Christoph Friedrich Nicolai
Freuden des jungen Werthers
Christoph Friedrich Nicolai

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Verschiedenes

Stoßgebet

Vor Werthers Leiden,
Mehr noch vor seinen Freuden
Bewahr' uns, lieber Herre Gott!

(Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. 2, Berlin und Weimar 1973)

Friedrich Schleiermacher an Henriette Herz am 12. April 1799

Denken Sie, auch die E(leonore) hat schon von der Unanständigkeit der »Lucinde« reden hören, wahrscheinlich durch Parthey und Nicolai; wie weit das schon verbreitet ist! Ich habe sie letzthin förmlich eingeladen, meine »Reden« nicht zu lesen; ich fühle, sie seien dunkel, und es würde sie fast niemand verstehen, mit dem ich nicht sonst aus der Sache gesprochen hätte. Nun schreibt sie ihrer Mutter, sie habe gehört, Schlegels »Lucinde« sei gar so natürlich, daß eine sittliche Frau sie nicht lesen könne, und so seien ihr zum Unglück die Bücher der beiden Freunde verboten, das eine, weil es ihr zu hoch, und das andre, weil es zu natürlich sei. Auch habe ich heute Nicolais »Briefe der Adelheid« durchblättert, was ich wohl hätte bleiben lassen sollen; ich hätte die schöne Zeit für die »Religion« brauchen können, von der ich erst eine Seite gemacht habe. Das ist einmal wieder ein schlechtes Buch. Und welche Dummheit und zugleich auch Perfidie, Dinge, die in den »Fragmenten« stehen, einem Menschen in der Konversation in den Mund zu legen und einen vis-á-vis von seiner Geliebten wörtlich aus dem Fichte und Kant sprechen zu lassen. Das naivste ist, daß die Adelheid schreibt: Wer wohl der Fichte sein mag, von dem er sprach? Dann kam auch noch ein gestiefelter Kater vor, der auf den Dächern der dramatischen Kunst herumspaziert, ob das wohl derselbe ist? Das mag Nicolais Theorie von der Wirklichkeit sein, daß eine Frau so zuhören muß. Ein paarmal sind Fragmente von mir zitiert, da habe ich unaussprechlich gelacht.

(Schleiermacher als Mensch. Sein Werden. Familien- und Freundesbriefe 1783 bis 1804. Herausgegeben von Heinrich Meisner. Gotha: Perthes 1922)

Ludwig Tieck

Prinz Zerbino oder die Reise nach dem guten Geschmack

Ein deutsches Lustspiel in sechs Aufzügen.

Die Göttin tritt herein

Göttin: Wer bist du?

Nestor: Ich? Aufzuwarten, ein Reisender, im gegenwärtigen Augenblicke halb unsinnig, weil ich nicht weiß, ob ich verraten oder verkauft bin.

Göttin: Gefällt es dir so wenig im Garten der Poesie?

Nestor: Mit Eurer Erlaubnis, daß ich ein wenig zweifeln darf. Poesie? Der Garten der Poesie? Hm! Ihr wollt meinen Geschmack und gesunden Menschenverstand wohl um ein wenig auf die Probe stellen.

Göttin: Wie das?

Nestor: Die Poesie müßte nach meinem Bedünken, nach meinen schwachen Einsichten wohl eine etwas andere Gestalt haben. Das ist ja gleichsam hier wie in einem Narrenhause.

Göttin: Ergötzen Euch denn diese Blumen nicht?

Nestor: Nein, wahrhaftig nicht, denn ich sehe zu gut ein, daß es gar keine Blumen sind.

Göttin: Wie könnt Ihr diesen irr'gen Glauben hegen?

Nestor: Weil ich in meinem Leben schon gar zu viele Blumen gesehen habe. Ja, wenn ich nicht die erstaunliche Erfahrung hätte, so könnte ich mir vielleicht eher eine Nase drehen lassen. Meine Eltern haben ja selbst einen Garten hinter dem Hause gehabt, und da habe ich die Blumen selber oft gepflanzt und an die Stöcke gebunden.

Göttin: Wofür erkennt Ihr aber diese Pflanzen?

Nestor: Ich erkenne sie für Narren, denn etwas anders können sie auch wohl schwerlich sein, ehrliche Blumen sind sie wenigstens nicht. Seht Sie doch nur an, sie scheinen ja wahre Ungeheuer. Nein, ich muß die Ehre haben, Euch zu sagen, das Wesentliche an einer Blume ist eine gewisse Kleinheit und Niedlichkeit. Und dann nicht solche übertriebene Menge; ich mag sonst wohl Blumen, und sie geben uns eine gewisse Erquickung und Ergötzlichkeit, aber das muß sich mit diesen Dingen in Schranken halten und beileibe nicht so ins Exzentrische gehen.

Göttin: Ihr vergeßt, daß dies die wahren Blumen sind,
Die Blüt, die in Blüte steht; die Erde
Kennt nur den schwachen
Schatten dieser Herrlichkeit.

Nestor: Nun ja, das ist die rechte Höhe, so machen es diese Idealisten immer; wenn man an ihre Hirngespinste nicht glauben will, so wollen sie einem gar weismachen, daß dies die rechte und wahre Art sei, wie eigentlich alles übrige in der Welt sein müsse. Und wenn ich auch alles andere vertragen könnte, so ist mir das ewige Singen und Sprechen dieser Dinge äußerst fatal.

Göttin: Haben Euch die Blumen sonst nie angesungen?

Nestor: Ha! ha! für wen seht Ihr mich denn an? Die Blumen sollten gut angekommen sein, die sich dergleichen Ungezogenheiten unterfangen hätten.

Göttin: Was macht Ihr aber eigentlich in der Welt?

Nestor: Ich stelle einen Märtyrer vor; ich gehe für die allgemeine Wohlfahrt zugrunde ...

Die Dichter treten herein ...

Nestor: Wie heißt denn der finstre alte Murrkopf hier?

Göttin: Bescheidner sprich, es ist der große Dante!

Nestor: Dante? Dante? Ach, jetzt besinn' ich mich, er hat so eine Komödie, gleichsam ein Gedicht über die Hölle geschrieben ... Nun, damals, will ich nur sagen, war es erstaunlich leicht, ein Dichter zu sein, weil, wie ich gelesen habe, vor Euch in neuerer Zeit eben keine Poeten existiert hatten; darum müßt Ihr nur Euer Glück anerkennen; denn im Grunde wäre doch jeder andre damals ebenso wie Ihr berühmt und bewundert worden.

Dante: Es hätte also nur an Dir gelegen, nur an der Zeit, die dich ans Licht geworfen in jenem früheren Jahrhundert, und Du hättest auch wie ich die Welt erstaunt?

Nestor: Natürlich, ja, was noch mehr ist, ich denke es sogar in unserm Zeitalter, wo es doch tausendmal schwerer ist, dahin zu bringen. Erst fang' ich so sachte, sachte mit Abhandlungen für Monatsschriften an, in denen ich meinen aufgeklärten Kopf entdecke und irgendeinen Schwärmer oder Pietisten ganz artig und sauber in seiner Blöße darstelle; dann schreibe ich gegen Gespenster, dann einen Roman gegen Euch und alles, was mir nicht in den Kopf will; dann lass' ich mir merken, daß mir im Grunde gar nichts in der Welt recht ist, bis ich am Ende immer höher, immer höher komme, anfange zu rumorieren und zu ennuyieren, was man nur leisten kann, bis mich die Leute endlich aus Langerweile für den ersten Menschen in der Welt halten. – Aber dergleichen Zeug wie Eure sogenannte Komödie hätte ich doch auch meiner Seele nicht in jenem unaufgeklärten Zeitalter geschrieben. Hölle und Paradies! Und alles so umständlich, wie ich mir habe sagen lassen. Fi! schämt Euch, ein alter erwachsener Mann, und solche Kinderpossen in den Tag hinein zu dichten!

(Ludwig Tiecks Schriften. 10. Band. Berlin 1828)

Ludwig Tieck

Das Jüngste Gericht.

Eine Vision (1800)

... Das jüngste Gericht war indessen schon angefangen, und Nicolai war trotz seiner Bildung auf zweitausend Jahre verurteilt, von den Teufeln immer Spaß anzuhören, ohne ein Wort zu sprechen. Er hatte alles für Phantasma und übertriebene Einbildungskraft erklärt und sich unvermerkt Blutigel angesetzt, um sich die ungehörige Poesie absaugen zu lassen; so stand er vor Gericht und empfing sein Urteil, mit den Blutigeln hinten, indem er sich höflich verneigte, um seine Welt zu zeigen, die er auch noch in die jenseitige Welt hinübergebracht hatte. Sonderbar ist es, sagte er zu sich selbst, indes die Satyrn sich schon auf beißende Einfälle besannen, um ihn zu strafen, sonderbar ist es immer, daß diese Phantasmen nicht verschwinden, ohngeachtet die Feinde alles Exzentrischen ganz lieblich saugen, und satyrisch ist es von den Bestien, daß sie mich loslassen, sowie sie nur irgend Salz wittern. Diese meine Erscheinung vom Jüngsten Tage muß ich aber sogleich meinem Freunde Biester mitteilen; es soll in die Berlinische Monatsschrift kommen, und zwar mit der Bemerkung, daß, so wie ich mit dem Jahrhundert fortschreite, die Blutigel im Gegenteil zurückgehen, ihre Kraft verlieren und selber an Gespenster zu glauben scheinen. – Einige Satyrn führten ihn hierauf fort, um ihn in seinen künftigen Wohnort zu bringen ...

Indem entstand ein großes Geschrei, denn einige Teufel kamen wieder hervor und baten, den gebildeten Nicolai lieber in den Himmel oder anderswo aufzunehmen, denn er sei so übermäßig langweilig und könne durchaus nicht schweigen, so daß es kein Teufel bei ihm aushalten könne und das höllische Feuer selber auszugehen drohe. Die unendliche Barmherzigkeit ward gerührt und er selbst verurteilt, in die Nichtigkeit sich zu begeben, in ein Tal, das zwischen Leben und Tod liegt, das weder Himmel noch Hölle ist, das, genaugenommen, gar nicht existiert. Er ging mit Freuden hin und sagte, er wolle es sich dort wohl sein lassen, denn es sei sein altes Vaterland, was ihm bei der Auferstehung am meisten leid getan habe, es zu verlassen. Überhaupt, fuhr die Stimme des Richters fort, wollen wir die edle Ewigkeit nicht länger damit verderben, über solche Kreaturen zu urteilen, die nie dagewesen sind und um die ich niemals gewußt habe; laßt alle diese Gesellen dorthin abtreten, denn sie taugen so wenig für die Hölle wie für den Himmel; wir können die Seligkeit und auch die höllischen Flammen besser brauchen.

(Ludwig Tiecks Schriften. 9. Band. Berlin 1828)

Goethe

Faust. Erster Teil (Walpurgisnacht)

Proktophantasmist.
Verfluchtes Volk! was untersteht ihr euch?
Hat man euch lange nicht bewiesen:
Ein Geist steht nie auf ordentlichen Füßen?
Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!

Die Schöne (tanzend).
Was will denn der auf unserm Ball?

Faust (tanzend). Ei!
der ist eben überall.
Was andre tanzen, muß er schätzen.
Kann er nicht jeden Schritt beschwätzen,
So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärtsgehn.
Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,
Wie er's in seiner alten Mühle tut,
Das hieß' er allenfalls noch gut;
Besonders wenn ihr ihn darum begrüßen solltet.

Proktophantasmist.
Ihr seid noch immer da! Nein, das ist unerhört.
Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!
Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel.
Wir sind so klug, und dennoch spukt's in Tegel.
Wie lange hab' ich nicht am Wahn hinausgekehrt,
Und nie wird's rein; das ist doch unerhört!

Die Schöne.
So hört doch auf, uns
hier zu ennuyieren!

Proktophantasmist.
Ich sag's euch Geistern ins Gesicht,
Den Geistesdespotismus
leid' ich nicht;
Mein Geist kann ihn nicht exerzieren.
(Es wird fortgetanzt.)
Heut', seh' ich, will mir nichts gelingen;
Doch eine Reife nehm' ich immer mit
Und hoffe noch, vor meinen letzten Schritt,
Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.

Mephistopheles.
Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen,
Das ist die Art, wie er sich soulagiert,
Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergetzen,
Ist er von Geistern und von Geist kuriert.

(Goethe: Berliner Ausgabe, Band 8. Berlin und Weimar 1972)


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