Adam Müller-Guttenbrunn
Die schöne Lotti und andere Damen
Adam Müller-Guttenbrunn

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Sidonie

In den Wiener Musikvereinssälen gab man ein italienisches Kostümfest. Die beste Gesellschaft, der Adel des Geistes, der Geburt und des Geldes brach für eine Nacht den Bann einer nüchternen Gegenwart und hüllte sich in die blendende Gewandung vergangener Jahrhunderte. Man lustwandelte scherzend unter einem erträumten südlichen Himmelsstrich, Arm in Arm mit Laura und Petrarca, mit Tasso und Michelangelo. Die farbensatten Kostüme eines halben Jahrtausends brannten nebeneinander, und Männer, die in der Geschichte durch Jahrhunderte getrennt erscheinen, drückten sich hier als Zeitgenossen die Hände. Dazu ertönten Straußsche Melodien. Es war eben ein phantastisches Zauberfest, ein Mummenschanz der wunderlichsten Art: in seinem Wesen ein Unsinn, in seiner Erscheinung nicht ohne einen Beigeschmack von Genialität.

In der Mitte des großen Saales stand eine Gruppe von Herren in kleidsamen soldatischen Kostümen alter Zeiten. Dieselbe war soeben erst eingetreten und benahm sich sehr burschikos. Man sah es diesen Herren auf den ersten Blick an, daß sie von einem guten Abendessen kamen. Sie bildeten einen festgeschlossenen Kreis und musterten die bunte Gesellschaft. Wenn ein schönes Weib in ihre Nähe kam, gab es stets lautes, übermütiges Beifallsgemurmel und kecke Komplimente; war die Schöne ohne Herrenbegleitung, so nahm der ausgelassene Kreis sie in seine Mitte und überschüttete sie mit den zweifelhaftesten Artigkeiten. Die auf diese Art Attackierten waren bisher sämtlich so klug gewesen, standzuhalten und den Scherzen der Übermütigen nicht unfreundlich zu begegnen, ja es gab sogar Modedamen, die sich an diese vorlauten Gäste herandrängten, um mit ihnen anzubinden. Und das machte dieselben nur noch verwegener. Der Ausgelassenste unter ihnen war Graf Fedor, ein als verschwenderisch und abenteuerlustig bekannter polnischer Kavalier. Er hatte das Souper gegeben, von dem die ganze Gruppe gekommen, und zwar aus einem festlichen Anlaß: es war ihm nämlich bei einem stadtbekannten, überaus geriebenen Wucherer ein großartiger Pump gelungen.

Man kann sich die Wirkung vorstellen, die es auf den ganzen Kreis ausüben mußte, als Graf Fedor sich plötzlich von einem kugelrunden Orientalen angeblinzelt sah, der niemand anderer war als Jakob Stern, sein Pumpjude. Die große Heiterkeit, die das erregte, kam jedoch nicht ganz zum Durchbruch, denn Herr Jakob Stern war nicht allein. An seinem Arm hing ein üppiges, schönes junges Weib in einem prunkvollen Kostüm, das eine Vereinigung von venezianischem und altjüdischem Charakter war. »Sie ist die Schönste!« flüsterte hörbar die ganze Gruppe und aller Augen hingen an der berauschenden Erscheinung. Graf Fedor aber sagte ausgelassen: »Ich handle sie ihm ab!« und trat auf Stern zu.

»Bei der Harfe Davids,« hub er pathetisch an, »du führst die schönste Tochter Zions am Arme, doch wie ich dich kenne, großmütiger Jakob, leihst du auch diesen Schatz auf Zinsen. Sieh, wir alle verschreiben uns dir dafür mit Leib und Seele.«

Fedors Genossen lachten, Stern grinste halb geschmeichelt, halb verlegen, aber das schöne junge Weib an seiner Seite, das gesenkten Hauptes die frivolen Worte angehört, hob jetzt die langen Wimpern und aus dessen verschleierten dunklen Augen traf den Sprecher ein Blick funkelnden Zornes, der ihn verstummen machte. Und das Gelächter schwieg in der Runde, der Kreis, der sich geschlossen hatte, öffnete sich und ließ die stolze Erscheinung am Arm des runden Manichäers unbehelligt passieren.

»Teufel,« sprach ärgerlich Fedor, »war das eine Abfuhr!« Und seine Freunde verhöhnten ihn. Doch sie gestanden, daß auch sie sämtlich den gleichen, ihren Übermut lähmenden Eindruck von der Schönen empfangen hatten. Und das ärgerte sie jetzt, ihre Eitelkeit lehnte sich dagegen auf. Plötzlich schlug einer vor, die hoheitsvolle Hebräerin zu verfolgen. Das gefiel. Da rief Baron Hammerschlag: »Das ist nichts! Beauftragen wir einen von uns, z. B. Fedor, diese Königin ihres Geschlechtes noch in dieser Nacht zu erobern.«

Dieses tolle Wort zündete. und Fedor, dessen Nimbus als Frauenjäger durch die erhaltene Lektion einen empfindlichen Stoß erlitten hatte, zögerte keinen Augenblick, der allgemeinen Stimme zu folgen. Doch stellte er schließlich die Frage: »Was denkt ihr euch unter erobern? Ihr könnt doch unmöglich fordern, daß ich eine tief gekränkte, uns völlig fremde und gewiß nicht schutzlose Dame noch in dieser Nacht dazu bringe, mich zu heiraten. . . . .« Man lachte hell auf und er drehte unternehmend die Enden seines hübschen blonden Schnurrbartes. »Du mußt für morgen ein Rendezvous von ihr zugesagt erhalten!« rief einer. »Zu dem du einen von uns schickst!« ein anderer. Baron Hammerschlag formulierte endlich die »Order« für Fedor: »Wenn du morgen nicht ein Rendezvous von der Zürnenden erhältst, zahlst du zwanzig Flaschen Sekt. Dagegen zahlen wir dasselbe, wenn du dein Ziel erreichst.« Das wurde angenommen und Fedor verpflichtete sich, am nächsten Abend im Jockeyklub über den Erfolg seiner Mission zu berichten. Jetzt stürzte er sich in das Gewühl der bunten, farbenprächtigen Menge, um Herrn Jakob Stern und seine schöne Begleiterin zu suchen.

Jakob Stern war vor zehn Jahren aus Galizien nach Wien gekommen, um hier Geschäfte zu ordnen. Es lebte hier eine große Anzahl von Beamten und Offizieren, die einst in Galizien gewesen und an deren Kreditfähigkeit zu glauben er damals versucht worden war. Er glaubte gern, aber er forderte nun auch den Lohn für seine Güte. Das hielt ihn einige Wochen in Wien zurück, und da er seine kostbare Zeit nicht verlieren wollte, ließ er sich auch hier in Geschäfte ein. Doch hielt er auf kurze Termine. Er wollte nicht von Wien als Gläubiger kleiner Leute scheiden. Und klein waren die Leute, denen er seine Gulden gegen die Bagatelle von zehn bis zwanzig Kreuzer Zinsen per mese borgte. Jakob Sterns Kapitalien bewegten sich nur zwischen fünfhundert und tausend Prozent, aber im übrigen war er ein ehrlicher Mann. Auch gefiel es ihm in Wien so vortrefflich und er fand den Boden so ergiebig, daß er alsbald seine Familie hieher berief und sich fest niederließ. Er selbst kultivierte sich rasch, und auch die Seinen folgten dem guten Beispiel. Seine Söhne hießen Salomon, Ephraim und Nathan, und sie nannten sich Siegfried, Eberhard und Norbert. Zwei wurden früh seine Konkurrenten, der dritte fiel ab von seinem Volke, um eine blonde Christin heiraten zu können. Nur sein Liebling Sarah, die sich Sidonie nannte, war den Eltern bis heute treu geblieben.

Sidonie war herangewachsen in geistiger Dürftigkeit, ohne eigentliche Bildung; halb im Verborgenen hatte sie sich zu einer blendenden Schönheit entfaltet, und sie lechzte danach, sich geltend zu machen. Das wenige, das sie von der Welt zu sehen bekam, reichte hin, ihre Sehnsucht nach Glanz und Größe zu nähren, und ihr Bruder Norbert, der sich allen Bitten und Flüchen zum Trotz konfessionslos erklärt hatte, um seine Ziele zu erreichen, erschien ihr wie ein Held. Auch verkehrte sie heimlich mit dem Geächteten und seiner Frau. Und das hatte die größte Bedeutung für Sidonie. Sie kam dadurch allmählich zu freieren Lebensanschauungen, gute Bücher waren ihr zugänglich und dieselben erschlossen ihr eine neue Welt, sie wurde romantisch und dachte bald gering von den Geschäften ihres Vaters . . . . Eines Tages sah sie einen bildschönen, jungen Reiteroffizier, der schon einige Male da gewesen, in das Heiligtum ihres Vaters treten, und tiefes Mitleid befiel ihr Herz. Sie lauschte. Er war hart bedrängt. Er hatte Spielschulden zu decken, ehe er nach Bosnien ins Feld zog, doch er schilderte umsonst die glänzenden Verhältnisse seiner angesehenen Familie. Herr Stern blieb spröde. Er forderte eine Deckung von dem auf dem Kriegsfuß stehenden Offizier, die dieser bisher nicht beizubringen vermochte – die Unterschrift seines Vaters. Heute aber brachte er sie. Herr Stern starrte den jungen Mann einen Augenblick durchdringend an, doch als derselbe errötete und die Augen zu Boden schlug, wurde er sehr liebenswürdig und willfährig. »Versprechen Sie mir, Herr Stern,« sagte der Leutnant und hielt das Papier noch immer fest, »den Wechsel nicht zu begeben. Ich selbst will ihn aus Ihren Händen wieder haben.« Stern grinste lächelnd und erhöhte für dieses Verlangen seine Forderungen ins Maßlose. Sidonie riß unwillkürlich die Tür auf, als wollte sie den Jüngling warnen vor ihrem Vater. Dieser wies sie schroff hinaus. Ein ihrer Schönheit huldigender Blick traf den ihren, und sie ging. Ihr fünfzehnjähriges Herz entbrannte in so heftiger Liebe für den jungen Leichtsinnigen, daß sie eines Tages seinen Wechsel aus der Mappe ihres Vaters entwendete, um denselben heimlicherweise dem geliebten Manne zuzusenden. Herr Stern raste vor Schmerz über den rätselhaften Verlust, indes Sidonie das Papier auf ihrem Herzen trug und täglich in den Kriegsberichten nach dem Namen des Fernen spähte. Endlich fand sie ihn – doch der Träger des Namens war gefallen, war tot. Ein großer Schmerz überfiel sie, aber als derselbe überwunden war, da legte sie den einst entwendeten Wechsel ruhig wieder in die Mappe ihres Vaters. Die Ehre des Toten und die seiner Familie war ihr nichts. Mit dem Helden ihrer Träume starb auch ihr romantischer Edelmut.

Seit diesem Ereignis waren einige Jahre verflossen. Sidonie hatte bisher alle Heiratsprojekte ihres Vaters in entschiedenster Weise abgelehnt, und sie stand nun im Zenith ihrer Schönheit, denn sie zählte bereits zwanzig Jahre, und man weiß, daß jüdische Mädchenschönheit das zwanzigste Jahr nur selten überdauert. Ihre innere Welt war reiner geworden, Herz und Kopf hatten sich geklärt und mehr als je erfüllten ehrgeizige Träume ihr vereinsamtes Herz. Aber sie harrte vergeblich, der Held dieser Träume, das Ideal eines vornehmen Mannes, der bereit war, sie aus ihrem Nichts emporzutragen, wollte nicht auf dem Schauplatz erscheinen, ihrem ersten poetischen Herzensroman schien kein zweiter folgen zu wollen.

Endlich, endlich tauchte ein Mann in ihrem Gesichtskreise auf, der so recht ihren törichten Mädchenträumen entsprach. Es war ein hochgewachsener, blonder Pole, ein Kavalier, der einige Male bei ihrem Vater vorgesprochen hatte und auf ebenso plötzliche Weise wie ihr erstes Ideal ihr Herz gefangen nahm. All ihr Blut geriet in Wallung, wenn sie ihn sah, und ihre innere Stimme sprach: Der ist's! Auch war die Situation die frühere: dieser Mann brauchte Geld und sie horchte unbemerkt. Herr Stern machte Schwierigkeiten, aber schließlich gab er das Geld, und der Graf ging, um vielleicht nie wieder zu kommen. Diesen Gedanken ertrug Sidonie nicht, sie mußte ihn wiedersehen – er mußte sie sehen. Und sie zog das Faktotum ihres Vaters ins Vertrauen, einen Burschen, dessen Lebensaufgabe darin bestand, die Verhältnisse jener Bedrängten auszuspionieren, die Geld von Stern begehrten. So erfuhr sie denn von dem Fest und von der Absicht des Grafen, dasselbe zu besuchen . . .

Hochklopfenden Herzens betrat sie den Saal und ihre Augen spähten sogleich nach dem einen aus, um dessentwillen sie gekommen war. Aber es befiel sie gar bald die Angst, sie werde in dem bunten Gewühl untergehen und den Zweck ihres Kommens verfehlen. So flüchtete sie denn bald in eine der erhöhten Seitenlogen, um das Ganze übersehen zu können. Hier saß Sidonie neben ihrem Vater, anfangs die trunkenen Augen weidend an dem glänzenden Menschenschwarm, dann allmählich ermüdend und vereinsamend, den Torenstreich einsehend, den sie begangen. Was wollte sie hier? Unter tausend schöneren, glänzenderen Erscheinungen als sie wollte sie von ihm bemerkt werden, an dem ihr Verlangen hing, ohne daß er es ahnte. Und wo war er denn? Sie sah ihn nicht, und sie mußte selbst die Hoffnung aufgeben, ihn zu erkennen, wenn sie ihn kostümiert sah. Ihr Vater langweilte sich, und als er sah, daß auch sie unbefriedigt schien, da begann er von den unsinnigen Kosten dieses Abends zu reden und Sidonie zu schmähen, daß sie ihn zu solchen Ausgaben verleitet . . . Es war schon fast Mitternacht und Sidonie stand im Begriff, das Fest gänzlich enttäuscht zu verlassen. Da bemerkte sie, daß eine neue, gleichmäßig kostümierte Gruppe von Herren sich wie ein Keil in das Gewoge der Menge schob und bis in die Mitte des Saales vordrang. Wortlos nahm sie den Arm ihres Vaters und zog den Willenlosen mit sich hinab in den Saal. Eine günstige Strömung führte sie sogleich bis in die Mitte desselben, und – sie hatte sich nicht getäuscht. In dem Stimmengewirr schlug ein Ton an ihr Ohr, der ihr Herz erschauern machte. Das war seine Stimme und dort stand er! Sie wurde im ersten Augenblick sehr befangen, ja verwirrt. Aber sie gewann sogleich die Fassung, sich im stillen selbst töricht zu schelten. Er hatte sie ja nie gesehen und konnte keine Ahnung von ihren Empfindungen haben! Dieser Gedanke beruhigte sie, ermutigte sie, und fast unbewußt drängte sie ihren Vater mit sanfter Gewalt nach der Richtung, wo die Gruppe stand, zu welcher er gehörte. Sie wagte es kaum, ihn anzusehen. Erst als sie das beifällige Geflüster seiner Freunde hörte und die ihrer Schönheit huldigenden Bemerkungen derselben vernahm, fand sie ihren ganzen Mut. Und sie hatte ihn sehr nötig, denn schon stand der Graf vor ihr und hub zu sprechen an. Und wie seltsam, wie – ernüchternd, wie demütigend war das, was er sagte! Die Ironie, die Verachtung gegen ihren Vater und namentlich die Ungezogenheit gegen sie, die in jener Anrede zum Ausdruck kam, verletzten ihr Herz tief, sie empörten ihren Stolz. Schmerz und Zorn sprachen ans jenem flammenden Blick, der Fedor verstummen machte und dem beleidigten Mädchen den Kreis seiner Freunde ohne Widerstand öffnete.

Welch ein Erlebnis für ein von Illusionen trunkenes, von Ehrgeiz erfülltes Mädchenherz! Sie hätte aufschreien und das prunkvolle Gewand, das sie angetan, um ihm zu gefallen, von sich herunterreißen mögen, aber sie bewahrte ihre Haltung und schritt stolzer von dannen als sie gekommen war. Erst als sie sich verlor in der Menge und vor seinen und den Blicken seiner Freunde sicher war, knickte sie zusammen. Sie kam sich unendlich elend und verachtet, wie eine Ausgestoßene vor, und fest umschlang sie den Arm ihres Vaters. Aber als dieser nun zu sprechen begann und den Grafen einen »lustigen« großen Herrn nannte, der gern seinen Spott treibe mit ihm und seinem Volke, da wurde die Verschlingung ihres Armes loser, denn es dämmerte die Erkenntnis in ihr auf, daß sie nicht um ihret-, sondern um der Begleitung willen verletzt wurde, in der sie hier erschien. Sie schämte sich ihres Vaters. Und als derselbe augenzwinkernd fortfuhr, sie möge sich nicht kränken, denn dieser »Spaß« werde dem leichtsinnigen Grafen teuer zu stehen kommen, da hätte sie am liebsten den Arm, auf den sie den ihren stützte, von sich geschleudert, so tief war sie empört und gedemütigt. Sie begriff plötzlich alles und es fand sich keine Stimme mehr in ihrem Innern, die gegen den auftrat, der sie, ohne es zu ahnen, so tief verletzt hatte. Ein Gedanke beherrschte sie ganz: fort, fort aus diesem Saale, aus diesem Hause! Das ging indessen nicht so rasch, und sie war mit ihrem schwerfälligen Begleiter noch lange nicht am Ende des Saales angelangt, als Graf Fedor plötzlich an ihrer Seite erschien.

Sidonie sah ihn sprachlos, erbleichend an. Er war sehr ernst und wendete sich an Stern mit den Worten:

»Wollen Sie die Freundlichkeit haben, Herr Stern, mich der Dame vorzustellen?«

»Herr Graf,« sagte dieser betroffen, »das – das ist meine Tochter. Und Sidonie heißt sie.«

»Ich bitte Sie, mich vorzustellen«, sprach lächelnd Fedor.

Nun erst nannte Stern seiner Tochter den Namen des Grafen.

Sidonie erhob ihre dunklen Augen jetzt wie ein eingeschüchtertes, demütiges Kind zu dem Manne, den sie vorhin durch einen einzigen Blick in seine Schranken zurückgewiesen hatte. »Was kann er wollen?« fragte sie ihr banges Herz und ihre Augen fragten es den Grafen. Und Fedor, dem die Wandlung, die so plötzlich in ihrem Wesen vorgegangen schien, sehr wohl gefiel, ließ sie nicht lange im unklaren über den Zweck seines Erscheinens.

»Ich bin Ihnen nachgeeilt, mein Fräulein, weil ich mich schuldig fühle. Ich habe mich Ihnen gegenüber, um es mit einem sehr milden Worte zu bezeichnen, äußerst undelikat benommen und ich bitte Sie deshalb um Verzeihung.«

Sidonie sah ihn strahlenden Blickes an, aber sie sprach kein Wort.

»Der ganze Kreis,« fuhr der Graf fort, »in dem Sie mich sahen, ist heute etwas übermütig gestimmt, und da einige Damen unsere Ungezogenheiten mit Beifall, wie eine Art Maskenscherz, aufgenommen haben, so waren wir bereits verwöhnt, als Sie, mein Fräulein, erschienen; Ihre Lektion tat uns sehr wohl. Aber ich müßte es doch als eine allzu harte Strafe betrachten, wenn Sie mich nun noch länger nach Worten der Entschuldigung für einen unzarten Karnevalsscherz suchen ließen. Sprechen Sie das Wort der Vergebung!« schloß er und bot ihr die Hand.

Seine Worte waren so schlicht, der Ton derselben so warm und herzlich, und seine hellen Augen leuchteten so treuherzig, daß Sidonie alles vergaß und ihm lebhaft die Hand reichte.

»Sie handeln wie ein ritterlicher Mann,« sprach sie, »und ich nehme Ihre Entschuldigung mit um so größerer Genugtuung an, als ich dieselbe nicht erwartet habe.«

Er drückte die dargereichte Hand leise und entgegnete lächelnd:

»So schlimm dachten Sie von mir?«

Sie errötete. Daß sie ihn für zu stolz gehalten, ihr, der Tochter Jakob Sterns, seine Entschuldigung zu machen, durfte sie ja nicht sagen, und sie lispelte befangen:

»Allerdings.«

Er sah sie mit heiterer Miene, aber prüfenden Auges an, und sie erwiderte seinen forschenden Blick mit einem liebenswürdigen, ihr Wort vollständig entkräftenden Lächeln.

»Vielleicht haben Sie recht, mein Fräulein. Ich bin wirklich etwas schlimm geartet, und nicht alle Damen, die hier sind, hätte ich in dieser Form für einen Scherz um Entschuldigung gebeten. Auch ich leide an der modernen Unart, meine Ritterlichkeit gegenüber einer Dame immer nach dem Grade ihrer Anmut, ihrer Schönheit zu bemessen.«

»Ei, wie fein«, sagte Sidonie geschmeichelt, »wissen Sie Ihre Selbstanklage zu einem Kompliment zuzuspitzen. Nun würde es die Artigkeit erfordern, daß ich Sie gegen Sie selbst in Schutz nehme und Ihnen das Kompliment zurückgebe. Das tue ich aber nicht, denn Sie sind ein Schalk, und ich glaube Ihnen nichts.«

Herr Stern sah voll Erstaunen, wie seine Tochter mit dem Grafen eine Konversation führte, von der er nichts verstand. Und das schmeichelte ihm unendlich; so stolz war er nie auf seinen Liebling. Er fühlte, daß er höchst überflüssig sei und sprach kein Wort. Um keinen Preis der Welt hätte er stören mögen. Das würde den Grafen vielleicht daran erinnert haben, daß er wieder zu seiner Gesellschaft zurückkehren müsse. Und um das zu vermeiden, hätte er gern noch viel mehr getan als geschwiegen – er wäre am liebsten unauffällig verschwunden. Da kam als guter Engel ein Klient auf ihn zu, der ein Freund von Prolongationen war. Einen prächtigeren Vorwand zum Verschwinden hätte er sich nicht wünschen können. Stern ließ den Arm seiner Tochter aus dem seinen gleiten und streckte seinem erschrockenen Schuldner voll Freude die Hand entgegen. Sidonie war im eifrigsten Gespräch mit dem Grafen, als ihr Vater dies Manöver ausführte, und sie bemerkte es kaum. Erst als der Graf ihr mit Artigkeit seinen Arm bot, vermißte sie ihren Vater. Es standen bereits Menschen zwischen ihm und ihr und sie konnte nichts anderes tun, als sich dem Schutze Fedors anzuvertrauen. Als sie nun Arm in Arm mit dem Manne ihrer Sehnsucht dahinschritt, überkam sie ein Gefühl des Glücks, des Stolzes, wie sie es bis dahin noch nie empfunden hatte. Er fand sie unter Tausenden, es war in Erfüllung gegangen, was ihr törichtes Herz geträumt und ersehnt. Und doch, was sie so klug vorher berechnet und als ganz natürlich sich ausgedacht hatte, es mutete sie jetzt an wie ein Märchen, wie ein Wunder.

Sidonie und Graf Fedor saßen abseits, doch allen Augen sichtbar, im eifrigsten, lebhaftesten Gespräch beieinander. Die bunte Menge, das Fest, nichts schien für sie vorhanden zu sein, so sehr waren sie mit sich selbst beschäftigt, ein so tiefes Interesse schienen sie für einander gefaßt zu haben. Sidonies Geist sprühte und sie erstaunte oft über sich selbst, wenn sie sich sprechen hörte. Sie gebot heute über Talente und gesellige Gaben, von deren Besitz sie bislang keine Ahnung gehabt hatte.

Herr Stern betrachtete seine Tochter entzückt aus der Ferne und es schmeichelte ihm nicht wenig, sowohl von Herren als von Damen da und dort die Frage zu vernehmen, wer die interessante Eroberung des Grafen sei.

Die Freunde Fedors beschäftigte sich nicht weniger mit dem Paare als Herr Stern. Einige von ihnen fanden die Situation ganz erstaunlich, anderen, die auf Fedors Unwiderstehlichkeit schworen, kam dieselbe sehr natürlich vor. Alle waren jedoch darin einig, daß ihr Abgesandter die erhaltene Order ausführen und noch in dieser Nacht der stolzen Hebräerin das Rendezvous abringen werde. Der morgige Abend im Klub dürfte sich recht interessant gestalten, denn Fedor erzählte gut. Er weiß alles, was er erlebt, so geschickt zu gruppieren, daß es stets einem Roman gleich sieht und sich wie ein solcher anhört.

Graf Fedor wich nicht mehr von der Seite Sidonies. Herr Stern erschien zwar ab und zu, aber er verschwand immer wieder. Und so war es dem Weltmanne ein Leichtes, das Herz der Unerfahrenen, die wie ein voll aufgeblühtes Weib aussah und im Grunde ein törichtes junges Mädchen war, vollständig zu berücken. Er plauderte im Anfang über allgemeine Dinge und bestach mehr durch die Art, wie er Sidonie behandelte, als durch das, was er sagte. Erst nach dem Souper – er hatte sie auch zu Tisch geführt – als Herr Stern abermals verschwand und er mit ihr im Saal promenierte, begann er von dem Zufalle zu sprechen, der ihn in dieser tollen Nacht eine schöne Frauenseele finden ließ. Dabei fielen halbe Worte über seine gehobene Stimmung und seine rätselhaften, ihn berauschenden Empfindungen. Sie hielt das für eine unzweideutige Liebeserklärung und es dauerte nicht lange, so sagte das törichte Mädchen ihm ohne Rückhalt – daß es seine Gefühle teile, ja, daß es ihn seit dem Tage, da er zum erstenmal bei ihrem Vater erschien – liebe.

Als dies Wort fiel, erschrak Fedor. Es tat ihm beinahe leid, daß er da sein Spiel trieb.

Als Sidonie das große Wort ausgesprochen hatte, errötete sie tief und senkte das Haupt. Sie harrte auf seine Antwort. Hätte sie ihn angesehen im ersten Augenblick, sie würde dieselbe in seinen verlangenden Blicken, in seinem Lächeln gelesen haben. Aber das wagte sie nicht, sie war zu befangen und verschämt dazu. Und er sagte so lange nichts, er folterte sie und wartete, bis sie den Blick wieder zu ihm erhob. Dann sprach er leise:

»Sie machen mich glücklich durch dieses Geständnis.« Und seine Augen schwelgten im Anblick ihres blendenden Nackens.

Ob er ihre Gefühle erwidere, davon sagten seine ersten Worte nichts. Er erwog noch immer, wie er es anfassen solle, zu dem gewünschten Ziele zu gelangen. Die hingebungsvolle Weichheit ihres Wesens, die jetzt noch mehr als vorher zum Durchbruch kam, berauschte ihn plötzlich, und er wagte es!

Gedämpft, weich, in süßen Schmeichelworten sprach er nun zu ihr. Ihre Wangen glühten tiefer und sie schloß die Augen von Zeit zu Zeit, als wolle sie jede äußere Ablenkung von dem, was sie bewegte, fernhalten und nur auf das hören, was er sprach. Allmählich veränderte sich der Ausdruck ihrer Züge und plötzlich entfaltete sie ihren Fächer und hielt ihn vor das Gesicht. Eine Träne rieselte unter Sidonies festgeschlossenem Augenlid hervor und sie wollte sich rasch von dem Grafen entfernen. Doch mit einem einzigen, in weichem, flehendem Ton gesprochenen Wort hielt er sie zurück:

»Sidonie!«

Sie sah ihn mit feuchten Augen, prüfend, zweifelnd, vorwurfsvoll an.

»Hätte ich ahnen können,« sagte er, »daß meine Worte Sie verletzen würden! Aber ich liebe Sie und kenne Sie kaum. Und dies Glück kam so plötzlich. Nur der Gedanke, ich könnte Sie wieder verlieren, ließ mich so weit gehen. Vergeben Sie es mir. Wir werden uns also nicht sehen. Ich werde meinem Herzen Schweigen gebieten und es dem Zufall überlassen, ob wir uns je wieder begegnen. Er war uns heute günstig, hoffen wir, daß er uns auch künftig hold ist. Und jetzt kein Wort mehr von meinem vermessenen Vorschlag.«

Und leise, zärtlich schloß er:

»Bist du mir nun wieder gut, Sidonie?«

Sie lächelte ihn strahlend an und ihr Arm schmiegte sich wieder vertrauensvoll an den seinen, doch ehe sie noch ein Wort erwidern konnte, stand ihr Vater vor ihr und mahnte zum Aufbruch. Er hatte sie beobachtet und das Benehmen der Beiden kam ihm nicht recht geheuer vor. Er wußte wohl die Ehre zu würdigen, seine Tochter von einem Grafen eine halbe Nacht amüsiert zu sehen, aber mit dieser Ehre war er vollkommen zufrieden. Nach einem Mehr von gräflicher Herablassung gelüstete es ihn durchaus nicht. Dazu war er nicht eitel und gebildet genug. Übrigens war es auch schon spät und Sidonie bemerkte erst jetzt, daß der Saal sich schon fast geleert hatte. Sie reichte dem Grafen zum Abschied die Hand und er führte sie galant an seine Lippen. Die törichte Hand! Sie erbebte unter dem unerwarteten Kusse. Sidonie wandte sich rasch zu ihrem Vater und verließ mit ihm den Saal.

Fedor stand in der Mitte des Saales und drehte ärgerlich die Enden seines hübschen, blonden Schnurrbartes. Er schien bis zum allerletzten Augenblick die Hoffnung nicht aufgegeben zu haben, und nun war sie ihm doch entflohen. Und sie war gegangen, ohne sich auch nur ein einziges Mal nach ihm umgesehen zu haben. Aber war sie denn wirklich schon fort? Raschen Schrittes folgte er den Beiden und in den Garderoberäumen traf er sie wieder. Sidonie stand vor einem Spiegel und hüllte ihr Haupt in ein kostbares Spitzentuch, während ihr Vater den zudringlichen Mann abwehrte, der ihm mit Gewalt behilflich sein wollte beim Anlegen seines Pelzes. Als er den Grafen sah, ließ er sichs ruhig gefallen und verabschiedete sich nochmals recht laut von demselben. Dann suchte er recht lange in seinem Portemonnaie nach kleinem Geld – es war umsonst, er fand keine Münze, die so klein war, daß er sie hätte verschenken mögen. Unterdessen war der Graf rasch zu Sidonie getreten. Sie reichte ihm nochmals die Hand und er küßte sie wieder. Keines von ihnen sprach ein Wort, aber während seine Lippen ihre Hand berührten, wechselten sie einen langen, inhaltsvollen Blick. Langsam stieg eine dunkle Röte in Sidoniens Gesicht empor, und – sie neigte bejahend das Haupt. Fedor bezeugte durch einen leisen Druck ihrer zitternden Hand, daß er sie verstanden, und sie erwiderte auch diesen Druck. Dann sagten sie sich einfach: »Gute Nacht – –«

Als Graf Fedor am nächsten Abend im Jockeyklub erschien, bestürmte man ihn mit Fragen und beglückwünschte ihn zu dem unzweifelhaften Sieg, er aber erklärte zum Erstaunen aller seine Mission für gescheitert und zahlte die zwanzig Flaschen Sekt . . .


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