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In Dobok haben sie den Philipp Trauttmann festgehalten.
Baron Pista war in der hellen Mondnacht heimgeritten von Mohátsch. Er stand ganz unter dem Eindruck der Begegnung mit den schwäbischen Auswanderern und überdachte alles, was er gesehen. Diese bartlosen, biederen, starken Menschen, die so voller Zuversicht in eine neue Heimat zogen, die ihren Glauben mitbrachten und ihre Lieder, die frei sein wollten von aller Hörigkeit und keines Herrn Knechte, sie hatten ihm gefallen. Vielleicht fehlte diesem Lande nur ein solcher Bauernstand, um aufzublühen. Die Leibeigenen, die zur Arbeit geprügelt werden mußten, hatten ja doch kein Herz für diese Erde, die nicht ihnen gehörte und die sie kaum ernährte. Vielleicht hatten die Herren in Wien doch recht, vielleicht lag auf diesem Weg eine bessere Zukunft ... Der Kopf glühte dem jungen Mann, und er spornte seinen Fuchs zu immer rascherem Lauf. Am liebsten wäre er gleich zu seinem Vater nach St. Marton hinübergeritten, um ihn zu bekehren, aber er wollte doch zuerst der Mutter Bericht erstatten. In dem Zerfall des Hauses stand er unerschütterlich auf ihrer Seite. Aber konnte man ohne den Vater handeln? Er erwog es hundertfältig in dieser einsamen Nacht und fand keinen Ausweg.
Die Leute in Mohátsch berichteten dem alten Martonffy am nächsten Morgen, es wäre ein deutscher Bauer samt Familie da mit Wagen und Pferd, der die schwäbische Türkei suche. Er möchte mit jemandem reden, der sich dort auskenne und ihm die Wege weisen täte. Vor des Notarius Haus hatten sie den Mann fahren lassen, und da war er am rechten Ort, der Vetter Philipp. Schon die Begrüßung durch den Alten, dem er seinen Namen nannte und seinen Paß vorwies, tat ihm wohl. Und er ließ sich gern ausholen von ihm. Hatte er doch schon seit Wien kein Gespräch führen können mit einem verständigen Menschen. Es war ihm ein Trost, nach der langen Irrfahrt mit diesem gütigen Mann zu reden, der sogleich Rat wußte. Nach einer halben Stunde waren sie gute Freunde.
»Was braucht Er bis nach Fünfkirchen und gar bis nach Tevel zu fahren?« fragte Martonffy. »Ich weiß dem Vetter Philipp etwas Besseres in unserer Nähe.«
»Nein, nein«, wehrte dieser ab, »in die schwäbisch Terkei muß ich. Ich hab's ei'm hohe Herr in Wien versproche, daß ich dort hingeh'.«
»Lieber Vetter«, sagte Martonffy lächelnd, »was ist das, die schwäbische Türkei? Was stellt Er sich darunter vor? Wenn wir hier ein Schwabendorf ansiedeln, wo früher Türken waren, ist hier auch ein Teil der schwäbischen Türkei. Wir erweitern ihre Grenzen. Wollt Ihr nicht der erste sein in diesem neuen Dorf?«
Das gefiel dem Trauttmann. Und als Martonffy das merkte, fuhr er fort: Fahret einmal bis zum Kastell Dobok. Fragt dort nach dem jungen Baron Parkoczy Pista und sagt ihm, daß ich ihn untertänigst grüßen lasse. Redet mit ihm. Schaut Euch die Geschichte an. Gefällt es Euch nicht, dann fahr, in Gottes Namen weiter, wohin Ihr wollt. Es ist der gerade Weg, Ihr versäumt nichts. Aber ich glaube nicht, daß Ihr weiter fahrt.«
Und so war Philipp Trauttmann vor Sonnenuntergang nach Dobok gekommen. Der Braune lahmte schon seit einigen Tagen auf den Vorderbeinen, es ging nicht mehr recht mit ihm, er brauchte eine längere Rast, wenn er sich wieder erraffen sollte. Und die wollte Trauttmann ihm gewähren. Wie hatte der freundliche Alte in Mohaitsch gesagt?»Schaut Euch die Geschichte an.« Gut, schauen wir sie an; bleiben wir einmal da, bis der Braune wieder weiter kann.
Unter diesem Vorwand wurde die Rast beschlossen. Mit ihm wurden auch Frau Eva beschwichtigt und die Kinder, denn so wie sie zuerst auf das Banat eingeschworen waren, so lechzten sie jetzt nach dem Anblick der schwäbischen Türkei, die ihnen als ein Land der Verheißung erschien.
Der junge Baron Andor sah den seltsamen fremden Wagen, dem zwei hochaufgewachsene Knaben bewaffnet zur Seite gingen, zuerst; er ging ihm zu und rief die Leute an. So wurde er der Überbringer des Grußes an Pista. Wie eine Freudenbotschaft übernahm er diesen Gruß. »Ihr seid Schwaben? Ihr kommt zu uns?« fragte er lachend. Ja? ja? Schickt euch der Notär?«
»Freilich sin mer Schwowe, junger Herr«, sagte Trauttmann vorsichtig«, und mer solle in die schwowisch Terkei. Dort sin m'r hinb'schtellt. Aewer unser Brauner is krank, und do möchte mer do bei Ehne mol raschte, wann's verlabt ischt.«
»Rastet bei uns, liebe Leute«, sagte Baron Pista, der bald herbeigerufen war; »stellt eure müden Pferde in unsern Stall. Wenn der Notär Martonffy euch schickt, seid ihr unsere Gäste.«
Erst nach dieser ungewöhnlichen Begrüßung stieg Philipp Trauttmann von seinem Wagensitz herab und machte dem Herrn seinen Diener. Der Matz und seine zwei Ältesten standen ihm zur Seite, alle reichten sie ihm schon bis über die Schultern. Vier Männer! Und auch Frau Eva entstieg mit dem Ferdinand und der kleinen Trude der Arche Noah.
»Siwe (Sieben) ischt eine heilige Zahl«, sagte Trauttmann und stellte die Seinen lächelnd vor. Nenn der Herr Baron uns Herberg git, nehm' ich's mit einem Vergelt's Gott an.«
So war Philipp Trauttmann nach Dobok gekommen zu einer Rast, die sein Brauner nötig hatte. Und der Rappe machte sich auch nichts daraus, daß er wieder einmal in einem Stall schlief, in dem es nach Hafer roch.
Tagelang hatte Philipp Trauttmann teils allein, teils mit seinen Söhnen und dem jungen Herrn Andor die Gegend abgeschritten, die der Baron Pista ihm als die geeignetste bezeichnete zur Anlage einer Siedelung. Die jungen mit ihren Gewehren, der Vater mit einer Stichschaufel. Er grub da und dort und besah sich die Erde. Sie war braun, in der Tiefe schwarz. War sie hungrig nach guter Saat? War sie dankbar für den Schweiß der Menschen? Das wußte nur Gott ...
Sein Brauner war längst wieder in gutem Stand, er aber schwankte und zögerte. Sollte er bleiben? Sollte er weiterfahren? Ihm schien, als wäre kein rechter Ernst vorhanden auf Seite der Gutsbesitzer, denn die Baronin und ihr Ältester lockten wohl und machten Versprechungen, aber den Herrn des Ganzen bekam er nicht zu Gesicht. Wo ist seine Gestrengen? Er fragte, und man wich aus. Nur wenn er fest entschlossen wäre, zu bleiben, wollte ihn Baron Pista zu seinem Vater nach St. Marton geleiten. Sonst hätte es keinen Zweck.
Trauttmann war unentschlossen. Er hatte den Matz, der ein gewitzter Bursche war, auf Kundschaft ausgeschickt in die schwäbischen Gemeinden der weiteren Umgebung. Man mußte doch wissen, was die in zwanzig Jahren für Erfahrungen gemacht haben und was sie eigentlich betreiben. Hier sah er nichts als Korn, Kukuruz, Kürbisse, Paprika und Viehzucht der allerniedrigsten Art. Man kannte die Kartoffel nicht einmal dem Namen nach. Er sah keinen Weizen. Von keiner der besseren Feldfrüchte war auch nur der Same vorhanden. Kein Obstbaum weit und breit! Und keine Blume. Kein Singvogel. Holzäpfel und Holzbirnen gediehen am Waldesrand, doch niemand ahnte, daß man sie veredeln könne. Der Schlehdorn und die Hagebutte wucherten rings um die Eichen- und Akazienwälder, in denen die Bienen wild lebten. Schwarzbrot, geräuchertes Fleisch, Speck und Schafkäse waren die Hauptnahrungsmittel der Herrschaft. Dazu mochten im Winter auch Würste kommen und Wild. In elenden Hütten aber, die kaum aus der Erde herausragten, lebten ein paar hundert Leibeigene auf dem unendlichen Gebiet; außer ihrer Ernährung besaßen sie kaum noch Bedürfnisse. jeder der Hörigen hatte ein Stück Feld zugewiesen, das er für sich selbst bebauen durfte; wenn es aber Arbeit für die Herrschaft gab, ging diese vor. Das herrschaftliche Wild, das die Felder der Leibeigenen verwüstete, durfte nicht angerührt werden, der Besitz einer Waffe galt als Verbrechen. Welcher Religion diese Menschen zugehörten, war nicht zu erkennen, von einem Geistlichen sah man nichts. Die Herrschaft aber war fromm, sie fuhr am Sonntagmorgen nach Mohátsch zum katholischen Gottesdienst.
Und in dieser Umwelt sollte Philipp Trauttmann aus Bobenheim in der Rheinpfalz sich mit den Seinen niederlassen, hier sollte dieses deutsche Bauerngeschlecht fortan seine Heimat sehen? Nie mehr zurück ins alte deutsche Vaterland sollten die Kinder denken, sondern hier festwurzeln, hier bleiben für alle Zeit? Trauttmann und seine Eva verbrachten schlaflose Nächte. Sie belauerten einander und gestanden sich nicht, daß sie wachten. Und wenn es die Kinder nicht sahen, da ließ die Mutter wohl manche bittere Träne in ihren Schoß niederrieseln. Aber sie durfte dem Manne das Herz nicht schwer machen, sie mußte stärker sein als alle. Und so zeigte sie guten Mut.
Baron Pista war schon einmal bei seinem Vater gewesen. Und da er am Morgen hinkam, fand er ihn nicht unzugänglich, der Caraffa, den der Kuruzze sich mitgenommen, begrüßte den jungen Herrn freundlich, und Papa tobte nicht, als er von der Anwesenheit eines Kolonisten erfuhr. Ruhig hörte Parkoczy den Bericht des Sohnes an, und es schien Pista, als schäme er sich ein wenig seiner Lage. Er lebte da in einem verfallenen Herrenhaus und trank mit seinem Béres und ein paar alten Kuruzzen um die Wette. Die mollige Kumanin, die Katicza, bediente die Zecher und trank aus jedem Krug mit.
»Eine Probe wollt ihr mit einer Familie machen?« sagte er gereizt. »Macht sie! Aber ich muß meinen Zehent haben! Ganz frei gebe ich nicht eine Scholle her. Der zehnte Teil von allem, was geerntet wird, gehört dem Herrn.«
Vom dritten Jahr, Papa, nicht früher! Der Staat gibt sechs Jahre Steuerfreiheit.«
»Vom dritten Jahr? Hm. Was sagt Martonffy?«
»Der ist für sechs Jahre, Papa.«
»Alter Esel! Alter Esel!« rief Parkoczy. »Also gut, vom dritten Jahr.«
»Und wieviel Joch darf ich dem Bauer in sein Eigentum geben?«
»Eigentum? Pah, so viel er bearbeiten kann, gib ihm. Eigentum mit Zehent! Verstehst du? Das ist kein Eigentum.«
»Also kann Martonffy die Verschreibung machen?« fragte Pista. »Werden Sie das unterfertigen?«
»Schriftlich will der Bauer das haben? Dann werden wir ihn nie mehr los! Nein, nein.«
»Der Mann hat drei Söhne, Papa. Er kann es nicht anders machen. Er scheint nicht arm zu sein; er will überhaupt nach Tevel und ist kaum zu halten. Die Mama will aber, daß diese Probe gemacht werde. Sie hat es in Wien gelobt.«
»So gebt es ihm schriftlich«, sagte Parkozy rasch.
Das war mehr, als Baron Pista zu hoffen wagte. Die Mutter hatte also doch Macht über ihn, wenn er nüchtern war. Und als er zum Gehen anschickte, da sagte er ganz harmlos:«Die Mama läßt fragen, wann Sie wieder Hause kommen, Papa?«
»Ich« fragte er überrascht. Und beinahe gerührt fuhr er fort: »Sag‘ ehrlich, Pista, ist sie mir sehr böse?«
»Tief gekränkt ist sie. Ich glaub', sie weint oft.«
»Das tut mir leid ... Sag' ihr, der Wein ist schuld an allem. Ich muß trinken können, so viel als mir schmeckt. Und weißt du, ihr ekelt vor mir, wenn mir wohl ist ... Da hier sind meine alten Kuruzzen, wir trinken und reden von den Zeiten, wo wir das Haus Habsburg in Onod abgesetzt haben ... Die Mama aber ist jetzt auch schwarzgelb geworden wie die NagyméItoságos aszony (Exzellenzfrau). Ah, laßt mich allein.«
Noch zwei Tage hatte sich Trauttmann Bedenkzeit ausgebeten vom jungen Baron, der ihm mitteilte, daß sein Vater mit :allem einverstanden sei. Wo der Matz nur blieb? Er hatte ihm gesagt, eine Woche dürfe er ausbleiben, nicht länger. Und diese Woche war um. Sollte ihm begegnet sein? Es gab Wanderzigeuner und sonstiges Lumpenpack überall. In dem Urwald gegen Süden schien sogar irgendein Wilder zu hausen, ein Einsiedler oder ein anderes halb vertiertes Wesen. Es hatte sich jüngst geflüchtet bei der Annäherung Trauttmanns, und der junge Baron Andor glaubte auch, schon von ihm gehört zu haben. Diesen Jüngling gewann Trauttmann rasch lieb, er erzählte ihm unterwegs immer so viel Schönes von der Schwäbischen Türkei... Wo der Bauer den Matz eigentlich hingeschickt hatte, das wußte niemand. Es hieß, er sei um ein paar Hufeisen für den Bauern nach Mohátsch gewandert.
Endlich, am letzten Abend – morgen sollte die Entscheidung fallen – pochte es am Tor des Stallgebäudes, in dem die Familie untergebracht war. Der Ferdinand und die Trudel schliefen schon, aber die anderen saßen bei einem Fettlicht um den Tisch herum, und der Vater las aus der Lutherbibel vor, ihrem geliebten heiligen Buch, das sie glücklich bis hierher gerettet hatten vor allen Anfechtungen. Philipp Trauttmann suchte Rat und Stärkung darin vor der großen Entscheidung und konnte sie nicht finden.
Es klopfte noch einmal. Das war der Matz! Und der Vater ging selbst, ihm zu öffnen. Der rotbackige blonde Bursche kam staubbedeckt und übermüdet daher, in der Rechten hielt er einen dicken Knüppel, und auf dem Rücken hatte er einen gefüllten Leinensack. Als Matz auszog, war dieser Tornister von der Bas' Eva mit Brot und Speck und Käse gefüllt worden. Daß er jetzt noch voll war, darüber wunderte sich die Muhme. Hatte er ihnen was mitgebracht? Sie nahm die Bibel, steckte sie in ihr Bett und holte dem Matz etwas zu essen. Und die Buben freuten sich am meisten, daß er wieder hier war, ihr guter Kamerad.
Trauttmann aber sagte: »Na, Matzl, setz' dich halt. Werscht müd sei', gelt?«
»Es tut's«, sagte der. »Häb mich vererrt g'hat; beinoh hädd ich nimmei herg'funna.«
Er aß von dem freiherrlichen geräucherten Fleisch und leerte einen Krug Wasser, den der Peter ihm vom Brunnen geholt hatte, und Philipp Trauttmann sah ihm voll Behagen zu. Wenn er nur wieder da war, der Matz, seiner toten Schwester Sohn. Als Knecht ging er mit auf die Fahrt, weil er ein echtes Schwabenblut ist und ihn die Fremde lockte. Knecht? Er war eine Waise und mußte nach Landesbrauch in einem Dienst die Bauernwirtschaft erlernen. Erst wenn er mündig war, kriegte er sein Vermögen und konnte selber etwas anfangen. Das lag auf Zinsen in Bobenheim und wartete auf ihn. Und der Vetter Philipp nahm ihn gern ins Haus und setzte ihm einen kleinen Lohn aus. Der Knecht war ihm ein Sohn.
»Alsdann, wo wiarscht, Matz? Red‘!«
»Ah, des war gut, Bas'Ev'l, sagte der Matz und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Häb heunt no nix gessa g'hat.«
Er erhob Sich, holte seinen gefüllten Leinentornister und stellte ihn auf den Tisch.
»Alsdann, ich war bei de Schwobeleut in dera Terkei«, sagte er. «Bis uff Tevel bin ich niwer kumma, und in Murgau war ich, des im e Talkessel liegt, und wo lauter Evangelische wohne ... Sie sein wie dorthin verbannt. Die Katholische breite sich aus, habe Feld wie Mescht (Mist), die Evangelische hocke kloin beinanner und gehe zu de Herrschafte in Schnitt.«
Trauttmann und Frau Eva schauten sich an und sagten nichts.
»Es git viel Zank und Streit mit Grafe und Barone und Bischöfe in dera schwobisch' Terkei, äwer des macht nix, sage se, die Felder sein gut, und ihre Rechte, die wer'n se sich nit nemma losse. Sie bleiwe all' wo se sin.«
Jetzt öffnete er seinen Tornister und entleerte ihn auf dem Tisch. »Do guckt emol. Do sin die Probe aus dera Terkei.«
Da hatte er goldigen Weizen in großen, dicken Ähren, Korn und Gerste und Hafer, Bohnen und Erbsen und sonstige Feldfrüchte, von denen man hier, in Dobok, nicht einmal die Art zu kennen schien. Und war doch nur eine Tageswanderung entfernt von all diesem Segen! Dem Philipp Trauttmann lachte das Herz, wie er alles durch die Finger gleiten ließ. Der biedere alte Herr in Mohaitsch hatte wohl das richtige Wort gesagt: Die Grenzen der schwäbischen Mürkei lassen sich erweitern, jawohl! Was dort möglich ist, das muß auch hier möglich sein. Die Bas' Eva wog die Körnerfrüchte in der Hand und lachte ihren Mann an. Die Buben spielten auch die Sachverständigen, und es stellte sich allmählich eine fröhliche, freudige Stimmung ein, wie sie auf der ganzen langen Fahrt in die Fremde noch nicht dagewesen war. Der Matz erzählte und erzählte, er bestätigte alles, was der junge Baron Andor schon gesagt hatte, hundertfach. Ihm war manchen Tag, als sei er wieder daheim, am Rhein. Und dort, wo alles dem Prinzen Eugenius gehöre, da wäre es am schönsten gewesen, sagte er, da seien die Leute am besten daran. Dort möchte man sein. Die Welt hier schaue sich dagegen an wie eine Wüste.
»Matz«, sagte der Bauer aufgeräumt, »des sieht nar so aus. Guck der des Dobok in zehn Jahren an! 's Paradeis is überall. M'r muß es nar raus kratze aus'm Bode.«
Jetzt wußte die Bas' Eva, wieviel es bei ihrem Mann geschlagen hatte, und auch der Matz machte große Augen . . . Von morgen ab hatten sie also wieder eine Heimat. Und der Frau war es recht. Wenn man sich so nahe an einer deutschen Welt ein freies Heim schaffen und erarbeiten konnte, da durfte man nicht mehr zaghaft sein. Voll Liebe und Vertrauen sah sie zu ihrem Manne auf.
Der Matz ging, schön bedankt, zur Ruhe, und der Hannes und der Peter begleiteten ihn. Als sie draußen waren, lief Trauttmann ihnen nach mit der Frage: »Matz, Matz, du hoscht koin Kartoffel bei de Probe?« »Git's nit!« rief der Matz. »Die Leut' kenne koin Saame kriege im ganze Land.« Kopfschüttelnd trat der Bauer wieder zurück. Die Buben aber wurden nicht müde, Matz auszufragen, und er erzählte, bis ihm die Augen zufielen, von den fleißigen Schwoben in der Terkei. Der Peter und der Hanneß träumten von der neuen Heimat.
Zum erstenmal, seit sie hier waren, ging das Ehepaar Trauttmann fröhlich zu Bett; es war wie eine Erlösung über sie gekommen und bedurfte keiner Worte; alle Ungewißheit war weg. Sie umarmten einander so zärtlich wie ein Brautpaar in dieser Nacht und schliefen sorglos bis in den hellen Morgen.
Eine Wegstunde entfernt vom Kastell Dobok hatte Trauttmann seine Siedelung gewählt. Er forderte fünfzig Joch in sein Eigentum. Zweiunddreißig sollten Ackerland sein, zehn Joch Wiesen, acht Joch Wald. Und im übrigen sollte ein stattliches Weideland abgegrenzt werden für seinen Viehbestand. Noch zwei Pferde kaufte er; eine Kuh mußte in den Stall, ein paar Schweine und Schafe erstand er um billiges Geld. Und einen Sohn des Caraffa brauchte er auch für seinen Hof. Den Zehnt vom dritte Jahr ab wollte er auf sich nehmen, aber er bedang sich aus, ihn einst ablösen zu können. Und dafür wurde ein Betrag eingesetzt, den niemand als Preis für den ganzen Grund gegeben hätte. Anders unterschrieb der alte Baron nicht, denn er wollte diese Ablösung unmöglich machen. Trauttmann nahm es an.
Neues Leben war in die Bauersleute gekommen, seit sie auf eigenem Grund und Boden standen und dort eine Holzhütte aufrichteten. Der Baron Pista wollte ihnen von seinen Leibeigenen eine landesübliche Lehmhütte stampfen lassen, aber der Bauer und der Matz schnitzten kleine hölzerne Formen und richteten alles für ein besseres Werk. Sie fällten Bäume, sägten Bretter und bastelten auf vielfältige Weise; aus der Arche Noah kamen immer neue Werkzeuge und Geräte hervor, die sie brauchten. Und nach ein paar Tagen zog Trauttmann mit dem Matz und seinen zwei ältesten Buben zum nächsten Tümpel, dessen lehmiges Erdreich er schon untersucht hatte, und richteten da einen Ziegelschlag ein. Sie gruben das Ufergelände ab und stiegen in das sommerlich warme Wasser, bereiteten sich Standplätze, legten den Uferrand mit Brettern aus und bereiteten in den hergestellten Holzformen die ersten Ziegel. Eine Fuhre Spreu bekamen sie auf dem nächsten Tretplatz in den Kornfeldern der Herrschaft, und davon streute man reichlich in den Lehm hinein; sonst verband er sich nicht zu der festen Masse, zu dem Körper, den ein Ziegel haben muß.
Hei, wie sie sich alle freuten, als die ersten Ziegel in der Sonne lagen und trockneten. Wie sie stolz waren? Am nächsten Tage stand auch die Bas' Eva im Wasser; alle arbeiteten mit, es fand sich sogar für den Ferdinand und die kleine Trude Beschäftigung. Der Matz hatte kleine Stricke an den Ziegelformen angebracht, so daß man sie hinter sich herziehen konnte, wie einen Schlitten. Mit Jubel ergriffen die Kinder dieses Spielzeug und schleiften die frischen Ziegel über die Bretter hin bis zu dem Platz, wo der Matz sie in Reihen aufstellte. Ei, war das lustig. Sie arbeiteten auch mit! Und mit der Längsseite stellte der Matz die Ziegel gegen Süden, und die schon halbgetrockneten schichtete er locker übereinander, so daß die warme Luft sie von allen Seiten bestreichen konnte.
Zwei Wochen währte diese zigeunerische Tätigkeit, die sie alle mehr belustigte als plagte, und es lagen mehrere tausend Lehmziegel in der Sonne.
Die Eingeborenen bestaunten diese Leistung.
Wenn die Ziegel nur auch gebrannt wären! seufzte Trauttmann. Aber dazu fehlte es an allem. Einen Ziegelofen gab es wohl in Mohatsch und in Fünfkirchen, sagten die jungen Freiherren, aber auf der Pußta und in den Dörfern kenne man so etwas nicht. Und so mußte denn mit Lehmziegeln gebaut werden. Den Plan zum Hause hatte Trauttmann selbst gemacht, aber um einen gelernten Maurer und Zimmermann mußte der Matz zum Herrn Notär Martonffy nach Mohátsch reiten. Und dort fand sich ein deutscher Meister aus Steiermark. Er wollte in zwei Wochen kommen.
Das war gute Botschaft. Indessen trockneten die Ziegel gründlich aus und man konnte indessen an die Felder denken. Aus der Arche Noah holteTrauttmann zwei eiserne Pflugscharen und andere Eisenbestandteile heraus. Einen ganzen Pflug mitzunehmen, das war nicht möglich, aber die Seele desselben, die hatte er doppelt. Er sah nur Holzpflüge in diesem Lande. Damit wollte man diesen reschen ausgedörrten braunen Boden bearbeiten? Ein deutscher Pflug muß tiefer greifen. Und er schnitzte und sägte und bastelte wieder eine Woche mit dem Matz, bis zwei klobige Pflüge dastanden, in die die eisernen Schwerter gefügt wurden, die den Mutterleib der Erde tief aufreißen sollten, damit sie ihr Bestes hergeben konnte für die künftigen Saaten.
Und die ersten Furchen wurden gezogen. Vier Pferde waren eingespannt, der Vater führte den Pflug, der tief einschnitt, der Matz die Pferde. Und die beiden Buben liefen nebenher und schauten und lernten. Aus ihren Erdhöhlen kamen die Leibeigenen hervorgekrochen und beguckten den eisernen Pflug. Das gab es? Schon nach wenigen Tagen führte abwechselnd der Matz den Pflug und die Buben die Pferde. Es war Hochsommer und die Jammerernte der Herrschaft und der Leibeigenen schon eingebracht. Warum der Narr, der »Sváb«, jetzt ackere? fragten sie alle. Das täte man doch erst im Oktober, wenn man anbaue. Trauttmann aber ackerte in sechzehn Tagen seine zweiunddreißig Joch um und verbrannte auf Scheiterhaufen das Unkraut, das darauf gediehen war, bis auf die Wurzeln. Sein Gebiet lag dunkel da und einsam in einer unendlichen, von Disteln und wilden Wicken überwucherten Stoppelwüste. jeder Tropfen Regen, den Gott spendete, drang jetzt in dieses neue Ackerland.
Der deutsche Maurer aus Mohátsch war endlich auch gekommen, und nun warf sich alles mit ganzer Kraft auf den Hausbau. Trauttmann sah dem biederen Steirer scharf auf die Finger, er guckte ihm jeden Handgriff ab, den er tat, und mauerte nach drei Tagen auch mit. Das Haus wuchs rasch aus der Erde.
Indessen hatte sich etwas Seltsames begeben; der Matz, der immer der Munterste war im Hause, der oft nach des Tages Mühe die Sackpfeife spielte und alle ergötzte, er war krank geworden und konnte nicht sagen, was ihm fehlte. Er schlich dahin wie eine lahme Mücke und weinte oft in stillen Nächten, daß es unheimlich war, anzuhören. Die Bas' Evi hielt das eines Abends nicht mehr aus, sie ging zu ihm und fragte und bat, er möcht' ihr doch die Wahrheit sagen. Habe er 'was angestellt? Oder habe er sich verliebt in der schwäbischen Terkei? »Nein, nein.« Das Herz wollte ihm schier zerspringen, und er wußte doch nicht, warum. Ihm wäre nur manchmal, als müßt' er heim ... heim, heim ...
»Bua, du hascht dort nit Vater und Motter«, sagte die Base. »Du bischt doch bei uns wie's eign' Kind im Haus. Du werscht uns doch nit verlasse wolle? jetzt, in der dickschte Arweit?«
Der große neunzehnjährige Mensch wimmerte wie ein geschlagenes Tier. Er könne sich nicht helfen. Er glaube, er werde sterben daran.
Als die Frau das ihrem Mann, der auch wach geworden war, erzählte, da war er tief betroffen. Das sei eine schwere Krankheit, sagte er. Daran sterben viele deutsche Knaben in der Fremd' und beim Militari. Das größte Weh sei allemal das Heimweh ... Er habe auch schon so etwas gespürt auf der Fahrt von Wien da herunter, er wollte es nur nicht eingestehen. Er habe sich geschämt vor ihr und den Kindern. Sie möchte aber nur ruhig sein, er wisse ein Mittel und werde morgen mit dem Matz reden.
Und am nächsten Morgen, als der Maurer seine Arbeit wieder aufnahm, und der Matz trübselig mit ein paar Ziegeln heranschlich, da herrschte ihn Trauttmann an:
»Also was is, Matz! Ich brauch dich zu aner große Sach'. Willscht du uff Bobeheim gehe?« fragte er ihn plötzlich.
»Naa, naa, ich will nit. Ich konn nit. Loßt mich do ... » rief er abwehrend, sich schämend.
»Des hädd ich nit geglaabt von dir. Bischt ein undankbarer Strick.«
»Awer Vetter, Vetter ... » stotterte der Matz und sah dem Bauern sprachlos in das halb erzürnte, halb lächelnde Gesicht.
»Ich will, daß du haamgeischt und mei'm Bruder Ferdinand und allen Freunden vermeltscht, daß m'r glücklich an'komme sin. Awer die Hauptsach is, daß du uns Kartoffel bringscht. Was solle mer ohne Kartoffel mache? Mer wer‘n dernoo die ganz schwobisch Terkei mit Kartoffel versorge.«
Ja, Vetter, ja, das will ich täun!« jubelte der Matz. Ein' ganze Sack voll Kartoffel trag' ich uff mei'm Buckel von Bobeheim bis Dobok.
Trauttmann lächelte ihn befriedigt an. »jetzt schreibe m'r Auguscht«, sagte er. »Des sag ich d'r, Matz, daß du zum Anbaue im Oktober wieder do bischt.«
»Hunnertmol!« rief der Matz. »Hunnertmol!« und er war wie umgewandelt.
Abends setzte man sich in bewegter Abschiedsstimmung zusammen, und Trauttmann schrieb mit harten Fingern Briefe nach der Heimat: dem Bruder und den Schwiegereltern, die sein eigenes, und dem Waisenvater, der das Vermögen des Matz verwaltete, schrieb er. Die Frau Eva hatte auch hundert Wünsche, die in den Brief an ihre Eltern hineinkommen sollten. Den und jenen Gemüse- und Blumensamen wollte sie haben, das und jenes Lied hätte sie gerne besessen, um es ihre Kinder zu lehren. Ein Stück Linnen und ein Stück blaues Tuch auch wollte sie haben für ein Kleid, und – und – und –
»Und ein' Packesel, der des alles zwahunnert Meile schleppe kann!« warf der Mann spöttisch ein. »Gelt, Everl, gelt?«
»Ja so!« Sie schwieg beschämt. Die Kartoffeln waren freilich wichtiger, als ihre Wünsche. Und der arme Matz hatte zu schleppen genug.
Der Matz saß glücklich lächelnd da. Oh, er wollte alles bringen, sie soll ihm nur sagen, was sie haben will. Nichts wird ihm zu schwer sein.
Und mit dem Frühesten brach der Matz am nächsten Morgen. auf. »Tummel dich nit«, sagte der Vetter, der ihm ein paar Taler in den gefüllten Tornister gesteckt hatte, »sunscht kimmscht nit 'mol bis uff Wien.«
Die Hütte, in der sie jetzt hausten, bis der Bau fertig und das Haus trocken war, erschien der Frau Eva leer, seitdem der Matz fehlte. Das Gefühl, mit den Ihren allein zu sein in einer fremden Welt, es hatte vordem nie Raum in ihr; der muntere Jüngling, der sich ihnen freiwillig angeschlossen, bannte es. Er war ein Stück Heimat, das sie mitgenommen hatten. Jetzt war dieses abgefallen von ihnen, jetzt standen sie allein. Es packte sie mächtig. .. Sollte am Ende auch sie das Heimweh kriegen? Sie wehrte sich. Der Philipp hatte es überwunden; sie mußte es auch überwinden. An die Wiederkehr des Matz glaubte sie nicht. Sie wunderte sich nur, daß der Bauer daran glaubte, und daß er nicht auch merkte, wie allein sie jetzt waren.