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Wo anfangen und wo aufhören? Seit undenklichen Zeiten schleppe ich an diesem Karren, der abgesehen von seinen Berufsannalen mit einer dicken Fracht an persönlichem Gedenkstoff bepackt ist; mit einer für mich selbst seit langem unübersehbaren Ladung. Um wenigstens den Anschein einer ordnenden Einteilung zu gewinnen, klammre ich mich an die gute Weisung »il faut commencer par le commencement«. Also versuche ich es, mich in meine Lehrjahre zu versetzen, die immerhin ein volles Jahrzehnt umfassen. Da lauten die Stichworte: »Die Berliner Wespen« und »Julius Stettenheim«, ihr Begründer, dessen Name nun schon ins Legendäre zu verschwimmen beginnt, etwa wie der des wortspielerischen Humoristen Saphir. Ursprünglich war Stettenheim dessen verjüngte Hamburger Ausgabe, und als er später seinen Wirkungskreis in Berlin erweiterte, setzte er schlagkräftig eine Tradition fort, für die damals in der Empfänglichkeit des Publikums alle Vorbedingungen vorhanden waren. Seine Veranlagung drängte ihn und in seinem Gefolge die Leserschaft auf das akute, eruptive Lachen, wie es sich aus unvermuteter, aber leicht in die Ohren fallender Pointe entzündet. Er feuerte unablässig mit einzelnen, der Zahl nach massenhaften Funken, unbekümmert darum, ob sich aus solchem Funkenspiel irgendwelche nachhaltige Leuchtwirkung ergeben könnte. Nicht auf das Kontinuum kam es an, sondern darauf, daß die nächste Minute eine neue Zündung brachte. Und alle Tagesereignisse schienen nur darauf zu warten, daß mein Lehrmeister Stettenheim aus ihnen kurzweilige Blendeffekte herauspickte. Das Urteil von heute verweist diese Technik in das Gebiet der Kabarettkünste und verstattet sie nur noch dem Variétékomiker. Damals gehörte sie zur heiteren Literatur, zur besseren Journalistik, und Stettenheim war, selbst wenn man zum Vergleich David Kalisch vom »Kladderadatsch«, Glassbrenner, Schmidt-Cabanis, Siegmund Haber heranzieht, ihr glänzendster Vertreter.
Er hatte mich in einem Berliner Salon aufgestöbert bei Gelegenheit eines von mir in burschikosem Übermut hingeschmierten Festspiels, worin Wagners Tristan parodistisch vertingelt wurde. Und da sich Stettenheim in seiner Zeitschrift »Wespen« ein wenig entlasten wollte, so zog er mich als grasgrünen Gehilfen heran mit der Aufgabe »Witze zu machen«, kalauernde Scherze in Prosa und Versen, auf der Grundlage eines nicht besonders umfangreichen, aber sehr geduldigen Druckpapiers. Der Betrieb war der denkbar einfachste, nicht entfernt zu vergleichen mit den umständlichen Weitläufigkeiten eines modernen Witzblattapparates von der Art der »Lustigen Blätter«. Ein richtiges Redaktionslokal war gar nicht vorhanden. Dessen Stelle vertrat ein zur Druckerei gehöriges Kämmerchen, ein Verschlag vom Format einer Schiffskajüte, mit dürftigster Schreibgelegenheit in Form eines doppelten Stehpultes, das von einer offenen, schwelenden Gasflamme illuminiert wurde. Weitere Mitarbeiterschaft, Manuskriptsichtung, Illustrationseinlauf, drucktechnische Vorbereitungen – das alles existierte nicht. Eigentlich entwickelte sich die ganze Wespenwirtschaft aus dem Geplauder und aus dem fröhlichen Vorsatz »seien wir lustig!« Wenn das Blatt Freitag früh erschien, so war oft genug am Mittwoch zuvor noch keine Textzeile, kein Bilderstrich vorhanden. Irgendwo in der Ritterstraße hauste unser einziger Zeichner, der alte Gustav Heil, und wartete auf einige flüchtig angedeutete Bildideen. Wir behalfen uns mit losen Zetteln, die den Mann locker anspielend auf die Fährte einer bildlichen Schnurre setzten, und überließen die Gestaltung seinem bierseligen Ingenium. Und er traf's immer famos, hieb seine Konturen wie mit der Axt, und wenige Stunden darauf wanderte schon der leidlich brauchbare Holzschnitt an unsere zweiköpfige Schriftleitung. Wir hatten inzwischen einen Posten Manuskripte hingeschleudert, mit riesigem Amüsement für uns selber, am Donnerstagabend lasen wir im Vorgeschmack der Wirkung die Korrekturen, und am Freitag früh konnte das Blatt verkauft werden.
Tatsächlich, es gab Käufer und auch Abonnenten, wenngleich sich das Organ in der Hauptsache darauf verließ, daß es einer größeren Zeitung als Gratisbeilage angeheftet wurde. Das war die im Britischen Verlag erscheinende alte »Tribüne«, eine Tageszeitung, die viermal in der Woche Ferien machte; das heißt, sie kam nur an drei Tagen heraus, besaß aber eine nach damaligen Begriffen phantastisch hohe Auflage, und ihre Exemplarzahl war natürlich auch die unsrige. Wir allerdings sahen die Sache anders an und behaupteten unentwegt: die Wespen sind die kleine Lokomotive, die den schweren Lastzug Tribüne zu schleppen hat! Und für uns beide stand es fest: das Beiblatt »Wespen« war nicht nur in diesem Betriebe, sondern im ganzen Reich das Hauptblatt, soweit die deutsche Zunge klingt. Das war sehr egozentrisch aufgefaßt, denn die Wespen enthielten eine Menge von politischen und lokalen Schnurrpfeifereien, die wegen ihrer grundberlinischen Färbung nur am Strande der Panke Geltung hatten, schon in Magdeburg nicht recht verstanden wurden und vollends einem schwäbischen Ohr wie chaldäisch klangen.
Die stehenden Figuren und schablonisierten Formenrahmen spielten eine umfängliche Rolle. In ihren Anfängen gehen sie auf englische Typen zurück und auf die längstvergessenen Gestalten »Eisele und Beisele« in den ersten Jahrgängen der Münchner Fliegenden Blätter. In Norddeutschland hatte der uns befreundete Kladderadatsch langlebige Vorbilder gestiftet in Schultze und Müller (nach Londoner Muster und Bildklischee), Zwickauer, Karlchen Miesnick, Strudelwitz und Prudelwitz, und die Liste war zum Eigengebrauch der Wespen sehr erweitert worden. Wenn es nicht gerade der Aktualität widersprach, begann jede Nummer mit einem Parlaments-Feuilleton, worin Minister und Volksboten mit fürchterlicher Travestie ihrer eigenen Parlamentsreden angeprangert wurden. Fest schabloniert waren auch der »Europäische Polizeibericht« (Darstellung der Wochenbegebnisse im Schutzmannsstil), der spießbürgerlich-schnoddrige »Muckenich« (Vater der Figur »Lattenfritze«, die ich noch heute bisweilen in den Lustigen Blättern gastspielen lasse), der Kriegsberichterstatter »Wippchen«, der penetrante »Interviewer«, der alle jeweils prominenten Persönlichkeiten bis aufs Hemd ausfragte, die offiziöse, halb tierische Figur »Dr. Reptilius«, und schließlich auch die Form des Rebus, die allwöchentlich eine derbe, hieroglyphisch vermummte Anzüglichkeit aufsteckte.
Die Figur Wippchen besaß literarischen Anstrich und hätte gültig bleiben können, wäre sie nicht von Stettenheim zu Tode gehetzt worden. Er hatte ihn erfunden als den Typus eines journalistischen Schmocks, der über alle Kriegskonflikte und Katzbalgereien der Welt als angeblicher Augenzeuge berichtet, ohne sich jemals aus dem Städtchen Bernau nächst Berlin herauszurühren. Er war zudem das Muster stilistischer Entgleisungen und glänzte in der Travestie der falschen Begriffsbilder, Schwülste und Bombast, mit denen damals ein großer Teil der Presse von Reportern und Leitartiklern verschmiert wurde. Diese stilistische Gräuel zu ersinnen und zu formen war hauptsächlich meine Angelegenheit, zu hunderten habe ich sie eingestreut in jene Berichte, die von allen Lesern restlos der Autorschaft Stettenheims zugewiesen wurden. Im Grunde beruhte ja die Popularität der Figur – sie hat es bis zur Stellung im Bachmann gebracht – weit weniger auf der Lügenhaftigkeit der Kriegsmeldungen, als auf der Masse der verdrehten Zitate und verrenkten Mythologismen: Die »Qual des Tantals, in den hängenden Gärten der Eumeniden« – »Wo ist der Ariadnefaden, der uns aus dem Augiasstall dieser Scylla und Charybdis hinausleitet?« – »Der eingefleischte Vegetarianer« – »Die verhärtete Gehirnerweichung« – »De mortuis nil admirari« – solche Blüten, damals neu, schockweise zu ganzen Girlanden der Unsinnigkeit verflochten, könnten vielleicht heute noch zur Paraphrase einer gewissen Schriftstellerei dienen, wie wir sie in Romanen und Feuilletons erleben. Der Bernauer Wippchen ist tot; im weiten Schrifttum sind die Wippchen noch am Werke, und sie geben uns wenigstens die Beruhigung, daß der unfreiwillige Humor alle Widrigkeiten der humorlosen Zeit überdauert. –
Die Verulkung hoch stehender, mächtiger Personen, die damals massenhaft in der Zeitgeschichte wimmelten, erschien uns jederzeit sehr lohnend, und wir zogen die Schutzbarrieren nur in Ansehung des Herrscherhauses, wobei unsere patriotischen Gefühle von der Kenntnis des Strafgesetzes unverkennbar gestützt wurden. Allein trotz aller Vorsicht gerieten die Wespen einmal in einen Majestätskonflikt, der tragikomisch begann, um in ein Abenteuer von unbedingter Drolligkeit auszulaufen.
In einem Rebus nämlich erschien als wortersetzendes Bild das hingestrichelte Porträt des Landesvaters Wilhelm I. Da dies nach gültiger Pressordonnanz verboten war, ließ der damalige Polizeipräsident von Madai – übrigens sonst ein durchaus unbezopfter Herr – die ganze Auflage konfiszieren und ins vergitterte Verließ des Polizeihauses am Molkenmarkt sperren. Unsere Wespen veranstalteten sofort eine improvisierte Neuausgabe mit einen neuen Rebus über den folgenden, vorläufig streng verschwiegenen Worttext:
»Es lebt des Kaisers Wilhelm Bild – fest eingeprägt in seinem Volke – doch sieht's die Polizei, so wird sie wild – und lässt es bringen nach dem Markt der Molke. – Das, Herr Madai, wird schwer an dir gerochen, denn in ein Wespen-Nest hast du gestochen!« Man muß sich vorstellen, wie die Polizeimandarinen und ihr Troß mit glühenden Köpfen über diesem langen Bilderrätsel brüteten und grübelten, um dessen Sinn zu ergründen. Denn selbstverständlich vermuteten hier alle ein neues strafwürdiges Delikt, gegen das man sofort strengstens einschreiten musste, wenn man nur überhaupt gewußt hätte, was eigentlich vorlag. Aber die schlimmste Druckschrift kann nicht verfolgt werden, wenn sie in unlesbaren Runen abgefaßt ist und von einem Komplex von Rätselzeichen wie von einem Schutzschild gedeckt wird. Jedenfalls wurde das Verfahren eingestellt, wahrscheinlich infolge eines Machtspruchs des Polizeichefs, der wohl merkte, daß jede weitere Minute den Chor der schadenfrohen Lacher auf der Gegenseite verstärkte.
Den prinzipiellen Kampf bezüglich der Kaiser- und Prinzenbilder habe ich viel später ganz allein zu Ende geführt. Es kam zu einer weitschichtigen Konferenz, in der ich dem Polizeipräsidenten auf Grund des Preßgesetzes und anderer Rechtsmotive bewies, ein Witzblatt dürfe für die Reproduktion fürstlicher Personen nicht schlechter gestellt werden, als irgendeine sonstige illustrierte Zeitung; selbst wenn eine Karikatur aufträte, so müsste in jedem Fall geprüft werden, ob eine Verhöhnung beabsichtigt wäre, oder nur eine humoristische Stilisierung bekannter Porträtzüge. Den besten Trumpf aber lieferte der Kaiser selbst, der aus dem nämlichen Anlaß die von dem Pariser Grand-Carteret herausgegebene Karikaturensammlung »Luis« mit beifälligem Lächeln begrüßte.
Damit fiel der Zensur- und Strafbann vollkommen, und wir durften fortan bildlich glossieren, was wir wollten, ohne an einer Hoheitsgrenze Halt zu machen. Unsere Corona hätte auch weiterhin das zweite wilhelminische Zeitalter nicht überstehen können, wenn die Hauptfigur der Ära, »Luis«, uns entrückt geblieben wäre. Wir merkten auch bald, daß der Hof selbst unsere illustrativen Verwegenheiten nicht nur duldete, sondern direkt begünstigte. Unsere anzüglichen Bilder hingen gerahmt in Prinzlichen Kabinetten, und der Kronprinz bestellte ein Neujahr bei einem unserer Zeichner Gratulationskarten höfisch-satirischen Inhalts. Der Illustrator übernahm mit dem Auftrag die ausgesprochene Bedingung, die bewußten Köpfe mit dem nämlichen Sarkasmus zu bearbeiten, wie in der Zeitschrift selbst.
Damit bin ich schon mehrere Etappen über die Wespen hinaus, und ich habe hier einzuschalten, was mir bei diesen den Aufenthalt schließlich verleidete. Da gab es zuerst verwickelte materielle Beziehungen mit Abhängigkeit von Faktoren, die mir umso unbequemer wurden, je weniger ich ihren Einfluß begriff. So wurde ich eines Tages zu dem berühmten Volkstribunen Eugen Richter beordert, der mich wegen der Haltung unseres launigen Blättchens in kulturkämpferischen Dingen nach allen Dimensionen rüffelte. Er gab mir zu verstehen, daß ich als Wespenmensch in einem gewissen Hörigkeitsverhältnis zu seiner »Freisinnigen Zeitung« stünde und gefälligst so zu tanzen habe, wie die Partei pfiffe. Mein Einwand, daß ich von solchem Geheimtraktat gar nichts wusste und keinem andern verpflichtet wäre, als Stettenheim, prallte ab. Eugen Richter betrachtete uns beide als untrennbares Duett, und da Meister Julius gerade eine längere Vortragsreise weit von Berlin absolvierte, hatte ich das Donnerwetter ganz allein auszuhalten. Zweifellos befand sich unser kleines Organ in Schwierigkeiten, die sich um die Mitte der achtziger Jahre immer mehr verwickelten und mit allerlei Fallstricken verfilzten. Eine Zeitlang übte der Verlag des Kladderadatschs gewisse Rechte über uns, und ich hatte mit ihm einen Sondervertrag zu unterschreiben, der wiederum an den Berliner Börsenkurier zediert wurde. Als Ernst Dohm starb, der Chefredakteur den Kladderadatsch, hätte ich dort unter ausgezeichneten Bedingungen einrücken können; allein Robert Davidsohn (der nachmalige Historiker von Florenz, damals noch Verlagsherr vom Börsenkurier) widersetzte sich diesem Übergang und berief sich auf eine Klausel jenes Sondervertrages. Fazit: der Kladderadatsch durfte mich nicht engagieren infolge einer Klausel, die der Kladderadatsch selbst mir diktiert hatte. Ich blieb also an den Wespen kleben, mit einem Minimalgehalt, das nur wenig durch meine Beteiligung an der »Tribüne« aufgebessert war. Dort paßte ich aber nicht recht hinein, denn als ich in der alten Tribüne mit Tinte und Feder zu schreiben anfing, entlud sich über mich das größte Mißfallen der anderen Kollegen, die ausschließlich mit Schere und Klebestoff hantierten, und mein skripelndes Benehmen als einen Einbruch in die Tradition des Blattes empfanden.
Ich verhehle auch nicht, daß im Innern des Witzblattes sich Züge bemerklich machten, die mir das Dort sein, ja das Dasein versäuerten. Gewiss, ich hegte Verehrung für ihn, den ich Meister nannte, und war ihm als Anfänger für die Einführung in die Journalistik dankbar. Allein ich kam doch nun in die Jahre, wo man anfängt etwas gelten zu wollen, und ich fand mich bedrückt. Sieben Jahre lang hatte ich in Anonymität geschrieben, und alle Versuche, aus der Rolle des obskuren Gehilfen herauszutreten, schlugen mir fehl. Inzwischen waren viele Scherzartikel von mir hinaus gedrungen, sie machten die Runde, gerieten sogar in die ausländische Presse, fanden aus dem Pariser Figaro zurückübersetzt erhöhte Resonanz, ohne daß mir dadurch das Geringste zuwuchs; denn alles ging auf den Namen meines Chefs, und Stettenheim weigerte sich aufs Äußerste, meine Autorschaft zu melden. Wogegen er oft mit kleinlicher Eifersucht die Verteidigung seiner eigenen Erfindungen betrieb. Ein Berliner Theater hatte gelegentlich mit einer flüchtigen Stettenheimschen Pointe seinen Schwankdialog aufgeputzt. Daraufhin eröffnete er einen Streitfall mit dieser Bühne und verlangte urhebertrotzig wegen eines Wortes von zwei Sekunden Dauer den affichierten Druck seines Namens auf den Theaterzetteln und Anschlagsäulen. Dieses absonderliche zweierlei Maß blieb bestehen bis ins achte Jahr meiner Fron, wo ich mich zum ersten Mal im Titel des Blattes als Mitredakteur gedruckt sah, nachdem ich schon lange zuvor ganze Nummern in Abwesenheit des Meisters solo solissimo verfaßt hatte. Wiederum ein Jahr später streckte Stettenheim in Witterung bevorstehender Krisen seine Fühler nach Hamburg, um sich mit einem noch unbekannten, aber verheißungstüchtigen Unternehmer auf neue Journalmöglichkeiten umzustellen. Ich erfuhr davon nur das eine, daß ich als ein ganz brauchbarer junger Mann, als Langbewährter Kommis für halb umsonst mitgebracht werden sollte. Jetzt entschloß ich mich zu einem selbständigen Akt: ich packte sämtliche Jahrgänge der Wespen von 1877 bis 1886 in meinen Koffer, lud sie bei dem homo novus in Hamburg ab mit dem sachlichen Hinweis: »blättern Sie diese Konvolute durch – alles Blauangestrichene ist von mir!« Am nächsten Vormittag wurde ein Abkommen perfekt, der Auftakt einer verlegerischen und freundschaftlichen Beziehung, die bis zum Augenblick dieser Niederschrift in Kraft geblieben ist.
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Die siebenunddreißig stattlichen Bände, die mich beständig aus meiner Bücherei zum Wochenwerk grüßen, sind für den oberflächlichen Blick eine geheftete Blattfolge; im Sinne einer treuen Lesergemeinde bedeuten sie eine bunte Chronik langer Zeitläufe mit welthistorischen Niederschlägen; für mich sind sie ein lebendiger Organismus, von meiner Eigenperson gänzlich unabtrennbar. In ihnen steckt die Hälfte meiner Arbeitsvergangenheit, und manches, was in mir längst erstarb, kann ich durch sie traumhaft heraufbeschwören.
Als ein Riese – dem Format nach – sind die »Lustigen Blätter« zuerst am Ufer der Alster in Erscheinung getreten. Dem Begründer Dr. Otto Eysler aus Wien hatte ursprünglich der Plan vorgeschwebt, dem österreichischen Typus in Norddeutschland eine Heimstätte zu bereiten, und so gerieten denn in der Tat die ersten Nummern wie die Blätter einer Wiener Caféhausplantage, in den Illustrationen jenen Organen überraschend ähnlich, die durch lange Jahre als »Floh«, »Bombe«, »Karikaturen« usw. das Entzücken der Zahlkellner an der Donau bildete. Ein gewisser »Schmiß« war darin von Anfang an erkennbar. Wiener Künstler, unter denen Th. Zajaskowski und Fischer Käustrand zu nennen sind, warfen in leichter Bohème-Laune billige Phantasien aufs Papier, die Texte in Prosa und Versen gingen flott auf die Aktualität los, und so konnte bereits nach einem Vierteljahr die Übersiedlung von Hamburg nach Berlin in Begleitung einer kleinen Schar von Abonnenten vonstatten gehen. Hier übernahmen Paul von Schönthan und ich das redaktionelle Kommando. Österreich blieb in unseren Konventikeln noch geraume Zeit Trumpf, da sich zu genannten Meistern noch andere Cisleithaner, Zasche, Graetz, Stur, hinzufinden, in deren Mitte ich als einziger unverstandener Berliner bisweilen einen schweren Stand hatte. Zwischen den Ansprüchen der Redaktion, die über den Caféhausstil hinausstrebte, und den Tendenzen der Zeichner, die ihre Heimatsgepflogenheiten verteidigen, wurde das Ziel der schlagkräftigen Wirksamkeit damals nicht selten verfehlt; die Zeichner skizzierten während der Sitzung hin und her, einer pfropfte seine Konturen auf die des andern, bis das Nebensächliche auf Kosten der Grundidee glücklich herausgearbeitet war und eine ersichtliche Unstimmigkeit zwischen Bild und Text von den artistischen Geburtswehen Zeugnis ablegte. Immerhin kam ein gewisser eigener Stil des Blattes schon um die Wende der neunziger Jahre zum Durchbruch. Der anfängliche Irisdruck war dem vierfarbigen Buntdruck gewichen, und in der Kombination der Farbmöglichkeit vervollkommnete sich rasch eine Technik, die zum ersten Male in einem deutschen Blatt breite und eindringliche Effekte auf weite Distanz zuwege brachte. In der Fernwirkung, besonders der Titelseite, vom Auslagefenster des Buchhändlers oder vom Stand des Straßenverkäufers aus gesehen, lag ein Agitationsmittel, wie es bisher im Kreise dieser Spezialliteratur hierzulande noch gar nicht erprobt worden war.
Allmählich verflüchtigte sich im Felde der politischen Glosse die Mehrheit der Österreicher, und an die Stelle der weichen Phäakenzeichnerei trat eine energischere, vorwiegend reichsdeutsche Illustrationskunst. Franz Jüttner, Wellner, der früh verstorbene Feodor Czabran, Lyonel Feininger – später Erfinder eines eigenen kristallinischen ». . . ismus« –, Heilmann, Caspari, Marcus, Koch-Gotha, von Bayros, der konstruktiv-originelle Ernst Stern, der zwischen Rokoko und Barock schwebende, schon modernen Giften zugängliche Christophe, der prachtvoll veranlagte Gino von Finetti wurden unsere berufenen Griffelführer. Zahlreiche Franzosen und pariserisch geschulte Exotiker (Léandre, Caran d'Ache, Roubille, Galanis, Doës), Italiener, Skandinavier vervollständigten den Zeichnerstab, während sich die Konstruktion gewisser gemeinverständlicher Zeichenspäße zwischen heimischen und externen Künstlern (Kozian, Horina) verteilte. Als unerschöpflich in der Erfindung erwiesen sich Schaberschul, Simmel und Meister Zille, dessen Typen von der Straße für die Physiognomie Berlins dokumentarischen Wert beanspruchen. Unser Blatt bewahrt auch die Spuren hervorragender Zeichner, an deren Genie sich später der Ruhm des »Simplicissimus« entzündete. Hier leuchten Thöny und Th. Th. Heine hervor, wie denn überhaupt die Galerie der »Lustigen Blätter« manches Künstlerblatt aufzeigt, dessen Urheber erst in der Folgezeit zur vollen Berühmtheit aufwuchs. So befindet sich in unseren alten Jahrgängen ein launiger Beitrag Ludwig Manzels, dem damals noch kein Prophet seinen glänzenden Aufstieg ansagen konnte: er figuriert seit 1900 in der Siegesallee und gelangte als Nachfolger von Reinhold Begas zum höchsten Amt der Berliner Akademie.
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Das Vizepräsidium der Redaktion erhielten nach von Schönthans Austritt: Maximilian Krämer, Gottwald, Dr. Leo Wulff (der mit karnevalistischem Esprit auch die ihrerzeit sehr berühmten Lustigen-Blätter-Bälle als Höhepunkte der Berliner Wintersaison organisierte) und die dichterisch feinsinnige Betty Korytowska. Auf zwei Instrumenten zugleich spielte Max Brinkmann, der uns je nach Bedarf launige Texte, Illustrationsideen und fertige Bilder lieferte.
Engste Kollegialität verband und verbindet mich mit Dr. Rudolf Presber, Gustav Hochstetter und Georg Mühlen-Schulte. Man muß mit dieser Trias in persönlichem Kontakt zusammengewirkt haben, um die ganze Fülle ihrer aus unversieglicher Fruchtbarkeit entströmenden Leistungen zu ermessen. Keiner bindet sich an bestimmte Fächer; alles was im Geistesleben, in der Politik, im öffentlichen Treiben die Aufmerksamkeit beansprucht, findet in ihnen formell virtuose Bearbeiter, deren Witz auf Anschlag hervorleuchtet wie der Funke aus dem Feuerstein. Bei Mühlen-Schulte bleibe es unentschieden, ob in ihm der Trieb zur satirischen Zeichnungsbildnerei impulsiver vorwaltet oder zu einer Textgestaltung, in der er wie kein zweiter den elementaren Volkston erfaßt, als Spezialist auf allen Gebieten et in quibusdam aliis. In Hochstetters Dichtungen perlt die Freude, sein Musenquell mischt sich moussierend mit den Gewässern vom paphisch-aphrodisischen Gestade. Er empfängt seine Anregungen zugleich von den spottlustigen Satyrn und von den leichtgeschürzten Nymphen, die zu deren Hofstaat gehören. Meinem Freunde Rudolf Presber habe ich in langer Gemeinschaft so viele Oden gesungen, daß mir hier kaum noch etwas zu singen übrig bleibt. Vielleicht war ich der erste, der in dem jugendlichen Rheinischen Poeten, als er eben anfing den Parnaß zu ersteigen, den zukünftigen Pindar erkannte. Von der Innigkeit unserer Beziehungen zeugt eine Porträtwidmung, mit der mich Presber ansprach: »Weht des Lebens Herbst mir kühler, herzlich bleibt, was mich Dir eint, der in vielem ich Dein Schüler und in allem ward Dein Freund.« Blicke ich zurück, so tritt mir noch ein anderer lieber Kollege bedeutsam hervor: Dr. Paul Kraemer, der in unserem Kreise lange Zeit als Geschmacksbildner und Gestaltungsfinder richtunggebend wirkte. Er hat weiterhin sein bedeutendes Organisationstalent der im selben Verlag erscheinenden »Eleganten Welt« zugewandt. Wir hausen seitdem in getrennten Räumen, aber im nämlichen Hausgeschoß und grüßen uns telepathisch durch die Verbindungstür. –
Das politische Bild, durch die Jahrzehnte die pièce de résistance unseres Organs, fand vordem in Jüttner seinen stärksten Vertreter. Die Reihe seiner Schöpfungen ergibt eine Galerie, die vom Blatte losgelöst eine Chronik des Wilhelminischen Zeitalters darstellt und bei aller Komik einen über das Genre hinausragenden historischen Zug aufzeigt. Der Zeichner W. A. Wellner ist der geborene Humorist im Bereich der exotischen Parodien, der kleinbürgerlichen Typen und der tierischen Grotesken. Das Leben der oberen Zehntausend und der genießerischen Weltlichkeit der ganzobersten Fünfhundert bildeten die Domäne des Meisters Heilemann, an den als Erfinder markanter Typen des high life vielleicht nur Thöny und im Punkte der Eleganz nur Reznicek heranreichte. In der Fortsetzung der Linie finden wir Wennerberg und Heiligenstaedt, wegen der Lebensechtheit ihres gefälligen Genres von vielen Betrachtern der Lustigen Blätter als große Nummern geschätzt. Lutz Ehrenberger bereitet dem femininen Reiz eine unendliche Kette von Apotheosen mit Kunstmitteln, bei denen man an die Phantasien aus tausendundeiner Nacht und an die Linienführung des Quattrocento denken darf. In der koloristischen Eindringlichkeit prima facie erscheint Walter Trier kaum überbietbar. Jede seiner Schöpfungen wird zu allererst als ein überraschender Farbkomplex aufgenommen, der schon besticht, bevor man noch den begrifflichen Kern des Bildes wahrnimmt. In seinem Vortrag gibt es Reflexe von Bosch, Breughel, Daumier, Oberländer und Wilhelm Busch, von primitiver Volkskunst, Bauernmalerei, Kinderspielzeug, koboldiger Gnomenwelt und gelegentliche Ausblicke in die Abseitigkeiten einer Humoristik, wo sich die Lustigkeit mit grimmiger Düsternis berührt.
Keiner unserer Künstler ist von den Einflüssen der »Moderne« unberührt geblieben, und es hat Zeiten gegeben, in denen die sezessionistische Willkür hoch aufschäumte. Hier haben die natürlichen Lebensbedürfnisse von innen heraus die notwendige Korrektur bewirkt. Eine große Menge von Bildthemen verlangt, wenn die Satire überhaupt verstanden werden soll, eine deutliche Gegenständlichkeit der Ausführung, die mit symbolistischen und futuristischen Mitteln gar nicht erzielt werden kann. Auf mittlerer Linie läßt sich der Gourmandise verfeinerter Leser Rechnung tragen und dabei doch im thematischen Grunde klare Farbe bekennen. Vielfach wird nach redaktionellen Vorschlägen, Entwürfen oder Skizzen gearbeitet, die dem Zeichner zwar einen Zwang auferlegen, ihn aber zumeist auch vor Entgleisung bewahren. Weitaus seltener sind die Fälle, in denen der ausführende Künstler die Ereignisse intuitiv aus dem Gesichtswinkel des bildlichen Humors erfaßt. Dazwischen gibt es eine Gattung von Bildern, die lediglich den Typ, die Situation aufgreifen, unterschriftlos in die Redaktion flattern und auf Textierung warten. Meisterstücke darunter, denen bevorzugte Stellen angewiesen werden müssen, vorausgesetzt, daß es gelingt, ihnen die humoristische Legitimation als textlichen Geleitsbrief auszuschreiben. Da sind denn oft für die Schriftleitung harte Nüsse zu knacken. Denn nur ausnahmsweise darf die Bildseite verraten, daß der Text als zweitgeborenes entstanden ist. Aus meiner persönlichen Erfahrung möchte ich behaupten, daß ich mit geringerer Mühe eine Druckseite Manuskript in freier Gestaltung schreibe als die zwei Zeilen, die so ein Bild als Passierschein verlangt. Hier eine gewisse Weite des Witzes zu finden, die das Großformat einer anspruchsvollen Vollseite mit den wenigen Zeilen der Unterschrift aequilibriert, gehört zu den knifflichsten und nicht immer restlos lösbaren Problemen.
Das freieste Feld für Eigenproduktion finden die Künstler in den Sondernummern, die wir von jeher mit besonderer Sorgfalt pflegen und deren gedrängte Folge manchem Jahrgang geradezu die Signatur verliehen hat. Voraussetzung der Spezialnummer ist entweder ein plötzlicher, die Öffentlichkeit durchrauschender Interessenstrom, oder ein allgemeines Motiv, das im natürlichen Zeitlauf weite Kreise beschäftigt. Für diese nach bestimmten Zielen orientierten Nummern mit den Schlagworten: Balkan – Buren – Lex Heinze – Bayreuth – Carneval – Sport – Sommerreise – Variété – Kino – Reichstagswahl usw., (wobei die Hunderte von Kriegsnummern ganz außer Betracht bleiben) wird in der Regel von der Redaktion nur das Gerüst aufgestellt, darauf die Bunt- und Schwarzweißkünstler ihre Blätter aufzuhängen und die Vertreter der Witzakrobatik zu turnen haben. Bisweilen haben wir es auch unternommen, ganze Nummern auf eine dichterische Parole abzustimmen, »dichterisch« in weitestem Sinne genommen. Die Busch-Nummer und die Don-Quichotte-Nummer bezeichnen hier die äußersten Pole. In den Zeiten, da man die Tempel des fröhlich schweifenden Pan noch bacchanalisch bekränzte, ließen wir April-Nummern vom Stapel, worin alle Bande frommer Scheu vor Logik und Möglichkeit gesprengt und der kobolzenden Komik ohne Kontrolle des Verstandes Einlaß gewährt wurde.
Je höher die Auflageziffer schwoll, als der im Sinne des Verlags gültige Exponent für den Wert des Organs, desto schwieriger wurde die Bewältigung der eigentlichen Aktualität. Zahllose Tagesereignisse, die im ersten Moment als ungeheuer wichtig, packend, wie geschaffen zur sarkastischen Behandlung erschienen, werden von nachdrängenden Begebenheiten verdunkelt, überschrieen, verschüttet und tauchen so tief unter, daß sie für ein Blatt mit umständlicher Herstellung gar nicht in Betracht kommen. Weit ist der Weg von der ersten Ausgabe eines Buntbildes an den Zeichner bis zur illustrativen Lösung der Aufgabe, der farbigen Aquarellierung auf dem Abzug, der Anfertigung der Farbplatten, im Druckverfahren bis zur Korrektur und Revision einschließlich einer verwickelten Maschinenarbeit, die für jede Farbe eine besondere Prozedur beansprucht. Da drängt sich unvermeidlich zwischen Plan und Erscheinen ein Zeitraum, der dem Urheber des Entwurfes wie eine fatale Unendlichkeit vorkommt. Ein ander Gesicht zeigt die Tatsache vorher und nachher. Bei Begebenheiten, an denen man durchaus nicht vorüber kann, versucht man den Ausweg durch ein redaktionelles Hasard zu erzwingen: man wirft den Mantel des Propheten um und gestaltet die Bilder so, daß sie sich in mehreren Wochen mit der a priori errechneten Wirklichkeit decken werden. Manchmal mißlingt es, und dann steht der Prophet vor dem klugen Leser in fürchterlicher Blamage, aber im großen ganzen haben wir mit diesen Wagnissen Glück gehabt, Glück im wehleidigen Sinne, denn in der Regel wurde das Richtige getroffen, wenn schwärzliches angesagt worden war. In diesem Betracht habe ich mit meinen eigenen Prognosen das Menschenerdenkliche geleistet; vielfach zitierten andere Blätter längstverwehte Artikel von mir, Verse und Prosa der Vorkriegszeit, die der später erlebten Wirklichkeit – leider!! – sehr nahe kamen.
Frohlaunigkeit ist überhaupt nicht die sichtbare Begleiterin des Berufes. Es gibt Naive, die sich eine humoristische Redaktion wie eine Karnevalsgesellschaft vorstellen mit Pappnasen und derlei lustigen Attributen. Bisweilen melden sich auch schreiblüsterne Gesellen mit dem Antrag, ein bißchen mitwirken zu dürfen, und als Befähigungsnachweis bringen sie die Versicherung, daß ihnen »sehr lustig« zu Mute sei. Sie ahnen nichts davon, daß sich das spezifische Talent weit öfter durch melancholische Züge verrät als durch sanguinische.
Noch weniger ahnt Naivus, wie der Trübselige unter körperlichen Qualen, mit Neuralgie, Zahnweh oder sonstiger Tortur, Heiterkeiten hervorbringen könne. Den Fachleuten sind solche Zustände in Verquickung mit ganz tüchtiger Produktion bekannt. Mir kommt ein Bild in Erinnerung aus einem irrsinnig heißen Sommer, in dem ich als einziger Nichtbeurlaubter übrig geblieben war. Halbnackt saß ich im Redaktionsraum und halb wahnsinnig vor Glut. Als Hilfsgerät hatte ich einen Eimer neben mir und einen Wasserkübel, aus dem ich mir fortgesetzt Ladungen über den Kopf goß. In den spärlichen Zwischenpausen half mir die Zigarette über die ärgste Not. Und die Schmerzensnummer ist ganz gut geraten, kein Leser hat ihr die Spuren der Unlust, der Höllenpein angemerkt.
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Als Chefredakteur des Blattes habe ich nie so recht an Segnungen der Zukunft geglaubt, weder an die herrlichen Zeiten, die uns der Imperator verhieß, noch auch überhaupt an die Heilswirkungen irgendwelcher Programme. Am allerwenigsten huldigte ich einer Tendenz, die sich, invariabel – »voll, ganz und unentwegt« – auf ein schabloniertes Schlagwort festlegen läßt. Gewiß, die Lustigen Blätter sind nach der Quersumme ihres Inhalts gemessen, entschieden fortschrittlich, national, höchst freigeistig, und wie die schönen Klischees alle heißen mögen; sie sind es aber nicht ausschließlich und mit Versteifung auf das Dogma einer Partei. Eher möchte ich schon das Wort des schwedischen Staatsmannes »Nescis, quantilla sapientia regitur mundus« als Leitmotiv obenan schreiben. Diese Insipientia, gleichviel, wo sie zutage tritt – und der Himmel sorgt für ihre Unverfügbarkeit – bildet den Nährboden für die Pflanzen, die im Gehege des Blattes wachsen. Vom subjektiven Empfinden kommen wir dabei natürlich ebensowenig los, wie die Vertreter der ernstesten und »zielbewußtesten« Zeitschriften. Nur daß wir mit einem geringeren Gepäck an übernommenen Verpflichtungen belastet, doch eher einmal in die Lage kommen, zu erproben, wie die Dinge von einem anderen Standort aus gesehen sich ausnehmen. So haben wir mit unserem Hohl- und Zerrspiegel oft genug Personen und Gruppen aufgenommen, die Satire an Erscheinungen und Überzeugungen gewetzt, die manchem parteifesten Leser als sakrosankt erscheinen mögen. Denn für ein Organ, das die Parole »Lustig« auf seine Fahne geschrieben hat, kann es nur ein oberstes Prinzip, nur eine durchgreifende Tendenz geben: nicht einseitig und nicht langweilig sein.
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Was in hunderten von Fällen für die Empfänger ein verum gaudium geworden ist, war für die Teilnehmer der Beratungen überwiegend eine res severa, die allerdings mit ihrer Überfülle von Nervositäten auch komische Erlebnismomente erzeugte. Bestimmend für Ton und Haltung der Gemeinschaft war und blieb unser Dr. Otto Eysler, im Betriebswerk die Unruhe, der nimmermüde Ansporner, dem kein Optimum und Maximum der Leistung genügt, weil darüber immer noch ein unvorstellbares Mehr und Besser vorhanden sein könnte. Der alte Irrglaube, daß nur der aktive Fachmann, hier also der Dichter und Maler, zur letzten Kritik berufen sei, wird durch ihn aufs gründlichste widerlegt. Er selbst übt keine Kunst aus, er besitzt aber kraft hochgradiger Geisteskultur eine tiefbohrende Urteilskraft, die ihm kritische Befugnisse weit über die Kompetenz der allermeisten Verleger zuweist. Die Blüte unseres Blattes erreichte ihre Farbigkeit nicht im reinen Sonnenschein, sondern in Gewitterluft und unter dem Einfluß elektrischer Entladungen.
Als wir einmal ein Jubiläum rüsteten, schoben sich unsere aufgeregten Interna von selbst in den Brennpunkt ironischer Betrachtung; und dabei entstand ein Scherzbild der Redaktion, das bei immenser Übertreibung doch die Wesenszüge des Betriebes nicht verfälschte. Im Mittelpunkt meines Allegro furioso stand Freund Eysler, der in Hochspannung der Nervosität die abenteuerlichsten Stimmungs-Galoppaden veranstaltete. Zahlreiche Lustspielschreiber haben seit Gustav Freytag versucht, die Journalistik auf die Bühne zu setzen; allein die wirksamsten Szenen haben niemals die Rampe erreicht. Diese sind nur in unseren Chroniken zu finden, wo wir uns mit ausgelassener Selbstverspottung in ein chaotisches Gewirr verstrickt darstellen, als Moleküle eines Mostes, der sich ganz absurd gebärdet.
Unsere eigenen Hervorbringungen spielten hierin die Rolle erlebnisreicher Schwankfiguren. Beispielsweis: ein Bild wird ausgegeben zu einem vorbestimmten wortspielerischen Text. In dem Bilde, das ein balkanisches Ereignis behandelt, wird ein gegenständliches Detail derart verfehlt, daß es zur Unterschrift nicht mehr paßt. Der Verleger erläßt die Ordre de moufti: der Text soll wörtlich bleiben, das Tableau muß geändert werden.
Das beansprucht eine Woche, und als die umgeformte Illustration wieder auf dem Sitzungstisch paradiert, ist jenes Ereignis längst überholt, von der Aktualitätsfläche vertilgt. Der Verleger: »Damit lockt man heute keinen Hund vom Ofen, das Bild muß ›gedreht‹ werden, auf einen aktuellen innerpolitischen Vorgang: hinaus mit den blöden balkanischen Köpfen, dafür ein paar interessante preußische Ministerköpfe hinein!« Die Bildfiguren werden enthauptet, neue Physiognomien oben aufgesetzt. Jetzt aber ist der Text komplett unsinnig geworden, der blanke Nonsens, er kommt seinerseits auf die Drehbank und geht aus der Prozedur mit einer neuen verblüffenden Pointe hervor; nur daß diese frischangedrechselte Spitze noch weit frappanter wirken würde, wenn oben statt der langstieligen Minister eine mondäne Gruppe zu sehen wäre. Der Verleger verlangt hierzu ein elegantes Hochzeitspaar im Luxuszug oder im Flugzeug. Der Auftrag geht an einen Zeichner nach München, der aus eigenem Ingenium eine Variante beisteuert: er verlegt die Szene in den Engadiner Schnee und setzt das elegante Paar auf einen Sportschlitten. Der Verleger will aus der Haut fahren: »Jetzt mitten im Sommer sollen wir Bilder vom Wintersport bringen! Die Seite ruiniert uns!« Damit ist der bildlich-textliche Mummenschanz vorläufig zu Ende. Das Blatt verschwindet als buntmaskierte Leiche in die Grabkammer einer riesigen blauen Mappe und wird dort mumifiziert.
Dieses Archiv wird nach alter Gepflogenheit von einer Sekretärin betreut. Zahlreiche anstellige Damen haben das Amt verwaltet, bis es einer besonders beanlagten gelang, aus den Niederungen des Hilfsdienstes bis zum kurulischen Sessel einer wirklichen Redakteurin aufzusteigen. Mögen wir Literaten und Maler auch die Solistenrollen innehaben, der Halt und die konsonierende Abstimmung unseres Zusammenspiels wird nur dadurch gewonnen, daß die Fäden in der Hand unserer Kollegin Käthe Mehlitz sich vereinigen. Ich bezweifle noch heute den Beruf der Frau zur Gesetzgeberin, Strafrichterin, auch zur Komponistin und allgemein zu den Fächern einer großgeistigen Forschung. Aber ich muß zugeben, daß unsere Regisseurin den Kreis der Berufsmöglichkeiten durch eine Erstaunlichkeit erweitert hat. Setzt eine Colonna, eine Staël, eine Angelica Kauffmann an ihren Platz, und sie wird sich verloren fühlen inmitten eines so komplizierten Werkes, das um im Gange zu bleiben ein hohes Maß von Technik und disponierender Strategie voraussetzt. Lasse ich die Erinnerung weit zurückstreichen, so tritt mir noch eine andere Eigenheit unserer Redaktionsfee entgegen. Wir haben oft unseren Ferienurlaub zu gemeinsamen Reisen nach Tirol, Italien, nach der Schweiz und der Riviera verwendet, mit selbstverständlicher Hinwegsetzung über alle spießbürgerlichen Bedenken, die in unserer Kameradschaft so wenig Sinn gehabt hätten wie eine Gouvernantenmoral in unserer Fachbetätigung überhaupt.
In unserem Reiseprogramm bildeten das Anschauen und Begreifen der Natur die Dominante. Sie lernte zuerst mit meinen Augen sehen und offenbarte bald einen hohen Intellekt im Erfassen aller Zauber zwischen Eis, Fels, Matte und Palmengelände. Mir war die Wanderkollegin eine Maskotte, eine Verhüterin jedes Reiseverdrusses, was sie nur planen mochte glückte touristisch, meteorologisch, in ihrer Gegenwart gab es keine atmosphärischen Unbilden in Nässe, Sonnenbrand und Staub. Wenn nur immer unsere Gedanken das Schweifen nach den heimischen Penaten unterlassen hätten! Aber das konnten sie sich nicht abgewöhnen, und auf dem Vierwaldstätter See, an der Wengernalp und am monegassischen Strand senkte sich plötzlich ein Nebel über die Szenerie, dünne Schwaden, vom Beruf herübergeweht. Nur minutenlang währte der Spuk, dann wurden wir wieder Ferienmenschen und vergaßen, daß wir eben erst auf dem Dampfer, dicht am Gletscher oder bei den Agaven in der Redaktion gesessen hatten. –
Unsereinem ist es nicht gegeben, in seiner Werkpflicht irgendwann Schluß zu machen, man entlastet sich immer nur nach Graden, ohne sich je völlig zu befreien. Wir beide zumal, Dr. Eysler und ich, sind unserem Naturell tributär und nehmen oft die kommende Stunde schwerer als die gegenwärtige es vertragen kann. Seit der Umwandlung des großen Verlagsunternehmens in eine Aktiengesellschaft (1922) haben sich mit der wachsenden Not des Schrifttums Last und Sorge noch verschärft; theoretisch im Dienste des Lachens, standen wir praktisch nicht selten im Zwange des Heulens, und der Titel meines Buches »Fröhlicher Jammer« wurde zugleich das Kennzeichen unserer Verfassung. Daß wir ihn aller Zeitbedrängnis zum Trotz fröhlich aufzuputzen vermochten, das kommt zum Teil auf Rechnung eines neuen Mannes, der auf Deck erschien, eines flotten Lotsen, nach Statut mit Leitungskompetenzen ausgerüstet, deren Ausübung uns Mitarbeitern recht erfrischend vorkam. Der jugendliche Dr. Hammerbacher ist in unserem Kreise der Vertreter des zuversichtlichen Spruches von Anzengruber »es kann dir nix g'schehn!« Es will scheinen, als hätte er zu den vorhandenen Fröhlichkeits-Antithesen eine neue aufgestellt, »die fröhliche Algebra«, nämlich die Kunst, über alle Schrecken der Ziffern wagemutig und frohlaunig hinwegzurechnen. Das war eine Wohltat inmitten der abscheulichen Nullen-Polonäsen, die uns im Etat wie eine danse macabre umtollten. Ich möchte noch ein anderes Gleichnis heranziehen: die modernste Pathologie versteigt sich zu der Annahme, daß es neben den grassierenden Krankheiten auch »grassierende Gesundheiten« gäbe, ausstrahlend von gewissen Immunitätsbezirken. Offen gesagt, wir waren alle von der Angstsucht infiziert, bis jener Herr bei uns auftauchte als ein Gesundheitsherd, der uns suggestiv zur Gesundung anregte. Und ich selbst gebe mich diesem Effekt hin in der Stunde dieser Niederschrift, die sich andernfalls niemals in Druckschrift verwandeln könnte. –
Die großen Ziffern, mit denen wir lange operieren mußten, hatten ehedem einen anderen, weit erfreulicheren Sinn. Sie waren keine Indices für papierne Markwische, sondern bezeichneten Auflagenhöhen und Wegestrecken, in denen sich das Unternehmen wie die Leistung phantastisch veranschaulichten. Für unsere Jubelnummer im Beginn von 1910 verarbeiteten die Maschinen einen Papierstreifen, der, gradlinig erstreckt, von Berlin bis Gibraltar gereicht hätte. Kollege Hochstetter hat mich selbst einmal bei festlichem Anlaß zum Objekt eines hübschen Mengenkalküls genommen. Er legte die ungefähre Anzahl meiner Beiträge, nach Zeilen geschätzt, zugrunde, multiplizierte mit der Auflage und gelangte zu Zahlen, wie sie sonst nur in populären astronomischen Handbüchern angetroffen werden. Es wäre nicht ganz richtig, dies lediglich als Ausdruck der Quantität gelten zu lassen. Denn wenn nach pythagoreischer Auffassung die Zahl das Wesen aller Dinge ist, so möchte ich sie ganz bescheiden auch für das Wesen der Qualität in Anspruch nehmen. Nicht für die Güte an sich, die unbestimmbar bleibt und gar nicht unter das Urteil des Urhebers fällt, sondern für den Grad der Wirkung. Was der Schriftsteller der Masse nach für einen Verlag hergibt, kann doch schließlich nur der Anzeiger sein für das, was der Verlag und in weiterer Instanz das Publikum von ihm verlangt. Unser Leserkreis erstreckte sich bis an den Polarkreis und Äquator, Tropenreisende haben unsere Scherzbilder als Hüttenschmuck in Niggersiedlungen gesehen. Man darf getrost von vielen Millionen Einzellesungen sprechen, die sich über die Jahrzehnte verteilten, und man braucht durchaus nicht anzunehmen, daß die Gesichter aller Leser beim Anblick unserer Produkte toternst geblieben sind. Ganz im Gegenteil muß sich auf ihnen recht oft ein schmunzelndes Wohlbehagen gemalt haben, da eine Weitwirkung in solchem Ausmaße ohne mitströmendes fluidum jucundum unmöglich wäre. Und dies führt zu einer psychischen Rechnung, wie ich sie am liebsten anstelle, obschon der Zahlbegriff hier vollständig versagt: ich denke mir die Akte des Lächelns als eine Folge von Differentialen, von Minimalgrößen, und stelle mir vor, man könnte sie alle über Zeiten und Räume hinweg zur Einheit fassen. Das ergäbe ein wunderbares Integral weithin schallenden Lachens; eine lautschwingende Begleitmusik der Freude, an deren Instrumentierung ich meinen Anteil habe. Mag sie verflogen sein, sie hat doch gedröhnt, und auch heute noch bleibt ihr Echo in Reflexen aus neuesten Erzeugnissen wahrnehmbar.
An meine Mitwirkung bewahre ich ein köstliches Andenken in Form einer Kunstmappe, die mir die Corona stiftete, als ich die Schwelle des Sechzigsten überschritt; wo man bekanntlich anfängt, »rüstig« zu werden. Dieses Angebinde ist eigentlich ein ganzes Museum von malerisch-dichterischen Originalwerken, die sich mit reicher Erfindung und blendender Technik um meine Tätigkeit gruppieren. Ich werde darin mit liebenswürdigem Humor verulkt und mit loderndem Überschwang so gefeiert, daß ich mein Museum nur vor ganz Vertrauten öffnen darf, vor Kennern der Gattung, die auch die übertriebene Huldigung als Witz zu nehmen verstehen. Dieser Kunstschatz mit so vielen auf einen Konvergenzpunkt hinleuchtenden Juwelen ist ein Unikum, und ich glaube, daß kein Fachverwandter etwas Ähnliches besitzt.
Die meisten Blätter der Kunstspende parodierten Parodistisches aus dem Blatt und dem Buchverlag, der ja die Mehrzahl meiner Satiren in eigener Regie herausgegeben hatte, nicht alle; denn bei meinen ersten Debüts in der humoristischen Arena (1875) besaß ich noch gar keine Beziehungen zum Buchmarkt und mußte umhervagieren, um irgendwo Unterkunft zu finden. Mit meinem Erstling »Anton Notenquetscher« strolchte ich umher wie ein Hausierer, über Hintertreppen, und die meisten Firmen schlugen mir die Tür vor der Nase zu, ohne mich auch nur eines Bescheides zu würdigen. Ich hatte mir die Figur des Notenquetscher erdacht als den frechen Ausdruck eines musikalischen Jungburschentums, in dem es gegen akademische Verzopftheit revoltierte. Die Form war episch, reimspielerisch, und der Inhalt lustig genug. Schließlich erbarmte sich ein Außenseiter des lockeren Manuskriptes, ein geigender Bohémien meines Bummelkreises, der vom Buchhandel soviel verstand wie ein Klippschüler vom Sanskrit. Er trieb irgendwo ein paar Moneten auf und brachte das »Epos« in Leipzig zum Druck. Die Lesewelt nahm davon nicht die geringste Notiz, abgesehen von einigen Musikzeitungen, die mein opusculum als eine lästerliche Schmieralie kurzweg abmurksten. Nach Monaten und Semestern erschienen aber zwei aufsehenerregende Artikel über mich und Anton Notenquetscher, geschrieben von Paul Lindau, in der »Gegenwart«, und Eduard Hanslick in der »Neuen Freien Presse«; und mir ging es, Großes mit Winzigem verglichen, wie dem Lord Byron: »Ich wachte eines Tages auf und fand mich berühmt.« Zum mindesten fand ich mich auf dem Wege der Popularität, ich erhielt Kunde von einem Massensturm kauflustiger Leser, von einem Gewaltbetrieb der Druckerei, die kaum soviel Exemplare liefern konnte, als verlangt wurden. Niemals habe ich eine Abrechnung über die Zahl der Leipziger Auflagen erhalten, niemals einen Groschen Honorar. Erst viel später, als das Ding in den Besitz einer Berliner Musikfirma gelangte, wurde mir ein Erträgnis, alles in allem ein Lumpengeld von wenigen hundert Mark. Aber die Figur des Anton heckte in anderer Weise; unter ihrem Decknamen erschienen in anderen Verlagen meine »Neuen Humoresken«, »Heitere Dichtungen«, »Lustige Fahrten«, und aus diesen befinden sich noch heute einzelne Nummern auf der Vortragswalze reisender Sprechhumoristen. In den Lustigen Blättern gab der notenquetschende Spottvogel vielfache Gastrollen, mit seiner bizarr gestrichelten Vignette, die noch von meinem lieben Kameraden Philipp Scharwenka herstammt. Viel tonkünstlerische Patenschaft! Ein vortrefflicher Komponist hat ihn gezeichnet, ein Geiger zuerst verlegt, und er darf sich zudem auf einen ganz Großen berufen, der ihm seine Neigung schenkte: das war, wie ich viel, viel später erfuhr, Johannes Brahms. Ob er so hoher Gunst wert war, das bleibe unentschieden, ich möchte ihm indes das Zeugnis ausstellen, daß er sich mit wachsendem Alter sittlich und literarisch merklich veredelt hat; er gedieh in das Niveau der Sentenzen, der gefeilten Epigramme, versuchte sorgfältig zu formen und liebäugelte bisweilen mit lukianischen Musterbildern.
Unaufzählbar ist die Reihe meiner sonstigen humoristischen Bücher, es liegt auch nichts daran, sie vollständig zu nennen. Schlage ich heute gelegentlich so einen Band auf – selten kommt's vor – so überfliegt mich wohl eine elegische Empfindung, während der Verstand gleichgültig bleibt bei vielen Druckblättern, die sich meinem eigenen Interesse entrückten, die mich vergreist und fremd anstarren. Ein Teil dieser Bändchen trug sehr knallige Namen: »Pariser Bummel«, »Stuß im Jus«, »Da lachen die Hühner«, »Meine verstimmte Flöte«, »Der dümmste Kerl«, »Das Überbüch'l«, »Flatterminen« usw., und manche Stücke darin mögen frisch und brauchbar geblieben sein, warten vielleicht nur auf die Gießkanne des Verlegers, um die Staubschicht loszuwerden, die sie verwelkt erscheinen läßt. Unser rühriger und umsichtiger Verlagsdirektor Alfred Metzner hat mir wiederholt zugeredet, die unverwesten Nummern herauszupflücken und zu einem neuen Bande zu vereinigen. Ich glaube aber kaum, daß ich mich hierzu noch entschließe, da ich im Punkte der Zeitverwendung ein Geizkragen erster Sorte geworden bin. Ich rechne beständig mit der Minute, die sehr viel wertvoller ist, wenn man sie neuer Skriptur widmet, als die Stunde, die man sich abzwackt, um Altes zu renovieren. Ich denke dabei vornehmlich an die Vervollständigung meiner literarisch ernsten, unter wissenschaftlichen Impulsen entstandenen Werke »Der Sprung über den Schatten«, »Das Geheimnis der Sprache«, »Einstein«, »Die Inseln der Weisheit«, »Der Venuspark« usw. und kalkuliere mit Entsetzen, wieviel ich wohl brauchen würde, um meine in Skizzen verwahrten, noch unfertigen Bücher dieses Kalibers druckreif zu gestalten; so ungefähr hundert Jahre – eine trostlose Perspektive für einen, der erst so recht anfangen möchte, wenn ihm der Lebenskalender das Finale anzeigt.
Einstweilen suche ich mich zwischen den Anforderungen des Ernstes und Scherzes durchzujonglieren, teilweise mit Verschmelzung beider Komponenten zu gemeinsamer Resultante. In meiner Sammlung »Die unsterbliche Kiste« (100 Auflagen sind wenigstens kein Widerspruch zum Titel) beschränkt sich meine Autorschaft auf das Geleitswort, auf das Sichten und stilistische Redigieren eines großen Witzmaterials. Aber in deren Fortsetzung »Der jüdische Witz und seine Philosophie« zeigen sich Spuren eines Problems, das mich zu eigener Bearbeitung veranlaßte. Hier wie durchweg vertrat ich den Standpunkt, daß der wirksame, dauerhafte Witz schon um seiner Seltenheit willen als eine Köstlichkeit angesprochen werden muß, und ich arbeitete einer künftigen Sprachkritik vor, die zu untersuchen haben wird, unter welchen besonderen Glückszufällen der witzige Schlager zustande kommt. Im Verfolg meiner Voraussetzung wies ich nach, daß auch im Kleingeistigen das potenziert Witzige in Elementen der Großgeistigkeit wurzelt, anders gesagt, daß zwischen »Witz« und »Wissen« noch ein weit innigerer Zusammenhang besteht, als die Sprachkunde annimmt, die zwischen beiden nur eine Ähnlichkeit, eine Verwandtschaft, nicht aber die Identität feststellt. An vielen Beispielen erprobte ich, daß man imstande ist, den Witz eigenartig zu beleuchten, mit einem scharfen, nur auf Sekunden eingestellten Röntgenstrahl, der im Witzkern noch einen zweiten, philosophischen Kern sichtbar macht. Und es fand sich, daß kaum ein philosophischer Denkmodus vorhanden ist, von der Aristotelischen Lehre bis zur modernsten Erkenntnisdisziplin, von dem nicht auch unbewußte traumhaft huschende Rückstände in den Geweben des Witzes erkennbar wären. Ich spezialisierte besonders auf jüdisch-mundartliche Proben, die Betrachtung läßt sich indeß ohne Schwierigkeit ins Allgemeine erweitern. Wesentlich war hier nur das aufgedeckte Grundmotiv, daß im Humor und in spekulativer Philosophie für die Gehirnvorgänge die nämlichen mechanischen Prinzipien gelten. Der Witz als sprachliches Abstraktum des Wissens – althochdeutsch ein Femininum »die wizzi« – enthält die Fähigkeit, verschiedene Gegebenheiten des Wissens kombinatorisch zu behandeln. Der Unterschied besteht nur darin, daß der Witz die Kontraste aufspürt, um Zündeffekte zu erzielen, während die spekulative Philosophie die Analogien verfolgt, um zu Leuchtwirkungen zu gelangen. So wäre es nicht abwegig, die Dialoge des Plato und sehr vieles aus Bacon, Spinoza, Montaigne, Schopenhauer und Nietzsche als direkte Ausflüsse des Witzes zu betrachten, wie denn der Titel eines lachenden Philosophen keineswegs bloß dem Demokrit zukommt. Wenn die Welt trotzdem zwischen Witz und Wissenserweiterung so scharf unterscheidet, so liegt dies wesentlich daran, daß die meisten Magister es für unter ihrem Range halten, den Witz zu pflegen und ihm beim Vergleich mit denkerischer Arbeit die Äquivalenz zuzuerkennen. Aber der Witz, der seinen Anspruch auf Klassizität niemals aufzugeben braucht, ist durch zahllose Fühlfäden dem Magistralen verbunden, er greift intuitiv heraus, was dem Humor dienlich zu werden verspricht, und seinen Griffen bleibt nichts unerreichbar.
Daß der Witz ganz allgemein als stärkste Talentprobe anzusprechen ist, zeigt die Wissenschaft selbst. Vor etwa sechs Jahrzehnten erging sich die Biologie in anatomischen Untersuchungen, um zu ermitteln, ob gewisse Sichtbarkeiten der Gehirnstruktur in nachweisbarer Beziehung zur Geistespotenz stünden. Die Forscher einigten sich auf bestimmte Merkzeichen der Hirn-Furchen und -Windungen als auf die Anzeiger besonderen Scharfsinns; und es ergab sich ein nachweisbares Maximum nicht bei Gehirnen aus Gelehrtenschädeln, sondern bei Organen ganz anderer Fakultät: den Vorrang behielten nämlich einige Komödienschreiber, die Autoren vielbelachter, kombinationstechnisch ausgezeichneter Stücke. Die Untersuchungsreihe war natürlich eng begrenzt; sie erstreckte sich nach meiner Erinnerung an eine mündliche Mitteilung von Dubois-Reymond nur auf eine Anzahl Pariser Köpfe. Allein ich besinne mich, daß Dubois selbst das Ergebnis für ausreichend schlüssig hielt und für gut übereinstimmend mit der Erwartung. Denn, so erklärte er in der Berliner Universität, man müsse von vornherein die deutlichste Prägung im Organ dort vermuten, wo das Gehirn die glänzendsten Scharfsinnsproben geleistet habe. Mit einem Wort: der Geist kulminiere in den Darbietungen des Humors.
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Es war sehr nötig, daß ich als Diener am Witz solche Fanfare wieder anblies. Denn wären die landläufigen Deutungen der Humoristik durchgreifend, dann hätten wir alle in unserer heiteren Arena nur Zirkusspäße getrieben, und ich besonders könnte vor mir selbst meine berufliche Zweiteilung nicht verantworten. In Wahrheit ist eine Spaltung gar nicht vorhanden, die zwei Teile gehören vielmehr zueinander wie das Konkav und Konvex einer Kurve.
Ich greife mir die berühmteste jener Deutungen heraus und sehe zu, wie ein anerkannter Denkmeister die Humoristik analysiert.
Ich spreche von Henri Bergson, den ich als Forscher auf abstrakten Gebieten hoch verehre. Um so unbegreiflicher ist es mir, daß er mit seiner Analyse viertelwegs stecken blieb. Denn er wollte das Wesen des Lachens ergründen, und was er herausbrachte war ein Feuilleton in Buchformat; eine sehr feine, literarisch ungemein ansprechende Feuilletonarbeit, aber doch nur ein Getast an der Oberfläche, ein Herumspüren an Teilerscheinungen des Humors. In das Mysterium des Lachens ist er nicht hinabgestiegen. Das sitzt bei den »Müttern«, und wer zu diesen dringen will, muß sich faustisch waffnen. Der polierte Schlüssel des Akademikers öffnet keine unterirdischen, seit Jahrtausenden verriegelten Pforten.
Denn diese Elementarerscheinung, die Erschütterung des Gelächters, führt zu urzeitlichen Grundmotiven der Menschheit. Und wie weit geht Bergson zurück? Bis zu Molière, mit Zwischenblicken auf Labiche und Regnard. Weiter getraut er sich nicht. Aus Fäden und Fasern der Komödie, in der sich für ihn das Wesen des Humors erschöpft, will er ableiten, warum der Mensch lacht. Er sitzt behaglich in der Loge des Théâtre Français und fühlt sich zu Aperçus angeregt. Die geraten ihm ganz reizend, noch weitaus besser als vordem einem Sainte-Beuve, Jules Janin oder dem foyerplaudernden Onkel Sarcey. Man erfährt nur nicht, weshalb er seinem umfangreichen Essai den pretentiösen Allgemeintitel »Le Rire« gibt. Er rückt nicht das universale Gelächter in das Feld der Einsichten, sondern gibt Auskunft über sein eigenes feingeistiges Lächeln aus Anlaß gewisser Charaktere und Szenen, die im Ozean des Welthumors soviel bedeuten wie das Schaumgekräusel einzelner Wellen am Strande. Es ist so, als wollte einer das Wesen der Elektrizität darstellen und bliebe bei den Korkpüppchen stehen, die unter einer geladenen Metallplatte tanzen. Und wie könnte er zu den Wurzeln der Erkenntnis vordringen mit diesem Bündelchen spärlicher Einzelproben! Die weitesten Gebiete des Welthumors, die ungeheuren Witzplantagen des Orients, des Germanentums sind ihm terra incognita; er findet kaum ein Beweisstück aus der Fabel, aus dem Volksschwank, aus der Stegreifkomödie, geschweige aus Aristophanes, Plautus, Rabelais, Wieland, Lichtenberg, Boz, Thackeray, Börne, Heine, Reuter, Gottfried Keller, Vischer, Oscar Wilde, Anzengruber, Fulda; aus dem unendlichen Horizont schneidet er ein winziges Streifchen heraus, und sein Blick polarisiert sich mit Pariser Chineserei auf Monsieur Jourdain und seine Mitspieler im Repertoire des einen Molière. Ganz gelegentlich besinnt er sich auf eine fremdländische Figur, etwa auf Mark Twain, der neben vielem Gelungenen etliche ultrablöde Langweiligkeiten produziert hat. Und richtig greift er aus dem ganzen Twain die allerfaulste Stupidität als Exempel heraus. Mir ist es erwiesen: Henri Bergson, den ich als Metaphysiker bewundere, als Ästhetiker nicht missen möchte, besitzt auf seiner Fähigkeitstafel einen blinden Punkt: das eigentliche Organ für die Materie des Lachens ist ihm versagt. Und wenn gerade er mit seinem »Rire« soviele Vor- und Nebenläufer verdunkelt hat – Philbert, Heeker, Mélinard u. a. – so bleibt nichts übrig als der fatale Glaube, daß die rein ästhetisch-philosophische Betrachtung für die Bewältigung dieses Themas überhaupt nicht ausreicht. Hier kann nur die Naturforschung Hilfe bringen, erprobt von einem Geiste, der den Welthumor kennt, den Witz kommandiert, und der nicht davon abläßt, das Lachen als eine durchaus organische Funktion begreifen zu wollen.
Denn das Lachen ist eine körperliche Erschütterung, und es heißt das Pferd beim Schwanze aufzäumen, wenn man nicht zu allererst nachweist, wie die Bedürfnisse des Körpers die Eruptionen des Lachens forderten, bevor noch das Lächerliche auf der Welt war. Die Komik, das lustige Erlebnis, die Ironie, die Lust an der gesprochenen und gelesenen Pointe, die Erregung am humoristischen Text und Bild, sie alle stehen am Ende der Tatsachenreihe: am Anfang steht der rohe Mensch der Urzeit, der aus ganz anderen Motiven das Lachen lernte, aus einem Lebenszwange, der ihn genau so stark beherrschte wie Hunger, Durst und Geschlechtsgier. Wie dieser Zwang wirkte, und wie diese Wirkung nach Jahrtausenden in etwas Geistiges, Seelisch-Freudiges übergriff, das zu ermitteln ist Aufgabe einer Physiologie, die bis ins menschliche Primordium hinabsteigt.
In den Bann dieses Problems geriet ich selbst, wenn ich Humoristika erdachte oder auch vergeblich beabsichtigte, in den Wehen der Produktion, und besonders in der Erklärungsnot darüber, warum ich denn mit Schrift und Vortrag justament auf das Zwerchfell wirken wollte, auf ein Organ, das doch an sich, anatomisch, um nichts geistiger vorgestellt wird als Niere, Galle oder Harnblase. Sollte da am Ende eine Nützlichkeitswurzel vorhanden sein, ein geheimer Zusammenhang mit Daseins- und Gattungserhaltung? Frühzeitig hatte ich angefangen, den Spuren der Evolutionisten, zumal Herbert Spencers nachzugehen, und ich glaube auf diesem Wege Ergebnisse gefunden zu haben in der Zurückführung künstlerischer Emotionen auf vitale Notwendigkeiten. Als Vorstufe der Erkenntnis erschien mir das Verlangen, die Qualität in eine Quantität aufzulösen, die sich dem Maß und der Zahl unterordnet, also das sinnlich Erfreuliche in Beziehung zu setzen zu meßbaren Kräften und Rhythmen, die in der originalen Natur walten. Leibniz hat die Musik definiert als Exercitium arithemeticae occultum nescientis se numerare animi; geheime arithmetische Übung der Seele, welche zählt, ohne es zu wissen. Ich gelangte auf weiten Umwegen zu der Ergänzung: die bildhafte Schönheit – in Betrachtung und Ausübung aller, körperlichen Kunst – ist eine Übung der Seele, welche analytische Geometrie treibt, ohne es zu wissen. Und ich zweifelte nicht daran, daß es möglich sein müsse, die Freude selbst, abgetrennt von Klang und Strahl, auf eine uralte in der Natur waltende Rhythmik zurückzuführen.
So eine Rhythmik liegt im Atmen, wonach die Freude, zumal die Heiterkeit, die das Lachventil sucht, ein pneumatischer Vorgang wäre. Eine sprachlich-begriffliche Kette führt vom ersten Ausdruck des Atmens, dem ebräischen »Ruach« (das Hauchen, Wehen) zum »Pneuma« der Kirchenschriftsteller, zum Spiritus bis zum Esprit. Durchweg dominiert die Bedeutung des Beseelten, Geistigen. In dem lateinischen Wortspiel »dum spiro spero« – solange ich atme, hoffe ich – wird die Lebensfreude direkt auf den pneumatischen Vorgang bezogen. Auch der Stolz und die Eitelkeit finden sich nachweisbar in den Deutungen jenes Hauchbegriffs, wie denn auch in den meisten Freudenäußerungen Substanzen der wirklichen oder eingebildeten Überlegenheit stecken und mit ihnen die Schadenfreude. In aller Humorlust ist das ganz unverkennbar, selbst auf der Stufe hoher Geistigkeit; das überhebliche Atmen verkündet: Ich bin dem eigentlichen Objekte des Humors überlegen, ich freue mich am mangelnden Spiritus der Zurückbleibenden, deren Atem nicht zur Erreichung dieser Geisteshöhe ausreicht. Das ergäbe schon eine Verbindung mit dem wichtigen Atmungsmuskel Zwerchfell, dessen Rhythmik man zu ergründen hätte, wenn man das Geheimnis der Lachfreude aus dem Okkulten herausheben will.
Setzen wir zum Übergang in der Untersuchung die Behauptung: das Lachen ist die verborgene Übung der Seele, welche prähistorische Studien treibt, ohne es zu wissen. Halten wir daneben, daß alles Launige, vom feinsten klassischen Humor bis zum derbsten Rüpelspaß und bis zur unflätigen Zote, im Kontrast wurzelt, und man hat die Elemente zum Verständnis in der Hand. Ich erlasse es mir, den Kontrastsatz zu begründen. Jeder prüfe selbst, hole Stichproben aus den milliardenfachen Möglichkeiten der eleganten Satire wie des grobkörnigen Gassenulkes; es gibt keine Ausnahme; ein Humor- und ein Lachmotiv außerhalb des Kontrastes ist undenkbar.
Und jetzt gälte es aufzuzeigen, daß der Kontrast, wie ihn der Urmensch spürte, viele Jahrtausende vor Existenz irgendwelcher Lebenskomödie, seine Atmung schon genau so impulsiv bearbeiten mußte, wie er die unsrige anstößt, wenn das Lachen über uns kommen soll.
Nur einem Physiologen konnte diese Ausfolgerung glücken. Andra moi ennepe, Musa! Sie antwortet: Carl Ludwig Schleich und verweist damit auf einen Mann, der mir im Leben als Pfadsucher nahe stand. Unsere Gemeinsamkeit war die Arbeit auf Grenzgebieten, unsere Methoden zeigten verwandtschaftliche Züge, hin und wieder beinahe Parallelitäten. Aber auf diesem Grenzstreifen, der das Lachproblem einschließt, mußte der Fachhumorist dem Naturforscher unbedingt den Vortritt lassen. Sein Wort gilt mir als entscheidend und wird jeden als Lösung ansprechen, der auch nur von einer sehr abkürzenden Paraphrase Kenntnis erhält.
Wir stellen uns einen Urmenschen vor, der von einer unmittelbaren Gefahr, durch Feind, Raubtier, Python, Lawine schärfstens bedroht wird. Über ihm schwebt der Kontrast in einer Lebensbejahung, die sein ganzes animalisches Leben ausmacht, und in der Lebensverneinung, die ihm das Verhängnis der nächsten Minute bringen kann. Er will sich retten, sich wehren, und im ersten Affekt reißt er den Mund weit auf zur Einpumpung von Luft, die jede starke Muskelspannung elementar begleitet; weil die Muskelaktion auf massenhaften Verbrauch von Sauerstoff angewiesen ist. Aber in dem Verhängnis soll ein Knick auftreten; irgend ein plötzlicher Zufall verändert die Lage; der Feind, der fauchende Rachen, die entsetzliche Gefahr verschwindet; die schreckliche Kontrastspannung löst sich, um einem ebenso intensiven, freudigen Gefühlskontrast Platz zu machen. Schon vom Tode umklammert, fühlt er sich wieder frei, er wird leben, und im stürmischen Aufprall dieses frischen Affektes entlädt er seinen nun überflüssig aufgespeicherten Sauerstoff in stoßweisen Expirationen.
Dieser biologische Vorgang eruptiver Atmung ist mechanisch betrachtet mit dem Lachen identisch. Er zeigt sich in dem angenommenen Falle als der urzeitliche Vorläufer alles Lachens und gründet sich auf dasselbe Motiv: den Kontrast. Nichts anderes wird für ihn vorausgesetzt als eine Spannung mit freudig empfundener Lösung. Ursprünglich ging es um Tod und Leben, wonach die plötzliche Überlegenheit den Atmungsprozeß antrieb. Auf den eingeschleiften Nervenbahnen der Seelenkultur haben sich andere Überlegenheiten herausgestellt, darunter die trotzige Freude in Wahrnehmung eines Gedankenkontrastes, den der Geist selbstherrlich überwindet. Aber der Mensch knüpft immer noch an den Urlaut an, an die Stoßatmung des wilden Troglodyten; und bei den wohltätigen Kontrastspannungen, mit denen aller Humor und Witz operiert, fallen wir automatisch in die vorzeitlichen Gepflogenheiten, als ginge es auch hier um Sein und Nichtsein. Das Lachen gehört somit zu den rudimentären Erscheinungen, die uns so vielfach in biologischen Abläufen auffallen. Ein Mensch zuckt flüchtig zusammen beim kleinen Schreck, beim Malheur des Alltags, wenn ihm eine Mücke ins Auge fliegt, wenn er die Teetasse fallen läßt oder sich schmerzhaft auf die Zunge beißt. Was sagt dieses Zucken an? Eine rudimentäre Erinnerung. Auf der Urstufe war es die gewaltsame Aktion der Muskeln bei der Flucht aus Lebensgefahr; davon haben die Muskeln einen minimalen Rest aufbewahrt im leisen Zucken bei belangloser Gelegenheit, die den Gefahrbegriff nur noch in unendlicher Verdünnung enthält. Die leise Bewegung der Nasenflügel, die im Liebesgeplänkel der Freundin so reizend stehen kann, war ursprünglich ein Erkundungsvorgang, eine Witterung der Nüstern dem Unbekannten gegenüber, in Zeiten, da noch die Nase Indianerspürkraft besaß. Die Assoziationen haben sich verändert, aber im atavistischen Rückfall zeigt sich immer noch die Spur des alten Mechanismus. Durchweg gewahrt man bei den Atavismen eine Beziehung zum Rhythmus vorsintflutlichen Muskelspiels. Und besonders deutlich bei den rhythmischen Zwerchfellstößen, welche die drangvollsten Momente aus schwierigstem Daseinskampf des Urahnen so lustig repetieren. Bis ins Extrem verändert, verfeinert, haben sich die Motive, die heut durch die Kontrastmittel des Humors Heiterkeiten beflügeln, aber der Taktmeister des Rhythmus ist derselbe geblieben: der temperamentvolle Lebensdrang, der vordem nur einen rohen Bläser kommandierte, während er heute auf reichgegliedertem Orchester sprudelnde Scherzi spielt.
Und nun vergegenwärtige ich mir wieder die Phasen meiner eigenen Tätigkeit, soweit sie im humoristischen Felde beinahe ein halbes Jahrhundert füllte. An irgend einem Pulte jenes Orchesters habe auch ich gesessen, habe ich meine Töne einfließen lassen in die große Heiterkeitssymphonie, die wie wir sahen, im seelischen Haushalt doch etwas mehr bedeutet als eine bloße Zerstreuung. Sie beansprucht den Rang einer vitalen Notwendigkeit, wie die Luft selbst, wie der Sauerstoff, mit dem sich die Lunge tiefschöpfend sättigt, wenn der lachende Atem anzeigt: hier ist Lebenshöhe!
Das kommt dem Schreiber nicht auf jeder Teilstrecke seines Wochenpensums zum Bewußtsein; er redigiert im Witzblatt, baut Verssatiren und Prosahumoresken, entwirft dazwischen Lustspielszenen, animiert zu launigen Bildern, trägt vor und wird vorgetragen, und dann ereignet es sich wohl auch, daß ein lautinstrumentiertes Lachen ihm den Erfolg bezeugt. Aber den nimmt er noch nicht als Gewähr dafür, daß er am Menschheitswohl wirkt. Erst wenn er erwägt, daß die launigen Winzigkeiten seiner Einzelerlebnisse Bestandteile einer Weltfreude sind, die sich vom Gefahrschreck des Urmenschen bis zum Beifall eines Leserkreises, eines Auditoriums erstreckt, darf er sich sagen, daß er als Mitträger einer Sendung auftritt, die an Wichtigkeit kaum von irgendeiner anderen übertroffen wird. Und wenn er nebenbei noch als Philosoph arbeitet, so wird sich in ihm der Vorsatz verdichten, das Grundelement seiner Heilmission, den Humor, auch in seiner Philosophie nicht zu verleugnen.
Ohne ihn wäre das Leben nicht lebenswert, und im Lachen bekennen wir, daß ein humorloses Dasein für uns überhaupt nicht aushaltbar wäre. Sicherlich trifft Max Nordau das Richtige, wenn er die letzten Stunden unserer eiszeitlichen Nachfahren ausmalt in einer Prognose, die auch noch für die letzten fernsten Daseinsreste alle Möglichkeiten der Frohlaune offen hält. Diese Menschen der Eiszeit »werden noch die kreuzlustigen Kumpane sein. Sie werden in Eskimotracht Fastnachtsvereine bilden, sich die Kälte durch unermüdlichen Tanz aus den Gliedern treiben und ihren Tran in Begleitung jauchzender Trinklieder genießen. Wenn endlich der letzte Mensch erfrieren wird, so wird er wahrscheinlich ein breites Lachen auf den Lippen und die letzte Nummer des Kladderadatsch der Epoche in den erstarrten Händen haben.« Ob Kladderadatsch oder Lustige Blätter oder sonst ein Witzorgan, das bis ins Glaciale durchhält, ist in diesem Zusammenhange gleichgültig.
Wer im Dienste des Lachens arbeitet, am heilkräftigen, heiligen Lachen sich als Ministrant fühlt, der durchtränkt sich auch mit der Weisheit des Voltaire und Beaumarchais. Er erlernt und betätigt die Kunst, viele Miseren so zu vereinigen, daß sie zusammen einen ganz erträglichen Zustand ergeben. Tritt ihm der Sittenrichter mit der Forderung entgegen, nur dem Ethos die Regentschaft zu lassen, da der Spaß als entbehrlich keinen Anspruch auf Lebensbestimmung erheben dürfe, so wird er ihm mit Voltaire antworten, daß es auf der Welt nichts Notwendigeres gäbe als das Überflüssige; und mit Beaumarchais, daß man über die Welt zu lachen habe, aus Angst, andernfalls unaufhörlich über sie weinen zu müssen.
Schließlich stehen alle Seelenfunktionen in Verbundenheit: »Lachen, Weinen, Lust und Schmerz sind Geschwisterkinder«; auch in dieser Geschwisterschaft steckt der Kontrast, den das Geschick oft genug tragisch färbt, den aber noch häufiger das Temperament ins Komische umschlagen läßt. Das empfindet der tätige Humorist schon in den Wehen seiner Arbeit, besonders in vorgerückten Jahren bei der bedrohlichen Frage: lohnt es noch, frisch anzufangen, kann das noch glücken? Und da steht wieder der Urmensch zum Vergleichsbild bereit. Wer hat denn überhaupt zuerst gelacht? Nach biblischem Zeugnis Abrahams Weib, als sie sich ihre interessanten Umstände vorstellte. Ein fröhliches Präludium zur späten Herausgabe eines Werkes. Zwischen Betagtheit und Produktion liegt auch ein Kontrast, der oft genug zu tragischer Lösung führt. Helfe mir das Lachen zu freudvoller Überwindung!