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Ohne zu wissen, daß Lillo den Stoff zu diesem Stück schon bearbeitet hat, und ohne einmal die Ballade zu kennen, woraus derselbe genommen ist, veranlaßte mich eine dunkle Erinnerung aus meiner Kindheit, wo ich diese Geschichte hatte erzählen hören, sie dramatisch zu bearbeiten. Ich entwarf einzelne Scenen davon, welche ich im 25sten, 29sten und 33sten Stück der Berliner Litteratur- und Theaterzeitung vom Jahr 1780 drucken ließ, wo sie, so viel ich aus mündlichen Urtheilen von Kennern schließen konnte, nicht ohne Beifall aufgenommen wurden. Wie mir nun die Zusammensetzung und Verbindung des Ganzen gelungen ist, darüber muß ich das Urtheil der Kunstrichter erwarten, wenn anders dieser Versuch ihre Aufmerksamkeit verdienen sollte.
Blunt. Sein Weib Gertrude. Adelheid ihre Tochter, ein Kind von acht Jahren. Der Bürgermeister Blunt. Mariane seine Tochter. Ein Fremder. |
(Mitternacht. Eine düstere Lampe brennt auf einem Tische. Blunt und sein Weib Gertrude, in alte Decken gehüllt, sitzen am Tische; Adelheid, ihre Tochter, ein Kind von acht Jahren, schläft auf einem Stuhle.)
Gertrude. Was sitzest du da, Mann, und siehst aus, als ob du mit Mord umgiengest?
Blunt. Stille, liebes Weib, stille! – wecke mich noch nicht auf – ich habe dir eben einen herrlichen Traum gehabt, aber – hin ist er!
Gert. Gott, steh mir bei, seine böse Stunde kömmt!
Blunt. Hin ist er – und, Fluch dir, daß du es mir entrissen hast, das süsse Blendwerk, das meiner Seelen ein Labsal reichte, das sie in zehn Jahren nicht geschmeckt hat!
Gert. Er schläft und träumt mit ofnen Augen – und meine Augen haben keine Thränen mehr – Gott, mach' unserm Leiden ein Ende!
Blunt. So recht! – Bete, Weib, immer bete! Ich will nachbeten: Gott mach unserm Leiden ein Ende!
Gert. Erweiche sein hartes Herz, und gieb ihm Thränen!
Blunt. Erweiche mein hartes Herz – nicht! und gieb mir – keine Thränen! – – Höre auf zu beten, Weib! Ich will keine Thränen, ich will Blut, Blut!
Gert. Morde mich, Mörder, und stille deinen Blutdurst!
Blunt. Dich nicht, liebes Weib, dich nicht – du sollst noch an meiner Glückseeligkeit Theil nehmen – und überdem sollte es ja auch ein Mann seyn, den ich ihm opferte – Laß das gut seyn! – Sieh wie der Mond durch unsre alten zerbrochnen Fenster scheint – So schien er auch einst, als ich noch der feurige Jüngling war, mein edles Roß bestieg, und zu dir flog in die Arme der Liebe, – und alle deine Anverwandten wünschten dir Glück, daß Blunt dich zum Weibe nahm – aber dein alter Vater sah dich an, und sagte –
Gert. Es wird ein Schwerdt durch deine Seele gehn – –
Blunt. Recht, so wars. Was es doch für eine herrliche Sache ums Gedächtnis ist, daß einem die Sachen, und sogar die Worte wieder beifallen – Und als du mir einen Sohn gebarst –
Gert. Ach, zum Elende hab' ich ihn geboren.
Blunt. Noch kann ich mir ihn vorstellen, wie er in seinem Husarenhabit vor mir stand, und blühte wie eine Rose – Wo liegt er begraben, Weib?
Gert. In den Wellen des Meeres, Bösewicht! du verstiessest ihn – weil du arm wurdest – Armuth und Noth hätte er gerne mit uns getragen, und du hast ihn verstossen! –
Blunt. Gott hat mich ja verstossen, Weib, und er ist doch auch mein Vater –
Gert. O fliehe zu –
Blunt. Störe mich nicht! – jetzt halte ich mich wieder an einer süßen Erinnerung – weißt du noch wohl, wie wir einmal ein herrliches Gastmahl gaben, wo alle unsre reiche Nachbarn versammlet waren, die sich nicht genug über unsre Tapeten und Schildereien verwundern konnten, und sagten, daß sie im churfürstlichen Schloß nicht schöner wären – Stopfe doch einen Lumpen in die Fensterscheibe, daß die Luft nicht so hereingeht! – Und wie da mein hochtrabender Bruder, der kriechende Bürgermeister hereintrat, und ich konnte zu ihm sagen: setz dich, iss und trink, und sey guter Dinge! aber das soll er nicht zu mir sagen, sowahr ich lebe, das soll er nicht!
Gert. Warum nicht stolzer, barbarischer Mann? – Weißt du nicht, daß wir gestern unsern letzten Bissen verzehrt haben, und morgen verschmachten müssen, wenn er sich unsrer Noth nicht annimmt?
Blunt. Er soll sich unsrer Noth nicht annehmen! – Fluchen will ich ihm, so lange meine Zunge noch stammeln kann, dem niederträchtigen, hohnlächelnden Verräther, der meiner im Unglück spotten, und sagen konnte: Blunt, du bist tief gesunken! – Aber höre Weib, Gefährtin meines kummervollen Lebens, ich will dir ein Geheimniß entdecken – wenn du schweigen und gehorchen kannst – Mein Demon, wie du weißt, der mich oft des Nachts aus dem Schlafe schüttelt, und mir zuruft: Blunt, Blunt, du sollst noch einmal reich werden, reicher wie zuvor! – der führte mich eben itzt, da ich hier sitze, und träume, auf eine steile Anhöhe, und zeigt mir unsägliche Schätze, und einen Pallast, der von Golde flimmerte, daß mir die Augen dunkel wurden, – und dies alles soll dein seyn, sagte er, wenn du mir das Blut eines Mannes opferst, den ich dir senden will! – Und ich schwur, die Haut schauderte mir, aber ich schwur: Sende mir den Mann, und ich will ihn opfern! bei allen Teufeln, ich will ihn opfern! (Die Lampe verlischt.)
Gert. Ich bitte dich, Mann, höre auf – mir wird der Kopf schwer – Gönne mir doch eine Viertelstunde Schlaf!
Blunt. Ja! – leg du dich mit dem Kopf auf den Tisch, und ich will mich hier auf die beiden Stühle legen, und meine müden Glieder erquicken. Hätten wir den Fremden nicht beherbergt, so könnte wir im Bette schlafen; doch ists auch recht gut, daß wir den Fremden beherbergt haben – Wie mir das im Kopf herumgeht – halb bin ich schon im Schlafe, und immer geht’s mir noch im Kopf herum – Gute Nacht, Gertrude!
Gert. Gieb ihm Schlaf, gütiger Gott, daß seine zerrütteten Sinne sich wieder sammlen, und bewahre ihn vor gottlosen Gedanken, und lästerlichen Träumen! Ich will doch versuchen, ob ich einschlafen kann – wenn auch nicht – der Fremde wird uns sein Nachtlager wohl gut bezahlen! (legt sich mit dem Kopf auf den Tisch.)
Adelheid. (springt vom Stuhl auf, und läuft ihrer Mutter in die Arme.) Mutter! Mutter!
Gert. Was ist dir, Kind?
Adelh. Ach siehst du ihn nicht, siehst du ihn nicht?
Gert. Wen?
Adelh. Den Mann mit dem blanken Schwerdt und mit den glühenden Augen – wie er auf mich zukömmt! – O hülle mich in deine Decke!
Gert. Das ist ein Leiden mit dir, daß du immer Gesichte siehst! – Komm hierher an Fenster, und reibe dir die Augen aus!
Adelh. Das ist ja auf einmal so helle, Mutter, und ist doch kein Licht in der Stube.
Gert. Siehst du nicht, daß der Mond scheint?
Adelh. Ach ja! wie er da so hell und klar am Himmel steht! Aber ganz klar ist er doch nicht. Das Schwarze ist ja wohl der Mann im Mond, nicht wahr, Mutter?
Gert. O schweig, Mädchen, und setze dich wieder auf den Stuhl hin! Oben auf dem Boden liegt noch ein Bund Heu, da hättest du dich gleich hinlegen sollen, so hättest du ruhig geschlafen. – Setz dich hin! –
Adelh. Aber liebe Mutter, schläft denn der fremde Herr noch in unserm Bette?
Gert. Freilich.
Adelh. O ich bin ihm recht gut! Es ist auch ein hübscher Herr – er sagte so freundlich gute Nacht zu mir – Wenn er nur gut ins unserm Bett schläft, so will ich gern auf den Stühlen liegen! – Da hängt noch sein Überrock auf meinem Stuhle. Was das für goldne Tressen sind, und die Knöpfe, ach die blitzen! Ich muß ihn nur da wegnehmen, daß er nicht herunterfällt – weiß ich doch nicht, was unten oder oben ist – Ach, was fällt da aus der Tasche heraus? wenn es nur nicht entzwei geht! Ich wills geschwinde wieder aufheben – Hab' ich doch in meinem Leben so eine schöne Dose noch nicht gesehn – Da oben steht gar ein Bild – ich kann nur nicht recht erkennen –
Gert. Was hast du vor, Mädchen, kannst du nicht ruhig seyn, und schlafen?
Adelh. Ach Mutter, sieh einmal! (zeigt ihr die Dose.)
Gert. (die sie nimmt, und aufmerksam betrachtet) Das muß ein reicher Gast seyn, den wir beherbergen – Wo hast du die Dose her?
Adelh. Als ich den Überrock weghängen wollte, fiel sie aus der Tasche. Nun? – wenn wir sie besehn haben, so wollen wir sie gleich wieder hineinstecken!
Gert. (betrachtet noch immer die Dose. Adelheid steht neben ihr. Eine Pause.)
Blunt. (erwacht.) Bei allen Teufeln, ich will ihn opfern!
Gert. (fährt zusammen) Wen?
Blunt. Unsern Gast!
Gert. Was sagst du?
Blunt. Nichts! – Zeig, was hast du in der Hand, das mir so in die Augen blitzt?
Gert. (giebt ihm die Dose) Sieh!
Blunt. Ei sieh! – Eine goldne Dose mit Brillanten besetzt? Was meinst du wohl, wieviel die werth wäre? – Höre, du Mädchen, auf dem Boden liegt noch ein Bund Heu – da leg dich hin, und schlaf! – Du magst ja sonst gern im Heu schlafen.
Adelh. Ach Vater, laßt mich doch unten bleiben! Auf dem Boden steht die Luke offen, da können ja Eulen und Fledermäuse hereinkommen.
Blunt. Du kannst die Luke zumachen – geh hinauf, sag' ich! – (Adelh. geht.) Komm Getrude! – Nimm die eiserne Schaufel und den Spaden, die da hinterm Ofen stehn, und folge mir!
Gert. Was willst du machen?
Blunt. Folge mir!
Eine Kammer.
Der Fremde. (halbangezogen, sitzt auf dem Bette.) Schon ein Uhr – Müde bin ich, daß mir die Augen zufallen möchten, und doch kann ich nicht einschlafen – Wie mir das Herz schlägt! – ist es Freude, ist es Furcht, die mich nicht schlafen läßt? – Es ist so todtenstill, so eng' um mich her – Aber was fürcht' ich denn, bin ich nicht in dem Hause meiner Eltern, und so nahe bei ihnen? – Schlaft wohl, gute Eltern, noch diese Nacht, auf euren harten Betten, und in eurer schlechten Wohnung! Bald sollt ihr beßer schlafen, und beßer wohnen – Sind nun nicht alle, alle die Wünsche meines Herzens erfüllt? – Mariane! du willst die Gefährtinn meines Lebens werden, und meine Eltern leben beide noch, das war ja alles, was ich während meiner langen Wanderschaft wünschte und hoffte – O es giebt doch noch frohe Tag' im Leben, und nun fängt es erst an, mir wieder lieb zu werden – Wie manchen Kummer, wie manche ängstliche Besorgniß wird mir der morgende Tag belohnen? Wenn er doch schon anbräche! – – Aber horch! was war das für ein dumpfes Geräusch, als ob einer mit einer eisernen Schaufel in ein steinigtes Erdreich grübe – das ist mir doch von Jugend auf ein widriger Ton gewesen – Noch immer währt es fort, krusch, krusch – wie mir's durch Mark und Bein fuhr! – Nun ists vorbei – Nun will ich doch versuchen, ob ich einschlafen kann – Vorher aber will ich noch Marianens Bild betrachten – aber ich finde die Dose nicht? – Sollt' ich sie vielleicht im Überrock gelassen haben? – o wie unangenehm ist wir das, kostbares Geschenk, auch nur auf eine kurze Zeit, dich zu entbehren – – Doch ich will einschlafen, damit ich desto heitrer wieder erwachen kann! – Aber warum hab' ich mich meinen Eltern nicht entdeckt? – wunderbar! was schadet's denn? Wie kann ich mir darüber Vorwürfe machen? – Als ob es nicht Morgen – Morgen eben so gut geschehen könnte, wenn diese ängstliche Nacht vorüber ist – und warum wäre sie denn ängstlich? – – Krusch, krusch – schon wieder hebt das fatale Geräusch an – Ich muß doch sehn, was da für ein Nachtgeist ist, der so spät vielleicht noch eine n Schatz graben will – (tritt ans Fenster) hier seh' ich nichts, als eine Mauer, die so dicht am Fenster ist, daß der Mond kaum dazwischen scheinen kann – Wie enge wird es hier um mich her, Gott! wie enge! wie enge! – Welch eine Angst, welch ein Toben in meiner Brust! – O ich kann nicht hier bleiben, ich will meine Eltern aus dem Schlafe wecken, und ihnen zurufen: Ich bin eur Sohn, ich bin eur Sohn! – Aber würde ich nicht dadurch ihre erste Freude in Schrecken verwandeln? – Und soll ich den Eingebungen einer thörichten Furcht gehorchen, die ganz gewiß blos ein Werk meiner erhitzten Einbildungskraft ist? – Nun hat das Graben aufgehört – Aber hört' ich nicht jemand gehen? – es kömmt immer näher – gerade auf meine Kammer zu – ob ich die Thüre verrammle? – –
(Adelheid stürzt wild herein.)
Der Fremde. (betroffen) Was ich doch für ein Thor war! – Was willst du, liebes Kind?
Adelh. Ach, laßen Sie mich doch hier bei Ihnen in der Kammer bleiben. Ich will mich neben Ihrem Bette auf die Erde legen, und will ganz stille liegen!
Der Fr. Was fehlt dir? Du siehst so wild, so verstört aus, warum bist du denn aufgestanden?
Adelh. Ach, ich lag auf dem Heuboden, und wollte schlafen, aber ich konnte nicht – Da war es immer, als ob einer grübe, und dann kam ein gräßlicher Vogel in die Luke herein, und gerade auf mich zugeflogen. Da fürchtete ich mich, und lief herunter.
Der Fr. Warum hast du denn aber nicht im Bette geschlafen?
Adelh. Ja, wir haben keins mehr, wie dies eine. Die andern sind uns weggehohlt worden, weil sie der Vater verkauft hat.
Der Fr. Wo schlafen denn itzt deine Eltern?
Adelh. Auf den Stühlen.
Der Fr. (für sich) Entsetzlich! So gar weit konntet ihr herabsinken von eurer vorigen Grösse, wovon mir noch ein dunkles Bild aus den Jahren meiner Kindheit vor den Augen dämmert. Und ich machte euch eine schlaflose Nacht? – Aber ich wollte auch von einem der frohesten Tage in eurem Leben gern von seinem Anfange an ein Zeuge seyn. – Wollte eure ganze Noth selbst kennen lernen, weil ihr zu stolz dachtet, sie jemanden zu entdecken. – Wollte – ja was wollt' ich? – und wenn es auch Grille wäre. Warum sollte ich den gerade diese unschuldige Grille unterdrücken, eine Nacht unerkannt in dem Hause meiner Eltern zuzubringen? – Wem schadet sie? – Zwar Mariane rieth es mir ab – aber doch wollte sie mir auch nicht mein Vergnügen rauben, wie sie sahe, daß ich darauf bestand. – (zu Adelheid) Hör' einmal, sähest du es wohl gerne, wenn ich hier bei deinen Eltern bliebe? –
Adelh. O, wenn Sie doch bei uns blieben, – Ich wollte Sie so lieb haben, als ob Sie mein Bruder wären –
Der Fr. Hast du denn einen Bruder, daß du weist, wie lieb man einen Bruder hat?
Adelh. Ach nein! – Ich habe einen gehabt – den hab' ich aber gar nicht gekannt, und der soll auch schon lange todt seyn, sagen meine Eltern – er soll im Wasser ertrunken seyn – ich habe oft geweint, wenn ichs gehört habe – denn da ist unsers Nachbars Tochter, die hat einen Bruder, den hat sie so lieb – ich aber bin ganz allein, und habe weder Bruder noch Schwester.
Der Fr. Gehst du denn nicht zuweilen zu deinem Onkel, der am andern Ende der Stadt wohnt?
Adelh. O ja, da geh ich wohl zuweilen hin. Der Onkel spricht auch eben so freundlich zu mir, wie Sie, und manchmal schenkt er mir auch was. Das darf aber mein Vater nicht wissen, sonst wär' ich ein unglückliches Kind.
Der Fr. Warum darf das dein Vater nicht wissen?
Adelh. Ja der mag den Onkel gar nicht leiden, und sagt immer, wenn ich zu ihm gienge, so wollte er mich todtschlagen.
Der Fr. Kennst du denn auch des Onkels seine Tochter wohl?
Adelh. Marianen? – o ja! kennen Sie die auch? – o der bin ich recht gut, und sie ist mir auch gut – sie nimmt mich immer auf den Schooß, und erzählt mir allerlei schöne Geschichten, und sagt, ich soll meinen Eltern hübsch gehorsam seyn.
Der Fr. Bist du denn das auch?
Adelh. Ach nicht immer – denn ich gehe ja doch zuweilen zum Onkel hin, ob es der Vater gleich verboten hat – Ach der Onkel ist immer so gut – aber mein Vater sieht manchmal den ganzen Tag so böse aus, und spricht kein Wort mit mir, und dann ist er oft sehr zornig, und schlägt mich. – – Aber sagen Sie mir doch einmal, warum wohnt denn der Onkel in so einem grossen schönen Hause, und in einer Straße, wo lauter schöne Häuser stehn, und wir müssen hier draussen wohnen, in so einem kleinen Hause, das halb in die Erde gebaut ist.
Der Fr. Das macht, weil dein Onkel reich ist, und dein Vater nicht.
Adelh. Warum ist denn der Vater nicht reich?
(Blunt mit einem Licht tritt herein.)
Blunt. Was machst du hier, Mädchen, und störst den Herrn in seiner Ruhe?
Der Fr. Lassen Sie's immer gut seyn! Wir plaudern ein wenig zusammen, und ich konnte ohnedem nicht einschlafen.
Blunt. Wenn Sie noch nicht geschlafen haben, so werden Sie nun gewiß müde seyn. Komm Mädchen – sag dem Herrn Gutenacht!
Adelh. O schlafen Sie recht wohl! (giebt ihm die Hand.)
Der Fr. (drückt sie fest an seine Brust und küßt sie) Schlaf auch du wohl, liebes Mädchen, schlaf sanft und wohl, bis ich dich Morgen wiedersehe! – dann wollen wir noch mehr miteinander sprechen.
Blunt. Komm, Adelheid! – Schlafen Sie wohl, mein Herr! – Wir sind arme Leute – Sie müssen schon einmal eine Nacht so mit uns vorlieb nehmen! (geht ab.)
Der Fr. Mein Vater! – wie mir das Wort auf der Zunge erstarb, als ich es aussprechen wollte – Mein Vater! – Welche Güte! welche Besorgniß für einen Fremden! – o sein Herz ist gut, wenn gleich das Alter ihn mürrisch gemacht, und der Kummer seine Stirn in düstre Falten gezogen hat. – Itzt hätte ich mich ihm entdecken sollen – aber warum denn itzt? – – Ich will nun mit den frölichen Gedanken einschlafen, wie ich mich morgen meinen Eltern nach und nach zu erkennen geben werde – erstlich will ich ihnen den Irrthum zu benehmen suchen, als ob ihr Sohn todt wäre; dann will ich sie allmälig auf seine Ankunft vorbereiten, und ihnen zuletzt zu verstehn geben, daß er in der Nähe sey – bis sie endlich fragen, wo ist unser Sohn, wo ist unser Wilhelm? und ich ihnen dann um den Hals falle, und sage: ich bins! ich bins! – – Wie ruhig ist nun meine Seele! – alle Schreckenbilder meiner Einbildungskraft sind verschwunden – und sanfter, stiller Friede kehrt wieder in meine Brust zurück. – In die Arme deiner Liebe will ich mich werfen, Allgütiger! – wie sanft werde ich da ruhen – wie sanft – (legt sich nieder.)
Des Bürgermeister Blunts Wohnung.
Der Bürgermeister. Mariane.
Der Bürgerm. (im Schlafrock vor dem Schreibtisch) Wenn ich doch einmal mit der verdrießlichen Arbeit fertig wäre! – Dass auch das gerade zusammentreffen muß – morgen soll einer der frohesten Tage in meinem Leben seyn, und ich muß nun gerade die Nacht arbeiten – und morgen wird' ich schläfrig und träge seyn, und mein Vergnügen nur halb empfinden – (Mariane tritt herein) Woher meine Tochter? – ich dachte du schliefest noch so fest, da du erst vor ein paar Stunden zu Bette gegangen bist. –
Mar. Ach, mein Vater, ich habe kein Auge zugethan – wenn doch Wilhelm bei uns geblieben wäre! –
Der Bürgerm. Aber so laß doch die thörichten Grillen fahren! – Was kann ihm denn für ein Unglück begegnen, da er in seiner Eltern Hause ist – und die Straße von hier bis dahin ist nicht unsicher, wie du weißt – also ist deine Besorgniß sehr ungegründet.
Mar. Warum folgte er aber meinen Bitten nicht, und blieb die Nacht über bei uns zu Hause, und gieng lieber bei Tage zu seinen Eltern?
Der Bürgerm. Warum wolltest du aber dem guten Jungen nicht das Vergnügen gönnen, seinen Eltern eine ganz unerwartete Freude zu machen? – Horch! es schlägt erst zwei Uhr – immer leg dich wieder zu Bette – du verdirbst dir ja sonst muthwilliger Weise den morgenden Tag, wie ich es leider thun muß.
Mar. O ich kann unmöglich wieder einschlafen, mein Vater – und doch wollt' ich Sie auch nicht gerne stören – aber allein zu seyn, das ist mir gar zu peinlich. – Laßen Sie mich hier für mich in einem Buche lesen – das stört Sie doch nicht?
Der Bürgerm. Wie du willst. – Da liegt ja noch dein Buch von gestern aufgeschlagen – aber nein – mach lieber's Buch zu – ich muß mich ohnedem ein wenig von meiner Arbeit erholen – und so lange will ich mit dir plaudern. – Höre, vor acht Tagen hätten wir doch das beide noch nicht gedacht, was wir nun wissen – und wer es uns hätte sagen wollen, dem hätten wir's nicht geglaubt. –
Mar. O ja, ich hätte es doch geglaubt, mein Vater, weil ich es immer so herzlich wünschte, dass doch die Nachricht von Wilhelms Tode, sein Schiffbruch, alles, erdichtet seyn möchte. –
Der Bürgerm. Das heißt zwar sonst wohl: aus den Augen, aus dem Sinn – aber wir haben ihn doch die ganzen zehn Jahr über nicht vergessen – auch nicht einmal, da wir schon gewiß glaubten, dass er todt wäre. –
Mar. Das freuet mich nun eben am meisten – und dass ich den Entschluß faßte, gar nicht zu heirathen, wenn er nicht wiederkäme – das ist mir nun so lieb, und Ihnen wird's gewiß auch lieb seyn. –
Der Bürgerm. Ja, das ist es nun – ob ich gleich damals gar nicht damit zufrieden war – denn wer konnte so etwas in aller Welt voraussehen? –
Mar. Und doch ist es geschehen – an weiter will ich nichts denken. – Sehen Sie, wie hell der Mond scheint – ich möchte beinahe ein wenig im Garten spatzieren gehen – es ist so eine schöne Nacht. –
Der Bürgerm. Bleib oben, meine Tochter, es ist noch zu kühl draußen – warte lieber den schönen Tag ab, der gewiß auf diese Nacht folgen wird. –
Mar. O kommen Sie wenigstens einmal mit ans Fenster, lieber Vater – sehen Sie wohl das grüne Plätzchen zwischen den Bäumen, das gerade jetzt der Mond bescheint? –
Der Bürgerm. O ja, ich habe dich auch schon oft da gefunden.
Mar. Das ist eben das Plätzchen, wo ich mit Wilhelm zu spielen pflegte, als wir beide noch Kinder waren – da spielten wir auch einmal Verstecken's – er war auf die große Linde geklettert, die Sie da sehen, und hatte sich in den Zweigen versteckt, – wir suchten ihn allenthalben, – auf einmal hörten wir einen Ast auf dem Baume brechen, und in dem Augenblicke fiel auch Wilhelm von oben herunter – mir geht noch ein Schauder über, wenn ich daran denke, – er aber hatte nicht den geringsten Schaden genommen, stand geschwind wieder auf, und sagte: wenn ich nur nicht herunter gefallen wäre, ihr hättet mich lange suchen sollen!
Der Bürgerm. Ja, so vielen Gefahren ist man doch von seiner Kindheit an ausgesetzt – und was noch das sonderbarste ist, so wird einer oft aus den größten Gefahren glücklich errettet, und in der kleinsten kömmt er um. – Da erhielt ich gestern noch eine traurige Nachricht, von einem würdigen Officier, meinem sehr guten Freunde, der sechs Bataillen mitgemacht hat, und nun an einem Stückchen Glase gestorben ist, das er sich in den Finger gestoßen hat. –
Mar. O das ist schrecklich! – Wilhelm hat auch so manche große Gefahren glücklich überstanden – wenn nun der kleinste Zufall –
Der Bürgerm. Aber das sind ja nur äußerst seltne Fälle, meine Tochter – dadurch muß man sich nicht zu einer ungegründeten Furcht verleiten laßen – sonst hätte man ja keine vergnügte Stunde auf der Welt. – Es giebt wieder tausend Menschen, die nach vielen überstandnen Gefahren ein hohes Alter erreicht haben, und eines ruhigen Todes gestorben sind; – aber wie kommen wir denn auch auf so eine ernsthafte Materie? – Laß uns davon abbrechen. –
Mar. Ja, laßen Sie uns davon abbrechen – mir wird das Herz so schwer – o laßen Sie uns morgen ja recht früh hingehen, um ihn in aller Frühe zu überraschen! –
Der Bürgerm. Was ist dir? – du siehst so blas aus, Kind?
Mar. Mein Herz ist so beklemmt – o kommen Sie, und laßen Sie uns ein wenig in die freie Luft gehen.
Der Bürgerm. Herzlich gerne, Mariane – erhole dich nun wieder! – und sey mir nicht so ängstlich mehr! – (Gehen ab.)
Blunts Wohnung.
Gertrude. Blunt.
Gert. Ach höre mich Blunt! – Warum stehst du nun seit einer Stunde da, und redest kein Wort, und siehst so starr aus den Augen – Du hast mich blutrünstig geschlagen, dass ich dir helfen mußte, die Grube graben, – ich will der Schläge nicht achten – aber höre mich nur an, und antworte mir – Blunt, was willst du thun? – wozu soll die Grube?
Blunt. Laß mich zufrieden, Gertrude! – Nichts will ich thun – hernach will ich dir's sagen – du weißt ja wohl, an dem Orte. wo wir gruben, liegt der Schatz verborgen, wovon ich schon so lange geträumt, und wovon ich dir schon so lange gesagt habe. –
Gert. Ach, Blunt, baue doch nicht auf eitle Träume, ich bitte dich, und schlage dir doch einmal die Gedanken an irdische Reichthümer aus dem Sinn – was man wünscht, davon träumt man auch. – Glaube mir, du bist auf dem unrechten Wege. – Vorige Woche nahmst du dir fest vor, ein andrer Mensch zu werden – gestern abend fiengst du an, mit mir zu beten, und dein Gebet verwandelte sich in Gotteslästerung. Sieh ich bin dein Weib – habe bis hierher Gutes und Böses mit dir ertragen. – Höre mich noch einmal an! – Ach Blunt, deine Verzweiflung nimmt zu. – Jetzt ist die Stunde der Versuchung – Was du auch im Sinn hast – ach, ich bitte dich um Gotteswillen – kämpfe! – kämpfe!
Blunt. Siehst du denn nicht, dass ich kämpfe, Weib? – So lang' ich hier stehe kämpf' ich schon. –
Gert. Du kämpfest? – Nun so unterstütze dich Gott in dieser schrecklichen Stunde, und gebe mir Kraft dir beizustehn! – Ach dein Herz war sonst so gut – jetzt ist es voller Haß, Groll und Feindschaft – o laß es doch noch einmal zu Thränen erweicht werden! – Bedenke die kurze Zeit, die wir noch zu leben haben! – Laß uns morgen anfangen, Blunt, ein anderes Leben zu führen! – Laß uns unser Kind zur Frömmigkeit erziehen – ach es hat viel Böses von uns gehört und gesehen – mit Unzufriedenheit und Murren gegen Gott haben wir oft den Tag angefangen, und mit sündlichem Undank haben wir ihn geendigt; – noch ist es Zeit, um Vergebung zu flehen – ach komm, Blunt, und laß uns niederknien vor Gott, und ihm mit Thränen der Reue Beßrung angeloben. –
Blunt. Noch kann ich nicht, Gertrude!
Gert. Nein, noch kannst du nicht – du mußt dich erst loßreißen von deiner sündlichen Begierde nach Reichthum – und mußt dich erst im Herzen mit deinem Bruder versöhnen. – Höre mich, Blunt – wir sind reich gewesen, und sind arm geworden – laß doch alles dahin fahren! – es ist ja doch nur Tand und Blendwerk, was man so bald verlaßen muß. – Versöhne dich mit deinem Bruder! Laß uns beten und arbeiten. – Laß uns die paar Tage, die wir noch zu leben haben, so gut anwenden, wie wir können – und wenn wir dann ein ruhiges und zufriednes Herz haben – was fragen wir nach allen Schätzen der Erde. – Glaube mir nur, Blunt, wir wollen gewiß noch glücklich seyn! –
Blunt. Höre, Gertrude – kannst du wohl angezündetes Pulver löschen? – (will gehen)
Gert. Ich verstehe dich nicht – wo willst du hin?
Blunt. Ich will hin, und Bretter und Steine über die Grube legen, damit sie bei Tage niemand sieht – und morgen Nacht wollen wir tiefer graben – sey du nur ganz ruhig und unbekümmert! – ich hoffe nun soll alles noch ein gutes Ende nehmen. (geht ab.)
Gert. Diese Sprache hör' ich itzt von ihm zum erstenmale! – Gott, was mag er im Sinne haben! – Erst sprach er noch von Blut und Tod – und auf einmal scheint er nun so ruhig zu seyn, und doch ist seien Miene so fürchterlich – das bedeutet nichts Gutes – Seine Sinne sind zerrüttet – Welche Angst! – als ob mir das Herz zerspringen wollte – Sollt' er wohl? – schrecklicher Gedanke! – o ich muß ihm nach! ich muß ihm nach! wenns nur nicht schon zu spät ist – Herr Gott, sende deinen Engel, der ihn abhält, bis ich komme.
Die Kammer des Fremden.
(Welcher halbentkleidet auf dem Bette liegt, und eingeschlafen ist.)
Blunt. (In der einen Hand ein Licht, und in der andern ein langes Messer, tritt herein, und schließt die Thüre hinter sich zu. Er setzt das Licht auf den Tisch, stellt sich über das Bette, und zuckt das Messer.)
Gertrude. (draußen, klopft stark an die Thüre) Blunt! Blunt! was willst du thun? – O mach auf, ich bitte dich um Gotteswillen, mach auf!
Blunt. (Läßt das Messer sinken – er zuckt es zum zweitenmale.)
Gert. (klopft noch stärker) Ach, Blunt, Blunt, mach auf! –
Blunt. (Läßt noch einmal das Messer sinken – schnell aber zuckt er es zum drittenmale – seine Hand zittert noch –)
Gert. (Thut noch einen starken Schlag an die Thüre).
Der Fremde (erwacht, und indem er seine Augen aufschlägt, sagt er mit zitternder Stimme) Mein Vater!
Blunt. Was? – dein Vater? Nicht dein Vater! (er kämpft noch mit sich selber – seine Hand bewegt sich konvulsivisch hin und her – er will dem Fremden das Messer an die Gurgel setzen –)
Der Fremde (ergreift seine Hand, und sagt mit freundlichbittender, bebender Stimme) O mein Vater! –
Gert. (draußen). Ach, Blunt, um Gotteswillen! –
Blunt (nach einem kurzen Kampf). Hinweg, verfluchtes Messer! ich hab' dich überwunden! (wirft das Messer weit weg) Dank! Dank! Dank! dir, Gertrude, ich hab' überwunden! Komm herein und sieh (er macht auf) sieh ich hab' überwunden! – Da liegt das verfluchte Messer –
Der Fremde (springt auf und fällt Blunt mit Schluchzen um den Hals). O mein Vater! mein Vater!
Blunt. O junger Mann – du kannst mich Vater nennen, da ich im Begriff war, dein Mörder zu werden – Aber tausend Dank! tausend Dank! daß Sie erwacht sind! – Ach, Gertrude, wie leicht ist mir auf einmal mein Herz! – Ich bin aus einem schweren Traume aufgewacht, aus einem schweren Traume – Wo ist Adelheid? – ruf sie doch! – o wäre jetzt mein Bruder hier, sieh, Gertrude, alles wollt' ich ihm vergeben – ich wollte – in diesem Augenblick wollt' ich mich mit ihm versöhnen!
Gert. (ruft Adelheiden).
Der Fremde (umarmt, nach der Reihe, Blunt, Gertrude und Adelheid). Mein Vater! – meine Mutter! – meine Schwester! – Betrachtet mich inskünftige als euren Sohn! betrachte du mich als deinen Bruder! –
Blunt. Sieh, Gertrude, welche himmlische Güte! – er war unser Gast, und ich wollt' ihn im Schlaf ermorden – mein Blut und meine Thränen hätten die Sünden nicht wegwaschen können, wenn ich's gethan hätte –
Adelh. Sind Sie denn schon so früh aufgestanden? Sie haben die Nacht wohl wenig geschlafen?
Der Fremde. Ich habe genug geschlafen –
Blunt. Er hat genug geschlafen, Adelheid – es war gut, daß er aufwachte – Komm, Adelheid, komm auf meinen Schoos, und küsse mich!
Adelh. Ach, lieber Vater, sind Sie mir denn nun wieder recht gut?
Blunt. Ja, meine Tochter, ja!
Adelh. Aber wollen Sie auch dem Onkel und Marianen gut seyn?
Blunt. Auch das will ich, Adelheid, Gertruden, dir, meinem Bruder, meinen Feinden, allen Menschen will ich gut seyn! (man klopft an die Thüre.)
Gert. (macht auf).
Der Bürgermeister und Mariane.
Blunt. Willkommen, Bruder! (giebt ihm die Hand) Sieh, Gertrude, wie mich der Himmel beim Worte hält – nun ists recht gut so – o ich bin so froh! so vergnügt!
Der Bürgerm. Also weißt du's doch schon, daß der Fremde da dein Sohn ist? –
Blunt. Der Fremde da, mein Sohn? – nein das weiß ich nicht – das kann ich auch nicht glauben – wie wäre das möglich? – Du hast ja selber die Nachricht von dem Tode meines Sohnes mit angehört –
Der Fremde (will sich seinem Vater in die Arme werfen).
Der Bürgerm. (winkt ihm mit den Augen). Diese Nachricht war falsch – er war der einzige, der aus dem Schiffbruch gerettet wurde – wunderbare Schicksale hat dein Sohn erlebt, wunderbare Schicksale – aber davon ein andermal – jetzt bin ich mit meiner Tochter zu dir gekommen, um an deiner Freude über seine Wiederkunft Theil zu nehmen – und nun gieb mir die Hand, Bruder, und laß uns unsern alten Zwist beilegen, und von nun an wieder Freunde seyn! – Dein Elend hat ein Ende, du bist nun wieder reicher, wie ich bin – du brauchst also von mir nichts anzunehmen, und darfst nicht fürchten, daß dein Stolz beleidiget werde; denn was dein Sohn besitzt, das gehört auch dir – also – gieb mir die Hand und laß uns von nun an wieder Freunde seyn!
Blunt. Die Hand will ich dir geben – und von ganzem Herzen will ich mich mit dir versöhnen – aber – daß der Fremde da mein Sohn seyn soll – das Glück wäre für mich zu groß – das wäre ja, als ob Gott die entsetzlichsten Verbrechen auf frischer That belohnen wollte – nicht wahr, Gertrude? –
Gert. O zweifle nicht länger, Blunt! – mir sagt es mein Herz, daß er mein Sohn ist – und dein Bruder wird dich nicht hintergehen –
Der Fremde (fällt ihr um den Hals). O meine Mutter! –
Gert. Also ists doch wahr? – So hab' ich dich wieder in meinen Armen? – dich, den ich unter meinem Herzen trug? – O laß mich – laß mich ausweinen – mein Entzücken – meine Freude – tödtet mich – Mein einzger – wiedergefundner Sohn! –
Adelh. Also ist dieser mein Bruder, Mutter?
Gert. Ja, das ist er!
Adelh. (läuft auf ihn zu, er schließt sie in seine Arme, und küßt sie). O nun weiß ich, warum ich Sie so lieb habe, und warum Sie mir diese Nacht versprachen, daß Sie bei uns bleiben wollten –
Der Fremde Weißt du das? – liebes, gutes Mädchen!
Adelh. Aber Mutter, warum weinest du denn, da du deinen Sohn wiedergefunden hast?
Gert. O laß mich weinen, Kind, ich weine vor Freuden –
Adelh. Nun so will ich auch vor Freuden weinen, daß ich einen Bruder wiedergefunden habe! – – Marianchen! kennst du denn meinen Bruder schon, daß du immer so freundlich mit ihm sprichst?
Blunt (der die Zeit über wie betäubt gestanden hat). Also wäre denn der Fremde wirklich mein Sohn?
Der Bürgerm. Warum zitterst du so? – warum verwandelt sich deine Farbe? –Zweifelst du noch, daß er dein Sohn ist – nun so ließ diesen Brief, den er an mich schrieb, ehe er kam! – Heimlich wollt' er seine Eltern überraschen – die erste Nacht wollt er sich ihnen nicht entdecken, um sich, auf den folgenden Morgen, das größte Vergnügen aufzusparen. – Ließ diesen Brief, sag' ich, und dann zweifle noch, ob der Fremde dein Sohn ist!
Blunt (ließt den Brief – er läßt ihn fallen – eine Pause). Ja – er ists – er ists – – Und ich grauer Bösewicht wollte meinen eignen Sohn ermorden? –
Der Bürgerm. Was sagst du? –
Mariane. Gott, was sagen Sie?
Blunt. Laßt mich jetzt! – laßt mich jetzt! – ihr sollt alles erfahren! – (er kniet nieder und betet) Gott! – ich danke dir – daß du meinen Sohn erwachen ließest – ich danke dir, daß du meinen Arm zurückhieltest, und meine Hand erstarren ließest, da ich die schreckliche That vollbringen wollte – mein ganzes Leben – o Gott! – ich bin nicht werth der Barmherzigkeit, die Gott an mir gethan hat – Fluch und Strafe hätt' ich verdient, gerade da mir Gott die größte Freude in meinem Leben aufgespart hatte – Denn seht – vor wenig Augenblicken –
Der Fremde. (will ihn umarmen). O mein Vater! – schweigen Sie doch davon! –
Blunt. Laß mich erst reden, mein Sohn, laß mich erst meine Schuld gestehen – dann komm' in meine Arme – – Vor wenig Augenblicken stand ich noch mit dem Messer über seinem Haupte – wollt' ihn im Schlaf ermorden – und hätte mein Weib nicht geklopft – und wäre mein Sohn nicht erwacht – so rauft' ich jetzt mein graues Haar aus meinem Haupte, und verwünschte und verfluchte den Tag meiner Geburt –
Der Bürgerm. Wie kamst du auf diesen schrecklichen Gedanken?
Blunt. Aus Stolz und Verzweiflung – arbeiten mocht' ich nicht, und doch schämt' ich mich zu betteln –
Der Bürgerm. Warum wolltest du aber von mir keine Hülfe annehmen?
Blunt. Das weißt du! – Als ich gestern Abend den Fremden sahe, und sein Gold erblickte, da wurde der Gedanke in meiner Seel' erzeugt: gottlose, verführerische Träume nährten ihn, wie ich schlief, und die Mitternacht brütete ihn aus, daß er zum gräßlichsten Vorsatze reifte – Meinem Weibe sagt' ich nichts, sie mußte mir aber helfen eine Grube graben, ohne daß sie um mein Vorhaben wußte – als ich den Mord vollbringen wollte, schloß ich die Thüre hinter mir zu – sie aber klopfte mit immer stärkern Schlägen an, bis mein Sohn erwachte – und nun mein Sohn – Kannst du es deinem alten Vater vergeben, daß er dich, als seinen Gast, im Schlaf ermorden wollte? –
Der Fremde. O quälen Sie mich doch nicht dadurch, daß Sie sich selber Vorwürfe machen – Lag nicht die Schuld an mir? – warum entdeckt' ich mich Ihnen nicht gleich, da ich sahe, daß Ihr entsetzlicher Zustand fähig war, Sie bis zur Verzweiflung zu bringen? –
Blunt. Nun so komm' in meine Arme! – Freilich verdien' ichs nicht! – Deine Entschuldigung rechtfertigt mich nicht – Aber verzeihet doch sonst der Vater wohl dem Sohne, warum soll denn nicht auch der Sohn einmal seinem Vater verzeihen?
Der Fremde. O mein Vater! um eins bitt' ich, um eins beschwör' ich Sie!
Blunt. Alles, mein Sohn, alles!
Der Fremde. Daß Sie von dieser Sache inskünftige kein Wort weiter reden – daß Sie dies alles, mit mir, wie einen Traum ansehen, der nun verschwunden ist – gewähren Sie mir noch diese Bitte – dann wird meine Freude ganz seyn!
Blunt. Es wird mir schwer werden, mein Sohn, meine Zunge zu binden, daß sie nicht von meinem schrecklichen Falle und von meiner wunderbaren Errettung reden sollte – aber du willst es – und ich will schweigen –
Der Bürgerm. Nun noch ein Anliegen, Bruder, in deines Sohnes Nahmen, da du doch einmal versprochen hast, ihm alles zu gewähren – Hast du was darwider, daß er mit meiner Tochter verlobt ist? –
Blunt. Mein Sohn mit deiner Tochter verlobt – was könnt' ich darwider haben – o laß immer das festeste Freundschaftsband unter uns geknüpft werden – aber das ist zuviel auf einmal – ich kann mir alle diese plötzlichen Veränderungen noch nicht recht denken – es ist mir immer noch, wie im Traume – (zu Marianen) Also bist nun auch meine Tochter?
Mariane (umarmt ihn). Ja, mein Vater, sobald Sie es wollen!
Blunt. O ich will, ich will alles! – mit tausend, tausend Freuden! –
Der Fremde (umarmt Marianen). Also bist du nun ganz die meinige?
Mariane. Die Deinige – auf ewig –
Der Fremde. Sieh, nun sind unsre Wünsche erfüllt –
Mariane. O Dank der Vorsehung, daß sie es sind!
Blunt. Gott! – und diese innige Liebe – dieses zärtliche Band hätt' ich bald –
Der Fremde (hält ihm den Mund zu) Mein Vater!
Blunt. Ich schweige, mein Sohn – aber Gertrude, warum bist du so stumm? Hilf mir doch, mich freuen! – Die Freude wird mir allein zu schwer – ich kann sie nicht so ertragen, weil ich sie nicht verdient habe – deine Freude ist gerechter als die meinige – ich darf mich noch nicht recht freuen –
Gert. Immer freue dich mit mir – denn das Vergangne ist vergangen – Sieh, ich habe Gott im Stillen gedankt, und seiner wunderbaren Fügung nachgedacht – o meine Kinder, was ich wünschte, wenn ich euch oft zusammen spielen sahe, da ihr beide noch klein waret, was mir ahndete, wenn ich schon damals eure unschuldige Zuneigung bemerkte, das sehe ich nun so plötzlich, so wider alles Vermuthen erfüllt, daß es mir schwer wird, mir dies alles auf einmal recht vorzustellen.
Adelh. (zum Bürgermeister). O sehn Sie, wie sich mein Bruder und Mariane gut sind!
Der Bürgerm. Freuet dich das, mein Kind? – mich freuet's auch – aber höre, Bruder, wir werden jetzt alle einige Erquickung nöthig haben – Gerne hätt' ich heute ein Gastmahl veranstaltet – aber dein Sohn wollte sich das nicht nehmen lassen – auch wollt' er es nicht in meinem, sondern in deinem Hause geben – es wird schon alles dazu eingerichtet werden, daß dieser Tag ein froher Tag für uns seyn soll, aber du mußt auch ganz vergnügt seyn –
Blunt. O ich wäre der ärgste Bösewicht, wenn ich es seyn könnte – Immer laßt mir diese Schaam, diese Reue – denn das ist mir ein Zeichen, daß ich noch nicht ganz von Gott verworfen bin –
Der Fremde. O mein Vater – Ihr Versprechen –
Blunt. Gott! was hast du mir für einen Sohn gegeben! – Ja ich will schweigen, mein Sohn – aber alle Morgen und alle Abend will ich Gott auf meinen Knieen danken, daß er mir mehr Gnade erzeigt hat, als ich Strafe verdient habe.
Der Bürgerm. Komm Bruder! – Kommt meine Kinder!