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c) Zu den Unzeitgemäßen Betrachtungen.

 

50.

Wenn ich einstmals das Wort »unzeitgemäß« auf meine Bücher geschrieben habe, wie viel Jugend, Unerfahrenheit, Winkel drückt sich in diesem Worte aus! Heute begreife ich, daß mit dieser Art Klage, Begeisterung und Unzufriedenheit ich eben damit zu den Modernsten der Modernen gehörte.

 

51.

Den deutschen Bildungs-Zuständen habe ich in jüngern Jahren den Krieg erklärt und brav dabei meinen Degen geführt: ich lachte ein armes anmaßliches modriges Buch öffentlich zu Tode, in das sich die »deutsche Bildung« vernarrt hatte, – nun, man kann auf Erden noch manchen gefährlicheren Gebrauch von seinem Gelächter machen! Vielleicht habe ich selbst unversehens dabei einen alten Mann, den alten würdigen David Strauß, virum optime meritum, »umgebracht«? – man giebt es mir zu verstehen. Aber so bringt es Krieg und Sieg mit sich; und ich will mit gutem Gewissen noch ganz andre Menschenleben einmal »auf dem Gewissen« haben! Nur die Weiber fort, auch die männlichen Klage-Weiber und Zärtlinge! Das versteht nichts vom Kriegs-Handwerke und jammert sich halbtodt über jeden »Mangel an Schonung«. Damit etwas Andres anfangen könne, muß man hier erst ein Ende machen: ich hoffe doch, daß man mich hier – versteht? An der »deutschen Bildung« aber will Nichts mehr geschont sein: hier muß man seiner selbst nicht schonen und endlich ein Ende machen.

 

52.

Zur Kritik der Vaterländerei. – Wer über sich Werthe fühlt, die er hundertmal höher nimmt als das Wohl des »Vaterlandes«, der Gesellschaft, der Bluts- und Rassenverwandtschaft – Werthe, die jenseits der Vaterländer und Rassen stehn, also internationale Werthe –, der würde zum Heuchler, wenn er den Patrioten spielen wollte. Es ist eine Niederung von Mensch und Seele, welche den nationalen Haß bei sich aushält (oder gar bewundert und verherrlicht): die dynastischen Familien beuten diese Art Mensch aus, – und wiederum giebt es genug Handels- und Gesellschaftsklassen (auch natürlich die käuflichen Hanswürste, die Künstler), die ihre Förderung gewinnen, wenn diese nationalen Scheidewässer wieder die Macht haben. Thatsächlich ist eine niedrigere Spezies zum Übergewicht gelangt – –

 

53.

National zu sein, in dem Sinne, wie es jetzt von der öffentlichen Meinung verlangt wird, würde an uns geistigeren Menschen, wie mir scheint, nicht nur eine Abgeschmacktheit, sondern eine Unredlichkeit sein, eine willkürliche Betäubung unsres besseren Wissens und Gewissens.

 

54.

Als ich jung war, gehörte ich im Grunde zu den Welt-Verleumdern und Pessimisten; wie es billig und verzeihlich in einem Zeitalter ist, das dazu gemacht scheint, gerade Jünglinge zum Verzweifeln zu bringen. Der Jüngling, je mehr er an seinem eignen Weiden leidet, will in's Ganze, Volle und Fertige: er will vor Allem Sicherheit, Halt: dies Zeitalter aber ist durch Gedanken aller Zeiten zerdacht, mißtrauisch, mit einem Mißtrauen, das unter Menschen noch nicht da war, und daher oft denkmüde, oft mißtrauensmüde, oft greisenhaft und » vorläufig« in seinem Ja und in seinem Nein. Na wirkt denn der entschlossene Protest eines Einzelnen wie Schopenhauers gegen das ganze Dasein als eine Erlösung: es vereinfacht.

 

55.

In meiner Jugend, wo ich Vielerlei war, z. B. auch Maler, habe ich einmal ein Bild von Richard Wagner gemalt, unter dem Titel: Richard Wagner in Bayreuth. Einige Jahre später sagte ich mir: »Teufel! es ist gar nicht ähnlich«. Noch ein paar Jahre später antwortete ich: »Umso besser! umso besser!« – In gewissen Jahren des Lebens hat man ein Recht, Dinge und Menschen falsch zu sehen, – Vergrößerungsgläser, welche die Hoffnung uns giebt.

Als ich 21 Jahre alt war, war ich vielleicht der einzige Mensch in Deutschland, der diese Zwei, der zugleich Richard Wagner und Schopenhauer mit Einer Begeisterung liebte. Einige meiner Freunde wurden angesteckt.

Als Knabe liebte ich Händel und Beethoven: aber Tristan und Isolde kam, als ich 15 Jahre alt war, hinzu, als eine mir verständliche Welt, Während ich damals den Tannhäuser und Lohengrin als »unterhalb meines Geschmacks« empfand: – Knaben sind in Sachen des Geschmacks ganz unverschämt stolz.

 

56.

Als Knabe war ich Pessimist, so lächerlich dies klingt: einige Zeilen Musik aus meinem zwölften, dreizehnten Lebensjahre sind im Grunde von Allem, was ich an rabenschwarzer Musik kenne, das Schwärzeste und Entschiedenste. Ich habe bei keinem Dichter oder Philosophen bisher Gedanken und Worte gefunden, die so sehr aus dem Abgrunde des letzten Neinsagens heraus kämen, in dem ich selber zeitweilig gesessen habe; und auch was Schopenhauer betrifft, bin ich den Glauben nicht losgeworden, daß er zwar viel guten Willen zum Pessimismus gehabt hat, aber auch einen viel besseren Widerwillen: den hat er nicht genug zu Worte kommen lassen, dank jenem dummen Genie-Aberglauben, den er von den Romantikern gelernt hatte und dank seiner Eitelkeit, welche ihn zwang, auf einer Philosophie sitzen zu bleiben, die aus seinem 26. Lebensjahre stammte und auch zu diesem Lebensalter gehört – wie wir Alle recht aus dem Grunde wissen, nicht wahr, meine Freunde?

 

57.

Man verehrt und verachtet in jungen Jahren wie ein Narr und bringt wohl seine höchsten und zartesten Gefühle zur Auslegung von Menschen und Dingen dar, welche unter unserem Werthe stehn. Später, wo man stärker und tiefer, auch »wahrhaftiger« geworden ist, erschrickt man, daß man damals so wenig die Augen offen gehabt hat, als man auf diesen Altären opferte und daß man all das Eitle, Übertreibende, Unechte, Geschmückte, Schauspielerische an dem geliebten Götzen nicht gesehen hatte: man zürnt sich wohl wegen jener jugendlichen Selbst-Verblendung, wie als ob sie eine Art unredlicher Blindheit gewesen sei, und ist zur Nutze dafür eine gute Zeit unbillig und mißtrauisch gegen sich selber und auf der Hut gegen alle schönen Gefühle.

 

58.

In meiner Jugend hatte ich Unglück: es lief mir ein sehr zweideutiger Mensch über den Weg. Als ich ihn als Das erkannte, was er ist, nämlich ein großer Schauspieler, der zu keinem Ding ein echtes Verhältnis; hat (selbst zur Musik nicht), war ich so angeekelt und krank, daß ich glaubte, alle berühmten Menschen seien Schauspieler gewesen, sonst wären sie nicht berühmt geworden, – und an dem, was ich »Künstler« nannte, sei eben das Hauptsächliche die schauspielerische Kraft.

 

59.

Alles, was ich über Richard Wagner gesagt hatte, ist falsch. Ich empfand es 1876: »es ist an ihm Alles unecht; was echt ist, wird versteckt oder dekorirt. Es ist ein Schauspieler, in jedem schlimmen und guten Sinne des Wortes«.

 

60.

Auch habe ich die Enttäuschung vom Sommer 1876 nicht überwunden. Die Menge des Unvollkommenen, am Werke und am Menschen war mir auf Einmal zu groß: – ich lief davon. Später begriff ich, daß die gründlichste Loslösung von einem Künstler die ist, daß man sein Ideal geschaut hat. Nach einem solchen Blicke, wie ich ihn in jungen Jahren gethan habe – Zeugniß ist meine übriggebliebene kleine Schrift über Richard Wagner – blieb mir Nichts übrig, als knirschend und außer mir, von dieser »unausstehlichen Wirklichkeit« wie ich sie mit Einem Male sah, Abschied zu nehmen. Daß er, alt geworden, sich verwandelte, geht mich Nichts an: fast alle Romantiker dieser Art enden unter dem Kreuze. (Ich liebte nur den Wagner, den ich kannte, d. h. einen rechtschaffnen Atheisten und Immoralisten, der die Figur Siegfrieds, eines sehr freien Menschen, erfunden hat.) Seither hat er noch aus dem bescheidnen Winkel seiner Bayreuth« Blätter heraus, genugsam zu verstehen gegeben, wie hoch er das Blut des Erlösers zu schätzen wisse, und – man hat ihn verstanden. Viele Deutsche, viele reine und unreine Thoren aller Art glauben seitdem erst an Richard Wagner als ihren »Erlöser«. Dies geht mir Alles wider den Geschmack.

 

61.

Es versteht sich von selber, daß ich Niemandem so leicht das Recht zugestehe, diese meine Schätzung zur seinigen zu machen, und allem unehrerbietigen Gesindel, wie es am Leibe der heutigen Gesellschaft gleich Läusen wimmelt, soll es gar nicht erlaubt sein, einen solchen großen Namen, wie der Richard Wagner's ist, überhaupt in das Maul zu nehmen, weder im Lobe, noch im Widerspruche.

 

62.

Es liegt jetzt noch wenig daran, daß man wisse, was ich damals eigentlich von Richard Wagner wollte (obwohl der Leser meiner »Geburt der Tragödie« darüber nicht im Unklaren sein sollte), ja daß ich, durch ein Verlangen dieser Art, allerdings auf das Gründlichste bewiesen habe, wie sehr ich mich über ihn und sein Vermögen im Irrthum befand. Genug, daß mein Irrthum – eingerechnet den Glauben an eine gemeinsame und zusammengehörige Bestimmung – weder ihm noch mir zur Unehre gereicht, und, unter allen Umständen, uns Beiden damals, als zwei auf sehr verschiedene Weise Vereinsamten, keine kleine Erquickung und Wohlthat war.

 

63.

Ich habe ihn geliebt und Niemanden sonst. Er war ein Mensch nach meinem Herzen, so unmoralisch, atheistisch, antinomistisch, welcher einsam lief und nie daran glauben mochte, daß [?]

 

64.

Ich selber bin hundertmal radikaler, als Wagner oder Schopenhauer, deshalb bleiben es doch meine verehrtesten Lehrer: ob ich schon jetzt zu meiner Erholung und Erquickung ganz andre Musik nöthig habe, als die Wagner's, und beim Lesen Schopenhauer's jetzt mich langweile oder verdrießlich werde. Des Falschen und Oberflächlichen ist zu viel darin.

 

65.

Es liegt mir heute wenig daran, ob ich in Bezug auf Richard Wagner und Schopenhauer Recht oder Unrecht gehabt habe. Habe ich mich geirrt, nun, mein Irrthum gereicht weder den Genannten, noch mir selber zur Unehre. Gewiß ist, daß es mir, in jenen jungen Tagen, eine ungeheure Wohlthat war, meine idealistischen Farben, in welchen ich die Bilder des Philosophen und des Künstlers schaute, nicht ganz in's Unwirtliche, sondern gleichsam auf vorgezeichnete Gestalten aufmalen zu können; und wenn man mir den Vorwurf gemacht hat, daß ich die Genannten mit einem vergrößernden Auge gesehen habe, so freue ich mich dieses Vorwurfs – und meiner Augen noch dazu. Zum Mindesten sollten die Leser der zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung nicht darüber im Ungewissen sein, wie wenig mir immer an der Wahrheit gelegen hat.

Was ich damals geschrieben – und weniger geschrieben als gemalt habe, noch dazu hitzig und, wie mich heute dünkt, in einem nicht unbedenklichen und verwegenen Alfresco: das würde darum noch nicht wahrer werden, daß ich es nunmehr, wo vielleicht meine Hand und mein Auge etwas hinzugelernt haben, noch einmal zarter, lautrer und strenger darstellte. Jedes Lebensalter versteht die »Wahrheit« auf seine eigne Weise; und wer mit jungen brausenden Sinnen und großen Ansprüchen vor jene Gemälde tritt, wird an ihnen so viel Wahrheit finden, als er zu sehn im Stande ist.

Jene vier ersten Unzeitgemäßen Betrachtungen waren Versuche, von meinen Erlebnissen und Gelöbnissen so zu reden, daß ich nicht mein Eigenstes dabei unterstrich, sondern Das, was ich mit manchem Sohne unsrer Zeit gemeinsam habe, – Versuche, die Art Menschen, an mich heranzulocken, welche zu mir gehören, also Angelhaken, ausgeworfen nach »Meines-Gleichen«. Da« Mals war ich jung genug, um mit ungeduldigen Hoffnungen auf einen solchen Fischfang zu gehn; heute - nach hundert Jahren, wenn ich die Zeit nach meinem Maße messen darf! – bin ich immer noch nicht alt genug, um jede Hoffnung, jede Geduld Verloren zu haben. Wie fremd klingt es mir auch heute noch in den Ohren, wenn ein Greis seine Erfahrung in diese Worte drängt »Als Kinder sind wir Sensualisten; als Liebende Idealisten, die in das Geliebte Eigenschaften legen, die nicht eigentlich darin sind; die Liebe wankt und, ehe wir's glauben, sind wir Skeptiker; der Rest des Lebens ist gleichgültig, wir lassen es gehn, wie es will, und endigen als Quietisten, wie die indischen Philosophen auch.« So spricht Goethe: sollte er Recht haben? Wie wenig Vernunft hätte es dann, so alt, so vernünftig wie Goethe zu werden! Und es wäre billig, den Griechen ihr Urtheil über das Alter abzulernen: – sie haßten das Alt-werden mehr, als den Tod, und liebten es, zu sterben, wenn sie fühlten, daß sie auf jene Art anfiengen vernünftig zu werden. Inzwischen hat auch die Jugend ihre eigne Art Vernunft: eine Vernunft, welche an Leben, Liebe und Hoffnung glaubt.

 

66.

Meine »Unzeitgemäßen« bedeuten für mich Versprechungen: was sie für Andere sind, weiß ich nicht. Man glaube mir, daß ich längst nicht mehr leben würde, wenn ich diesen Versprechungen nur um Einen Schritt breit ausgewichen wäre! Vielleicht kommt noch ein Mensch, der entdeckt, daß von »Menschliches, Allzumenschliches« an ich Nichts gethan habe, als mein Versprechen erfüllen. Das freilich, was ich jetzt die Wahrheit nenne, ist etwas ganz Furchtbares und Abstoßendes: und ich habe viele Kunst nöthig, um schrittweise die Menschen zu einer völligen Umdrehung ihrer höchsten Werthschätzungen zu überreden.


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