Drama, dem Socialisten, nicht mehr zu entsprechen: das frühere Ziel scheint höher, ist aber nur ferner und unbestimmter. Seine jetzige Auffassung des Daseins, Deutschlands u. s. w. ist tiefer, obwohl sie viel conservativer ist.
332.
Es ist ein Glück, daß Wagner nicht auf einer höheren Stelle, als Edelmann, geboren ist und nicht auf die politische Sphäre verfiel.
*
Er hat sich vom Nachdenken über politische Möglichkeiten nicht frei gehalten: zu seinem Unglücke auch mit dem König von Bayern, der ihm erstens sein Werk nicht ausführte, zweitens es durch vorläufige Aufführungen halb preisgab und drittens ihm einen höchst unpopulären Ruf schaffte, weil man die Ausschreitungen dieses Fürsten Wagner allgemein zuschreibt.
Ebenso unglücklich ließ er sich mit der Revolution ein: er verlor die vermögenden Protektoren, erregte Furcht und mußte wiederum den socialistischen Parteien als ein Abtrünniger erscheinen: Alles ohne jeden Vortheil für seine Kunst und ohne höhere Notwendigkeit, überdies als Zeichen der Unklugheit, denn er durchschaute die Lage 1848 gar nicht.
Drittens beleidigte er die Juden, die jetzt in Deutschland das meiste Geld und die Presse besitzen. Als er es that, hatte er keinen Beruf dazu: später war es Rache.
*
Ob er mit seinem großen Vertrauen, welches er in Bismarck setzte, Recht hatte, wird eine nicht zu ferne Zukunft lehren.
333.
Die Jugend Wagner's ist die eines vielseitigen Dilettanten, aus dem nichts Rechtes werden will.
334.
Er lief seinem Amte davon, weil er nicht mehr dienen mochte.
335.
Ich habe oft unsinniger Weise bezweifelt, ob Wagner musikalische Begabung habe.
336.
Keiner unserer großen Musiker war in seinem 28. Jahre noch ein so schlechter Musiker wie Wagner
337.
Seine Natur theilt sich allmählich: neben Siegfried-Walther-Tannhäuser tritt Sachs-Wotan. Er lernt den Mann zu begreifen, sehr spät. Tannhäuser und Lohengrin sind Ausgeburten eines Jünglings.
338.
Wagner hat sich so gewöhnt, in verschiedenen Künsten zugleich zu empfinden, daß er für neue Musik völlig unempfindlich ist: so daß er sie theoretisch verwirft. Ebenso für Dichtungen. Daraus viele Mißhelligkeiten mit Zeitgenossen.
339.
Es kommt ihm gar leine Pietät entgegen, der echte Musiker betrachtet ihn als einen Eindringling, als illegitim.
340.
Die »falsche Allmacht« entwickelt etwas »Tyrannisches« in Wagner. Das Gefühl ohne Erben zu sein – deshalb sucht er seiner Reformidee die möglichste Breite zu geben und sich gleichsam durch Adoption fortzupflanzen. Streben nach Legitimität.
Der Tyrann läßt keine andre Individualität gelten als die seinige und die seiner Vertrauten. Die Gefahr für Wagner ist groß, wenn er Brahms u. s. w, nicht gelten läßt: oder die Juden.
341.
Seine Begabung als Schauspieler zeigt sich darin, daß er es nie im persönlichen Leben ist. Als Schriftsteller ist er Rhetor, ohne die Kraft, zu überzeugen.
342.
In seinen Wertschätzungen der großen Musiker gebraucht er zu starke Ausdrücke, zum Beispiel nennt er Beethoven einen Heiligen. Auch ist, das Hinzuziehn der Worte in der neunten Symphonie als Hauptthat zu schildern, ein starkes Stück. Er erregt Mißtrauen durch sein Lob wie durch seinen Tadel. Das Zierliche und Anmuthige sowie die reine Schönheit, der Wiederglanz einer völlig gleichschwebenden Seele geht ihm ab: aber er sucht sie zu diskreditiren.
343.
Shakespeare und Beethoven nebeneinander – der kühnste wahnsinnigste Gedanke.
344.
Wagner als Schriftsteller giebt nicht sein Bild treu wieder. Er componirt nicht: das Gesammte kommt nicht zur Anschauung: im Einzelnen schweift er ab, ist dunkel, und nicht harmlos und überlegen. Er hat keine heitere Anmaaßung. Es ist ihm alle Anmuth, Zierlichkeit versagt, auch dialektische Schärfe.
345.
Eine besondere Form des Ehrgeizes Wagner's war es, sich mit den Größen der Vergangenheit in Verhältniß zu setzen: mit Schiller-Goethe, Beethoven, Luther, der griechischen Tragödie, Shakespeare, Bismarck. Nur zur Renaissance fand er kein Verhältniß; aber er erfand den deutschen Geist, gegen den romanischen. Interessante Charakteristik des deutschen Geistes nach seinem Vorbilde.
346.
Wagner wird setzt wohl der unbefangenste Schätzer der deutschen kleinen Tugenden und Beschränktheiten sein, denn er sieht sie unterliegen und conspirirt mit ihnen gegen Das, was jetzt siegt.
347.
Wie erwarb sich Wagner die Anhänger? Sänger, die als Dramatiker interessant wurden und eine ganz neue Möglichkeit zu wirken bekamen, vielleicht bei geringerer Stimme. Musiker, die bei dem Meister des Vortrags lernten: der Vortrag muß so genial sein, daß er über das Werl selbst zu keinem Bewußtsein bringt. Orchestermusiker im Theater, die sich früher langweilten. Musiker, die Berauschung oder Bezauberung des Publikums auf direkte Weise betrieben und die die Farbeneffekte des Wagner'schen Orchesters erlernten. Alle Arten von Unzufriednen, die bei jedem Umsturz Etwas für sich zu gewinnen hofften. Menschen, die für jeden sogenannten »Fortschritt« schwärmen. Solche, die sich bei der bisherigen Musik langweilten und nun ihre Nerven kräftiger bewegt fanden. Menschen, die sich für alles Verwegne und Kühne fortreißen lassen. – Er hatte bald die Virtuosen für sich, bald einen Theil der Componisten; – entbehren kann ihn kaum Einer oder der Andre. Litteraten mit allen unklaren Reformbedürfnissen. Künstler, die die Art unabhängig zu leben bewundern.
348.
Wagner als Denker ist gleich so hoch als Wagner als Musiker und Dichter.
349.
Die Kunst sammelt einmal Alles zusammen, was sie noch für Reize hat, bei den modernen Deutschen – Charakter, Wissen, Alles kommt zusammen. Ein ungeheurer Versuch, sich zu behaupten und zu dominiren – in einer kunstwidrigen Zeit. Gift gegen Gift: alle Überspannungen richten sich polemisch gegen große kunstwidrige Kräfte. Religiöse, philosophische Elemente mit hineingezogen, Sehnsucht nach dem Idyllischen, Alles, Alles.
350.
Man muß eben bedenken, was für eine Zeit sich hier eine Kunst schafft: ganz ungebunden, athemlos, unfromm, habsüchtig, formlos, unsicher in den Fundamenten, fast desperat, unnaiv, durch und durch bewußt, unedel, gewaltsam, feige.
351.
Man sollte durch das Mißlingen Wagner nicht noch mehr aufreizen; man macht ihn zu grimmig.
352.
Eine Art Gegenreformation; die transcendente Betrachtung ist äußerst geschwächt worden, Schönheit, Kunst, Liebe zum Dasein sehr vulgarisirt, unter den Nachwirkungen des protestantischen Geistes. Idealisirtes Christentum katholischer Art.
353.
Wagner's Kunst ist überfliegend und transcendental, was soll unsre arme deutsche Niedrigkeit damit anfangen! Sie hat Etwas wie Flucht aus dieser Welt, sie negirt dieselbe, sie verklärt diese Welt nicht. Deshalb wirkt sie nicht direkt moralisch, indirekt quietistisch. Nur um seiner Kunst eine Stätte in dieser Welt zu bereiten, sehen wir ihn beschäftigt und aktiv: aber was geht uns ein Tannhäuser, Lohengrin, Tristan, Siegfried an! Das scheint aber das Loos der Kunst zu sein, in einer solchen Gegenwart, sie nimmt der absterbenden Religion ein Theil ihrer Kraft ab. Daher das Bündniß Wagner's und Schopenhauers. Es verräth, daß vielleicht bald einmal die Cultur nur noch in der Form klosterhaft abgeschiedener Sekten existirt: die sich zu der umgebenden Welt ablehnend verhalten. Der schopenhauerische »Wille zum Leben« bekommt hier seinen Kunstausdruck: dieses dumpfe Treiben ohne Zweck, diese Ekstase, diese Verzweiflung, dieser Ton des Leidens und Begehrens, dieser Accent der Liebe und der Inbrunst. Selten ein heitrer Sonnenstrahl, aber viel magische Zaubereien der Beleuchtung.
In einer solchen Stellung der Kunst liegt ihre Stärke und Schwäche: es ist so schwer, von dort her zu dem einfachen Leben zurückzukehren. Die Verbesserung des Wirklichen ist nicht mehr das Ziel, sondern das Vernichten oder das Hinwegtäuschen des Wirklichen. Die Stärke liegt in dem sektirerischen Charakter: sie ist extrem und verlangt von dem Menschen eine unbedingte Entscheidung. – Ob wohl ein Mensch besser zu werden vermag durch diese Kunst und durch Schopenhauer's Philosophie? Gewiß in Betreff der Wahrhaftigkeit. Wenn nur in einer Zeit, in der die Lüge und Convention so langweilig und uninteressant ist, die Wahrhaftigkeit nicht so interessant wäre! So unterhaltend! Ästhetisch reizvoll!
354.
Nicht zu vergessen: es ist eine theatralische Sprache, die Wagner's Kunst redet; sie gehört nicht in's Zimmer, in die camera. Es ist eine Volksrede, und die läßt sich ohne eine starke Vergröberung selbst des Edelsten nicht denken. Sie soll in die Ferne wirken und das Volkschaos zusammenkitten. Zum Beispiel der Kaisermarsch.
Sehr viele Mißgriffe liegen daran, daß der Beurtheilende von seiner partiellen Kunst (Haus-Kunst) ausgeht.
355.
Es ist ernstlich möglich, daß Wagner den Deutschen die Beschäftigung mit den einzelnen vereinzelten Künsten verleidet. Vielleicht sogar läßt sich aus seiner Nachwirkung das Bild einer einheitlichen Bildung gewinnen, das durch Zusammenaddiren einzelner Fertigkeiten und Kenntnisse nicht erreicht werden kann.
356.
Er hat das Gefühl der Einheit im Verschiedenen – deshalb halte ich ihn für einen Culturträger.