Johann Nestroy
Die schlimmen Buben in der Schule
Johann Nestroy

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Zwölfte Szene

Nettchen. Die Vorigen. Dann Babett.

Nettchen (kommt aus der Seitentüre rechts, auf einem Präsentierteller den Kaffee für den Magister). Was ist das? Der Vater nicht hier?

Franz. Ich vertrete eben seine Stelle.

Nettchen. Der Kaffee ist wohl sehr heiß – (stellt das Mitgebrachte auf das Katheder).

Franz. Und ohne Zweifel wird er in wenig Minuten –

Babett (aus Seite rechts und unter der Türe stehenbleibend). Mamsell Netterl, Sie haben den Zucker vergessen! (Zieht sich wieder zurück.)

Nettchen. Ach ja, der ist oben im Schrank! (Will fort.)

Franz. Die Alte wird ihn ja bringen.

Nettchen. Die kann nicht hinauf, ich muß schon selbst – (eilt in die Seitentüre rechts ab).

Franz. Sie könnten fallen, sich einen Schaden tun – erlauben Sie, daß ich – (eilt ihr nach).

Dreizehnte Szene

Die Vorigen ohne Franz, Nettchen und Babett.

Willibald. Ha, wir sind ohne Aufsicht, kein Rottmann, kein Schullehrer!

Alle. Juheh!

Willibald. Jetzt bin ich derjenige, welcher –! Aber statt eines trockenen Vortrages will ich euch das geschmalzene Lied von der Hauskatze singen, und wenn ihr alle gehörig dreinschreits, dann werden die erbeuteten Birnen als Prämien verteilt.

Christoph Ries. Das Obers – ah, das Obers! (Geht um Tisch und nascht aus der Oberskanne.)

Willibald.

Lied 
1.
        Bub'n, ihr lernts jetzt das ABC, jetzt das ABC!
Weh' dem, der's nicht gut kann, geh, geh, geh, geh!
Doch seine rote Nasen, ein' Schwarzen braucht sie,
Er geht ins Tabaksg'wölb' fort, hihihihi!
        Is die Katz' aus 'n Haus,
        Da hat Kirchtag die Maus!
        Was nit g'rad' geht, geht krumm,
        Wer nix red't, der is stumm,
        Wer nix weiß, der is dumm!
        Tschinatra, tschinatra, bum!

Chor. Was nicht g'rad' geht etc.

Willibald.

2.
          Sechzehn Jahr', sechzehn Jahr' is d' junge Frau,
Und er is neunundsechzig, schau, schau, schau, schau!
Jetzt muß er verreis'n auf a Monat, a zwa,
Das is a verflixte G'schicht', ha, ha, ha, ha!
        Is die Katz' aus 'n Haus,
        Da hat Kirchtag die Maus,
        Was nit g'rad' geht, geht krumm,
        Wer nix red't, der is stumm,
        Wer nix weiß, der is dumm!
        Tschinatra, tschinatra, bum!

Chor. Was nicht g'rad' geht etc.

Willibald.

3.
        Zu spät noch am Fenster, das schickt sich nicht, pfui!
's gehn draußt Gespenster um – ui, ui, ui, ui!
Drauf geht d' Alte in a Kaffeeg'sellschaft no,
Glei am Fenster is's Madl wieder, ho, ho, ho, ho!
        Is die Katz' aus 'n Haus,
        Da hat Kirchtag die Maus,
        Was nit g'rad' geht, geht krumm,
        Wer nix red't, der is stumm,
        Wer nix weiß, der is dumm!
        Tschinatra, tschinatra, bum!

Chor (wie oben).

Alle Schüler (steigen auf die Bänke; Willibald wirft Birnen aus, die Schüler fangen sie jubelnd auf). Juheh!

Vierzehnte Szene

Wampl. Die Vorigen.

Wampl (zur Mitte eintretend). Also so geht's zu, wenn ich den Rücken kehr'!? Ihr heillosen Buben! Ihr Tagdiebe! Ihr –!

(Alle ziehen sich erschrocken nach ihren Plätzen.)

Stanislaus. Der Christoph Ries hat ang'fangen!

Wampl. O dieser Ries! Dieser gräßliche Ries is immer an allem schuld! Wo ist er!?

Stanislaus (hinter das Katheder zeigend). Da hat er sich verkrochen!

Wampl (Christoph Ries hervorziehend). Her da, du Unheilstifter, du –! Was versteckt Er denn da –? (Zieht ihm die Hand hervor, mit welcher er die Oberskanne verbergen will.) Mein Obers –!! Er hat es ausgetrunken –! Teufelsbub! Und gar nichts mehr drin, ich muß vormittag einen Schwarzen trinken! Aber knien soll Er –

Stanislaus. Die Straf' hat er ja schon!

Willibald. Klein is er von Natur, knien muß er eh, eine größere Verkürzung is ja nicht mehr möglich!

Wampl. Knien soll er, nicht nur heut', sondern so lang, bis er alle Schulen absolviert hat! An der Stelle!

Christoph Ries (kniet sich an seinen vorigen Platz). Meinetwegen – 's Obers war halt doch gut!

Wampl (zu den übrigen). Und ihr habt euch unterstanden, auf die Bänke zu steigen?! Wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden! Nieder! Die ganze Schul' kniet heraus!

(Die Schüler knien sich murrend im Vordergrunde nieder; Willibald, Peter Petersil und Stanislaus zögern.)

Wampl. Werdet ihr gehorchen!?

Peter Petersil. Wenn alles kniet, dann is es keine Schand'! (Kniet sich zu den andern.)

Willibald (für sich). Einmal stehen, einmal sitzen, einmal knien – Abwechslung muß sein! (Kniet sich neben Peter.)

Wampl (zu Stanislaus). Sie sind ausgenommen, Sie haben die erste Anzeige gemacht, Sie erhalten Amnestie.

Stanislaus. Ich hätt's auch meinem Vater g'sagt!

Fünfzehnte Szene

Franz. Die Vorigen.

Franz (die Zuckerbüchse in der Hand haltend, tritt aus der Seitentüre rechts; für sich, als er Wampl erblickt). Himmel – er ist schon zurück –!?

Wampl. Und wo ist denn der Aufseher? He! Franz Rottmann!

Stanislaus. Da schleicht er sich grad von der Mamsell Nannett' heraus!

Wampl. Milliontausendelement! Heißt das Schul' halten!?

Franz. Entschuldigen, ich habe Ihnen den Zucker aus dem Schrank geholt.

Wampl. O, ich zweifle nicht, daß Sie in süßen Angelegenheiten drin waren, aber das werd' ich Ihnen austreiben, Sie Pursche, Sie!

Franz (gekränkt). Herr Magister, ich bin hier Aufseher –

Wampl. Aber statt auf die schlimmen Buben zu schauen, schaun Sie auf mein braves Mädl! Von nun an is es aus mit der Aufseherei! Ich degradiere Sie zum Schuljungen.

Franz (halb gekränkt, halb begütigend). Darüber bin ich schon lange hinaus.

Wampl. Ich werd' Ihnen das Gegenteil beweisen. Niedergekniet wie die andern!

Franz. Herr Magister, Sie sind rasend –

Die Schüler. Oj! Der Aufseher muß knien!

Wampl (grimmig, zu Franz). Niedergekniet, oder –!

Franz. Nun ja denn –! (Kniet sich vor Wampl nieder.) Kniend flehe ich Sie an um die Hand Ihrer Tochter!

Wampl. Frechheit ohnegleichen! Die Hand meiner Tochter –? Meine Hand werd' ich Ihnen geben, früher muß aber ein Lineal drin sein! (Nimmt wütend das Lineal vom Katheder.)

Franz. Das ist zuviel! (Aufspringend.) Ich habe ertragen, was möglich war – aber Schläge – nein! (Will fort.)

Wampl. Wohin? Dageblieben!

Franz. Nein, ich gehe, und Sie sehen mich als Schwiegersohn, oder niemals wieder! (Eilt zur Mitte ab, indem er an den eben eintretenden Herrn von Wichtig anstößt.)

Sechzehnte Szene

Wichtig. Die Vorigen ohne Franz.

Wichtig (im Eintreten). Oho, der Herr hat es pressant!

Wampl (höchst betroffen, für sich). Teufel, der Herr Intendant –!

Wichtig (vortretend). Herr Magister –

Wampl. Was verschafft mir den abermaligen Genuß der Ehre –?

Wichtig. Sind sehr freundlich! Sie werden staunen – 's ist periculum in mora – doch was seh' ich –?! Die Jugend sämtlich auf den Knien!

Wampl (zu den Schülern leise, aber sehr strenge). Stehn Sie auf, alle, und machen Sie Ihr Kompliment!

Die Schüler (stehen auf). Wir machen unser Kompliment! (Machen vor Herrn von Wichtig einen Kratzfuß und knien sich allsogleich wieder nieder.)

Wampl (leise, aber grimmig zu den Schülern). Aufstehen! hab' ich gesagt, aufstehn, ihr Rangen!

Wichtig. Recht gute, fromme Knaben, mir ist leid, daß ich störte –

Wampl (verlegen). Es war mehr eine Übung in der Devotion, die Jungen werden heute oder morgen Bittsteller, und da schadet es nicht –

Wichtig (zu den Schülern). Meine lieben angehenden Jünglinge, begeben Sie sich schleunigst zu Ihren Herrn Eltern, lassen Sie sich Ihre respektiven Sonntagskleider anlegen und erscheinen Sie in einer halben Stunde in möglichster Pracht und Sauberkeit! Mein Stanislaus wird Ihnen hierin zum Muster dienen.

Die Schüler (glotzen Herrn von Wichtig verdutzt an).

Wampl (zu den Schülern). Haben Sie nicht gehört, was der Herr Intendant befohlen hat? Entfernen Sie sich eiligst, aber still und ordentlich!

Die Schüler. Juheh! Die Schul' is aus! Der Herr von Wichtig soll leben! (Alle eilen jubelnd zur Mitteltüre fort.)

Wichtig. Ist sehr freundlich, sehr lebhaft, die junge Schülerschaft!

Willibald (fast an der Türe). Ich werde horchen, damit ich der Frau Mutter alles erzählen kann. (Kehrt zurück und verbirgt sich hinter der großen Rechentafel.)

Siebzehnte Szene

Wampl. Wichtig. Willibald (versteckt).

Wampl. Wollten mich nun der Herr von Wichtig gefälligst mit einer Aufklärung beglücken?

Wichtig. Ich habe Sie diesen Morgen schon etwas ahnen lassen. Mein an unsern gnädigen Herrn gerichteter Brief hat eine sehr freundliche, überraschend schnelle Wirkung getan.

Wampl (entzückt, für sich). Überraschender Bescheid – ich geh' in die Luft –!

Wichtig (einen Brief hervorziehend). Eben erhalte ich die Antwort. Herr von Wolkenfeld, unser Gebieter, der beim benachbarten Gutsbesitzer frühstückte, wird mit dem Herrn Landrat hieherkommen, ein Examen veranstalten, in eigner Person prüfen und die Preise verteilen.

Wampl (wie vom Donner gerührt). Ein – Ex – Examen (Für sich.) Ich fall' um!

Wichtig. In einer Stunde längstens ist er hier! Es versteht sich von selbst, daß alle Schüler prompt und exakt antworten müssen, daß aber mein Stanislaus alle übrigen übertreffen wird.

Wampl. Ja, aber – wenn nur – ich zweifle fast –

Wichtig. Es sollte mir leid tun um Ihretwillen, Ihres Amtes war es, die Jugend gut zu unterrichten, jede verfehlte oder schuldiggebliebene Antwort haben Sie zu verantworten.

Wampl (ganz vernichtet und kleinlaut). Aber ich kann ja doch nicht –

Wichtig. Namentlich, wenn mein Stanislaus nicht mit Auszeichnung bestünde, so fiele das bei seinem Genie doppelt auf Sie zurück!

Wampl (wie oben). O, der Stanislaus –! (Beiseite.) Mich trifft der Schlag!

Wichtig. Sind sehr freundlich! Auf Wiedersehn! (Geht zur Mitte ab.)

Wampl (ihn an die Türe begleitend). Untertänigst –

Achtzehnte Szene

Wampl, Willibald (versteckt). Dann Nettchen.

Wampl (allein). Glaub' nicht, daß was draus wird aus dem Wiedersehn! Ich geh' durch – Examen –! (Desperat.) Ich muß durchgehn!

Nettchen (aus der Seitentüre rechts kommend). Ach, Vater –!

Wampl. Tochter! Examen – hast du gehört

Nettchen. Alles! Ich stand an der Türe.

Wampl (die Hände ringend). Gutsherr, Landrat, Examen! Es is ein Wahnsinn! Aufs Examinieren sind meine Schüler nicht eingericht't! Wer hilft mir? – Wer rat't mir? – Franz! Wo, Teufel, is denn der Franz!? Aufseher, wo stecken Sie!?

Nettchen. Aber, Vater, Sie haben ihn ja fortgejagt, den armen Franz!

Wampl. Er soll wiederkommen, an der Stell'! Ich brauch' Rat und Tat!

Nettchen. Haben Sie nicht gehört, mit welchem Schwur er fortstürzte? Nur als Ihr Schwiegersohn –

Wampl (aufbrausend). Ich werd' ihm die Schwüre austreiben! – Aber es steht zu viel auf dem Spiel! (In nachgiebigem Tone.) Was nicht is, kann werden, aber nur helfen soll er mir jetzt! Die alte Babett' soll in seine Wohnung laufen!

Nettchen. Das ist nicht nötig, er steht unter meinem Fenster, ein Wink mit dem Schnupftuch, und er ist hier! (Eilt in die Seitentüre rechts ab.)

Wampl (verdutzt ihr nachsehend). Brav, das scheint schon recht gut in Gang zu sein! Wer weiß, wie oft sie schon Schnupftüchelwinkerin war! (Kopfschüttelnd.) Hm – hm –

Nettchen (freudig zurückkommend). Er kommt schon!

Wampl (etwas strenge). Geh nur wieder hinein!

Nettchen. Aber, Vater –!

Wampl. Nur hinein! Dir halt' ich dann noch eine Vorlesung über die Zentrifugalkraft der Schnupftücheln.

(Nettchen entfernt sich zur Seitentüre rechts.)


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