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Im Jahre 1779, als Alviso Mocenigo Doge in Venedig war, begab es sich eines Abends, daß zwei junge Edelleute noch in später Stunde unter den Arkaden des Marcusplatzes auf und abgingen. Sie waren innige Freunde, doch seit einigen Jahren getrennt gewesen, denn Graf Cosimo Vinci, der ältere von beiden, hatte während dessen in Frankreich und Spanien gelebt, Odoardo Albergati dagegen trat inzwischen in Venedig in den großen Rath der Signoria und machte sich mit den Staatsgeschäften bekannt.
Beide waren schöne und edle Jünglinge, alten Geschlechtern angehörend, deren Namen im goldnen Buche der Republik verzeichnet standen; beide die Erben bedeutender Glücksgüter, beide endlich ähnelten sich an äußerer Gestalt und innerer Denkweise; aber wie Albergati der reichere war, so war Vinci der schönere, ja wenn man alten Aufzeichnungen glauben will, so war er der schönste und herrlichste Mann Venedigs in seiner Zeit, und eines jener Menschenbilder, deren Pracht und Kraft den stolzen Glauben erzeugt haben, daß Gott darin sein Ebenbild geschaffen. Er war groß und schlank von Gestalt, und als jetzt der Mond aus den Wolken hervortrat und an den vier Rossen über dem Portal der Marcuskirche hinstreifend in den offnen Bogen des Ganges leuchtete, in welchem Cosimo Vinci stand, an seinen Freund gelehnt und hinüberschauend nach dem finsteren, hohen Dogenpalast, wurde selbst Odoardo von der Macht hingerissen, welche Cosimo über so viele Menschen ausgeübt hat. Bewundernd schaute er ihn an und legte, ihn an sich ziehend, den Arm um seine Schulter.
Der Mondschein erhellte Cosimo's Gesicht, das römisch edle, männliche Züge von vollendeter Reinheit besaß. Ueber sein dunkel fallendes Haar deckte das Licht der Nacht einen bläulich duftigen Schimmer, auf seiner stolzen Stirn schien es sich zu sammeln und feuriger zu glänzen, oder war es das Feuer seiner großen glänzenden Augen, die im Gespräche mit Odoardo Albergati heiße Funken warfen? – Cosimo hatte Grund dazu, erregt und leidenschaftlich zu sein, denn was er über die Zustände seines Vaterlandes erfahren, überzeugte ihn, daß diese nicht allein dieselben geblieben, sondern sich verschiedentlich noch mehr verschlimmert hatten, und doch waren es eben diese Zustände, durch welche er gezwungen wurde sich zu entfernen.
Als er kaum fünf und zwanzig Jahre zählte, starb sein Vater, ein Freiheit liebender Mann, der seiner Grundsätze wegen niemals in dieser enggeschlossenen, mißtrauischen Aristokratie zu Ansehen gelangen konnte. Er verbarg sich in seinem alten Palast, lebte dort mit Büchern und Bildern und erzog seinen einzigen Sohn als Republikaner, dessen Geist er an den Geistern der Heroen des Alterthums bildete und dessen Seele er mit kühnen Vorstellungen und Entwürfen füllte, wie Tyrannei und Tyrannen zermalmt werden müßten.
Als sein Vater todt war, blieb dem jungen Edelmann eine Mutter, die den schönen geist- und talentvollen Sohn anbetete und welche dieser aufs Zärtlichste verehrte. Nach Allem, was man von ihr weiß, muß es eine hochgeartete Frau gewesen sein, denn was Cosimo that, vermehrte ihren Stolz auf ihn, und ohne Zittern sah sie, wie er sich in Gefahren stürzte, die den Verwegenen mit rettungslosem Untergang bedrohten.
Als Graf Vinci im großen Rathe Platz genommen, währte es nicht lange, so erhob er sich gegen die Mißbräuche der Verfassung, somit zugleich für Herstellung der Rechte des Volks, und in kurzer Zeit war er dessen erklärter Liebling. Wo er erschien, folgten ihm die Viva's der dankbaren Menge, wo er redete, hörten sie ihn mit Jauchzen, und wenn er den Saal der Signoria verließ, begleiteten sie ihn nicht selten im Triumphe bis an seine Thür. Er that nichts gegen das Gesetz, nichts was er kraft seines Rechts nicht thun durfte; aber wie die Liebe des Volkes aufwachte, erweckte sie auch den Haß der Nobili, des Senates, des Raths der Zehn, der furchtbaren Staatsinquisitoren und des Dogen selbst, denn Mocenigo's Neffe war Cosimo's erbitterter Feind.
Niemand, der des Volkes Liebe je erwarb, indem er für dessen Recht stritt, hat noch jemals den Dank der Mächtigen damit verdient. Bald war Cosimo Vinci verfolgt, und nur aus Furcht wagte man keinen Gewaltstreich gegen ihn. Dazu kam, daß er auch unter dem Adel selbst Freunde und Anhänger zählte, daß sein Verwandter Albergati zu den Reichsten und Ersten gehörte, und daß der hochgeachtete Herzog Orzio, der mit seinem Vater erzogen war und ihn selbst von Jugend auf kannte, Alles, was er vermochte, zu seinem Schutze that. Als dieser nicht mehr ausreichen wollte, und die Stimmen des Hasses immer lauter wurden, und das Aergste zu fürchten stand, gelang es dem Herzog Cosimo zu bewegen sich durch freiwillige Verbannung dem Untergange zu entziehen.
Seine Entfernung beschwichtigte die Inquisitoren. Der schon bereite Verhaftsbefehl wurde zerrissen, man erlaubte Cosimo nach Frankreich zu gehen und hoffte, daß er gebessert daraus zurückkehren werde.
Jetzt waren Jahre vergangen, Cosimo war zurückgekehrt, gerufen von seiner alten Mutter, von dem durstigen Ehrgeiz seiner Seele, von der stürmischen Gluth seiner Gedanken und Gefühle, und von der gramvollen Sehnsucht seines Herzens; aber gebessert war er nicht.
Theurer Cosimo, sagte Odoardo, nachdem sie mit gedämpften Stimmen längere Zeit gesprochen hatten, so innig ich mich freue Dich wieder in Venedig zu sehen, so voller Sorgen bin ich um Dich; denn Alles, was Du sagst, beweist mir, daß Dein Name nicht von der Liste der Verdächtigen gestrichen werden wird.
Auf dieser Liste, antwortete Cosimo seinem Freund, haben von jeher die besten und edelsten Namen gestanden. Sie sollen mich auch nicht daran streichen, denn wenn es geschähe, würde ich vor mir selbst entehrt sein.
Still! flüsterte Albergati, indem er scheu nach allen Seiten blickte, Du vergißt, daß Du in Venedig bist.
Wo gedungene Spione und Mörder seit vier Jahrhunderten den Staat regieren helfen, sagte Cosimo, und Niemand sicher ist vor das blutige Tribunal geschleppt zu werden, das seine Opfer nächtlich ersäufen läßt, wenn es sie nicht als Hochverräther im Hofe des Arsenals schlachten kann.
Um aller Heiligen willen, Cosimo! murmelte Odoardo in höchster Bestürzung, hüte Dich und behüte mich. Wenn wirklich einer von den zahllosen geheimen Agenten der Staatsinquisition Dich hörte, würde auch ich verloren sein, denn weißt Du nicht mehr, daß, wer die Inquisitoren, oder die Zehner, oder den Dogen und seinen hohen Rath schmähen hört und es nicht anzeigt, dieselbe Todesstrafe leiden soll?
Ich weiß Alles, antwortete Graf Vinci, aber ich weiß auch, Odoardo, daß Du mit mir sterben würdest.
Ich würde es gern und willig, wenn mein Tod nützen könnte, sagte Albergati; man muß jedoch seinen Gegnern und Feinden niemals leichtes Spiel machen.
Cosimo drückte ihm lächelnd und innig die Hand.
Du bist noch immer mein vorsichtiger und treugesinnter Schutzgeist, antwortete er, und Du hast Recht. Alles, was ich gehört habe, bestärkt mich darin, daß die Zustände in Venedig ärger geworden sind, als sie waren. Die Gewaltthaten der Regierung haben zugenommen, denn die Unzufriedenheit ist fort und fort gewachsen. Doch ist es dagegen auch kein geringer Theil des großen Rathes mehr, der den Senat sowohl demüthigen möchte, wie er tiefen Haß gegen den Rath der zehn Tyrannen trägt. Doch was sage ich, unterbrach er sich; ich glaube, daß unter den vier Millionen Menschen, die jetzt noch zur Republik gehören und zum Hohn der Welt Republikaner genannt werden, nur diese Hand voll übermüthiger, aufgeblasener Familien und ihr Anhang nicht wünschen, daß sie sämmtlich beseitigt würden. Du solltest hören, mein Freund, wie man in Frankreich über uns urtheilt, in Frankreich, wo man doch auch den Absolutismus des Königthums kennt und eine Bastille besitzt. Aber was ist das gegen unsere drei Staatsinquisitoren, die wie die Richter der Hölle ihre entsetzlichen Urtheile fällen, von denen Niemand etwas erfährt, als die Unglücklichen, welche spurlos verschwinden, und von denen Niemand zu sprechen wagt, weil jedes Wort Verbrechen und Tod ist.
Mein Freund, sagte Odoardo, bedenke, daß diese wenigen Männer trotz dessen noch immer im Besitz der gesammten Macht und Gewalt sind. Daß sie den Staat regieren, sie alle Mittel in Händen haben; daß zwanzigtausend Soldaten und Tausende von Häschern und Sbirren jeden ihrer Winke vollziehen; daß eine furchtbare, in die geheimsten Familien- und Freundeskreise eindringende Polizei ihnen zur Seite steht, der nichts verborgen bleibt, die Alles weiß und nichts verschont.
Es wird mit ihr ein Ende nehmen, fiel Cosimo ein, rascher, unerwarteter, als sie es denkt, und – fügte er mit schwermüthigem Gemurmel hinzu – es wird mit uns allen ein Ende nehmen, Odoardo; ja, mit uns allen! Mit diesem uralten Staat, mit den Sklavenketten, die sie um ihn mit Blut und Schweiß so lange zusammengenietet haben, daß er längst eine verpestete Leiche wurde, mit dieser bettelstolzen, heruntergekommenen Signoria aller vier Grade, mit diesem hochmüthigen, verblendeten Senat, mit dem Lumpenprinzen, Doge genannt, den sie als eine Puppe in den alten Palast dort einsperren, mit den zehn feigen Tyrannen und mit den drei Höllenrichtern, den Staatsinquisitoren. Mit Allen geht es zu Ende, Odoardo, aber auch mit uns. Der erste Stoß wirft dies verrottete Haus zusammen, und dieser Stoß wird kommen, denn es kommt eine neue Welt. Die Befreiung Amerika's und die Gründung neuer Republiken auf der breiten Grundlage der Gleichberechtigung aller ihrer Bürger wird für Europa noch größere Folgen haben, als Amerika's Entdeckung. Wie der Durst nach Gold und Schätzen damals die Menschen ergriff und zu den kühnsten Thaten trieb, so wird jetzt der Durst nach Freiheit sie zu anderen noch größeren Thaten treiben. Ich habe den jungen Lafayette gesehen, wie er in Paris empfangen wurde; ich habe Männer kennen gelernt, die den Strom neuer Gedanken durch ganz Frankreich verbreiten; ich habe erfahren, welche Macht dieser neue Geist ausübt, und ich sage Dir, Odoardo, er wird alle Völker ergreifen und die ihm widerstehen, werden von ihm zerschmettert niedersinken.
Albergati hörte still zu, so lange sein Freund sprach, dann antwortete er leise: Was glaubst Du, was hier geschehen kann, und was denkst Du zu thun?
Was hier geschehen kann? fragte Cosimo. Ich habe vor zwei Jahren ein paar von den Steinen aufgelesen, die vor mir Angelo Querini gegen unsere Tyrannen geschleudert hatte, jetzt werde ich diese Steine wieder zusammenraffen, werde einen Haufen neue hinzu thun und nicht eher aufhören, bis die Decemvirn und ihr Anhang darunter begraben liegen.
Oder Du! sagte Albergati den Kopf senkend.
Oder ich! antwortete Cosimo. Es mag sein, Odoardo, aber dann bin ich für eine große und edle Sache gestorben, für die Wiedergeburt meines Vaterlandes. Glaube mir, fuhr er mit seiner tiefen melodischen Stimme fort, ich weiß genau, was mir droht, aber wenn Venedig nicht untergehen soll, so muß jetzt neues Blut in die Adern dieses abgestorbenen Körpers kommen. Ich bin es ja auch nicht allein, der so denkt. Selbst im Senate giebt es Männer wie Luigi Zeno, wie Antonio Malapier, wie Paulo Renier, die den tiefen Verfall unseres Vaterlandes erkennen. Gelingt es uns nicht Venedig zu neuem Leben zu bringen, so werden wir das unsere lassen müssen.
Du hast Deine Mutter noch nicht gesehen? fragte Albergati.
Nein, erwiederte der Graf. Seit wenigen Stunden erst bin ich in Venedig. Meine Mutter befindet sich seit zwei Tagen im Kloster der Ursulinerinnen zu einer Andachtsübung. Sie betet dort für die glückliche Heimkehr ihres Sohnes, fügte er gerührt hinzu.
Also hast Du bis jetzt Niemandem Dich gezeigt, lieber Cosimo? fragte der Freund weiter.
Bis jetzt sah ich nur Dich, in Folge des glücklichen Zufalls, der uns hier zusammenführte.
So bleib noch einige Tage wenigstens still in Deinem Hause; zeige Dich nicht öffentlich.
Cosimo dachte einige Augenblicke nach, schüttelte dann aber den Kopf.
Ich errathe Deine Besorgnisse, sagte er. Du fürchtest, daß, wenn ich mich sogleich auf den Plätzen zeige, das Volk wie sonst mir nachlaufen und dem Cosimo Vinci seine Viva's nachrufen wird. Das kann sofort alle Spürhunde wieder an meine Fersen bringen und den Haß der zehn Tyrannen aufwecken. Aber nein, Odoardo, so darf ich es nicht machen; ich darf mich nicht verstecken, denn ich will nicht furchtsam oder demüthig scheinen, und die Kunst zu heucheln fehlt mir gänzlich. Bei der Menge der Angeber und Spione wissen die Inquisitoren doch wahrscheinlich, daß ich hier bin. Was ich an Sicherheit gegen ihre Rachgier und Gewalt gewinnen kann, besteht darin, daß ich dreist und fest auftrete und meine alten Freunde für mich begeistere. Fürchte nicht, theurer Odoardo, fuhr er fort, daß ich unbesonnen handle. Ich habe dies niemals gethan und bin zu ruhiger Ueberlegung noch geneigter geworden. Glaube mir, ich gehöre nicht zu denen, die wilde Kräfte entfesseln und sie dann nicht zu bändigen vermögen. Ich bin kein Rienzi, der den Adel vertreiben will und Klugheit wie Mäßigung vergißt, auch begehre ich nicht zu ernten, wo erst noch zu säen übrig bleibt. Saaten auszustreuen, mein Odoardo, das ist es, was uns zunächst obliegt. Den Geist anzufachen, aus dem das Gute kommt, das soll meine Aufgabe sein. Jetzt laß uns gehen, erzähle mir Neues von meinen Freunden. Wir werden Zeit haben weiter zu sprechen, wenn ich in Venedig warm geworden bin.
Nur Eines noch, sagte Albergati. Der Rath der Zehn hat das Verbot streng erneut, daß kein Venetianer mit Fremden, namentlich nicht mit fremden Gesandten und was zu diesen gehört, Verbindungen unterhält, welche auf innige Befreundung schließen lassen. Hüte Dich davor, Cosimo.
Du bist im Irrthum, antwortete Cosimo lächelnd. Ich habe keine Verbindungen mit Fremden. Meine wenigen Freunde in Spanien und Paris sind größtentheils Gelehrte, oder Männer, die in jetziger Zeit keine Gesandtschaftsposten bekommen; Männer der Zukunft, lieber Odoardo, welche auf ihre Zeit warten, und das ist auch unsere Sache. Jetzt sage mir, wie es dem guten, alten Herzog Orzio geht, dem ich so Vieles zu danken habe.
Es geht ihm körperlich wohl, so viel ich weiß, antwortete Albergati, obwohl ich ihn seit längerer Zeit nicht gesehen habe.
Du sagst körperlich wohl, versetzte Cosimo, betonst dies so stark und hast ihn nicht gesehen? Ist er geistig krank? Hat er Gram? O! und Lavinia, meine kleine Freundin Lavinia, wie steht es mit ihr? Es muß etwas sein, Odoardo, was Dir nahe geht, mein Freund, ich lese es in Deinem Gesicht.
Da Du mich frägst, will ich Dir nicht verschweigen, was Du morgen vielleicht aus anderem Munde gehässiger erfahren würdest, sagte Odoardo. Der alte Herzog hat schweren Kummer und – Lavinia hat ihm diesen gemacht.
Eine Liebesgeschichte! rief Cosimo.
Eine der schlimmsten Art, erwiederte Albergati. Der Herzog hatte sich den Prinzen Rucini in Pisa zum Eidam ausersehen. Du kennst ihn.
Ein Mensch, wie sie schockweise zu finden sind, entgegnete Cosimo. Zu gut um schlecht zu heißen, zu schlecht um gut zu sein.
Die Sache war richtig. Orzio reiste mit seiner Tochter nach Pisa, dort aber hat sie mit einem jungen leichtsinnigen Cavalier von schlechtem Ruf und ausschweifenden Sitten, der obenein nichts hat und nichts ist, sich in Verhältnisse eingelassen.
Das ist nicht wahr! rief Cosimo lebhaft. Das ist Verläumdung!
Ich wünsche es, antwortete Albergati; so viel aber ist gewiß, daß der Prinz die Verbindung abgebrochen hat, und Lavinia beschimpft ist.
O! sagte Vinci, nachdem er einige Minuten lang schweigend neben seinem Freunde weiter gegangen war, so sind diese Menschen. Ich kenne Lavinia, eben ist sie vierzehn Jahre alt geworden; wollte Gott, alle wären so reinen Herzens wie sie. Wenn sie wirklich schuldig wurde, dann haben es die zu verantworten, die sie nicht besser bewachten, sie nicht besser erzogen. Die Erziehung unserer Frauen, Odoardo, ist eine unserer tiefsten Schattenseiten; unsere eigene Erziehung, die so mangelhaft und ungenügend ist, wird darin noch weit übertroffen. Nicht allein, daß das Volk in Unwissenheit und Aberglauben bleibt, weil gute Schulen und Aufklärung despotischen Regierungen verhaßt sind, Sitten und Gewohnheiten kommen dazu, um Geschlecht auf Geschlecht weiter zu entnerven und ihnen des Lebens Ernst und Strenge, Moral und Tugend, widerwärtig und lächerlich zu machen. Wären unsere Männer anders, dann freilich würden auch die Frauen anders sein; wären die Eltern verständig und die Familie ein Vorbild schöner, edler Häuslichkeit, so würden die Kinder sich daran stärken und Grundsätze erben, wie diese jetzt selten geworden sind.
Man wird doch niemals alle Menschen bessern können, sagte Odoardo.
Nein, antwortete Cosimo, das wird man nicht, allein eine andere Sache ist es, ob das Rechte und Gute von den Meisten geübt wird, ob eines Volkes Sitten und Gesetze mit dem übereinstimmen, was die Richter des Menschenlebens, die Geschichtsschreiber, als Tugend und Wahrheit erheben, oder ob das Thörichte und Schlechte Preis und Beifall findet. Ein sittenloser Mensch verliert die Scham vor seinen Lastern, aber die Besseren stoßen ihn von sich. Verfallen die Sitten eines Volkes, dann breitet das Verderben sich über Alle aus; die Lasterhaftesten sind die Ersten und Angesehensten, und man verspottet die Wenigen, die noch an Tugend und Würde glauben. Ein verfallendes Volk ist gierig nach sinnlichen Genüssen und nach Allem, was jene gewähren kann, darum ist auch immer Barbarei und Knechtschaft im weitesten Sinne sein Loos gewesen. Hat solche Fäulniß einmal ein Volk durchdrungen, so geht es ihm wie einem lebendigen Körper, der mit verdorbenen Säften gefüllt ist. Es nützt nichts mehr, wenn einzelne Glieder etwa noch schön und kräftig sind; oder glaubst Du nicht, daß selbst zu den Zeiten Tibers, Nero's und Caligula's Menschen genug auch in Rom noch waren, die mit tiefem Gram auf die Entartung ihrer Zeitgenossen blickten? Ihr edler Schmerz aber bewirkte keine Umkehr. Die Zeit der Freiheit und der Wahrheit war vorüber, Tyrannei und Feigheit hatten längst das alte stolze Heldenthum verzehrt.
Wenn Du solche Urtheile fällst, sagte Odoardo, was kannst Du dann von uns und unserer Zukunft. hoffen?
Vieles, versetzte Cosimo. Die alte Freiheit starb an der Tyrannei der Imperatoren, die Imperatoren werden sterben an der jungen Freiheit der Zukunft. Das Menschengeschlecht erfrischt sich durch neue Ideen, welche neue Lebenskeime treiben. Denn es ist kein Kreislauf der Dinge, theurer Odoardo, in den die Menschheit gebannt ist. Nein, der Geist, der das Göttliche in uns ist, treibt uns vorwärts zur besseren Erkenntniß. – Was aber die Frauen anbelangt, setzte er dann hinzu, so haben diese von jeher ganz besonders in Italien eben sowohl viel dazu beigetragen, den Heldensinn und die Größe des Volks zu nähren und zu fördern, wie sie zu dem tiefen Verfall vieles beitrugen. Welch ein Unterschied zwischen der Mutter der Gracchen und der Mutter des Britannicus Die berüchtigte Valeria Messalina, Ehefrau des Kaisers Claudius. In den ihr überwiegend äußerst negativ gesinnten Quellen wird sie als habgierig, grausam und ausschweifend beschrieben; sie sei eine Nymphomanin gewesen. Zahlreiche hochrangige unliebsame Personen fielen ihren Intrigen zum Opfer. Laut Juvenal ist Messalina sogar so triebhaft veranlagt gewesen, dass sie sich selbst als Prostituierte anbot. Doch diese und andere Darstellungen von Messalina als eine der »größten Nymphomaninnen der Geschichte« entbehren einer zuverlässigen Basis., der Juvenal ein ewiges Denkmal der Schande setzte!
So weit, antwortete Albergati lächelnd, ist es aber mit unseren Damen noch nicht gekommen.
Weit genug, Freund, weit genug! rief Cosimo. O, arme Lavinia, armes Kind! dich schmähen sie, dich verachten sie, weil du vielleicht in deines Herzens Einfalt an einen Elenden geriethest; sie aber, die argen reifen Sünderinnen, die mit vollem Bewußtsein ihren Leidenschaften fröhnen, sie, die sich verkaufen und Treue heut geschworen morgen schon vergessen, sie sind geehrt und bewundert.
Das ist das Verkehrte, Odoardo, das Unsittliche an unserem Familienleben. Ein Mädchen darf keinen Fehler begehen, gleich sind sie alle da, um sie zu verdammen; eine Frau aber darf sich Alles erlauben, der Mann muß es tragen, wenn er nicht etwa ein eifersüchtiger Narr sein und obenein gelegentlich Dolch- oder Degenstöße bekommen will. Wie viele Frauen haben wir ohne den üblichen Liebhaber, den cavaliere servente? Wie viele wechseln nicht mit ihm jährlich oder monatlich und nebenbei noch mit ihren anderen Liebschaften? Wie viele Weiber giebt es in Venedig, die dreißig Jahre alt wurden, und nicht ein Dutzend Male schon Pilgerfahrten und Bußübungen anstellten zur Abbüßung ihrer Sünden?
So bereuen sie doch, sagte Odoardo lächelnd.
Wie es der unverbesserliche Leichtsinn thut, erwiederte Cosimo. Sie büßen, um von Neuem zu kündigen, und kündigen, um das Vergnügen zu haben Buße zu thun.
Man muß dennoch nicht zu hart beurtheilen, was einmal mit Sitten und Gewohnheiten vererbt und verwachsen ist, fiel Albergati ein.
Eine gute Entschuldigung, mein Freund, mit der man Alles beschönigen kann, antwortete der Moralist; doch allerdings ist es wahr, daß Sünde sich forterbt und fortwächst, wenn Sitten und Gesetze sie begünstigen. Nur Beispiel und Erziehung könnten helfen. Wie geht es aber her im Leben? Was geschieht hier für Bildung des Geistes, für eine freie edele Entwickelung des Verstandes und der Gefühle? Der nothdürftigste Unterricht wird den Mädchen ertheilt, von Nonnen und Priestern, die erst die Vertrauten, dann die Beichtväter und endlich die Kuppler werden. In Müßiggang und Putzsucht wachsen sie auf. In den Bädern verweichlicht der Körper; auf den Polstern, von Wohlgerüchen und Salben umduftet, entwickelt sich die frühe Sinnlichkeit, bis endlich die Stunde kommt, wo der gnädige Papa oder die gnädige Mama einen Mann hereinführt und befiehlt: den sollst du heirathen. Das thut sie, mag er sein wie er will, alt oder jung, häßlich und von allen Sünden angefressen; allein am Altare schon denkt sie daran, wie sie sich entschädigen will, und keine Woche vergeht, so ist der Liebhaber im Hause.
Höre auf, Cosimo! lachte Albergati; wenn man Dich hört, muß man glauben, daß es kein Mädchen und keine Frau giebt, die nicht den schändlichsten Lastern verfallen wäre.
Das sage ich nicht, antwortete Cosimo. Nein, im Gegentheil, es giebt edle und herrliche Ausnahmen. Es giebt Mädchen voller Geist und der Liebe voll, die vom Himmel stammt; es giebt Frauen so hochgeartet, wie kein anderes Land sie hervorbringt. Und das ist es, Odoardo, was mir den Muth giebt daran zu glauben, daß es besser werden kann. Unsere Frauen sind heiß und glühend, begeisterungsfähig für Alles, was ihre Herzen ergreift. Eine Frau kann unglaublich schnell schlecht werden, viel schlechter, grausamer, fühlloser als ein Mann, aber sie kann auch schneller sich erheben, groß und erhaben handeln, denn Alles ist ihr Herzenssache.
Während sie sprachen, waren sie dem Rialto zugeschritten, und eben kamen von dort her ihnen mehrere Herren und Damen entgegen. Es war eine vornehme Gesellschaft, die von einer Lustfahrt zurückkehrte und anderer Lust entgegen ging. Diener in blitzender Tracht, mit großen Stocklaternen versehen, schritten voran, lachende und lärmende Cavaliere führten die Damen. Die beiden Freunde traten zur Seite und ließen den Trupp vorübergehen; es konnte jedoch nicht fehlen, daß sie bemerkt und betrachtet wurden, ebenso wie sie bemerkten und betrachteten.
Was Cosimo betraf, so hefteten sich seine Blicke auf eine Dame von großer Schönheit, die in reichster Kleidung am Arm eines Herrn ging, der einen Stern auf der Brust trug. Ihr kurzer dunkler Mantel war mit großen Demantknöpfen besetzt, ihr spanischer Hut mit weißen Straußenfedern hatte eine Agraffe von funkelnden Steinen; eine Page hielt die Schleppe ihres Kleides. Der Herr an ihrer Seite sah stolz und vornehm aus; eine lange trockene Gestalt, ein langes Gesicht, das zwischen den dicken gepuderten Locken an beiden Seiten seines Kopfes farblos kalt hervorschaute.
Hinter diesem Paare folgten mehrere andere, endlich auch einige Cavaliere ohne Damen, und bei diesen befand sich ein breitschultriger Herr, der besonders froher Laune zu sein schien, oder des Guten zu viel gethan haben möchte; denn sein Gang sowohl wie seine Sprache und die Art, wie er lachte und sich geberdete, schienen anzudeuten, daß er vortrefflich gegessen und noch besser getrunken haben mochte. Er war nicht mehr jung, seine Züge roh und roth, der Körper aufgeschwemmt, und die wulstigen Lippen und hervortretenden Augen Zeugen, welche unzweideutig genug ein langes wüstes Leben ankündigten.
Als er ein halbes Dutzend Schritte vorüber war, stand er plötzlich still und suchte sich von denen, die mit ihm Arm in Arm gingen, loszumachen.
Heda! schrie er, wer stand dort? Habt Ihr ihn gesehen, Paulo? Beim heiligen Marcus! ich will gehangen sein, wenn es nicht Cosimo Vinci war. Laßt mich sehen, laßt uns sehen!
Er wollte umkehren, allein seine Begleiter litten es nicht, und Cosimo war inzwischen mit Albergati hinter einen Pfeiler getreten, wo Beide nicht zu bemerken waren.
Es war Lorenzo Lambertini, sagte Odoardo.
Gemeiner und heruntergekommener als je, antwortete Cosimo verächtlich. Ein nobler Verwandter der Mocenigos. Von seinem großen Vermögen wird wenig mehr vorhanden sein.
Er ist von Neuem reich geworden, erwiederte Albergati, denn er hat eine Erbin geheirathet.
Wen hat er geheirathet?
Du hast sie gesehen. Dort ging sie an der Spitze des Zuges mit dem langen bepuderten Herrn.
Coralie Foscarini!
Du hast sie erkannt. Francesco Pesaro, der Staatsprocurator, war ihr Vormund, und hat mit Hülfe ihrer eigenen Mutter und mit Hülfe des Dogen, der seinem Neffen eine reiche Frau verschaffen wollte, sie dem Lorenzo ins Haus gebracht. Wahrscheinlich haben sie in ihrem Landhause gespeist und machen jetzt dem Dogen einen Nachtbesuch. Man sagt, Lambertini werde eine Gesandtschaft nach Wien erhalten.
Der Schwelger, der Verschwender?
Ob er das Geld seiner Frau in Venedig durchbringt oder in Wien, ist vielleicht nicht einerlei. Die Republik bezahlt ihre Gesandten nicht besonders. In Neapel hat Lambertini den größten Theil seines Vermögens gelassen, hier ist der Rest fortgegangen. Nun ist er seit drei Monaten verheirathet und macht wiederum großen Aufwand. Dabei ist es bekannt, daß die Tänzerin Zuchi und die Sängerin Bolita ihn ausplündern, also muß er fort.
Also muß er Gesandter werden! rief Cosimo mit bitterem Lachen. Der zu allem Schlechten fähige, leichtsinnige Wüstling muß eine Sendung ins Ausland bekommen, damit seine Schande hier zugedeckt werde.
Seine Sendung wird nicht viel zu bedeuten haben, sagte Odoardo. Ich hörte, Oesterreich will hier eine Anleihe machen. Abzuschlagen wagt es die Regierung nicht, Lorenzo soll in Wien davon abrathen. – Warum siehst Du so wild und finster aus, Cosimo? Dieser Lambertini ist allerdings immer einer Deiner Gegner und Feinde gewesen, auch mag es noch sein, und Du mußt Dich vor ihm hüten, denn er ist falsch, gemein und rachsüchtig. Hat er auch selbst wenig zu bedeuten, so hat er doch bedeutende Verwandte: Pesaro, der den Senat beherrscht und den Rath der Zehn, und Luigi Barbarimio der Staatsinquisitor, bei dessen Namen schon Jeder unwillkürlich an seinen Hals faßt, endlich der Doge selbst, obwohl er noch der gutmüthigste in diesem Kleeblatte ist.
Wer war der lange, dürre Mensch, der sie führte, unterbrach Cosimo seinen Freund.
Der die Lambertini führte? erwiederte Albergati. Das war ein deutscher Prinz, Herzog Ferdinand, ein naher Verwandter des Erzherzogs von Toscana, des Herzogs von Modena und des deutschen Kaiserhauses. Unter den Ausländern, welche sich in Venedig aufhalten, ist er der vornehmste und höchste. Unsere Regenten bücken sie vor ihm so weit sie können, denn Du weißt wohl, sie haben geschmeidige Rücken großen Herren gegenüber, besonders wenn diese aus Wien kommen. Darum haben sie es auch gerne gesehen, daß dieser Prinz mit Lambertini so vertraulich umgeht.
Mit ihm, murmelte Cosimo vor sich hin. Hat er sich lange schon diesen werthen Freund ausgesucht? fragte er dann laut.
Seit einigen Monaten vielleicht ist er hier, und damals gab der österreichische Gesandte zu seinem Empfange ein großes Fest, dort wurde die Bekanntschaft wohl zunächst gemacht und dann bei Lambertini's Festen fortgesetzt.
Gute Nacht, Odoardo! sagte Cosimo, ich bin müde und hier erwartet mich Haus und Bett. Morgen, wenn ich meine Mutter gesehen habe, suche ich Dich auf und lasse mir mehr von Dir erzählen.
Meine letzte Bitte, Freund, erwiederte Albergati, ist die: sei vorsichtig und gieb Deinen Feinden keinen Anlaß gleich wieder über Dich herzufallen.
Sei ohne Sorgen! betheuerte Cosimo, Du wirst finden, daß ich mehr halte, als ich versprochen habe.
Er schlug seinen Mantel fest um sich und verlor sich in die schmale Gassenschlucht, welche ihn zu der Hinterthür seines Hauses brachte.