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Die Veithen waren eine der wenigen Familien des Bayerischen Waldes, die einen Matrosen zu den ihren zählen konnte. Der Bruder des Veithen-Bauern, ein Tunichtgut, war von daheim durchgebrannt, und man hörte von ihm erst wieder, als er schon einige Jahre auf den Meeren herumgefahren war und die halbe Welt gesehen hatte. Eines Tages kam er heim und brachte einen hübschen Stoß Dollarnoten und eine Kiste Raritäten mit. Als nach zwei Monaten fleißigen Zechens das Geld gerade noch für die Fahrt nach Hamburg reichte, bekam der »Veithen-Matros« wieder Sehnsucht nach dem Meer und blieb von da an verschollen.
Die Veithen bewahrten ihm eine phantastische Erinnerung, die ihn nach und nach zu einem Kolumbus machte und ihm den Besitz von Gold- und Edelsteinen andichtete, die bestimmt irgendwo auf die Erben warteten. Der Glaube an diese erdachten Reichtümer wurde hauptsächlich durch die Raritätenkiste bestärkt, in der Dinge von allen Meeresküsten lagen. Amerika hatte eine ganze Indianerausrüstung beigesteuert, Afrika war durch eine Katzenmumie aus Ägypten und ein Straußenei aus Transvaal vertreten, aus Asien stammten ein paar mit Drachen bemalte Fächer und Lampions sowie eine geschnitzte Specksteinfigur, und das ausgestopfte Schnabeltier war echt australisch. Korallen, Schwämme, Seesterne, Krabbenpanzer, Schlangenhäute, Kokosnussschalen und einige hundert Stück Seemuscheln füllten die Kiste bis an den Rand und der Matrose hätte wohl selbst nicht gewusst, wo er das ganze Zeug aufgelesen hatte.
Wie nun andere Dorfbuben mit Steckenpferd, Haarball, Kreisel, Krautochsen und Baumzapfen spielen, so spielten die zwei Veithen-Buben, der Xaver und der Bartl, mit den seltsamen Dingen aus der Kiste. Der Vater erzählte ihnen dazu Geschichten, die er von seinem Bruder gehört hatte, und erfand neue, wenn ihm der Faden ausging.
Während nun der Umgang und das Spiel mit den landfernen Stücken der Kiste in Xaver eine unbändige Reiselust weckten und in die gierige Kinderseele das Gift wilder Abenteuerlust träufelte, erinnerte es den Bartl immer wieder an das geheimnisvolle Ende des Verschollenen, das er sich nur furchtbar vorstellen konnte: entweder war der Matrose bei einem Schiffbruch elendiglich im Meer ersoffen oder hatten ihn die Kannibalen aufgefressen.
Als Xaver siebzehn Jahre alt war, sagte er sich, dass es nun an der Zeit wäre, dem Beispiel des Onkels zu folgen. Wie das durchzuführen war, hatte ihm der Vater oft und oft erzählt. Der selige Onkel stahl dem Großvater das Geld, das er für ein paar Ochsen vom Markt heimgebracht hatte und brannte damit durch.
Xaver machte es ebenso.
Der Veithner-Bauer wusste, dass der Bub – wie damals der Bruder – in Hamburg oder Bremen zu finden gewesen wäre und eine Verständigung der Polizei genügt hätte, den Ausreißer wieder heimzubringen. Aber er tat nicht das geringste, um den Vogel einfangen zu lassen, denn er hatte das von seinem Xaver längst erwartet und war sogar ein wenig stolz darauf, da nun der verblasste Glanz, den die Abenteuer des Bruders auf die Veithen geworfen hatten, durch den Buben aufs neue zu strahlen begann. Der Xaver war ein handfester Kerl, der in der Welt schon richtig zugreifen würde.
Nach Wochen kam, wie vorauszusehen war – eine Karte aus Amerika, auf der Xaver seinen Leuten mitteilte, dass er drüben gesund angekommen sei und dass er sich auf einem Handelsschiff habe anheuern lassen. Die erste Fahrt sollte nach Südamerika gehen.
In Bartl erweckte das weiter keinen Neid, er tat willig seine Arbeit und schaffte doppelt, um den Bruder im Tagwerk zu ersetzen.
So hatte der Veith genug Ursache, von seinen Buben groß zu sprechen. Er sagte, öfter als die Leute es hören wollten: »Der Bartl ist mein Haushalter und der Xaver ist mein Fliegindiewelt. Der Bartl baut's Nest und der Xaver wird eintragen.« Der Veith träumte von goldenen Eiern und würde einem, der bezweifelt hätte, dass ein Matrose zu Reichtum kommen kann, Grobheiten gesagt haben.
Es kamen Karten und Briefe aus Afrika, Indien und Australien: dem Xaver ging es gut. Er schrieb von Neuseeland, Tahiti, Japan und Island, es ginge ihm gut.
Zehn Jahre ging es ihm nun schon gut und der Veith schätzte öfters, wie viel Xaver schon erspart haben konnte.
Bartl war indessen auch ein Mann geworden, und da sein Vater Zeit finden wollte, seine Luftschlösser um den Xaver auszubauen, bekam er die Wirtschaft viel früher, als es sonst geschehen wäre. Der alte Veith ging ins Ausgeding, der Bartl heiratete und zog als Bauer am Hof auf.
Um diese Zeit kam wieder einmal ein Brief von Xaver. Er schrieb, dass er nun das Meer satt habe und mit seinen Ersparnissen Siedler in Kalifornien geworden sei. Heimkommen werde er erst, wenn er es zum reichen Mann gebracht habe.
Das war einer, der Xaver! Konnte sich eine Farm in Kalifornien kaufen und das war ihm noch zu wenig!
Bartl, der zu dem Beruf eines Matrosen seit jeher wenig Zutrauen hatte, glaubte jetzt, da er den Bruder auf festem Boden wusste, ebenso zuversichtlich wie sein Vater an das Glück des Bruders und den goldklingenden Segen, den der Jugendstreich einmal hereinbringen würde.
Als Xaver einem Brief sogar ein paar Dollarnoten beilegte, verschwand auch für Bartl der letzte Zweifel, dass der Bruder daran war, Millionär zu werden. Die Veithen hätten schon rechte Duckmäuser und notige Sparer sein müssen, wenn sie in so sicherer Erwartung von Überfluss sich nicht schon im Voraus mehr gegönnt hätten, als die anderen Bauern im Dorf. Dem Xaver wäre es sicher gar nicht recht gewesen, wenn sie sich, bevor er heimkam, hätten etwas abgehen lassen. Sie konnten schon ein paar Maß Bier mehr trinken als die anderen Gäste im Dorfwirtshaus, und wenn sie wochentags Zigarren rauchten und Leberkäs aßen, ging das auch niemanden was an. Die Veithen konnten sich's leisten! Der Bartl tat freilich noch etwas mehr. Er gewöhnte sich mit der Zeit das Kartenspielen an und beim Kegelschieben war's ihm am liebsten, wenn es um eine Mark auf den ersten ging.
Der alte Veith wurde vom vielen Bier und Leberkäs immer dicker, und eines Tages streifte ihn ein Schlagel, von dem er nimmer aufstand. Den großen Tag der Heimkehr seines Xaver musste er nun am Friedhof abwarten und die Leute weinten doppelt um ihn, weil er das nimmer erleben durfte.
Auf die Nachricht vom Tode des Vaters kam von Xaver ein Schreiben, der Bartl möge einen Stein auf das Grab legen lassen; er werde ihm das schon wieder gut machen.
So bekam der alte Veith einen riesigen, geschliffenen Grabstein, der das Gewicht für einen Erzbischof hatte.
Das Leichenbegängnis mit zwei Geistlichen, die Blechmusik und der Marmorstein kosteten drei Joch Wald. Dass es gerade so viel war, konnte der Bartl damit beweisen, weil er Holz schlagen lassen musste, um den Pfarrer und den Mesner, den Schullehrer und den Totengräber, die Blechmusik und den Grabstein bezahlen zu können.
Wieder zehn Jahre später – der Bartl hatte nun auch die restlichen vier Joch Wald geschlagen und den Erlös im Wirtshaus gelassen, kam von Xaver ein Brief:
Lieber Bruder!
Nun hab ich ein Leben lang die Welt probiert und will jetzt ausrasten. Das kann man nur in der Heimat. Ich hoffe, du wirst dich freuen, wenn ich nun nach Hause komme. Ich gehe gern fort von hier und lasse nichts zurück. Ich werde in etwa zwei Monaten in Europa eintreffen.
Dein getreuer Bruder Xaver.
Bartl tat einen Luftsprung, so gut es mit den biergichtigen Beinen ging. Erwünschter hatte der Xaver nicht kommen können, als gerade jetzt, wo es zum Abhausen mit dem Veithenhof stand. Vom Wald war nur noch ein Joch wertloses Jungholz da, die besten Wiesen und Felder waren verkauft und der Stall war leer bis auf drei magere Kühe und ein dürres Paar Ochsen. Schulden am
Haus, Schulden beim Wirt und bei den Nachbarn. Schmied und Wagner, Schuster und Schneider schüttelten den Kopf, wenn der Veithen-Bauer mit einer Arbeit kam und auf der Kegelpudel ließen sie ihn nur mitschreiben, wenn er sie vorher sein Geld nachzählen ließ.
Das hatte nun alles ein Ende!
Die Handwerker würden ihn nun schön um Arbeit bitten müssen und dem Wirt wird er mit einer saftigen Grobheit den schlecht eingeschenkten Maßkrug zurückschieben können. »Um eine Mark Kegelschieben«, wird er sagen, »tun Hütbuben! Wir Veithen scheiben das Bot um fünf Mark.« Der Xaver sollte sehen, dass er auf ihren guten Namen was hielt!
Vorerst ging Bartl mit der Nachricht zum Wirt hinunter. »Da – les, du Rammel, du«, sagte er. Nichts lasst er zurück in Amerika, der Xaver – alles bringt er mit!«
Der Wirt überflog den Brief und wendete ein: »Damit, dass er nichts zurück 1äßt, ist noch nicht gesagt, dass er überhaupt was hat zum Mitbringen.«
»A – da schau her«, belferte der Bartl zornig, möchst jetzt den Xaver gleich schlecht machen? Na, du kannst warten, dass ich und der Xaver, wenn er da ist, dein Bier wegsaufen! Mir kriegen ums gute Geld wo anders auch eines!« Da aber durch die jahrelangen Erzählungen der Veithen das ganze Dorf wusste, dass der Xaver drüben ein Farmer war, so schraubte der Wirt gleich seine Bedenken auf Treu und Glauben und stellte dem Bartl neben den Bierkrug eine Portion Leberkäs, wie er ihm so groß schon lange keine abgeschnitten hatte.
Ein paar Stunden später wusste es jedes Kind im Dorf, dass der Veith-Xaver heimkommen werde und wenn er wollte, die Straße mit Markstücken pflastern könnte.
Um dem verlotterten Haus das nötige Aussehen für den Empfang des reichen Bruders zu geben, ließ der Bartl Maurer, Zimmerleut und Tischler kommen, die alles auf den Glanz herrichten mussten. Das Leuttumstübel, wo er den Xaver unterbringen wollte, ließ der Veith ausmalen und städtisch einrichten. Je wohler sich der Bruder daheim fühlen werde, rechnete er, desto tiefer würde er in die Brieftasche langen.
Der Kredit des Bartl stieg auf einmal ins Unermessliche. Es hatte sich in der ganzen Gegend herumgesprochen, dass der Millionär Xaver Veith den Lebensabend in der unvergessenen Heimat verbringen wollte – und da hoffte jedermann, dass irgendwie auch für ihn etwas abfallen werde. Die Pfarrer dachten an fromme Stiftungen, die Lehrer hofften auf die Einrichtung von Schulbüchereien oder zumindest auf Anschaffung von einem Globus. Die Blutsverwandten träumten von gelöschten Hypotheken und die übrigen wenigstens auf tagelanges Freibier. Der Bartl war eine angesehene Person geworden und er musste sehr flink nach dem Hut greifen, wollte er sich nicht vom Lehrer oder gar dem Herrn Pfarrer zuerst grüßen lassen.
So ein Ansehen gibt dem Menschen natürlich auch einen inneren Ruck und der Veith hätte nur gefiedert sein müssen, er hätte Räder geschlagen wie ein Pfau. Es war aber gut, dass ihm keine gewachsen waren, sie wären ihm hin- untergehängt wie einem verregneten Hahn. Als nämlich der Xaver endlich da war, brachte er nicht viel mehr mit als seinen muskelstrotzenden Körper und ein lachendes, frisches Gesicht mit hellen, lustigen Augen. Es war nur gut, dass der Bruder gleich in der ersten Stunde mit der Farbe herausrückte, sonst hätte der Bartl ihn am End noch im Dorf herumgezeigt.
Xaver war eines Abends unverhom in die Stube des Elternhauses getreten, und da war sein Erstes, dass er das vor Jahren dem Vater gestohlene Ochsengeld mit 4 Prozent verzinst auf Heller und Pfennig auf den Tisch legte. Der Bartl vergaß über dieser vermeintlichen Einleitung weiteren Geldaufzählens ganz aufs Begrüßen und stand da wie der Schatzgräber vor den ersten rieselnden Dukaten aus der gefundenen Zaubertruhe. Aber er fand schnell wieder in die nüchterne Wirklichkeit zurück, als der Xaver folgende denkwürdige Worte sprach: »Da wäre also meine Schuld, die ich abzutragen hatte. Jetzt bleibt mir grad so viel, dass ich einfach und bescheiden leben kann.«
»Und – das andere – Geld?« stotterte der Bartl.
»Was für Geld?«
»Von dem – du – geschrieben hast –«
»Ich? – Bartl, mir scheint, du spinnst! Von Geld habe ich nicht einmal was erwähnt. Ja so, du meinst das Geld für den Grabstein. Was hat der gekostet?«
Der Bartl wollte schon sagen: beinah drei Joch Wald, – nannte aber lieber den Betrag.
Xaver wurde ernst. Soviel Geld war auch für amerikanische Begriffe kein Pappenstiel. Aber da er versprochen hatte, für den Grabstein aufzukommen, legte er neben das Ochsengeld auch noch diesen Betrag auf den Tisch.
»Fehlt noch etwas?«
Da fing der Bartl kleinlaut zu berichten an und erzählte dem Bruder eine halbe Nacht lang von seinem guten Glauben, dass er einmal als Millionär heimkommen werde, wie es auch der Vater immer gehofft hatte. Er zählte seine Schulden auf und bekannte, dass der Hof unter den Hammer müsste und ihm nicht viel mehr bleiben würde, als das Gewand am Leibe.
Vor den Fenstern graute schon der Morgen. Da legte der Xaver noch einen Stoß Banknoten zu den anderen auf den Tisch.
»Bartl«, sagte er, »um dich wär mir nicht gewesen, du bist ein Haderlump gewesen – aber es geht um unseren Hof! Zahl jetzt deine Schulden weg und
schau, dass du nicht von Haus und Hof musst. Dass ich hier war, braucht niemand zu wissen. Sie täten dich nur auslachen. Und jetzt – behüt dich Gott.«
»Ja – bleibst denn nicht da?«
»Mit dem Dableiben ist's jetzt aus«, sagte Xaxer. »Ich gehe noch einmal die Welt probieren.«
Die Tür war längst ins Schloss gefallen, da saß der Bartl noch immer beim Tisch und stierte auf die Geldscheine.
Der Veithen-Hof kam nicht unter den Hammer, und der Bartl lernte auf seine alten Tage noch das Hausen. Vom Xaver hieß es, dass er wohl damals auf der Fahrt nach Europa mit einem Schiff zugrundegegangen sein müsste. Die Leute rechneten es dem Bartl hoch an, dass er sich durch diesen Fingerzeig Gottes so gebessert hatte und nun selbst wieder fleißig seinen Mann stellte.