Johann Nepomuk Nestroy
Der Talisman
Johann Nepomuk Nestroy

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Zweiundzwanzigste Szene

Titus (allein)

Titus Gnädige! Gnädige! Ich sag' derweil nichts als: Gnädige! – Wie ein' das g'spaßig vorkommt, wenn ein' nie eine mögen hat, und man fangt auf einmal zum Bezaubern an, das ist nit zum Sagen. Wann ich denk': Heut' vormittag und jetzt, das wird doch eine Veränderung sein für einen Zeitraum von vier bis fünf Stund'! Ja, die Zeit, das is halt der lange Schneiderg'sell, der in der Werkstatt der Ewigkeit alles zum Andern kriegt. Manchmal geht die Arbeit g'schwind, manchmal langsam, aber firtig wird's, da nutzt amal nix, g'ändert wird all's!

Lied

1.
                  's war einer von Eisen, hat wütend getanzt,
Dann mit 'm Gefrornen sich beim offnen Fenster auf'pflanzt,
Is g'rennt und g'sprengt zu die Amouren in Karriere,
Spielt und trinkt d' ganze Nacht, er weiß vom Bett gar nix mehr.
Nach zehn Jahren is d' Brust hektisch, homöopathisch der Mag'n,
Er muß im Juli flanellene Nachtleib'ln trag'n
Und extra ein' wattierten Kaput, sonst war's z' kühl –
Ja, die Zeit ändert viel.
2.
's hat einer a Braut, steckt den ganzen Tag dort,
Wenn die Dienstleut' ins Bett schon woll'n, geht er erst fort;
Dann bleibt er noch drunt', seufzt aufs Fenster in d' Höh',
Erfrört sich die Nasen vom Dastehn im Schnee.
A halb's Jahr nach der Hochzeit rennt er ganze Täg' aus,
Kommt spät auf die Nacht oder gar nit nach Haus;
Dann reist er nach Neapel, sie muß in die Brühl –
Ja, die Zeit ändert viel.
3.
A Sängerin hat g'sungen wie Sphärenharmonie,
Wann s' der Schnackerl hat g'stoßen, war 's Feenmelodie.
Diese Stimm', die is was Unerhörtes gewest,
Aus Neid sein die Nachtigall'n hin wor'n im Nest;
Silberglocken war'n rein alte Häfen gegen ihr;
Sechs Jahr' drauf kriegt ihr' Stimm' a Schneid wie 's Plutzerbier.
Jetzt kraht s' nur dramatisch, frett't sich durch mit'm Spiel –
Ja, die Zeit ändert viel.
4.
Ah, das is a lieber Knab', artig und nett
Und schön und bescheiden und gar so adrett,
Er is still, bis man 'n fragt, nacher antwort't er drauf,
Wo man 'n hinnimmt, da hebt man a Ehr' mit ihm auf;
's machen d' Herren und die Frauen mit dem Knab'n a Spektakl!
Nach zehn Jahren is der Knab a großmächtiger Lackl,
A Löllaps, der keck in alles dreinreden will –
Ja, die Zeit ändert viel.
5.
A Schönheit hat dreizehn Partien ausgeschlagen,
Darunter waren achte mit Haus, Ross' und Wagen,
Zwa Anbeter hab'n sich an ihr'm Fenster aufg'henkt,
Und drei hab'n sich draußen beim Schanzel dertränkt,
Vier hab'n sich beim Dritten Kaffeehaus erschossen.
Seitdem sein a sieb'nzehn Jahrln verflossen,
Jetzt schaut s' keiner an, sie kann sich au'm Kopf stell'n, wenn s' will –
Ja, die Zeit ändern viel.
6.
Hat einst einer über ein' sein' Schöne was g'sagt,
Pumsti, hat er a eiserne Ohrfeigen erfragt,
Nach der Klafter haben s' kämpft, und gleich auf Tod und Leben!
Alle Daum'lang hat's blutige Fehde gegeben.
Jetzt nehmen die Liebhaber das nit a so,
Machen über ihr' Schöne selbst scharfe Bonmots,
Für ihr'n Bierhauswitz nehmen s' d' Geliebte als Ziel –
Ja, die Zeit ändert viel.

(Durch die Seitentür rechts ab.)

Dreiundzwanzigste Szene

Herr von Platt; mehrere Herren und Damen (treten während dem Ritornell des folgenden Chores ein)

Chor
's ist nirgends so wie in dem Haus amüsant,
Denn hier sind die Karten und Würfel verbannt,
Bei Frau von Cypressenburg in Soiree,
Da huldigt den Musen man nur und dem Tee.

(Während dem Chor haben Bediente einen großen gedeckten Tisch gebracht und die Stühle gesetzt.)

Vierundzwanzigste Szene

Frau von Cypressenburg; die Vorigen, dann Titus

Frau von Cypressenburg Willkommen, meine Herren und Damen!

Die Gäste Wir waren so frei –

Frau von Cypressenburg Sie befinden sich allerseits?

Die Herren Danke ergebenste

Die Damen (untereinander) Migräne, Kopfschmerz, Rheumatismus –

Frau von Cypressenburg Ist's nicht gefällig?

(Alle setzen sich zum Tee.)

Titus (aus der Seitentür rechts) Ich komme vielleicht ungelegen –?

Frau von Cypressenburg Wie gerufen! (Ihn der Gesellschaft präsentierend.) Mein neuer Sekretär!

Alle Ah, freut mich!

Frau von Cypressenburg (zu Titus) Nehmen Sie Platz!

Titus (setzt sich.)

Frau von Cypressenburg Dieser Herr wird Ihnen in der nächsten Soiree meine neuesten Memoiren vorlesen.

Alle Scharmant!

Herr von Platt Schade, daß die gnädige Frau nichts fürs Theater schreiben.

Frau von Cypressenburg Wer weiß, was geschieht; es kann sein, daß ich mich nächstens versuche.

Titus Ich hör', es soll unendlich leicht sein, es geht als wie geschmiert.

Herr von Platt Ich für mein Teil hätte eine Leidenschaft, eine Posse zu schreiben.

Titus (zu Herrn von Platt) Warum tun Sie's denn nicht?

Herr von Platt Mein Witz ist nicht in der Verfassung, um etwas Lustiges damit zu verfassen.

Titus So schreiben Sie eine traurige Posse. Auf einem düsteren Stoff nimmt sich der matteste Witz noch recht gut aus, so wie auf einem schwarzen Samt die matteste Stickerei noch effektuiert.

Herr von Platt Aber was Trauriges kann man doch keine Posse heißen?

Titus Nein! Wenn in einem Stück drei G'spaß und sonst nichts als Tote, Sterbende, Verstorbene, Gräber und Totengräber vorkommen, das heißt man jetzt ein Lebensbild.

Herr von Platt Das hab' ich noch nicht gewußt.

Titus Is auch eine ganz neue Erfindung, gehört in das Fach der Haus- und Wirtschaftspoesie.

Frau von Cypressenburg Also lieben Sie die Rührung nicht?

Titus O ja, aber nur, wenn sie einen würdigen Grund hat, und der find't sich nicht so häufig. Drum kommt auch eine große Seele langmächtig mit ein' Schnupftüchel aus, dagegen brauchen die kleinen, guten Ordinariseelerln a Dutzend Fazinetteln in einer Komödie.

Frau von Cypressenburg (zu ihrer Nachbarin) Was sagen Sie zu meinem Sekretär?

Fünfundzwanzigste Szene

Flora; die Vorigen

Flora (kommt weinend zur Mitte herein) Euer Gnaden, ich bitt' um Verzeihung, daß ich –

Alle (erstaunt) Die Gärtnerin?

Titus (betroffen, beiseite) Verdammt!

Flora (zu Frau von Cypressenburg) Ich kann's nicht glauben, daß Sie mich aus dem Dienst geben, ich hab' ja nix getan.

Frau von Cypressenburg Ich bin über die Gründe, die mich dazu veranlassen, keine Rechenschaft schuldig! Übrigens –

Flora (Titus erblickend und erstaunt) Was is denn das? Der hat blonde Haar'?

Frau von Cypressenburg Was gehen Sie die Haare meines Sekretärs an? Hinaus!

Sechsundzwanzigste Szene

Constantia, Emma; die Vorigen

Constantia (tritt weinend mit Emma zur Mitte ein) Nein, das kann nicht sein!

Emma Ich habe Ihr gesagt, was die Mama befohlen.

Constantia Ich bin des Dienstes entlassen?

Alle (erstaunt sich zu Frau von Cypressenburg wendend) Im Ernst?

Constantia Euer Gnaden, das hätt' ich mir nie gedacht! Ohne Grund –

Herr von Platt Was hat sie denn verbrochen?

Constantia Die Haare des Herrn Sekretärs sind schuld.

Frau von Cypressenburg Wie lächerlich! Das ist nicht der Grund. (Zur Gesellschaft.) Übrigens, was sagen Sie zu der Närrin? Sie behauptet, er wäre schwarz! Nun frag' ich Sie, ist er blond oder nicht?

Constantia Er ist schwarz.

Flora Das sag' ich auch, er ist schwarz!

Siebenundzwanzigste Szene

Marquis, die Vorigen

Marquis (zur Mitte eintretend) Und ich sage, er ist nicht schwarz und ist nicht blond!

Alle Was denn, Herr Friseur?

Marquis Er ist rot!

Alle (erstaunt) Rot?

Titus (für sich) Jetzt nutzt nix mehr! (Aufstehend und die blonde Perücke mitten auf die Bühne werfend.) Ja, ich bin rot!

Alle (erstaunt vom Teetisch aufstehend) Was ist das?

Frau von Cypressenburg Fi donc!

Constantia (zu Titus) Ach, wie abscheulich sieht Er aus!

Flora (zu Titus) Und die rote Ruben hat mich heirat'n woll'n?

Frau von Cypressenburg (zu Titus) Er ist ein Betrüger, der meine treuesten Diener bei mir verleumdete! Fort, hinaus, oder meine Bedienten sollen –

Titus (zu Frau von Cypressenburg) Wozu? Der Zorn überweibt Sie! – Ich gehe –

Alle Hinaus!

Titus Das ist Ottokars Glück und Ende! (Geht langsam mit gesenktem Haupte zur Mitte ab.)

Chor der Gäste
Nein, das ist wirklich der Müh' wert,
Hat man je so was gehört!

(Frau von Cypressenburg affektiert eine Ohnmacht, unter allgemeiner Verwirrung fällt der Vorhang.)


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