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Die Heimat des indogermanischen Stammes ist der westliche Teil Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in südöstlicher Richtung über Indien, teils in nordwestlicher über Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz der Indogermanen zu bestimmen, ist schwierig; jedenfalls muß er im Binnenlande und von der See entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem asiatischen und dem europäischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen näher in die Euphratlandschaften, so daß merkwürdigerweise die Urheimat der beiden wichtigsten Kulturstämme, des indogermanischen und des aramäischen, räumlich fast zusammenfällt – eine Unterstützung für die Annahme einer allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- und Sprachentwicklung liegenden Gemeinschaft auch dieser Völker. Eine engere Lokalisierung ist ebensowenig möglich, als es möglich ist, die einzelnen Stämme auf ihren weiteren Wanderungen zu begleiten. Der europäische mag noch nach dem Ausscheiden der Inder längere Zeit in Persien und Armenien verweilt haben; denn allem Anschein nach ist hier die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt und Weizen sind in Mesopotamien, der Weinstock südlich vom Kaukasus und vom Kaspischen Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nußbaum und andere der leichter zu verpflanzenden Fruchtbäume zu Hause. Bemerkenswert ist es auch, daß den meisten europäischen Stämmen, den Lateinern, Kelten, Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie müssen also wohl vor ihrer Scheidung die Küste des Schwarzen oder auch des Kaspischen Meeres erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker an die Alpenkette gelangt sind und wo namentlich sie, allein noch mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt haben mögen, läßt sich nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem Wege, ob von Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland gelangt sind. Daß die Italiker eben wie die Inder von Norden her in ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht gelten. Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergrücken Italiens in der Richtung von Norden nach Süden läßt sich noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehören der vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog sie in ähnlicher Richtung an der Westküste entlang, wohl lange bevor die ersten sabellischen Stämme aufbrachen; der Strom überflutet die Höhen erst, wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die latinischen Stämme schon vorher an der Küste saßen, erklärt es sich, daß die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnügten und erst von diesen aus, wo es anging, sich zwischen die latinischen Völker drängten.
Daß vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge ein latinischer Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Kampanien offenstanden, verschmäht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern näher als den Latinern verwandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrscheinlich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind nachweislich älter als der samnitische Einfall und beweisen, daß, als Kyme von den Griechen gegründet ward, ein italischer und wahrscheinlich latinischer Stamm, die Ausōner, Kampanien innehatten. Auch die Urbewohner der später von den Lucanern und Brettiern bewohnten Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden von den besten Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem italischen Stamm gestellt; es ist nichts im Wege, sie dem latinischen Stamm beizuzählen, obwohl die noch vor dem Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung dieser Gegenden und deren spätere Überflutung durch samnitische Schwärme die Spuren der älteren Nationalität hier gänzlich verwischt hat. Auch den gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in Beziehung zu Rom; so erzählt der älteste italische Geschichtschreiber Antiochos von Syrakus, daß zum König Morges von Italia (d. h. der Brettischen Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf flüchtigem Fuß aus Rom gekommen sei; und es scheinen diese Erzählungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer, deren es noch zu Thukydides' Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die auffallende Verwandtschaft einzelner Dialektwörter des sizilischen Griechisch mit dem Lateinischen erklärt sich zwar wohl nicht aus der alten Sprachgleichheit der Siculer und Römer, sondern vielmehr aus den alten Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen; nach allen Spuren indes sind nicht bloß die latinische, sondern wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die östliche Hälfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen Stämmen der latinischen Nation bewohnt gewesen.
Die Schicksale dieser Stämme waren sehr ungleich. Die in Sizilien, Großgriechenland und Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in Berührung in einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten nicht vermochten, und wurden entweder völlig hellenisiert, wie namentlich in Sizilien, oder doch so geschwächt, daß sie der frischen Kraft der sabinischen Stämme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausōner nicht dazu gekommen, eine tätige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen.
Anders war es in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegründet worden sind und es den Einwohnern nach harten Kämpfen gelang, sich gegen die Sabiner wie gegen die nördlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf die Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt einzugreifen bestimmt war.
Schon in urältester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der großartigsten Naturkämpfe gewesen, in denen die langsam bildende Kraft des Wassers und die Ausbrüche gewaltiger Vulkane Schicht über Schicht schoben desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte, welchem Volk die Herrschaft der Erde gehöre. Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner und Aequer, die dem Apennin angehören; im Süden von dem bis zu 4000 Fuß Höhe ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluß des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich ziehend mit dem Vorgebirg von Terracina abschließt; im Westen von dem Meer, das an diesem Gestade nur wenige und geringe Häfen bildet; im Norden in das weite etruskische Hügelland sich verlaufend, breitet eine stattliche Ebene sich aus, durchflossen von dem Tiberis, dem "Bergstrom", der aus den umbrischen, und dem Anio, der von den sabinischen Bergen herkommt. Inselartig steigen in der Fläche auf teils die steilen Kalkfelsen des Soracte im Nordosten, des circeischen Vorgebirgs im Südwesten, sowie die ähnliche, obwohl niedrigere Höhe des Ianiculum bei Rom; teils vulkanische Erhebungen, deren erloschene Krater zu Seen geworden und zum Teil es noch sind: die bedeutendste unter diesen ist das Albaner Gebirge, das nach allen Seiten frei zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluß aus der Ebene emporragt.
Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem Namen der Latiner, oder, wie sie später zur Unterscheidung von den außerhalb dieses Bereichs gegründeten latinischen Gemeinden genannt werden, der "alten Latiner" (prisci Latini). Allein das von ihnen besetzte Gebiet, die Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener mittelitalischen Ebene. Alles Land nördlich des Tiber ist den Latinern ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen Bewohnern ein ewiges Bündnis, ein Landfriede nicht möglich war und die Waffenruhe stets auf beschränkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen Strecken südlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte beginnt, in den Händen umbrisch-sabellischer Stämme, der Rutuler und Volsker; schon Ardea und Velitrae sind nicht mehr ursprünglich latinische Städte. Nur der mittlere Teil jenes Gebietes zwischen dem Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig größer als der jetzige Kanton Zürich, ist das eigentliche Latium, die "Ebene"Wie latus (Seite) und πλατύς (platt); es ist also das Plattland im Gegensatz zu der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die "Ebene" den Gegensatz bildet zu Samnium. Lātus, ehemals stlātus gehört nicht hierher., wie sie von den Höhen des Monte Cavo dem Auge sich darstellt. Die Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des sandigen und zum Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird überall die Fläche unterbrochen durch mäßig hohe, oft ziemlich steile Tuffhügel und tiefe Erdspalten, und diese stets wechselnden Steigungen und Senkungen des Bodens bilden zwischen sich im Winter jene Lachen, deren Verdunsten in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden organischen Substanzen, die böse fieberschwangere Luft entwickelt, welche in alter wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum, daß diese Miasmen erst durch den Verfall des Ackerbaues entstanden seien, wie ihn das Mißregiment des letzten Jahrhunderts der Republik und das der Päpste herbeigeführt haben; ihre Ursache liegt vielmehr in dem mangelnden Gefäll des Wassers und wirkt noch heute wie vor Jahrtausenden. Wahr ist es indes, daß bis auf einen gewissen Grad die böse Luft sich bannen läßt durch die Intensität der Bodenkultur; wovon die Ursache noch nicht vollständig ermittelt ist, zum Teil aber darin liegen wird, daß die Bearbeitung der Oberfläche das Austrocknen der stehenden Wässer beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung einer dichten ackerbauenden Bevölkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden Bewohner gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht verweilt, wie die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris und Metapont sind, eine für uns befremdliche Tatsache. Man muß sich erinnern, daß auf einer niedrigen Kulturstufe das Volk überhaupt einen schärferen Blick hat für das, was die Natur erheischt, und eine größere Fügsamkeit gegen ihre Gebote, vielleicht auch physisch ein elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger anschmiegt. In Sardinien wird unter ganz ähnlichen natürlichen Verhältnissen der Ackerbau noch heutzutage betrieben; die böse Luft ist wohl vorhanden, allein der Bauer entzieht sich ihren Einflüssen durch Vorsicht in Kleidung, Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schützt vor der Aria cattiva nichts so sicher als das Tragen der Tiervließe und das lodernde Feuer; woraus sich erklärt, weshalb der römische Landmann beständig in schwere Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht erlöschen ließ. Im übrigen mußte die Landschaft einem einwandernden ackerbauenden Volke einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne Düngung ertragsfähig, ohne nach italienischem Maßstab auffallend ergiebig zu sein; der Weizen gibt durchschnittlich etwa das fünfte KornEin französischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique des Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der römischen Campagna die Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberfläche aus dekomponierter Lava und Asche den Resten ausgebrannter Vulkane. Die Bevölkerung, mindestens 2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der stärksten, die in rein ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigentum ungemein zerstückelt. Der Ackerbau wird fast ganz von Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafür der leichte Pflug ein der mit zwei Kühen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins für einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jährlich. Würde dasselbe Land statt dessen unter sechs oder sieben große Grundbesitzer verteilt werden würden Verwalter- und Tagelöhnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens durch kleine Grundeigentümer treten, so würde in hundert Jahren ohne Zweifel die Limagne öde, verlassen und elend sein wie heutzutage die Campagna di Roma.. An gutem Wasser ist kein Überfluß; um so höher und heiliger hielt die Bevölkerung jede frische Quelle.
Es ist kein Bericht darüber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner in der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und wir sind darüber fast allein auf Rückschlüsse angewiesen. Einiges indes läßt sich dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit vermuten.
Die römische Mark zerfiel in ältester Zeit in eine Anzahl Geschlechterbezirke, welche späterhin benutzt wurden, um dar aus die ältesten "Landquartiere" (tribus rusticae) zu bilden. Von dem Claudischen Quartier ist es überliefert, daß es aus der Ansiedlung der Claudischen Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht ebenso sicher für die übrigen Distrikte der ältesten Einteilung hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der später hinzugefügten Distrikte, von Örtlichkeiten entlehnt, sondern ohne Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter, die den Quartieren der ursprünglichen römischen Mark die Namen gaben, soweit sie nicht gänzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii, Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die ältesten römischen Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, Papirii, Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, daß unter all diesen Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst später nach Rom übergesiedelt wäre. Ähnlich wie der römische, wird jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus aus in eine Anzahl zugleich örtlich und geschlechtlich vereinigter Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das "Haus" (οικία) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch dort sehr häufig die Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die entsprechenden italischen Benennungen "Haus" (vicus) oder "Bezirk" (pagus von pangere) deuten gleichfalls das Zusammensiedeln der Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch begreiflicherweise über in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein Acker, so gehört zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die aber, wie später zu zeigen sein wird, bis in verhältnismäßig späte Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heißt nach dem System der Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshäuser in Latium selbst sich zu Geschlechtsdörfern entwickelt haben oder ob die Latiner schon als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist eine Frage, auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu bestimmen vermögen, in welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch eine derartige Ordnung gefordert wird, sich in Latium gestaltet hatIn Slawonien, wo die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen Tag festgehalten wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fünfzig, ja hundert Köpfen stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit gewählten Hausvaters (Goszpodár) in demselben Hause beisammen. Das Vermögen des Hauses, das hauptsächlich in Vieh besteht, verwaltet der Hausvater; der Überschuß wird nach Familienstämmen verteilt. Privaterwerb durch Industrie und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte aus dem Hause, auch der Männer, z. B. durch Einheiraten in eine fremde Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics, Slawonien und Kroatien. Pest 1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen Verhältnissen, die von den ältesten römischen sich nicht allzuweit entfernen mögen, nähert das Haus sich der Gemeinde., in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung noch auf äußerlicher Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen mit beruhen mag.
Von Haus aus aber galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als selbständige Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen Gemeinde (civitas, populus), welche zunächst auftritt als ein zu gegenseitiger Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in Abwehr und Angriff verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach- und sittengleicher Geschlechtsdörfer. An einem festen örtlichen Mittelpunkt konnte es diesem Gau so wenig fehlen wie der Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-, das heißt die Gaugenossen in ihren Dörfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt des Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur eine gemeine Versammlungsstätte sein, welche die Dingstätte und die gemeinen Heiligtümer des Gaues in sich schloß, wo die Gaugenossen an jedem achten Tag des Verkehrs wie des Vergnügens wegen sich zusammenfanden und wo sie im Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem einfallenden Feind sicherer bargen als in den Weilern, die aber übrigens regelmäßig nicht oder schwach bewohnt war. Ganz ähnliche alte Zufluchtsstätten sind noch heutzutage in dem Hügellande der Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz heißt in Italien "Höhe" (capitolium, wie άκρα, das Berghaupt) oder "Wehr" (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage einer künftigen, indem die Häuser an die Burg sich anschließen und späterhin sich umgeben mit dem "Ringe" (urbs mit urvus, curvus, vielleicht auch mit orbis verwandt). Den äußerlichen Unterschied zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg möglichst wenige, die Stadt möglichst viele, jene in der Regel nur ein einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die vorstädtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen italischen Landschaften, die zum städtischen Zusammensiedeln erst spät und zum Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht vollständig gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermaßen sich erkennen läßt. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der Kaiserzeit nicht in Städten, sondern in unzähligen offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge altertümlicher Mauerringe, die als "verödete Städte" mit einzelnen Tempeln das Staunen der römischen wie der heutigen Archäologen erregten, von denen jene ihre "Urbewohner" (aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu können meinten. Gewiß richtiger wird man in diesen Anlagen nicht ummauerte Städte erkennen, sondern Zufluchtsstätten der Markgenossen, wie sie in älterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Daß in derselben Epoche, wo die zu städtischen Ansiedlungen übergegangenen Stämme ihren Städten steinerne Ringmauern gaben, auch diejenigen Landschaften, die in offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die Erdwälle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch Steinbauten ersetzten, ist natürlich; als dann in der Zeit des gesicherten Landfriedens man solcher Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstätten verlassen und bald den späteren Generationen ein Rätsel.
Jene Gaue also, die in einer Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse Anzahl Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die ursprünglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen Gaue sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von besonderem historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das den Ansiedlern die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am meisten gesicherte Lage darbot, diese natürliche Burg Latiums, ist ohne Zweifel von den Ankömmlingen zuerst besetzt worden. Hier lag denn auch auf der schmalen Hochfläche oberhalb Palazzuola zwischen dem Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen Berg (Monte Cavo) lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des latinischen Stammes und Mutterort Roms sowie aller übrigen altlatinischen Gemeinden galt; hier an den Abhängen die uralten latinischen Ortschaften Lanuvium, Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten Bauwerken, welche die Anfänge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und gleichsam der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, daß Pallas Athene in der Tat, wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen Abhänge des Monte Cavo nach Süden zu von Natur unzugänglichen Ort von Norden her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu verteidigenden Zugänge von Osten und Westen her für den Verkehr frei läßt; und vor allem der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuß mächtige Lavawand mannshoch gebrochene Stollen, durch welchen der in dem alten Krater des Albaner Gebirges entstandene See bis auf seine jetzige Tiefe abgelassen und für den Ackerbau auf dem Berge selbst ein bedeutender Raum gewonnen worden ist.
Natürliche Festen der latinischen Ebene sind auch die Spitzen der letzten Ausläufer der Sabinergebirge, wo aus solchen Gauburgen später die ansehnlichen Städte Tibur und Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und Nomentum in der Ebene zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber; Rom am Tiber, Laurentum und Lavinium an der Küste sind mehr oder minder alte Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder namhaften und zum Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue waren in ältester Zeit politisch souverän und wurden ein jeder von seinem Fürsten unter Mitwirkung des Rates der Alten und der Versammlung der Wehrmänner regiert. Aber dennoch ging nicht bloß das Gefühl der Sprach- und Stammgenossenschaft durch diesen ganzen Kreis, sondern es offenbarte sich dasselbe auch in einer wichtigen religiösen und staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde der sämtlichen latinischen Gaue. Die Vorstandschaft stand ursprünglich nach allgemeinem italischen wie hellenischen Gebrauch demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die Bundesstätten lagen; es war dies der Gau von Alba, der überhaupt, wie gesagt; als der älteste und vornehmste der latinischen betrachtet ward. Der berechtigten Gemeinden waren anfänglich dreißig, wie denn diese Zahl als Summe der Teile eines Gemeinwesens in Griechenland wie in Italien ungemein häufig begegnet. Welche Ortschaften zu den dreißig altlatinischen Gemeinden oder, wie sie in Beziehung auf die Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den dreißig albanischen Kolonien ursprünglich gezählt worden sind, ist nicht überliefert und nicht mehr auszumachen. Wie bei den ähnlichen Eidgenossenschaften zum Beispiel der Böoter und der Ionier die Pamböotien und Panionien, war der Mittelpunkt dieser Vereinigung das "latinische Fest" (feriae Latinae), an welchem auf dem "Berg von Alba" (mons Albanus, Monte Cavo) an einem alljährlich von dem Vorstand dafür fest gesetzten Tage dem "latinischen Gott" (Iuppiter Latiaris) von dem gesamten Stamm ein Stieropfer dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus hatte jede teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses an Vieh, Milch und Käse zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stück zu empfangen. Diese Gebräuche dauerten fort bis in die späte Zeit und sind wohlbekannt; über die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser Verbindung dagegen vermögen wir fast nur Mutmaßungen aufzustellen. Seit ältester Zeit schlossen sich an das religiöse Fest auf dem Berg von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf der benachbarten latinischen Dingstätte am Quell der Ferentina (bei Marino); und überhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht gedacht werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine für die ganze Landschaft gültige Rechtsordnung. Daß dem Bunde wegen Verletzung des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem Fall selbst auf den Tod erkannt werden konnte, ist überliefert und glaublich. Auch die spätere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft der latinischen Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des ältesten Bundesrechts gedacht werden, so daß also der Latiner mit der Latinerin rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz erwerben und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner für die Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und Bundesgericht angeordnet haben; dagegen läßt sich eine eigentliche Beschränkung des souveränen Rechts jeder Gemeinde über Krieg und Frieden durch den Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen Zweifel, daß mit der Bundesverfassung die Möglichkeit gegeben war, einen Bundeskrieg abwehrend und selbst angreifend zu führen, wobei denn ein Bundesfeldherr, ein Herzog, natürlich nicht fehlen konnte. Aber wir haben keinen Grund anzunehmen, daß in diesem Fall jede Gemeinde rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder daß es ihr umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen ein Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, daß während der latinischen Feier, ähnlich wie während der hellenischen Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galtDas latinische Fest wird geradezu "Waffenstillstand" (indutiae Macr. Sat. 1, 16; εκεχερίαι Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt, während desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.). und wahrscheinlich in dieser Zeit auch die verfehdeten Stämme einander sicheres Geleit zugestanden. Noch weniger ist es möglich, den Umfang der Vorrechte des führenden Gaues zu bestimmen; nur soviel läßt sich sagen, daß keine Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre politische Hegemonie über Latium zu erkennen und daß möglicher-, ja wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte als die elische Ehrenvorstandschaft in GriechenlandDie oft in alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, daß Alba einstmals in den Formen der Symmachie über Latium geherrscht habe, findet bei genauerer Untersuchung nirgends ausreichende Unterstützung. Alle Geschichte geht nicht von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus, und es ist sehr wenig wahrscheinlich, daß das Problem, das Rom nach manchem durchkämpften Jahrhundert endlich löste, die Einigung Latiums, schon vorher einmal durch Alba gelöst worden sei. Auch ist es bemerkenswert, daß Rom niemals als Erbin Albas eigentliche Herrschaftsansprüche gegen die latinischen Gemeinden geltend gemacht, sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnügt hat, die freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, für die hegemonischen Ansprüche Roms eine Handhabe gewährte. Von eigentlichen Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, überall kaum die Rede sein; und am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241 und Dion. Hal. 3, 10 aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln.. Überhaupt war der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufälliges Aggregat verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden, sondern der rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes. Wenn der latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische Gemeinden umfaßt haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer nicht latinischen die Mitgliedschaft gewährt – sein Gegenbild in Griechenland ist nicht die delphische Amphiktyonie, sondern die böotische oder ätolische Eidgenossenschaft.
Diese allgemeinen Umrisse müssen genügen; ein jeder Versuch, die Linien schärfer zu ziehen, würde das Bild nur verfälschen. Das mannigfache Spiel, wie die ältesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und geflohen haben mögen, ist ohne berichtfähige Zeugen vorübergegangen, und es muß genügen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten, daß sie in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre Einheitlichkeit aufgaben, aber doch das Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit hegten und steigerten und damit den Fortschritt vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem jede Volksgeschichte anhebt und anheben maß, zu der nationalen Einigung, mit der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte.