Johann Nestroy
Die schlimmen Buben in der Schule
Johann Nestroy

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Vierundzwanzigste Szene

Baron Wolkenfeld. Herr von Wichtig. Wampl. Franz. Nettchen. Frau Schnabel. Väter und Mütter der Schüler. Ein Kammerdiener. Ein Jäger. Zwei Bediente. Zwei Trompeter. Ein Pauker. Die Vorigen.

(Während dem Ritornell des folgenden Chores treten die Väter und Mütter der Schüler zur Mitte ein und stellen sich im Hintergrunde zu beiden Seiten auf. Unter ihnen befindet sich Frau Schnabel. Nettchen tritt aus der Seitentüre und begrüßt die Eintretenden. Trompeter und Pauker stellen sich gegen Ende des Chores an der Türe auf.)

Chor der Väter und Mütter.

Das ist für d' Eltern eine Freud',
Der gnäd'ge Herr lernt selber heut'
    Die lieben Kinder kennen,
    Die vor Begierde brennen,
In Feierkleider angetan,
Zu zeigen, was ein jeder kann.

(Während dem Nachspiel des Chores tritt Herr von Wolkenfeld, von Herrn von Wichtig und Wampl begleitet, ein; ihnen folgen Franz, ein Kammerdiener, ein Jäger, zwei Bediente. Tusch von Trompeten und Pauken.)

Alle Anwesenden. Vivat!!

(Wichtig und Wampl führen den Gutsherrn auf das Katheder.)

Wampl (zu Wolkenfeld). Die hohe Herablassung – die tiefste Ehre – die untertänigste Huld und Gnade –

Wolkenfeld (begrüßend). Auch ich bin sehr erfreut –

Wampl (ihm die Schüler präsentierend). Hier die sämtlichen Schüler und hier (auf die Eltern zeigend) die betreffenden Mütter und respektive Väter!

Wichtig. Der Tag, wo uns zum erstenmal Hochdero beglückende Gegenwart beauszeichnete, wird nach Jahrhunderten in den Annalen –

Wolkenfeld (zu Wichtig). Diese Bitte, welche Sie auch brieflich an mich gerichtet, setzt mich – (zu den Schülern mit einem Wink, daß sie sich setzen sollen) ich bitte –

(Die Schüler setzen sich; Wolkenfeld setzt sich auf den Kathederstuhl; Wampl wird von Franz, Wichtig vom Kammerdiener ein Stuhl auf die Tribüne gerichtet, so daß Wampl dem Baron zur Rechten, Wichtig zur Linken sitzt.)

Wolkenfeld (fortfahrend). Diese Bitte, wie gesagt, setzt mich – ich muß es gestehen – so sehr ich mich auch geschmeichelt fühle – in einige Verlegenheit. (Zu Wampl.) Herr von Wichtig wünscht, daß ich die Schüler selbst prüfen soll, was doch eigentlich nicht meine Sache ist, indem –

Wampl (ihm das Heft mit den Fragen vorlegend). Hier sind verschiedene Fragen untertänigst notiert.

Die Schüler (richten sich ihre Zettel in die Kappen, welche sie vor sich liegen haben, zurecht).

Wolkenfeld (in bezug auf das Heft, zu Wampl). Was ist das? (Setzt die Brille auf.)

Wampl. Ich würde allerunmaßgeblichst die Schüler mit Namen aufrufen.

Wolkenfeld (welcher das Heft flüchtig durchblätterte). Aha, ganz recht – nun denn –! (Für sich.) Es setzt mich in Verlegenheit – also – (wischt mit dem Tuch an seiner Brille).

Wampl (aufrufend). Stanislaus Wichtig!

Stanislaus (steht auf).

Wichtig (Stanislaus dem Gutsherrn präsentierend). Mein tief ergebenster Sohn!

Wampl (zu Wolkenfeld). Gleich die erste Frage wäre nicht schlecht! (Zeigt im Hefte darauf.)

Wolkenfeld (aus dem Hefte examinierend). Welche Planeten unseres Sonnensystems sind größer als die Erde? (Wischt an seiner Brille.)

Stanislaus (sieht in die Kappe und antwortet dann). Kärnten, Krain, Görz, Salzburg und die Windische Mark.

Willibald (kichert schadenfroh).

Wichtig. Verdammt – mir scheint, der Baron hat es zum Glück überhört. (Winkt den Trompetern. Tusch von Trompeten und Pauken.)

Wampl (über Stanislaus' Antwort noch ganz verblüfft). Wa – was is denn das –!? (Zu Franz, der ihm zunächst an den Stufen des Katheders steht.) Der hat was Unrechts im Kappel.

Franz (bestürzt). Ich begreife nicht –

Wolkenfeld (zu Wampl). Wollen Sie einen zweiten rufen!

Wampl. Sogleich! (Im Hefte zeigend.) Allenfalls die zweite Frage, wenn es gefällig ist – (aufrufend). Peter Petersil!

Peter Petersil (steht auf).

Wolkenfeld (aus dem Hefte examinierend). Welche sind die kleinsten Tiere aus der Gattung der Vögel?

Peter Petersil (nachdem er in seine Kappe gesehen, rasch antwortend). Das Eismeer, das Atlantische und Mittelländische Meer, die Ostsee und der Stille Ozean.

Willibald (lacht schadenfroh).

Wampl (starr vor Entsetzen, für sich). Ja sind denn die Buben verhext?

Franz (bestürzt, für sich). Was ist da vorgegangen

Wichtig. Ich staune –

Wolkenfeld. Recht brav – recht nun ja – es setzt mich wirklich in Verlegenheit, denn (wischt an seiner Brille.)

Frau Schnabel (hat sich hinter den Bänken ihrem Sohne genähert und sagt ihm leise). Er is taub, stocktaub!

Willibald. Wer?

Frau Schnabel. Der gnädige Herr! Der Kammerdiener hat mir's grad gesagt.

Willibald. Wenn ich das g'wiß wüßt', machet ich ein G'waltexamen.

Frau Schnabel. Wir werden uns gleich überzeugen. Gib acht auf die Trompeter, ich schenk' ihnen was – (geht in den Hintergrund und spricht mit den Trompetern, welche sich später rückwärts auf die Tribüne verfügen, so daß sie hinter Wampl, Wolkenfeld und Wichtig zu stehen kommen).

Wolkenfeld (zu Wampl). Fahren Sie fort!

Wampl (aufrufend). Anton Waldfuchs!

Anton Waldfuchs (steht auf).

Wampl (für sich). Ich schwitze Angstschweiß! (Zeigt dem Baron im Hefte die dritte Frage.) Unmaßgeblich –

Wolkenfeld (aus dem Hefte lesend). Welches sind die interessantesten Erfindungen der neuesten Zeit?

Anton Waldfuchs (nachdem er in seine Kappe geblickt). Die Klapperschlange, der Orang-Utan, das Krokodil, das Rhinozeros.

Wampl (für sich). Mir wird übel!

Wichtig (zu Wolkenfeld). Wollten Euer Gnaden nicht nochmal meinen Sohn – (ohne eine Äußerung abzuwarten, zu Wampl) rufen Sie ihn auf!

Wampl (kleinlaut). Ich fürchte nur, daß er auch –

Wichtig. Nur aufgerufen!

Wampl (aufrufend). Stanislaus Wichtig!

Stanislaus (für sich). Das ewige Aufrufen –! (Zu einem Schüler in der zweiten Bank.) Ich hab' kein Zettel mehr – gib mir deins! (Nimmt den Zettel.)

Wichtig (halbleise und ärgerlich). Aber, Stanislaus

Stanislaus (steht auf, nachdem er sich den Zettel in die Kappe gelegt).

Wolkenfeld (an seiner Brille wischend). Recht fatal, daß mein Freund, der Landrat Sternau, unpäßlich geworden – (liest die nächste Frage). Was ist im menschlichen Organismus die Hauptfunktion des Herzens?

Stanislaus. Sechs mal sechs is sechsunddreißig, acht mal neun is zweiundsiebzig, zehn mal hundert is tausend.

Wichtig (wütend, beiseite). Ich zerberste –

Wampl (für sich). Das is mein Gnadenstoß! (Winkt dem im Hintergrunde befindlichen Pauker, bei welchem er auch die Trompeter vermutet.) Nur Tusch! Wenigstens Tusch!

(Der Pauker beginnt im Hintergrunde zu wirbeln, die Trompeter blasen Tusch, dicht hinter den auf dem Katheder sitzenden Herrn .Wampl und Wichtig prallen einer nach rechts, der andere nach links. Herr von Wolkenfeld sitzt ruhig, sieht in das Heft und putzt an seiner Brille.)

Wampl (aufschreiend). Ah – was is das!?

Wichtig (zugleich, grimmig zu den Trompetern) Plagt euch der Satan?

(Die Trompeter ziehen sich nach dem Hintergrund zurück.)

Wampl (entschuldigend, zu Wolkenfeld). Euer gutsherrlichen Gnaden –

Wichtig (ebenso). Ich werde diese Schlingels –

Wolkenfeld (welcher, immer seine Brille wischend, ruhig dagesessen). Nun die letzte Frage –

Wampl (beiseite). Er schenkt mir kein Gehör –

Willibald (der dies hört). Ich glaub's, er wär' froh, wenn er selber eins hätt'!

Wolkenfeld (zu Wampl). Ich bitte um einen anderen Jüngling!

Wampl (aufrufend). Christoph Ries! (Für sich.) Wenn nur der meine Ehre rettet! (Zu Wolkenfeld, indem er auf eine Frage im Hefte zeigt.) Diese Frage wäre besonders zeitgemäß.

Wolkenfeld (die Frage lesend). Wie viele Musen nennt uns die Mythologie der Alten?

Christoph Ries (nachdem er in die Kappe gesehen). Sechzehn.

Wampl (korrigierend). Neun, wollen Sie sagen!

Wolkenfeld. Und wie heißen sie?

Christoph Ries (wie oben). Chrudim, Bunzlau, Kaurzim, Caslau, Budweis –

Wampl (desperat). Unglücklicher, halt ein! (Ganz vernichtet zu Franz.) Wie ist denn der zu den Kreisstädten Böhmens gekommen?

Wichtig (auf seinen Sohn herabdrohend). Wart', Stanislaus –!

Willibald (für sich). Bei der Prüfung tut's es, wenn ich aus 'n Namenbüchel was aufsag'. (Stellt sich vors Katheder.)

Wampl (zu Willibald). Wer hat denn Sie gerufen? Werden Sie sich in Ihre Bank begeben?

Willibald (schnattert, ohne sich irre machen zu lassen, die folgende Stelle aus dem Namenbüchlein auswendig her). »Wenn ich aus der Schule nach Hause komme, grüße ich sogleich meine Eltern und meine Geschwister. Ich lege meine Schulsachen an ihren Ort, ich spiele einige Zeit, dann nehme ich mein Büchlein wieder zur Hand, ich wiederhole, was morgens in der Schule gelesen wird. Die Mutter erzählt etwas, ich höre aufmerksam zu –«

Wampl (hat sich vergebens bemüht, Willibald zum Schweigen zu bringen, indem er ihm ein paarmal in die Rede gefallen mit den Worten). Halten Sie 's Maul! – Marschieren Sie auf Ihren Platz!

Wolkenfeld (zu Wampl). Antwortet recht geläufig auf die Fragen, die Sie ihm gestellt, dieser schlanke Knabe! (Winkt Willibald freundlich zu, daß es genug ist.)

Frau Schnabel (winkt den Trompetern).

(Tusch mit Trompeten und Pauken.)

Wichtig (in höchstem Zorne). Ich zerplatze!

Willibald (verbeugt sich und geht stolz auf seinen Platz). Ich habe den Sieg über meine Mitschüler davongetragen.

Wolkenfeld (aufstehend und zu den Schülern, welche sich ebenfalls erheben). Und nun, meine Lieben, freut es mich, in euch einen Teil jener Hoffnungen kennengelernt zu haben, welche das deutsche Vaterland dereinst in seinen Nachwuchs möglicherweise setzen zu können sich allenfalls angeregt und mutmaßlich berechtigt zu sein sich angewiesen fühlen sollte dürfen. – Nicht minder aber vernehmen Sie meinen Beschluß oder vielmehr den Beschluß meines Freundes, des Landrats! Derselbe wünscht, daß die Schule hier im Schlosse von nun an aufgehoben und mit der in hiesiger Landstadt befindlichen Schule vereinigt werde.

Wampl (niedergeschmettert, für sich). Entsetzlich! Entsetzlich! – Quiesziert, – kassiert –!

Wolkenfeld (sich gegen Wampl wendend). Sie, Herr Magister, erhalten von mir für Ihre vieljährigen Dienste als Pension Ihren vollen Gehalt nebst einer jährlichen Zulage von hundert Gulden.

Wampl (außer sich vor Freude). Is es möglich –!? Ruh'stand und Zulag'! – Tochter, halt mich – oder nein, laß mich fallen, und zwar zu den Füßen des Herrn Baron!

Wolkenfeld. Dem Qua-Schulgehilfen Franz Rottmann sendet der Herr Landrat durch mich das Anstellungsdekret als zweiter Lehrer bei obbenannter Stadtschule.

Wampl (jubelnd). Das auch noch

Nettchen. Welch ein Glück –!

Franz (mit Entzücken). Nettchen –!

Wichtig (leise zu Wampl). Bringen Sie doch die Auszeichnung für meinen Stanislaus in Anregung!

Wampl (leise zu Wichtig). Ich hab' da was ganz Besonderes! (Zieht aus einem Schiebfach des Katheders eine große Schulmedaille mit bunter Schleife hervor.) Euer Hochfreiherrlichen Gnaden wollen hiemit den merkwürdigen Schüler Stanislaus –

Wolkenfeld. Aha – ich verstehe – der jüngste Schüler wird gewöhnlich damit geschmückt – (winkt Christoph Ries und geht ihm an die Stufe der Tribüne herab entgegen)

Wichtig. Ich werde zu Stein –

Wolkenfeld (befestigt an Christophs Knopfloch die Medaille).

Wampl (beiseite), O Weltlauf! Fürs Birnschnipfen kriegt der eine Medaille!

Wolkenfeld. Die sämtlichen übrigen Schüler erhalten jeder, nicht eigentlich als Prämium, sondern mehr zur Erinnerung ein Exemplar dieses nützlichen Buches! (Verteilt die Bücher, welche der Kammerdiener ihm zureicht, an die Schüler.)

Wichtig (zu Wampl). Das ist ja aber alles keine Auszeichnung für meinen Stanislaus!?

Willibald (zu Christoph Ries). Gib mir deinen Denkpfennig, ich geb' dir a Golatschen dafür!

Christoph Ries (die Medaille herabnehmend und sie Willibald einhändigend). Da hast 'n, ich halt' nix auf so Sachen! (Nimmt die angebotene Golatsche.)

Willibald (befestigt sich mit stolzem Wohlgefallen die Medaille an der Brust).

Wampl (sich dem Gutsherrn nähernd und ihm Franz und Nettchen, welche er an der Hand führt, vorstellend). Darf ich es wagen, ein Brautpaar vorzustellen?

Wolkenfeld. Ah, da soll eine Hochzeit –? (Zu Franz.) Nur geheiratet, dem Verdienste seine Kronen! Sie tragen ans dieser Schule das schönste Prämium davon.

(Auf Wolkenfelds Wink Tusch von Trompeten und Pauken. Herr von Wolkenfeld fährt fort, Bücher an die Schüler zu verteilen.)

Alle. Vivat!

(Unter wiederholtem Tusch und allgemeiner freudiger Bewegung fällt der Vorhang.)


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