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7.

Während der nächsten Wochen war Cosimo thätig, um nach den Plänen zu handeln, welche er mit Orzio verabredet hatte, um die Stimmung vorzubereiten, die zum Gelingen derselben nothwendig war. Häufig erschien er in dem Casino des Adels, dort mit seinen Freunden zu sprechen und die Zahl seiner Anhänger zu vermehren, und da ein großer Theil der Nobili schon damals tief heruntergekommen war, wurde seine großmüthige Freigebigkeit bald eben so gerühmt, wie seine Liebenswürdigkeit und der Reiz seiner Unterhaltung.

Wenn er erschien, wurde er schnell von einem Haufen junger Leute umringt, die ihn als ihren Führer betrachteten; aber mitten in Lustbarkeiten, Spielen und dem Austausch von Neuigkeiten wandten sich die Gespräche dann häufig auch auf die Weltbegebenheiten und auf Venedigs Verhältnisse, endlich wohl auch auf die nächsten Wahlen, auf die Krankheit des Dogen und auf Fragen über das, was kommen werde und geschehen müsse, wobei es nicht an Winken und Aeußerungen über den Druck und die Uebel der gegenwärtigen Einrichtungen fehlte.

Es fielen dabei auch wohl manche hastige und feurige Worte und Wünsche, daß es anders werden müsse, Cosimo aber hütete sich wohl, den Ton anzugeben. Er beruhigte vielmehr die Erregtesten und deutete darauf hin, wie in dem großen Rath ja eigentlich von jeher alle Macht der Republik gelegen habe und noch liege, denn kein Gesetz habe ihm diese je genommen.

Auch der Herzog Orzio wirkte in derselben Weise im Senat. Zur Feier der Verlobung seiner Tochter öffnete er sein Haus zu mehren großen Festen, bei denen ein bedeutender Theil der Aristokratie erschien; allein diese Feste zeigten auch, daß ein anderer Theil sich von ihm zurückhielt; denn keine geringe Anzahl Senatoren und angesehener Männer fehlte dabei, die sonst wohl als Reformen günstig und mit den Zuständen unzufrieden galten.

Dasselbe war der Fall, als Cosimo den Palast seines Vaters in ähnlicher Weise mit Gästen füllte. Er hatte viel Geld ausgegeben, um die Prachtzimmer neu auszuschmücken; man erzählte in Venedig zahlreiche Geschichten darüber, und die Neugier bewog Manchen, den Einladungen zu folgen; allein es war auch nur diese; wirkliche Theilnahme bezeigten ihm Wenige, und Cosimo war zu einsichtig, um nicht zu bemerken, daß auch in diesen Reihen die Scheu vorwaltete, sich ihm zu nähern und der Regierung einen Grund zum Verdacht zu geben.

Um so mehr war Cosimo darauf bedacht, sich seiner anderen Stützen besser zu versichern. Zeither hatte er es so viel als möglich vermieden, mit seinen alten Freunden unter dem Volke, namentlich mit den rüstigen Gondolieren, die ihn alle kannten, zu verkehren, nun aber ließ er sich häufiger wieder sehen, und bei Spaziergängen erschien er zuweilen plötzlich an ihren Sammelplätzen mitten unter ihnen, um mit ihnen zu plaudern und zu scherzen.

Da war denn Keiner der schwarzäugigen, gelenkigen Burschen, der seine rothe Mütze nicht in die Luft gewirbelt hätte, sobald er den Grafen erblickte, und Keiner, der auf seinen Wink nicht mit Faust und Messer bereit gewesen wäre, Alles zu thun, was er verlangte. Der freigebige, herablassende Herr war ihnen lieber als Alle; sein Anblick schon hatte für diese rohen Männer etwas Fesselndes, seine Anrede und sein Lob machten sie stolz, und was er zuweilen zu ihnen sprach von alten Zeiten, wo aus den Gondolieren Venedigs das kühnste und tapferste Seevolk der Republik hervorgegangen sei, welches Griechen, Spanier und Türken zittern gemacht, und die wilden Corsaren Afrika's gebändigt, hörten sie mit Freude und mit Schaam zugleich.

Denn jetzt war es anders. Jetzt zahlte Venedig den Algierern und Tunesern Tribut, jetzt verfaulten die Gallionen, armselige Ueberbleibsel der gewaltigen Flotten, im Kriegshafen, armselige dalmatische Söldner bewachten die verfallenden Schanzen und Thürme, und die reichen Gondoliere waren arm geworden, Seidenjacken und Quasten trug Keiner mehr.

Es waren jedoch nicht die Gondoliere allein, welche Cosimo anhingen, der gesammte Bürgerstand nannte seinen Namen mit Wohlgefallen und geheimen Hoffnungen, denn unter einem gedrückten Volke mußte ein Mann wie er, von dem es bekannt war, daß die Regierung ihn haßte und schon einmal gezwungen hatte, Venedig zu verlassen, viele Menschen finden, die ihn dafür werth hielten und von ihm besondere Dinge glaubten. Ohne daß er noch etwas gethan, war seine Rückkehr genügend, um eine gewisse Unruhe in viele Köpfe zu bringen, und bald genug flüsterte man sich zu, daß es bei den nächsten Wahlen, stürmisch hergehen werde. Nicht mehr wie früher werde der große Rath sich demüthig ducken und zu Allem ja sagen. Er werde seine Rechte vertheidigen und des Volkes Rechte aufhelfen. Die Zehner und die Inquisition müßten fallen, vermehrte Freiheit werde vermehrte Thätigkeit sammt neuem Handel und Verkehr bringen. –

Woher diese Unruhe und mancherlei Gerüchte kamen, wußte Niemand, aber Cosimo Vinci war wieder da, und heirathete Gonsalvo Orzio's Tochter, einer Excellenza, die immer des Volkes Freund war. Ihnen würde es wohl gelingen, die Nobili zusammen zu halten, und zu ihnen würden alle stehen, die es mit Venedig gut meinten, denn kaum sei die Wirthschaft länger zu ertragen.

Die guten Bürger hüteten sich freilich, Dergleichen laut zu sagen; aber wie es in Zeiten geht, wo der Boden unter den Füßen der Gewaltigen zu zittern beginnt: Einer machte dem Anderen Muth, und gewiß war in Venedig seit langen Zeiten nicht so verwegen gesprochen worden, als damals.

Es war auch, als empfänden die furchtbaren Inquisitoren Scheu vor dem Umsichgreifen dieser Stimmung und als meinten sie, man müsse diese nicht noch mehr aufreizen, sondern lieber von der Strenge nachlassen. Man hörte nicht vom plötzlichen Verschwinden solcher Personen, die, wenn sie zu anderer Zeit so wenig vorsichtig in Aeußerungen gewesen wären, das Aeußerste hätten besorgen müssen.

In den Weinschenken wurde über den nächsten Dogen verhandelt und alle Heiligen angerufen, daß nicht etwa Franscesco Pesaro Doge werde, denn von ihm habe Venedig nimmer Gutes zu erwarten. Mancher Fluch gegen die Foscarini, die Spada, die Barbarimio und andere der ersten unter den Herrschern wurde dabei zwischen den Zähnen gemurmelt.

In dieser Zeit war es auch, wo in Venedig eine kleine Schrift erschien, die in allen Kreisen das größte Aufsehen erregte. Es war keine Aufforderung zur Herstellung alter Rechte, keine Aufzählung von Uebeln und Leiden, nicht einmal eine Klage über Druck und böse Zeit darin, und doch konnte der Eindruck nicht größer sein. Es hatte sich Jemand bemüht, auf wenigen Blättern die Geschichte der Republik in verständlichster Art zu schreiben.

Die ältesten Zeiten allgemeiner Freiheit wurden in wenigen einfachen Zügen eben so eindringlich dargestellt, wie das Aufblühen und Umsichgreifen der erblichen Aristokratie, deren Kämpfe gegen die Volksgewalt, und deren Kämpfe gegen die fürstliche Macht der Dogen. So ging es fort bis zu der Zeit, wo der Rath der Zehn und die Staatsinquisition alle Gewalt an sich rissen, wo Doge sowohl wie großer Rath ihre Geschöpfe wurden, und mit einigen schlagenden Thatsachen zeigte der unbekannte Verfasser, wie hieraus eine entsetzliche Tyrannei entspringen mußte, der ebensowohl die Verknechtung des Volkes unter zahllosen Greuelthaten gelang, wie Venedigs staatlicher Verfall die Folge war.

Bis auf die Gegenwart setzten sich die Blätter fort, deren letzte Seiten mit den Namen der Männer gefüllt waren, die Versuche gemacht hatten, den Bann zu brechen, und daran zu Grunde gingen: mit den Namen von Verbannten und mit Tod oder Kerker Bestraften, deren Andenken und deren Schatten heraufbeschworen wurden; was aber fast noch mehr die Theilnahme und die Neugier erregte, war ein Auszug aus den geheim gehaltenen Statuten der Staatsinquisition vom 16ten Juni 1454, deren furchtbare Artikel Zittern und Entsetzen erregten.

Wie diese kleine Schrift verbreitet wurde, war nicht zu ermitteln. Sie wurde in manchen Wohnungen gefunden, manchen Personen in die Taschen gesteckt, in Wirthshäusern auf die Tische gelegt und kam an vielen Orten zugleich zum Vorschein, in den Kreisen der Nobili sowohl, wie bei Kaufleuten und Advocaten und in der Masse des Volkes.

Obwohl nun nicht eine gehässige Aeußerung darin enthalten war, der Ton vielmehr der ruhigste und einfachste blieb, auch nichts darin stand, was nicht geschichtlich wohlbegründet genannt werden mußte, so erschien dies Unterfangen doch so kühn und für Venedigs Verhältnisse so außerordentlich, daß ein allgemeines Staunen und Schrecken entstand. In anderen Ländern, in Frankreich zumal, war längst die Presse in heftigsten Kampf mit der Staatsgewalt gerathen. Manchem verwegenen Schriftsteller hatte der Henker in England die Ohren abgeschnitten, oder in Paris seine verbrecherischen Schriften verbrannt. In Venedig wußte man davon nichts. Die Inquisition wachte, und das Volk war so wenig vertraut mit dem Geist, der im Worte steckt, so tief heruntergebracht und von geringer Bildung, daß die Presse weder Furcht noch Hoffnungen erregte.

Plötzlich geschah ein erster Versuch, und wie ein lang verschlossener Zauber drang er in die Gemüther. Wenn auch die wenigsten Venetianer lesen konnten, so gab es doch immer Leute, selbst in der Masse der armen Priester, die ihnen behülflich dazu waren, und mit Erstaunen hörten große Versammlungen lautlos zu, wie es in ihrem Vaterlande hergegangen, wie es gekommen, daß die Bürger alles Recht verloren, und was geschehen bis auf diese Stunde.

Ein solches Gastmahl vom Brunnen der Erkenntniß war eben so neu, wie alle Lebensgeister aufregend, Gedanken bringend und Gedanken verwirrend. Die Regierung gerieth darüber mehr noch als bisher in Unruhe, ihre Spione waren in unausgesetzter Thätigkeit, und deren Berichte nicht geeignet, die Gewissen zu erleichtern. Die Aufregung war allgemein, alle Gemüther davon erfüllt.

Der Verdacht, der Urheber dieses Verbrechens zu sein, fiel, wie es nicht anders sein konnte, auf Cosimo, der auf das Genauste beobachtet wurde; allein kein Späher konnte etwas entdecken, was nicht viele wußten.

Cosimo erschien unbefangener und mit sich und seinem häuslichen Leben beschäftigter als je. Seine Tage waren seinen Geschäften gewidmet, seine Abende brachte er bei Lavinia zu, und man sah ihn in ihrer Begleitung mit seiner Mutter und Orzio häufig in den Straßen oder bei Lustfahrten auf den Kanälen und auf dem Meere, anscheinend versenkt in Vergnügungen und in froher Laune.

Sein Anhang war groß, und die Begeisterung für ihn gab sich häufig kund, doch sein Benehmen blieb vorsichtig und seine Aeußerungen über die verbreitete Schrift trugen dies Gepräge.

Ich thue nichts Heimliches und Verstecktes, sagte er, als Freunde mit ihm davon sprachen, und keine meiner Handlungen wird je nöthig haben, mich und meinen Namen zu verläugnen. Wenn ich das geschrieben hätte, würde ich mich öffentlich dazu bekennen, denn der Inhalt ist gut und wahr, und wer kann behaupten, daß die Wahrheit der Geschichte, so dargestellt, ein Verbrechen wäre? Allein ich bin der Verfasser nicht. Ich hätte die Thorheit niemals begangen, mich nicht zu nennen, denn wie ihr sehet werde ich dadurch erst so recht zum Gegenstande gehässiger Anschuldigungen. Es kommt mir vor, als merkte ich die Absicht, denn weil ich mich außer aller Kenntniß weiß und dabei doch überall behaupten höre, ich und kein Anderer stecke dahinter, muß ich um so mehr bedenken, wer dahinter steckt. Nur Geduld, wir werden bald sehen, wozu es dienen soll.

 

Odoardo Albergati war eine Zeit lang von Venedig entfernt gewesen. Er hatte sich in die Einsamkeit seiner Villa del Borgo an den Ufern der Brenta zurückgezogen, weil sein edles Herz von mehr als einem Dorn durchstochen wurde. Er liebte Cosimo aufs Innigste, und doch war er mit dessen Thun unzufrieden.

Die letzten, jähen, leidenschaftlichen Schritte seines Freundes hatten so viel Abstoßendes und Widerwärtiges für ihn, daß er unmöglich in die Glückwünsche einzustimmen vermochte, welche die Ereignisse forderten. Er allein wußte ja, was Cosimo gethan, was er verschleudert und was er eingetauscht hatte, und zu seiner Ueberzeugung, daß Cosimo Unglück über sich gebracht, kam sein geheimer Schmerz, daß er zugleich Lucia's Glück damit zerstörte.

Seine großmüthige Seele hatte in einer erhabenen Entsagung Trost gefunden. Er sah den Freund zu Glanz und Ehren berufen, er sah die ehrgeizige Geliebte an dessen Seite, als Dogaresse, die Herzogskrone auf ihren düsteren Locken; alle Kronen der Welt hätte er für sie aufhäufen mögen, und jetzt lag Alles zerbrochen und zerknickt.

Lucia verbarg sich, wie man sagte, selbst vor ihrem Vater und ihren Geschwistern; sie lag krank an ihrer verschmähten Liebe, Cosimo aber war einem unbedeutenden entehrten Mädchen anheim gefallen, das er in schwärmerischer Hoffnungslosigkeit ehrlich machen wollte, weil er meinte, sein verarmtes Herz sei nur dazu noch gut genug.

Alle Nachrichten, welche Odoardo erhielt, machten ihn trauriger. Er stand nicht allein mit Männern in Verbindung, die zu Cosimo's Freunden zählten, mehre seiner Verwandten befanden sich in hohen Regierungsämtern, unerschütterliche Anhänger der alten Ordnung und vertraut mit den ersten Größen der Republik. Was er aus ihren Mittheilungen las, erfüllte ihn mit Besorgnissen, denn die heftigsten Anschuldigungen gegen Cosimo sowohl, wie gegen den Herzog Orzio, sprachen sich darin aus, und man wünschte ihm Glück, sich von diesen zurückgezogen zu haben, weil es kein gutes Ende mit ihnen nehmen würde.

Allerlei Andeutungen, daß die Regierung diesem Treiben ein Ziel setzen werde, ehe die Verschwörer es ahnten, erhöhten den Kummer des getreuen Albergati, und eben als er mit dem Vorhaben rang nach Venedig zu gehen, um zu warnen und zu helfen, erhielt er die Schrift zugesandt, welche seine Bestürzung auf den Gipfel trieb. Auch nach seiner Meinung konnte Cosimo allein dies verfaßt und verbreitet haben und damit hatte er die Brücke hinter sich abgebrochen.

Albergati's Verwandter, eines der Mitglieder des hohen Raths, Guiseppe Capello, ein strenger, finsterer Mann, schrieb ihm darüber wie von einem unerhörten Staatsverbrechen und machte es ihm zur Pflicht, jeden Umgang mit Cosimo Vinci von jetzt an abzubrechen. Albergati wußte, daß der Inhalt dieser Blätter gesetzlich unstrafbar sei, allein er wußte auch, daß die Inquisition nicht nach Gesetzen frage, sondern erbarmungslos vernichte, was ihren Staat in Gefahr bringe, und daß dies der Fall sei, konnte Niemand verkennen.

So machte er sich auf den Weg nach Venedig, das er am Abend erreichte, und von seinen Sorgen getrieben, suchte er zunächst seinen Vetter auf, um von ihm was vorgehe zu erfahren. Der hohe Rath des Dogen, aus sieben Excellenzen bestehend, war an diesem Tage versammelt worden, und Guiseppe Capello so eben daraus zurückgekehrt. Als Odoardo bei ihm eintrat, fand er ihn nicht allein. Der Staatsprocurator Pesaro war bei ihm, die beiden Herren empfingen ihn jedoch mit Freundlichkeit.

Mein lieber Albergati, sagte der Rath, ich dachte es beinahe, daß mein Brief Dich nach Venedig bringen würde, obwohl ich gewünscht hätte, Du wärst in der Villa Borgo geblieben. Inzwischen überzeuge Dich, was Dein Freund Cosimo angerichtet hat, und kehre dann, so schnell Du kannst, in Deine Einsamkeit zurück.

Wenn ich nicht vermag Gutes zu bewirken, erwiederte Odoardo, werde ich diesen Rath gern befolgen.

Capello wechselte einen Blick mit dem Procurator, der still an seinem Platze saß, Arme und Füße kreuzend, und fuhr dann fort:

Dein Vater gehörte, wie wir, zu den treuen Freunden Marc Foscarini's und hielt fest an unseren alten Satzungen; Du bist zu verständig, um ein Freund der Umstürzer und Zerstörer zu sein. Hüte Dich, Dein Schicksal mit dem ihren zu verflechten.

Odoardo sprach sein Bedauern aus, daß solche Zerwürfnisse in Venedig stattfinden könnten, und knüpfte Hoffnungen daran, die leise andeuten sollten, daß man zu viel davon fürchte, allein in gereiztem Tone fiel sein Vetter ein und schilderte die Ränke der Aufrührer in erbitterter Weise. Auch Pesaro fügte Einiges hinzu, und seine kalte Ruhe wie der wegwerfende Spott über die Unternehmungen einer Hand voll knabenhafter Hitzköpfe, ängstigten Albergati mehr noch, als Capello's Schimpfreden.

Nach einer halben Stunde schien es ihm das Gerathenste sich auf sein Bedauern zu beschränken und zu überlegen, was er hörte. Die Schilderungen der beiden Staatsmänner ließen ihm keinen Zweifel, daß die Regierung nicht länger die Hände still halten werde. Was sie thun wollte, blieb ihm geheim, nur im letzten Augenblicke, als er Abschied nahm, erhielt er noch einen Wink darüber.

Ich rathe Dir nochmals, Dich von jeder Theilnahme entfernt zu halten, sagte Capello. Es könnte sein, daß Du es sonst bald zu bereuen hättest, guten Rath nicht zeitig befolgt zu haben. Das ganze Gesindel läuft beim ersten Kanonenschuß davon und überläßt Euch dem verdienten Schicksal.

Bah! fiel Pesaro lächelnd ein, lassen Sie ihn; er ist einsichtig und wird wissen, was er zu thun hat. Bei einiger Klugheit wird Jeder, der sich einer Verschwörung beigesellt, die Mittel bedenken, welche ihm zu Gebot stehen, eine Regierung zu stürzen, und sich fragen, was bleibt dieser übrig, um sich zu vertheidigen? Danach muß man seine Wahl treffen. Sie werden dies nicht unterlassen, Herr Albergati, zugleich aber werden Sie sich überzeugen, daß Verblendeten keine Vernunft zu predigen ist. Ich hoffe, Sie morgen bei mir zu sehen, fuhr er fort, wir werden dann weiter sprechen; zunächst aber nehmen Sie den Glauben mit, daß wir uns nicht fürchten. Der Winter wird in Venedig so gefeiert sein, wie es immer der Fall war, selbst wenn Paulo Renier wirklich bis dahin Doge geworden sein sollte.

Ja, ich will mich überzeugen, sagte Odoardo zu sich selbst, als er gegangen war. Ich will Cosimo aufsuchen, je schneller, je besser. Er muß hören, wie es mit ihm steht, und darf sich nicht davor verschließen.

Er ging nach Cosimo's Wohnung und traf ihn eben im Begriff auszugehen, um Lavinia zu besuchen. –

Du mußt mich begleiten, Odoardo, rief der Graf, nach dem herzlichsten Empfang. Endlich habe ich Dich wieder und will Dir zeigen, daß ich glücklich bin.

Glücklich, erwiederte Albergati seine Hände pressend, und indem er in seines Freundes Gesicht zu lesen suchte, drückten seine Augen alle seine Zweifel aus.

Ist es kein Glück, glücklich zu machen? erwiederte Cosimo, und darf ich undankbar sein gegen die zärtliche Liebe, die mich dafür belohnt?

Liebe erweckt Liebe, sagte Odoardo.

Das ist ihre göttliche Macht, fuhr Cosimo fort, sie versöhnt, sie veredelt. Aber komm, Odoardo, laß uns nach der Piazzetta hinaufgeben. Die Meerluft weht entzückend herein, und Vieles habe ich Dir mitzutheilen.

Sie gingen unter den Bäumen auf und ab, und Cosimo sprach von seiner Mutter, von den neuen Einrichtungen seines Hauses, von seiner Verheirathung, von der Reise, welche er alsdann zu machen denke, endlich auch von Lavinia's Sanftmuth, ihrer innigen Anhänglichkeit und wie er die Triebe ihres Herzens und Geistes pflege; welche zufriedene, glückliche Häuslichkeit er davon erwarte.

Sein Ton war angeregt, es lag etwas Frohes, aus der Tiefe Kommendes darin; seine Blicke in die Zukunft bezeugten, daß er ahnungslos darauf hinschaue.

Du hast also vor, Venedig auf längere Zeit zu verlassen? fragte der Freund.

Ja, Odoardo, und ich sehne mich danach, denn – fügte er mit ruhiger Stimme, aber leiser hinzu – es giebt in mir manche wunde Stellen, die so leicht nicht vernarben werden.

Coralie! flüsterte Odoardo.

O! es geht ihr vortrefflich, sagte Cosimo. Lorenzo wird nächstens nach Wien gehen. Der Herzog vermag Alles und er versagt ihr nichts. Jeder erfüllt seinen Beruf in dieser Welt, Freund, und Gott weiß es! ich bin zufrieden, denn ich habe sie gestern noch voller Lust an seinem Arme gesehen. Dennoch mögen auch diese Erinnerungen dazu beitragen, daß ich in Sorento wohnen will.

Verlasse Venedig so schnell Du kannst, erwiederte Albergati.

Das will ich, entgegnete der Graf. Gleich nach meiner Hochzeit soll es geschehen.

Warte nicht, fuhr Albergati fort. Geh morgen, geh heute noch, Orzio wird Dich begleiten.

Warum denn so eilig? fragte Cosimo.

Weil Du verloren bist, wenn Du zögerst, flüsterte ihm Albergati zu.

Was ängstigt Dich wieder, lieber Odoardo? versetzte Vinci tröstend. Wie soll ich verloren sein?

Wache auf, fuhr Albergati mit bangem Geflüster fort, blicke um Dich; Dein Vorhaben steht so schlecht als möglich; Du wirst diese Regierung nicht umstürzen.

Das weiß ich längst, erwiederte Cosimo.

Vertraue nicht auf Deinen Anhang, sprach Odoardo weiter, wie zahlreich er sein mag, er ist ohnmächtig. Kein Mann von Bedeutung wird sich damit einlassen; die Wenigen, welche jetzt noch mit Dir und Orzio befreundet sind, werden sich zurückziehen, sich selbst zu retten suchen, sobald sie sehen, daß das Ungewitter da ist. Und es wird kommen, Cosimo, Du hast es heraufbeschworen, es ist im vollen Anzuge.

Aber, Freund, fiel Cosimo ein, glaube mir, Du sagst mir wenig Neues. Die Raben erheben ihr Geschrei, Du hast es gehört und zitterst davor.

Sie werden auf Dich niederstürzen, mit Schnäbeln und Krallen, sagte Odoardo halblaut vor sich hin. Sie rüsten sich dazu.

So werden Sie hartes Fleisch finden, lachte der Graf. Es geht seit einigen Tagen schon ein Gerücht umher, daß von Dalmatien mehre Regimenter ihrer Söldner kommen sollen; wenn dies aber wirklich wahr wäre, was würden sie denn hier finden? Was ist geschehen, um Gewalt zu gebrauchen? Das Volk unterhält sich damit, daß, wenn Mocenigo stirbt, ein Mann der Reformen an die Spitze des Staates gestellt werden müsse; es unterhält sich damit, daß es endlich dann auch zu einer Beschränkung der unbeschränkten Gewalt des Rathes der Zehn und der Inquisitoren kommen werde, wie diese nun schon dreimal vergebens versucht wurde. Manche Mitglieder des großen Rathes denken ebenfalls daran, und gleichgesinnte Freunde finden sich zuweilen bei Orzio oder bei mir zusammen; mit ihnen aber auch andere. Auf meine Ehre! Odoardo, es ist nichts Heimliches geschehen, weiter überhaupt nichts geschehen. Wo ist da etwas Ungesetzliches? Wodurch ließe sich eine Gewaltthat rechtfertigen?

Unglücklicher Freund, murmelte Albergati, vergißt Du denn immer wieder, daß Du in Venedig bist?

Ich vergesse nichts, entgegnete Cosimo, aber auch in Venedig will ich der Tyrannei gegenüber mein Recht behaupten. Wollte ich Aufruhr, ich könnte ihn morgen anfachen, aber ich bin weit entfernt davon. Ich will nicht umstürzen, ich will in gesetzlicher Weise zu Reformen gelangen.

Alles, was Odoardo von seinem Freunde hörte, mußte ihn überzeugen, daß Cosimo fest daran glaubte, nichts fürchten zu dürfen, auch ihm aber läugnete er jede Theilnahme an dem Erscheinen der Flugschrift ab, welche so viel Streit und Zorn erregte.

Du hast vielleicht Recht, sagte er endlich, es wird mir Niemand glauben, und mein Abläugner den Verdacht vermehren, allein es ist dennoch so. Ich kenne den Verfasser nicht, doch sagt mir ein richtiges Gefühl, daß Pesaro mehr davon weiß, als ich.

Cosimo! rief Albergati ungläubig aus.

Da bricht der Zweifel schon hervor und wendet sich gegen mich, fuhr der Graf fort; überlege es näher, und Du wirst finden, daß ich Recht habe. Pesaro ist, seit Marc Foscarini todt ist, der kräftigste und entschlossenste Mann in der Regierung. Die Meisten der Anderen sind schwach und fangen an, sich zu fürchten. Er möchte sie zum Widerstande vereinigen, und dazu ist diese Schrift ganz passend angelegt. Sie muß Besorgnisse erwecken, daß es der gesammten Erbaristokratie zu Leibe geht, das Volk aufstehen, und nicht allein den hohen Rath und die Inquisition verjagen, sondern die ganze Signoria ihnen nachschicken werde. In dieser Art beutet man, wie ich höre, schon jetzt die wohlersonnene Intrigue aus. Man erschreckt den Adel, will ihm zeigen, wohin es führt, an Neuerungen zu denken, Steine aus dem alten Bau zu ziehen, der über die Köpfe der ungeschickten Werkmeister zusammenstürzen wird.

Wenn Du das Alles siehst und weißt, theurer Cosimo! rief Albergati, so mußt Du um so mehr an Dein eigenes Heil denken. Verlaß Venedig, da es noch Zeit ist. Noch wagen Deine Feinde nichts gegen Dich, sie fürchten Dich, fürchten die Wuth der Volksmasse; warte nicht ab, bis sie sich stark genug fühlen. Ist Venedig erst mit Dalmatiern besetzt, so bist Du verloren, und die Du liebst, sind es mit Dir. – Deine Freunde werden Dein Schicksal theilen.

Cosimo Vinci stand einige Augenblicke schweigend vor ihm, dann sagte er er mit sanfter Stimme:

Du willst mich nicht zu Orzio und Lavinia begleiten?

Nein, erwiederte Odoardo.

Und dies Nein ist ein Absagebrief für mich?

Kein Absagebrief, allein ich will mich nicht in Gefahren stürzen, die mich nutzlos verderben.

Kluger Freund, sagte Cosimo, so trennen sich unsere Wege. Du hast Recht in Deiner Weise. Man kann alt werden und ein erbauliches Leben vor Gott und Menschen führen, wenn man nur immer seinen Verstand zur rechten Zeit gebraucht. Was aber soll aus der Menschheit werden, wenn Keiner aufsteht gegen Unrecht und Gewalt, und für seine gute Sache seine Stirn erhebt trotz aller Gefahr? – Ich will nicht weichen, Odoardo, um meinen Namen brandmarken zu lassen. Ich habe nichts gethan, was mich dazu zwänge. Und ist denn diese Spanne Leben so viel werth, um ängstlich davor zu zittern und ein rasches Ende zu fürchten? Muß man ein Greis werden, um genug daran zu haben? Sind nicht die größten Helden aller Zeiten jene tugendhaften Männer, welche, für Recht und Wahrheit streitend, nicht danach fragten, was Tyrannei ihnen drohte? Lebe wohl, theurer Odoardo. Gott sei mit Dir und schenke Dir langes Leben!

Ein banger Schmerz füllte Albergati's Brust, als Cosimo ihn verließ, und mischte sich mit seinem verletzten Stolz. Er war gekränkt von Cosimo's Worten, die ihm Schwäche, wenn nicht Feigheit vorhielten. Unwillig wandte er sich fort und in der ersten Erregtheit beschloß er, Capello's Rath zu befolgen, Cosimo zu meiden und ihn aufzugeben.

 

Einige Tage gingen vorüber, während welcher er Gelegenheit hatte, die Stimmung in Venedig kennen zu lernen, und er fand, daß diese schlimmer war, als er dachte. Er fand fast überall, selbst bei dem gemäßigten Theile des Adels, daß Cosimo richtig geurtheilt hatte. Die Abneigung gegen ihn war allgemein; heftige Vorwürfe wurden ihm als einem Menschen gemacht, der die in Frankreich auftauchenden, verderblichen Ideen eingesogen und mitgebracht habe. Man erinnerte sich, wie er diese bewundert und angepriesen, wie er erklärt habe, kein Land würde den Umwälzungen, welche in Paris vorbereitet würden, widerstehen.

Freund der Franzosen zu sein, war in Italien niemals eine besondere Empfehlung. Die Franzosen hatten sich bis dahin den Italienern oft genug furchtbarer gemacht, als die Deutschen, und die freundschaftlichen Verbindungen Venedigs mit dem Kaiser waren in vollster Blüthe. Cosimo's Schrift wurde als ein Vorläufer zu anderen schlimmeren Büchern, zu den gottesläugnerischen Schriften, welche Frankreich überschwemmten, betrachtet. Jeder Tag konnte jetzt dergleichen über Venedig bringen, das den Furchtsamen schon eine Beute wilder Pöbelhaufen schien.

Gegen Ende der Woche erhielt Odoardo ein Billet von seinem Verwandten Capello, der ihn in freundschaftlichen Ausdrücken einlud, ihn zu besuchen und mit ihm zu speisen.

Du wirst einige Freunde bei mir treffen, schrieb er, und wie ich hoffe in ihrer Gesellschaft Dich wohl befinden. Ich habe Dir eine vertrauliche Mittheilung zu machen, komm somit ein wenig früher, als gewöhnlich.

Was konnte es sein, worüber er vertrauliche Mittheilungen hören sollte? Die verschiedensten Muthmaßungen füllten seinen Kopf, und als endlich die Zeit da war, ging er voller Erwartungen zu dem hohen Rath, der ihn in sein Cabinet zog und willkommen hieß.

Ich muß damit anfangen, sagte Capello, Dir meine Freude auszudrücken, daß Du mit der Aufrührerrotte gänzlich gebrochen hast. Du bist genau beobachtet worden, ich weiß Alles. Du hast mit Cosimo eine Unterredung auf der Piazzetta gehabt und ihn von da ab gänzlich gemieden.

Odoardo mußte es zugeben. Da meine Gründe, die ihn bewegen sollten, Venedig zu verlassen, nichts fruchteten, habe ich ihn aufgegeben, erwiederte er.

Pesaro hatte es Dir vorher gesagt, fiel Capello ein, dem Blinden scheint keine Sonne. Aber es ist gut so, fuhr er mit einem rachsüchtigen Lächeln fort; ich denke, wir wollen ihn in Venedig festhalten, daß er es niemals verlassen soll. – Was Dich jedoch betrifft, mein lieber Odoardo, so muß ich kurz sein, denn ich höre meine Gäste kommen.

Er nahm seine Hand und sein finsteres Gesicht suchte einen Ausdruck liebevoller Freundlichkeit anzunehmen.

Du bist mein naher Verwandter, Dein Glück ist mein inniger Wunsch. Seit langer Zeit schon dachte ich daran, daß Du Dich vermählen mußt, und hoffte Dir eine passende Wahl vorzuschlagen. Jetzt bin ich im Stande dies zu thun und wenn Du willst, wird sich Dir nichts entgegen stellen. Mache keine Einwürfe, sondern sieh Dir erst die Braut an. Ich wiederhole Dir nur, daß, wenn sie Dir gefällt, Du keine Fehlbitte bei ihrem Vater und durch diesen bei ihr zu erwarten hast.

Nach diesen Worten führte er ihn in das Familienzimmer; Odoardo stand plötzlich vor Lucia und dem Staatsprocurator.



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