David Christie Murray
Der Bischof in Not
David Christie Murray

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Fünftes Kapitel

Auch Mr. Mortimer begab sich nach dem Hotel Continental, und das Schicksal fügte es so, daß ihm dort ein Zimmer angewiesen wurde, das neben dem des Bischofs von Stockestithe lag. Seine Lordschaft wünschte James gute Nacht, als dieser in sein Zimmer ging, und dreiviertel Stunden später, als James vor die Thür trat, um seine Sachen zum Reinigen hinauszuhängen, sah er auf einem neben der Thür des Bischofs stehenden Stuhle den Rock, die Weste, die Beinkleider und die Gamaschen des hochwürdigen Herrn liegen. James hatte inzwischen die Flasche ausgezeichneten schottischen Whiskys geleert und dazu eine von seinen großen Cigarren geraucht, so daß er sich in ganz ungewöhnlich lustiger und übermütiger Laune befand. Als er das Gewand der Würde so nahe seiner eigenen Thür erblickte, schoß ihm ein höchst unehrerbietiger Gedanke durchs Hirn, und er machte, geräuschlos lachend, in Schlafrock und Pantoffeln eine tiefe Verbeugung. Nachdem er sich hierauf vergewissert hatte, daß er allein war und von niemand gesehen wurde, als vom Himmel, woran ihm nicht ein Pfifferling lag, ergriff er die heiligen Gewänder des Bischofs von Stockestithe und schlich damit in sein eigenes Zimmer. Hier schloß er sich ein, zündete hierauf das Gas zu beiden Seiten des großen Spiegels an, worin er seine ganze Gestalt sehen konnte, und begann sich mit den Kleidern des Bischofs bis zu den Oxforder Schuhen herab zu schmücken, wobei er fand, daß ihm alles wie angemessen paßte.

»Heiliger Bimbam!« rief er, vor Lachen fast erstickend. »Was für eine Verkleidung!«

Bei diesen Worten tanzte er einen wilden Cancan vor dem Spiegel, warf sich aufs Bett und wälzte sich ganz ausgelassen vor Vergnügen darauf herum. Als er sich wieder etwas beruhigt hatte, betrachtete er sich noch einmal im Spiegel, wobei er allerhand würdevolle und rednerische Stellungen einnahm.

»Es ist eine brennende Schmach«, sprach er bei sich, »einem Menschen ein solches Gesicht und eine solche Haltung zu geben, und alles das an einen gewöhnlichen Laien zu verschwenden. Was für eine Figur hätte ich als Geistlicher gemacht! Wenn ich nur auch den Deckel hätte; ich fühle, daß ich ohne den nicht vollständig bin.«

Als er sein Mütchen gekühlt hatte, zog er den ehrwürdigen Anzug wieder aus, faltete jedes Stück sorgfältig zusammen und legte die Sachen an ihren Platz zurück. Hierauf hing er seine eigenen Kleider vor die Thür und ging friedlich zu Bett. Daß in der eben von ihm begangenen Handlung frivoler Leichtfertigkeit die Saat einer furchtbaren Heimsuchung für den armen Bischof von Stockestithe verborgen lag, ließ er sich nicht träumen, und wenn er es gethan hätte, würde es ihm wahrscheinlich gar nichts ausgemacht haben.

Am nächsten Morgen erhob sich Mr. Mortimer beizeiten und begab sich nach einem eiligen Frühstück mittels einer Droschke nach einem ihm bekannten Hause am andern Ufer der Seine. Hier nahm er in einem Privatzimmer gewisse Veränderungen mit seiner äußeren Erscheinung vor, wobei ihn ein im Hause wohnender Künstler unterstützte. Sein blondes Haar wurde unter der Wirkung einer gefärbten Pomade rotbraun, seine hellen Augenbrauen nahmen dieselbe Farbe an, ein Vorderzahn verschwand hinter einem Stückchen schwarzen englischen Pflasters, so daß ein Beobachter, der ihn hätte lächeln sehen, darauf geschworen haben würde, er habe eine Zahnlücke, und auf seine Oberlippe wurde eine kleine, aber in die Augen fallende Narbe gemalt. Diese sah, selbst bei genauer Prüfung, unvergänglich aus, als ob sie schon seit Jahren dort gewesen wäre. Kein rechter Spitzbube, der sein Handwerk versteht, nimmt diese Art von Verkleidung nach vollbrachter That an; die Kunst eines solchen besteht darin, besondere Kennzeichen zu schaffen, die ein Zeuge beschreiben kann, die sich aber nachher leicht wieder entfernen lassen.

So ausgerüstet, machte er sich an sein Geschäft, das er den ganzen Tag über mit Erfolg besorgte. Ehe die Bank- und Wechselgeschäfte an diesem Tage geschlossen wurden, hatte er sämtliche nachgemachten Banknoten, die er bei sich führte, in französische umgesetzt, alle, bis auf fünf, die zufällig in seine Westentasche geraten waren, wo er sie vergaß. Sie sollten eine Rolle in dem furchtbaren Verhängnis spielen, das den Bischof erwartete.

Spät am Nachmittag fuhr er wieder nach dem Hause, das er morgens besucht hatte, und kam unverkleidet wieder heraus, worauf er in sein Hotel zurückkehrte, sich ankleidete, dinierte und das Theater besuchte, von wo er todmüde heimkam, denn selbst für einen abgehärteten Schurken ist eine Arbeit, wie die, womit er beschäftigt gewesen war, angreifend.

Inzwischen war mit dem Nachtzuge von London ein bleicher, glatt rasierter Mann, der auf Krücken ging, angekommen und hatte dem Nachtportier des Hotels Continental ein Briefchen an Mr. Decimus Bailey übergeben, dessen sofortige Bestellung er trotz der vorgerückten Stunde verlangte. Nachdem der Portier zunächst eine elektrische Klingel in Mr. Baileys Zimmer in Bewegung gesetzt hatte, stieg er mit dem Briefchen die Treppe hinan. Mr. Mortimer erwartete ihn erschrocken und bleich.

»Was gibt's denn?« fragte er.

»Ein eben angekommener Herr hat mich beauftragt, Ihnen dies sofort zu übergeben.«

Mr. Mortimer nahm den Brief, öffnete und las ihn und dachte einen Augenblick nach.

»Führen Sie den Herrn hierher in mein Zimmer,« sagte er nach einer Weile, und der Portier verbeugte sich. »Und noch eins, Portier, bringen Sie doch eine Flasche schottischen Whisky und etwas Sodawasser. – Ich muß etwas auf diesen Schreck trinken,« setzte er für sich hinzu. »Was mag das nur zu bedeuten haben?« Noch einmal las er: »Verrate keine Ueberraschung. Ich muß Dich sprechen. – Johnny.« Darunter stand das Wort: »Dringend!« dreimal unterstrichen.

Inzwischen hatte der Portier den bleichen, sauber rasierten Herrn, der auf Krücken ging, ins Zimmer geführt.

»Wie geht's dir, Decimus, mein armer alter Freund?« hob dieser sogleich an. »Mit Mabels Befinden ist es plötzlich viel schlimmer geworden; die letzte Hoffnung ist dahin, und wenn du sie noch am Leben treffen willst, mußt du mit dem ersten Morgenzug nach London zurückkehren. Ein Telegramm war zu unsicher, da ich nicht wußte, ob es dich gleich finden würde, deshalb bin ich selbst . . .«

Der Portier mochte inzwischen wohl das Ende des Ganges erreicht haben, Mortimer hatte Varndyke an seiner Stimme erkannt, sonst würde er mehr als einmal genau haben zusehen müssen, ehe er über die vor ihm stehende Persönlichkeit im klaren gewesen wäre.

»Was ist denn los?« fragte er, während er mit den Füßen in seine Pantoffeln schlüpfte und sich in seinen Schlafrock hüllte.

»Nichts, was dich zu beunruhigen brauchte,« entgegnete Varndyke. »Kommt der Kerl wieder?« Mortimer nickte. »Gut, dann mußt du Geduld haben, bis er wieder dagewesen ist, aber mach dir keine Sorgen. Es ist gar nichts, was dich zu ängstigen brauchte; nur eine Vorsichtsmaßregel.«

Schweigend entnahm Mortimer seiner Dose eine Cigarre, und als das Klirren von Gläsern und Metall auf dem Gange hörbar wurde, begann Varndyke wieder mit seinem tiefen, rollenden Baß zu sprechen.

»Als ich abreiste, war sie bewußtlos, aber die Aerzte meinten, sie würde wieder zu sich kommen. Gegen sechs Uhr abends erwachte sie und fragte nach dir. ›Wo ist Decimus?‹ sagte sie. ›Wenn ich nur meinen armen lieben Decimus noch einmal sähe, dann könnte ich ruhig sterben.‹«

»Ich danke dir, mein alter Freund,« antwortete Mortimer mit gebrochener Stimme, stützte die Ellbogen auf den Tisch und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

Der Portier beobachtete ein teilnahmvolles Schweigen, denn seine Sache war es nicht, sich in einem so traurigen Augenblick bemerkbar zu machen. Er war verheiratet und Bretone.

»Auch die Vornehmen haben ihren Kummer,« dachte er beim Hinausgehen.

»Nun heraus damit!« rief Mortimer. »Du kannst was zu trinken einschenken, während du sprichst, und mußt mich entschuldigen, wenn ich mich wieder zu Bett lege.«

»Roß hat einen Wink bekommen,« berichtete Varndyke. »Das Papier haben die Bankbeamten natürlich schon lange vermißt, und sie wissen, daß wir mit der Verbreitung angefangen haben. Großen Lärm können sie zwar nicht schlagen, denn sie dürfen das Vertrauen in ihr eigenes Papier nicht erschüttern, aber sie sind entschlossen, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, um uns abzufassen, und haben eine geheime Warnung über die ganze Welt verbreitet. Diese werden die Banken hier heute morgen erhalten, und das Wechseln eines so ansehnlichen Betrages, wie du ihn gestern untergebracht hast, wird natürlich ihren Verdacht erregen. Bist du mit deiner Arbeit fertig?«

»Vollständig!« antwortete Mortimer. »Was sollen wir nun weiter thun?«

»Ich für meine Person,« erwiderte Oberst Varndyke, »gehe nach Monte Carlo.«

»Warum soll ich dich nicht begleiten?« fragte James und sprang bei diesen Worten so plötzlich aus dem Bett, daß der Oberst erschrak, »Wart' einmal, da kommt mir ein prächtiger Gedanke.«

Leise schlich er auf den Gang hinaus und kehrte gleich darauf mit einem Bündel auf dem Arme zurück. Dann schlich er noch einmal hinaus, um abermals gleich wieder zurückzukehren, diesmal mit einem Priesterhut und ein Paar Oxforder Schuhen.

»Wahrhaftig, ich habe den richtigen Deckel erwischt!« rief er in jubelndem Flüstertone, »ich habe den richtigen Deckel!«

James erklärte seinem Freunde, dessen Neugier natürlich durch dieses Gebaren erregt worden war, was er vorhabe, und begann sofort, sich zum zweitenmal mit dem Gewand des Bischofs zu bekleiden. Sein Spießgeselle sah kichernd zu, und als Mortimer seinen Anzug beendet hatte und mit dem Hute bedeckt und mit schwarzen Handschuhen bekleidet vor ihm stand, mußte er eine Ecke des Kopfkissens in den Mund stecken, um einen lauten Ausbruch der Heiterkeit zu ersticken. Der wirkliche Eigentümer hatte seine Kleider nie mit größerer Würde getragen, noch war er von ihnen mit größerer Würde umhüllt worden.

»Wem gehören denn die?« fragte Varndyke, immer noch mit unterdrücktem Lachen. »Wo hast du sie her?«

»Sie gehören,« versetzte James, »oder vielmehr sie gehörten meinem Nachbar im nächsten Zimmer, dem Bischof von Stockestithe, Ein ehrlicher Tausch ist kein Diebstahl, und Seine Lordschaft soll meinen Zivilanzug haben. Er hat mich nie in diesem Anzug, den ich nur für die gestrige Arbeit mitgenommen habe, gesehen, und er eignet sich ausgezeichnet für einen Bischof, der sich verkleiden will, denn er ist die Achtbarkeit selbst.«

Während er sprach, beschäftigte er sich damit, die Kleider, die er am vorhergehenden Tage getragen hatte, säuberlich zusammenzulegen, wobei er gleichzeitig ihre Taschen durchsuchte. Es war ein tragischer Schelmenstreich des Geschicks, daß er dabei die rechte Westentasche, worin das kleine Päckchen gefälschter Zehnpfundnoten verborgen war, übersah.

»Stockestithe?« fragte der Oberst in halbersticktem Flüstern, »Ist der hier? Den kenne ich,« fuhr er fort, nachdem James die Frage durch ein Nicken beantwortet hatte. Dieser, der ganz vom Geschäft des Augenblicks in Anspruch genommen war, ging, seine Sachen zusammensuchend, im Zimmer hin und her, und Varndyke folgte ihm dabei, um nicht zu laut sprechen zu müssen. »Der alte Roß hat mich ihm vorgestellt,« zischelte er James ins Ohr, »und der Bischof hat mich um einen Zehner für die Gesellschaft zur Unterstützung verarmter Kirchendiener angezapft. Du willst doch nicht in dem Anzuge umherlaufen?«

»Erst, wenn wir in Monte Carlo sind,« antwortete James. »Sind wir dort, dann hoffe ich mich so zu benehmen, daß die Kirche stolz auf mich sein kann.«

Während er so sprach, entkleidete er sich rasch wieder, faltete seine Beute zusammen und verpackte sie in seinem Koffer. Hierauf legte er seinen eigenen Anzug nebst seinem Hute auf den Stuhl neben der Thür des Bischofs, wohin er auch seine Stiefel stellte, und kleidete sich zu der bevorstehenden Reise an. Während James fertig packte, studierte Varndyke einen Fahrplan und stellte eine Rundreise nach Monte Carlo über Calais, Antwerpen, Brüssel und den indischen Postzug bis Basel zusammen und von da durch die Schweiz und die lombardische Ebene nach Genua. Sie frühstückten noch bei Gaslicht und reisten mit dem Frühzuge anscheinend nach London ab.

Und der Bischof erwachte, als sie schon weit entfernt waren, und entdeckte, daß irgend jemand ein ganz unglaubliches Versehen gemacht hatte, aber als seine erste Entrüstung und Ueberraschung verraucht waren, begann ein Gefühl geheimer Befriedigung in seiner Brust zu erwachen.

»Weshalb,« fragte sich der Bischof von Stockestithe, »weshalb sollte ich nicht von diesem ganz ungesuchten und unerwarteten Zufall Gebrauch machen und mich für einige Zeit einer harmlosen Freiheit erfreuen? Warum soll ich nicht die mir gebotene Gelegenheit benutzen, etwas tiefer in die Gedanken und die Thätigkeit meiner Mitmenschen einzudringen?«

Hätte die Zukunft ihm nur antworten können! Aber die Zukunft antwortet niemand.


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