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Der Christof war in den großen Sommervakanzen wieder heimgekommen zur Großmutter und zu den Rahmstrudeln der Bas' Anmerich. Schon ein langer Bub, der im Herbst auf die Lateinische Schule kam. Und er war nicht wenig stolz darauf. Sein einstiger Lehrer Theiß hatte ihn beständig an seiner Seite, freute sich seines guten Zeugnisses und wollte hundert Dinge von ihm wissen über das Temeschwarer Schulwesen, die Schulbücher, die in Verwendung waren, und die dortigen Lehrer. Die Schulbücher nahm er, da sie der Christof nicht mehr benötigte, ganz an sich. Sie stammten aus Wien, waren zum größten Teil in Deutschland gedruckt, und die Lesebücher enthielten einen ganzen Blütenstrauß aus dem Garten deutscher Dichtung. Theiß wollte das alles studieren, denn das Anschaffen der Klassiker erschien ihm doch zu kostspielig. Und er fand auch eine ungarische Sprachlehre unter diesen Büchern. Das war ihm recht, denn er hatte noch keine gesehen; es hieß aber, dass man künftig auch in den deutschen Dorfschulen die Anfangsgründe des Madjarischen werde unterrichten müssen. Der Christof war damit schon vertraut, er lehrte seinen Lehrer manches schwierige Wort aussprechen.
Auch beim Herrn Dechant und bei seiner Godl, der Wirtschafterin Rosina, war der Christof gut aufgenommen. Da er sozusagen das Patenkind des Pfarrhauses war, durfte er jeden Sonntag zum Mittagstisch erscheinen. Der Herr Dechant lud ihn ein. Es war dem Christof nicht ganz recht, er aß lieber bei der Bas' Anmerich und ihren Buben; aber es gab ihm doch ein gewisses Ansehen, dass er nach dem Hochamt immer vor allen Leuten als Gast in den Pfarrhof hinüber ging. Oft mit dem Kaplan, manchmal auch mit dem Herrn Dechant selber. Es lag, wie es den Leuten schien, eine Absicht in dieser Auszeichnung des Buben, denn der Dechant bewahrte dem Meister Jakob ein gutes Gedächtnis, und er hatte auch großen Anteil genommen an dem Schicksal der Susi. Außerdem gefiel ihm der Christof, der über seine Jahre hinaus unterrichtet war und klug. Er wusste manches aus Temeschwar zu erzählen, was die Herren bei Tisch interessierte. Und die klärten ihn über vieles auf, das er wohl sah, aber nicht zu deuten wusste. Der Dechant vermied jedes Gespräch über Politik vor dem Buben, doch der junge Kaplan, den er zur Seite hatte, berührte immer wieder die öffentlichen Angelegenheiten. Und so schnappte der Christof schon in jungen Jahren allerlei Dinge auf, von denen seine Altersgenossen noch nichts ahnten. Der Krieg in Italien ging verloren, weil der Napoleon sich hineinmischte; die ungarischen Regimenter hätten sich übel benommen, und der Kaiser suche augenscheinlich den Frieden mit Ungarn. Die serbische Woiwodschaft aber sei aufgelöst worden; Temeschwar erhalte nächstens wieder einen Obergespan. Der schüchterne Anfang mit der madjarischen Sprache lasse tief blicken, meinte der Kaplan. Und der Dechant nickte. Da kam also wieder die Wendung, von der der Pfarrer von Bogarosch, sein Freund Nowak, schon vor Jahren redete, die er in seiner Rosenthaler Kirweihpredigt voraussagte. Sie schien sich wenigstens vorzubreiten.
Was der Christof aus solchen Tischgesprächen aus dem Pfarrhaus heimbrachte, verstand er ja nur halb, und die Großmutter gar nicht, aber der alte Trauttmann, der verstand es, und er beredete es auch mit dem Philipp. Aber sie staken alle tief in der Sommerarbeit, und da war kein Raum für etwas anderes. Der Christof und der Jörgl, die beiden kleinen Studenten, zogen auch oft mit ins Feld, hüteten die Pferde auf der nahen Hutweide, ritten sie zur Tränke und neckten die kleinen Mädeln, die die Gänse auf den Stoppelfeldern hüteten und sie häufig auf die Wiese trieben, durch die das Wasser vom Schöpfbrunnen rieselte. Wenn die Buben dort jungen Kukuruz oder Kartoffeln, die sie auf den nahen Feldern schnipften, am offenen Feuer brieten, kriegten sie auch manchmal etwas, damit sie nicht klatschten. Es war ein fröhliches Zigeunertun um diese Jugend des Dorfes, die noch nicht mitzuschaffen brauchte und sich doch schon nützlich machte. Die beiden Studiosen verbauerten im Sommer immer wieder und schieden im Herbst schwer von der Heimat.
Die Großmutter brauchte den Christof übrigens auch an manchem Tag für sich. Er musste sie nach Alliosch begleiten zum Vetter Johann, wo sie nicht genug hintragen konnte. Und der Student hatte auch immer an jedem Arm etwas baumeln, rechts ein Körbchen mit Eiern, links eines mit Weintrauben oder sonst einer Gabe für die Kinder. Und die Großmutter trug auf dem Kopf einen vollen Korb mit allerlei Sachen, die sie drüben brauchten. Früh brachen sie auf, verlebten dort den Tag und kehrten nach Sonnenuntergang wieder heim. Es war dort auch sehr lustig, aber lieber war es dem Christof doch bei den Pferden und den Gänsemädeln auf der Weide und bei den abendlichen Rahmstrudeln der Bas' Anmerich.
Die Frau Eva hatte den Weg zum Herzen ihres Ältesten wieder gesucht und gefunden. Ohne Abschied war er von ihr gegangen, voll Groll gegen die Heimat, die ihn verstoßen zu haben schien. Verstoßen? Die Mutter war innerlich nicht mit dabei. Abgerungen hatte ihr der Vetter Niklos die Zustimmung zu der Abfertigung des Johann in Geld. Sie merkte ja die Absicht, die dahinter steckte: Der Niklos wollte die Krinoline forthaben aus dem Dorf, und sie wollte das ja eigentlich auch; aber um den Johann tat es ihr von Herzen leid. Und dass er gar in ein walachisches Dorf gehen wollte, das erfüllte sie mit Scham. Der Vetter Trauttmann erst redete ihr diese Gefühle aus; er sagte, das wäre das Übelste nicht für einen Schwaben, auf Eroberung auszugehen. Und ein guter Handwerker in solch einem Dorfe wäre ein deutscher Eroberer. Der werde nicht untergehen. Das leuchtete ihr ein. Und als sie nach einiger Zeit hörte, wie armselig die Wirtschaft drüben wäre, dass die Frau ein drittes Kind hätte und dass es nicht einmal genügend Möbel und Betten im Haus gebe, da erwachte die Großmutter und wusste, was sie zu tun habe. Sie ließ einen ganzen Wagen mit alten Sachen laden, holte das Bett der Fraala vom Boden, zog ein halbes Dutzend Kissen aus ihren eigenen Betten, tat Wäsche hinein und schickte den ganzen Hausrat, mit einem schönen Gruß an den Johann, hinüber. Und er hat ihn nicht zurückgeschickt. Und eines Tages ging sie endlich selber hinüber, da er nicht kam. Sie richtete die junge Wirtschaft, die sie in einem argen Zustand fand, in ihrem eigenen Sinne ein; sie erzog die herrische Rosa langsam für das Haus, stach ihr im Frühling sogar den verwilderten Garten um und baute ihr Gemüse an und Blumen. Und immer wieder guckte sie hinüber und sah nach dem Rechten. Der Johann hatte reichlich Arbeit, und er zog sich auch schon einen walachischen Lehrbuben heran. Die deutsche Kundschaft hatte er. Auch die Walachen kamen, aber sie zahlten am liebsten mit Lebensmitteln. So hatten sie alle zu essen genug, und der Johann war nicht unzufrieden, er lachte die Mutter freundlich an, sooft sie kam und pfiff sich an solchen Tagen eins in der Werkstatt. Rosa war voll Dank für die Mutter. Der Mann sei ganz verändert, seitdem sie zu ihnen komme, sagte sie. Nach Feierabend greife er sogar wieder zur alten Ziehharmonika und spiele ihr und den Kindern eins auf. Und sie bemühte sich, das so deutlich zu sagen, dass die Frau Eva es auch verstand, was nicht immer der Fall war.
Eine große Überraschung brachte dieser Sommer: Die Susi war eines Abends heimgekommen. Mit Sack und Pack war sie angerückt. Der Franz Schilling hatte sie aus Temeschwar mitgenommen, und sie gedachte daheim zu bleiben. Es seien allerlei große Veränderungen vorgegangen, von denen sie schon noch erzählen werde, kurzum, sie sei wieder da.
Das gab eine Freude! Wie eine gute Glucke sammelte die Mutter ihre Kinder um sich, nur der Peter war noch Soldat, aber auch der wartete schon lange auf Urlaub. Die Meinung im Dorf über die Susi hatte sich längst gewandelt; jedermann grüßte sie freundlich, und sie konnte wieder erhobenen Hauptes durch die Gassen ihrer Kindheit schreiten. Auch hatte sie selbst überwunden; es schmerzte nicht mehr, wenn eins unbedacht an die Narben griff, die in ihrem Innern zurückgeblieben waren von dem großen Erlebnis... Zur Anmerich war am nächsten Morgen ihr erster Weg und zum alten Trauttmann, ihrem Schutzpatron. Der erfreute sich an ihrem stattlichen Anblick, als wäre sie sein Kind. Es kränkte ihn nur eines, dass sie sich nicht von ihm habe holen lassen. Und als die Susi alle um sich versammelt sah, da erzählte sie endlich, wie sie in der Stadt obdachlos geworden wäre...
Der Präsident und Statthalter sei samt Familie auf einmal nach Wien berufen worden, und es komme künftig wieder ein Obergespan an seine Stelle, wie vor Achtundvierzig. Im ersten Stock sei auch schon ein Vizegespan eingezogen, der jetzt im Komitatshaus kommandiere. Er gehe ständig mit rasselnden großen Sporen an den Stiefeln umher, schreie mit den Beamten und Dienern und wolle alles anders haben, ungarisch, sagen sie. Da schaue jeder, der kann, dass er weiter komme. Ihre Herrschaft hätte sie durchaus mitnehmen wollen nach Wien, aber sie ging nicht mit. Sie habe dem Christof jetzt ein gutes Kosthaus gesucht, und sie selber bleibe daheim. Wenn die Anmerich wollte, könnte auch der Jörgl in dieses Kosthaus kommen, und die Buben blieben beisammen.
Was sich dazwischen noch bei ihr ereignet hatte, davon redete sie nicht. Sie schämte sich dessen ein wenig vor ihrem großen Buben und wollte ihn erst damit überraschen, wenn es vollzogen war. Auch brauchten die anderen es nicht schon am ersten Tag zu wissen.
Das Familienhaus war jetzt ein bisschen voll. Der Jakob mit den Seinen hatte nicht den Raum, den er benötigte, und er ließ schon eine hintere Stube zwischen der Werkstatt und der Press einbauen für die Großmutter. Dort sollte sie im Vorbehalt hausen, wenn die Kathl weggeheiratet hatte. Dass jetzt auch noch die Susi hinzukam, war ihm nicht ganz recht, aber er hatte sie von jeher viel zu lieb gehabt, um es ihr zu zeigen. Und er dachte sich wohl, dass sie etwas im Sinn haben müsse mit ihrer Heimkunft.
Es zeigte sich bald, was das war; denn der Stefan Jäger kam öfter zu Besuch, als gerade nötig gewesen wäre. Und er lud den Christof eines Tages ein, er möge ihn und seine Buben doch einmal besuchen drüben in Rosenthal. Und seine Mutter solle er auch mitbringen, er wolle ihnen einen schönen neuen Wagen zeigen, seine Kinder und seine ganze Wirtschaft. Alle merkten, was sich da vorbereitete, nur der Christof nicht. Und es sagte ihm niemand... Die Susi geleitete ihren Buben und den Jörgl nach den großen Sommerferien wieder nach der Stadt, ließ ihn im Piaristengymnasium einschreiben und empfahl ihn seiner Kostfrau recht von Herzen. Dann nahm sie zärtlichen Abschied von ihm. Nach zwei Monaten aber schrieb sie ihm, dass er nun doch einen Vater erhalten hätte, den Meister Stefan Jäger. Der habe ihn so lieb wie seine eigenen Kinder... Das war ein Schmerz für den Buben, wie er noch keinen empfunden. Es packte ihn eine Eifersucht, die ihn tagelang wie ein Fieber schüttelte. Der Alleinbesitz der Mutter war ihm etwas so Selbstverständliches, so Heiliges. Und jetzt sollte er sich mit jemandem teilen in diesen Besitz? Er konnte den Gedanken nicht ertragen. Und er trotzte zu Weihnachten und kam nicht mit dem Jörgl Trauttmann heim. Die Susi weinte wohl, aber sie ließ ihm Zeit. Sie ahnte seinen Schmerz und liebte ihn darum nur noch mehr.
Es war eine ganz stille herbstliche Trauung gewesen zu Kathrein, der Dechant gab die zwei reifen Menschenkinder zusammen, die sich seit den frühesten Jugendtagen kannten und schon lange zueinander hinstrebten. Was lag nicht alles dazwischen! Es sollte begraben sein
und vergessen. Die Susi stand vor dem dreißigsten Jahr; sie leuchtete wie ein reifer Apfel im August und wollte endlich genommen sein. Ihr ganzes Wesen dürstete nach Hingabe, nach einer Sendung für das Leben. Und die hatte sie doch noch gefunden. Namenlos wohl tat es ihr, abzutreten von der Schaubühne, auf der sie für das ganze Dorf seit Jahren stand, eine rechtschaffene Frau und Hausmutter zu werden wie andere. Nie sollte das Dorf wieder reden von ihr, vergessen sollten alle, was ihr geschehen war. Die Susi Weidmann war gestorben. Frau Susanna Jäger aber hoffte noch lange zu leben...
Auf die stille Trauung der Susi sollte jetzt im Fasching die laute der Kathl folgen: Sie wollte ihre große Hochzeit haben. Ließ sich die Anmerich um ihre bringen, musste die Susi verzichten, sie, die Kathl, hatte das nicht nötig. Und die Mutter Eva wollte es auch nicht. Ihrer jüngsten Tochter sollte werden, was den anderen versagt war. Der Vater würde es gewiss auch gebilligt haben, wenn er gelebt hätte.
Und so wurden denn die Geigen gestimmt im Dorfe für die schöne Weidmanns Kathl. Sie hatte ihren Rosmarin in des Vaters Garten getreulich gepflegt, sie durfte den duftigen Kranz, der ihre Mädchenehre bezeugte, an ihrem großen Tage mit Stolz tragen.
Aber so weit war man noch nicht. Was gab es nicht alles zu schaffen! Braut und Bräutigam berieten mit der Mutter allabendlich darüber, wer einzuladen wäre. Die Blutsfreundschaft auf beiden Seiten bis ins vierte Glied wurde durchgenommen, und man kam auf mehr als hundert Personen. Und die Kranzeljungfern und die Kranzelbuben waren festzustellen. Und dann gingen Braut und Bräutigam miteinander drei Tage laden. Das waren schulfreie Tage für die Klasse des Herrn Theiß, Feiertage der Jugend. Warum sollte sie nicht auch ihren Anteil haben an dem Fest ihres Lehrers? Und niemand gab den Brautleuten einen Korb, alle Geladenen wollten ihnen die Ehre erweisen und erscheinen. Jetzt trat die Frage an die Mutter heran und die Gertrud: Können wir das daheim machen? Wenn der Jakob noch einen Herd in der Press setzen ließ und einiges drüben beim Vetter Hannes gebacken werden konnte, war es wohl zu zwingen. Die Anmerich, die Susi, die Gertrud und die Mutter standen bereit - sie trauten sich's zu. Und die Susi wollte auch zeigen, was sie als Herrschaftsköchin gelernt hatte.
Da rief die Kathl ihre Kranzeljungfern zusammen, und jede wusste, was das bedeutete. Sie putzten sich und erschienen am vereinbarten Tage mit hellen sauberen Henkelkörben aus geschälten Weiden. Der Hof war voll lachender Jugend, und sie zog unter Führung der Braut auf Eroberungen aus. Der kleine Niklos Trauttmann lief voraus und schrie in alle Höfe der Eingeladenen: »Die Braut kimmt ums G'schirr!« Und wo sie mit ihrer fröhlichen Begleitung anrückte, war schon alles bereitet. Die Bäuerinnen gaben ihr bestes Porzellan her für die Hochzeit und ihr Zinn aber sie hatten es vorher mit ihrem Petschaft gesiegelt und gezeichnet, damit es nicht vertauscht werde. Und auch ihr Essbesteck stellten sie bei, auch Flaschen und Gläser und Krüge, ihr Kupfergeschirr aus der Küche. Denn jede Frau wusste, was eine große Hochzeit bedeutete, die man daheim abhalten wollte. Die Braut mit ihrer lustigen Jungfernschar leistete gute Arbeit, in zwei Tagen war alles beisammen. Und es hatte keine Scherben gegeben. Für das viele Zinn aber, das den Mädeln an geboten wurde, musste ein Kranzelbub einspannen, denn das konnten sie nicht tragen. Und ein Musikant begleitete seinen Wagen und blies vor jedem Tor einen Ländler. Sie wollten auch ihren Spaß haben. Berge von Kuchen wurden indessen gebacken, die Basen und Godeln brachten die Milch nur noch in Gießkannen, und der Franzl half den Mädeln aus der Freundschaft beim Butterstoßen, als wäre er Geselle in einer großen Käserei geworden und nicht beim Meister Jakob. Er war übrigens ein bisschen melancholisch. Sein letzter Fasching in der Heimat! Jetzt kam die Wanderzeit... Fremde Hühner und Pockerln und Gänse und Enten, die von den Eltern der Schulkinder aus Neu- und Altrosenthal gespendet wurden, lärmten im Hof der Frau Eva, als wüssten sie, was sie hier zusammenführte, als ahnten sie, dass sie sämtlich auf dem Opferaltar dieser Hochzeit gebraten werden sollten. Auch Kälber und Spanferkel fanden sich ein, die nicht im Hause geboren waren, und der Vetter Michel wetzte schon sein Messer. Und der Humor ging ihm nie aus bei diesem Geschäft, zu dem er sich freiwillig anbot. Wollte der einmal erlahmen, kräftigte er ihn rasch aus einem dunklen tiefen Zinnkruge, der stets zur Hand sein musste. Nur mit den Milchkannen wollte er nicht in Berührung kommen, es wurde ihm übel, wenn er sie roch. Das ganze Haus wurde geräumt, die Betten wanderten auf den Boden, die Schnitz- und Hobelbänke aus der Werkstatt in den Schuppen, Tische und Stühle kamen wie von Feenhänden herbeigetragen und füllten alle Stuben, die kleinen Kinder aber wurden in die Fremde geschickt zu irgendeiner Fraala oder Großmutter, die nicht mehr mithopsen konnte. Die stille Welt, in der man sonst lebte, war aus den Fugen, und alle Ordnung des Hauses auf den Kopf gestellt.
Endlich kam der Tag der Hochzeit. Und er war kalt und schön. Ein Morgenständchen, das die Musikanten der Braut brachten, leitete ihn ein. Die Kathl erschien am Fenster, bedankte sich für die Ehr', reichte den Musikanten den Raki hinaus und einen großen Kranzkuchen dazu. Sie sollten nur recht pünktlich sein, um elf Uhr wäre sie bereit. Den vielen kleinen Buben aber, die sich auf der Gasse versammelt hatten, warf sie eine Handvoll Kupfermünzen zu.
Die Susi und die Anmerich hatten es übernommen, sie als Braut zu kleiden und festlich zu schmücken. Alles schimmerte und knisterte von Seide an ihr. Die große Frage, ob ganz bäuerlich oder schon halbherrisch, hatte die Frauen lange genug beschäftigt. Aber sie sagten sich: Nur keine Veränderung für diesen Tag! Das habe Zeit, das möge die Kathl als Frau Lehrerin halten, wie sie wolle, heute sei sie noch, was sie immer gewesen. Die Anmerich kämmte sie, flocht ihr den schönsten Zopf, den sie jemals hatte, und steckte ihn zehnmal auf, bis er so saß, wie sie ihn haben wollte. Die Susi vergoldete den Brautkranz, den sich die Kathl selbst gemacht, mit Rauschgold und setzte ihn ihr auf. Die Mutter kam nur ab und zu aus der Küche und guckte, ob auch alles gut sitze und nichts übersehen wurde. »Nur nichts vergessen!« war der Mutter ihre ständige Rede. Eine Braut, die umkehren muss, wenn sie den Fuß über die Schwelle gesetzt hat, überlebt ihr erstes Kind nicht, sagte sie. Und eine schwere Sorge hatte die Mutter bei alledem: Ob er denn kommen wird? Versprochen hat er's ihr. Aber warum er noch nicht hier war?... Die Susi wollte auch die Rosmarinzweige, die Braut und Bräutigam in der Hand zu tragen haben, vergolden, aber sie suchte die Zitronen vergeblich, in die sie gesteckt werden sollten. »Wo sein denn die Limoni?« fragte sie. »Jessas, die Limoni!« schrie die Kathl auf. Aber sie waren bald herbeigeschafft, die Mutter brachte sie mit schlotternden Knien. Nur nichts vergessen!
Es kamen die Ehrengäste jeder schwäbischen Hochzeit, die Paten und Godeln. Die hellen Kranzeljungfern strömten ins Haus und es kamen ihre Buben, denen sie Sträuße auf die Hüte gemacht hatten wie zur Kirweih. Und der Hochzeitsvater Theiß, ein behäbiger kinderreicher Bauer, brachte den Bräutigam und übergab ihn der Braut. Die Vettern und Basen folgten in großer Zahl, Paar um Paar trat an, und die Musikanten warteten schon vor dem Tore draußen. Und der Zug ordnete sich im Hofe. Und da kam auch der Johann, nach dem die Mutter so sehnsüchtig ausgeblickt hatte. Aber er kam allein, ohne seine Krinoline. Und der Jakob machte es ihm leicht, er streckte ihm vor allen Leuten die Hand entgegen und nahm ihn an seine Seite in den Zug. Als die Braut auf der Schwelle erschien, mit dem goldenen Kranz im Haar, wie ein Bild, wie eine Königin des Dorfes, da leuchteten ihr alle Augen entgegen. Die Brautführer und die Hochzeitsbuben umringten sie und geleiteten sie an die Spitze des Zuges. Die Kranzeljungfern aber nahmen den Bräutigam in ihre Mitte. Und die Musik setzte ein, sie schritt dem Zug voran und blies ihre lieben alten Weisen. Es war ernste, wehmütige Volksliedmusik, und ernst und still verhielten sich die Gäste auf dem Weg zur Kirche. Der Oberlehrer spielte die Orgel, als der Zug in die Kirche eintrat, und die Schüler des Theiß sangen mit ihren hellen Stimmen einen Chor. Der Dechant Schuh erwartete das Brautpaar vor dem erleuchteten Hochaltar. Er nahm den Rosmarinstrauß der Braut als Sinnbild ihrer Jungfräulichkeit entgegen, stellte ihn auf den Altar und vollzog die Trauung mit einer eindrucksvollen Rede an das Paar und seine Gäste. Und als erster beglückwünschte er die Vereinigten zu ihrem ernsten Schritt. Und er nahm auch ihre Einladung an, beim Festmahl zu erscheinen.
Rauschende, fröhliche Musik empfing den heimkehrenden Hochzeitszug auf der Gasse, Ehrenschüsse knallten aus allen Häusern, an denen man vorbeikam, und die Hochzeitsbuben zogen die eigenen Pistolen aus den Taschen und erwiderten darauf. Es knallte und juchzte und musizierte auf dem ganzen Wege, als wäre da ein Fastnachtszug losgelassen worden, als wollte die ganze Gemeinde mittanzen auf dieser Hochzeit ihres bescheidenen Unterlehrers. Aber es waren nur die beiden Dorfkinder, die man so ehrte, es war ein Ausbruch unbewusster Befriedigung darüber, dass sie so gar nicht anders sein wollten, dass sie die alten Bräuche hochhielten und eine Bauernhochzeit feierten. Man durfte Juhu schreien auf dieser Hochzeit und allen Schabernack treiben, der üblich war. Man durfte dem Bräutigam die Braut stehlen und sie an den Tisch der Buben setzen. Man durfte dort der Braut unter dem Tisch den Schuh vom rechten Fuß stehlen und für die Musikanten versteigern. Und wer ihn erstand, dem gehörte der erste Tanz mit ihr. Man durfte selbst den Ehrengästen den süßen Grießbrei bei Tisch versalzen, und es gab keine schiefen Gesichter, kurzum, es war keine herrische Hochzeit, wie man befürchtet hatte, es wurden keine Quadrillen getanzt, sondern Ländler und Polka und Hopser. Juhu, es war halt eine schwobische Hochzeit! Und sie dauerte nicht bis nach dem »Teschönee«, wie die des Baron Schnudi, sie dauerte drei Tage. Und was gegessen und getrunken wurde, ging in keine Scheune. Aber wer da meinen sollte, das wäre ihr ganzer Inhalt gewesen, der ginge weit in die Irre. Mitten durch all die Völlerei und Lustbarkeit lief ein Gedanke, und wo er zum Durchbruch kam, da glänzte es auf, da wehte ein Hauch von tiefer Volkspoesie.
Als die alte Schwarzwälderin am ersten Hochzeitstage die Mitternachtsstunde schlug, ertönte aus der schönen Stube, die als Tanzplatz benutzt wurde, eine feierliche Weise. Alles schwieg an den Tischen, man brach auf und drängte nach der Tanzstube hin. Jetzt gab es etwas zusehen und zu hören. Die Kathl saß im vollen Brautschmuck in der Mitte der Stube auf einem niederen Sitz. Die Kranzeljungfern fassten sich an den Händen und bildeten einen geschlossenen Kreis um sie. Und sie sangen:
Kommet her, kommet her, ihr Jungfraun insgemein,
Mit euch darf ich nimmermehr lustig sein.
Kommet her, kommet her, ihr Weiber insgemein,
Mit euch muss ich jetzt traurig sein.
Tretet ab, tretet ab, ihr Jungfraun insgemein,
Mit euch darf ich nimmermehr lustig sein.
Der Kreis der Mädchen löste sich. Die beiden Schwestern der Braut, die Susi und die Anmerich, traten vor und bildeten mit den jungen Frauen einen Kreis um die sitzende Braut. Und sie sangen:
Schwör du's, schwör du's den Knaben ab,
Mit denen so manche Freud' hast gehabt.
Schwör du's, schwör du's den Knaben ab,
Mit denen so manche Freud' hast gehabt.
Und die Braut sang allein:
Ach Gott, ach Gott, das kann ich nicht,
Das gibt meinem Herzen viel tausend Stich.
Die Weiber fuhren fort:
Schwör du's, schwör du's deinen Eltern ab,
Deinen Mann musst du lieben bis an das Grab.
Die Braut weinte. Und sie sang stockend:
So bindet mir mein Kränzlein ab,
Das darf ich nicht tragen bis an das Grab.
Bindet mir mein Tüchlein auf,
Und spielt mir ein lustig Stücklein drauf.
Während Frauen und Mädchen dieses Gesätz dreimal wiederholten, lösten Susi und Anmerich der Braut Zweiglein um Zweiglein von dem Kranz, das Rauschgold klebte ihnen an den Fingern oder es flatterte davon... Die Anmerich aber band der Schwester ein seidenes Kopftuch auf, sie war unter die Weiber aufgenommen. Alles weinte, alles schluchzte, als wäre die Kathl gestorben. Aber der Klarinettist begann einen Hopser, und die beiden Schwestern tanzten ihn mit der Braut. Jede eine Runde. Und die Gertrud eine Runde und der Reihe nach alle Weiber. Und als man beim nächsten allgemeinen Tanz die Braut suchte, da war sie mit dem Bräutigam verschwunden...
Als die kleine Welt ihres Hauses wieder eingerenkt war nach dieser Hochzeit, bezog Frau Eva in aller Gemächlichkeit ihr hinteres Stübchen, vorne aber breitete sich der Jakob aus mit seiner jungen Wirtschaft... All ihre Kinder waren wieder in Eintracht beisammen, fünf wusste sie wohlgeborgen, und um das sechste, den Peter, war der Frau Eva nicht bange... Mit rauher Hand griff das Schicksal nach ihrem Hause, es schien sie alle erdrücken zu wollen; aber sie hielt tapfer stand, und der Himmel heiterte sich vor Abend wieder auf. Ihr Werk war getan. Jetzt wollte sie nur noch beten für das Wohl ihrer Kinder und Enkel. Und sie hoffte zuversichtlich, dereinst ihrem Jakob wieder zu begegnen und seine Zufriedenheit zu erlangen... Ob alles weiter so gedieh, wie es den Anschein hatte, das lag in Gottes Hand. Diese und jene Sorge nahm die Frau Eva gern mit in ihr Altenteil. Ganz allein wollte sie in ihrem Stübchen nicht hausen.