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Die Maikönigin

I.
Die Heimfahrt.

Der Abend gießt den Purpurstrahl
Goldflammig über Berg und Thal,
Blauduftig hebt der Hügel Rand
Sich drüben in des Himmels Brand,
Es werfen Fels und Wälder Schatten
Fern in die abgemähten Matten,
Doch hüben glüht das Feldgebreite,
Es glüht der Hügel Sonnenseite
Mit ihren Zacken, felsgegipfelt,
Mit ihren Rücken, waldbewipfelt:
Die Farben spielen reich entfacht.
Der Sommer ist's der sterbend lacht,

[2]

Bevor der Herbst gewinnt im Streit.
Doch tief im Grunde stolz und breit
Geht wie ein silberfarb'ger Faden
Der Strom auf seinen ew'gen Pfaden.
Hier wird von Schatten er umdunkelt,
Indeß er dort von Lichtern funkelt:
Ihm geben Erd' und Himmel Küsse.
Das ist der Rhein, der Fluß der Flüsse.

In seine Fluten tief hinein
Schaut dort das Städtchen. Glüher Schein
Liegt auf den Fenstern, deren Blinken
Die stillen Wogen spiegelnd trinken,
Indeß die Häuser, Thürme, Zinnen
Im Fluß kein rechtes Bild gewinnen,
Und doch so lockend sehn sie aus:
Der Weinstock webt von Haus zu Haus
Sein bunt Gewind, in's Fenster greifen
Die Reben, dran die Trauben reifen,
Sie grüßen auf der Bank die Rosen;
Man glaubt die Pflanzen wollten kosen,

[3]

Gleichwie die Menschen, die aus Thür
Und Garten treten für und für,
Zu plaudern zu des Tages Ziele,
Gleichwie die Kinder, deren Spiele,
In einem letzten Aufschrei enden.
Fürwahr, es will der Tag sich wenden!
Der Mauerschwalben rasche Züge
Umschwirren, schleunigend die Flüge,
Nachahmend schrillen Rufs den Sturm,
Den epheugrünen alten Thurm.
Ihr Kreisen ist ein Bacchanal
Recht in des Tages letztem Strahl.
Und seltsam friedlich steigt dazwischen
Der Rauch pfeilgrad; von frohen Tischen
Erzählt er und vom Vesperbrod.  
So sieht es aus um's Abendroth.

Stromabwärts führt der Weg durch's Thor.
Zwei Frauen treten draus hervor,
Sie holten Vorrath sich im Städtchen.
Die schweren Körbe trägt das Mädchen,

[3]

Den kleinen hält die straffe Hand,
Den großen wiegt sie mit Verstand
Und mit Geschick auf sicherm Haupt.
Ihr Gang ist schlank und frisch. Man glaubt
Kaum an die ungefüge Last,
Die sie mit fester Kraft gefaßt.
So schreitet Agnes vor der Alten,
Der Mutter, die kaum Schritt gehalten.
Frau Gertrud ist seit langen Jahren
Auch durch das Leben schon gefahren,
Und Lust nicht minder wie Beschwerde
Trug sie auf Gottes schöner Erde.

Zur Schenke lenken sie die Schritte,
Die aus der Linden grüner Mitte
Den Giebel hebt. Sie liegt am Weg,
Stets ist dort lustig Leben reg.
Dort sitzt der Ferge, der sich letzt,
Wenn oft er über'n Fluß gesetzt,
Dort weilt der Schiffer, welcher ruht,
Bringt stromwärts er das Kaufmannsgut,

[5]

Der Fuhrmann hält hier mit den Wagen,
Die weit in's Land die Frachten tragen.
Es ist ein vielbeliebter Ort,
Dem gern man zuspricht immerfort,
Denn würzig sind hier Trank und Speise,
Und munter ist des Wirthes Weise,
Drum fehlt es in dem alten Schank
Niemals an Lust und Witz und Schwank.
So tönt auch heut das Gläserklingen
Zu bunter Lieder tollem Singen,
Indeß im Thale auf und nieder
Hinwehn die Abendglockenlieder.

Die Frauen nahen Haus und Linden
Um Sohn und Bruder dort zu finden;
Nachmittags fuhren sie schon an,
Und bis sie ihr Geschäft gethan
Und auf dem Markt und in dem Laden
Des Hauses Vorrath aufgeladen,
Soll sie erwarten hier der Sohn.
Sie sehn von fern den Wagen schon,

[6]

Er hält noch auf demselben Stand,
Den er bei seiner Ankunft fand;
Doch ungeduldig auf der Erde
Tönt das Gescharr der schwarzen Pferde.
Agnes macht gleich die Fracht zurecht,
Es hilft dabei der Schenkenknecht.  
Wo bleibt nur Franz?   Und aus dem Thor
Tritt rasch der muntre Wirth hervor.  
Wo bleibt nur Franz?   So fragt die Frau.
Der Possenreißer lächelt schlau
Und ruft: Ich hole euch den Jungen!
Und rasch ist er hineingesprungen.

Und Franz erscheint. O Gott, es wankt
Sein Schritt im Gehn, sein Körper schwankt,
Wirr ist sein Haar, sein Antlitz loht,
Und seine Augen stieren roth.  
Schon wieder! spricht die Maid zur Alten,
Nie weiß er sich im Zaum zu halten!

[7]

Ach, daß er immer sich betrinkt!  
Die alte Mutter seufzt und winkt
Den Sohn bei Seite: Hört denn nie
Dein Leichtsinn auf? so zürnet sie.
Gewinnest du denn nimmer Kraft,
Zu trotzen dieser Leidenschaft?
Wie kannst du uns im Trunke fahren?
Vor Unheil mög' uns Gott bewahren!
Du wirst noch in den Tod uns rennen!
O, wie dir Stirn und Wangen brennen!  
Franz aber schlägt ein Lachen auf:
Laßt nur der Jugend ihren Lauf!
Ich will auch meine Freude haben!
Es ziemet einem muntern Knaben,
Daß gründlich er in's Gläschen sieht.
Drum singt nicht stets das alte Lied!
Man heulet mit, so wie ihr wißt,
Sobald man unter Wölfen ist!
Und nun zum Wagen, ich bin fertig!
Frischauf, seyd schneller Fahrt gewärtig!  
Er schreit die Worte, flucht und lallt,
Indeß er mit der Peitsche knallt,

[8]

Die ihm der Schenkenknecht gereicht,
Und stille Scheu die Fraun beschleicht.
Daß man Gezänk und Lärm vermeide,
Besteigen sie den Wagen beide,
Ob auch mit Zittern und mit Beben
Sie sich dem Lenker übergeben.
Dem Trunknen hilft der Knecht zum Sitz
Vorn auf der Bank. Mit schnödem Witz
Tritt mancher Gast schon aus der Stuben
Und reizt noch mehr den flotten Buben.
Derweil die Fraun beschämt sich wenden,
Ertönt das Necken aller Enden.
Laß sehn, wie du die Zügel führst?  
Laß sehn, wie du die Peitsche rührst?
Kennst du das Fahren wie das Trinken,
So wirst du bald heruntersinken!  
Du hältst die Rappen wohl für Schimmel!  
Du scheidest nicht mehr Erd' und Himmel!  
So spotten sie. Ein Alter nur
Gemahnt den Schwarm: Still Kreatur!
Wie mögt ihr doch so gottlos sprechen!
Vom Zechen geht's zum Halszerbrechen!

[9]

Indessen rollt der Wagen fort,
Die Peitsche treibt   manch rauhes Wort
Enttönt des Führers heisrer Kehle.
Wohl sprechen innig ihm zur Seele
Die Mutter und Agnes. Allein
Was hilft's! Der Spötter tobend Schrein
Klingt ihm noch höhnend in die Ohren:
Im Rausch ging die Vernunft verloren.
Er knallt und flucht. Es ist ein Glück:
Der Weg ist gut. Ein gutes Stück
Sind sie zur Heimath schon geflogen,
Jedoch zu rasch. Gespenstisch zogen
Feld, Berg und Baum im Sturm vorüber,
Und in die Nacht, die trüb und trüber
Das Erdreich deckt, sprühn Funken licht
Vom Pferdehuf. Franz schonet nicht.
Es ist ein Glück: treu sind die Thiere,
Auch gingen oft sie im Reviere
Denselben Weg. Und drum vertrauen
Den Rossen mehr wie Franz die Frauen.

[10]

Jetzt aber nahn sie einem Flecke,
Der graunvoll ist. Die Felsenecke
Senkt thurmhoch steil sich in den Rhein.
So düster schaut der schroffe Stein
In's stille Dunkel! Und die Straße
Ist dort am Berg mit engem Maße
In starrenden Basalt gehauen;
Indeß sich oben Säulen bauen,
Braust untenhin des Stromes Flut.
Sie zischt und wirbelt; ihre Brut
Ist weißer Schaum. Der Schiffer nennt
Dort bodenlos das Element.
Wohl dräun Gefahren! Ein Geländer
Von Holz nur schützt des Weges Ränder.
Und wie sie rasch dem Felsen nahn,
Da ruft den Sohn die Mutter an:
Hab Acht, mein Franz! die böse Stelle
Bringt jetzt der Pfad. Treib nicht so schnelle!
Die Peitsche spar! In fester Hand
Faß an die Zügel. Mit Verstand
Reicht man am besten drüben aus.
Auch kommen zeitig wir nach Haus.

[11]

Drum stürme nicht. Fest greif und halte!  
Beruhigend spricht so die Alte,
Doch wirkt ihr Wort das Gegentheil.
Franz schreit und peitscht zu neuer Eil,
Aufschnaubend greifen aus die Rosse,
Dem Pfeile gleich, den vom Geschosse
Die starkgeflochtne Sehne schnellt.
Zugleich erscheint am Mast erhellt
Dort um den Fels mit einemmal
Ein Dampfer, der in hellem Strahl
Die Funken aus dem Schlote speit
Und dicke schwarze Wolken weit
Aufthürmet in die nächtige Luft,
Und die Maschine dampft und pufft,
Die Räder gehn im Takte sausend,
Die Wellen wehn zum Ufer brausend.
Ein Nachtgespenst fliegt riesenhaft
Stromaufwärts der Koloß in Kraft  
Da ist's geschehn!   In wilder Flucht
Reißt das Gespann des Wagens Wucht,
Am Stein die Funken sprühen wilder,
Ein wüster Traum ziehn hin die Bilder

[12]

Am Rand des Wegs.   Es klirrt von Hufen!  
Ein Rasseln!   Angstvoll Weiber rufen.

Es ist geschehn! Links gähnt der Schlund
Des feuchten Tods.   Alles geht rund
Vor der entsetzten Frauen Blicken.
Sie müssen sich in's Ende schicken
Mit stierem Aug' und bleicher Lippe,
So sitzen sie. Nun geht's zur Klippe,
Wo schroff der Pfad die Wendung nimmt  
Ein Stoßgebet noch angestimmt!  
In solchem Laufe kann der Wagen
Dort nicht vorbei, er muß zerschlagen
Die Brüstung, und mit Mann und Rossen
Ist in die Tiefen er geschossen  
Man wird sie lebend nimmer sehn  
Es ist geschehn! Es ist geschehn!  

Das ist das schreckhaft grause Bild,
Das seine Marter folternd wild

[13]

Den Frauen in die Seelen schnellt.
Drum hat der Angstschrei laut gegellt:
Es ist geschehn!   Ein donnernd Halt!
Tönt da   Mit mächtiger Gestalt
Springt frisch hinzu ein kühner Mann
Und hemmt das flüchtige Gespann.
Straff faßt er in die losen Zügel;
Die Pferde, denen eben Flügel
Gewachsen schienen, stehen fest  
Gott, der die Frommen nicht verläßt,
Schickt seinen Helfer   Thränen fließen,
Und Dankgebete sich ergießen  
Voll Rührung klinget jeder Ton  
Und nüchtern wird der trunkne Sohn.  

Die Frauen beten zu dem Herrn
Vom Himmelreich. Bescheiden fern
Verharrt der Fremde. Freundlich spricht
Er zu den Rappen von der Pflicht
Der Ruhe. Die verhitzten Köpfe
Klopft er, er streicht der Mähnen Zöpfe,

[14]

Und freundlich thun die Thiere auch,
Da sie des rauhen Führers Brauch
Nicht länger in den Weichen spüren.
Sie lassen still und fromm sich führen
Von jener schaurig wüsten Stelle,
Wo unten braust die tückische Welle.
Er nestelt an dem Riemenwerke,
Versucht der Zügel Halt und Stärke,
Prüft weislich Deichsel, Rad und Achse,
Daß nicht auf's Neu Gefahr erwachse  
So will er gehn.   Nun gute Nacht
Und gute Reise und habt Acht!
Ertönt sein Wort im Weiterziehn.  
Da rufen erst die Frauen ihn,
Erst jetzt ist ihr Gebet beendet,
Und zu dem kühnen Retter wendet
Ihr Dank sich helle, warm und laut,
Daß kaum er seinen Sinnen traut.
Was er gethan   so meint er nun  
Daß müßt' er jedem Menschen thun.
Doch fügen sie zum Dank die Bitte:
Er möge in der Rettung Mitte

[15]

Sie nicht auf's Neue dem Geschicke
Preisgeben.   Gleich mit scharfem Blicke
Enträthselt er des Führers Wesen,
Und da die Frauen ihn erlesen,
Greift Peitsch' und Zügel seine Hand;
Ein Sprung   und auf dem Wagen stand
Die straffe mächtige Gestalt  
Die Rosse ziehn   er lenkt so kalt,
So sicher, fest   Franz schnarchet träge
Im Stroh   und Agnes zeigt die Wege.

Und weiter öffnet sich das Thal.
Der Mond mit seinem milden Strahl
Steigt auf am Berg. Auf Au und Fluß
Streut träumerisch er seinen Kuß,
Und selig stille wird die Fahrt.
Was sich an Schrecken offenbart
Löst süßer Frieden. Zwischen Wäldern
Obstgärten, Hecken, Wiesen, Feldern
Geht es dem heimischen Dorfe zu.
Auf allen Häusern liegt die Ruh,

[16]

Nur hier und dort brennt noch ein Licht:
So heimlich ist's, und Keiner spricht.
Dort ist's   wo jene Bäume schwellen,
Dort steht das Haus   die Hunde bellen  
Franz hat die Augen aufgeschlagen  
Am Herrenhofe hält der Wagen.

* * *

[17]

II.
Der Herrenbauer.

Der Herrenbauer hat's gehört,
Sein Herz ist von der Mär empört,
Die gestern er vom Weib vernahm,
Heut wandert er voll tiefem Gram
Durch Haus und Garten, Hof und Scheuer  
Ihm ist sein Fleisch und Blut so theuer,  
Agnes und Franz sind seine Sprossen
Die einzigen   in's Herz geschlossen
Hat er sie tief. Nun kam's beinah,
Daß er die Lieben nimmer sah,
Daß mit der Mutter weit verschlagen
Der Rhein als Leichen sie getragen,

[18]

Ach, mit dem Weib, das fromm und treulich
Sein Leben theilt!   Furchtbar, abscheulich!
Er bebt, als trügen sie die Fluten!
Er fühlt des Herzens Wunden bluten.

Doch theilt sich mit dem Gram die Scham,
Die trostlos herb ihn überkam,
Daß, ach, der einz'ge Sohn mißrathen.
Er selber säte böse Saaten:
Das ist's, was er im Herzen fühlt,
Was wie ein grimmer Wurm dort wühlt.
Seit ihm der Bub geboren ward,
Hat er in allzuweicher Art
Ihn stets gepflegt. Die Vaterlust
Erfüllte stets so reich die Brust,
Daß er der Unart nicht geachtet.
Nur zärtlich ward der Sohn betrachtet,
Schwoll ihm der Jähzorn. Ungehütet
Hat Lüge ihm den Geist durchbrütet,
Vom Lehrer hat er nichts gelernt,
Weil er sich heimlich stets entfernt

[19]

Von Kirch' und Schul', um im Bereiche
Des Dorfs zu treiben tolle Streiche.
Und all die wilden Werke fügt
Er ungestraft und ungerügt.
So wuchs in ihm die Leidenschaft
Des Müssiggangs. Des Willens Kraft
Versiechte früh im wüsten Treiben.
Nur in der Schenke läßt's ihn bleiben,
Beim Würfelspiel, beim Saufgelage
Und Zotenliede macht zum Tage
Er meist die Nacht. Trifft er Genossen,
Dann ist zum Schwärmen er entschlossen.
Was sonst den Landmann schmückt, den Fleiß,
Den kennt er nicht; ihm rinnt kein Schweiß,
Ihm härten Schwielen nicht die Hand.
Der Arbeit segnend Glück empfand
Er nie in süßer Müdigkeit.
Wüst ist sein Thun, leer seine Zeit.
Wohl treibt ihn später oft der Vater
In Mild' und Strenge als Berather,
Doch, ach zu spät! Des Sohns Gemüth
Ist schon verödet. Wenn es glüht,

[20]

Dann kann man nur das Eisen schmieden!
Und diese Zeit ist längst geschieden.  
Gewohnt, gethan!   Dem Trunk ergeben,
Führt er ein schwärmend tobend Leben,
Und das ist nun des Alten Last,
Daß er so schlecht sein Werk gefaßt,
Daß er aus falscher Elternliebe
Aufschießen ließ die gift'gen Triebe.

Der Herrenbauer ist sonst ein Mann,
Der seinen Geist beherrschen kann.
Das sieht man an dem hohen Bau
Des hagern Körpers. Starret grau
Das strupp'ge Haar auch auf dem Schopfe,
Man sieht am hochgetragnen Kopfe,
Am schlanken Rücken, daß die Kraft
Ihm blühet voll und unerschlafft.
Die Stirne ragt so groß und kalt,
So sicher übt der Blick Gewalt

[21]

Wie Falkenaugen. Enggeschlossen,
Als wären sie von Erz gegossen,
Sind ihm die schmalgeformten Lippen,
Und fest sind sie, als wären's Klippen,
Draus nie ein unbedachter Laut
Entfliehen kann. Bei Gott, es schaut
Wie Stein sein Bild, wenn unbewegt
Er dasteht. Doch wenn er sich regt,
Ist straff und sicher Tritt und Gang,
Gleichwie des Manns, der nimmer bang,
Der graden Wegs zum Ziele schreitet
Und, was ihn hindert, kühn bestreitet.
Er sieht nicht aus, als könnt' er schwanken,
Als brächt' er weichlich den Gedanken
Zum Opfer jemals dem Gefühl.
Ja, dieser Mann so klar und kühl,
Ging einmal nur auf schwachen Wegen,
Und doch war alles dran gelegen:
Ach, bei der Führung seines Jungen
Ist ihm allein sein Werk mißlungen,
Da hat das Herz besiegt den Willen!  
Wie soll er das Gewissen stillen!  

[22]

Der Herrenbauer ist sonst ein Mann
Von ächtem Schrot und Korn. Wer kann
Von ihm hinweg die Blicke wenden,
Wer möchte nicht ein Lob ihm spenden,
Wenn er sein Erbgut stolz durchschreitet,
Das er durch Fleiß rastlos erweitet!
Wie herrlich er zur Hausthür tritt!
Wie stellt er sich mit prallem Schritt
Dort auf die Treppe, die voll Pracht
Die breite Linde überdacht!
Wie kurz herrscht er den Knechten zu
Wie wandelt er in ernster Ruh
Zu Scheunen hier und dort zu Ställen,
Die rings sich dem Besitz gesellen!
Hier prüft er die gedroschne Frucht
Und überzählt der Garben Wucht,
Dort nach den breitgestirnten Stieren,
Den augengroßen braunen Thieren,
Sieht scharf sein Blick, und Pferd und Fohlen,
Die streichelt er. Wie macht er Sohlen
Den lässigen Mägden, faulen Knechten!
Es ist ein scharfes kurzes Rechten,

[23]

Das jedem Uebel Hülfe bringt.
Und dann wie stark und rüstig schwingt
Er seine Hacke auf den Rücken!
So mustert er an Beet und Stücken
Des Gartens rings. Die jungen Bäume
Nimmt er auf's Korn. Durch Heckensäume
Stapft er in's Feld. Der Aecker Stand
Wird dort erforscht. Ringsum sein Land,
Weinberge, Wiesen, Busch und Hecken
Durchwandelt er, um zu entdecken,
Ob hier und dort ein Mangel droht.
Wie merkt er's spitz, thut Hülfe Noth!
Und wo er nicht die Regel fand,
Da legt er an die letzte Hand.

Jetzt ist es anders. Trübe ruht
Auf Stirn und Aug' der böse Muth.
Wohl ist's der altgewohnte Pfad,
Den er noch jeden Tag betrat,
Doch zieht er acht- und theilnahmlos:
Es wuchs sein Kummer heut so groß,

[24]

Daß er der Wirthschaft nicht gedenkt;
Den Blick kaum zum Gesinde lenkt,
Nicht achtet auf die muth'gen Füllen
Und Rinder, die mit freud'gem Brüllen
Ihn laut begrüßen. In Gedanken
Sieht man durch Wies und Au ihn schwanken  
Das erstemal!   Es kennt ihn kaum
Der Nachbar dort am Gartensaum,
Wie er so traumverloren schlendert!  
Sein ganzes Wesen ist geändert.

Das thut die Sorge! Fern vom Haus
Und Dorfe treibt sie ihn hinaus.  
Franz muß mit ihm.   Sie kehren nicht
Zu Mittag heim. Von seiner Pflicht
Will er dem Sohn noch einmal reden
Ergreifend, tief. Des Hauses Fehden
Gehören nicht vor's Ingesinde.
Und drum mit dem mißrathnen Kinde
Zieht er in's Waldgebirg, um dort
An einem einsam großen Ort

[25]

Das argverhärtete Gewissen
Zu rühren.   Ach, wer mag es wissen,
Was der besorgte Vater sprach?
Ob er des Herzens Eis zerbrach?  
In einer Schenke tief im Wald
Da ruhten sie   das Ave schallt,
Als sie den Heimweg Abends nehmen.
Es dunkelt noch ein herbes Grämen
Starr auf des Alten Angesicht  
Blieb Franz verstockt?   Sie reden nicht
Doch wenn die Leute ringsum fragen:
Was hielt euch Mittags fern? so sagen
Sie von Geschäften in der Stadt.
Vom Wege sind sie müd und matt.

Das thut die Sorge!   Munter frisch
Kommt sonst der Bauer zum Vespertisch,
Denn Abends hört er auf zu rechten,
Schwatzt mit den Mägden und den Knechten.
Er scherzt und neckt. Auf anderm Weg
Geht heut sein Geist. Kein Spaß ist reg.

[26]

Er knurrt und murrt. Bei solchem Winde
Bleibt still und stumm das Ingesinde.
Wortkarg ist er sogar dem Gast,
Den er geladen hat zur Rast,
Solang er will, obschon sein Herz
Voll Dankes schlägt. In Lust und Schmerz
Fühlt er dem Fremden sich verkettet,
Der ihm sein Liebstes hat gerettet.

* * *

[27]

III.
Reiner.

Hochhell sollst du gepriesen seyn,
O Gastfreundschaft! Du Sonnenschein
Auf froh' und ernstem Wanderpfade!
Du kommst dem Waller wie die Gnade
So unerwartet, reich und frisch!
Nicht brauchst du einen vollen Tisch,
Nicht feurigen Wein und üppig Mahl,
Du brauchst im milden Augenstrahl
Nur freundlich Blicken und im Munde
Nur Worte, welche holde Kunde
Von wohlgesinnten Herzen geben!
O nein, du brauchst kein schwellend Leben,

[28]

Nur Thür und Topf und Seele offen!
Und so wirst du am Rhein getroffen
Schlicht, bieder, treu. Im Bürgerhaus,
In Hof und Hütten ein und aus
Gehst prunklos du im Alltagskleid
Und gibst dem Fremden allezeit
Glück, Segen, Lust. Ein trübes Herz
Das machst du licht und hebst den Scherz
Zu lautem Lachen.   Also fand
Dich an des grünen Stromes Strand
Der Fremde, der beim Herrenbauer
Jetzt rastet von der Reise Dauer.

Wer ist der Mann?   Es kennt ihn Keiner,
Sie wissen nur, er heißet: Reiner.
Hochkräftig ist er aufgewachsen,
Sein Haar lichtblond gleich wie von Flachsen
Hüllt ein das Haupt in vollen Locken,
Des krausen Bartes leichte Flocken
Umfassen rings des Kinnes Rund,
Das frische Antlitz glänzt gesund,

[29]

Die Nase raget grad gezogen
Und unter hoher Brauen Bogen
Sehn helle blaue Augen nieder
Und grüßen freundlich, treu und bieder;
Der ganze Ausdruck ist voll Güte
Und deutet auf ein fromm Gemüthe.
Und dennoch sieht so kühn entschlossen
Der Mann darein. Frisch unverdrossen
Bewegt er jedes Glied. Sein Gang
Verräth der Seele tapfern Drang.

Und einstens nach dem Abendmahl
Sitzt das Gesind im letzten Strahl
Der Sonne auf des Hauses Treppe.
Weit werfen ihre Schattenschleppe
Die Berge schon. Im Lindenbaum,
Der oben ragt, da plaudern kaum
Die Spatzen noch. Die Hühner all
Und Enten suchten schon den Stall,
Und seltner schallt der Rinder Brüllen
Und das Gestampf von Pferd und Füllen.

[30]

Nur vor dem Haus geht's lebhaft zu,
Es hat der Mensch noch keine Ruh.
Dort stopft der stramme Meisterknecht
Die kleine Pfeife sich zurecht,
Der Pferdsknecht sieht die Riemen nach,
Die er am Zeuge heut zerbrach,
Und eine Peitsche flicht der Enk,
Des nächsten Tages eingedenk.
Die knappen Mägde kommen auch
Mit Besen, Kübel, Topf und Schlauch.
Die Eine putzet rüstig frisch,
Die Andre lies't für Küch' und Tisch
Kraut und Gemüse, das voll Pracht
In aufgethürmten Haufen lacht,
Die Dritte macht dem Vieh das Futter.
Agnes und die betagte Mutter
Bewachen sie. Da tritt zur Runde
Der greise Schäfer mit dem Hunde.
Der alte Gerhard ist's. Die Schwelle
Wählt er zu seiner Ruhestelle.
Der ernste Herrenbauer steht
Dort in der Thür voll Majestät,

[31]

Die Hände kreuzend auf dem Rücken,
Hinschauend scharf nach allen Stücken.

Es ist ein lebenskräftig Bild,
Das sich entrollt. In Fülle quillt
Die Rede; helles Lachen hallt,
Wenn hier und dort ein Scherz erschallt,
Es klingt der Lärm von den Geschirren.
Doch wie sie bunt und frisch sich wirren,
Ruft einer laut den Fremden auf:
Nun gebt uns euern Lebenslauf!  
Warum denn nicht?   meint Reiner schnell,  
Doch hat ein wandernder Gesell
Wie ich nicht wunderbare Kunde.  
Da ward es ruhig in der Runde.
Die Mägde schweigen, zu den Pfeifen
Sieht man die schmucken Knechte greifen.

Und Reiner spricht: Zieht ihr den Rhein
Hinab weit in's Gebreit hinein,

[32]

Wo keine Berge mehr sich heben,
Das Land sich strecket flach und eben,
Da bietet rechts vom grünen Fluß
Mein Heimathland euch treu den Gruß.
Nicht gibt es wie der rheinische Gau
Im bunten Wechsel reiche Schau.
Nur selten heben Thurm und Thor
Uralte Städte dort empor,
Sie spiegeln keine stolzen Dome
Ehrwürdig grau im alten Strome,
Ja, selten selbst ist Dorf und Flecken
Entlang die weitgeplanten Strecken.
Einsam auf stillgehegtem Gut
Wohnt dort der Bauersmann. Das thut,
Weil einzig er den Boden pflegt,
Der Korn und Holzung wohl ihm trägt,
Und Roß und Rinder reichlich nährt,
Doch nicht ihm Wein und Frucht gewährt,
Wie sie an diesen Hügeln reifen.
Man sieht ihn nicht das Land durchstreifen,
Zu markten regsam frisch beim Handel:
Eintönig ist der Heimath Wandel.  

[33]

Doch ob es formenlos sich spannt,
Es hegt in lieber Treu das Land,
Wer dort entsproß. Die gelben Auen,
Von Früchten wogend, sind zu schauen
Gleichwie ein weites goldnes Meer.
Es dehnen Wiesen sich daher
Rings eingezäumt zur sichern Weide
Gleichwie ein grün Smaragdgeschmeide.
Die Eichenwälder heben prächtig
Die breiten Kronen; stolz und mächtig
Durchbrauset sie des Sturms Choral.
Selbst in den Heiden öd und kahl
Da pocht ein Herz; verschwiegen stumm
Gehn drin geschiedne Geister um.
Und wie das Land, so sind die Leute.
Wie's gestern war, so ist es heute
In ihren Herzen; offen grad
Schnurstracks so wandeln sie den Pfad,
Stark, fest in dem, was sie erfaßt,
Doch ruhig immer, nie in Hast,
Dann aber zäh und unverdrossen.
Der Mensch ist dort so abgeschlossen

[34]

Fast wie sein Haus, das seine Gipfel
Einsam ausstrecket in die Wipfel
Des Hains und aus den Fenstern weit
Hinsieht auf Wies und Feldgebreit.
Eintönig ist's! Doch traumverloren
Denkt an das Land, wer dort geboren:
Ihm zuckt voll Rührung die Geberde
Nach Land und Volk der rothen Erde.

Ein Meierhof in jener Au  
Die Höfe gleichen sich genau
Einer dem andern   ist die Stelle,
Wo ich mich an des Lebens Schwelle
Zuerst gefühlt. Das alte Haus
Sieht in die Winde weit hinaus.
Aus Holzwerk ist es aufgebaut
Stolz, stattlich, groß, und zahllos schaut
An breiten Wänden Fach an Fach.
In rothen Ziegeln steht das Dach.

[35]

Des Giebels Mitte zeigt ein Thor,
Hoch ragt es in den Bau empor,
Als Schuppen und als Tenne streckt
Es tief in's Haus sich, drüber steckt
So Heu wie Korn. Zu jeder Seite
Da liegen längs der ganzen Weite
Die Ställe mit dem reichen Vieh.
Im hintern Haus da wohnen sie,
Die einst mich zeugten, Küch' und Stuben
Vereinen Eltern, Töchter, Buben
Und Magd und Knecht; denn Mensch und Thier
Sie schützt dieselbe Wohnung hier.
Und um das Haus da dehnen sich
Baumhof und Gärten säuberlich,
Das Rindvieh weidet weiter fort
Mit Gans und Huhn im Kampe dort.
Dort braust's von jung' und alten Rossen,
Die das Gehege hält umschlossen.
Und weiter sieht man Wies' und Felder,
Darüber Heiden auch und Wälder,
Und endlich ferne blaue Hügel,
Die Grenzen für der Sehnsucht Flügel.

[36]

Ich lebte dort in jungen Tagen
Voll stillem freundlichem Behagen.
Es leitete mir Herz und Hand
Das beste Elternpaar. Der Stand,
Dem sie gehörten, ward der meine.
Den Landbau trieb ich im Vereine
Mit Allen, die belebt das Gut.
Dem Knaben gab man schon die Hut
Der Gäns' und Schweine, Küh' und Pferde.
Rangmäßig stieg von Herd' zu Herde
Ich allgemach; dann hinterm Pfluge
Folgt' ich der Rosse munterm Zuge.
Die Sense ließ durch Gras und Saaten
Ich sausend gehn. Mit Hack' und Spaten
Schuf ich im Garten. Auch die Zucht
Der Bäume lernt' ich. Aus der Wucht
Der Garben drosch ich Korn und Samen,
Drob sie zum weiten Speicher kamen.
Ich regelte die blanken Ställe.
Als zwanzigjähriger Geselle
Wußt' ich den Bau des Lands so gut,
Wie's sonst ein alter Bauer thut.  

[37]

Mein Vater ist ein reicher Mann,
Der viel geerbt und mehr gewann,
Denn keiner in der Landschaft Kreise
Trieb seine Wirthschaft klug und weise
Wie er; kein andrer Nachbar war
Gleich ihm thatkräftig, fest und klar.
So wuchs ihm das Besitzthum jährlich.
Auch ging es nimmer karg und spärlich
Im Hause zu. Voll Ueberfluß
Bot Küch' und Keller den Genuß.
Hell lachte dort die Gegenwart.
Doch war die Zukunft anderer Art.
Denn mehret sich auch Gut und Land,
Das weiter stets den Hof umspannt,
Der Reichthum all wird nie getheilt.
Wenn dort den Bauer der Tod ereilt,
Dann tritt der älteste Sohn in's Erbe.
Die andern Kinder trifft das herbe
Und kalte Loos, im Dienst zu stehen
Des Bruders, oder fortzugehen
In alle Welt und in den Fernen
Zu folgen gut' und bösen Sternen.  

[38]

Der Bauer macht's dort wie der Adel.  
Ist's Recht, ist's Unrecht? Keinen Tadel
Will ich der alten Sitte sprechen.
Und wollt' ich's, nimmer kann ich brechen,
Was aus Urväter-Zeiten kommt,
Ob es auch schlimm der Nachwelt frommt.
Genug, ich bin ein jüngrer Sohn,
Jedoch zu stolz, um dort im Frohn
Des ältern Bruders mich zu plagen.
Mich trieb's, der Heimath zu entsagen.
Ich suche nun auf eignen Wegen
Aus eigner Kraft mir neuen Segen.

Ich thu, was mancher Andre that,
Der wohl auf fernen Wanderpfad
Die Freiheit suchte und gewann.
Mein eigner Ohm war solch ein Mann.
Mir ward's erzählt: von Hof und Haus
Zog weit er in die Welt hinaus,

[39]

Als noch des Vaters Vater lebte.
Warum er ging, darüber schwebte
Stets ein Geheimniß, denn er war
Der älteste aus der Kinderschaar.
Ihm fiel der Hof als Erbe zu,
Blieb er zu Haus in guter Ruh.
Doch da er vorzog, sich zu trollen
Und fern in Zeit und Welt verschollen,
So kam das Gut mit Hof und Feld
An meinen Vater. Treu bestellt
Hat er die Aecker, Wälder, Wiesen.
Sie werden doppelt jetzt gepriesen
Rings in der Gegend. Aber kehrt
Jemals mein Ohm, dann unversehrt
Muß er heimgeben Haus und Land,
So wie es kam in seine Hand.
Gleichviel, ob jemals dieß geschieht,
Ich erb' es nie, und darum zieht
Des Alten Beispiel ernst mich nach.
Ich will mir suchen Dach und Fach
Aus eigner Kraft, aus eignem Muth.
Ich fühl's, glückauf, es geht mir gut!  

[40]

So endet Reiner den Bericht.
Noch herrscht die Ruh, die Keiner bricht.
Dann ruft der Schäfer weich im Ton:
Du bist des Hagemeiers Sohn!
Es liegt der Hof im Münsterland!  
Und herzlich reicht er ihm die Hand,
Indeß der große Schäferhund
Vergnügt aufspringt zu Reiners Mund,
Als wollt' er bei des Alten Grüßen
Den jungen Mann zum Willkomm küssen  
Doch Reiner spricht: Beim Element
Sagt, wie ihr meinen Namen kennt?  
Ich diente, ruft Gerhard, mein Sohn,
Bei deines Vaters Vater schon.
Gehütet hab' ich ihm die Herde.
Dich trug noch nicht die rothe Erde,
Als ich dort saß. Lang floß der Strom
Der Jahre hin. An deinem Ohm
Errieth ich Namen, Herkunft, Ort.
Als er entfloh, da trieb ich dort.
So magst du dir das Räthsel lösen,
Es kommt mir sicher nicht vom Bösen.

[41]

Wir stammen aus demselben Land,
Drum drück' ich freundlich dir die Hand.

Der Herrenbauer sah in Ruh
Dem Vorgang aus der Thüre zu,
Und als die beiden nun geendet,
Spricht er zu Reiner hingewendet:
Du suchest Dienst und wandelst drum
Ziellos im weiten Gau herum.
Daß ich getrost dir trauen kann,
Deß dient als Bürge dieser Mann,
Der zwanzig Jahr mein Schäfer ist
Und durch die ganze lange Frist.
So treu wie pures Gold mir galt.
Es häuft sich viele Arbeit bald,
Und einen Dienstmann hab' ich nöthig,
Bist du zu helfen mir erbötig?  
Doch Reiner spricht: Mir ist es recht!
Und ward des Herrenbauers Knecht.

* * *

[42]

IV.
Das Weinbergrecht.

Weinlesezeit!   O Zeit voll Segen,
Wenn ihre Fülle allerwegen
Die freundliche Natur gestreut!
Nicht immer kommst du so! Doch heut
Ziehst du mit prächtigem Glanz herein,
Denn heuer giebt es guten Wein.
Süß reifen rings die üpp'gen Trauben,
Die in der Rebengärten Lauben
In duftend saft'gen Beeren hangen
Und nach der Ernte nun verlangen.  

[43]

Schön wird das Fest in diesem Jahr!
Wie lacht der Himmel leuchtend klar
Von Rand zu Rand! Der Sonnenstrahl
Malt scharfbeleuchtend Berg und Thal.
So hell umgrenzt sind Höhn und Gründe:
Man sieht die Welt so licht, als stünde
Man dicht vor jedem Gegenstand.
Und satte Farben sind gespannt
Auf Wald und Au, auf Heid' und Wiese.
Nicht wie im jungen Paradiese
Des Frühlings ist es duftig licht;
In roth' und braunen Farben bricht
Sich das Gebreit. Dem Knaben gleicht
Der süße Lenz; im Herbst erreicht
Die Erd' erst ihre Männlichkeit.
Ernsthaft und heiter weit und breit
Liegt sie in voller sonn'ger Reife.
Es ist, die letzte Fülle streife
Darüber hin. Den Rest der Tage
Des Daseins feiert sie ohne Klage;
Bewußt des Sterbens, aber heiter
Häuft sie zum nahen Tod die Scheiter

[44]

Bevor sie sinkend muß vollenden,
Streut sie mit voller Hand die Spenden.

Den Dörfern, weit die Thale lang,
Entklingt der Glocken heller Klang:
Das ist der Traubenlese Zeichen,
Und aus zerstreuten Wohnbereichen
Zieht es hinaus auf bunten Pfaden,
Die Wagen kommen hochbeladen
Mit Tonnen an, es klingt die Erde
Vom festen Huf der schlanken Pferde,
Vom breiten Gang der braunen Stiere,
Im Joche ziehen all die Thiere.
Die Menschen, die sich rings gesellen,
Zerstieben bald in kleinen Wellen
Und breiten sich im Weinberg aus.
Es ist ein lust'ger Augenschmaus,
Zu sehn das emsige Gewirre
Mit Korb und Kübel und Geschirre
Im Thale tief, hoch an den Hängen,
Wo Büsche sich dem Weinberg mengen.

[45]

Streng haben in des Wächters Hut
Die Hügel lange Zeit geruht:
Am Berg, der keinen Menschen trug,
Hat sich der Vögel ferner Zug
Allein gesenket, um im raschen
Vorüberflug die Frucht zu naschen;
Jetzt aber schmücket ihn die Menge
In fröhlich schwirrendem Gedränge.
Dort sieht man bunte Tücher wallen,
Dort hört man laute Worte schallen,
Dort schwingen Lieder sich zur Weite.  
So klingt des Herbstes letzt Geleite.

Der Herrenbauer mit Gesind
Liest dort, wo sich der Hügel lind
Vom tiefen Rhein ansteigend hebt
Und gegen Süden wogend strebt
Mit warmer Brust. Ringsum die Mark
Hegt keinen Wein so feurig stark,
Wie diese sonnenfrohe Stelle,
Die stets sich in des Strahles Helle

[46]

Vom Morgen bis zum Abend streckt.
Wie geht die Arbeit aufgeweckt!
Am Wege unten harrt der Bauer,
Ein reger Mahner, scharfer Schauer.
Hoch auf dem Wagen hält er Wacht,
Auf dem die Fässer stehn. Es lacht
Sein Herz, wenn er die Leute sieht,
Die dort am Berg bei Wort und Lied
Einsammeln die gereifte Frucht,
Wenn auf dem Haupt der Eimer Wucht
Er schaut die schmucken Mägde schreiten:
Den Inhalt mißt er schon von Weiten
Mit seinen klaren Falkenblicken,
Die allwärts er versteht zu schicken;
Und sind sie da, hilft in die Bütten
Er frisch die goldnen Trauben schütten.
Auch lobt er, daß ihr Antlitz flammt
Vom Werk geröthet.   Recht wie Sammt,
So spricht er, glühen euch die Wangen!
So müßt ihr stets zur Arbeit langen!
Jedoch ihr brauchet nicht zu zaudern!  
Denn weislich meidet er das Plaudern.

[47]

Und stampfet rüstig in der Tonne
Des reichen Herbstes goldne Wonne.
Und während selbst ihm rinnt der Schweiß,
Bewacht er treu der Leser Fleiß.

Im Weinberg aber ohne Rast
Geht's zu mit frischer wackrer Hast.
Agnes ist dort bestellt zur Hut,
Denn wo die Herrschaft selbst nicht ruht
Im Kreis des Ingesinds, da fleckt
Die Arbeit doppelt. Doch sie neckt
Und scherzt und singet bei dem Werke,
Denn Heiterkeit giebt neue Stärke
Und neuen Muth und neue Lust.
Und sie versteht in jeder Brust
Die besten Funken aufzuregen.
Auf ihres Schaffens frohen Segen
Schaut Reiner still und tief beglückt.
Wie sehr ihn auch das Fest entzückt,
Das recht in vollen Strömen wallt
Und über Fluß und Berge schallt

[48]

Bei wolkenreiner blauer Luft,
Viel tiefer, süßer, heller ruft
In seine Seele sich das Bild
Des lieben Mädchens. Ernst und mild
Giebt sie zugleich ihm Unterricht
Im Weinbergwerk. Er ruhet nicht
Zu folgen ihr mit Ohr und Augen,
Um treu die Lehren einzusaugen,
Die sie so freundlich weiß zu geben
Mit Wort und Beispiel. An den Reben
Von Stock zu Stock umwebt er sie.
So süße Arbeit that er nie.  

Doch sieh! Was soll das Lärmen dort?  
Schrill tönt ein Ruf! Und krähend fort
Stürzt eine Dirne kreuz und quer!
Ein munterer Bursche hinterher.
Er ruft ein vielfach klingend Halt!
Halb Lust, halb Schrecken aber schallt
Noch immer das Geschrei der Magd.
Was will die seltsam bunte Jagd?

[49]

Das geht hinauf, das geht hinunter!
Die andern schaun und lachen munter
Ob diesem wilden Zickzacklauf.
Zuletzt da schreit die Dirne auf,
Der frische Bursch hat sie erreicht,
Der nun nicht wanket und nicht weicht,
Bis sie ihm einen Schmatz gegeben.  
Da hört man erst ein jauchzend Leben!  

Verstummt nur stehet Reiner da:
Nicht klar erscheint ihm was geschah.
Und Agnes fragt der fremde Knecht.
Ei, spricht sie, das ist Weinbergrecht!
Die Dirne dort ließ aus Versehen
Dem Burschen eine Traube stehen,
Da sie am selben Stock gelesen.
So ist es immer Brauch gewesen,
Wenn der zerstreuten Lässigkeit
Der Leser seine Leserin zeiht,
Muß sie mit einem Kuß es büßen.  
So wirst auch du es büßen müssen!

[50]

Spricht Reiner, flammend im Gesicht,
Und rasch die schönste Traube bricht
Vom Stock er, welche Agnes da
Von Blättern eingehüllt nicht sah.  
Wie zittert er!   Das Mädchen loht
Auf Stirn und Wange purpurroth.

Doch wie sie beide flammend stehn,
Da hört man unten Stimmen gehn.
Es fuhr ein leichter Kahn zum Strande,
Es sprang ein junger Mann zum Lande.
Der rothe Philipp ist's, der Sohn
Vom Mönchhofbauer, welcher schon
Seit Pfingsten sich als Agnes Freier
Einfand bei jeder Thalesfeier.
Aufwärts den Rhein, jenseits der Höhn
Liegt reich an Feld, an Bauten schön,
Der stattliche Besitz des Alten.
Ringsum im Land wird er gehalten
Für der Gemarkung reichsten Mann.
Und der das Ufer dort gewann,

[51]

Nennt man des Vaters einz'gen Erben.
Wer also hinzieht, um zu werben,
Der darf mit stolzem Haupte kommen,
Denn freundlich wird er aufgenommen,
Von Eltern, welche Töchter pflegen,
Von Mädchen auch, die schon entgegen
Den reifen Blüthetagen prangen
Und nach der Haube Schmuck verlangen.

Der alte Herrenbauer schätzt
Den Reichthum auch   man sieht es jetzt  
Denn als dem Wagen Philipp naht,
Steigt er herab am hohen Rad
Und schüttelt ihm zum Gruß die Hand
Und zeigt in Worten schlau gewandt,
Dem rothen Burschen sich gewogen.
Doch jener spricht: Ich komm gezogen
Zu helfen euch beim Traubenlesen.
Der Himmel ist so hold gewesen
In diesem Jahr, daß es euch schier
An Händen fehlt, so dünkt es mir.  

[52]

Brav, ruft der Herrenbauer laut,
Daß ihr nach euern Freunden schaut,
Ihr schätzt die Noth wie sich's gebührt!  
Und plaudernd, lachend, scherzend führt
Er ihn der Brust des Hügels zu,
Wo wieder in gewohnter Ruh
Die Leute schaffen und wo Reine
Und Agnes beben.   Seht, noch Einer,
Der helfen will! so ruft der Alte.
Nun sorgt, daß hübsche Ordnung walte
Vor diesem wackern Ehrengast!
Drum bei der Arbeit aufgepaßt!  
Der Rothe nicket in die Runde
Und bittet gleich mit keckem Munde
Des Gastfreunds Maid zum Partner sich
Beim Traubenschneiden.   Hüte dich!
So spricht er dreist. Scharf mußt du sehen,
Laß nicht das kleinste Körnchen stehen,
Sonst gilt die Sitte alt und echt!
Bei Gott, wir üben Weinbergrecht!  

[53]

Entrüstet höret Reiner ihn.
Am liebsten möchte Agnes fliehn,
Sie mag den rothen Burschen nicht,
Da all sein Gut sie nicht besticht.
Sie sieht sein Haar so flammig lohen,
Sie sieht die Augen heimlich drohen,
Doch was sie abstößt allermeist,
Das sind die Worte frech und dreist,
Die in ihr reines Herz sich bohren
Wie gift'ge Dolche. Oft verschworen
Schon hat sie sein zudringlich Freien,
Weil keusche Seelen nie verzeihen
Unzarte Selbstgefälligkeit.
Drum wünschet sie den Rothen weit
In's Pfefferland. Jedoch was nützt
Das Hadern hier? Den Fremdling schützt
Die Gastfreundschaft. Des Vaters Wille
Ist heilig ihr. Sie folget stille
Und zeigt sich freundlich unverdrossen
Dem unbequemen Berggenossen.
Die Lust, die jauchzend hat gekreist,
Verlöscht indeß. Ein andrer Geist

[54]

Geht plötzlich bei den Winzern um.
Sie schaffen alle ernst und stumm,
Seit Philipp ihre Arbeit theilt.
Es hat sie ein Gefühl ereilt,
So wie es oftmals uns beschleicht,
Wenn zwischen Freuden luftig leicht
Urplötzlich die Gefahr sich drängt;
So ist es, wenn ein Wetter hängt
Am Himmel, welcher hell gelacht,
Und glühe Blitze jäh entfacht,
So ist es, wenn im Waldrevier,
Wo man lustwandelt, flugs ein Thier,
Ein wildes, aufspringt, wenn im Kraut
Man eine gift'ge Schlange schaut.
Der Rothe scherzt, doch all sein Scherzen
Kommt nicht aus reinem lauterm Herzen,
Der Rothe lacht, doch auch sein Lachen
Will keine Seele heiter machen.

Was Alle fühlen, fühlt die Maid
Viel tiefer noch, um die er freit:

[55]

Unheimlich ist ihr bei dem Gast,
Drum hüllt sie in des Schaffens Hast,
Was sie beängstet. Immerhin
Hält sie das Weinbergrecht im Sinn  
Ein Kuß dem Rothen?   Welcher Schrecken!  
Er mag zerstreuen sie und necken,
All seiner schlaugefügten Tücke
Gibt offnen Augs sie keine Lücke,
Denn keine Traube läßt sie stehen.
Vor Aerger möcht' er schier vergehen,
Und zeigt zuletzt sich so vergrimmt
Daß er den Ton zum Spotten stimmt.
Doch schadet sich durch schnöden Hohn
Noch mehr der reiche Bauernsohn,
Der nur im Uebermuthe sprach.
Sie sehn ihm alle freudig nach,
Als er am Abend läßt die Stelle
Und heim zieht auf des Rheines Welle.

Die Glocke, die zum Dorfe ruft,
Durchtönt jetzt weich die dunkle Luft;

[56]

Genug, des Werkes ist genug!
Es sammelt sich der Winzer Zug.
Der Herrenbauer steht auf dem Wagen,
Der ihn den ganzen Tag getragen,
Und lenkt das muthige Gespann.
Wie fröhlich schaut der alte Mann
In seiner Winzerfreude drein!
Und rings umher in bunten Reihn
Ziehn hin die Mägde mit den Knechten,
Indeß sich Rebenranken flechten
Um Korb, Gefäße, Leib und Köpfe
Und in die langgeflochtnen Zöpfe.
Die frohsten Scherze klingen wieder,
Die hellsten Kehlen singen Lieder,
Und ringsum tönen stolze Schüsse,
Und ringsum sprühen Flammengüsse,
Bald hell und licht, bald purpurfarben,
Das sind des Feuerwerkes Garben.
Und auf den Bergen rings, den hohen,
Da sieht man Freudenfeuer lohen.
Das ganze Thal füllt ein Gelag.  
Wie wundervoll war dieser Tag!  

[57]

Wer aber ist das schlanke Paar,
Das dort nachschleicht?   Ich glaube gar
Agnes und Reiner!   Beide zeigen
Sich in versenktem tiefem Schweigen.
Doch endlich nimmt er sich ein Herz  
Mein Gott, wie ernst!   Ist das ein Scherz?  
Das Mädchen mahnt der neue Knecht,
An das verbüßte Weinbergrecht!
Und sieh   rings strahlt Raketenguß  
Sie neigen sich   das ist ein Kuß!  

* * *

[58]

V.
Sankt Martinsabend.

Sankt Martin bringet trübe Zeit,
Die Erde schlägt ihr Winterkleid
Sich um die nackten öden Glieder,
Denn Blum' und Blätter sanken nieder,
Der blanke Fluß geht brausend grau
Durch die entfärbte todte Au,
Die schmutz'gen Bäche ziehn geschwollen
Vom Waldgebirg, wo sie mit vollen
Ergüssen stets der Regen nährt.
Es strudelt, zischet, braust und gährt
In den Gewässern, während grell
Der Sturmwind pfeift, der rauh und schnell

[59]

Die Luft durchrast mit seinem Volke,
Das wild in Nebel, Qualm und Wolke
Nachfegt dem tosenden Genoß
Auf seinem flücht'gen Lüfteroß.  
Er wirbelt kraus durch Baum und Strauch.
An's Fenster schleudert roh sein Hauch
Verwelktes Laub und Zweige jach
Die Ziegel stürmet er vom Dach,
Es ist ein Fegen und Geschmetter:
Sankt Martin bringet böses Wetter!

Gleichviel, der Bauer liebt den Tag,
Weil er jetzt endlich ruhen mag
Von all dem glühen Sommerfleiß.
Fühlt er auch heut, daß er im Schweiß
Des Angesichts sein täglich Brod
Verdienen mußte, Sorg' und Noth
Entschüttelt dennoch er den Sinnen.
Denn, was das Tagwerk ließ gewinnen,
Ist eingeheimst. Der Segen lacht
In seinem Hause rings voll Pracht.

[60]

In weiter Scheune goldenfarben
Da thürmen sich die reichen Garben,
Und Frucht und Samen faßt der Speicher;
Doch weiß er stolzer sich und reicher
Durch seinen Wein, der feurig gut
Im tiefen kühlen Keller ruht.
Es reiht sich mächtig Faß an Faß,
Drin tobt und gährt das edle Naß
Gleichwie durchzuckt von neckischen Geistern,
Die uns das Haupt so süß bemeistern,
Wenn später aus krystallnem Becher
Wir schlürfen als berauschte Zecher.
Das alles überdenkt der Mann,
Der endlich gute Zeit gewann;
Drum freut er sich an diesem Tage,
Und mehr noch, weil er Sorg und Plage
Vergessen darf, denn Zins und Pacht
Hat er dem Gutsherrn heut gebracht.
Drum klingt es rings, ob die Natur
Auch siechend stirbt, ob Berg und Flur
In Nacht schon liegt, noch einmal auf
In Strahlenlust, im Jubellauf.  

[61]

Schau zu, das ist ein freudig Blitzen!
Denn hoch auf hundert Bergesspitzen
Entlodern hundert Feuer helle.
Im Lichte sprudelt auf die Welle
Des angeschwollnen wilden Rheins;
Es blinkt in's Land des glühen Scheins
Lichtrothe Loh! In ihrem Glanze
Da springen keck zum Fackeltanze
Die lustberauschten Knaben hin.
Die Schau gestaltet sich dem Sinn
Seltsam wie ein Gespensterreigen;
Geworfne Flammenbündel steigen
Hoch in die Luft, ein zuckend Schrein
Phantastisch klingt in's Thal hinein:
Es sieht so wirr und bunt und kraus
Gleich einer Hexenküche aus.
Indessen ziehn auf allen Pfaden
Landleute hin. Längs den Gestaden
Schallt Lachen, Necken, Jauchzen heiter:
Zur alten Schenke wallt es weiter.
Als sorgenlose frohe Gäste
Gehn sie zum späten Kirchweihfeste.

[62]

Des Erntejahres End' ist heute:
Drum freun sich alt' und junge Leute.

Zur grünen Traube dort beim Wirth,
Hei wie da toller Jubel schwirrt!
Voll Lichtern prangt das ganze Haus
Und strahlet weit in's Thal hinaus,
Laut tönt es dort ohn' Unterlaß,
Das Horn erbraust, es brummt der Baß,
Und Geigen klingen, Flöten girren.
Hei, wie die Tänzer wild sich wirren!
Hei, wie die Becher lustig klingen
Und volle Stimmen Lieder singen!
Es stampft der Fuß, es schwillt die Brust:
Auf höchster Höhe steht die Lust!

Die Alten sitzen allzumal
In trauter Stube hinterm Saal,
Der Herrenbauer weilt dazwischen.
Und an den derben Eichentischen

[63]

Da kreist der alte goldne Wein.
Verständig tönt die Rede drein.
Sie schwatzen dort von Markt und Geld,
Von Weinberg, Wiese, Wald und Feld,
Sie reden von verschollnen Zeiten
Und von vergangnen Herrlichkeiten,
Und von der Jugend Uebermuth,
Die, wie sie thaten, nimmer thut.
Und dennoch thut sie, wie sie thaten,
Denn nach den Vätern sind gerathen
Die Söhne. Wie die Alten sungen,
So pfeifen, wie man weiß, die Jungen.
Die Bursche und die Mädchen schwingen
Sich dort im Saal; sie springen, schlingen
Den schon jahrhundertalten Reigen
Ganz nach dem alten Klang der Geigen,
Ganz nach dem alten Gang und Takt,
Der in vergangner Zeit gepackt
Den Graukopf dort. Es spricht sich gut
Von kecker Jugend Uebermuth,
Wenn bald die harten Adern stocken,
Wenn silbern graun die dünnen Locken.  

[64]

Und haben sie nicht dennoch Recht?
Ist nicht das jüngere Geschlecht
Von losern Sitten?   Plötzlich schweigt
Des Tanzes Maß   Ein Tosen steigt
Im Saale auf.   Gott, das ist Streit!  
Was hat die Bursche nur entzweit?  
Der rothe Philipp walzet eben
Mit Agnes hin, und wie sie schweben,
Ertönet rings des Witzes Lauge.
Der Bursche ist ein Dorn im Auge
Den andern, die der knappen Maid
Erfolglos nachgehn lange Zeit.
Wie ward da bittrer Spott entboten,
Zu höhnen den verhaßten Rothen!
Wie lästern sie das Mädchen all!
Der Hochmuth, ruft's, kommt vor dem Fall!
Das Gänschen will zu hoch hinaus!
Sie baut auf eitel Sand ihr Haus!  
Franz, dem der Wein zu Kopf gestiegen,
Hört scharf und spitz die Worte fliegen,
Die ihm die liebe Schwester kränken,
Er läßt die Unbill sich nicht schenken  

[65]

Wort gibt das Wort. Aufloht der Zank;
Reiner springt zu von seiner Bank,
Wo er beim Schäfer und beim Hund,
Der knurrend sich erhebt vom Grund,
Im plaudernden Gespräche saß.
Er dringt auf Ordnung und auf Maß
Mit lautem Ruf. Jedoch die Rotte,
Sie wendet sich zu ihm im Spotte:
Ei seht, so heißt's, der Schinkenmeier!
Der wäre wohl auch gern ein Freier!
Gemahnt' ihn nicht der Herrenbauer,
Mein Sohn, die Trauben hier sind sauer!

Unscheinbar fällt ein Funken so
Von ungefähr in's trockne Stroh,
Er faßt und greift, und hohe Flammen
Die schlagen wild und wüst zusammen,
Bald ist es eine Feuersbrunst,
Die durch der Winde tückische Gunst

[66]

Sich wachsend mehrt, und Haus und Scheuer
Zergehen bald in rothem Feuer,
Es sinkt der Höfe lange Kette
Zuletzt zu öder Aschenstätte.
So fand in Franz der kleine Funken
Den rechten Stoff; denn wer betrunken,
Ist leicht erregt. Es packt die Glut
Drauf Reiners frischen zähen Muth,
Zuletzt stürzt Philipp auch zur Stelle,
Hell schimpft der garstige Geselle,
Es sträubt das rothe Haar sich grell,
Die Stimme klinget scharf und hell.
Rings hört man, wie es zerrt und zischt,
Es ist ein wirbelnd wirrer Gischt.
Die Dirnen drängen in die Ecken,
Sich vor dem Streite zu verstecken,
Wie Tauben, die hoch in den Lüften
Den Habicht sehn und zu den Klüften
Der Häusermauern jäh sich senken,
Indeß sie sich im Zickzack schwenken.
Die Alten treten in die Thüren,
Um Fried' und Ruh zurückzuführen.

[67]

Da fällt ein Faustschlag!   Ha, den schlug
Der rothe Philipp, den der Zug
Des blinden Jähzorns übermannt!
Und wüthend wird er angerannt.
Doch statt für seine That zu stehen,
Sucht er der Rache zu entgehen,
Es birgt sich fern der feige Mann,
Wo ihn der Feind nicht finden kann.
So fordert die entfachte Wuth
Ein anderes Opfer. Voller Blut,
Das ihm aus Mund und Nase fließt,
Stürzt Franz zu Boden, und es schließt
Die Ohnmacht ihm den Blick.   Jetzt droht
Dem Knechte zwanzigfache Noth
Von zwanzigfachen starken Armen.  
Der Himmel sende dir Erbarmen!

Da strömt durch Reiner heiß die Kraft,
Die aufgetrotzet, riesig schafft.
Ihm wächst erst recht die Lust empor.
Das ist der Zorn, der weit hervor

[68]

Das funkelnd sprühnde Auge drängt,
Das weiche Haar zum Stehen zwängt,
Mit rothgeschwollner Ader wild
Die tiefgefurchte Stirn durchschwillt.
Wie wogt die breite Männerbrust,
Des stärksten Herzens sich bewußt!
Wie bäumt sich hoch der derbe Nacken!
Wie krampft die Faust hinaus zu packen!

Erst thut er rückwärts einen Sprung
Urkräftig hoch vom strammen Schwung,
Greift einen Eichenstuhl in Eile
Und stampft zur Erd' ihn, daß die Theile
Hinstieben in zerbrochnen Stücken.
Am Boden liegt Sitz, Bein und Rücken.
Dann schwingt er straff in kräft'ger Faust
Ein derbes Holz. Hei, wie das saust
Hoch in der Luft in schnellen Kreisen!
Jetzt kann er euch die Zähne weisen!
Und vorwärts mit gewalt'gem Satze,
Wie sonst ihn übt die Tigerkatze,

[69]

Geht's in's Gewühl! Dumpf ruft er aus,
Daß zitternd dröhnt das ganze Haus:
Auf, Schäfer, hüte mir die Thür!
Phylax, vom Ofen dort herfür!
Wir greifen an, und wären's tausend,
Durch's Fenster geht's mit allen brausend!

Wie er ihn toben sieht, erwacht
Im Schäfer alter Tage Pracht,
Auch er war einst ein guter Hauer,
Bevor er diente bei dem Bauer.
Behende rafft er einen Stempel
Und ruft: Hinaus, hinaus zum Tempel!
Phylax, pack an!   Der zott'ge Hund
Springt voller Kampflust in die Rund.
Der alte Gerhard gleicher Weile
Verschließt die Thür in rascher Eile
Und stellt sich wie vor Zeiten stolz
Als Hüter dran mit seinem Holz
Und schwingt den Stab mit schwerer Wucht,
Abschneidend die bequeme Flucht.  

[70]

Indessen klingt's von Reiners Schlägen,
Es ist ein dichter Hagelregen,
Wo Beulen, Schwielen, Striemen, Wunden
Die Schlosse wirft. Zerbläut, geschunden,
Blutrünstig fühlt sich bald, wer kämpft.
Wie wird des Haufens Muth gedämpft!
Denn Phylax auch, der treue Hund,
Springt manchen Starken an den Grund.
Und da Gerhard am Ausgang wehrt,
So wird, wie Reiner sie gelehrt,
Zur Thür das Fenster. Die Gesellen,
Bereiten sich zur Flucht, zur schnellen.
Wer furchtsam ist, der findet bald
Da draußen sichern Aufenthalt,
Doch suchen auch, eh sie's gedacht,
Die Muthigen den Schutz der Nacht,
Denn keiner hält dem Knechte Stand,
Der stets in hochgeschwungner Hand
Die Waffe führt, bis, wer nicht flieht,
Am Boden liegt und dort ein Lied
Des Schmerzes jammert. Selbst die Alten,
Sie können nicht zurück ihn halten

[71]

Durch ernsten Zuruf; nicht das Schrein
Der Weiber hält den Wilden ein.
Einmal im Trinken, trinkt der Zecher
Bis auf den Grund der Rache Becher.
So wird die reinste Maid vertheidigt,
Die schnöde Bursche frech beleidigt.

Doch als der weite Kampfplatz leer,
Da schaut er mild und ernst umher,
Er hilft den Feinden, die voll Wuth
Er eben schlug. So freundlich gut
Erklingt sein Wort. Die rothen Flecken
Des Blutes hilft er rasch bedecken,
Er kühlt die Stellen, die geschunden,
Und bindet zu die offnen Wunden,
Er thut's mit freundlich sanften Tönen,
Sie müssen sich ihm all versöhnen;
Und ob sie noch so bitter fühlen,
Rasch weiß er jeden Zorn zu kühlen.

[72]

Voll Staunen sehn ihm alle zu.
Nach wüstem Wetter kehrt die Ruh
Gemach zurück; er schafft sie bald,
Der eben noch mit Allgewalt
Dahingerast. So wild, so mild,
Bei Gott, es ist ein herrlich Bild!
Bei seinem starken sanften Wesen,
Füllt ihnen ein, was sie gelesen
Im Siegfriedsbuch. Er gleicht dem Helden,
Von dem die alten Lieder melden,
An ries'ger Kraft, an holder Güte:
Sein Muth ist Erz, Wachs sein Gemüthe!
Ob er die Söhne schlimm gerichtet,
Der Groll der Aeltern ist geschlichtet.
Den Mädchen, die nicht länger beben,
Schwillt's in den Seelen: all ihr Leben
Ersahn sie nimmer solchen Mann.
Die Herzen schlug er all in Bann.
Selbst die besiegten Burschen ehren
Den edeln Feind; allmählig kehren
Sie in den Saal, zuerst voll Scham
Und Bitterkeit; doch geht der Gram,

[73]

Denn allen reicht die Hände Reiner,
Und sieh, es trotzt und murret Keiner.

So klingen bald auf's Neu die Geigen,
Es wirrt der unterbrochne Reigen
Sich lust'ger nur, denn aller Zank
Hat bei Sankt Martins Kirchweihschank
Nur flücht'ge schnell verrauschte Dauer.
Zu Reiner tritt der Herrenbauer,
Als er des trunknen Sohnes Wunden
Gering, bedeutungslos befunden,
Er ist zu danken angekommen,
Weil treu der Knecht in Schutz genommen,
Des Hauses Ehre. Seine Hand
Reicht er ihm breit zum Unterpfand.
Wie dient dieß Wort dem Knecht zum Lohne!
Es gilt ihm mehr wie eine Krone.

Und Agnes?   Ach, es blüht und glüht
So hell und sonnig ihr Gemüth!

[74]

Nach all den Aengsten, all dem Schrecken
Ist's ihr so leicht. Wie Blumen strecken
Sich die Gefühle in das Licht;
Die lieblichsten Gedanken flicht
Sie in die Zukunft. Spott und Hohn
Gab man ihr unverdient. Ihr Lohn
Ist nun ein Sieg, so stolz und groß!
Und der ihr schuf so schönes Loos,
Das ist der beste kühnste Mann!
Sie nähm's von keinem lieber an.
So sitzt sie da gleich wie im Traum
Und starret vor sich hin. Der Raum
Verschwindet rings vor ihren Blicken.
Und als sie sich zur Heimkehr schicken,
Und als sie sich zur Ruhe legt,
Klopft noch ihr Herz so schön bewegt:
Vor ihrem Geiste stark und mild
Da steht das hellste liebste Bild.

* * *

[75]

VI.
Winterliebe.

Der Winter thront in starrer Ruh.
Es deckt die müde Erde zu
Ein Leichentuch von Schnee und Eis.
Berg, Wald und Auen liegen weiß
Und kalt und stumm. Des Flusses Wogen
Sind fest von Schollen überzogen.
Das Thal, im Lenz ein Blüthenmeer,
Im Sommer laub- und früchteschwer
Gleichwie ein Paradies, es liegt
Als wär's vom ew'gen Tod besiegt.
Wo einst sich hoben Lerchenlieder,
Da krächzen Krähen auf und nieder,

[76]

Wo einst der Menschen Jubel klang,
Da heult der Fuchs und Wolf entlang
Die öden Berge. Aus dem Grunde
Vom Dorf antwortend bellen Hunde.
So tönt des Thales trüber Schall,
Der trostlos weckt den Wiederhall.

Auch auf den Dörfern liegts so stumm,
Die Menschen gehen kaum herum.
Was sollten sie da draußen auch?
Das Vieh selbst scheut den scharfen Hauch
Und streckt behaglich sich im Stall.
Kläng' dann und wann mit hellem Schall
Das Wiehern und das Brüllen nicht,
Das durch die ferne Stille bricht,
Erhöb' den Ruf nicht Hahn und Henne,
Vernähme man nicht von der Tenne
Der Drescher scharfe Dreitaktschläge,
Und des Holzhauers Axt und Säge,
Dann käm' uns der Gedanken eben:
Gestorben wäre alles Leben.  

[77]

Es ist ein endlos tiefes Ruhn
Wie Winterschlaf, denn kaum zu thun
Gibts für den Landmann rings umher,
Und was er thut, wird ihm nicht schwer,
Hat er's gethan nach kurzem Tag,
Hockt er, daß er sich wärmen mag,
Am Feuerheerd, wo Frau und Magd
Sich kochend an den Töpfen plagt,
Am Spinnrad schafft, der Wäsche pflegt,
Indeß er selber Feuer schlägt,
Die frischgestopfte Pfeife zündet,
Und einen trägen Sitz sich gründet
Auf dem gewohnten Platz; nur selten
Läßt er das Leben draußen gelten,
Nur selten wandert er zur Schenke
Und sucht die alten Eichenbänke
Und hört beim Krug die Zeitung lesen,
Wie's draußen in der Welt gewesen.

Doch auf dem Herrenhof ist Einer
So träge nicht. Nie fühlte Reiner

[78]

So fröhliche Behendigkeit.
So thätige Lebendigkeit.
Ihm wallt und kochet frisch das Blut,
Ihm pochet freudig frei der Muth.
Vom frühen Tag, wenn er erwacht,
Bis in die tiefe stille Nacht
Ist er am Fleck.   Thut das die Kraft,
Die jugendbrausend in ihm schafft?
Ist es des Herrenbauers Vertrauen?
Ist es die Freundlichkeit der Frauen?
Ist's weil er draußen, so wie drinnen
Verstand die Herzen zu gewinnen?  
O nein, das macht wohl andre Glut,
Daß er nicht rastet und nicht ruht!

Was Agnes zu besorgen hat,
Besorgt er meist an ihrer Statt,
Und wenn er's nicht alleine darf  
Denn ihre Mutter wachet scharf,
Daß treulich sie die Pflicht erfüllt  
Dann hilft er ihr, doch klug verhüllt,

[79]

Er stets sich beim vollbrachten Werke,
Daß Niemand seine Arbeit merke.
Wenn er im Stalle bei ihr steht,
Für sie zu Küh' und Rindern geht,
Ihr Wasser holt, des Futters Wucht
In Scheun' und Keller rüstig sucht,
Kaum sieht es Einer. Doch in Hast,
Vollbringt er jede schwere Last,
Und ob er für sie schafft und räumt,
Nie kommt's, daß er sein Werk versäumt.

Des Mädchens liebste Sorge ist
Der Hühnerhof. Zu jeder Frist
Der Enten und der Gänse denkt sie,
Truthähnen, Hennen, Küchlein schenkt sie
Tagtäglich die bestimmte Zeit.
Im Sommer hat die süße Maid
Die Glucken auf das Nest gelegt,
Sie hat die junge Brut gepflegt,
Seitdem sie aus dem Ei gekrochen
Und sie geäßet lange Wochen,

[80]

Mit eigner Hand als zweite Mutter
Gab sie den zarten Thierchen Futter.
Drum kennen sie auch groß und klein
Die Hüterin. Welch lustig Schrein
Ertönt, wenn sie zur Thüre kommt
Und Futter bringt, das allen frommt!
Truthähne, wie sie seltsam rennen!
Zur Schulter fliegen ihr die Hennen,
Die Gänse watscheln ihr am Fuß,
Die Enten schnattern ihr den Gruß,
Der ritterlich gespornte Hahn
Kommt majestätisch auch heran,
Ehrfurcht und Dank im ernsten Blick,
Es mengen sich gar mit Geschick
Die Finken und die Spatzen all
Herfliegend rings von Haus und Stall
In das Geflügel, um zu picken.
Die wilden Vögel selber nicken
Und zwitschern wie zum Dank dazwischen.
Das ist ein Gackern, Krähen, Zischen  
Und Agnes lockt und kost und lacht.  
Wie ihr das Treiben Freude macht!  

[81]

Doch größre Freude gibt das Bild
Noch Reiner, dem die Seele schwillt,
Sieht er von fern die blanke Dirne
Mit rothen Wangen, heitrer Stirne
Und mit dem perldurchreihten Munde
Hell schwatzen vor der Vögelrunde.
Entzückend wahrlich ist die Schau,
Wenn aus dem schlanken Gliederbau
Und aus dem süßen Angesicht
So unschuldsvoll die Wonne spricht.
Es steht der Knecht vor Lust erstarrt,
Wenn er des holden Anblicks harrt.
Auch er behütet ihre Thiere,
Den Habicht scheucht er vom Reviere
Des Hofs mit manchem Flintenschuß,
Daß sich der Räuber voll Verdruß
Zuletzt nicht mehr dem Hause naht.
Er spähet aus des Fuchses Pfad,
Des Marders Gang, die oft bei Nacht
Zu wüster mörderischer Schlacht
Das stille Hühnerhaus beschleichen.
Bald jagt er sie mit Prügelstreichen

[82]

Zur schleunigen Flucht, bald stellt er klug
Die Falle, die auf nächt'gem Zug
Sie fasset bei den schlauen Pfoten,
Und Morgens sind sie bei den Todten.

Ist also ihm das Mädchen werth,
Noch lieber sieht er sie beim Heerd,
Wenn Abends hell die Flamme prasselt.
Der Küche Lärmen ist verrasselt,
Die Mägde setzen sich zum Spinnen:
Erzählung, Lied und Spiel beginnen.
Wie lauschet Agnes süßem Munde
Das Ingesind in dichter Runde,
Wenn sie erzählt vom Fabelwesen,
Das sie im alten Buch gelesen!
Sie weiß von heldigen Genossen
Auf fliegend wilden Drachenrossen
Und ihren Thaten zu berichten.
Sie gibt die schaurigsten Geschichten
Von schnöd verzauberten Prinzessen,
Von Gnomen, die sechs Zoll kaum messen,

[83]

Von holden Feen, von goldnen Bergen
Durchhöhlet von den klugen Zwergen,
Vom Hexenschloß, drin böse Seelen
Umspucken, weiß sie zu erzählen.
Und wenn sie spricht, dann funkt und glüht
Seltsam ihr Blick. Das Feuer sprüht
Und knistert auf dem Heerd und malt
Auf's Antlitz ihr, das dichtend strahlt,
Aufflackernd Schatten bald und Lichter.
Die Mär ist wie das Wort der Dichter  
Wie packt sie stets!   Ihr trotzet Keiner,
Und doch am liebsten hört sie Reiner.

Und wenn sie hell ein Lied erschwingt,
Wie es der schlichte Volksmund singt,
Ein Lied von Liebeslust und Leiden,
Ein Lied vom Scheiden und vom Meiden,
Ein Lied, wie schön der Frühling ist,
Ein Lied vom Tod, der keine Frist
Dem Menschen gibt, das klingt so rührend,
Das klingt so lockend und verführend

[84]

In ihrer Kehle, ihrer reinen!
Sie möchten lachen, möchten weinen,
Sie möchten jauchzen, möchten klagen,
So mächtig hat es angeschlagen
An jedes Herz. Doch fühlt es Keiner
So innig sinnig tief wie Reiner.

Es reiht daran sich frohes Spiel
Und kennt an Lustigkeit kein Ziel.
Jetzt gilt es Blindekuh zu necken,
Sich in die Ecken zu verstecken,
Wie wirrt und schwirrt es links und rechts!
Ein Fliehn der Magd, ein Fliehn des Knechts!
Auf Stühlen, Bänken, unter Tischen,
Ein Haschen hier, dort ein Entwischen!
Ein Stoßen, Drängen an einander!
Ein tolles Hin- und Hergewander!
Ein Krähen, Jauchzen, Kichern, Schrein:
Wer wird der nächste Blinde sein?
Und Agnes ist die frohste drunter:
Ihr gilt's, je lustiger, je bunter!

[85]

Doch drängt zu ihr sich immer Einer,
Und dieser Ein' ist immer Reiner.

Unsichtbar knüpft sich so ein Band
Von Herz zu Herzen. Täglich spannt
Sich fest und fester nur die Brücke
Zu zweier treuen Seelen Glücke.  
Wer schafft daran?   Ach nimmer ruht
In beider Augen der Blicke Glut!
Sie suchen sich, um sich zu finden
Und starke Fäden leis zu binden
Von Geist zu Geist. Und Eines naht
So oft und gern des Andern Pfad.
Wo Eines steht, wo Eines weilt,
Da folgt das Andre unverweilt.
Man sieht sie beide oft erröthen,
Hört seufzen sie   Ist das vonnöthen?
Und wenn sie plötzlich sich berühren,
Welch jähes Zittern sie dann spüren!
Das Herz pocht beiden in die Kehle,
Ein Schleier hüllt sich um die Seele

[86]

Wie um den Blick. Sie wissen kaum,
Wo sie geweilt in Zeit und Raum,
Ob sie durchschwommen nur Minuten,
Ob sel'ger Ewigkeiten Fluten,
Ob sie die Erde noch durchzogen
Ob helle Himmel sie durchflogen?
So ward's seit jenem Weinbergkuß.  
Das war der Minne erster Gruß!

Noch fehlt das Wort, das schwere Wort,
Ach, der Erlösung goldner Hort
Von so viel Liebeslust und Pein,
Von so viel Thränen im Kämmerlein.
Von so viel Jauchzen, welches still
Im Herzen klingt und tönen will
Und doch nicht darf. Das schwere Wort,
Es kann nicht über die Lippen fort,
Sie hören es in der Seele rauschen
Und können dennoch es nicht tauschen.
Doch endlich löst es sich in Schmerzen
Und Wonnen vom gepreßten Herzen.

[87]

Da ist's!   Er nennt sie: Liebes Kind!  
Sie nennt ihn: Guter Mann!   Es rinnt
Die Thräne dann ihr auf die Wangen,
Er hält sie stürmisch fest umfangen.
Des Einen Brust pocht an der andern,
Die frischen rothen Lippen wandern
Zum langen Kusse sich entgegen  
Und rings ist Fülle, Frieden, Segen.

So kam's noch oft, wenn ungesehn
Sie einsam bei einander stehn.
Im stillen Stall, wo Rind und Stiere,
Die glatten, breitgestirnten Thiere,
Mit großen Augen sie beschauen,
Auf deren Schweigen fest sie bauen.
So kam's noch oft, dort an der Schwelle
Der Treppe, an der trauten Stelle,
Wo sie dem gackernden Geflügel
Das Futter streut. Dort fällt der Zügel,
Den sie sich angelegt. Was kennen
Davon die Enten auch und Hennen,

[88]

Wenn sich zwei liebe Menschen kosen
Mit Wangen, wie vier rothe Rosen,
Mit Augen, wie vier glühe Sonnen!  
Es trägt sie in ein Meer von Wonnen
Die Liebe hin   Doch wissen sie
Der Seelen volle Harmonie,
Der Herzen wunderbare Füllen
Fest vor den Menschen zu verhüllen.
Es ahnt nur, wer sich tiefer müht,
Wie Agnes seltsam reich erblüht,
Wie Reiner ab den Jüngling streift
Und schön zum vollen Manne reift.

So kam das Weihnachtsfest heran.
Ein tiefes Dunkel hüllt den Plan,
Der Morgen weilt noch überm Wald
Im fernen Ost. Es wehet kalt
Und scharf die Luft. Die Sterne blitzen
Zahllos auf ihren ew'gen Sitzen.
Doch hallen schon die Kirchenglocken,
Die Beter fromm zum Fest zu locken.

[89]

Da sieht man auf der Gegend Steigen
Sich viele Lichter irrend zeigen,
Dem Kirchlein schweben sie entgegen.
Die Träger wollen sich den Segen
Im frühen Mettendienste holen.
Es schreiten auch mit rüst'gen Sohlen
Agnes und Reiner dort hinaus
Sich zu erbaun im Gotteshaus.
Sie sind dem Orte nicht mehr weit,
Da grüßet durch die Dunkelheit,
Aus allen Fenstern Licht und Helle
Ausströmend, schon die Dorfkapelle,
Tief stolz erklingt der Orgelton,
Es mischen sich zum Chore schon
Der Frommen Stimmen. In die Nacht
Tönt es mit wunderbarer Macht.
Es mahnt der Engel Botschaft gleich,
Die rings dem dunklen Erdenreich
Des Heilands Ankunft hell verkünden,
Der kommt zu lösen Tod und Sünden.
Es mahnet aus dem Tönemeere:
Gott in der Höhe sei die Ehre,

[90]

Und auf der Erde sei der Frieden
Den guten Menschen all beschieden!  
So klingt's. Die Beter aber alle
Trieb's wie die Hirten nach dem Stalle,
Wo sie am Kripplein niederknien
Erhebend Psalmenmelodien.

Mit Allen wollen die beiden beten,
Doch wie sie an die Thüre treten,
Ist voll das Haus und vor der Pforte
Nur können sie dem Segensworte
Des Herren lauschen. Eisig weht
Der Wind am Ort, doch ihr Gebet
Ist heiß wie Flehn aus gläub'gem Herzen.
Sie stecken an der Andacht Kerzen
In ihren Seelen, daß sie funkeln
Gleichwie das Kirchlein aus dem Dunkeln:
Die Glut auf reinem Altar flammt.  
So neigt zu Ende sich das Amt,
Und als der Priester hoch zum Segen
Das Allerheil'ge hebt, da legen

[91]

Sie ineinander Hand und Hand!  
Das ist der Treue Unterpfand,
Daß sie sich ewig angehören  
Er singt dazu in vollen Chören!  

Gott hat's gesehn!   Doch sah es auch
Gerhard der Schäfer, der den Brauch,
Den heil'gen in der heil'gen Nacht,
Noch nie versäumt. Die Seele lacht
Ihm ob dem jungen schönen Bund,
Er reibt die Hände, und sein Hund
Springt fröhlich wedelnd an ihm hin;
So thut er stets, wenn froh der Sinn
Der Alten ist.   Doch die Gesänge
Verhallen jetzt, es strömt die Menge
Schon aus dem Thore voll heraus,
Die Beter kehren all nach Haus,
Indeß die Nacht ringsum noch dunkelt,
Und nur das Licht des Himmels funkelt.
Gerhard gesellt sich zu den Beiden,
Die ihn am liebsten möchten meiden,

[92]

Wie sehr sie ihm gewogen sind.
Er aber spricht gleichwie ein Kind
Gutmüthig schlau   und tief in's Mark
Geht doch sein Wort:   Seid fest und stark.

* * *

[93]

VII.
Der Eisgang.

Die Kraft des Winters ist gebrochen,
Und leis beginnt der Lenz zu pochen
An Thür und Laden. Unwirsch zwar
Erklingt sein Gruß, doch wunderbar
Ist seine Wirkung. Dicke Tropfen
Hört man an's Fenster plötzlich klopfen.
Das thut der Schnee, der auf dem Dach
Zerschmilzt, Eiszapfen, die gemach
Sich lösen. Warm und wolkenschwer
Weht fern aus West der Thauwind her,
Er löst der Bäche feste Schollen,
Die plötzlich von der Flut geschwollen

[94]

Zu Thal sich stürzen. Dunkelgrau
Streckt sich der Erde fester Bau
Durch lang gehäuftes starres Eis,
Die Bäume schütteln ab das Weiß.
Zugvögel schwirren durch die Lüfte,
Das Raubthier sucht die sichern Klüfte,
Der Menschen Athem hebt sich frei  
Gottlob, der Winter ist vorbei!

Zugleich kommt aus den Bergen dort
Ein Reiter an; frisch treibt er fort
Das schmucke Pferd, dem Regenbade
Will er auf schlüpfrig nassem Pfade
So schnell entgehn, und auch das Thier
Fühlt sich im thauenden Revier
Nicht heimisch, ob auch seine Brust
Die milde Luft einzieht mit Lust:
Sie freun sich beide, Roß und Reiter,
Als sich die Flächen eben weiter
Hinspannen. Statt auf rauhen Stegen
Ziehn fort sie auf gebahnten Wegen,

[95]

Und lautauf wiehert bald das Pferd.
Denn als der Pfad sich plötzlich kehrt,
Liegt vor dem Blick das Ziel der Reise.
Es reihn sich dort in weitem Kreise
Des Dorfes Häuser. Linder Hauch
Treibt von den Heerden dort den Rauch,
Der oft hinbrütet wie verloren  
Der Reiter gibt aufs Neu die Sporen,
Der rothe Philipp ist's   in Hast
Trabt er zum Herrenhof als Gast.

Indeß beschaut durch seine Scheiben
Der Herrenbauer des Wetters Treiben,
Die hohe Stirne legt sich faltig:
Es kommt das Thauen zu gewaltig!
Der Regen mit geschmolznem Schnee,
Schwillt auf den Rhein zum weiten See,
Wie wild der Strom die Wogen rollt,
Die gelb und schmutzig sind! Er grollt
Vom Wind gepeitscht aus seinem Bette.
Eisschollen jagen um die Wette

[96]

In jäher Flucht. Schon trat er weit
Aus seinen Ufern; mächtig breit
Beströmt er Wiesen, Gärten, Auen,
Und noch kein Ziel ist zu erschauen,
Wie weit er's treibt.   Wird nicht sein Sand
Verderben all das fette Land?
Sind Dorf und Menschen nicht bedroht?
Gibt es nicht hundertfache Noth?  

Dieweil er also sinnt und denkt,
Sieht er das Roß, das Philipp lenkt.
Der Rothe hält vor seinem Haus,
Der Alte tritt zum Gruß hinaus.
Da bittet gleich der Bauernsohn
Den grauen Mann im dreisten Ton,
Geheim mit ihm sich zu besprechen.
Und ohne langes Kopfzerbrechen
Führt ihn der Alte in das Zimmer
Und schließt die Thür. Sie blieben immer
Ein gutes Stündchen ganz allein.
Dann kommt der Hofherr, frohen Schein

[97]

Im klaren Aug, und holt die Frau.
Sie schließen sich vor jeder Schau
Und jedem Horchen wieder ab.
Wer weiß, was es so heimlich gab?
Als er jetzt öffnend kommt zur Thür,
Da tritt er strahlend draus herfür,
Er rufet Agnes, hell und laut,
Die kaum beim Ruf den Sinnen traut.

Und als sie nun mit zagem Schritt,
Zu dem Geheimnißvollen tritt,
Da spricht der Vater feierlich:
Philipp bewirbt sich heut um dich.
Wir, deine Aeltern, nehmen gern
Den Antrag an, denn guten Kern
Erkennen wir in seinem Wesen,
Und freun uns, daß er dich erlesen.
Auch hoff' ich, seine Art und Sitten
Sind bei dir selber wohl gelitten.
Dazu nun prüfe mit Verstand,
Daß er nicht kommt mit leerer Hand,

[98]

Um dich, mein liebes Kind, zu werben:
Er wird einst schöne Güter erben,
Und wenn auch deine Hochzeitsgift
Nicht ärmlich ist, mein Schatz, man trifft
Doch selten auf den Schwiegersohn,
Der uns das Kind wie auf den Thron
In's eigene Besitzthum führt.  
Die Mutter fügt hinzu gerührt:
Ja, Agnes, folge gutem Rath,
Und sage zu! Philipp ist grad
Der Mann, der trefflich zu uns paßt!  
Der Freier tritt heran und faßt
Sie um den Leib und siegsbewußt
Will er sie pressen an die Brust.
Nicht wahr, so spricht er keck darein,
Agnes, du willst mein Bräutchen sein?

Doch ruft sie plötzlich: Nein, nein, nein!
Und springt zurück mit lautem Schrein,
Indeß voll Zorn ihr Antlitz lodert:
Thut was ihr wollt, verlangt und fodert

[99]

Von mir jedwede Kindespflicht!
Doch diesen Bräutigam nehm' ich nicht!

Wie, welcher Ton!   So kühn, so dreist?  
Was fährt ihr jählings durch den Geist?
Die sonst sich wie ein Lamm benahm,
Ist ihr erloschen alle Scham?
Der Rothe zittert voller Wuth,
Daß ihm der Wurf mißlang. In Glut
Flammt auf der Mutter Stirne hell
Ob solchem Ausspruch. Kurz und schnell
Faßt sich allein der Herrenbauer.
Er redet scharf: Von kurzer Dauer,
Ich weiß es, sind die Mädchenlaunen,
Drum macht mich dieses Thun nicht staunen.
Bedenkzeit wollen wir dran wagen:
Sie soll zu Abend Antwort sagen.

Und stille plötzlich wird's ringsum:
Die laut geredet, stehen stumm

[100]

Und sprachlos.   Da mit einemmal
Erklingt ein Angstgeschrei durch's Thal  
Wie gräßlich, schrill!   Der Alte stürzt
Ans Fenster, öffnet unverkürzt
Und späht hinaus!   Das ist der Rhein!
Endlos wächst er in's Land hinein,
Und bringet riesig angeschwollen
Des obern Thales mächt'ge Schollen.
Er führt sie reißend seine Bahn
Dort auf die Hütten schon heran,
Die brausend hoch die Flut umspült,
Die sausend wild das Eis zerwühlt.
Hört ihr das Donnern und das Krachen
Im Wellenmeere? Rings erwachen
Schreckhafte Laute. Mensch und Vieh
Schrein brüllend auf. Ach niemals, nie
Ward solcher grause Ton gehört!
So ist's, wenn sich Natur empört
Zu ihren letzten größten Schrecken!
Nur sie kann solche Rufe wecken,
So furchtbar, unheimlich und graß!
Nicht Menschenthat erreichet das!

[101]

Und welch ein Flüchten, Treiben, Jagen!
Was sieht man da nicht alles wagen!
Hier halten Kähne, drüben Flöße.
Jetzt zeigt sich menschlich wahre Größe,
Die für den Nachbarn in der Noth
Aufwächst, wie die Gefahr auch droht!
Jetzt zeigt sich ächter Männermuth!  
Der Alte stürzt mit Jugendglut
Sich rasch hinaus, um mitzuretten
Dort an des Unglücks wüsten Stätten.  
Doch Philipp bleibet bei den Frauen,
Um aus dem Fenster zuzuschauen.

Wer hat die Thaten all gesehn,
Die kühn und herrlich dort geschehn
Aus heller lichter Nächstenliebe?  
Es schlägt das Herz so stolze Triebe
Im Unglück stets!   Der Herrenbauer
Wie faßt er dort als alter grauer

[102]

Zerbrechlich mürber Mann noch an!
Er schafft und wirkt nach festem Plan:
Er bringet Regel in die Werke.  
Wie zeiget rastlos Lust und Stärke
Und kluge Geistesgegenwart
Gerhard in seiner schlichten Art!
Und wo er Hülf' und Trost bereitet,
Wird er von seinem Hund begleitet.  
Wie wirket rüstig jeder Knecht!  
Es ist, als wär' ein neu Geschlecht
Von Helden auf die Welt gekommen!
Wie muthig haben sich benommen
Die Bauern, die in hellen Haufen
Vom Dorfe nach dem Ufer laufen!
Selbst was verfolgt sich und gehaßt,
Wie hat das emsig angefaßt
Am einigen Werk! Das wirkt zusammen
Im Herzen Muth, im Auge Flammen!

Doch gilt es Feuer, Willen, Kraft,
Die alles schier auf einmal schafft,

[103]

Da ist der beste Mann am Ort
Reiner, der Knecht, doch immerfort.
Wie oft durchbricht er mit dem Nachen
Gethürmter Schollen furchtbar Krachen!
Wie steuert er, umdroht vom Tod,
Den Hütten zu, die in der Noth
Hinschwankend beben! Und wie oft
Hebt er, die längst nicht mehr gehofft
Auf Lebensrettung, in den Kahn
Und bringet sie an's Land hinan!
Die Männer, Weiber, Kinder, Greise
Entführet er in starker Weise
Dem sichern Tod. Oft bis zum Dach
Sucht er dem zagen Unglück nach
In jenen Hütten, die mit Brausen
Die Wogen eisgekrönt umsausen.
Sogar der Armen dürftige Habe
Entreißt er kühn dem Wassergrabe,
Ihn treibt mitleidiges Erbarmen,
Selbst Thiere, die vernunftlos armen,
Zu retten aus der Fluten Tücke  
Und immer thut er es im Glücke.  

[104]

Gottlob, es waltet Gottes Hand!
Gerettet an des Stromes Strand
Stehn sie, dem Dasein neu geboren.
Kein Menschenleben ging verloren!
Fast übermenschlich hat geschafft
Der Seelen Muth, der Körper Kraft!  
Und alle knieen zum Gebet  
Still ist's ringsum.   Herr Gott, da weht
Ein neuer Lärm   schrill übertönt
Das Brausen er, das flußwärts dröhnt.
Sie spähn und lauschen; aus dem Haus,
Das sich im wüsten Wasserbraus
Am fernsten hebt und in der Noth
Allmählig einzustürzen droht,
Schallt das Geschrei.   Dort bricht durch's Dach
Ein zott'ger Hund.   Es drängt ihm nach
Ein alter Mann   er winkt   er ruft.  
Auf's Neu durchheult der Hund die Luft  
Der Schäfer Gerhard ist's, bei Gott!  
So tönt es rings.   O welchen Spott
Uebt das Geschick!   Der selbst so viel
Geholfen hat, sieht sich am Ziel  

[105]

Ein Opfer seines Opfermuthes.  
Als Retter kargen Armengutes
Blieb er im Hüttchen, da der Kahn
Zum letztenmal die schwere Bahn
Dahin gesucht.   Er ward vergessen.  
Als er den innern Raum durchmessen,
Um noch zu retten, kehrt das Schiff  
Und wie auf steilem Felsenriff,
Wer Schiffbruch litt, im Meere weilt,
So sitzt er dort. Indessen eilt
Das Unheil an mit jähem Schritte.
Schon wanket in der Strudel Mitte
Der lecke Bau, und hier und dort
Reißt schon das Eis die Balken fort  
Drum winket er, drum heult der Hund.
Vom Ufer wie aus einem Mund
Hebt gräßlich wilder Angstruf an:
O Gott, er ist ein todter Mann!

Doch Reiner springt auf's Neu zum Kahn.
In die empörte Wasserbahn,

[106]

Wo der gethürmten Wellen Gischt
Sich mit den Eiskolossen mischt,
Stößt er das Boot, ob auch der Tod
Ihm hundertfach Verderben droht.  
Hinaus, hinaus!   Das Schifflein schwindet
Den Blicken oftmals, denn es windet
Sich durch die Schollen; hinter Wogen
Ist bald den Spähnden es entzogen.
Die Herzen forschen pochend nach,
Ob's nicht versank und nicht zerbrach.
Doch Reiner fährt mit sicherer Hand,
Trotzig an Muth, kalt an Verstand,
Er weiß das starre Eis zu meiden,
Er weiß die Wellen zu durchschneiden,
Und hält das Ziel im sichern Blick:
Dem Muthigen hilft das Geschick!  
Bei Gott, dort hält er an den Trümmern!  
Was kann die weitre Noth ihn kümmern,
Da Gerhard in den Nachen springt  
Ihm folgt der Hund   das Werk gelingt.  
Sie rudern mit vereinten Kräften
Zum Land zurück. Die Blicke heften

[107]

Die Bauern rings mit starrem Beben
Auf die Gefahr   und dann erheben
Sie himmelstürmend Dankgeschrei:
Ach alle Noth ist nun vorbei!  
Denn Beiden gilt der Gruß der Rufer,
Denn Beide springen heil an's Ufer.

So blickt ein heller Sonnenschein
Durch Wetterwolken glüh herein
Wie hier die Lust, die freundlich licht
Durch all das wüste Unheil bricht,
Daß sie, die alles kühn gewagt,
Dem Tod entflohn. Ein Lichtstrahl tagt
Selbst durch der Armuth tiefen Gram,
Der Hab und Gut das Schicksal nahm.
Laut aber tönt der Männer Gruß
Die treu sich halfen längs dem Fluß.
Und Reiner hat des Tages Ehre.
Sie preisen rings mit ganzer Schwere
Sein Heldenthum, und Mann und Greis
Reicht ihm die Hand und danket heiß,

[108]

Es drückt sie selbst der Herrenbauer,  
Gerhard umhalst ihn lange Dauer.  

Und all das schaurig schöne Treiben
Sah Agnes durch die Fensterscheiben,
Sie sah's in Aengsten, Furcht und Schrecken:
Ihr Mitleid ist so leicht zu wecken
Bei solchem traurig wüsten Loos!
Sie sah's im Herzen stolz und groß,
Weil der Erkorne ihrer Seele
So heldig schuf. Zwar in der Kehle
Stockt oft das Wort; das Blut im Herzen
Preßt ihr die Brust mit grimmen Schmerzen,
Als sie ihn stets zu neuem Wagen,
Erschaut vom schlanken Kahn getragen.
Doch als das letzte Werk gelungen
Und lauter Jubelruf erklungen,
Da fährt der Seufzer aus der Brust,
Da löst in reicher Thränenlust
Sich ihr Gemüth. Sie kann nicht scheinen,
Was sie nicht ist.   Wie muß sie weinen!  

[109]

Sie steht noch eine Weile so
So freudig trüb, so traurig froh,
Da kommt der Vater draußen an,
Ihm folgen durch des Feldes Plan
Unsel'ge, die das Unglück traf
Und die nicht wissen, wo zum Schlaf
Das Haupt sie legen, wo sie Brod
Auffinden für des Hungers Noth.
Der Alte kennt die Nächstenpflicht
Und säumt mit gutem Werke nicht:
Es gibt euch Lager meine Scheuer,
Ihr trocknet euch an meinem Feuer,
Ihr sollt aus meinen Töpfen essen!
Hier gilt es nach der Kraft zu messen!
Wem ich nicht Herberg geben kann,
Deß nimmt der Nachbar gern sich an.
So warten wir auf bessre Zeiten!  
Das war sein Wort. Und zwanzig schreiten
Alsbald ihm nach. In seinem Haus
Da heischet rasch er warmen Schmaus,
Wohl greift Frau Gertrud rüstig an,
Und Agnes hat nach Kraft gethan,

[110]

Ein muthig Wort klingt oft dazwischen,
Die Hungrigen gehn nach den Tischen,
Nachdem sie sich gewärmt am Herde.
Bald weicht die traurige Geberde
Dem frischern Sinn, der stets sich hebt,
Wird er gewahr, daß Gott noch lebt.
Die Kinder mit den blassen Wangen
Sie spielen wieder unbefangen,
Den Säugling pflegen neu die Frauen,
Der Greis ist wieder voll Vertrauen,
Die Männer strecken ihre Glieder
Und denken an die Zukunft wieder.
Und Gerhard mit dem jungen Knecht
Sie heben ihren Muth erst recht
Mit treuem Blick, mit ernstem Wort.
Nur Philipp paßt nicht an den Ort,
Im Wege steht er allerwärts
Und starrt und schweigt; denn wo das Herz
Nicht regsam fühlt, da fehlt der Zunge
Die Tröstung auch von rechtem Schwunge.
Auch ist er nicht der Schaar verkettet:
Er zagte, wo sie all gerettet!  

[111]

Was thut's! Es sieht den reichen Erben
In ihm der Herrenbauer. Sein Werben
Behagt ihm drum. Er fragt sein Kind:
Wie sie dem Freier ist gesinnt?
Sie aber spricht mit scharfer Stimme,
Sie spricht mit halbverhaltnem Grimme:
Nein, solchen Feigling mag ich nicht,
Der, wo ihr all der Menschenpflicht
Geopfert habt, in träger Ruh
Dem grausen Unglück schaute zu.
Wer einzig pflegt den eignen Leib,
Gewinnt mich nimmermehr zum Weib!
Wie sollt er schützen, helfen, rathen?
Ich will den Mann von kühnen Thaten!  
Ihn mag ich nicht!   Der Bauer erschreckt
Bei solchem Wort, denn er entdeckt,
Wie traurig wahr der Ausspruch ist,
Auch sieht er ein zu gleicher Frist,
Wie sehr ihm selbst die Tochter gleicht,
Ihm, welcher nie vom Pfade weicht,
Ihm, welcher nie den Kopf gebrochen,
Wenn einmal er mit Kraft gesprochen.  
So schweigt er denn.   Doch Agnes drückt,
Als sie allein ihn hat, entzückt
Den starken Reiner an die Brust.  
O welches Meer von Lieb' und Lust!  

* * *

[113]

VIII.
Bauernstolz.

Durch's Fenster wirft der Sonnenschein
Die Morgengrüße hell hinein.
Er malt der Scheiben richt'ge Zahl
Auf Wand und Flur mit goldnem Strahl.
Lichtweißer, flock'ger Wolkenduft
Durchzieht die reine milde Luft,
Der Buchfink draus sucht alte Lieder
In seiner stummen Kehle wieder,
Es ist, als tönte Lerchensang
Das neuerweckte Thal entlang.
Da fühlet auch im Vogelbauer
Am Sims der Dompfaff Frühlingsschauer

[114]

Und pfeift sein Stück; es streckt zugleich
Süßduftig in der Stubenreich
Der Goldlack seine gelben Blüten,
Den auf der Fensterbank sie hüten.

Indessen sitzt der Alte dort
Im Lehnstuhl am gewohnten Ort
Und bläst aus seiner kurzen Pfeife
Nachsinnend Wolken bald, bald Reife.
Bald starrt er in die Luft hinaus,
Bald auf das Treiben vor dem Haus,
In Hof und Garten; dennoch sieht
Er nichts von allem, was geschieht.
Man schaut es Stirn und Augen an:
Es geht sein Geist auf andrer Bahn;
Man schaut, daß sämmtliche Gedanken
Sich fest um andre Dinge ranken.
Denn was sein Weib auch zu ihm spricht,
Er gibt die rechte Antwort nicht.  
Was kümmert's sie?   Sie sitzt und näht,
Und wenn sie aus dem Fenster späht,

[115]

Die Brille kneifend auf die Nase
Von grünlichem geschliffnem Glase,
Dann redet sie vom Frühjahr bald,
Von Weinberg, Wiese, Feld und Wald;
Bald auf die Frauen aus dem Ort,
Bald auf die Männer kommt ihr Wort;
Hochzeiten, Todesfälle, Taufen
Die werden im Gespräch durchlaufen;
Erblickt sie fern die Leute bauen,
Dann dünkt ihr seltsam das Vertrauen
Der Ueberschwemmten, die trotz der Wellen
Ihr Haus auf alte Plätze stellen.
Stiert auch der Hofherr, ohne Zaudern
Ertönt ihr Wort   sie muß ja plaudern.

Doch plötzlich bricht der Bauer aus:
Bei Gott, da steht mir Hof und Haus
Umringt mit Weinberg, Flur und Wiesen,
Von Eltern treu mir überwiesen,
Auf's Neu gebaut durch unsern Fleiß,
Endlos gemehrt durch unsern Schweiß!

[116]

Und doch ist mir die Lust vergällt
An Wohnung, Scheune, Stall und Feld!
Vergeblich sind gestreut die Saaten:
Franz ist und bleibet, ach, mißrathen!
Wie gern säh ich dies schöne Erbe
In guten Händen, wenn ich sterbe!
Er aber wird es schnöd verschwenden,
Elend und arm wird er verenden!
Ach, wie gewonnen, so zerronnen!  
Das trübt mir alle Lebenswonnen!

Du denkst des Kummers   also spricht
Die Frau   warum der Freude nicht?
Um Franz da sorgst du Tag und Nacht.
Den Aerger, den er dir gebracht,
Macht dich für Alles taub und blind.
Und ist nicht Agnes auch dein Kind?
Sie ist die Sanftmuth, Klugheit, Güte,
Klar an Vernunft, weich im Gemüthe.
Noch soll uns seit der Kindheit Tagen
Von ihr der erste Kummer plagen!  

[117]

Du redest da, ruft laut der Mann,
Was mir nur schlimm gefallen kann.
Bedenk', wie störrig sie sich nahm,
Als Philipp jüngst zur Werbung kam,
Sie wies ihn schnöde scharf zurück,
Und doch war es ein großes Glück.
Auch ist's mein heißer Wunsch gewesen,
Daß er zum Weib sie sich erlesen.
Wie herrlich wär's, sie säße drüben,
Und unser Franz   der führte hüben
Die Wirthschaft einst. Hier unser Namen!
Und auf dem Mönchhof unser Samen!
Ja, unsre Kinder wären Hüter
Weitum im Land der schönsten Güter!

Pah, Eitelkeit! spricht frank die Frau,
Betracht' ich mir das Ding genau,
So rechnest du dem Reichthum nach.
Mir aber dünkt es Sünd' und Schmach,
An Geld und Gut ein Kind verkaufen!
Was helfen uns Dukatenhaufen!

[118]

Ist rechte Liebe nicht dabei,
Dann hält sich Agnes besser frei.

Nun aber tobt der Herrenbauer:
Wie lang hat Weiberwahnsinn Dauer!
So alt und doch so unvernünftig!
Thorheit ist bei euch allen zünftig,
Ja freilich, stets ist der Besitz
Des Daseins Würze, Lust und Witz.

Was nahmst du mich dann? scherzt das Weib.
Ich hatte nur den schmucken Leib,
Das gute Herz. Bei meiner Seelen,
Laß wie wir selbst die Tochter wählen!

Ei, bricht er aus, ist das dein Ziel?
Jetzt merk' ich erst, welch kühnes Spiel
Du hier beginnst. Ich weiß es lange,
Hier ist ein heimlich Werk im Gange,

[119]

Das Mädchen liebt den fremden Knecht,
Und dir ist diese Liebe recht!

Und wär' es so, ist's eine Sünde?
Meint ernst die Frau. Sag deine Gründe!
Was fehlt dem Knecht zum besten Mann?
Sprich nur, wer bessern Dank gewann
In unserm Haus? Hat er das Leben
Nicht allen uns zurückgegeben?
Hat er des Kindes Ehre nicht
Gerettet durch ein streng Gericht
Mit jener Burschen frecher Rotte,
Die sie geschmäht in schnödem Spotte?
Und neulich bei der Wassersnoth,
Wer hat wie er getrotzt dem Tod,
Wie er geholfen und gerungen?
Wir sind zum tiefsten Dank gezwungen!
Zugleich that er den Dienst wie Keiner,
Sprich, wer ist besser denn wie Reiner?
Still, fleißig, rasch, uns treuergeben,
Erschien bis jetzt sein ganzes Streben.

[120]

Doch wie hat Philipp sich erwiesen,
Den du so endlos hast gepriesen?
Er konnte oft als Mann sich zeigen,
Und immer war er von den Feigen.
Seitdem will er in meinen Augen
Als Schwiegersohn mir nimmer taugen.
Sprach ich das Wort ihm im Beginn,
Führwahr, geändert ist mein Sinn.
Mit Recht muß Agnes ihn verschmähen
Und mag die Maid nach Reiner spähen,
Geb' ich dem Kinde wieder Recht.
Ja, Mann, ich spreche für den Knecht!

Und dennoch, spricht der Bauer in Wuth,
Hilft euch zu nichts der starre Muth.
Ich will hier Reiner nicht begeifern,
Denn er ist gut; doch muß ich eifern
Ob diesem blinden Eigensinn.
Ich sag's so lang ich lebend bin,
Freit um die Tochter nur ein Mann,
Der Hab und Gut aufweisen kann!

[121]

Als Bauer soll er seßhaft seyn!
Doch dringet mir ein Knecht herein,
Der lebet von der Hand zum Mund,
Dann schlag' ich immer grad und rund
Die Werbung ab. Das mögt ihr schreiben
Euch in's Gedächtniß! Länger bleiben
Kann Reiner auch nicht hier im Haus,
Er muß aus meinem Hof hinaus,
So tief ich ihn im Herzen trage,
So ungern ich ihm Abschied sage!
Doch wächst das Unheil jäh hervor,
Dann schließen wir ihm rasch das Thor!

So tobt noch lang und breit und heftig
Der Bauerstolz.   Da klopft es kräftig,
Gerhard der Schäfer tritt herein
Und stört des Herrenbauers Schrein.
Der Alte spricht mit schlichtem Wort:
Ich muß in meine Heimath fort,
Denn Botschaft hab' ich heut vernommen,
Ich soll zum kranken Bruder kommen!

[122]

So kann ich denn nicht länger weilen,
Der Weg ist wohl an fünfzig Meilen.
Doch ist es Zeit, daß unsre Heerde
In das Gebirg getrieben werde.
Die Schäferhütte dort ist fertig,
Der Schafe ist der Stall gewärtig.
Wenn ich nun in der Ferne bin,
Dann denk ich, ist's nach euerm Sinn,
Wenn Reiner dort der Heerde Hut,
Statt meiner übt; er hütet gut
Und wird euch sicher nichts verpassen.
Wollt ihr das Werk ihm überlassen,
So zeig' ich heut ihm die Reviere,
So übergeb' ich ihm die Thiere.

Der Antrag kommt dem herben Alten
Recht wie gerufen. Reiners Walten
Kann er vertraun. Auch hielt er gern
Ihn fürder von dem Hofe fern.
Und weil er sich nicht mag versünd'gen,
Dem treuen Knecht den Dienst zu künd'gen,

[123]

So willigt er mit Freuden ein.
Doch schon beim rothen Abendschein
Da wandern mit der Heerde beide
In das Gebirg zur Kräuterweide.
Der Alte zeiget das Gehege,
Die Heiden, Felder, Wälder, Wege,
Und scheidet gleich am nächsten Morgen.  
Reiner bleibt einsam dort geborgen.

* * *

[124]

IX.
Maiabend.

Der letzte Tag ist's im April.
Wie öd, verlassen, einsam, still
Hat Reiner oben Tag und Nacht
Im Waldgebirge zugebracht!
Er hat in langen stummen Wochen
Mit keinem Menschen schier gesprochen,
Als mit dem kleinen Hirtenknaben,
Der ihm, um seinen Leib zu laben,
Die Speise bringt. Phylax, der Hund,
Der treu ihm folget alle Stund,
Seit er das Thier entriß dem Rhein,
Und seine Heerde sind allein

[125]

Ihm Berggenossen. Jede Nacht
Hat er im Schäferhaus verbracht.
Am Tag zieht er entlang die Heide,
Den Wald, die Halde stets zur Weide
Inmitten hoher Felsenkegel,
Darüber ihre weißen Segel
Die Wolken spannen durch die Lüfte.  
Sonst sieht er nichts wie Bergesschlüfte.

Nur daß der Frühling Einzug hält,
Verklärt ihm seine stille Welt.
Ihm wird so seltsam schwül und eigen,
Als er ihn fühlt in's weite Schweigen
Der Berge wehn. Die warme Luft,
Der frischen Kräuter süßer Duft,
Der Amsel Lied aus heller Brust,
Das alles gibt ihm neue Lust.
Und als rings aus des Bodens Ritzen
Ausschießt der Halm mit grünen Spitzen,

[126]

Als sich des Walds blattlose Stecken
Mit Knospen schimmernd reich bedecken,
Als Blumen licht das Gras durchblühn,
Da fühlt er hoffnungsvolles Glühn.
Doch als er gar mit buntem Flügel
Den Schmetterling entlang die Hügel
Hinflattern sieht, als aus den Hallen
Des Forsts die wilden Nachtigallen
Gesänge heben, ach, da fehlt
Ein Herz, dem seinen gleich beseelt,
Um ihm von all der Wunderpracht,
Die so geheimnißvoll erwacht
In Heid' und Wald, ein Wort zu sagen.  
Er muß den Lenz allein ertragen!  
Und das ist schwer!   Drum starrt er oft,
Weil treu er liebt, weil fest er hofft,
Und schaut den leichten Wolken nach
Und lauscht dem rauschend wilden Bach
Und ruft den Wandervögeln zu,
Die all aus des Gebirges Ruh
Zum Thale lenken ihre Züge.  
Wie hebt sein Herz der Sehnsucht Flüge!  

[127]

Und wie er also heute steht,
Tief fern versunken, horch, da weht
Es wie von Stimmen aus dem Walde!
Er wendet sich, und längs der Halde
Sieht er von Leuten einen Zug.
Die lauten frohen Stimmen trug
Ein Hauch ihm zu.   Es kommt zugleich
Ein Mann durch's stille Bergbereich  
Der Schäfer ist's   Von Weitem schon
Ruft er ihm zu: Sieh da, mein Sohn,
Ich bin zurück! Du bist befreit!
Du hattest, glaub' ich, lange Zeit,
Dafür sollst du den Maitag Morgen
Auch feiern ohne Noth und Sorgen.
Das junge Volk zieht dort heran
Mit Axt und Beil. Auf, schließ dich an!
Den Maibaum holen sie im Wald.
Wie froh und leicht ihr Scherzen schallt!
Doch daß du keinen Mangel fühlst
Und die Begier in Freuden kühlst,
Die in der Einsamkeit dir wuchs,
Nimm diesen Beutel. Mancher Fuchs

[128]

Glänzt mit rothgoldnem Scheine drin.
Frisch zu! Die Maienkönigin
Erwirb damit! Es ist dein Lohn,
Daß du die Hut geübt, mein Sohn!

Zuerst verschmäht der Knecht das Gold,
Weil in des Herrenbauers Sold
Er hier gedient. Der Alte scherzt
Fort die Bedenken und beherzt
Treibt er ihn zu den muntern Jungen,
Die drüben frisch die Axt geschwungen
Am Buchstamm, während ihre Lieder
An harter Felswand klingen wieder.
Da macht sich Reiner denn im Lauf
Zu den Genossen rüstig auf,
Und bald schon zeigt sich freudig Regen,
Als sie ihn sehn. Ihm tönt entgegen
Ihr laut Gejauchz. Sie sind ihm gut
Seit Martinstag und Märzenflut.  

[129]

Und Reiner greifet wacker an:
Manch fester Axtschlag wird gethan
Von seiner Hand. Den Baum, den schlanken,
Sieht man bald hoch am Wipfel schwanken,
Die zähen Wurzeln geben nach
Und dann mit einem jähen Krach
Stürzt er zu Thal. Sie jubeln all
Aufschreiend bei der Buche Fall.
Daß sie als junge grüne Leiche
Vorzeitig fiel im Waldbereiche,
Daß an den glattgestreckten Zweigen
Die Blätter allzufrüh sich neigen,
Die in dem warmen Sommerleben
Dem Wild noch Schatten sollten geben,
Dem Vogel zu dem Nest den Raum,
Bedenken die Gesellen kaum.
Sie soll zum Freudenfeste dienen,
Drum lachen rings der Bursche Mienen,
Drum hauen sie nach altem Brauch
Die grünen Maien ab vom Strauch
Der niedern Holzung. Reuelos
Fällt hier der Schlag und dort der Stoß.  

[130]

So ist das erste Werk vollendet.
Es geht zum zweiten.   Kräftig wendet
Die ganze Schaar sich zu dem Baum,
Sie schleppen ihn zum Waldessaum
Mit Schulter, Hebebaum und Faust.
Hei wie die Arbeit fleckt! Es saust
So frisch und hell! Zum starken Wagen
Wird hunderthändig er getragen,
Die Maien werden aufgeladen,
Und dann wallt es auf steilen Pfaden,
Geführt von straffen kräft'gen Rossen,
Zu Thale keck und unverdrossen.
Es geht zum Dorf, wo hinter Hecken
Und Fenstern Mädchen sich verstecken,
Um nach dem bunten Zug zu schauen,
Der jauchzend kommt aus Wald und Auen
Und morgen für den Maientag
Ein fröhlich klingend Tanzgelag
Dem jungen rüst'gen Volk verspricht.  
Ei, pochen da die Herzen licht!  
Es dachte in der Zeit des Maien
So mancher Bursche schon an's Freien!  

[131]

Die jungen Bauern mit dem Baum,
Sie ziehen zu des Platzes Raum.
Es ist, wo drüben aus den Rüstern
Das alte Kirchlein mit den düstern
Und grauen Mauern friedlich steigt,
Indeß die Schenke hier sich zeigt
Mit lockend grünem Traubenschilde,
Mit Giebeln, welche das Gefilde
Weithin begrüßen. In die Mitte
Des Platzes lenken sie die Schritte.
Dort laden ab sie Stamm und Loden,
Dort graben tief sie in den Boden
Ein enges Loch und drin befesten
Sie rasch den Baum, daß mit den Aesten
Er in die Lüfte hoch sich hebt,
Als strotzte noch er frischbelebt
Vom Saft des Frühlings.   Eitle Lüge!  
Dann weben sie ein Kranzgefüge
Von Laub und Blumen um den Stamm,
Durchflochten glitzernd wundersam
Von buntem Band und goldnen Flittern,
Die leis im Frühlingswinde zittern,

[132]

Indessen rings die Kinder schwärmen,
Das Spiel nachahmend laut mit Lärmen.

Spät bis zum Abend währt der Fleiß,
Dann sind sie fertig, und im Kreis
Versammeln sie sich um den Baum,
Der stattlich überragt den Raum.  
Was gibt es nun?   Sie stehn befangen,
Hier glühn die Augen, dort die Wangen,
Der senkt zur Erde das Gesicht,
Der Andre hebt es frank in's Licht,
Und immer seltner wird das Wort,
Und immer stiller wird der Ort.
Dann ruft mit einmal rings der Chor:
Maischultheiß, tritt zum Werke vor!

Da stellt der älteste Junggesell
Des Dorfs auf einen Tisch sich schnell
Am Maibaum hin und ruft mit Macht:
Es wird hiermit bekannt gemacht  

[133]

Ihr mögt mir drum Gehör verleihen  
Daß nun beginnt das Fest des Maien!
Dazu bedarf man hier am Platz,
Ihr Bursche, einen Maienschatz,
Ein Mailieb, Mailehn, eine Maid,
Zu jubeln in der Maienzeit.
So wollen wir   hier gilt kein Weigern  
Des Dorfes Mädchen nun versteigern.
Die Namen nenn' ich laut und hell.
Was jeder bietet, sag' er schnell,
Und wer genannt den höchsten Satz,
Dem gilt die Maid als Maienschatz.
Sie ist bei Tanz und Spiel ihm grün,
Bis daß die dicken Bohnen blühn.
Was der Verding einträgt an Geld,
Dafür wird unser Fest bestellt:
Wein, Speise, Lichter, Musikanten.
Drum bietet gut, ihr muntern Fanten.
Auch ziemet, wie hier jeder weiß,
Dem Höchstgebot der höchste Preis,
Und wer es thut, der wird gekrönt:
Sein Jubelruf als König tönt.

[134]

Maikönig ist er stolz von Sinn
Und seine Maid Maikönigin.
Jetzt hört mir zu mit scharfem Ohr!
Wir nehmen den Verkauf nun vor!

Und wie des Dorfes Reihen stehn,
Hört man von Haus zu Haus ihn gehn,
Er nennt die alt' und jungen Mädchen,
Die Aennchen, Gretchen, Lischen, Käthchen,
Die Clärchen, Röschen und Marien.
Und frisch' und welke Blüthen ziehn,
Die Reich' und Arme sind willkommen,
Sie werden all in Kauf genommen,
Die schönen und die garst'gen Schätzchen
Sie finden allesammt ihr Plätzchen.
Das ist ein Lachen, Witzeln, Flüstern
So schallisch, neckisch, kühl und lüstern,
In hohen und in tiefen Noten  
Nur Reiner hat noch nicht geboten.

Nun geht es aus dem Dorf hinaus,
Dort liegt des Herrenbauers Haus,

[135]

Und Agnes kommt, sein Töchterlein,
Jetzt an die Reih.   Ein Purpurschein
Deckt plötzlich Reiners Angesicht,
Aufglühet seiner Augen Licht.
Die andern Bursche bieten schon,
Da ruft er rasch mit lautem Ton:
Im Beutel hier ist mein Gebot!
Und während er noch flammend loht,
Wirft er die Münzen auf den Tisch.
Der Schultheiß nimmt und zählt sie frisch
Und spricht: Das ist ja rothes Gold,
So viel wie niemals hier gerollt,
Es ist genug für uns zum Feste
Und auch für alle Ehrengäste.
Den Geber nehmt zum König hin
Und Agnes nehmt zur Königin!
Da klingt im Kreis es hunderttönig:
Heil, Reiner ist der Maienkönig!

Vom Abendlichte angehaucht,
Das nun im Westen untertaucht,

[136]

Glüht rings die Schaar, die Hüte schwenkend.
Und dann den Zug zum Dorfe lenkend,
Tönt fort ihr Ruf. Mit heißen Stirnen
Geht's vor die Wohnungen der Dirnen,
Und jeder wird ein Lied gesungen,
Das hell und weit in's Thal geklungen,
Den Wiederhall der Felsen weckend,
Die Antwort geben launig neckend.
Es ist schon sternhell lichte Nacht,
Als sie die Ständchen all gebracht
Im großen Dorf. Dann wogt's hinaus
Noch vor des Herrenbauers Haus,
Und dort erschallt das letzte Lied,
Dort scheiden sie, wo Reiner schied.
Und nochmals klingt es hunderttönig:
Heil Reiner, unserm Maienkönig!

* * *

[137]

X.
Die Maikönigin.

Das Festgeläut der Maienglocken
Weht durch ein Meer von Blüthenflocken,
Die rings auf allen Bäumen leuchten.
Es wehet durch die morgenfeuchten
Thaufrischen Halme auf dem Rasen,
Die sich vergolden und verglasen
Im Sonnenstrahl; es drängt sich her
Fort durch der Aehren grünes Meer,
Das der April dem Maien bringt,
Es tönt und klingt so leicht beschwingt
Fort nach dem Weinberg, nach der Halde
Und weiterhin zu Fels und Walde;

[138]

Weit in die Gegend weht's hinein
Entlang dem goldig grünen Rhein.
O wunderbares Festgeläute!
Es grüßt der schönste Maitag heute.

Und wie der weitgestreckte Plan
Glänzt festlich lichthell angethan
Das saubre Dorf. So blank und rein
Gehn rings die Pfade aus und ein,
Vor allen Thüren ist gekehrt,
Es ist gefegt an jedem Herd,
Geputzt sehn alle Häuser aus;
Als gält es Tauf- und Hochzeitschmaus,
So blinken rings die kleinen Zimmer,
So schaut mit frischem klarem Schimmer
All das Geräth. An mancher Thür
Drängt sich ein frischer Strauß herfür.
Und wo ein Mädchen wohnt, da reihen
Sich vor dem Hause grüne Maien,
Die dort in stiller Mitternacht
Verliebte Bursche hingebracht,

[139]

Damit die Dirne früh erblicke,
Wie Lenz so schöne Grüße schicke,
Wie süßre noch sich drin verstecken,
Die sie beim Feste wird entdecken.
Doch zwischen all dem Feierschmuck,
Erlöset von des Alltags Druck,
Ziehn Mädchen prall gesund von Gliedern
Mit bunten Röcken, knappen Miedern,
Gehn Bursche zierlich angethan.
Das junge Volk durchkreuzt die Bahn
Sich auf und ab. Die Aeltern stehen
Indeß an Thor und Haus und sehen
Der Jugend Treiben nach in Ruh:
So ging's auch einst bei ihnen zu.

Zur Morgenzeit ward nur geschaut,
Gelauscht, geflüstert. Doch wird's laut
Sobald der Mittag über ist.
Da hört man in gar kurzer Frist
Gesang, Aufjauchzen, Lachen, Schwatzen,
Quersprünge sieht man, man sieht Fratzen,

[140]

Und aus der Schenk zur grünen Traube
Erscheint, geschmückt mit Band und Laube,
Der jungen Bauern heller Schwarm,
Sie schlingen fröhlich Arm in Arm.
Voran dem Zug mit Flöt' und Geigen
Stapft hin der Musikanten Reigen,
Sie spielen scherzhaft lust'ge Weisen,
Es tönt in lauten und in leisen
Tanztrillern, daß von Kopf zu Zehen
Bewegungen fortzuckend gehen.
Und wie der Mädchen Herzen zittern,
Wenn fern die Töne hingewittern!
Doch horch, sie halten schon am Haus:
Jungfräulein komm heraus, heraus!
Auf rüste dir zum Tanz die Sohlen,
Dein Freier kommt dich abzuholen!
Sie bebt, sie zagt, sie folgt zuletzt.  
So strömt's von Thür zu Thüre jetzt,
Und wer sein Mailieb sich errungen,
Der hat um sie den Arm geschlungen,
Der löst sich von der Burschenschaar
Und macht mit seinem Schatz ein Paar.

[141]

Die Paare aber reihen sich
Zum bunten Zuge freudiglich.
So wird der Bursche Häuflein kleiner  
Zu Haupt vor allen schreitet Reiner.

Maikönig und Maikönigin
Vereinen sich zuletzt.   Nun hin
Zum Herrenhof!   Das Festgeleite,
Das herrlich an des Königs Seite
Hinwoget, ist jetzt stattlich voll.  
Jetzt bringt der Königin den Zoll!  
Hei, wie da erst die Töne springen,
Lustrufe hoch zur Luft sich schwingen,
Als sie in den besonnten Auen
Den alten Herrenhof erschauen!
Wie das von lichten Farben schwellt
Im bunten Zug durch's grüne Feld!
Und jubelnd halten sie am Haus:
Jungfräulein, komm heraus, heraus!
Agnes heraus mit hellem Sinn!
Heil unsrer Maienkönigin!  

[142]

Und sieh, das Mädchen tritt hervor!  
Ist es ein Purpurrosenflor,
Erblüht in warmer Sommernacht,
Der in das holde Dasein lacht?
Ist es das junge Morgenlicht,
Das auf dem Antlitz hell sich bricht?
O nein, das ist die süße Scham,
Die tief aus keuscher Seele kam,
Weil sie es nimmer fassen kann,
Daß solche Ehren sie gewann!
Es ist das Glück, das reich ihr blüht,
Es ist auch wohl, daß im Gemüth
Die Liebe stillverschleiert sitzt,
Was hell durch ihre Züge blitzt!  
Denn der ihr all die Ehre gibt,
Das ist der Jüngling, den sie liebt.  
O wenn im ganzen lichten Wesen,
So selig rein, so keusch erlesen,
Der Seele Wunderschätze funkeln
Wie Diamanten aus dem Dunkeln,
Was soll man da vom Leib noch sagen!
Mag sie auch schlank und leicht ihn tragen

[143]

Gleichwie ein schüchtern wildes Reh,
Glänzt auch wie frischgefallner Schnee
Ihr Hand und Nacken, fällt das Haar
Wie Seide weich und wunderbar,
Ist auch ihr Auge wie das Meer
So unergründlich räthselschwer,
Blüht auch der Mund gleich der Koralle,
Sind perlenweiß die Zähne alle,
Viel schöner ist's, was heimlich mild
Ihr durch die tiefe Seele schwillt,
Was Andre ahnen, doch nicht kennen  
Nur Reiner einzig kann es nennen.

Es trägt die schämig süße Maid
Ein einfach schlichtes weißes Kleid,
Der Stoff ist fein besetzt mit Spitzen,
Der Schnitt ist knapp, die Falten sitzen
So lang geworfen, und so kraus.
An ihrem Busen prangt ein Strauß,
Von Rosenknospen glänzt ein Kranz
Im blonden Haar   Welch schlichter Glanz!  

[144]

Wie wirkt er mächtig!   Also schreitet
Sie scheu hinab. Die Hand entgleitet
In Reiners Hand   sie drücken leise  
Die Augen grüßen stiller Weise.  
Auf's Neu durchklingt Musik die Lüfte,
Und durch der Felder süße Düfte
Wallt es aufs Neu dem Dorfe zu,
Das aus der kurz gegönnten Ruh
Zum höchsten Taumel jetzt erwacht:
Der Maizug steht in höchster Pracht!
Und zu der Aeltern frohem Kreise
Gesellen Kinder sich und Greise,
Nachforschend dem Gewirr der Klänge,
Nachschauend dem Gewog der Menge,
Die sich ergießet in den Raum,
Wo festlich ragt der Maienbaum,
Und dort beginnt im Sonnenglanz
Auf grünem Platz der muntre Tanz,
Der, wie die Töne lockend girren,
Hinwirbelt toll in buntem Wirren,
Indeß die Schwalben weite Bogen
Hinziehen auf der Lüfte Wogen.  

[145]

Es ist dieß Fest der Frühlingszeit
Dem frischen Jugendgeist geweiht,
Drum strahlt auch jegliches Gemüthe
Wie eine helle Frühlingsblüthe;
Wie Farbenglanz und Kräuterduft
Quillt Scherz und Jauchzen in die Luft;
Den Vögeln gleich in schwanken Zweigen,
So hüpfen sorglos sie den Reigen,
Und jeder pflegt besondrer Art.
Der Eine zeigt sich süß und zart,
Der Andre zeigt sich scheu verlegen,
Der Dritte stürmt so keck verwegen,
Der Vierte scheinet schalkhaft schlau,
Dem Fünften hält es gar genau,
Er wandert grad, gemessen, steif,
Der Sechste weiß sich altklug reif,
Der Siebente schlüpft leichtsinnig munter
Die Kreuz und Quer hinauf, hinunter.
Selbst Tanz und Wein, Gelag und Spiel
Am Wesen ändern sie nicht viel.
Da schaut man hier den kühnen Schwung
Und dort den tollen Narrensprung,

[146]

Hier zimpern sie bedächtig blöde,
Dort reißen sie sich wild und schnöde.
Doch Alles was im Strome schwimmt,
Das ist auf Jugendlust gestimmt:
Dem fröhlichen Moment ergeben
Treibt hin das frische frohe Leben.

Doch ernstern Pfad zieht tief und klar
Im Rausch des Tags ein einzig Paar.
Reiner und Agnes sind's. Wohl meiden
Der Freude Strömung nicht die Beiden,
Sie sind auf ihren hohen Wogen
Frisch selig auf- und abgeflogen,
Sie haben sich im Tanz entzückt
Oft freudig Brust an Brust gedrückt,
Doch sehn inzwischen im Geheimen
Sie oftmals nach den stillen Keimen,
Die treu sie für die Zukunft hegen,
Und die sie Herz in's Herz sich legen.

Dann sitzen sie fern abgeschieden
Vom Tanze dort im schatt'gen Frieden,

[147]

Hoch überdacht von jenen Rüstern
Am alten Kirchlein. Leise flüstern
Sie hier gerettet in den Port
Manch innig tiefes Liebeswort,
Indeß die Zweige oben rauschen.
O wie sie Furcht und Hoffnung tauschen!
Denn wahrlich gilt's noch viel zu kämpfen!
Viel bösen Muth noch gilt's zu dämpfen!
Vom Herrenbauer droht die Noth,
Denn Agnes kennt sein streng Gebot,
Sie kennt den Kopf, der sein Versprechen,
Und mag es beugen rings und brechen,
Hartnäckig hält. Und gibt er je
Sein Töchterlein dem Knecht zur Eh,
Der besser wie ein Edelmann
Sich dünkt in seines Hofes Bann?
Zähmt seinen Stolz der Herrenbauer?
Ach, diese Frage macht ihr Schauer!
Doch wie es ziemt dem starken Muth,
In Reiner schwillt mit lichter Glut
Die Hoffnung auf, denn sein Vertrauen
Darf er auf festen Willen bauen.

[148]

Er weiß: es hält ihn werth der Alte,
Denn oft hat er der Stirne Falte
Vor ihm geebnet, oftmals hat
Er ihm beim Werk vergnügt und satt
In's Aug gesehn. Die karge Hand
Hat er entgegen ihm gespannt:
Was nie er that den andern Knechten,
Das that er ihm. Und darum flechten
Sich Hoffnungen ihm reich durch's Herz.  
So tröstet er des Mädchens Schmerz.
Zu lichten ihre jungen Sorgen
Spricht er zuletzt: Ich trete Morgen
Zur Werbung vor den Vater hin,
Ich thu's mit frohem kühnem Sinn.
Ich trau der Kraft, ich trau dem Muth,
Ich fühl's, Glück auf, es geht uns gut!

So reden beide hier allein.
Indeß die Nacht, tief, klar und rein
Ringsum auf Dorf und Auen thaut,
Ward hier ein Liebesplan gebaut

[149]

Still, sicher, stark. Doch drüben klingt
Der Festlärm fort. Musik erschwingt
Den Ton, es drehn sich leichte Füße,
Die Lichter glühen, welche Grüße
Dort aus der Schenke Fenstern senden.
Wann soll die Feier denn sich enden?
Sie schließet erst um Mitternacht,
Dann wird der Kehraus frisch gemacht,
Dann ist am Ziel das Fest des Maien,
Und wieder sammeln sich die Reihen
Zum hellen Zug. Es gehn voran
Die Musikanten auf der Bahn,
Maikönig und Maikönigin
Bringt man zuerst zur Heimath hin.
Durch Dorf und Auen schrillt's hinaus
Dort zu des Herrenbauers Haus.
Und hoch   ruft's wieder hunderttönig  
Maikönigin und Maienkönig!

Dann geht der bunte Zug zurück
Mit Lust und Lied.   Sein einzig Glück

[150]

Küßt Reiner zu des Tages Schlusse
Mit einem langen, langen Kusse,
Als wollt' er so das Siegel drücken
Auf all sein seliges Entzücken.
O junge Herzen, treu erkoren,
Wohin nur habt ihr euch verloren?  
Die Erde war euch weit entschwunden!  
Ihr habt den Himmel schon empfunden!  

Nun treten sie durch Thür und Flur
Zur Stube ein. Der Vater nur
Sitzt dort beim kargen Lampenlicht.
Wie düster ist sein Angesicht!
In Falten liegt die Stirn ergossen,
Der Mund ist eng und scharf geschlossen.
So sieht man ferne Wetter drohen,
Wenn auch die Blitze noch nicht lohen.
Ihn grüßt das Paar   er grüßt nicht wieder  
Doch durch die starren Augenlider
Betrachtet er sie scharf und lang.
Die Tochter kennt den Blick und bang

[151]

Erzittert sie.   Mit kaltem Grimme
Erhebt der Herrenbauer die Stimme.

Da seid ihr endlich, höhnt er hin,
Maikönig und Maikönigin!
Ei, das ist ja ein neuer Brauch
Im Dorfe hier! Ich machte auch
Das Maifest mit in alten Zeiten
Mit allen seinen Herrlichkeiten,
Doch niemals war es Sitt' und Recht,
Daß sich ein Knecht so keck erfrecht,
Des Dienstherrn Tochter zu ersteigern!
Ich mochte heut mein Kind nicht weigern,
Um Lärm und Aufsehn zu vermeiden;
Doch werd' ich nimmer mich bescheiden
Und solchen Unfug übersehen.
Der Knecht soll zu den Mägden stehen
Und nicht zur Tochter seines Herren,
Und will der Knecht sich trotzig sperren
Und diese Regel überspringen,
Wohlan, dann bricht vor allen Dingen

[152]

Zusammen der Vertrag.   Entschieden
Ist zwischen uns!   Wir gehn in Frieden!  
Was Recht ist, halt ich stets für Recht,
Ich liebte, Reiner, dich als Knecht,
Du hast mit Klarheit, Fleiß und Kraft
In meinem Dienste stets geschafft,
Du hast bei mancher edeln That
Gezeigt dich von entschlossnem Rath
Als muthiger und starker Mann.
Ich sag es gern, mein Herz gewann
Dein frisch uneigennützig Thun.
Seit gestern hast du leider nun
Den Platz verkannt, auf dem du stehst.
Indem du andre Wege gehst,
Als die ich dulde, ist mein Haus
Geschlossen dir, du mußt hinaus!
So magst du für dein Bündel sorgen,
Von meinem Hofe ziehst du morgen.  
Was ich dir, Kind, zu sagen habe,
Sei dir gesagt als Morgengabe.
Heut Abend ist's zu spät!   Wir gehn
Zur Reise früh!   Auf Wiedersehn!  

[153]

Und beide winkt er spöttisch fort.  
Reiner hebt an.   Kein Wort, kein Wort!
So ruft der Alte donnernd laut.
Und wie ein wilder Löwe schaut
Er auf das Paar. Agnes zerfließt
In hellen Thränen. Bittend gießt
Ein Redestrom sich aus dem Munde.  
Es war so schmerzlich tiefe Kunde,
Die sich enthüllt.   Umsonst ist Alles!  
Vergebens klingt des süßen Schalles
Ureigner Fluß.   Ist wer empört,
Ach, dann mißachtend überhört
Er auch des Herzens klarste Stimme.  
Der Bauer ruft in hellem Grimme:
Hinweg, hinweg, das rührt mich nimmer!  
Und beide gehen aus dem Zimmer.

* * *

[154]

XI.
Der alte Schäfer.

Wie bang und öd dehnt sich die Nacht,
Die man in Pein und Zorn verbracht!
Wie wüst in fratzenhaften Bildern
All die Gedanken sich verwildern!
Ach, wie das wogt und wallt und schwirrt!
Ein heißes dumpfes Fieber wirrt
In Haupt und Adern rastlos hin,
Verdunkelnd düster Herz und Sinn!
So hat sie Reiner heut durchwühlt,
Er ist, damit das Feuer sich kühlt,
An's offne Fenster oft gesprungen,
Doch, ach, es ist ihm nicht gelungen

[155]

Trotz düftereichem nächt'gem Hauch,
Der rings aus Pflanze, Baum und Strauch
Arome stiehlt so frisch und köstlich.  
Gottlob, es dämmert endlich östlich.
Es hebt das Waldgebirg sich blau
In's Morgenroth, dort in der Au
Erklingen leise Vögelstimmen,
Sie grüßen schon des Lichtes Glimmen.  
Der Tag ist Trost.   Gelehnt am Fenster
Scheucht Reiner nun die Nachtgespenster.

Doch mit dem ersten Sonnenschein
Tritt schon der Herrenbauer ein
Und spricht zu ihm mit kaltem Ton:
Hier in dem Beutel ist dein Lohn.
Und nun leb' wohl und gute Reise!  
Und in derselben herben Weise,
Zu Erz erstarrt das Angesicht,
Im Auge Eis, das nimmer bricht,
Entfernt er sich, wie er gekommen,
Rasch, fest und still. Es hat beklommen

[156]

Und scheu ihn Reiner angehört,
Doch ist so tief sein Geist empört,
Daß er sich nicht drein finden kann,
Zu reden vor dem harten Mann.
Und als ihm endlich kommt das Wort,
Ist längst der Herrenbauer fort.

Zugleich tönt Lärm vom Hof empor,
Des Wagens Rasseln trifft sein Ohr.
Er schaut hinaus, und vor der Thür
Hält das Gespann. Dort tritt herfür
Der Herrenbauer zusammt dem Weib,
Und Agnes folgt geknickt am Leib,
Mit Augen rothgeweint, verwacht,
Mit Zügen, drauf des Schicksals Macht
So bitterböse Worte schrieb.
Ach Gott, des Vaters Wille trieb
Aus hellem Paradies das Paar,
Das leuchtend, glücklich, selig war,
Und schier für alle Zeit vereint
Sich wähnte.   Agnes schluchzt und weint  

[157]

Zum Fenster blicket sie verstohlen,
Wo Reiner stehet.   Gott befohlen!  
So seufzet sie mit raschem Gruß,
Denn daß sie sich beeilen muß,
Merkt man am Vater, welcher scharf
Manch tadelnd Wort in's Herz ihr warf.
Er hilft den Frauen auf den Wagen:
So eilt euch doch!   Die Worte jagen
Sich schnell bei ihm. Den Peitschenstock
Nimmt er zur Hand, besteigt den Bock,
Er ruft den Pferden zu   und munter
Und flott den Thalweg geht's hinunter.

Vom Fenster schauet Reiner nach.
O wie die Pein im Herzen stach!
Sein Athmen, Denken, Fühlen, Sein
Verläßt ihn mit der Maid.   Allein
Steht er und ringt umsonst die Hände:
Ach, ist es wirklich denn zu Ende?
Ist denn die Braut nicht zu erreichen?
Läßt sich der Vater nicht erweichen?

[158]

Hat nicht ein mild versöhnend Wort
Für ihn die Mutter?   Fort, ach fort!  
Die Rosse selbst, die er gepflegt
Und die sich stets so frisch geregt
An seiner Hand, sind im Complott
Und fahren schnell gleichwie im Spott
Ihm die Geliebte in's Gelände:  
Ach, ist es wirklich denn zu Ende?  

Er geht hinunter scheu verzagt,
In Stube, Küch' und Hofraum fragt
Er leis die Leute nach der Fahrt.
Doch war es nicht des Alten Art,
Von seinen Plänen viel zu plaudern,
Er handelt meistens ohne Zaudern,
Dazu geheim. Wohin er fährt
Und wann er wieder heimwärts kehrt,
Das Alles weiß nicht Knecht noch Magd,
So viel auch Reiner jeden fragt.  
Was ist zu thun? Er steigt zur Kammer
Und packt in thränenreichem Jammer

[159]

Sein Bündel. Ohne Abschied schleicht
Er durch das Haus und bald erreicht
Er das Gebirg: in seinen Schlüften
Will er sein Leid beim Schäfer lüften.

Schon ferne sieht ihn Gerhard nahn.
Was treibt dich schon so früh heran?
So ruft der Alte. Hei, wie geht
Es denn des Königs Majestät?
Was macht die süße Königin?  
Doch als er rasch den trüben Sinn
Auf Reiners ernstem Antlitz schaut,
Da ändert er den neckischen Laut:
Bei Gott, so spricht er, du hast Gram!
So rede doch, wie das dir kam?

Und achtsam lauscht er nun der Kunde,
Die stockend fließt aus Reiners Munde,
Weil er sie gibt mit Widerstreben.
Der Schäfer sieht die Lippen beben
Blaß zitternd, die sonst frisch und roth
Das Auge, das sonst hell geloht,

[160]

Sieht er erloschen, ohne Licht.
Und wie der Freund so trostlos spricht,
Gleichwie aus trüb gebrochnem Herzen,
Da fühlt der Alte tiefe Schmerzen
Mit Reiners blut'gen Liebeswunden;
Doch dem, der sie in bösen Stunden
Geschlagen hat, zürnt er voll Glut.
Der aufgeschürten Seele Wuth
Strömt über auf den Herrenbauer:
Sein Wort ist ein Gewitterschauer.

Dich kenn ich, ruft er, zähes Holz!
Das ist der rechte Bauernstolz,
So widerspenstisch, herb und hart,
So festgefahren und erstarrt,
Daß ihn kein Gott zerbrechen mag,
Und käm er mit dem jüngsten Tag!  
Was steckt dahinter?   Blöder Witz!  
Nur weiter Hof- und Landbesitz!  
Warst du ihm drum ein treuer Knecht
Und thatst die Arbeit schlecht und recht?

[161]

Hast du den Seinen drum ihr Leben
Bei jener Heimfahrt neu gegeben?
Und trotztest du nur drum dem Tod
Im Märzen bei der Wassernoth?
Erschienst du drum allzeit als Mann,
Damit er dich mit Fluch und Bann
So schmählich aus dem Dienste jagt?
Und alles, weil du es gewagt
Sein hübsches Töchterlein zu lieben?  
So haben sie es stets getrieben,
Die Seinesgleichen sind! Das hetzt
Und tobt und fluchet, schilt und wetzt
Die Zähne gleich! Nach Gut und Geld
Wird jedem nur der Platz bestellt.
Wie übermütig er sich hebt,
Ob er auch selbst am Boden klebt!
Als wenn der Mensch ein Mensch nicht wäre!  
Doch Gott gebührt allein die Ehre!

Das kann ich schwörend jetzt versprechen:
Ich will den freveln Muth ihm brechen!  

[162]

Du fragest: Wie?   In ihrer Kraft
Soll kennen er die Leidenschaft,
An die sein Herz nicht glaubt und denkt!
Die Tochter, die ihm Gott geschenkt
Aus ew'ger Güte mild und hold,
Hält er wie schnödes Gut und Gold;
Er meint nach Willkür und Vergnügen
So dürf' er über sie verfügen
Und über ihre Seele auch.
Das ist ja so der Reichen Brauch,
Gleichviel, ob sie auf Höfen wohnen,
Gleichviel, ob sie in Schlössern thronen,
Gleichviel, ob sie in Städten wandeln
Und Seide spinnen oder handeln.
Doch hat die Lieb ihr eigen Recht
Im freien Menschen, und der Knecht
Ist gleich dem Herrn vor ihrem Stuhle.
Wohlan, der Bauer geh' zur Schule,
Dies Recht zu lernen. Darum auf:
Laß deinem Herzen frohen Lauf!
Hier gilt es, daß ihr einig seid!
Und einig bist du mit der Maid!

[163]

Drum laß von Wirrsal dich nicht rühren!  
Du sollst die Tochter ihm entführen!

Du staunst und starrst?   die Augen irren?  
Du glaubst, ich wollte dich verwirren
Mit Teufelslist?   O nein, ich habe
Ein Recht an dich, ich alter Knabe.
Als ich zum ersten dich erschaut
Im Herrenhof, und als du laut
Erzählt dort deines Lebens Kunde,
Hört' ich durch dich zur selben Stunde
Von deinem Oheim, der vor Jahren
In's weite Leben ist gefahren.
Ich kannte ihn, wie ich dir sagte,
Ich wußte, was ihn ziellos jagte,
Ich wußte, daß er lebt zur Frist,
Wie lang er auch verschollen ist.
Doch mußt' ich von der Märe schweigen:
Mein tief Geheimniß blieb mein eigen.
So kam der Tag der Wassernoth,
Wo du vom unfehlbaren Tod

[164]

Trotz deiner eigenen Gefahr
Mich rettetest so wunderbar.
Da flog's mir durch die Sinne hell:
Ei, solchem tüchtigen Gesell
Gebührt ein besser schöner Loos,
Als daß er erst des Glückes Schooß,
Den wechselnden, sich suchen soll.
Und wie mir der Gedanke schwoll
Und wuchs zu einem hohen Strom,
Dacht' ich an deinen alten Ohm,
Ich dachte, kommt der Greis zum Sterben,
Nie trifft er einen bessern Erben.
Das war's, was mich von hinnen trieb,
Indeß der Heerde Hut dir blieb.
Den alten Mann gewann ich bald,
Er zog mit mir durch Au und Wald
Zum eichenreichen Heimathland,
Wo noch ihm wie vor Zeiten stand
Das eigne Haus, in dem dein Vater
Wirthschaftete als ems'ger Rather.

[165]

Der einst als Jüngling jenen Kreis
Verließ, er kehrte heim als Greis.
Sie staunten seiner wundervollen
Seltsamen Mär: der längst verschollen,
Der Bruder stand lebendig dort!
Hell klang zum Willkommgruß das Wort.
Das Auge flog in freud'gen Blicken,
Wer kann Geschwisterlieb' ersticken!
Sie brannte selbst noch freudig auf,
Als in der Reden ernstem Lauf
Der Aeltere sein Erb gefodert,
Kein grimmer Streit ist da entlodert.
Sie theilten friedlich ab das Gut.
Dein Vater hielt so scharf die Hut
Ob dem Besitzthum, daß sein Werth
Sich weit um's Doppelte gemehrt.
Was er so fleißig treu gewann,
Das blieb dem rüstig wackern Mann.
Für das ererbte Haus und Feld
Erhielt dein Oheim blankes Geld
Zugleich von ihm. So war es recht,
So sitzt im Hof dort eur Geschlecht.

[166]

Doch sollst du all die Münzen haben,
Kommt einst der Tod dem alten Knaben.
Dem Herrenbauer kannst du damit
Voll kühnem Trotz auf Schritt und Tritt
Die Spitze bieten, denn so reich
Wirst du wie er. Doch eh der Streich
Gefallen ist, eh du die Maid
Ihm weggeführt, eh er nicht Leid
Und Reu ob seinem Stolz gefühlt,
Eh nicht sein Hochmuth ist gekühlt,
Soll deinen Reichthum er nicht wissen.
Erst sei das harte Herz zerrissen!
Es lern' der Stolz die Demuth herbe!  
Willst du's, so bist du Gerhards Erbe?  

Und Reiner, dem der Dinge Gang
So seltsam unerklärlich klang,
Obwohl er der Erzählung Lauf
Nicht unterbrach, stutzt plötzlich auf.  
Gerhard? Gerhard? so ruft er laut,
Und wie er tief in's Antlitz schaut,

[167]

Dem alten Schäfer, rinnen dort
Die dicken hellen Thränen fort,
Und zitternd durch den feuchten Strom
Spricht jener: Ja, Gerhard, dein Ohm!
Uns knüpfet Heimath, Haus und Stand,
Uns knüpft mit seinem heil'gen Band
Das Blut zusammen   und noch mehr!
Als ich im Geiste trüb und schwer
Den Vaterhof verließ, da trug
Mich nicht zum wirren irren Flug
Die bunte Abenteuerlust.
Mir blutete in tiefster Brust
Das Herz. Das that dieselbe Maid,
Die wir geliebt zu gleicher Zeit  
Ich und dein Vater.   Mir ward klar,
Daß sie ihm mehr gewogen war
Wie mir. Ich suchte drum die Weite.  
Mein Bruder fand an ihrer Seite
Sein einzig Glück.   Was ich ertragen,
Ich kann den bittern Schmerz nicht sagen:
Es war, als wenn das Herz zerbricht.  
O gerne leistet' ich Verzicht

[168]

Drum auf des Erstgebornen Recht
Und hütete als Schäferknecht
Hier meine ganze Lebenszeit.
Die Jahre heilten mir das Leid,
Das einst so nagend mich zerfressen,
Es legte milderndes Vergessen
Sich um der Jugend trübe Tage,
Es schwieg im Geiste jede Klage,
Da hört' ich dich, und wundersam
War ich gerührt. Demselben Stamm
Entwuchsen wir. In deinen Zügen
Fand ich mit schmerzlichem Vergnügen
Die Züge deiner Mutter wieder.  
Wie du sah sie nachdenkend nieder
Mit tiefem Blick   so war der Mund
Beim Reden   also frisch gesund
Erklang ihr Lachen   ihre Hand
Hob sie gleich dir. Ihr Wesen fand
Ich in dem deinen, und durch's Herz
Schwoll alter nie gestorbner Schmerz.  
Jedoch ich schwieg.   Ich greiser Mann,
Der von dem Leben nichts gewann,

[169]

Was konnt' ich deiner Jugend sein?
Ich schwieg.   Du warst so gut und rein,
So fleißig, treu, und deine Brust
Flog von so frischer Jugendlust.
Mir wuchs so eigen das Gefühl
Für dich, und als du beim Gewühl
Den Wasserfluthen mich entrungen,
Da fühlt' ich mich an dich geschlungen,
Da kam in's Herz der rechte Ton:
Du warst mir wie ein lieber Sohn!

Mein Sohn, mein Sohn! Du weißt es nun.
Mich ließ es fürder nicht mehr ruhn.
Was lange Zeit ich nicht bedacht,
Das überkam mich jetzt mit Macht.
Das preisgegebne Aelterngut
Das ward aus deines Vaters Hut
Zurückverlangt. Wie Brüder haben
Wir uns getheilt die reichen Gaben.
Den einen Theil komm ich dir schenken,
Behalt' ihn als ein Angedenken,

[170]

Das für dein keusches edles Leben
Zum Lohn dein Ohm dir hat gegeben.
Ich weiß wie nützlich Reichthum ist,
Bleib ich auch alle Lebensfrist
Der schlichte Schäfer, der ich bin.  
Gott führe dich mit güt'gem Sinn!

So sprach der Alte. Thränen flossen
Ihm reichlich. An die Brust geschlossen
Hielt er den Neffen, der gerührt
Die tiefe Macht des Blutes spürt.
O wie verschollne Liebestreu
Und Dankbarkeit, die frisch und neu,
Das Herz durchdringt, zum Bund sich eint
Und warm wie Frühlingssonne scheint!
So saßen sie noch lang und lauschten
Den Reden, die sie sinnig tauschten,
Umsprungen wedelnd von dem Hunde,
Der zu verstehen schien die Kunde,
Indeß sich ringsum ruhig breiten
Des Waldgebirges Einsamkeiten.

* * *

[171]

XII.
Johannisnacht.

Es liegt ein Brunnen nah am Wege,
Wo das Gebirg anhebt. Die Stege
Gehn dort in Heid' und Wald hinauf,
Hier leiten sie den breitern Lauf
Thalauf- und abwärts. Buch' und Eiche
Erstrecken sich vom Forstbereiche
Hinab mit Strauchwerk untermischt.
Des Schattens Kühle dort erfrischt,
So wie des Quells krystallne Ader,
Die eingefügt in festen Quader
Aus hartem Felsenboden quillt
Und dann als Bächlein weiter schwillt

[172]

Mit sanftem Murmeln. Gerne ruht
Zur Ernte bei der Mittagsglut
Der Schnitter hier am Quell im Schatten,
Entflohn den sonnenheißen Matten.
Und aus dem Dorf in hellen Zügen
Erscheinen Abends, mit den Krügen
Und Eimern auf den schmucken Köpfen,
Die Mädchen, Wasser dran zu schöpfen;
Dann kommen auch die Bursche plaudern:
Bei Neckerein und Lachen zaudern
Sie oft, vergessend ihre Zeit.
Doch herrscht des Tages Einsamkeit,
Dann sieht man dort Waldvögel schwirren,
Man hört die Turteltaube girren:
Sie spielen unterm Schattendach
Der Menschen alte Spiele nach.

Heut brach der Abend längst herein,
Da harret Reiner ganz allein
Noch an der heimlich stillen Quelle
Und schauet in die halbe Helle

[173]

Der breiten sommerglühnden Lande,
Darüber von des Himmels Rande
Ein zuckend Licht noch oftmals webt,
Denn auf der höchsten Stufe steht
Der Tage Dauer, die versunken
Im Norden noch am Himmel funken
Entlang die Nacht. In lichtem Schein
Wallt stolz das Thal hinab der Rhein.
Ja selbst des Kornes hohe Felder,
Der Berge laubumwogte Wälder
Erglühn zuweilen wie von Glanz.
Glühwürmchen halten ihren Tanz
Längs Felderrain und Büschesaum.
Die Welt liegt wie in hellem Traum.
Dazwischen weht ein linder Hauch
Den Duft vom wilden Rosenstrauch,
Der dort am Hange süß erblüht.
Und über alles zuckt und sprüht
Das Scheidelied der Nachtigallen.  
O tausend Wunder blitzen, schallen
So durch die linde Sommernacht.  
Doch nichts von all der seltnen Pracht

[174]

Sieht Reiner rings.   Er lauscht   er schaut  
Es klopft das Herz ihm hörbar laut  
Und er, der niemals sonst erschreckt,
Fährt auf, wenn ihn ein Lärm erweckt,
Der in die nachtumhüllte Rast
Des sommerreichen Thals nicht paßt.

Horch auf, jetzt hört er Stimmen nahn!
Zum Brunnen nehmen sie die Bahn.
Er ist bestürzt und klettert schnell
Dort in das Buschwerk überm Quell.
Und näher treten zwei Gestalten,
Die heisre Zwiegesänge halten:
Aus wüsten Kehlen wüste Lieder;
Es tönen garst'ge Flüche wieder.
Reiner erkennt im trunknen Paar,
Daß es der rothe Philipp war
Und Franz, des Herrenbauers Sohn.
Wie reißet durch sein Herz der Ton
Mißklingend! Wie durchfährt es ihn,
Daß sie zum Herrenhofe ziehn!

[175]

Denn seit er dort verließ den Herd,
Und seit die Tochter heimgekehrt
Von ihrer Fahrt zu den Verwandten,
Wohin die Aeltern sie verbannten,
Um ihren Reiner zu vergessen,
Erschien der Rothe frech vermessen
Auf's Neu als Freier vor der Maid.
Drum schafft es Reiner tiefes Leid,
Als er die Stimmen der Gesellen
Fern nach dem Hofe hört vergellen.

Doch lange dauert nicht sein Schmerz;
Denn wieder rauscht's   und an sein Herz
Stürmt hin die seligste Gestalt.
Er preßt sie trunken mit Gewalt
An sich in ungestümer Lust:
Ihm lieget Agnes an der Brust.
Sie war es, die er hier erharrte,
Sie war's, um die er schier erstarrte,
Als er die Trunknen kommen sah,
Denn alle Hoffnung sank ihm da,

[176]

Sein Lieb zu schaun. Er glaubte schon
Sie vor den beiden heimgeflohn.
Doch war bereits sie auf dem Pfad
Und als die Wüsten kamen, trat
Sie seitwärts in des Saatfelds Wellen,
Verbergend sich vor den Gesellen.
Und als das Paar vorbeigebrüllt,
Da sprang sie leicht und mutherfüllt,
Gleichwie ein schlankes braunes Reh,
Zum Brunnen, wo in tiefem Weh
Reiner auf einsam stiller Wacht
Von ihr geträumt, an sie gedacht.

O selig süßer Augenblick,
Wenn sich ein bitterbös Geschick
Urplötzlich doch zum Guten wendet!
Wie schnell da Gram und Kummer endet,
Der herb die Seele hat gedrückt!
Wie schauet Aug' in Aug' entzückt!
Wie das sich Herz zu Herzen drängt,
Wie das nun Lipp' an Lippe hängt!  

[177]

Sie sahen sich so lange nicht.  
Die Maid hielt des Gehorsams Pflicht
Vom Hofe fern.   Er irrte weit
In des Gebirges Einsamkeit,
Die Nacht von Gerhard aufgenommen,
Von dem die Kunde auch gekommen,
Die hier zum Quell im nächt'gen Frieden
Die beiden Liebenden beschieden.

Sie sitzen still in's duft'ge Grün,
Indeß die Seelen beiden glühn.
Von ihrer Liebe reden sie:
Voll ist sie wie die Harmonie
Der weiten sommerschönen Welt,
Sie blitzet wie das Sternenzelt,
Das strahlenprächtig oben funkelt;
Doch, ach, sie ist auch tief umdunkelt
Gleichwie die Erde, die sich weit
Verhüllet in ihr Schattenkleid.
Und dennoch ist's, als wenn im Düstern
Viel tröstungsreiche Stimme flüstern:

[178]

Dort aus des Brunnens Sträuchen ruft
Der Sprosser schwungvoll in die Luft,
Aus hohem Kornfeld tönen leis
Traumlieder, die die Lerche weiß,
Es steigen rings in üpp'gem Strome
Der Kräuter mächtige Arome,
Rings reifet tausendfache Frucht.  
Da reden sie von ihrer Flucht  
Fern fort vom trauten Heimathherd,
Wo sich ein Vater zornig kehrt
Von treuen Herzen, deren Kraft
Verströmt in voller Leidenschaft.  
O Gott, die Fesseln müssen fallen!  
Hilf Himmel!   Fort, wir wollen wallen!  

Doch sieh, was zuckt im Grund empor?
Ist es ein leuchtend Meteor,
Das dort zu Boden sich gesenkt?  
Ein hellaufstrahlend Feuer lenkt
Den Blick der Liebenden zu Thal.
Ist es ein lichter Flammenstrahl

[179]

Als Zeichen von des Himmels Güte,
Daß ihrer Herzen süße Blüthe
Einst Früchte trägt?   Sie starren lang
Hin nach der Gluten stillem Gang.  
Beim Himmel, sieh!   Nun quillet auch
Dort eine Säul von braunem Rauch!  
Gott das ist Feuer!   Rothe Flammen!  
Am Herrenhofe schlägts zusammen!  

Und wilden Sprungs ist Reiner auf:
Agnes bleib hier!   In jähem Lauf
Stürmt er gradaus durch Klee und Korn.  
Und bald ertönt das Feuerhorn,
Im Dorfe schon die Glocken hämmern,
Indeß im gelben Glutendämmern
Das Thal aufloht. Die Leute laufen
Dem Hofe zu in hellen Haufen.
Mit Leitern kommen sie gezogen,
Mit Haken kommen sie geflogen,
Brandspritzen rollen auf den Wegen,
Es donnern von der Hufe Schlägen

[180]

Die harten Steine. Jeder Ort
Schickt eilig seine Helfer fort:
Das ist ein Strömen, Rennen, Suchen,
Das ist ein Schreien, Toben, Fluchen!
Und über alles ungeheuer
Erschallt es: Feuer, Feuer, Feuer!

Als Reiner anlangt auf der Stelle,
Brennt es entsetzlich furchtbar helle,
Es sprüht der ganze Bau von Flammen,
Sie flackern ob dem Stall zusammen,
Die Scheunen stehn in voller Glut.
Gleichwie ein Strom hinwälzt die Flut,
So wälzen sich die Feuerwogen
Entlang den Hof; und dumpf gezogen
Kommt aus dem Qualm der Ochsen Brüllen,
Das Schreckgewieher von Pferd und Füllen.  
Entsetzlich gellt's! Die armen Thiere
Sie wollen nicht aus dem Reviere
Der Ställe, droht auch sichrer Tod.
Und wird aus der gewalt'gen Noth

[181]

Ein Stück befreit, dann stürmt's hinaus
Und braust in's Feld in jähem Saus,
Die vollen Saaten niederstampfend
In wilder Angst, vom Schweiße dampfend.  
Es ist ein furchtbar gräßlich Bild,
Schlägt so der Brand die Flügel wild!

Sie mühn sich rings umher zu retten,
Es stellen sich in lange Ketten
Die Menschen hin, von Hand zu Hand
Entfliegt der Eimer. In den Brand
Klimmt auf der Wasserstrahlen Gischt,
Der sich mit schwarzem Rauche mischt.
Am Dache suchen sie mit Haken
Die knisternden Balken anzupacken,
Da sprühen auf aus Holz und Stroh
Die Funkengarben lichterloh.
Zu gute Nahrung hat das Feuer
Im Speicher und in Stall und Scheuer,
Und riesig wächst darum die Glut,
Ob jeder seine Pflicht auch thut.

[182]

Dabei liegt trocken rings das Land
Tief geht der Bäche Wasserstand  
Der Rhein ist weit   der starken Arme
Sind wenig nur   daß Gott erbarme!  
An Werkzeug fehlt es, um zu schaffen.
Man sieht die Hoffnung bald erschlaffen,
Vergebens müht sich das Gewimmel,
Thut nicht ein Wunder hier der Himmel.
Selbst Reiner ist vom Muth verlassen;
Hier nutzt es nicht mehr anzufassen!

Nur Eines gibt ihm guten Trost,
Wie wild das Element auch tost,
Gerettet ist der Herrenbauer
Mit seinem Weib. Ein freud'ger Schauer
Durchrieselt ihn. Doch steht der starke
Umsicht'ge Alte tief im Marke
Erschüttert vor ihm. Sein Gesicht
Ist blaß und starr das Augenlicht,
Als müßt' er den Verstand verlieren.
Der Frau verzerrte Züge stieren

[183]

Verwirrt in all den rothen Glanz,
Dann schreit sie plötzlich: Agnes! Franz!
Wie herzdurchbebend gellt der Ruf,
Der wilde Angst der Mutter schuf!
Das hat den Bauer aufgerüttelt,
Daß er sich wie ein Löwe schüttelt.
Rasch stürzt er nach dem glühen Haus,
Rasch in die Thür, der qualmig graus
Der Dampf entquillt.   Was hilft Besinnen?
Was Warnen?   Jählings ist er drinnen!  
Was kümmert ihn auch die Gefahr?  
Des Blutes Kraft ist wunderbar.
Der Selbstsucht gibt er jetzt kein Recht  
Der Vater denkt an sein Geschlecht!  

Und plötzlich herrschet ringsum Schweigen.
Die furchtdurchbebten Augen zeigen
All nach dem Haus. Den Athem halten
Sie ringsum bei der That des Alten.  
Dann aber ruft der Hirtenbube:
Vergeblich! dort aus Franzens Stube

[184]

Entstieg der erste Feuerfunken,
Mit Philipp kam er heim betrunken.
Die beiden rauchten um die Wette,
So sah ich poltern sie zu Bette.
Ich hielt beim kranken Ochsen Wacht.
Sie nahmen nicht das Feuer in Acht
Und sind verbrannt.   Tief packt das Wort.
Da sehen sie am Fenster dort,
Wo Agnes schlief, den Herrenbauer.  
Er wimmert   daß ein grauser Schauer
Die Menge faßt:   Sie sind verschwunden!  
Und Glut und Rauch hält ihn umwunden.  

Da fasset Reiner eine Leiter
Hinrennend, wo des Daches Scheiter
Verstreuen ihren Flammenregen.
Er setzt sie muthig und verwegen
An's Fenster an und gleich der Katze
Ist er mit einem kühnen Satze
Hinaufgesprungen.   Neue Stille!
Und neue Seufzer!   Welcher Wille!  

[185]

Wie ehern stark!   In Glut und Dampf
Taucht er hinein zu starkem Kampf!  
Leblos erstarrt sind rings die Schauer.  
Entsetzlicher Moment!   Die Dauer
Währt allzulang.   Ein Freudenschrei
Erklinget dann!   Der Männer zwei
Sieht man am glühnden Fenster wieder.  
Reiner steigt fest und sicher nieder,
So wie er ging, und hochgehalten
Trägt auf den Schultern er den Alten,
Dem oben Geist und Athem schwand.
Er bringt ihn glücklich aus dem Brand
Und legt mit ruhiger Geberde
Den Ohnmachtstarren auf die Erde.
Dann springt er fort mit rüst'gen Sohlen,
Agnes vom Brunnen heimzuholen.

Doch eine dichte Gruppe drängt
Zum Herrenbauer, der versengt
Am Boden liegt. Sie helfen dort:
Man öffnet ihm das Wamms sofort,

[186]

Man sprengt ihm Wasser in's Gesicht,
Wäscht ihn mit Wein und ruhet nicht,
Und herzzerschneidend tönt zugleich
Das Klaggeschrei der Frau, die bleich
Die Hände ringt. Sie wähnt am Grabe
Zu stehen aller ihrer Habe.
Ach Gott, die Kinder nahm der Tod,
Der nun den Gatten auch bedroht!  
Doch bald belohnen sich die Mühn:
Der Beistand all, das frische Grün,
Der Duft vom urgesunden Grunde,
Die kühle Luft, die schon die Kunde
Vom Morgen bringt, der durch das Thor
Des Ostens leuchtend strahlt empor,
Das alles thut getreu die Pflicht:
Der Bauer erschließt sein Augenlicht.
Zum Leben ist er neu erwacht,
Doch, ach! zu hören wie es kracht
Und stürzt und rings in Trümmern liegt.
Die Wuth des Feuers hat gesiegt:
Was er besaß von Stolz einst trunken,
Das liegt verödet und versunken.  

[187]

O welche trostlos wüste Schau
Trifft hier die Sonne, die ins Blau
Des morgenfrühen Aethers steigt!
Wo gestern Leben sich gezeigt,
Sieht sie des Brandes Asch' und Qualm,
Sie achtet kaum den hellen Psalm,
Den tausend Vogelstimmen bringen,
Die unverzagt ihr Loblied singen
Und unbekümmert um die Schmerzen,
Die scharf gepackt die Menschenherzen.  
O, was hat eine Nacht zertrümmert!  
Gott hat's gewollt.   Doch tief bekümmert,
Durchmessen trübverwachte Blicke
Die Werke eiserner Geschicke.
Daß Franz und Philipp in den Banden
Des Trunkes hier ihr Ende fanden,
Wird furchtbar klar: Verkohlte Knochen
Sie haben Wahrheit, ach! gesprochen.  
Und Agnes, ach! wo blieb die Reine?  
Vergebens sucht man ihr Gebeine.  

[188]

Da tönt ein neuer greller Ruf!
Ist's Leid, ist's Freude, was ihn schuf?
Er klingt von fern.   Jäh, wie der Wind,
Stürzt Agnes, das verlorne Kind,
Vom Felde her. Ihr folgen schnelle
Gerhard und Reiner.   An der Stelle
Des Unglücks schlägt's nun doch wie Lust
An jede gramerfüllte Brust.
Der Vater drückt sie an das Herz,
Die Mutter weint in tiefem Schmerz  
Agnes schluchzt auf.   O neu Erwarmen
In stürmisch seligem Umarmen!
O schmerzlich schönes Wiederfinden!  
Man glaubet, wie sie sich umwinden,
Sie wollen nimmermehr sich scheiden.
Der Liebe Lust gießt sich in's Leiden.
Der Sühne Thränen fließen leise.  
Und Alle weinen mit im Kreise.  

Da tritt der Schäfer ernsthaft vor,
Und heilig klingt sein Wort empor:

[189]

Ernst ist das Loos und tief das Leid,
Der Himmel sandte trübe Zeit.
Doch da er prüft mit herben Wehen,
So laßt uns in die Herzen gehen.
Fort Trotz und Stolz und böser Muth!
Dann wird die Zukunft freundlich gut.
Hier, Herrenbauer, steht der Mann,
Der jedes Recht an euch gewann.
Daß er euch wahrte Weib und Kind
Schlugt ihr hochmüthig in den Wind.
Heut hat er euch, dem mürben Alten,
Das Leben, wie einst mir erhalten.
Um eure Maid freit er auf's Neue,
Er hält im Unglück seine Treue.
Fürbittend steh' ich hier als Ohm  
Doch wie ichs bin, das wird im Strom
Der Tage klar   er hat Genügen
An Gold, den Hof euch neu zu fügen.
In dieser Tasche ist sein Gut.
Schlagt ein, dann endet alles gut!
Schlagt ein, hier darf kein Mißklang tönen.
Wir wollen herrlich uns versöhnen!  

[190]

Der Schäfer sprach so voll und gut,
Es wankt des Herrenbauers Muth;
Er ruft: Mir ist der Stolz gebrochen.
Wo Gott so laut und streng gesprochen,
Da beugt in Demuth sich mein Haupt!  
Die Thräne fließt   wer hats geglaubt!  
Dem harten Mann   er preßt den Knecht
An seine Brust   so war es recht  
Und weinend faßt er freundlich weich
Der Tochter Hand und fügt sie gleich
In Reiners Hand.   Der Mutter Segen
Gilt Beiden.   Frohe Wünsche regen
Sich rings im Kreise durch die Lüfte.  
So wachsen Rosen über Grüfte!

* * *

Doch als der Lenz aufs Neu die Flur
Des Thals beschritt, da war die Spur
Von Gram und Elend hold verwischt,
Grün lagen Feld und Wald erfrischt,

[191]

Und an der Stätte wo der Brand
So wüst und wild gelodert, stand
Ein neuer Herrenhof und sah
Mit blanken Giebeln fern und nah
Ins schöne Thal. Die Scheunen alle
Entwuchsen höher, in dem Stalle
Da brüllten größre Rinderschaaren,
Die Pferde, die dort standen, waren
Von strafferm Bau, denn Gerhards Geld
Hat alles herrlich hergestellt.
Der Alte sieht so fröhlich drein
Und neckt in muntern Plauderein
Sich mit dem mildern Herrenbauer
Und seinem Weib. Die tiefe Trauer
Von beiden scheinet längst gestillt.
Es ist als ob ein Segen quillt,
Auf alle von dem holden Kind,
Daß sie so freundlich froh gesinnt,
Abwechselnd auf den Armen tragen,
Recht wie ein Trost den alten Tagen.
Agnes' und Reiners ist der Knabe  
Er prägt als schöne Gottesgabe,

[192]

Ein Siegel auf den reinen Bund,
Der tief aus guter Seelen Grund
Gewachsen ist.   In Lust und Schmerzen
So prüften sich des Paares Herzen.
Sie schaffen fröhlich unverdrossen
Als holdvereinte Werkgenossen  
So leben sie dort in der Grüne.  
Und rings ist Segen, Lust und Sühne.

* * *


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