Karl Philipp Moritz
Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782
Karl Philipp Moritz

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Castleton, den 30sten Juni.

Ehe ich Ihnen von meinem hiesigen Aufenthalt etwas sage, will ich in der Erzählung meiner Abenteuer fortfahren, und nur da wieder anfangen, wo ich es in meinem letzten Briefe gelassen habe.

Am Dienstage Nachmittage führte mich Herr Modd auf die Spaziergänge bei Oxford, und bemerkte denn ziemlich oft, daß sie nicht nur in England, sondern überhaupt in Europa nicht schöner sein könnten. Es waren wirklich auch recht hübsche Gänge und Alleen, insbesondre gefiel mir ein kleiner Spaziergang längst einem Flusse, hinter Christcorpscollege.

Wir setzten uns hier auf eine Bank nieder, und Herr Modd zog ein Journal aus der Tasche, worin unter andern auch ein deutsches Buch vom Professor Beckmann in Göttingen recensiert, und gelobt war. Herr Modd schien bei dieser Gelegenheit einigen Respekt für die deutsche Literatur zu bezeugen. Endlich schieden wir von einander, er zur Besetzung der Küsterstelle in Dorchester, und ich in die Miter, um mich ebenfalls zu meiner Abreise aus Oxford anzuschicken, die denn auch den Mittwoch früh um drei Uhr mit der Postkutsche vor sich ging, nachdem ich vorher eine verhältnismäßig ziemlich billige Rechnung bezahlt hatte.

Inwendig in der Postkutsche saß nur noch ein junger Mensch, der zwar schwarz gekleidet, aber nach seiner Kokarde am Hute zu schließen, ein Officier war. Hingegen war die Außenseite der Kutsche mit Weibern und Soldaten ganz besetzt. Die Weiber von geringem Stande tragen hier eine Art kurzer Mäntel von rotem Tuch, übrigens Hüte, wie die Vornehmen.

Die Tracht mit den Hüten, welche bei dem Englischen Frauenzimmer so gemein ist, daß sich die geringste Dienstmagd ihrer bedient, nimmt sich, wie mir deucht, weit besser aus, als die Hauben und Mützen unsers deutschen Frauenzimmers von bürgerlichem Stande. Es ist überhaupt in England kein so großer Unterschied in der Kleidung zwischen den Vornehmen und Geringen, als in Deutschland.

Ich hatte etwas Kopfweh, und machte daher bei meinem Reisegefährten in der Postkutsche ziemlich den Misanthropen, welches vielleicht ihm, als dem Engländer, eher zugekommen wäre. Allein hier war es umgekehrt, er redete mich einigemal sehr freundlich an, indes ich nicht die mindeste Lust bezeigte, mich in ein Gespräch mit ihm einzulassen. Indes gestand er mir nachher, daß eben diese anscheinende Zurückhaltung mir zuerst seine Gunst verschafft habe.

Er erzählte mir, daß er zwar Medicin studiert habe, nun aber nach Ostindien reisen, und da sein Glück als Officier versuchen wolle. Jetzt reise er nach Birmingham, um von seinen drei Schwestern, die dort in Pension wären, Abschied zu nehmen.

Ich erwiderte sein Zutrauen dadurch, daß ich ihm von meiner Fußreise in England, und von meinen Abenteuern erzählte. Er glaubte, dies sei erstaunlich viel gewagt, ob er gleich meine Absicht, bei dieser Art zu reisen, billigte. Auf meine Frage, warum die Engländer denn nicht auch um derselben Vorteile willen manchmal zu Fuße reisten? war seine Antwort: they are too rich and too lazy! (sie sind zu reich und zu träge dazu).

Und wahr ist es, selbst der ärmste Mensch setzt sich lieber in Gefahr, auf der Outside einer Postkutsche den Hals zu brechen, als eine Strecke zu Fuße zu gehen. Es sahe fürchterlich aus, wenn die Weiber, wo wir stille hielten, oben von der Kutsche herunterstiegen, und die eine war einmal wirklich in Gefahr zu stürzen, da sie eben im Herabsteigen begriffen war, und die Pferde unversehens fortgingen.

Von Oxford bis Birmingham sind zwei und sechzig Meilen: allein diese weite Strecke ging fast ganz für mich verloren, weil ich wieder in einer Postkutsche fuhr, wodurch ich zwar in großer Geschwindigkeit von einem Orte zum andern kam, aber nichts weniger tat, als reisen.

Mein Reisegefährte entschädigte mich indes einigermaßen für diesen Verlust. Er schien ein äußerst gutmütiger Mensch zu sein, und ich faßte in der kurzen Zeit eine Art von Zuneigung zu ihm, die man nicht leicht sobald gegen jemanden empfindet. Es schien dieses bei ihm eben der Fall zu sein, und es war beinahe, als wenn wir eine Art von Freundschaft stifteten.

Indem wir gerade zufälliger Weise uns eine Zeitlang von Schakespear unterhalten hatten, waren wir auf einmal, ohne daß einer von uns vorher daran dachte, in Stratford an der Avon, Schakespears Geburtsorte, wo unser Wagen still hielt, weil hier eine Poststation war. Dies war noch zwei und zwanzig Meilen von Birmingham, und vier und neunzig Meilen von London.

Unsre Empfindungen teilten sich hier einander sehr lebhaft mit.

Hier war es, wo das größte Genie, welches vielleicht die Natur je hervorbrachte, geboren ward. Hier bildete sich seine junge Seele, auf diesen Fluren spielte er als Knabe. Und hier in diesen niedrigen Hütten brachte er vergnügt mit einigen Freunden seine letzten Tage zu, nachdem er von dem großen Schauplatze der Welt abgetreten war, dessen Elend, Laster und Torheiten, er selbst so meisterhaft geschildert hatte.

Der Fluß Avon ist ziemlich breit, und eine Reihe niedriger Hütten, nur ein Stockwerk hoch, und mit Schindeln gedeckt, erstreckt sich längst dem Ufer desselben. Diese Reihe von Häusern trägt recht das Gepräge patriarchalischer Simplicität und Genügsamkeit.

Wir besahen Schakespears Haus, das unter allen Häusern in Stratford, eines der schlechtesten, niedrigsten und unansehnlichsten ist, und unter dessen niedrigem Dache er demohngeachtet die vergnügtesten Tage zubrachte. In diesem Hause wohnen jetzt ein Paar alte Leute, die es gegen eine Kleinigkeit Fremden zeigen, und von diesem Einkommen leben.

Schakespears Stuhl, worauf er vor der Tür gesessen, war schon so zerschnitten, daß er fast keinem Stuhle mehr ähnlich sah; denn jeder Durchreisende schneidet sich zum Andenken einen Span davon ab, welchen er als ein Heiligtum aufbewahrt. Ich schnitt mir auch einen ab, weil er aber zu klein war, habe ich ihn verloren, und Sie werden ihn also bei meiner Wiederkunft nicht zu sehen bekommen.

Als wir weiter fuhren, betrachtete ich jeden Fleck mit Aufmerksamkeit, wo wir vorbeikamen, wenn ich dachte: das ist nun die Gegend, wo ein solcher Geist, wie Schakespears, seine erste Bildung durch die ihn umgebende Natur erhielt! Denn die ersten Eindrücke der Kindheit bleiben doch immer äußerst wichtig, und sind gewissermaßen die Grundlage aller folgenden. Obgleich die Gegend hier zwar nicht vorzüglich schön ist, so hat sie doch ganz etwas Eignes, Romantisches.

Den Nachmittag um drei Uhr kamen wir schon in Birmingham an. Sechzehn Schillinge für meinen Platz in der Kutsche von Oxford bis Birmingham, hatte ich schon in Stratford bezahlt. In Oxford hatte man mir nichts abgefordert; man braucht also in England, nicht wie bei uns, die Post vorauszubezahlen.

Mein Reisegefährte und ich stiegen im Gasthofe ab, wo die Postkutsche hielt. Wir trennten uns ungern, und ich mußte ihm versprechen, daß ich ihn nach meiner Rückkunft in London besuchen wollte, zu welchem Ende er mir seinen Namen und seine Wohnung aufschrieb. Sein Vater war der D.  Wilson in London, der in seinem Fache ein berühmter Schriftsteller ist.

Ich erkundigte mich hierauf nach der Wohnung des Herrn Fothergill, an welchen ich empfohlen war; man bezeichnete mir dieselbe, mit dem Zusatze, daß eben dieser Herr Fothergill vor acht Tagen gestorben sei. Da mir also, unter diesen Umständen die Empfehlung an ihn nicht viel nützen konnte, so sah' ich wohl, daß meines Bleibens in Birmingham nicht war.

Ohne mich also hier eine Minute länger aufzuhalten, erkundigte ich mich sogleich nach dem Wege nach Darby, und verließ Birmingham, da ich kaum darin angelangt war. Von dieser berühmten Stadt, und ihrem Fabrik- und Manufakturwesen, kann ich Ihnen also keine Zeile schreiben.

Der Weg von Birmingham aus ist nicht zum besten, sondern ziemlich sandigt. Ich langte denselben Abend noch in einem kleinen Orte, Namens Sutton, an, worin es mir aber auch zum Bleiben zu vornehm aussahe, bis ich ganz am Ende einen kleinen Gasthof antraf, der einen Schwan im Schilde führte, worunter stand, Aulton Brickmaker.

Dieser Gasthof schien etwas Einladendes für mich zu haben, ich ging also hinein, und fragte nicht gleich zuerst, ob ich die Nacht da bleiben könne, sondern forderte mir vorher einen Krug Bier (a Point of Ale). Hier hieß ich nun gar nicht anders, als Master, und man wies mich in die Küche, wo die Wirtin an einem Tische saß, und sehr über Zahnschmerzen klagte. Mein Mitleid, das ich ihr als ein fremder Mensch darüber bezeigte, verschaffte mir bald ihre Gunst, und sie fragte mich selbst, ob ich nicht die Nacht hier bleiben wolle? welches ich bejahte, und so hatte ich denn auf diese Nacht wieder eine Herberge.

Die Gesellschaft, welche ich hier traf, war eine Schornsteinfegerin mit ihren Kindern, welche mir sogleich sehr freundschaftlich zutrank, und sich mit mir und der Wirtin unterhielt.

Sie erzählte mir ihre Geschichte, die interessant genug war. Sie hatte nehmlich frühzeitig ihren Mann im Kriege verloren, und für tot gehalten, worauf sie sieben Jahr in Irrland diente, ohne daß jemand drum wußte, daß sie verheiratet sei. Während der Zeit kömmt ihr Mann, der ein Schornsteinfeger war, wieder nach England, und besetzt sich in Lichfield. Sobald er hier in wohlhabende Umstände kömmt, erkundigt er sich allenthalben nach seiner Frau, erfährt endlich ihren Aufenthalt, und holt sie aus Irrland ab. Mit Tränen in den Augen erzählte sie, wie feierlich er sie in Lichfield eingeholt, und ihr zu Ehren ein ordentliches Fest veranstaltet habe. Hier in Lichfield, das nur noch ein Paar Meilen von Sutton liegt, und wo ich Morgen durchreisen würde, lebe sie nun mit ihrem Manne, und helfe ihm fleißig arbeiten, sei auch bei allen vornehmen Herrschaften beliebt und angesehen.

Die Wirtin erzählte mir, während ihrer Abwesenheit als im Vertrauen, daß der Mann dieser Schornsteinfegerin, so schlecht sie aussähe, seine tausend Pfund im Vermögen hätte, Silberzeug, Zinn und Kupfer ungerechnet; daß er seine silberne Uhr trüge, und wenn er durch Satton käme, und hier logierte, wie ein Nobleman bezahle.

Ein Nobleman will aber erstaunlich viel sagen, denn in Rücksicht gegen Gentleman, das bloß einen feinen Mann bezeichnet, heißt es so viel, als ein Lord oder Graf.

Ferner bemerkte sie, die Frau sei etwas lowlived (von niedrigen Sitten) er aber sei der feinste und artigste Mann von der Welt. Nun bemerkte ich freilich bei der Schornsteinfegerin etwas sehr grobes in der Aussprache, sie sprach z. B. das Wort old, alt, welches ohld gelesen werden muß, wie auld aus. Sonst bemerkte ich in dieser Entfernung von London noch keine merkliche Abweichung in Ansehung der Aussprache.

Morgen, sagte die Schornsteinfegerin, sei sie und ihr Mann nicht zu Hause, aber wenn ich durch Lichfield wieder zurückkäme, wollte sie sich die Ehre meines Besuchs ausbitten, zu welchem Ende sie mir denn ihren Namen und Wohnung sagte.

Am Abend kam die übrige Familie, ein Sohn und Tochter der Wirtin zu Hause, welche für ihre kranke Mutter alle mögliche Sorgfalt bezeugten. Ich aß mit der Familie, und man ging hier mit mir um, als ob wir schon Jahre lang zusammen gelebt hätten.

Als ich sagte, daß ich ein Scholar oder Student wäre, erzählte mir der Sohn, hier sei auch eine Grammar School (lateinische Schule) wo sich der Schoolmaster auf zweihundert Pfund (zwölfhundert Taler) außer dem Schulgelde stünde. Und dies war nur in einem Flecken, ich dachte dabei an unsre Grammarschools in Berlin, und an die Besoldungen der dasigen Schoolmasters.

Als ich am folgenden Morgen meine Rechnung bezahlte, merkte ich den außerordentlichen Abfall gegen Windsor, Nettlebed und Oxford. In Oxford mußte ich für Abendessen, Bette, und Frühstück wenigstens drei Schillinge bezahlen, und dem Aufwärter einen Schilling geben. Hier bezahlte ich für Abendessen, Bette und Frühstück nur einen Schilling, und als ich der Tochter im Hause, welche ich hier als Chambermaid betrachten mußte, Four pence (ohngefähr zwei Groschen) gab, bedankte sie sich gar höflich, und gab mir noch überdem eine schriftliche Empfehlung an einen Wirt in Lichfield mit, bei dem ich gut würde logieren können, weil sonst die Leute in Lichfield sehr stolz wären. Diese schriftliche Empfehlung war denn ein Meisterstück von orthographischer Schreibart im neuesten Geschmack, wo man nichts schreibt, als was man hört und ausspricht, welches sich denn vorzüglich im Englischen gar sonderbar ausnimmt.

Ich nahm aus diesem Hause Abschied, wie man von guten Freunden Abschied nimmt, und mit dem gewissen Versprechen, bei meiner Rückreise wieder da einzukehren.

Den Mittag kam ich nach Lichfield, einer ziemlich altfränkischen Stadt, mit engen und unsaubern Gassen, und wo ich zuerst wieder runde Fensterscheiben bemerkte, die sonst in England nicht gewöhnlich sind. Der Ort schien mir etwas unfreundliches zu haben, ich machte also von meiner Empfehlung keinen Gebrauch, sondern ging gerade durch, und kaufte mir nur in einem Bäckerhause Brot, welches ich mit mir nahm.

Den Abend kam ich nach Burton, wo das berühmte Burton Ale gebraut wird. Schon ehe ich an diese Stadt kam, war ich ziemlich müde, und nahm mir also vor, die Nacht hier zu bleiben. Allein wie bald ließ ich diesen Entschluß fahren, da ich nun in die Stadt kam, und alles wieder ein so vornehmes Ansehn hatte, als wenn ich nahe bei London wäre. Und doch war es hier so kleinstädtisch, daß man auf mich, als einen Fremden, der zu Fuße ging, fast mit Fingern wies. Und nun kam ich dazu durch eine lange Straße, wo es an beiden Seiten vor allen Türen voller Menschen stand, die mich ordentlich durch ihre neugierigen Blicke Spießruten gehen ließen, und immer hinter mir her zischelten.

Alle meine Beruhigungsgründe, daß ich doch ja diese Leute nie wieder sehen würde, eben so wenig, wie sie mich, und dergleichen, halfen nichts; dieser Zustand ward mir beinahe unerträglich, und die Straße ward mir so lang, als ob ich eine Meile gegangen wäre, und ermüdete mich auch eben so sehr. Ich habe auch eine solche verhaßte Aufmerksamkeit auf einen Durchreisenden noch nirgends als hier in Burton gefunden.

Wie froh war ich, als ich mich wieder außer der Stadt im Freien befand, ob ich gleich nun noch nicht wußte, wo ich die Nacht eine Herberge finden würde, und dazu äußerst ermüdet war.

Ich ging indes immer auf der Straße nach Darby fort, wohin mich ein Fußweg von Burton aus, über eine sehr angenehme Wiese führte, die durch Verschläge abgeteilt war, wo man sehr oft übersteigen mußte.

Als ich nun eine ganze Strecke gegangen war, ohne an der Heerstraße einen Gasthof anzutreffen, und es auch schon dunkel zu werden anfing, so setzte ich mich endlich bei einem kleinen Zollhause, wo ein Schlagbaum, und für Fußgänger eine kleine Treppe zum Übersteigen war, auf diese Treppe nieder, um mich auszuruhen, und allenfalls zu versuchen, ob mich der Zöllner beherbergen würde.

Nachdem ich eine ziemliche Weile hier gesessen hatte, kam ein Bauer geritten, und fragte mich, wo ich hinwolle? ich sagte ihm, ich sei so müde, daß ich nicht weiter gehen könne, und den Augenblick erbot sich dieser gutmütige edle Bauer, von freien Stücken, ohne das geringste Mißtrauen, mich hinter sich auf sein Pferd zu nehmen, und mich bis an den nächsten Gasthof zu bringen, wo ich die Nacht bleiben könne.

Das Pferd war ein ziemlich hoher Gaul, und als ich nicht sogleich hinaufsteigen konnte, kam der Zöllner, ein steinalter Mann heraus, dem ich kaum Kräfte genug zutraute, sich selbst emporzuhalten, und eben dieser Mann faßte mich mit einem Arm, und hob mich mit einem einzigen Schwung aufs Pferd, daß ich nicht wußte, wie mir geschahe.

Und so trabte ich denn mit meinem vortrefflichen Bauer fort, der auch keine einzige neugierige Frage an mich tat, sondern mich vor dem Gasthofe absetzte, und darauf links nach seinem Dorfe zuritte.

Dieser Gasthof hieß der Bär, und der Wirt ging umher, und brummte wie ein Bär mit seinen Leuten, so daß ich mir anfangs keine gute Aufnahme versprach, allein ich suchte ihn milde zu machen, indem ich mir einen Krug Ale geben ließ, und ihm ein paarmal zutrank. Dies Mittel half, und er wurde bald so höflich und gesprächig, daß ich mich recht angenehm mit ihm unterhalten konnte. Ich hatte mir dies vom Vikar von Wakefield abgemerkt, der auch seine Wirte immer dadurch gesprächig macht, daß er sie mit sich trinken läßt. Und überdem gewann ich dabei, weil ich selber das starke Ale nicht gut vertragen kann.

Dieser Wirt nannte mich nun wieder Sir, und man mußte mir mit ihm allein einen Tisch decken, denn, sagte er, er sähe wohl, daß ich ein Gentleman wäre.

Wir sprachen darauf sehr viel von Georg dem Zweiten, der sein Favoritkönig war, so wenig Georg der Dritte seine Gunst hatte: unter andern kamen wir auf die Schlacht bei Dettingen, wovon er viel Specialia wußte. Auch mußte ich ihm vom Könige von Preußen und seinen vielen Soldaten, und was bei uns die Schafe kosteten, erzählen. Und als wir darauf noch eine Weile von politischen Sachen gesprochen hatten, fragte er mich auf einmal: ob ich das Waldhorn blasen könne? – dies vermutete er deswegen, weil ich aus Deutschland sei, denn er erinnere sich, als er noch ein Knabe gewesen wäre, hätte auch einmal bei seinen Eltern in eben diesem Gasthofe ein Deutscher logiert, und dieser habe das Waldhorn sehr vortrefflich blasen können. Er glaubte also, daß dies eine vorzügliche Eigenschaft der Deutschen sei.

Ich benahm ihm denn diesen Irrtum, und wir kamen wieder auf die politischen Angelegenheiten, indes seine Kinder und Gesinde in einiger Entfernung mit vieler Ehrfurcht unserm Gespräche zuhörten.

So brachte ich hier wieder einen sehr angenehmen Abend zu, und am Morgen, da ich gefrühstückt hatte, betrug meine Rechnung nicht mehr, als in Sutton.

Nun kam ich endlich am Freitage Morgen in die Heide vor Darby. Es wehte eine milde Luft, und ich war ganz außerordentlich heiter und vergnügt.

Gegen Mittag begann die herrliche romantische Gegend. Ich kam auf eine große Anhöhe, und sahe auf einmal eine ganze Perspektive von Bergen vor mir, wo immer ein Paar nähere noch ein Paar entferntere, und diese wieder noch entferntere, zwischen dem Raume, der sie trennte, durchschimmern ließen.

Und nun hob sich das Land immer wie eine Welle auf und nieder, auf deren Rücken ich bald emporstieg, und weit um mich her schaute, bald wieder in den tiefen Abgrund mit ihr hinuntersank.

Den Nachmittag sah ich Darby vor mir im Tale: Und nun war ich hundert sechs und zwanzig Meilen von London entfernt. Darby ist eine kleine unansehnliche Stadt. Es war hier gerade Markt, und ich mußte auch durch viele Menschen gehen, aber hier herrschte keine solche verhaßte Neugierde, und beleidigendes Anstaunen, wie in Burton. Auch wurde ich von nun an, wenn ich durch ein Dorf kam, von den Bauerkindern immer sehr höflich gegrüßt.

Von Darby bis nach den Bädern zu Matlock, wo eine der romantischsten Gegenden ist, waren noch funfzehn Meilen. Auf diesem Wege kam ich durch ein langes breites Dorf, welches, glaub' ich, Duffield hieß. Man wies mich hier doch nicht in die Küche, sondern in ein Zimmer, und ich aß hier eine kalte Schale zu Mittage.

Die Kupferstiche und Bilder, welche man gewöhnlich in den Englischen Gasthöfen findet, sind eine Abbildung der ganzen Königlichen Familie, in einer Gruppe, wo der König sie als ein Vater um sich her versammelt, oder ein Grundriß von London, und auch das Bildnis des Königs von Preußen, welches ich hier verschiednemal gesehen habe. Auch findet man zuweilen eine Hogartsche Scene. Weil es eine große Hitze war, mußte ich in diesem Dorfe einigemal wieder das bemitleidende God Almigth! hören, wodurch man mich als einen armen Fußgänger bedauerte.

Am Abend kehrte ich wieder in einem Gasthofe an der Heerstraße ein, von welchem es nur noch vier Meilen bis Matlock war. Ich hätte es leicht noch erreichen können, aber ich wollte den ersten Anblick dieser Gegend lieber auf den folgenden Morgen versparen, als in der Dämmerung hinkommen.

Allein in diesem Gasthofe war ich nicht so glücklich, als in den beiden vorigen. Die Küche saß voller Bauern, unter welchen ich den Wirt nicht unterscheiden konnte, dem ich sonst gleich zugetrunken hätte. Nun hörte ich wohl, daß ein Bauermädchen, die auch mit in der Küche war, so oft sie trank, sagte: your Health, gentlemen all! (Eure Gesundheit, ihr Herrn insgesamt!) allein ich weiß nicht, wie es kam, daß ich vergaß, diese Gesundheit zu trinken, welches mir denn sehr übel aufgenommen ward. Der Wirt trank ein paarmal auf eine spöttische Art meine Gesundheit, gleichsam, um mir meine Unhöflichkeit zu verweisen, und dann fing er an, mich mit den übrigen auszulachen, die fast mit Fingern auf mich zeigten. So mußte ich nun eine Zeitlang den Bauern zum Gespötte dienen, bis endlich doch einer unter ihnen mitleidig sagte: we must do him no Harm, for he is a Stranger! (Wir sollten ihn nicht beleidigen, denn er ist doch ein Fremder!) it is no Harm! sagte der Wirt um sich zu entschuldigen, schien aber doch nun in sich zu gehen, und hörte mit seinen Spöttereien auf, als ich ihm aber nun zutrinken wollte, schlug er es ab, und sagte wieder auf eine spöttische Art zu mir: ich solle mich nur ans Kamin setzen, und mich wärmen, und mich um die Welt nicht bekümmern. Die Wirtin schien Mitleiden mit mir zu haben, und führte mich aus der Küche in ein andres Zimmer, wo ich allein sein konnte, indem sie sagte: das ist gottloses Volk!

Ich verließ dies unfreundliche Haus den folgenden Morgen früh, und nun ging es auf Matlock zu.

Das Ziel meiner Reise, was ich mir nun gesetzt hatte, war die große Höhle bei Kastleton, in dem hohen Peak, von Darbyschire. Bis da hin hatte ich von Matlock noch ohngefähr zwanzig Meilen.

Die Erde bekam hier eine ganz andre Gestalt, als bei Windsor und Richmond. Statt jener grünen Wiesen und sanften Hügel, türmten sich hier nackte Berge, und himmelhohe Felsen; statt jener angenehmen grünen Hecken, waren hier die hin und her zerstreuten Äcker und Viehweiden mit einem Wall von grauen Steinen eingeschlossen: und von eben diesem grauen Stein, der hier allenthalben gebrochen wird, sind auch die Häuser auf eine sehr einfache patriarchalische Art errichtet, indem die rohen Steine fast ohne alle Zubereitung aufeinandergepackt sind, und vier Wände ausmachen, so daß man sich allenfalls selber mit leichter Mühe ein solches Haus erbauen könnte. In Darby schienen die Häuser von eben diesem Stein erbauet zu sein.

Die Gegend bei Matlock selbst, übertraf alles, was ich mir davon vorgestellt hatte. Zur rechten Seite waren einige elegante Häuser für die Badegäste, und kleinere Hütten hingen wie Nester an dem hohen Felsen. Zur Linken ergoß sich tief im Grunde ein Fluß, der durch ein majestätisches Gewölbe hoch hinüberragender Bäume beinahe dem Auge verdeckt war. Längst diesem Fluß erstreckte sich über eine Meile weit eine ungeheure Felsenwand, an welcher sich oft versteckte Gänge in dunklem Gebüsch hinaufschlängelten.

Oben war der jähe Felsen mit grünem Gesträuch umkränzt, zuweilen kam ein Schaf oder eine Kuh von der weidenden Herde an den steilen Abhang, und blickte durch das Gesträuch hinunter.

Ich war in Miltons verlornem Paradies, das ich nach der Reihe durchlese, gerade bis an die Beschreibung des Paradieses gekommen, als ich in diese Gegend kam, und folgende Stelle, die ich nun im Grunde am Ufer des Flusses las, tat eine sonderbare Wirkung auf mich, da sie auf die Naturscene, die ich hier vor mir sahe, so sehr paßte, als ob sie der Dichter selbst davon genommen hätte:

–   –   delicious Paradise,
Now nearer crowns with her Enclosure green.
As with a rural Mound, the Champain Head
Of a steep Wilderness, Whose hairy sides
With Thicket overgrown, grottesque and wild.
Access denied.   –   –

Von Matlockbade kömmt man über die Matlockbrücke, erst nach dem Städtchen Matlock selbst, das eigentlich kaum ein Dorf heißen könnte, weil es aus äußerst wenigen schlechten Häusern besteht. In dieser Gegend ist wegen der Bäder beständig viel Reitens und Fahrens, und eine starke Passage.

Von hier kam ich durch einige Dörfer wieder nach einem kleinen Städtchen, Namens Bakewell. Die ganze Gegend ist hier gebirgigt und romantisch. Oft führte mich mein Weg auf schmalen Steigen, über erstaunliche Anhöhen, wo ich tief im Abgrunde einige kleine Hütten unter mir liegen sahe. Die Einzäunungen der Felder von den aufgeworfenen grauen Steinen, gaben überdem der ganzen Gegend ein wildes Ansehen. Die Berge waren größtenteils nicht mit Bäumen bewachsen, sondern nackt, und man sah in der Ferne die Herden auf ihren Gipfeln weiden.

Als ich durch eines der Dörfer kam, hörte ich einen großen Bauerjungen mit vieler Neugierde einen andern fragen: ob ich denn nun ein Frenchman sei? gleichsam, als ob er schon lange darauf gewartet habe, einmal ein solches Wundertier zu sehen, und dieser Wunsch ihm nun gewährt sei.

Als ich durch Bakewell, einen noch unansehnlichern Ort, wie Darby, gekommen war, führte mich mein Weg vor einem ziemlich breiten Flusse vorbei, eine kleine Anhöhe hinauf, wo ein bebautes Feld vor mir lag, das einen unbeschreiblich angenehmen Eindruck auf mich machte, ohne daß ich mir erst die Ursach davon angeben konnte, bis ich mich erinnerte, in meinen Kinderjahren, bei dem Dorfe, wo ich erzogen war, eine fast ganz ähnliche Gegend gesehen zu haben, die ich nun hier mitten in England wieder fand.

Das Feld war nehmlich auf deutsche Art nicht mit Hecken eingezäunt, sondern die Saatfelder wechselten mit allerlei grünlichten und gelblichten Farben ununterbrochen ab, welches ein angenehmes Kolorit gab. Übrigens aber brachte mir diese ganze Gegend, und tausend Kleinigkeiten, deren ich mich nicht deutlich bewußt war, die Jahre meiner ersten Kindheit ins Gedächtnis zurück.

Ich ruhete mich hier eine Weile aus, und da ich nun wieder fortging, dachte ich an den Ort meines Aufenthalts, an alle meine Bekannte, und auch an Sie, liebster Freund, und dachte, wenn die mich hier so wandern sähen! – und in dem Augenblick fühlte ich erst eigentlich den Gedanken der Entfernung, und daß ich nun in England war, welches eine ganz sonderbare Empfindung bei mir hervorbrachte, die ich nur einigemale in meinem Leben gehabt habe.

Ich kam nun durch noch einen kleinen Ort, Namens Ashford, und wollte den Abend noch ein kleines Dorf, Namens Wardlow, das nur drei Meilen davon lag, erreichen, als in der Ferne zwei Männer hinter mir herkamen, die ich schon in Matlock gesehen hatte, und welche mich anriefen, daß ich auf sie warten sollte. Dies waren also seit dem Herrn Modd, die ersten Fußgänger, die sich mit mir zu gehen erboten.

Der eine war ein Sattler, und trug eine kurze braune Jacke, eine Handwerksschürze und einen runden Hut, der andre war ordentlich bürgerlich gekleidet, und ein sehr stiller Mann, da hingegen der Sattler äußerst gesprächig war.

Ich horchte hoch auf, da derselbe von Homer, Horaz und Virgil zu sprechen anfing, und Stellen aus dem Gedächtnis daraus anführte, und überhaupt seine Worte so vortrefflich zu setzen wußte, als ich es vielleicht nur irgend von einem Doktor oder Magister in Oxford hätte erwarten können. Er riet mir, nicht nach Wardlow, wo ich schlechte Herberge finden würde, sondern lieber mit ihm noch ein Paar Meilen weiter nach Tideswell, zu gehen, wo er wohnte. Dieser Name Tideswell wird durch eine sonderbare Verkürzung wie Tidsel ausgesprochen, eben so, wie man anstatt Birmingham im gemeinen Leben beständig Brumidschäm ausspricht.

Wir kehrten in einem kleinen Alehause an der Heerstraße ein, wo der Sattler nicht abließ, bis ich ihm verstattete, meine Zeche zu bezahlen, weil er mich diesen Weg mit hergenommen habe.

Nicht weit von diesem Hause kamen wir auf eine Anhöhe, wo mich mein philosophischer Sattler auf eine Aussicht aufmerksam machte, die freilich wohl die einzige in ihrer Art sein mochte. Wir sahen nehmlich unter uns einen tiefen Abgrund, der wie ein Kessel aus der umgebenden Erdmasse herausgeschnitten war, und auf dem Boden desselben ein kleines Tal, wo der grüne Teppich der Wiese von einem kleinen Flüßchen in schlängelnden Krümmungen durchschnitten wurde, und die reizendsten Spaziergänge waren. Hinter einer kleinen Krümmung blickte ein Haus hervor, wo der Bewohner dieses glücklichen Tales ein großer Naturforscher, ganz sich selbst und seiner Lieblingswissenschaft leben soll. Er hat schon eine große Anzahl fremder Gewächse auf diesen Boden verpflanzt. Mein Begleiter geriet beinahe in poetische Begeisterung, da er mich auf die Schönheiten dieses Tales aufmerksam machte, indes unser dritter Mann, dem dies zu lange dauerte, über den Verzug beinahe etwas unwillig wurde.

Uns führte ein ziemlich steiler Weg in das Tal hinunter, durch welches wir gingen, und auf der andern Seite zwischen den Bergen wieder herauskamen.

Nicht weit von Tideswell verließ uns unser dritter Reisegefährte, der in einem benachbarten Orte wohnte. Als wir nun endlich Tideswell vor uns im Tale liegen sahen, erzählte mir der Sattler von seiner Familie, und daß er sich nie mit seiner Frau gezankt, noch ihr mit der geballten Faust gedrohet, und gesagt habe: thou liest! (du lügst.)

Hierbei muß ich bemerken, daß es in England für die größte Beleidigung gehalten wird, wenn man zu jemanden sagt: du lügst! thou art a Liar, (du bist ein Lügner) ist noch stärker, und thou art a dammned Liar (du bist ein verdammter Lügner) ist das allerstärkste was man jemanden sagen kann.

So wie man also in Deutschland sagt, einer läßt keinen Hundsfott oder Schurken auf sich sitzen, oder so wie dies bei den Zänkereien die Losung zum Schlagen ist, eben so verhaßt ist auch in England das Wort Lügner, und gleichsam ein Herausforderungszeichen, wodurch der beleidigte Teil zur tätigen Rache gereizt wird.

Unser Jacky in London sahe mich einmal mit großen Augen an, da ich im Scherz zu ihm sagte: thou art a Liar, und ich hatte viel zu tun, ehe ich es wieder bei ihm gut machte.

Wenn man aus dergleichen Kleinigkeiten auf den Charakter einer Nation schließen kann, so scheint mir dieser allgemein eingewurzelte Haß gegen das Wort Lügner keinen schlechten Zug bei der Englischen zu verraten.

Doch, ich komme wieder auf meinen Reisegefährten, der mir ferner erzählte, wie er sich sein Brot auswärts verdienen müsse, und jetzt nach zwei Monaten zum erstenmal zu seiner Familie wieder zurückkäme.

Er zeigte mir nahe an der Stadt eine Reihe Bäume, die sein Vater gepflanzt habe, und die er nie ohne Rührung ansehe, so oft er von seinen kleinen Reisen wieder in seinen Ort zurück käme. Sein Vater sei ein reicher Mann gewesen, habe aber fast alle sein Vermögen angewandt, um einen Sohn in Amerika zu unterstützen, und seine übrigen Kinder arm hinterlassen, demohngeachtet sei ihm sein Andenken wert, und sein Herz gerührt, so oft er diese Bäume erblicke.

Tideswell bestand aus ein Paar Reihen niedriger Häuser, von unbearbeiteten grauen Steinen erbauet. Mein Begleiter machte mich gleich beim Eingange auf die Kirche des Orts aufmerksam, welche ziemlich ansehnlich, und ohngeachtet ihres Altertums sehr im modernen Geschmack erbaut war.

Er fragte mich darauf, ob er mich in einen ansehnlichen oder wohlfeilen Gasthof führen solle? Weil ich das letztre verlangte, ging er selbst mit mir in einen kleinen Gasthof, und empfahl mich dem Wirt, als seinen Reisegefährten, zu einer guten Aufnahme.

Man suchte mich denn hier auch recht prächtig zu bewirten, und machte mir zu dem Ende einen Käse toast; dies war am Feuer gebratner und halbgeschmolzner Chesterkäse, der wohl ein recht delikates Gericht sein mag, wovon ich aber zum Unglück keinen Bissen essen konnte, und den Wirt darauf zu Gaste bat, der ihn sich köstlich schmecken ließ. Als ich nun weder Branntwein noch Ale trank, sagte er mir, ich lebte viel zu schlecht für einen Fußgänger, als daß ich Kräfte genug zum Gehen behalten könnte.

Bei dieser Gelegenheit bemerke ich, daß es die Englischen Gastwirte am Aletrinken wohl nicht fehlen lassen, und daher alle von sehr starker Leibeskonstitution, und insbesondre erstaunlich dick und fett im Gesicht sind, das ihnen von dem vielen Ale und Branntweintrinken ganz aufgedunsen ist.

Am folgenden Morgen gab mir meine Wirtin die Ehre, mit mir Kaffee zu trinken, teilte mir aber bei dieser Gelegenheit Milch und Zucker sehr kärglich mit. Es war Sonntag, und ich ging mit meinem Wirt zu einem Barbier, an dessen Bude stand, Shaving for a Penny (allhier balbiert man für einen Penny). Es waren hier viele Einwohner aus dem Ort versammlet, diese hielten mich für einen Gentleman wegen meines feinen Huts, den ich mir in London für eine Guinee gekauft hatte; und den sie alle nach der Reihe bewunderten. Ein Zeichen, daß der Luxus noch nicht bis hieher gedrungen ist.

Man findet in England ebenfalls bei gemeinen Leuten solche gedruckte Bogen mit allerlei Sittenlehren in den Stuben an den Türen angeschlagen, wie bei uns. Nur findet man hier zuweilen auf solchen schlechten Bogen die vortrefflichsten und feinsten Sentiments, die dem besten moralischen Schriftsteller Ehre machen würden.

So las ich z. B. hier auf einem solchen gedruckten Blatt an der Stubentür unter andern die goldne Regel: Make no Comparisons! (macht keine Vergleichungen!) Und wenn man bedenkt, wie viel Zänkereien und Unheil in der Welt eben durch solche verhaßte Vergleichungen der Verdienste oder der Person des einen, mit den Verdiensten oder der Person des andern, u. s. w., entstehen; so ist in den kurzen Worten der obigen Regel die herrlichste Sittenlehre zusammengedrängt.

Ein Mann, dem ich einen Sixpence gab, brachte mich nun aus der Stadt auf den rechten Weg nach Castleton, der neben einer solchen Mauer von unordentlich aufgeworfenen Steinen, wie ich schon beschrieben habe, hinging. Die ganze Gegend war hier bergigt und rauh, und das Erdreich mit braunen Heidekraut bewachsen. Hin und wieder weideten Schafe.

Ich machte eine kleine Digression auf einen Hügel zur Linken, wo ich eine fürchterlich schöne Aussicht auf lauter nackte Gebirge in der Nähe und in der Ferne hatte, wovon insbesondre diejenigen, welche ganz mit schwarzen Heidekraut bewachsen waren, einen schaudervollen Anblick gaben.

Hundert und siebenzig Meilen von London hatte ich nun zurückgelegt, als ich eine der höchsten Anhöhen, die vor mir lagen, erstiegen hatte, und nun auf einmal unter mir ein reizendes Tal erblickte, das mit Flüssen und Bächen durchschnitten, und rund umher von Bergen eingeschlossen war. In diesem Tale nun lag Castleton, ein kleines Städtchen mit niedrigen Häusern, welches von einem alten Schlosse, dessen Ruinen hier noch zu sehen sind, seinen Namen hat, der eigentlich aus Castle Town zusammengezogen ist.

Ein schmaler Weg, der sich von der Seite des Berges hinunterschlängelte, führte mich in das Tal hinab, bis in eine Straße von Castleton, wo ich eine Herberge fand, in welcher ich geschwind mein Mittagsmahl hielt, und unmittelbar darauf meinen Weg nach der Höhle fortsetzte.

Ein kleiner Bach, der mitten durch die Stadt fließt, führte mich an ihren Eingang.

Hier stand ich eine Weile voller Bewunderung und Erstaunen über die entsetzliche Höhe des steilen Felsen, den ich vor mir erblickte, an beiden Seiten mit grünem Gebüsch bewachsen, oben die zerfallenen Mauern und Türme eines alten Schlosses, das ehemals auf diesem Felsen stand, und unten an seinem Fuße die ungeheure Öffnung zum Eingange in die Höhle, wo alles stockfinster ist, wenn man auf einmal von der hellen Mittagssonne hinunter blickt.

Indem ich so voll Verwunderung da stand, bemerkte ich im dunkeln Eingange der Höhle einen Mann von wildem und rauhem Ansehen, der mich fragte, ob ich die Höhle sehen wollte, wobei seine harte Stimme in der Höhle einen starken Widerschall gab.

Als ich dies bejahete, fragte er mich weiter, ob ich auch über die Flüsse gesetzt sein wollte? und bestimmte zugleich eine Kleinigkeit an Gelde, die ich dafür bezahlen müßte.

Dieser Mann hatte mit seinem schwarzen struppigten Haar, und schmutzigem zerrißnen Anzuge, ein so wildes Charonsmäßiges Ansehen, welches seine Stimme und seine Fragen noch vermehrten, daß die sonderbare Täuschung, worein man beim Anblick dieser Höhle versetzt wird, schon hier ihren Anfang nahm.

Da ich mich zu seiner Forderung verstanden hatte, sagte er, ich sollte ihm nur dreist folgen, und wir traten zusammen in die Höhle.

Zur linken Seite im Eingange der Höhle, lag ein abgehauener Stamm eines Baumes, bei welchem die Knaben des Orts spielten. –

Der Weg ging etwas abschüssig hinunter, so daß sich der Tag, welcher durch die Öffnung beim Eingange hineinfiel, allmählich in Dämmerung verlor.

Und als wir nun einige Schritte vorwärts gegangen waren, welch ein Anblick war es für mich, als ich auf einmal zu meiner rechten Seite unter dem ungeheuren Gewölbe der Höhle ein ganzes unterirdisches Dorf erblickte, wo die Einwohner, weil es Sonntag war, von ihrer Arbeit feierten, und vergnügt und fröhlich mit ihren Kindern vor den Türen ihrer niedrigen Hütten saßen.

Kaum hatten wir diese kleinen Häuser hinter uns zurückgelassen, so erblickte ich hin und her zerstreut eine Menge großer Räder, worauf diese unterirdischen Bewohner der Höhle am Werkeltage Seile verfertigen.

Ich glaubte hier das Rad des Ixion und die unaufhörliche Arbeit der Danaiden zu sehen.

So wie wir tiefer hinabgingen, schien die Öffnung, wodurch das Tageslicht hineinfiel, immer kleiner zu werden, und die Dunkelheit nahm fast mit jedem Schritte zu, bis endlich nur noch einige Strahlen, wie durch eine kleine Spalte hineinfielen, welche die dünnen Rauchwolken färbten, die sich durch die Dämmerung an das Gewölbe der Höhle emporwälzten.

Dies allmähliche Zunehmen der Dunkelheit erweckt eine süße Melancholie, indem man den sanften Abhang der Höhle hinunter geht, als wäre ohne Schmerz und ohne Gram der Lebensfaden abgeschnitten, und wandelte man nun so ruhig dem stillen Lande zu, wo keine Qual mehr ist. –

Endlich schloß sich das hohe Gewölbe des Felsen, wie sich der Himmel an die Erde zu schließen scheint, als wir an eine kleine Pforte kamen, wo uns eine alte Frau aus einer der Hütten zwei Lichter brachte, wovon jeder von uns beiden eins in die Hand nahm.

Mein Führer eröffnete nun die Pforte, welche die schwache Dämmerung vollends ausschloß, die vorher noch übrig war, und uns in das Innerste dieses nächtlichen Tempels führte, dessen Vorhof wir bis jetzt nur betreten hatten.

Hier war der Felsen so niedrig, daß wir uns einige Schritte tief bücken mußten, um hindurch zu kommen; aber wie groß war mein Erstaunen, da wir uns nach diesem beklemmenden Durchgange wieder in die Höhe richteten, und ich nun auf einmal, so weit es bei dem dunkeln Schein unsrer Lichter möglich war, die entsetzliche Länge, Höhe und Breite des Gewölbes übersehen konnte, wogegen die erste ungeheure Öffnung, durch welche wir nun schon gekommen waren, gar nicht mehr in Betrachtung kam.

Nachdem wir hier eine ganze Stunde, wie unter einem schwarzen mitternächtlichen Himmel, auf einem ebnen sandigten Erdreich gewandert hatten, senkte sich endlich der Felsen allmählich wieder nieder, und wir befanden uns auf einmal an einem ziemlich breiten Flusse, welcher, bei dem Flimmern unsrer Lichter, mitten in der Dunkelheit einen wunderbaren Widerschein gab.

Am Ufer war ein kleiner Kahn befestigt, in welchem Stroh lag.

Mein Führer sagte mir, daß ich hineinsteigen, und mich ganz ausgestreckt darin niederlegen sollte, weil in der Mitte des Flusses der Felsen beinahe das Wasser berühren würde.

Als ich mich niedergelegt hatte, stieg er selbst bis über den halben Leib ins Wasser, und zog das Boot nach sich.

Rund umher herrschte eine feierliche Totenstille, und so wie das Boot fortrückte, senkte sich der Felsen, wie eine dunkelgraue Wolke immer tiefer nieder, bis er endlich beinahe mein Gesicht berührte, und ich im Liegen kaum noch das Licht vor meiner Brust in die Höhe halten konnte, so daß ich in meinem Boote, wie in einem beklommenen Sarge lag, bis wir durch diese fürchterliche Enge kamen, und sich der Felsen auf der andern Seite in die Höhe zog, wo mich mein Führer am gegenseitigem Ufer wieder aussetzte.

Unser Weg wurde nun bald auf einmal weit und hoch, und dann wieder plötzlich niedrig und enge.

An beiden Seiten sahen wir im Vorbeigehen eine Menge großer und kleiner versteinerter Pflanzen und Tiere, bei denen wir uns aber nicht aufhalten durften, wenn wir nicht mehrere Tage in der Höhle zubringen wollten.

Und so kamen wir an den zweiten Fluß, der aber nicht so breit war, wie der erste, und wo man gleich das gegenseitige Ufer sehen konnte: über diesen trug mich mein Führer auf seinen Schultern hinüber, weil kein Boot zum Überfahren da war.

Von da aus gingen wir wenige Schritte, als wir wieder an ein schmales Wässerchen kamen, das sich in der Länge vor uns hin erstreckte, und uns zuletzt bis ganz ans Ende der Höhle führte.

Der Weg, den wir längst dem Ufer dieses kleinen Gewässers hingingen, war naß und schlüpferig, und wurde zuweilen so schmal, daß man kaum einen Fuß vor dem andern fortsetzen konnte.

Demohngeachtet aber wanderte ich mit Vergnügen an diesem unterirdischen Ufer hin, und ergötzte mich an der wunderbaren Gestalt aller Gegenstände um mich her in diesem Reiche der Dunkelheit und der Schatten, als es auf einmal wie eine Musik von fern in meine Ohren tönte.

Ich blieb voller Verwunderung stehen, und fragte meinen Führer, was dies bedeute? worauf er mir antwortete: daß ich es bald sehen würde.

Allein so wie wir fortgingen, verloren sich die harmonischen Töne, das Geräusch wurde schwächer, und löste sich in ein sanftes Rieseln, wie von herabfallenden Regentropfen, auf.

Und wie groß war meine Verwunderung, da ich auf einmal wirklich einen Regen, oben aus einem Felsen, wie aus einer dicken Wolke herabströmen sahe, dessen Tropfen, die jetzt im Schein unsrer Lichter flimmerten, eben jenes melodische Geräusch in der Ferne verursacht hatten.

Dies war nehmlich ein Staubbach, der sich von oben durch die Adern des Felsen in dies Gewölbe hinunter ergoß.

Wir durften mit unsern Lichtern nicht zu nahe herangehen, weil sie leicht von den herabfallenden Tropfen konnten ausgelöscht werden, und wir alsdann den Rückweg vielleicht vergeblich würden gesucht haben.

Wir setzten also unsern Weg längst dem Ufer des schmalen Gewässers fort, und sahen oft an den Seiten solche weite Öffnungen in die Felsenwand, welche wiederum neuen Höhlen ähnlich waren, die wir aber alle vorbeigingen, bis mich mein Führer zu einer der prächtigsten Erscheinungen vorbereitete, die wir jetzt haben würden.

Und kaum waren wir auch einige Schritte gegangen, so traten wir in einen majestätischen Tempel mit prächtigen Bogen, die auf schönen Pfeilern ruhten, welche die Hand des künstlichsten Baumeisters gebildet zu haben schien.

Dieser unterirdische Tempel, woran keine Menschenhand gelegt war, schien mir in dem Augenblick an Regelmäßigkeit, Pracht und Schönheit, die herrlichsten Gebäude zu übertreffen.

Voll Ehrfurcht und Erstaunen sah ich hier in den innern Tiefen der Natur die Majestät des Schöpfers enthüllt, die ich in dieser feierlichen Stille, und in diesem heiligen Dunkel anbetete, ehe ich die Halle dieses Tempels verließ.

Wir näherten uns nun dem Ziele unsrer Reise.

Unser getreues Gewässer leitete uns durch den übrigen Teil der Höhle hin, wo sich der Felsen noch zum letztenmale wölbt, und dann wieder niedersteigt, bis er mit der Flut zusammenstößt, die hier einen kleinen halben Cirkel macht, und so die Höhle schließt, daß kein Sterblicher einen Fuß weiter setzen kann.

Mein Führer sprang hier hinein, schwamm einige Schritte unter dem Wasser und dem Felsen hin, und kam ganz benetzt zurück, um mir zu zeigen, daß es unmöglich sei, weiter zu kommen, wenn dieser Felsen nicht etwa einmal mit Pulver gesprengt, und vielleicht eine zweite Höhle hier eröffnet wird.

Jetzt glaubte ich, würden wir den nächsten Weg wieder zurücknehmen, allein ich sollte noch mehr Beschwerlichkeiten erdulden, und noch schönere Auftritte sehen, als die bisherigen.

Mein Führer wandte sich auf dem Rückwege zur linken Hand, wo ich ihm durch die Öffnung einer hohen Felsenwand folgte.

Hier fragte er mich erst, ob ich mich entschließen wollte, eine ziemliche Strecke unter einem Felsen durchzukriechen, der beinahe die Erde berührte, und als ich dies bejahete, sagte er mir, ich solle ihm nur folgen, mit der Warnung, mein Licht wohl in Acht zu nehmen.

Und so krochen wir nun auf Händen und Füßen im nassen Sande durch die Öffnung zwischen dem Felsen fort, die oft kaum groß genug war, sich mit dem Körper hindurchzuwinden.

Als wir diesen beschwerlichen Durchmarsch vollendet hatten, sahe ich in der Höhle einen steilen Hügel, der so hoch war, daß er sich oben in den höchsten Felsen wie in einer Wolke zu verlieren schien.

Dieser Hügel war so naß und schlüpfrig, daß ich sogleich hinstürzte, als ich nur den ersten Schritt hinauf tun wollte. Mein Führer aber faßte mich bei der Hand, und sagte, ich sollte ihm nur folgen, weil er schon wüßte festen Fuß zu fassen.

Wir stiegen nun eine solche Höhe hinauf, und an beiden Seiten waren solche Abgründe, daß mir noch schwindelt, wenn ich daran denke.

Als wir endlich auf dem Gipfel waren, wo sich der Hügel in dem Felsen verliert, stellte mich mein Führer auf einen Platz, wo ich festen Fuß fassen konnte, und sagte mir: ich sollte da nur ganz ruhig stehen bleiben. Indes ging er selbst mit seinem Lichte den Hügel hinunter, und ließ mich ganz allein.

Ich verlor ihn eine Zeitlang aus dem Gesichte, bis ich endlich nicht ihn, sondern sein Licht tief im Abgrunde wieder erblickte, woraus es wie ein schöner Stern emporzusteigen schien.

Nachdem ich mich eine Weile an diesem unbeschreiblich schönen Anblick ergötzt hatte, kam mein Führer, und brachte mich den steilen schlüpfrigen Hügel auf seinen Schultern glücklich wieder hinunter. Und als ich nun im Abgrunde stand, stieg er hinauf, und ließ sein Licht oben durch eine kleine Öffnung in dem Felsen hinunterschimmern, indes ich das meinige mit der Hand verdeckte, und nun war es, als ob in dunkler Mitternacht, durch dicke Wolken ein Stern hinunter glänzte: ein Anblick, der alles an Schönheit übertraf, was ich gesehen hatte.

Nun war unsre Reise ganz vollendet, und wir kehrten mit vieler Mühe und Beschwerlichkeit durch unsern engen Weg wieder zurück.

Wir betraten aufs neue den Tempel, den wir vor kurzem verlassen hatten; hörten aufs neue den Regenguß, sanft rieselnd in der Nähe, und melodisch tönend in der Ferne, und kehrten über die stillen Flüsse, und durch den weiten Raum der Höhle, wieder zu dem engen Pförtchen zurück, wo wir vorher vom Tageslichte Abschied nahmen, das wir nun nach einer langen Dunkelheit wieder begrüßten.

Und ehe noch mein Führer das Pförtchen eröffnete, sagte er, jetzt würde ich einen Anblick haben, der alle die vorigen an Schönheit weit übertreffen würde. Ich fand, daß er Recht hatte; denn indem er die Pforte erst halb eröffnete, war es mir wirklich, als täte ich einen Blick in Elysium, in einem solchen wunderbaren erquickenden Dämmerlichte zeigten sich alle Gegenstände.

Der Tag schien allmählich anzubrechen, und Nacht und Dunkel schwanden. In der Ferne sahe man zuerst wieder den Rauch der Hütten, und dann die Hütten selber; und wie wir höher hinaufstiegen, sahen wir noch die Knaben bei dem abgehauenen Stamme spielen, bis endlich die rötlichen Purpurstreifen des Himmels durch die Öffnung der Höhle schimmerten, und gerade indem wir hinausstiegen, die Sonne im Westen untersank.

Ich hatte also beinahe den ganzen Nachmittag bis an den Abend in der Höhle zugebracht, und als ich mich nun betrachtete, sahe ich in meinem ganzen Aufzuge meinem Führer ziemlich ähnlich, und meine Schuh hingen kaum noch an den Füßen, so sehr waren sie durch das lange Gehen im feuchten Sande und auf den harten spitzigen Steinen erweicht und zerrissen.

Ich bezahlte für das Herumführen nicht mehr als eine halbe Krone, und meinem Führer ein Trinkgeld: denn die halbe Krone bekömmt er nicht, sondern muß sie seinem Herrn geben, der von den Revenüen dieser Höhle sehr stattlich lebt, und sich einen Kerl hält, der die Leute darin herumführt.

Als ich zu Hause kam, schickte ich sogleich nach einem Schuster. Dieser wohnte gerade gegenüber, und kam, um meine Schuh in Augenschein zu nehmen, wobei er sich nicht gnug über die schlechte Arbeit daran verwundern konnte; denn ich hatte diese Schuh noch aus Deutschland mitgebracht. Demohngeachtet aber, weil er gerade keine neuen fertig hatte, unternahm er es, sie so gut wie möglich auszubessern.

Ich machte darauf mit diesem Schuster eine gar angenehme Bekanntschaft: denn als ich ihm meine Verwunderung über die Höhle bezeigte, freute er sich darüber, daß doch in diesem kleinen Orte etwas sei, welches Leuten, die aus so weit entfernten Ländern herkämen, Bewunderung einflößte. Und darauf erbot er sich selbst, noch einen kleinen Spaziergang mit mir zu machen, um mir in der Nähe den berühmten Berg zu zeigen, welcher Mam Tor genannt, und unter die Naturmerkwürdigkeiten in Darbyschire gezählt wird.

Dieser Berg ist auf seinem Rücken und Seiten grün bewachsen, allein an dem einen Ende hat er auf einmal einen jähen Absturz. Nun besteht aber das Innere dieses Berges, nicht so wie der übrigen, aus Felsen, sondern aus einer lockern Erde, die sich immer von selber ablöst, und beständig von der Spitze dieses jähen Absturzes bald in kleinen Stücken herunterrieselt, bald sich in großen Massen mit einem donnernden Getöse losreißt, und auf die Weise neben diesem Berge einen Hügel bildet, der immer höher anwächst.

Daher kömmt auch wahrscheinlich der Name Mamtor, welcher ohngefähr so viel sagen will, als Mutterberg. Denn tor ist eine Abkürzung von tower, und bedeutet jede Anhöhe. Mam aber ist eine gewöhnliche Abkürzung von Mother, Mutter; nun aber gebiert dieser Berg gleichsam wie eine Mutter wieder kleine Berge.

Ein Aberglaube ist es wohl, wenn die Einwohner sagen, daß dieser Berg ohngeachtet seines täglichen Verlustes nie abnehme, noch sich zurückziehe, sondern immer so bleibe, wie vorher.

Eine fürchterliche Geschichte erzählte mir mein Begleiter, von einem Einwohner von Castleton, der eine Wette einging, diesen jähen Absturz hinaufzusteigen.

Weil der Absturz unten nicht so ganz steil ist, sondern etwas schräg in die Höhe geht, so konnte er in dem weichen losen Erdreiche gut festen Fuß fassen, und kletterte immer hinan, ohne sich umzusehen. Endlich war er weit über die Hälfte hinaufgestiegen, und kam dahin, wo sich der Absturz hinüberneigt, und seine eigne Basis übersieht. Von dieser entsetzlichen Höhe warf der Unglückliche seine Augen hinunter, indes die drohende Spitze des Absturzes mit wankenden Erdmassen über seinem Haupte hing.

Er fing am ganzen Körper an zu zittern, Hände und Füße waren schon im Begriffe loszulassen, und er wagte es, weder vorwärts noch rückwärts zu steigen: so schwebte er eine Weile mit Verzweiflung umgeben, zwischen Himmel und Erde. Indes da seine Sehnen nicht mehr halten wollten, raffte er noch einmal alle seine Kräfte zusammen, und ergriff einen losen Stein nach dem andern, wovon jeder ihn fallen zu lassen drohte, wenn er nicht schnell einen andern ergriff, auf welche Weise er denn zu seiner und aller Zuschauer Verwunderung, dem beinahe gewissen Tode entging, glücklich die Spitze des Berges erreichte, und seine Wette gewann.

Mich schauderte, da ich diese Erzählung hörte, und den Berg und den ungeheuren Absturz, wovon die Rede war, selbst so nahe vor mir, und den Kerl in Gedanken hinanklettern sahe.

Nicht weit von hier ist Eldenhole, ein fürchterliches Loch in der Erde, von so ungeheurer Tiefe, daß wenn man einen Kieselstein hineinwirft, und das Ohr an den Rand legt, man denselben lange Zeit fallen hört.

Sobald der Stein hinunterkömmt, ists, als ob man einen seufzenden Laut hörte, bis der erste Schlag das Ohr wie ein unterirdischer Donner rührt. Dieses donnernde Getöse nimmt ab und zu, nachdem der Stein an die harten Felsenwände schlägt, und endlich nachdem er lange gefallen ist, hört plötzlich das Getöse mit einem Gezisch auf.

Das Volk trägt sich auch hiervon mit allerlei abergläubischen Erzählungen; daß nehmlich einer eine Gans hineingeworfen habe, die zwei Meilen davon, in der großen Höhle, die ich beschrieben habe, ganz nackt und von Federn entblößt wieder hervorgekommen sei, und mehr dergleichen Märchen.

Eigentlich zählt man in Darbyschire sieben Wunder der Natur, wozu denn dies Eldenhole, der Berg Mamtor, und die große Höhle, worin ich gewesen bin, gehören. Diese Höhle wird hier mit einem ziemlich schmutzigen Namen, the Devils Arse, benannt.

Die übrigen vier Wunder der Natur sind die Poolshöhle, welche mit der meinigen einige Ähnlichkeit hat, die ich aber nicht gesehen habe: ferner St.  Anna'swell, oder der St. Annenbrunnen, wo dicht nebeneinander zwei Quellen, die eine siedend heiß und die andre eiskalt, entspringen; alsdann noch Tideswell, nicht weit von der Stadt, durch welche ich gekommen bin, eine Quelle, die sich die mehreste Zeit fast ganz unmerklich ergießt, und dann auf einmal mit einem starken unterirdischen Getöse, das auch etwas musikalisches haben soll, hervorbricht, und ihre Ufer überschwemmt; endlich Chatsworth, ein Palast am Fuß eines Berges, der oben mit Schnee bedeckt ist, und den traurigsten Winter darstellt, indes zu seinen Füßen der angenehmste Frühling blühet. Von diesen letztern Wundern kann ich Ihnen nichts mehr sagen, weil ich sie alle nur aus Erzählungen kenne, womit mich teils auch mein Begleiter der Schuster, während unsers Spazierganges unterhielt.

Indem mich dieser Mann hier herumführte, und erwägte, wie weit ich nun schon in der Welt gekommen sei, und was für wunderbare Dinge ich weit und breit zu sehen bekomme, erregte dies bei ihm eine so lebhafte Begierde zum Reisen, daß ich genug zu tun hatte, sie ihm wieder auszureden: denn er konnte den ganzen Abend nicht davon aufhören, und beteuerte, wenn er nicht Weib und Kind hätte, er reiste Morgen am Tage fort; denn hier in Castleton sei so nicht viel zu verdienen, und sehr schlechte Nahrung, und er sei noch nicht dreißig Jahr alt.

Auf dem Rückwege wollte er mir noch die Bleiminen zeigen, allein es war schon zu spät. Er stellte mir den Abend noch meine Schuh auf eine meisterhafte Art wieder her.

Ich aber habe aus der Höhle einen Husten mitgebracht, der mir gar nicht gefällt, und mir viel Beschwerlichkeit verursacht, welche mich vermuten läßt, daß man doch in dieser Höhle wohl ungesunde Dämpfe einatmen müsse, aber denn begreife ich nur nicht, wie der Charon es so lange aushalten kann.

Heute Morgen bin ich schon früh aufgestanden, um die Ruinen zu besehen, und einen danebenliegenden sehr hohen Berg zu besteigen.

Die Ruinen stehen gerade über dem Eingange der Höhle auf dem Hügel, der sich noch weit hinter den Ruinen über die Höhle hin erstreckt, und immer breiter wird, hier vorn aber so schmal ist, daß das Gemäuer den ganzen vordern Teil desselben einnimmt.

Von den Ruinen herab ist rund umher nichts als steiler Felsen, so daß kein Zugang zu demselben ist, als nach der Stadt zu, wo ein krummer Weg, vom Fuße des Berges an, in den Felsen gehauen ist, der auch sehr steil hinaufgeht.

Der Platz, wo die Rudera stehen, ist mit sehr hohen Nesseln und Disteln bewachsen. Ehemals soll eine Brücke von einem Felsen zu den gegenüberstehenden gegangen sein, wovon man noch Spuren entdeckt, indem man in dem Tale, das die beiden Felsenspitzen trennt, die Überbleibsel von Bogen findet, auf welchen diese Brücke geruht haben soll.

Dieses Tal welches hinter den Ruinen befindlich ist, und wahrscheinlich oben über der Höhle weggeht, heißt the Caves Way (der Höhlenweg), und ist eine der stärksten Passagen zu der Stadt; und wo es in der Ferne anfängt, sich erst zwischen diesen beiden Bergen, die es von einander trennt, zu senken, läßt es sich so sanft heruntersteigen, daß der Weg nicht im mindesten ermüdet. Verfehlt man aber diesen Weg zwischen den beiden Bergen, und geht oben in der Höhe fort, so ist man in großer Gefahr von dem immer steiler werdenden Felsen hinunter zu stürzen.

Der Berg, worauf die Ruinen stehen, ist allenthalben felsigt, der andre aber linker Hand daneben, welcher durch das Tal abgesondert wird, ist überall grün, und oben auf dem Gipfel desselben sind die Viehweiden, durch nach Art einer Mauer aufgeworfne Steine, abgeteilt. Der grüne Berg aber ist wenigstens dreimal so hoch, wie der, auf dem die Ruinen stehen.

Ich fing an, den grünen Berg hinauf zu klettern, der doch auch ziemlich steil ist, und als ich nun weit über die Hälfte gekommen war, ohne mich umzusehen, ging es mir beinahe wie dem Wagehalse, der den Mamtorberg hinaufkletterte: denn als ich mich umsahe, war mein Auge nicht an die entsetzliche Höhe gewöhnt; Castleton lag mit der ganzen umliegenden Gegend, wie eine Landcharte unter mir, die Dächer der Häuser schienen beinahe dicht auf der Erde, und der Ruinenberg selber zu meinen Füßen zu liegen.

Mir schwindelte vor diesem Anblick, und ich hatte alle mögliche Vernunftgründe nötig, um mich zu überzeugen, daß ich ohne Gefahr sei, denn ich konnte ja auf alle Fälle, den grünen Rasen, welchen ich hinaufgeklettert war, nur wieder hinunterrutschen. Endlich gewöhnte ich mich an diesen Anblick, bis er mir wirklich Vergnügen machte. Ich kletterte nun ganz bis auf den Gipfel des Berges, wo ich über die Wiesen hinging, und endlich an den Weg kam, der sich zwischen den beiden Bergen allmählich hinuntersenkt.

Oben auf dem Gipfel des grünen Berges melkten die Hirtinnen ihre Kühe, und kamen dann mit den Milcheimern auf den Köpfen eben diesen Weg herunter.

Eine schöne Gruppe war es, da sich einige dieser Mädchen, indem es an zu regnen fing, mit ihren Milcheimern unter ein überhangendes Felsenstück am Wege geflüchtet hatten, worunter sie auf natürlichen steinernen Bänken saßen, und vertraulich mit einander schwatzten.

Mein Weg führte mich wieder in die Stadt, woraus ich Ihnen schreibe, und die ich nun im Begriff bin zu verlassen, um meine Rückreise nach London anzutreten, wozu ich aber wohl nicht ganz denselben Weg wieder nehmen werde.


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