Johann Nestroy
Freiheit in Krähwinkel
Johann Nestroy

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Erste Abteilung: Die Revolution

Erster Akt

Wirtshaus in Krähwinkel

Erste Szene

Krähwinkler Bürger, darunter Nachtwächter, Pemperl und Schabenfellner (sitzen an einem großen Tisch und trinken).

Chor.
Was recht is, is recht, doch was z'viel is, is z'viel,
Der Chef unserer Stadt tut mit uns, was er will!
D' ganze Welt tut an Freiheit sich lab'n,
Nur wir Krähwinkler soll'n keine hab'n.
Die Krähwinkler, Mordsapprament,
Sind eb'nfalls ein deutsch's Element,
Drum lass'n wir jetzt nimmer nach, Freiheit muß sein!
Wir erringen s', und sperren s' uns auch leb'nslänglich ein.

Nachtwächter. Anders muß's werd'n und anders wird's werd'n, die Zeiten der Finsternis sind einmal vorbei.

Pemperl. Wenn die Finsternis abkommt, können d' Nachtwachter alle verhungern.

Nachtwächter. Hör' auf, Klampferer, mit deine blechernen G'spaß! Wir sitzen hier versammelt als Kern der Krähwinkler Bürgerschaft, und da kann nur von Geistesfinsternis die Red' sein.

Schabenfellner. Mir wär' die Freiheit schon recht, wenn ich nur wußt', ob dann die hiesige Nationalgard' Grenadiermützen kriegt.

Nachtwächter. Sie sind viel mehr Kürschner als Mensch.

Pemperl. Durch die Freiheit kommt auch 's Fuchsschwanzen ab, is wieder ein Schaden für die Kürschner.

Nachtwächter. Von einem Menschen, der seine War' aus Rußland bezieht, kann man nichts Liberales erwarten.

Pemperl. Still, ich glaub' – richtig, 's kommt einer vom Amt.

Zweite Szene

Klaus. Vorige,

Klaus (durch die Mitte). Schön' guten Abend, meine Herrn Mitbürger.

Nachtwächter (beiseite zu Pemperl). Is schon wieder der Spitzl da!

Pemperl (zum Nachtwächter). Ach, das wär' z' rund, wenn der a Spitzl wär'.

Klaus. Ich werd' a bisserl mittrinken, im übrigen trinken S' ganz ungeniert fort.

Nachtwächter. Wir werd'n so frei sein.

Klaus. So frei sein? So ruchlose Ausdruck' sollten Sie nicht gebrauchen. Ich bin vom Amt, und wir lieben das nicht, daß der Mensch frei is.

Pemperl (zur Gesellschaft). Setzen wir uns in Garten hinaus; 's is angenehmer in der freien Luft.

Klaus. Wenn s' nur nicht gar so frei wär', die Luft – ich bleib' herin.

Pemperl. Das is g'scheit, so brauch'n wir Ihnen nicht auf 'n G'nack' z' haben. (Zum Nachtwächter.) Komm' der Herr!

Nachtwächter. Nein, ich bleib' noch a Weil' da, ich muß ihm a Gall' machen.

Die Bürger (die Gläser nehmend, mit einem scheelen Blick des Hasses auf Klaus). Schaun wir, daß wir weiter kommen. (Alle ab, Seitentüre rechts.)

Dritte Szene

Nachtwächter. Klaus.

Klaus. Sonderbar, daß wir vom Amt so wenig Sympathie haben unter 'n Volk.

Nachtwächter. Is Ihnen leid, daß S' jetzt nichts rapportieren können bei Seiner Herrlichkeit?

Klaus. Herr Nachtwachter, frotzeln Sie mich nicht, Sie sind selbst Beamter.

Nachtwächter. Ich tu' meine Schuldigkeit, deßtwegen bin ich aber doch ein freisinniger Mensch.

Klaus. Als solcher sind Sie uns bereits denunziert. Wir wissen, daß Sie auswärtige Blätter lesen, sogar österreichische!

Nachtwächter. Na, und was is's weiter?

Klaus. Diese Blätter waren einst so unschuldig wie g'wasserte Milich, und jetzt unterstehn sie sich, den Absolutismus zu verhianzen.

Nachtwächter. Unser Bürgermeister kriegt g'wiß über jeden Artikel die Krämpf'.

Klaus. Sie haben noch einen Fehler, den wir recht gut wissen.

Nachtwächter. Und der wär'?

Klaus. Sie denken bei der Nacht über das nach, was Sie beim Tag gelesen haben; das liebt die Krähwinkler Regierung nicht.

Nachtwächter. Natürlich, das Denken ist viel größeren Regierungen verhaßt.

Klaus. Mit einem Wort, ich kann Ihnen sagen, Sie sind sehr schwarz angeschrieben bei uns.

Nachtwächter. Mein G'schäft is die Nacht, die Nacht is schwarz, also verschlagt mir das nix.

Klaus. Sie reden sich –

Nachtwächter. Doch nicht um den Kopf?

Klaus. Das will ich nicht direkte behaupten, aber um den Magen, wenigstens um das, was den Magen füllt – ums Brot.

Nachtwächter. Larifari, in freisinnigen Ländern wachst auch Getreid'.

Klaus. Sie reden in den Tag hinein, und das is bei einem Nachtwächter unverzeihlich.

Nachtwächter (böse werdend). Herr Klaus –

Klaus. Kurz und gut, ich sag' Ihnen, beachten Sie meine bureaukratischen Winke, wenn Sie anders die Fortdauer Ihrer Existenz nicht in Frage gestellt wissen wollen.

Nachtwächter. Kümmer' sich der Herr Ratsdiener um die seinige. Die Freiheit hat noch keinen einzigen Nachtwachter, wohl aber schon a paar tausend Spitzeln brotlos g'macht.

Klaus (stolz). Verhungert is deßtwegen doch noch keiner, ein Zeichen, daß s' noch alleweil heimlich g'futtert werd'n. Und jetzt schweigen Sie, Sie sind ein Aufrührer, ein Wühler, ein Demagog.

Nachtwächter. Ich bin ein Nachtwächter, der in einer Minuten schreien wird: »Zwölfe hat's g'schlag'n!« Und die Zwölfe wird der Herr Klaus auf sein' Buckel haben.

Klaus. Hilfe! Meuterei! Blutbad! Verrat!

Vierte Szene

Cäcilie. Walpurga. Die Vorigen.

Cäcilie (mit Walpurga eintretend). Himmel, der Vater

Walpurga. Was is denn g'schehn?

Nachtwächter. 's is nix als ein Streit.

Klaus. Ein Meinungskrieg.

Cäcilie. Aber der Herr Nachtwächter hat die Faust geballt.

Klaus. Er spielt eine mir feindliche politische Farbe.

Nachtwächter. Der Herr Klaus wird gleich braun und blau spielen.

Walpurga. Wär' nicht übel, die Töchter flattern als sanfte Tauben herein –

Nachtwächter. Und die Väter stehn da im Hahnenkampf.

Cäcilie (zu Klaus). Ich hab' Ihnen den Hausschlüssel gebracht.

Walpurga (zum Nachtwächter). Und ich dem Vater die Schlafhauben.

Klaus (zu Cäcilie). Du bist eine gute Tochter, die andere auch, aber – es is mir leid –

Nachtwächter (zu Cäcilie). Wenn Sie nicht die Ratsdienerische wären, hätt' ich gar nix gegen den Umgang mit meiner Tochter.

Klaus (zu beiden). Meine Beziehungen zum Staat machen eure fernere Freundschaft unstatthaft.

Cäcilie. Was –!?

Walpurga. Ich soll die Cilli nicht mehr gern haben?

Nachtwächter (zu Cäcilie). Sie haben einen absoluten Vater –

Klaus (zu Walpurga). Und Sie haben einen radikalen Erzeuger –

Nachtwächter. Geb'n S' acht, daß S' von Radikalen kein' Radi krieg'n. Komm, Tochter, ehe mich diese bureaukratische Zuwag' zum zweitenmal aus der Fassung bringt. (Geht mit Walpurga zur Mitte ab.)

Fünfte Szene

Klaus. Cäcilie. Dann Sigmund und Willibald.

Klaus. Maßlose Kühnheit! Aber jedes Wort soll zu den höchsten Staatsohren gelangen, nämlich zum Bürgermeister seine. – Schad', daß ich nicht g'sagt hab': »Sie Esel, Sie –!« Aber die guten Gedanken kommen immer zu spät.

Cäcilie. Die Tochter aber kann doch gewiß nichts davor.

Klaus. Still, unwürdiges Staatskind. (Sigmund Siegl und Willibald Wachs treten zur Mitte ein.)

Sigmund. Was bedeutet die Aufregung, in der ich dem Nachtwächter begegnete?

Willibald. Walpurga warf mir einen traurigen Blick zu.

Klaus (lächelnd). Ihnen? Glauben S', man weiß es nicht? –

Willibald. Was?

Klaus. Na, mir g'fallt das, wenn sich zwei Nebenbuhler so gut miteinander vertragen.

Sigmund. Nebenbuhler?

Klaus. Bei der Nachtwachtrischen Tochter. –

Willibald. Die hat der Alte dem Schwadroneur Ultra zugedacht.

Sigmund (leise zu Cäcilie). Meine Cäcilie –!

Cäcilie (leise). Gott, wenn's der Vater merkt –

Willibald. Ich habe keine Hoffnung. –

Klaus. Die hätten Sie auf keinen Fall, denn das is ja der Beglückte. (Auf Sigmund deutend.)

Willibald. Bei Walpurga –? (Beiseite.) Der Irrtum kann meinem Freunde von Nutzen sein.

Klaus. Sehn S', jetzt gibt er grad meiner Cilli a Post auf an sie.

Sigmund (ohne zu bemerken, daß er beobachtet wird, gegen Cäcilien gewendet). Ach –!

Klaus (zu Willibald). Hör'n Sie 'n, wie er seufzt? (Laut.) Mussi Sigmund!

Sigmund (erschrocken sich umwendend). Herr Klaus –

Klaus. 's is nichts, meine Cilli derf nicht mehr hin zu der Walperl. (Zu Cilli.) Geh nach Haus und sag's der Mutter, daß sie mir ja den Nachtwachter nicht mehr grüßt, wenn sie 'n begegn't.

Cäcilie. Gleich, Vater! Adieu! (Mit einem schüchternen Knix Sigmund und Willibald grüßend, zur Mitte ab.)

Sechste Szene

Die Vorigen ohne Cäcilie.

Klaus (zu Sigmund). Nicht wahr, der Nachtwachter haßt nicht den Menschen, sondern den Beamten in Ihnen?

Willibald. Rein nur um meiner ämtlichen Stellung willen feindet er mich an.

Klaus. Ich frag' ja den! – (Auf Sigmund zeigend.)

Willibald. Ja so! – Unter anderm, Herr Klaus, nicht wahr, Sie würden doch, wenn's Ernst würde, einem wirklichen Amtsaktuarius Ihre Tochter nicht verweigern?

Klaus. O ja! Unbedingt!

Sigmund. Wenn aber –

Klaus. 's Mädl is gar nicht zum Heiraten.

Willibald (lachend). Das wär' der Teufel!

Klaus. Konträr, sie is Himmelsbraut, sie geht ins Kloster.

Sigmund. Wenn sie aber keine Neigung –

Klaus. Das kommt schon, wenn s' nur einmal drin is! Sie is von Kindheit auf dazu bestimmt; sie war damals acht Jahr', und da hat meine Alte so an die Krämpf' g'litten; da haben wir 's kleine Madl ins Kloster verlobt, und von der Stund' an waren meiner Alten ihre Krämpf' wie weg'blasen.

Willibald. Na, wenn man nur weiß, was hilft.

Sigmund. Und deswegen soll sie ein Opfer –

Klaus. Ich bin gewiß Bureaukrat mit Leib und Seel', aber (zu Willibald) das werden Sie doch einsehen, Himmelsbraut is halt doch was Höheres, als wann eine den schönsten Beamten kriegt. Ich richt' mich in allem nach dem, was mir die Ligorianer sagen, das sind meine Leut'.

Sigmund. Willibald – mir wird so – es schnürt mir die Brust zusammen –

Willibald (ihn unterstützend). Aber, Freund –

Klaus (zu Willibald). Das is alles wegen der Nachtwachterischen. Führen Sie 'n nur in die Luft, ich kann nicht mitgehn – ich bin dahier einem freisinnigen Bandl auf der Spur. (Willibald führt Sigmund zur Mitteltüre fort.)

Klaus (allein). He, Kellner! – So viel is g'wiß, das is das mißvergnügte Wirtshaus, hier versammeln sie sich, hier ist der Herd der Revolution –! (Zum Kellner, welcher a tempo unter der Türe erscheint.) Bringen S' mir drei Paar Würsteln in Garten hinaus und a Schnitzel mit Erdäpfel, nachher saure Nierndln und ein Krenfleisch. (Der Kellner entfernt sich.) O, ich komm' noch auf alles, was hier aus'kocht wird! (Geht in die Seitentüre rechts ab.)


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