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Sehr allmählich haben die Römer sich dazu entschlossen, nach der westlichen auch der östlichen Hälfte der Küsten des Mittelmeeres sich zu bemächtigen; nicht an dem Widerstand, auf den sie hier verhältnismäßig in geringem Maße trafen, sondern an der wohlbegründeten Scheu vor den denationalisierenden Konsequenzen dieser Eroberungen hat es gelegen, daß sie solange wie möglich sich nur bemühten, in jenen Gegenden den entscheidenden politischen Einfluß zu bewahren, und daß die eigentliche Einverleibung wenigstens Syriens und Ägyptens erst stattfand, als der Staat schon fast eine Monarchie war. Wohl wurde dadurch das Römerreich geographisch geschlossen, das Mittelmeer, Roms eigentliche Basis, seit es eine Großmacht war, nach allen Seiten hin ein römischer Binnensee, Schiffahrt und Handel auf und an demselben zum Segen aller Anwohner staatlich geeinigt. Aber der geographischen Geschlossenheit zur Seite ging die nationale Zweiteilung. Durch Griechenland und Makedonien wäre der Römerstaat nie binational geworden, so wenig wie die Griechenstädte Neapolis und Massalia Campanien und die Provence hellenisiert haben. Aber wenn in Europa und Afrika das griechische Gebiet gegenüber der geschlossenen Masse des lateinischen verschwindet, so gehört was von dem dritten Erdteil mit dem von Rechts wegen dazugehörigen Niltal in diesen Kulturkreis hineingezogen ward, ausschließlich den Griechen und namentlich Antiocheia und Alexandria sind die rechten Träger der in Alexander ihren Höhepunkt erreichenden hellenischen Entwicklung, Mittelpunkte hellenischen Lebens und hellenischer Bildung und Großstädte wie Rom auch. Nachdem in dem vorhergehenden Kapitel der die ganze Kaiserzeit ausfüllende Kampf des Ostens und des Westens in und um Armenien und Mesopotamien dargestellt worden ist, wenden wir uns dazu, die Verhältnisse der syrischen Landschaften zu schildern, wie sie gleichzeitig sich gestalteten. Gemeint ist das Gebiet, das der Bergstock Pisidiens, Isauriens und Westkilikiens von Kleinasien, die östliche Fortsetzung desselben Gebirges und der Euphrat von Armenien und Mesopotamien, die arabische Wüste von dem parthischen Reiche und von Ägypten scheiden; nur schien es angemessen, die eigenartigen Schicksale Judäas in einem besonderen Abschnitt zu behandeln. Der Verschiedenheit der politischen Entwicklung unter dem Kaiserregiment entsprechend, soll zunächst von dem eigentlichen Syrien, dem nördlichen Teil dieses Gebiets und von der unter dem Libanos sich hinziehenden phönikischen Küste, weiter von dem Hinterlande Palästinas, dem Gebiet der Nabatäer, gesprochen werden. Was über Palmyra zu sagen war, hat schon im vorigen Kapitel seinen Platz gefunden.
Seit der Teilung der Provinzen zwischen dem Kaiser und dem Senat hat Syrien unter kaiserlicher Verwaltung gestanden und ist im Orient, wie Gallien im Westen, der Schwerpunkt der kaiserlichen zivilen und militärischen Verwaltung gewesen. Diese Statthalterschaft war von Anfang an von allen die angesehenste und wurde dies im Laufe der Zeit nur noch in höherem Grade. Ihr Inhaber führte, gleich den Statthaltern der beiden Germanien, das Kommando über vier Legionen, und während den Kommandanten der Rheinarmee die Verwaltung der inneren gallischen Landschaften abgenommen ward und schon in ihrem Nebeneinanderstehen eine gewisse Beschränkung lag, behielt der Statthalter von Syrien auch die Zivilverwaltung der ganzen großen Provinz ungeschmälert und führte lange Zeit in ganz Asien allein ein Kommando ersten Ranges. Unter Vespasian erhielt er zwar an den Statthaltern von Palästina und von Kappadokien zwei ebenfalls Legionen befehligende Kollegen; andererseits aber wuchsen durch die Einziehung des Königreichs Kommagene und bald darauf auch der Fürstentümer im Libanos deren Gebiete seiner Verwaltung zu. Erst im Laufe des 2. Jahrhunderts trat eine Schmälerung seiner Befugnisse ein, indem Hadrian eine der vier Legionen dem Statthalter von Syrien nahm und sie dem von Palästina überwies. Den ersten Platz in der römischen Militärhierarchie hat erst Severus dem syrischen Statthalter entzogen. Nachdem dieser die Provinz, die, wie einst ihren Statthalter Vespasian, so damals den Niger zum Kaiser hatte machen wollen, unter Widerstreben namentlich der Hauptstadt Antiocheia unterworfen hatte, verfügte er die Teilung derselben in eine nördliche und eine südliche Hälfte und gab dem Statthalter jener, der sogenannten Syria Coele, zwei dem Statthalter dieser, der Provinz Syrophoenicia, eine Legion. – Auch insofern darf Syrien mit Gallien zusammengestellt werden, als dieser kaiserliche Verwaltungsbezirk schärfer als die meisten sich in befriedete Landschaften und schutzbedürftige Grenzdistrikte schied. Wenn die ausgedehnte Küste Syriens und die westlichen Landschaften überhaupt feindlichen Angriffen nicht ausgesetzt waren und die Deckung an der Wüstengrenze gegen die schweifenden Beduinen den arabischen und den jüdischen Fürsten und späterhin den Truppen der Provinz Arabien, auch den Palmyrenern mehr oblag als den syrischen Legionen, so erforderte, namentlich bevor Mesopotamien römisch ward, die Euphratgrenze eine ähnliche Bewachung gegen die Parther wie der Rhein gegen die Germanen. Aber wenn die syrischen Legionen an der Grenze zur Verwendung kamen, so konnte man doch auch in dem westlichen Syrien ihrer nicht entraten. Die Rheintruppen waren allerdings auch der Gallier wegen da; dennoch durften die Römer mit berechtigtem Stolz sagen, daß für die große Hauptstadt Galliens und die drei gallischen Provinzen eine unmittelbare Besatzung von 1200 Mann ausreiche. Aber für die syrische Bevölkerung und insbesondere für die Hauptstadt des römischen Asiens genügte es nicht, die Legionen am Euphrat aufzustellen. Nicht bloß am Saum der Wüste, sondern auch in den Schlupfwinkeln der Gebirge hausten in der Nachbarschaft der reichen Äcker und der großen Städte, nicht in dem Grade wie heutzutage, aber doch auch damals stetig, verwegene Räuberbanden und plünderten, oft als Kaufleute oder Soldaten verkleidet, die Landhäuser und die Dörfer. Aber auch die Städte selbst, vor allem Antiocheia, verlangten, wie Alexandreia, eigene Besatzung. Ohne Zweifel ist dies der Grund gewesen, weshalb eine Teilung in Zivil- und Militärbezirke, wie sie für Gallien schon Augustus verfügte, in Syrien niemals auch nur versucht worden ist, und weshalb die großen auf sich selbst stehenden Lageransiedlungen, aus denen zum Beispiel Mainz am Rhein, Leon in Spanien, Chester in England hervorgegangen sind, im römischen Orient gänzlich fehlen. Ohne Zweifel aber ist dies auch der Grund, weshalb die syrische Armee in Zucht und Geist so sehr zurückstand gegen die der Westprovinzen; weshalb die stramme Disziplin, wie sie in den militärischen Standlagern des Okzidents gehandhabt ward, in den städtischen Kantonnements des Ostens nie Fuß fassen konnte. Wo der stehenden Truppe neben ihrer nächsten Bestimmung noch die Aufgabe der Polizei zufällt, wirkt dies an sich demoralisierend, und nur zu oft wird, wo sie unruhige städtische Massen in Zucht halten soll, vielmehr ihre eigene Disziplin dadurch untergraben. Die früher geschilderten syrischen Kriege liefern dazu den unerfreulichen Kommentar; keiner derselben fand eine kriegsfähige Armee vor, und regelmäßig bedurfte es erst herangezogener okzidentalischer Truppen, um dem Kampfe die Wendung zu geben.
Syrien im engeren Sinne und seine Nebenländer, das ebene Kilikien und Phönike haben unter den römischen Kaisern eine Geschichte im eigentlichen Sinne nicht gehabt. Die Bewohner dieser Landschaften gehören dem gleichen Stamme an wie die Bewohner Judäas und Arabiens, und die Stammväter der Syrer und der Phöniker haben in ferner Zeit an einem Orte gesessen mit denen der Juden und der Araber und eine Sprache geredet. Aber wenn die letzteren an ihrer Eigenart und an ihrer Sprache festgehalten haben, so haben die Syrer und die Phöniker sich hellenisiert, schon bevor sie unter römische Herrschaft gelangten. Es vollzog sich diese Hellenisierung durchgängig in der Bildung von hellenischen Politien. Den Grund dazu hatte freilich die einheimische Entwicklung gelegt, namentlich an der phönikischen Küste die alten und großen Kaufstädte. Aber vor allem hat die Staatenbildung Alexanders und der Alexandriden, eben wie die der römischen Republik, zu ihrem Fundament nicht den Stamm, sondern die Stadtgemeinde; nicht das altmakedonische Erbfürstentum, sondern die griechische Politie hat Alexander in den Osten getragen, und nicht aus Stämmen, sondern aus Städten gedachte er und gedachten die Römer ihr Reich zusammenzusetzen. Der Begriff der autonomen Bürgerschaft ist ein dehnbarer und die Autonomie Athens und Thebens eine andere als die der makedonischen und der syrischen Stadt, eben wie im römischen Kreis die Autonomie des freien Capua einen anderen Inhalt hatte als die der latinischen Pflanzstädte der Republik oder gar der Stadtgemeinden des Kaiserreichs; aber der Grundgedanke ist überall das sich selbst verwaltende, in seinem Mauerring souveräne Bürgertum. Nach dem Sturz des Perserreichs ist Syrien nebst dem benachbarten Mesopotamien als die militärische Verbindungsbrücke zwischen dem Westen und dem Osten wie kein anderes Land mit makedonischen Ansiedlungen bedeckt worden; die dort in weitester Ausdehnung übernommenen, sonst im ganzen Alexanderreich nirgends also sich wiederfindenden makedonischen Ortsnamen beweisen es, daß hier der Kern der hellenischen Eroberer des Ostens angesiedelt wurde, und daß Syrien für diesen Staat das Neumakedonien werden sollte; wie denn auch, solange das Reich Alexanders eine Zentralregierung behielt, diese dort ihren Sitz gehabt hat. Den syrischen Reichsstädten hatten dann die Wirren der letzten Seleukidenzeit zu größerer Selbständigkeit verholfen. Diese Einrichtungen fanden die Römer vor. Unmittelbar vom Reich verwaltete nicht städtische Distrikte gab es schon nach der von Pompeius vorgenommenen Organisation in Syrien wahrscheinlich gar nicht, und wenn die abhängigen Fürstentümer in der ersten Epoche der römischen Herrschaft einen großen Teil des südlichen Binnenlandes der Provinz umfaßten, so waren diese meist gebirgigen und schwach bewohnten Distrikte doch von untergeordneter Bedeutung. Im ganzen genommen blieb den Römern in Syrien für die Hebung der städtischen Entwicklung nicht viel zu tun übrig, weniger als in Kleinasien. Eigentliche Städtegründung ist daher aus der Kaiserzeit für Syrien kaum zu berichten. Die wenigen Kolonien, welche hier angelegt worden sind, wie unter Augustus Berytus und wahrscheinlich auch Heliupolis, haben keinen anderen Zweck gehabt als die nach Makedonien geführten, nämlich die Unterbringung der Veteranen.
Wie sich die Griechen und die ältere Bevölkerung in Syrien zueinander stellten, läßt sich schon an den örtlichen Benennungen deutlich verfolgen. Landschaften und Städte tragen hier der Mehrzahl nach griechische Namen, großenteils, wie bemerkt, der makedonischen Heimat entlehnte, wie Pieria, Anthemus, Arethusa, Beroea, Chalkis, Edessa, Europos, Kyrrhos, Larisa, Pella, andere benannt nach Alexander oder den Gliedern des seleukidischen Hauses, wie Alexandreia, Antiocheia, Seleukis und Seleukeia, Apameia, Laodikeia, Epiphaneia. Die alten einheimischen Namen behaupten sich wohl daneben, wie Beroea, zuvor aramäisch Chaleb, auch Chalybon, Edessa oder Hierapolis, zuvor Mabog, auch Bambyke, Epiphaneia, zuvor Hamat, auch Amathe genannt wird. Aber meistens traten die älteren Benennungen vor den fremden zurück, und nur wenige Landschaften und größere Orte, wie Kommagene, Samosata, Hemesa, Damaskos, entbehren neu geschöpfter griechischer Namen. Das östliche Kilikien hat wenig makedonische Gründungen aufzuweisen; aber die Hauptstadt Tarsos hat sich früh und vollständig hellenisiert und ist lange vor der römischen Zeit eines der Zentren der hellenischen Bildung geworden. Etwas anders ist es in Phönike: die altberühmten Kaufstädte Arados, Byblos, Berytos, Sidon, Tyros haben die einheimischen Namen nicht eigentlich abgelegt; aber wie auch hier das Griechische die Oberhand gewann, zeigt die hellenisierende Umbildung eben dieser Namen, und noch deutlicher, daß Neu-Arados uns nur unter dem griechischen Namen Antarados bekannt ist, ebenso die von den Tyriern, den Sidoniern und den Aradiern gemeinschaftlich an dieser Küste gegründete neue Stadt nur unter dem Namen Tripolis, und beide ihre heutigen Benennungen Tartus und Tarabulus aus den griechischen entwickelt haben. Schon in der Seleukidenzeit tragen die Münzen im eigentlichen Syrien ausschließlich, die der phönikischen Städte weit überwiegend griechische Aufschrift; und von Anfang der Kaiserzeit an steht die Alleinherrschaft des Griechischen hier fest. – Nur die nicht bloß durch weite Wüstenstrecken geschiedene, sondern auch eine gewisse politische Selbständigkeit bewahrende Oase Palmyra macht, wie wir sahen, hierin eine Ausnahme. Aber in dem Verkehr blieben die einheimischen Idiome. In den Bergen des Libanons und des Antilibanons, wo auch in Hemesa (Homs), Chalkis, Abila (beide zwischen Berytus und Damaskos) kleine Fürstentümer einheimischen Ursprungs bis gegen das Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. schalteten, hat die einheimische Sprache in der Kaiserzeit wahrscheinlich die Alleinherrschaft gehabt, wie denn in den schwer zugänglichen Gebirgen der Drusen die Sprache Arams erst in neuerer Zeit dem Arabischen gewichen ist. Aber vor zwei Jahrtausenden war dieselbe in der Tat in ganz Syrien die Sprache des Volkes. Daß bei den doppelnamigen Städten im gewöhnlichen Leben die syrische Benennung ebenso überwog wie in der Literatur die griechische, zeigt sich darin, daß heute Beroea-Chalybon Haleb (Aleppo), Epiphaneia-Amathe Hama, Hierapolis-Bambyke-Mabog Membidj, Tyros mit seinem phönikischen Namen Sur genannt wird; daß die uns aus den Urkunden und den Schriftstellern nur als Heliupolis bekannte syrische Stadt ihren uralten einheimischen Namen Baalbek noch heute führt, überhaupt allgemein die heutigen Ortsnamen nicht aus den griechischen, sondern aus den aramäischen hervorgegangen sind. – Ebenso zeigt der Kultus das Fortleben des syrischen Volkstumes. Die Syrer von Beroea bringen ihre Weihgeschenke mit griechischer Aufschrift dem Zeus Malbachos, die von Apameia dem Zeus Belos, die von Berytus als römische Bürger dem Jupiter Balmarcodes, alles Gottheiten, an denen weder Zeus noch Jupiter wirklichen Teil hatten. Jener Zeus Belos ist kein anderer als der in Palmyra in syrischer Sprache verehrte Malach Belos. Wie lebendig die heimische Götterverehrung in Syrien gewesen und geblieben ist, dafür legt das deutlichste Zeugnis ab, daß die Dame von Hemesa, die durch ihre Verschwägerung mit dem severischen Hause für ihren Tochtersohn im Anfang des 3. Jahrhunderts die Kaiserwürde erlangte, nicht damit zufrieden, daß der Knabe Oberpontifex des römischen Volkes hieß, ihn auch anhielt, sich den Oberpriester des heimischen Sonnengottes Elagabalus vor allen Römern zu titulieren. Die Römer mochten die Syrer besiegen; aber die römischen Götter haben in ihrer eigenen Heimat vor den syrischen das Feld geräumt. – Nicht minder sind die zahlreichen auf uns gekommenen syrischen Eigennamen überwiegend ungriechisch und Doppelnamen nicht selten; der Messias heißt auch Christos, der Apostel Thomas auch Didymos, die von Petrus wiedererweckte Frau aus Ioppe das »Reh«, Tabitha oder Dorkas. Aber für die Literatur und vermutlich auch für den Geschäftsverkehr und den Verkehr der Gebildeten war das syrische Idiom so wenig vorhanden wie im Westen das keltische; in diesen Kreisen herrschte ausschließlich das Griechische, abgesehen von dem auch im Osten für das Militär geforderten Latein. Ein Literat aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts, den der früher erwähnte König von Armenien Sohämos an seinen Hof zog, hat in einen Roman, der in Babylon spielt, einiges über seine eigene Lebensgeschichte eingelegt, das diese Verhältnisse erläutert. Er sei, sagt er, ein Syrer, aber nicht von den eingewanderten Griechen, sondern von Vater- und Mutterseite einheimischer Abkunft, Syrer nach Sprache und Sitte, auch babylonischer Sprache und persischer Magie kundig. Aber eben dieser, das hellenische Wesen in gewissem Sinne ablehnende Mann fügt hinzu, daß er hellenische Bildung sich angeeignet habe und ist ein angesehener Jugendlehrer in Syrien und ein namhafter Romanschriftsteller der späteren griechischen Literatur geworden. – Wenn späterhin das syrische Idiom wieder zur Schriftsprache geworden ist und eine eigene Literatur entwickelt hat, so ist dies nicht auf eine Ermannung des Nationalgefühls zurückzuführen, sondern auf das unmittelbare Bedürfnis der christlichen Propaganda; jene syrische Literatur, ausgegangen von der Übersetzung der christlichen Bekenntnisschriften in das Syrische, blieb gebannt in den Kreis der spezifischen Bildung des christlichen Klerus und nahm daher von der allgemeinen hellenischen Bildung nur den kleinen Bruchteil auf, den die Theologen jener Zeit ihren Zwecken zuträglich oder doch damit verträglich fanden; ein höheres Ziel als die Übertragung der griechischen Klosterbibliothek auf die Maronitenklöster hat diese Schriftstellerei nicht erreicht und wohl auch nicht erstrebt. Sie reicht auch schwerlich weiter zurück als in das 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung und hat ihren Mittelpunkt nicht in Syrien, sondern in Mesopotamien, namentlich in Edessa, wo wahrscheinlich, anders als in dem älteren römischen Gebiet, sich die Anfänge einer vorchristlichen Literatur in der Landessprache entwickelt hatten.
Unter den mannigfaltigen Bastardformen, welche der Hellenismus in seiner zugleich zivilisierenden und degenerierenden Propaganda angenommen hat, ist die syrohellenische wohl diejenige, in welcher die beiden Elemente am meisten im Gleichgewicht standen, vielleicht aber zugleich diejenige, die die Gesamtentwicklung des Reiches am entschiedensten beeinflußt hat. Die Syrer empfingen wohl die griechische Städteordnung und eigneten sich hellenische Sprache und Sitte an; dennoch hörten sie nie auf, sich als Orientalen zu fühlen, oder vielmehr als Träger einer doppelten Zivilisation. Nirgends vielleicht ist dies schärfer ausgesprochen als in dem kolossalen Grabtempel, welchen im ersten Anfang der Kaiserzeit König Antiochos von Kommagene sich auf einem einsamen Berggipfel unweit des Euphrat errichtet hat. Er nennt in der ausführlichen Grabschrift sich einen Perser; im persischen Gewande, wie das Herkommen seines Geschlechts es erheischt, soll der Priester des Heiligtums ihm die Gedächtnisopfer darbringen; aber wie die Perser nennt er auch die Hellenen die gesegneten Wurzeln seines Geschlechts und fleht den Segen aller Götter der Persis wie der Maketis, das heißt des persischen wie des makedonischen Landes, auf seine Nachkommen herab. Denn er ist der Sohn eines einheimischen Königs vom Geschlecht der Achämeniden und einer griechischen Fürstentochter aus dem Hause des Seleukos, und dementsprechend schmückten das Grabmal in langer Doppelreihe die Abbilder einerseits seiner väterlichen Ahnen bis auf den ersten Dareios, andererseits seiner mütterlichen bis zu dem Marschall Alexanders. Die Götter aber, die er verehrt, sind zugleich persisch und griechisch, Zeus Oromasdes, Apollon Mithras Helios Hermes, Artagnes Herakles Ares, und dieses letzteren Bild zum Beispiel trägt die Keule des griechischen Heros und zugleich die persische Tiara. Dieser persische Fürst, der zugleich sich einen Freund der Hellenen und als loyaler Untertan des Kaisers einen Freund der Römer nennt, wie nicht minder jener von Marcus und Lucius auf den Thron von Armenien berufene Achämenide Sohämos sind rechte Vertreter der einheimischen die persischen Erinnerungen und die römisch-hellenische Gegenwart gleichmäßig im Sinne tragenden Aristokratie des kaiserlichen Syriens. Aus solchen Kreisen ist des persische Mithraskult in den Okzident gelangt. Aber die Bevölkerung, welche zugleich unter diesem persischen oder sich persisch nennenden Großadel und unter dem Regiment der makedonischen und später der italischen Herren stand, war in Syrien wie in Mesopotamien und in Babylonien aramäisch; sie erinnert vielfach an die heutigen Rumänen gegenüber den vornehmen Sachsen und Magyaren. Sicher waren sie das verderbteste und das verderbendste Element in dem römisch-hellenischen Völkerkonglomerat. Von dem sogenannten Caracalla, der als Sohn eines afrikanischen Vaters und einer syrischen Mutter in Lyon geboren war, wird gesagt, daß er die Laster dreier Stämme in sich vereinigt habe, die gallische Leichtfertigkeit, die afrikanische Wildheit und die syrische Spitzbüberei.
Diese Durchdringung des Orients und des Hellenismus, die nirgends so vollständig wie in Syrien sich vollzogen hat, tritt uns überwiegend in der Gestalt entgegen, daß in der Mischung das Gute und Edle zugrunde geht. Indes ist dies nicht überall der Fall; die spätere Entwicklung der Religion wie der Spekulation, das Christentum und der Neuplatonismus sind aus der gleichen Paarung hervorgegangen; wenn mit jenem der Osten in den Westen dringt, so ist dieser die Umgestaltung der okzidentalischen Philosophie im Sinn und Geist des Ostens, eine Schöpfung zunächst des Ägyptiers Plotinos (204 bis 270) und seines bedeutendsten Schülers, des Tyriers Malchos oder Porphyrios (233 bis nach 300), und dann vorzugsweise in den Städten Sariens gepflegt. Beide welthistorischen Bildungen zu erörtern ist hier nicht der Platz; vergessen aber dürfen sie auch bei der Würdigung der syrischen Verhältnisse nicht werden.
Die syrische Art findet ihren eminenten Ausdruck in der Hauptstadt des Landes und vor Konstantinopels Gründung des römischen Ostens überhaupt, der Volkszahl nach in dieser Epoche nur hinter Rom und Alexandreia und etwa noch dem babylonischen Seleukeia zurückstehend, Antiocheia, bei welchem es erforderlich scheint, einen Augenblick zu verweilen. Die Stadt, eine der jüngsten Syriens und heutzutage von geringer Bedeutung, ist nicht durch die natürlichen Verkehrsverhältnisse Großstadt geworden, sondern eine Schöpfung monarchischer Politik. Die makedonischen Eroberer haben sie ins Leben gerufen zunächst aus militärischen Rücksichten, als geeignete Zentralstelle für eine Herrschaft, die zugleich Kleinasien, das Euphratgebiet und Ägypten umspannte und auch dem Mittelmeer nahe sein wollte. Das gleiche Ziel und die verschiedenen Wege der Seleukiden und der Lagiden finden ihren treuen Ausdruck in der Gleichartigkeit und dem Gegensatz von Antiocheia und Alexandreia; wie dieses für die Seemacht und die maritime Politik der ägyptischen Herrscher, so ist Antiocheia der Mittelpunkt für die kontinentale Orientmonarchie der Herrscher Asiens. Zu verschiedenen Malen haben die späteren Seleukiden hier große Neugründungen vorgenommen, so daß die Stadt, als sie römisch wurde, aus vier selbständigen und ummauerten Bezirken bestand, die wieder alle eine gemeinsame Mauer einschloß. Auch an Einwanderern aus der Ferne fehlte es nicht. Als das eigentliche Griechenland unter die Herrschaft der Römer geriet und Antiochos der Große vergeblich versucht hatte, diese dort zu verdrängen, gewährte er wenigstens den auswandernden Euböern und Ätolern in seiner Residenz eine Freistatt. Wie in der Hauptstadt Ägyptens ist auch in derjenigen Syriens den Juden ein gewissermaßen selbständiges Gemeinwesen und eine privilegierte Stellung eingeräumt worden, und ihre Stellung als Zentren der jüdischen Diaspora ist nicht das schwächste Element in der Entwicklung beider Städte geworden. Einmal zur Residenz und zum Sitz der obersten Verwaltung eines großen Reiches gemacht, blieb Antiocheia auch in römischer Zeit die Hauptstadt der asiatischen Provinzen Roms. Hier residierten die Kaiser, wenn sie im Orient verweilten, und regelmäßig der Statthalter von Syrien; hier wurde die Reichsmünze für den Osten geschlagen und hier vornehmlich, daneben in Damaskus und in Edessa, befanden sich die Reichswaffenfabriken. Freilich hatte die Stadt für das Römerreich ihre militärische Bedeutung verloren, und unter den veränderten Verhältnissen wurde die schlechte Verbindung mit dem Meer als ein großer Übelstand empfunden, nicht so sehr wegen der Entfernung als weil der Hafen, die zugleich mit Antiocheia angelegte Stadt Seleukeia, für den großen Verkehr wenig geeignet war. Ungeheure Summen haben die römischen Kaiser von den Flaviern an bis auf Constantius aufgewandt, um in die diese Örtlichkeit umgebenden Felsenmassen die erforderlichen Docks mit den Zuzugskanälen zu brechen und genügende Molen herzustellen; aber die Kunst der Ingenieure, welcher an der Mündung des Nil die höchsten Würfe glücklich gelangen, rang in Syrien vergeblich mit den unüberwindlichen Schwierigkeiten des Terrains. Selbstverständlich hat die größte Stadt Syriens an der Fabrikation und dem Handel dieser Provinz, wovon noch weiter die Rede sein wird, sich lebhaft beteiligt; dennoch war sie mehr ein Sitz der Verzehrenden als der Erwerbenden. Im ganzen Altertum gab es keine Stadt, in welcher das Genießen des Lebens so sehr die Hauptsache und dessen Pflichten so beiläufig waren wie in »Antiocheia bei Daphne«, wie die Stadt bezeichnend genannt wird, etwa wie wenn wir sagen würden »Wien beim Prater«. Denn Daphne ist der Lustgarten, eine deutsche Meile von der Stadt, von zwei Meilen im Umkreis, berühmt durch seine Lorbeerbäume, wonach er heißt, durch seine alten Zypressen, die noch die christlichen Kaiser zu schonen befahlen, seine fließenden und springenden Wasser, seinen glänzenden Apollotempel und die prachtvolle vielbesuchte Festfeier des 10. August. Die ganze Umgegend der Stadt, die zwischen zwei bewaldeten Bergzügen in dem Tale des wasserreichen Orontes, drei deutsche Meilen aufwärts von der Mündung desselben liegt, ist noch heute trotz aller Vernachlässigung ein blühender Garten und einer der anmutigsten Flecke der Erde. Der Stadt selbst tat es an Pracht und Glanz der öffentlichen Anlagen im ganzen Reiche keine zuvor. Die Hauptstraße, welche in der Ausdehnung von 36 Stadien, nahezu einer deutschen Meile, mit einer bedeckten Säulenhalle zu beiden Seiten und in der Mitte einem breiten Fahrweg, die Stadt in gerader Richtung längs des Flusses durchschnitt, ist in vielen antiken Städten nachgeahmt worden, aber hat ihresgleichen nicht einmal in dem kaiserlichen Rom. Wie in jedem guten Hause in Antiocheia das Wasser lief, so wandelte man in jenen Hallen durch die ganze Stadt zu allen Jahrzeiten geschützt vor Regen wie vor Sonnenglut, auch des Abends in erleuchteten Straßen, was sonst von keiner Stadt des Altertums berichtet wird. Aber in diesem üppigen Treiben fanden die Musen sich nicht zurecht; der Ernst der Wissenschaft und die nicht minder ernste Kunst haben in Syrien und namentlich in Antiocheia niemals rechte Pflege gefunden. Wie vollkommen analog Ägypten und Syrien sonst sich entwickelt hatten, so scharf war ihr Gegensatz in literarischer Hinsicht: diesen Teil der Erbschaft des großen Alexanders traten die Lagiden allein an. Pflegten sie die hellenische Literatur und förderten wissenschaftliche Forschung in aristotelischem Sinne und Geist, so haben die besseren Seleukiden wohl durch ihre politische Stellung den Griechen den Orient erschlossen – Seleukos I. Sendung des Megasthenes nach Indien an König Tschandragupta und die Erkundung des Kaspischen Meeres durch seinen Zeitgenossen, den Admiral Patrokles, haben in dieser Hinsicht Epoche gemacht; aber von unmittelbarem Eingreifen in die literarischen Interessen von Seiten der Seleukiden weiß die Geschichte der griechischen Literatur nichts weiter zu melden, als daß Antiochos der sogenannte Große den Dichter Euphorion zu seinem Bibliothekar gemacht hat. Vielleicht darf die Geschichte der lateinischen Literatur für Berytus, die lateinische Insel im Meer des orientalischen Hellenismus, den Ernst wissenschaftlicher Arbeit in Anspruch nehmen. Es ist vielleicht kein Zufall, daß die Reaktion gegen die literarisch modernisierende Tendenz der julisch-claudischen Epoche und die Zurückführung der Sprache und der Schriften der republikanischen Zeit in die Schule wie in die Literatur ausgegangen ist von einem dem Mittelstand angehörigen Berytier, dem Marcus Valerius Probus, welcher in den zurückgebliebenen Schulen seiner entlegenen Heimat noch an den alten Klassikern sich gebildet hatte und dann in energischer, mehr kritisch schriftstellerischer als eigentlich lehrender Tätigkeit für den Klassizismus der späteren Kaiserzeit den Grund legte. Dasselbe Berytos ist später der Sitz des Studiums der für die Beamtenlaufbahn erforderlichen Rechtswissenschaft für den ganzen Osten geworden und die ganze Kaiserzeit hindurch geblieben. In der hellenischen Literatur sind freilich die Poesie des Epigramms und der Witz des Feuilletons in Syrien zu Hause; mehrere der namhaftesten griechischen Kleindichter, wie Meleagros und Philodemos von Gadara und Antipatros von Sidon, sind Syrer und in sinnlichem Reiz wie in raffinierter Verskunst unübertroffen; und der Vater der Feuilletonliteratur ist Menippos von Gadara. Aber diese Leistungen liegen meistens vor und zum Teil beträchtlich vor der Kaiserzeit. In der griechischen Literatur dieser Epoche ist keine Landschaft so geringfügig vertreten wie die syrische, und Zufall ist dies schwerlich, wenngleich bei der universalen Stellung des Hellenismus in der Kaiserzeit auf die Heimat der einzelnen Schriftsteller nicht allzuviel Gewicht gelegt werden darf. Dagegen hatte die in dieser Epoche um sich greifende untergeordnete Schriftstellerei, die gedanken- und formlosen Liebes-, Räuber-, Piraten-, Kuppler-, Wahrsager- und Traumgeschichten und die Fabelreisen wahrscheinlich eben hier ihren Hauptsitz. Unter den Kollegen des schon genannten Iamblichos, Verfassers der babylonischen Geschichte, werden die Landsleute desselben zahlreich gewesen sein; die Berührung dieser griechischen Literatur mit der gleichartigen orientalischen ist wohl ohne Zweifel durch die Syrer vermittelt worden. Das Lügen brauchten die Griechen freilich nicht von den Orientalen zu lernen; aber die nicht mehr plastische, sondern phantastische Fabulierung ihrer späteren Zeit ist aus Scheherazades Füllhorn, nicht aus dem Scherz der Chariten erwachsen. Vielleicht nicht zufällig macht die Satire dieser Zeit, indem sie den Homer als den Vater der Lügenreisen betrachtet, denselben zu einem Babylonier mit eigentlichem Namen Tigranes. Abgesehen von dieser Unterhaltungslektüre, deren auch die sich einigermaßen schämten, die damit schreibend oder lesend die Zeit verdarben, ist aus diesen Gegenden kaum ein anderer hervorragender Name zu nennen als der Zeitgenosse jenes Iamblichos, der Kommagener Lukianos. Auch er hat nichts geschrieben als in Nachahmung des Menippos Essays und Feuilletons, recht nach syrischer Art, witzig und lustig in der persönlichen Persiflage, aber wo diese zu Ende ist, unfähig die ernste Wahrheit lachend zu sagen oder gar die Plastik der Komik zu handhaben. Diesem Volke galt nur der Tag. Keine griechische Landschaft hat so wenig Denksteine aufzuweisen wie Syrien; das große Antiocheia, die dritte Stadt des Reiches hat, um von dem Lande der Hieroglyphen und der Obelisken nicht zu reden, weniger Inschriften hinterlassen als manches kleine afrikanische oder arabische Dorf. Mit Ausnahme des Rhetors Libanios aus der Zeit Julians, welcher auch mehr bekannt ist als bedeutend, hat diese Stadt der Literatur keinen einzigen Schriftstellernamen geliefert. Nicht mit Unrecht nannte der tyanitische Messias des Heidentums oder sein für ihn redender Apostel die Antiochener ein ungebildetes und halb barbarisches Volk und meinte, daß Apollon wohltun werde, sie auch wie ihre Daphne zu verwandeln; denn in Antiocheia verständen wohl die Zypressen zu flüstern, aber nicht die Menschen zu reden. In dem künstlerischen Kreis hat Antiocheia eine führende Stellung nur gehabt in betreff des Theaters und der Spiele überhaupt. Die Vorstellungen, welche das antiochenische Publikum fesselten, waren, nach der Sitte dieser Zeit, weniger eigentlich dramatische als rauschende Musikaufführungen, Ballette, Tierhetzen und Fechterspiele. Das Klatschen oder Zischen dieses Publikums entschied den Ruf des Tänzers im ganzen Reich. Die Jockeys und die sonstigen Zirkus- und Theaterhelden kamen vorzugsweise aus Syrien. Die Ballettänzer und die Musiker sowie die Gaukler und Possenreißer, welche Lucius Verus von der – seinerseits in Antiocheia abgemachten – orientalischen Kampagne nach Rom zurückbrachte, haben in der Geschichte des italischen Schauspielwesens Epoche gemacht. Mit welcher Leidenschaft das Publikum in Antiocheia diesem Vergnügen sich hingab, dafür ist charakteristisch, daß der Überlieferung nach die schwerste Katastrophe, welche in dieser Periode über Antiocheia gekommen ist, die Einnahme durch die Perser im J. 260, die Bürger der Stadt im Theater überraschte und von der Höhe des Berges, an welchen dasselbe angelehnt war, die Pfeile in die Reihen der Zuschauer flogen. In Gaza, der südlichsten Stadt Syriens, wo das Heidentum an dem berühmten Marnas-Tempel eine feste Burg besaß, liefen am Ende des 4. Jahrhunderts bei den Rennspielen die Pferde eines eifrigen Heiden und eines eifrigen Christen, und als dabei »Christus den Marnas schlug«, da, erzählt der heilige Hieronymus, ließen zahlreiche Heiden sich taufen.
In Zügellosigkeit der Sitte wetteiferten zwar die Großstädte des römischen Reiches alle; aber der Preis gebührt hierin wahrscheinlich Antiocheia. Der ehrbare Römer, den der derbe Sittenmaler der traianischen Zeit schildert, wie er seiner Heimat den Rücken wendet, weil sie eine Griechenstadt geworden, setzt hinzu, daß von dem Unrat die Achäer der geringste Teil seien; längst habe der syrische Orontes sich in den Tiberfluß ergossen und seine Sprache und seine Art, seine Musikanten, Harfenistinnen, Triangelschlägerinnen und die Scharen seiner Freudenmädchen über Rom ergossen. Von der syrischen Flötistin, der Ambubaia, sprachen die Römer Augusts wie wir von der Pariser Kokotte. In den syrischen Städten, sagt schon in der letzten Zeit der römischen Republik Poseidonios, ein bedeutender selbst in dem syrischen Apameia heimischer Schriftsteller, haben die Bürger der harten Arbeit sich entwöhnt; man denkt dort nur an Schmausen und Zechen und alle Reunionen und Kränzchen dienen diesem Zweck; an der königlichen Tafel wird jedem Gast ein Kranz aufgesetzt und dieser dann mit babylonischen Parfüms besprengt; Flötenspiel und Harfenschlagen schallt durch die Gassen; die Turnanstalten sind in Warmbäder verwandelt – mit letzterem ist die wahrscheinlich in Syrien zuerst aufgekommene und späterhin allgemein gewordene Einrichtung der sogenannten Thermen gemeint, die im wesentlichen eine Verbindung von Turn- und Warmbadanstalten waren. Vierhundert Jahre später ging es in Antiocheia nicht anders zu. Nicht so sehr um des Kaisers Bart entspann sich der Zank zwischen Julian und diesen Städtern, sondern weil er in dieser Stadt der Kneipen, die, wie er sich ausdrückt, nichts im Sinne habe als Tanzen und Trinken, den Wirten die Preise regulierte. Von dieser wüsten und sinnlichen Wirtschaft ist auch und vor allem das religiöse Wesen der syrischen Landschaft durchdrungen. Der Kultus der syrischen Götter war oft eine Sukkursale des syrischen Bordells.
Es würde ungerecht sein, die römische Regierung für diese syrischen Zustände verantwortlich zu machen; sie sind dieselben unter dem Diadochenregiment gewesen und auf die Römer nur vererbt. Aber in der Geschichte dieser Zeit ist das syro-hellenische Element ein wesentlicher Faktor, und obwohl sein indirekter Einfluß bei weitem mehr ins Gewicht fällt, hat dasselbe doch auch mehrfach unmittelbar in der Politik sich bemerklich gemacht. Von eigentlicher politischer Parteiung kann bei den Antiochenern dieser und jeder Zeit noch weniger die Rede sein als bei den Bürgerschaften der rührigen Großstädte des Reiches; aber im Mokieren und Räsonieren haben sie es allem Anschein nach allen übrigen, selbst den auch hierin mit ihnen wetteifernden Alexandrinern zuvorgetan. Revolution gemacht haben sie nie, aber jeden Prätendenten, den die syrische Armee aufstellte, bereitwillig und ernstlich unterstützt, den Vespasianus gegen Vitellius, den Cassius gegen Marcus, den Niger gegen Severus, immer bereit, wo sie Rückhalt zu haben meinten, der bestehenden Regierung den Gehorsam aufzukündigen. Das einzige Talent, das ihnen unwidersprochen zukommt, die Meisterschaft des Spottens, übten sie nicht bloß gegen die Schauspieler ihrer Bühne, sondern nicht minder gegen die in der Residenz des Orients verweilenden Herrscher, und der Spott war ganz der gleiche gegen den Akteur wie gegen den Kaiser: er galt der persönlichen Erscheinung und den individuellen Eigentümlichkeiten, gleich als ob ihr Landesherr auch nur da sei, um sie mit seiner Rolle zu amüsieren. So bestand zwischen dem Publikum von Antiocheia und den Herrschern, namentlich denjenigen, die längere Zeit daselbst verweilten, Hadrian, Verus, Marcus, Severus, Julian, sozusagen ein dauernder Hohnkrieg, aus welchem ein Aktenstück, die Replik des letztgenannten Kaisers gegen die antiochenischen »Bartspötter« noch heute erhalten ist. Wenn dieser kaiserliche Literat den Spottreden mit Spottschriften begegnete, so haben zu anderen Zeiten die Antiochener ihre schlimmen Reden und ihre übrigen Sünden schwerer zu büßen gehabt. So entzog ihnen Hadrian das Recht der Silberprägung, Marcus das Versammlungsrecht und schloß auf einige Zeit das Theater. Severus nahm sogar der Stadt den Primat von Syrien und übertrug diesen auf das in stetem Nachbarkrieg mit der Hauptstadt stehende Laodikeia; und wenn diese beiden Anordnungen bald wieder zurückgenommen wurden, so ist die Teilung der Provinz, welche bereits Hadrian angedroht hatte, unter Severus, wie schon gesagt ward, zur Ausführung gekommen, und nicht zum wenigsten deswegen, weil die Regierung die unbotmäßige Großstadt demütigen wollte. Selbst den schließlichen Untergang hat diese Stadt sich herangespottet. Als im J. 540 der Perserkönig Chosroes Nuschirwan vor den Mauern Antiocheias erschien, wurde er von den Zinnen derselben nicht bloß mit Pfeilschüssen empfangen, sondern mit den üblichen unflätigen Spottrufen; und dadurch gereizt erstürmte der König nicht bloß die Stadt, sondern führte auch ihre Einwohner hinweg in das von ihm unweit Ktesiphon angelegte Neu-Antiocheia.
Die glänzende Seite der syrischen Zustände ist die ökonomische; in Fabrikation und Handel nimmt Syrien neben Ägypten unter den Provinzen des römischen Kaiserreichs den ersten Platz ein und behauptet in gewisser Beziehung auch vor Ägypten den Vorrang. Die Bodenkultur gedieh unter dem dauernden Friedensstand und unter der einsichtigen, namentlich auf Hebung der Bewässerung gerichteten Verwaltung in einem Umfang, der die heutige Zivilisation beschämt. Freilich sind manche Teile Syriens noch heute von üppigster Fülle; das Tal des unteren Orontes, den reichen Garten um Tripolis mit seinen Palmengruppen, Orangenhainen, Granat- und Jasmingebüschen, die fruchtbare Küstenebene nord- und südwärts von Gaza haben weder die Beduinen noch die Paschas bis jetzt vermocht zu veröden. Aber ihr Werk ist dennoch nicht gering anzuschlagen. Apameia im mittleren Tal des Orontes, jetzt eine Felsenwildnis ohne Fluren und Bäume, wo die dürftigen Herden auf den spärlichen Weideplätzen von den Räubern des Gebirges dezimiert werden, ist weit und breit mit Ruinen besät, und es ist urkundlich bezeugt, daß unter dem Statthalter Syriens Quirinius, demselben, den die Evangelien nennen, diese Stadt mit Einschluß des Gebiets 117 000 freie Einwohner gezählt hat. Ohne Frage ist einst das ganze Tal des wasserreichen Orontes – schon bei Hemesa ist er 30 bis 40 m breit und 1½ bis 3 m tief – eine große Kulturstätte gewesen. Aber auch von den Strichen, die jetzt völlige Wüste sind und wo dem heutigen Reisenden das Leben und Gedeihen des Menschen unmöglich scheint, war ein beträchtlicher Teil ehemals das Arbeitsfeld rühriger Arme. Östlich von Hemesa, wo jetzt kein grünes Blatt und kein Tropfen Wasser ist, haben sich massenweise die schweren Basaltplatten ehemaliger Ölpressen gefunden. Während heute nur in den quelligen Tälern des Libanons spärliche Oliven wachsen, müssen einst die Ölwälder weit über das Orontestal hinausgegangen sein. Wer jetzt von Hemesa nach Palmyra reist, führt das Wasser auf dem Rücken der Kamele mit sich, und diese ganze Wegstrecke ist bedeckt mit den Resten einstmaliger Villen und Dörfer. Den Marsch Aurelians auf dieser Strecke vermöchte jetzt keine Armee zu unternehmen. Von dem, was heutzutage Wüste heißt, ist ein guter Teil vielmehr Verwüstung der gesegneten Arbeit besserer Zeiten. »Ganz Syrien«, sagt eine Erdbeschreibung aus der Mitte des 4. Jahrhunderts, »hat Überfluß an Getreide, Wein und Öl«. Aber ein eigentliches Exportland für die Bodenfrüchte, wie Ägypten und Afrika, ist Syrien auch im Altertum nicht gewesen, wenn auch die edlen Weine, zum Beispiel der von Damaskos, nach Persien, die von Laodikeia, Askalon, Gaza nach Ägypten und von da aus bis nach Äthiopien und Indien versandt wurden und auch die Römer den Wein von Byblos, von Tyros, von Gaza zu schätzen wußten.
Weit mehr ins Gewicht fielen für die allgemeine Stellung der Provinz die syrischen Fabriken. Eine Reihe von Industrien, die eben für den Export in Betracht kommen, sind hier heimisch, insbesondere von Leinen, von Purpur, von Seide, von Glas. Die Flachsweberei, von alters her in Babylonien zu Hause, ist von da früh nach Syrien verpflanzt worden; »ihr Leinen«, sagt jene Erdbeschreibung, »versenden Skytopolis (in Palästina), Laodikeia, Byblos, Tyros, Berytos in die ganze Welt«, und in dem Tarifgesetz Diocletians werden dementsprechend als feine Leinenwaren die der drei erstgenannten Städte neben denen des benachbarten Tarsos und ägyptischen aufgeführt, und die syrischen haben vor allen den Vorrang. Daß der Purpur von Tyros, so viele Konkurrenten ihm auch entstanden, stets den ersten Platz behauptet hat, ist bekannt; und neben der tyrischen gab es in Syrien zahlreiche ebenfalls berühmte Purpurfärbereien an der Küste ober- und unterhalb Tyros, in Sarepta, Dora, Käsareia, selbst im Binnenland, in dem palästinensischen Neapolis und in Lydda. Die Rohseide kam in dieser Epoche aus China und vorzugsweise über das Kaspische Meer, also nach Syrien; verarbeitet ward sie hauptsächlich in den Fabriken von Berytos und von Tyros, in welchem letzteren Orte besonders auch die vielgebrauchte und hoch bezahlte Purpurseide hergestellt ward. Die Glasfabriken von Sidon behaupteten in der Kaiserzeit ihren uralten Ruf, und zahlreiche Glasgefäße unserer Museen tragen den Stempel eines sidonischen Fabrikanten. Zu dem Vertrieb dieser Waren, die ihrer Natur nach dem Weltmarkt angehörten, kam weiter die ganze Warenmasse, welche aus dem Orient auf den Euphratstraßen in das Abendland gelangte. Freilich wendete der arabische und der indische Import in dieser Zeit sich von dieser Straße ab und nahm hauptsächlich den Weg über Ägypten; aber nicht bloß der mesopotamische Verkehr blieb notwendig den Syrern, sondern es standen auch die Emporien der Euphratmündung in regelmäßigem Karawanenverkehr mit Palmyra und bedienten sich also der syrischen Häfen. Wie bedeutend dieser Verkehr mit den östlichen Nachbarn war, zeigt nichts so deutlich wie die gleichartige Silberprägung im römischen Orient und im parthischen Babylonien; in den Provinzen Syrien und Kappadokien prägte die römische Regierung Silber abweichend von der Reichswährung auf die Sorten und auf den Fuß des Nachbarreiches. Die syrische Fabrikation selbst, zum Beispiel von Leinen und Seide, ist eben durch den Import der gleichartigen babylonischen Handelsartikel angeregt worden, und wie diese, so sind auch die Leder- und die Pelzwaren, die Salben, die Spezereien, die Sklaven des Orients während der Kaiserzeit zu einem sehr beträchtlichen Teil über Syrien nach Italien und überhaupt dem Westen gekommen. Das aber ist diesen Ursitzen des Handelsverkehrs immer geblieben, daß die sidonischen Männer und ihre Landesgenossen, hierin sehr verschieden von den Ägyptiern, ihre Waren nicht bloß den Ausländern verkauften, sondern sie ihnen selber brachten, und wie die Schiffskapitäne in Syrien einen hervorragenden und geachteten Stand bildeten, so waren syrische Kaufleute und syrische Faktoreien in der Kaiserzeit ungefähr ebenso überall zu finden, wie in den fernen Zeiten, von denen Homer erzählt. Die Tyrier hatten derzeit Faktoreien in den beiden großen Importhäfen Italiens, Ostia und Puteoli, und wie diese selbst in ihren Urkunden ihre Anstalten als die größten und stattlichsten dieser Art bezeichnen, so wird in der öfter angeführten Erdbeschreibung Tyros für Handel und Verkehr der erste Platz des Orients genannt; ebenso hebt Strabon bei Tyros und bei Arados die ungewöhnlich hohen aus vielen Stockwerken bestehenden Häuser als eine Besonderheit hervor. Ähnliche Faktoreien haben auch Berytos und Damaskos und gewiß noch viele andere syrische und phönikische Handelsstädte in den italischen Häfen gehabt. Dementsprechend finden wir namentlich in der späteren Kaiserzeit syrische, vornehmlich apamenische Kaufleute nicht bloß in ganz Italien ansässig, sondern ebenso in allen größeren Emporien des Okzidents, in Salonä in Dalmatien, Apulum in Dazien, Malaka in Spanien, vor allem aber in Gallien und Germanien, zum Beispiel in Bordeaux, Lyon, Paris, Orleans, Trier, so daß wie die Juden so auch diese syrischen Christen nach ihren Gebräuchen leben und in ihren Konventen sich ihres Griechischen bedienen. Nur auf dieser Grundlage werden die früher geschilderten Zustände der Antiochener und der syrischen Städte überhaupt verständlich. Die vornehme Welt daselbst besteht aus den reichen Fabrikanten und Kaufleuten, die Masse der Bevölkerung sind die Arbeiter und die Schiffer, und wie später der im Orient erworbene Reichtum nach Genua und Venedig, so strömte damals der Handelsgewinn des Okzidents zurück nach Tyros und Apameia. Bei dem ausgedehnten Handelsgebiet, welches diesen Großhändlern offen stand, und bei den im ganzen mäßigen Grenz- und Binnenzöllen brachte schon der syrische, einen großen Teil der gewinnbringendsten und transportabelsten Artikel umfassende Export ungeheure Kapitalien in ihre Hände; und ihr Geschäft beschränkte sich nicht auf die heimatlichen Waren. Welches Wohlleben einstmals hier geherrscht hat, das lehren nicht die dürftigen Überbleibsel der untergegangenen großen Städte, aber die mehr verlassene als verwüstete Landschaft am rechten Ufer des Orontes von Apameia an bis zu der Wendung des Flusses gegen das Meer. In diesem Strich von etwa 20 bis 25 deutschen Meilen Länge stehen heute noch die Ruinen von gegen hundert Ortschaften, ganze noch erkennbare Straßen, die Gebäude mit Ausnahme der Dächer ausgeführt in massivem Steinbau, die Wohnhäuser von Säulenhallen umgeben, mit Gallerien und Balkonen geschmückt, Fenster und Portale reich und oft geschmackvoll dekoriert mit Steinarabesken, dazu Garten- und Badeanlagen, Wirtschaftsräume im Erdgeschoß, Ställe, in den Felsen gehauene Wein- und Ölpressen, auch große ebenfalls in den Felsen gehauene Grabkammern mit Sarkophagen gefüllt und mit säulengeschmückten Eingängen. Spuren öffentlichen Lebens begegnen nirgends; es sind die Landwohnungen der Kaufleute und der Industriellen von Apameia und Antiocheia, deren gesicherter Wohlstand und solider Lebensgenuß aus diesen Trümmern spricht. Es gehören diese Ansiedlungen völlig gleichförmigen Charakters durchaus der späten Kaiserzeit an, die ältesten dem Anfang des 4. Jahrhunderts, die spätesten der Mitte des 6., unmittelbar vor dem Ansturm des Islam, dem auch dieses blühende und gedeihliche Leben erlegen ist. Christliche Symbole und biblische Sprüche begegnen überall und ebenso stattliche Kirchen und kirchliche Anlagen. Indes hat diese Kulturentwicklung nicht erst unter Konstantin begonnen, sondern in jenen Jahrhunderten nur sich gesteigert und konsolidiert. Sicher sind jenen Steinbauten ähnliche weniger dauerhafte Villen- und Gartenanlagen voraufgegangen. Die Regeneration des Reichsregiments nach den wüsten Wirren des 3. Jahrhunderts drückt in dem Aufschwung sich aus, den die syrische Kaufmannswelt damals nahm; aber bis zu einem gewissen Grade wird dies uns gebliebene Abbild derselben auch auf die frühere Kaiserzeit bezogen werden dürfen.
Die Verhältnisse der Juden in der römischen Kaiserzeit sind so eigenartig und man möchte sagen so wenig abhängig von der Provinz, die in der früheren Kaiserzeit mit ihrem, in der späteren vielmehr mit dem wiedererweckten Namen der Philistäer oder Palästinenser benannt ward, daß es, wie schon gesagt ward, angemessen erschien, diese in einem besonderen Abschnitt zu behandeln. Das wenige, was über das Land Palästina zu bemerken ist, insbesondere die nicht unbedeutende Beteiligung der Küsten- und zum Teil auch der binnenländischen Städte an der syrischen Industrie und dem syrischen Handel, ist in der darüber gegebenen Auseinandersetzung mit erwähnt worden. Die jüdische Diaspora hatte schon vor der Zerstörung des Tempels sich in einer Weise erweitert, daß Jerusalem, auch als es noch stand, mehr ein Symbol als eine Heimat war, ungefähr wie die Stadt Rom für die sogenannten römischen Bürger der späteren Zeit. Die Juden von Antiocheia und Alexandreia und die zahlreichen ähnlichen Gemeinschaften minderen Rechts und geringeren Ansehens haben sich selbstverständlich an dem Handel und Verkehr ihrer Wohnsitze beteiligt. Ihr Judentum kommt dabei nur etwa insofern in Betracht, als die Gefühle gegenseitigen Hasses und gegenseitiger Verachtung, wie sie seit Zerstörung des Tempels und den mehrfach sich wiederholenden national-religiösen Kriegen zwischen Juden und Nichtjuden sich entwickelt oder vielmehr gesteigert hatten, auch in diesen Kreisen ihre Wirkung geübt haben werden. Da die im Ausland sich aufhaltenden syrischen Kaufleute sich zunächst für den Kultus ihrer heimatlichen Gottheiten zusammenfanden, so kann der syrische Jude in Puteoli den dortigen syrischen Kaufmannsgilden nicht wohl angehört haben; und wenn der Kult der syrischen Götter im Ausland mehr und mehr Anklang fand, so zog, was den übrigen Syrern zugute kam, zwischen den mosaischgläubigen Syrern und den Italikern eine Schranke mehr. Schlossen sich diejenigen Juden, die eine Heimat außer Palästina gefunden hatten, außerhalb derselben nicht ihren Wohnsitz-, sondern ihren Religionsgenossen an, wie das nicht hat anders sein können, so verzichteten sie damit auf die Geltung und die Duldung, welche den Alexandrinern und den Antiochenern und so weiter im Ausland entgegenkam, und wurden genommen wie sie sich gaben, als Juden. Die palästinensischen Juden des Okzidents aber waren zum größten Teil nicht hervorgegangen aus der kaufmännischen Emigration, sondern kriegsgefangene Leute oder Nachkommen solcher und in jeder Hinsicht heimatlos; die Pariastellung, welche die Kinder Abrahams vor allem in der römischen Hauptstadt einnahmen, der Betteljude, dessen Hausrat in dem Heubündel und dem Schacherkorb besteht und dem kein Verdienst zu gering und zu gemein ist, knüpft an den Sklavenmarkt an. Unter diesen Umständen begreift es sich, weshalb im Okzident die Juden während der Kaiserzeit neben den Syrern eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Die religiöse Gemeinschaft der kaufmännischen und der Proletariereinwanderung drückte auf die Gesamtheit der Juden noch neben der allgemeinen mit ihrer Stellung verbundenen Zurücksetzung. Mit Palästina aber hat jene wie diese Diaspora wenig zu schaffen.
Es bleibt noch ein Grenzgebiet zu betrachten, von dem nicht häufig die Rede ist und das dennoch wohl Berücksichtigung verdient: es ist die römische Provinz Arabia. Sie führt ihren Namen mit Unrecht; der Kaiser, der sie eingerichtet hat, Traianus, war ein Mann großer Taten, aber noch größerer Worte. Die arabische Halbinsel, welche das Euphratgebiet wie das Niltal voneinander scheidet, regenarm, ohne Flüsse, allerseits mit felsiger und hafenarmer Küste, ist für den Ackerbau wie für den Handel wenig geeignet und in alter Zeit zum weitaus größten Teil den nicht seßhaften Wüstenbewohnern zum unbestrittenen Erbteil verblieben. Insonderheit die Römer, welche überhaupt in Asien wie in Ägypten besser als irgendeine andere der wechselnden Vormächte es verstanden haben ihren Besitz zu beschränken, haben niemals auch nur versucht, die arabische Halbinsel zu unterwerfen. Ihre wenigen Unternehmungen gegen den südöstlichen Teil derselben, den produktenreichsten und wegen der Beziehung zu Indien auch für den Handel wichtigsten, werden bei der Erörterung der ägyptischen Verkehrsverhältnisse ihre Darstellung finden. Das römische Arabien umfaßt schon als römischer Klientelstaat und vor allem als römische Provinz nur einen mäßigen Teil vom Norden der Halbinsel, außerdem aber das Land südlich und östlich von Palästina zwischen diesem und der großen Wüste bis über Bostra hinaus. Mit diesem zugleich betrachten wir die zu Syrien gehörige Landschaft zwischen Bostra und Damaskos, die jetzt nach dem Haurangebirge benannt zu werden pflegt, nach der alten Bezeichnung Trachonitis und Batanäa.
Diese ausgedehnten Gebiete sind für die Zivilisation nur unter besonderen Verhältnissen zu gewinnen. Das eigentliche Steppenland (Hamad) östlich von der Gegend, mit der wir uns hier beschäftigen, bis zum Euphrat ist nie von den Römern in Besitz genommen worden und aller Kultur unfähig; nur die schweifenden Wüstenstämme, wie heute zum Beispiel die Aneze, durchziehen dasselbe, um ihre Rosse und ihre Kamele im Winter am Euphrat, im Sommer in den Gebirgen südlich von Bostra zu weiden und oft mehrmals im Jahre die Trift zu wechseln. Schon auf einem höheren Grade der Kultur stehen westwärts der Steppe die seßhaften Hirtenstämme, die namentlich Schafzucht in großer Ausdehnung betreiben. Aber auch für den Ackerbau ist in diesen Strecken vielfach Raum. Die rote Erde des Hauran, zersetzte Lava, erzeugt im Urzustand viel wilden Roggen, wilde Gerste und wilden Hafer und bestellt den schönsten Weizen. Einzelne Tieftäler mitten zwischen den Steinwüsten, wie das »Saatfeld«, die Ruhbe in der Trachonitis, sind die fruchtbarsten Strecken in ganz Syrien; ohne daß gepflügt, geschweige denn gedüngt wird, trägt der Weizen durchschnittlich achtzig-, die Gerste hundertfältig, und 26 Halme von einem Weizenkorn sind keine Seltenheit. Dennoch bildet sich hier kein fester Wohnsitz, da in den Sommermonaten die große Hitze und der Mangel an Wasser und Weide die Bewohner zwingt nach den Gebirgsweiden des Hauran zu wandern. Aber auch an Gelegenheit zu fester Ansiedlung fehlt es nicht. Das von dem Baradafluß in vielfachen Armen durchströmte Gartenrevier um die Stadt Damaskos und die fruchtbaren noch heute volkreichen Bezirke, die dasselbe nach Osten, Norden und Süden einschließen, waren in alter wie in neuer Zeit die Perle Syriens. Die Ebene um Bostra, namentlich westlich davon die sogenannte Nukra, ist heute für Syrien die Kornkammer, obgleich durch Regenmangel durchschnittlich jede vierte Ernte verlorengeht und die aus der nahen Wüste oftmals einbrechenden Heuschrecken eine unvertilgbare Landplage bleiben. Wo immer die Wasserläufe der Gebirge in die Ebene geführt werden, blüht unter ihnen das frische Leben auf.
»Die Fruchtbarkeit dieser Landschaft«, sagt ein genauer Kenner, »ist unerschöpflich; und noch heutigentags, wo die Nomaden dort weder Baum noch Strauch übriggelassen haben, gleicht das Land, so weit das Auge reicht, einem Garten.« Auch auf den Lavaplateaus der gebirgigen Strecken haben die Lavaströme nicht wenige Stellen (Kâ' im Hauran genannt) für den Anbau freigelassen. – Diese Naturbeschaffenheit hat regelmäßig die Landschaft den Hirten und den Räubern überliefert. Die notwendige Unstetigkeit eines großen Teils der Bevölkerung führt zu ewigen Fehden namentlich um die Weideplätze und zu stetigen Überfällen derjenigen Gegenden, die sich für feste Ansiedlung eignen; mehr noch als anderswo bedarf es hier der Bildung solcher staatlicher Gewalten, die imstande sind, in weiterem Umfange Ruhe und Frieden zu schaffen, und für diese fehlt in der Bevölkerung die rechte Unterlage. Es gibt in der weiten Welt kaum eine Landschaft, wo gleich wie in dieser die Zivilisation nicht aus sich selbst erwachsen, sondern allein durch übermächtige Eroberung von außen her ins Leben gerufen werden kann. Wenn Militärstationen die schweifenden Stämme der Wüste eindämmen und diejenigen innerhalb der Kulturgrenze zum friedlichen Hirtenleben zwingen, wenn in die kulturfähigen Gegenden Kolonisten geführt und die Wasser der Berge von Menschenhand in die Ebene geleitet werden, so, aber auch nur so, gedeiht hier fröhliches und reichliches Leben.
Die vorrömische Zeit hatte diesen Landschaften solchen Segen nicht gebracht. Die Bewohner des gesamten Gebiets gehören bis gegen Damaskos hin zu dem arabischen Zweig des großen semitischen Stammes; die Personennamen wenigstens sind durchgängig arabisch. Es begegneten sich in demselben, wie in dem nördlichen Syrien, orientalische und okzidentalische Zivilisation; doch hatten bis zu der Kaiserzeit beide nur geringe Fortschritte gemacht. Die Sprache und die Schrift, deren die Nabatäer sich bedienen, sind die Syriens und der Euphratländer und können nur von dort her den Eingeborenen zugekommen sein. Andererseits erstreckte die griechische Festsetzung in Syrien sich zum Teil wenigstens auch auf diese Landschaften. Die große Handelsstadt Damaskos war mit dem übrigen Syrien griechisch geworden. Auch in das transjordanische Gebiet, insbesondere in die nördliche Dekapolis, hatten die Seleukiden die griechische Städtegründung getragen; weiter südlich war hier wenigstens das alte Rabbath Amnion durch die Lagiden die Stadt Philadelphia geworden. Aber weiter abwärts und in den östlichen an die Wüste grenzenden Strichen hatten die nabatäischen Könige nicht viel mehr als dem Namen nach den syrischen oder den ägyptischen Alexandriden gehorcht, und Münzen oder Inschriften und Bauwerke, welche dem vorrömischen Hellenismus beigelegt werden könnten, sind hier nirgends zum Vorschein gekommen.
Als Syrien römisch ward, war Pompeius bemüht, das hellenische Städtewesen, das er vorfand, zu festigen; wie denn die Städte der Dekapolis späterhin von dem Jahre 690/91 (64/63 v. Chr.), in dem Palästina zum Reich gekommen war, ihre Jahre zählten. Hauptsächlich aber blieb in diesem Gebiet das Regiment wie die Zivilisierung den beiden Vasallenstaaten, dem jüdischen und dem arabischen, überlassen.
Von dem König der Juden, Herodes und seinem Hause, wird anderweitig noch die Rede sein; hier haben wir seiner Tätigkeit zu gedenken für die Ausdehnung der Zivilisation gegen Osten. Sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich über beide Ufer des Jordan in seiner ganzen Ausdehnung, nordwärts bis wenigstens nach Chelbon nordwestlich von Damaskos, südlich bis an das Tote Meer, während die Landschaft weiter östlich zwischen seinem Reich und der Wüste dem Araberkönig überwiesen war. Er und seine Nachkommen, die hier noch nach der Einziehung der Herrschaft von Jerusalem bis auf Traian das Regiment führten und späterhin in Cäsarea Paneas im südlichen Libanos residierten, waren energisch bemüht, die Eingeborenen zu zähmen. Die ältesten Zeugnisse einer gewissen Kultur in diesen Gegenden sind wohl die Höhlenstädte, von denen im Buch der Richter die Rede ist, große unterirdische durch Luftlöcher bewohnbar gemachte Samtverstecke mit Gassen und Brunnen, geeignet Menschen und Herden zu bergen, schwer zu finden und auch gefunden schwer zu bezwingen. Ihr bloßes Dasein zeigt die Vergewaltigung der friedlichen Bewohner durch die unsteten Söhne der Steppe. »Diese Striche«, sagt Josephus, wo er die Zustände im Hauran unter Augustus schildert, »wurden bewohnt von wilden Stämmen ohne Städte und ohne feste Äcker, welche mit ihren Herden unter der Erde in Höhlen mit schmalem Eingang und weiten verschlungenen Gassen hausten, aber mit Wasser und Vorräten reichlich versehen, schwer zu bezwingen waren.« Einzelne dieser Höhlenstädte fassen bis 400 Köpfe. Ein merkwürdiges Edikt des ersten oder zweiten Agrippa, wovon sich Bruchstücke in Kanatha (Kanawat) gefunden haben, fordert die Einwohner auf, von ihren »Tierzuständen« zu lassen und das Höhlenleben mit zivilisierter Existenz zu vertauschen. Die nicht ansässigen Araber lebten hauptsächlich vom Ausplündern teils der benachbarten Bauern, teils der durchziehenden Karawanen; die Unsicherheit wurde dadurch gesteigert, daß der kleine Fürst Zenodoros von Abila nordwärts Damaskos im Antilibanos, dem Augustus die Aufsicht über den Trachon übertragen hatte, es vorzog mit den Räubern gemeinschaftliche Sache zu machen und sich an ihrem Gewinn im stillen beteiligte. Eben infolgedessen wies der Kaiser dies Gebiet dem Herodes zu, und dessen rücksichtsloser Energie gelang einigermaßen die Bändigung dieser Räuberwirtschaft. Der König scheint an der Ostgrenze eine Linie befestigter und königlichen Kommandanten (ἔπαρχοι) unterstellter Militärposten eingerichtet zu haben. Er hätte noch mehr erreicht, wenn das nabatäische Gebiet den Räubern nicht eine Freistatt geboten hätte; es war dies eine der Ursachen der Entzweiung zwischen ihm und seinem arabischen Kollegen. Die hellenisierende Tendenz tritt auf diesem Gebiete ebenso stark und minder unerfreulich hervor wie in seinem Regiment in der Heimat. Wie alle Münzen des Herodes und der Herodeer griechisch sind, so trägt im transjordanischen Land zwar das älteste Denkmal mit Inschrift, das wir kennen, der Tempel des Baalsamin bei Kanatha, eine aramäische Dedikation; aber die dort aufgestellten Ehrenbasen, darunter eine für Herodes den Großen, sind zweisprachig oder bloß griechisch; unter seinen Nachfolgern herrscht das Griechische allein.
Neben dem jüdischen stand der schon früher erwähnte »König von Nabat«, wie er selber sich nennt. Die Residenz dieser Araberfürsten war die »Felsenstadt«, aramäisch Sela, griechisch Petra, eine mittwegs zwischen dem Toten Meere und der nordöstlichen Spitze des Arabischen Meerbusens gelegene Felsenburg, von jeher ein Stapelplatz für den Verkehr Indiens und Arabiens mit dem Mittelmeergebiet. Von der arabischen Halbinsel besaßen diese Herrscher die nördliche Hälfte; ihre Gewalt erstreckte sich am Arabischen Meerbusen bis nach Leuke Kome gegenüber der ägyptischen Stadt Berenike, im Binnenland wenigstens bis in die Gegend des alten Thäma. Nördlich von der Halbinsel reichte ihr Gebiet bis nach Damaskos, das unter ihrem Schutze stand, und selbst über Damaskos hinaus und umschloß wie mit einem Gürtel das gesamte palästinensische Syrien. Nach der Besitznahme Judäas stießen die Römer feindlich mit ihnen zusammen, und Marcus Scaurus führte eine Expedition gegen Petra. Damals ist es nicht zu ihrer Unterwerfung gekommen; aber bald nachher muß dieselbe erfolgt sein. Unter Augustus ist ihr König Obodas ebenso reichsuntertänig wie der Judenkönig Herodes und leistet gleich diesem Heerfolge bei der römischen Expedition gegen das südliche Arabien. Seit jener Zeit muß der Schutz der Reichsgrenze im Süden wie im Osten von Syrien bis hinauf nach Damaskos zunächst in der Hand dieses Araberkönigs gelegen haben. Mit dem jüdischen Nachbar lag er in beständiger Fehde. Augustus, erzürnt darüber, daß der Araber statt bei dem Lehnsherrn gegen Herodes Recht zu suchen, diesem mit den Waffen entgegengetreten war und daß des Obodas Sohn Harethath oder griechisch Aretas nach dem Tode des Vaters, statt die Belehnung abzuwarten, ohne weiteres die Herrschaft angetreten hatte, war im Begriff diesen abzusetzen und sein Gebiet mit dem jüdischen zu vereinigen; aber das Mißregiment des Herodes in seinen späteren Jahren hielt ihn davon zurück und so wurde (um 747 d. St. [7 v. Chr.]) Aretas bestätigt. Einige Dezennien später begann derselbe wieder auf eigene Hand Krieg gegen seinen Schwiegersohn, den Fürsten von Galiläa, Herodes Antipas, wegen der Verstoßung seiner Tochter zugunsten der schönen Herodias. Er behielt die Oberhand, aber der erzürnte Lehnsherr Tiberius befahl dem Statthalter von Syrien die Exekution gegen ihn. Schon waren die Truppen auf dem Marsche, als Tiberius starb (37); und sein Nachfolger Gaius, der dem Antipas nicht wohlwollte, verzieh dem Araber. Des Aretas Nachfolger, König Maliku oder Malchos, focht unter Nero und Vespasian in dem jüdischen Krieg als römischer Vasall und vererbte die Herrschaft auf seinen Sohn Rabel, den Zeitgenossen Traians, den letzten dieser Regenten. Namentlich nach der Einziehung des Staates von Jerusalem und der Reduzierung der ansehnlichen Herrschaft des Herodes auf das wenig schlagfertige Königreich von Cäsarea Paneas war unter den syrischen Klientelstaaten der arabische der ansehnlichste, wie er denn auch zu dem Jerusalem belagernden Römerheere unter den königlichen das stärkste Kontingent stellte. Des Gebrauchs der griechischen Sprache hat dieser Staat sich auch unter römischer Oberhoheit enthalten; die unter der Herrschaft seiner Könige geschlagenen Münzen tragen, von Damaskos abgesehen, nur aramäische Aufschrift. Aber es zeigen sich die Anfänge geordneter Zustände und zivilisierten Regiments. Die Prägung selbst hat wahrscheinlich erst begonnen, nachdem der Staat unter römische Klientel gekommen war. Der arabisch-indische Verkehr mit dem Mittelmeergebiet bewegt sich zum großen Teil auf der von Leuke Kome über Petra nach Gaza laufenden von den Römern überwachten Karawanenstraße. Die Fürsten des Nabatäerreiches bedienen sich, ähnlich wie die Gemeinde Palmyra, für ihre Beamten griechischer Ämterbezeichnungen, wie zum Beispiel des Eparchen- und des Strategentitels. Wenn unter Tiberius die durch die Römer bewirkte gute Ordnung Syriens und die durch die militärische Besetzung herbeigeführte Sicherheit der Ernten rühmend hervorgehoben wird, so ist dies zunächst zu beziehen auf die in den Klientelstaaten von Jerusalem oder nachher von Cäsarea Paneas und von Petra getroffenen Einrichtungen.
Unter Traianus trat an die Stelle dieser beiden Klientelstaaten die unmittelbare römische Herrschaft. Im Anfang seiner Regierung starb König Agrippa II., und es wurde sein Gebiet mit der Provinz Syrien vereinigt. Nicht lange darauf, im J. 106, löste der Statthalter Aulus Cornelius Palma das bisherige Reich der Könige von Nabat auf und machte aus dem größeren Teil desselben die römische Provinz Arabia, während Damaskos zu Syrien kam, und was der Nabatäerkönig im Binnenland Arabiens besessen hatte, von den Römern aufgegeben ward. Die Einrichtung Arabiens wird als Unterwerfung bezeichnet, und auch die Münzen, welche die Besitzergreifung von Arabien feiern, sprechen dafür, daß die Nabatäer sich zur Wehre setzten, wie denn überhaupt die Beschaffenheit ihres Gebiets sowie ihr bisheriges Verhalten eine relative Selbständigkeit dieser Fürsten annehmen lassen. Aber nicht in dem Kriegserfolg darf die geschichtliche Bedeutung dieser Vorgänge gesucht werden; die beiden ohne Zweifel zusammengehörigen Einziehungen waren nicht mehr als vielleicht mit militärischer Gewalt durchgeführte Verwaltungsakte, und die Tendenz, diese Gebiete der Zivilisation und speziell dem Hellenismus zu gewinnen, wird dadurch nur gesteigert, daß die römische Regierung die Arbeit selbst auf sich nimmt. Der Hellenismus des Orients, wie ihn Alexander zusammengefaßt hat, war eine streitende Kirche, eine politisch, religiös, wirtschaftlich, literarisch vordringende durchaus erobernde Macht. Hier an dem Saum der Wüste, unter dem Druck des antihellenischen Judentums und gehandhabt von dem geistlosen und unsteten Seleukidenregiment, hatte er bisher wenig aus gerichtet. Aber jetzt das Römertum durchdringend, entwickelt er eine treibende Kraft, welche sich zu der früheren verhält wie die Macht der jüdischen und der arabischen Lehnsfürsten zu derjenigen des römischen Reiches. In diesem Lande, wo alles darauf ankam und ankommt, durch Aufstellung einer überlegenen und ständigen Militärmacht den Friedensstand zu schirmen, war die Einrichtung eines Legionslagers in Bostra unter einem Kommandanten senatorischen Ranges ein epochemachendes Ereignis. Von diesem Mittelpunkt aus wurden an den zweckmäßigen Stellen die erforderlichen Posten eingerichtet und mit Besatzung versehen. Beispielsweise verdient Erwähnung das Kastell von Namara (Nemara), einen starken Tagemarsch jenseit der Grenzen des eigentlich bewohnbaren Berglandes, inmitten der Steinwüste, aber gebietend über den einzigen innerhalb derselben befindlichen Brunnen und die daran sich anschließenden bei der schon erwähnten Oase von Ruhbe und weiterhin am Djebel Ses; diese Besatzungen zusammen beherrschen das gesamte Vorland des Hauran. Eine andere Reihe von Kastellen, dem syrischen Kommando und zunächst dem der bei Danava postierten Legion unterstellt und in gleichmäßigen Distanzen von drei zu drei Stunden angelegt, sicherte die Straße von Damaskos nach Palmyra; das am besten bekannte davon, das zweite in der Reihe, ist das von Dmer, ein längliches Viereck von je 300 und 350 Schritt, auf jeder Seite mit sechs Türmen und einem 15 Schritte breiten Portal versehen und umfaßt von einer einstmals außen mit schönen Quadern bekleideten Ringmauer von 16 Fuß Dicke.
Niemals war eine solche Ägide über dieses Land gebreitet worden. Es wurde nicht eigentlich denationalisiert. Die arabischen Namen bleiben bis in die späteste Zeit hinab, wenngleich nicht selten, eben wie in Syrien, dem örtlichen ein römisch-hellenischer beigefügt wird: so nennt sich ein Scheich »Adrianos oder Soaidos, Sohn des Malechos«. Auch der einheimische Kultus bleibt unangetastet: die Hauptgottheit der Nabatäer, der Dusaris, wird wohl mit dem Dionysos geglichen, aber regelmäßig unter seinem örtlichen Namen auch ferner verehrt und bis in späte Zeit feiern die Bostrener zu seinen Ehren die Dusarien. In gleicher Weise werden in der Provinz Arabia dem Aumu oder dem Helios, dem Vasäathu, dem Theandritos, dem Ethaos auch ferner Tempel geweiht und Opfer dargebracht. Die Stämme und die Stammordnung bleiben nicht minder: die Inschriften nennen Reihen von »Phylen« einheimischen Namen und öfter Phylarchen oder Ethnarchen. Aber neben der hergebrachten Weise schreitet die Zivilisierung und die Hellenisierung vorwärts. Wenn aus vortraianischer Zeit im Bereich des Nabatäerstaates kein griechisches Denkmal nachgewiesen werden kann, so ist umgekehrt daselbst kein nachtraianisches in der Landessprache gefunden worden; allem Anschein nach hat die Reichsregierung den Schriftgebrauch des Aramäischen gleich bei der Einziehung unterdrückt, obwohl dasselbe sicher die eigentliche Landessprache blieb, wie dies außer den Eigennamen auch der »Dolmetsch der Steuereinnehmer« bezeugt.
Über die Hebung des Ackerbaues fehlen uns redende Zeugen; aber wenn auf der ganzen östlichen und südlichen Abdachung des Hauran von den Spitzen des Gebirges bis zur Wüste hin die Steine, mit denen diese vulkanische Ebene einst besät war, zu Haufen geworfen oder in langen Zeilen geschichtet und so die herrlichsten Äcker gewonnen sind, so darf man darin die Hand der einzigen Regierung erkennen, die dieses Land so regiert hat, wie es regiert werden kann und regiert werden sollte. In der Ledja, einem 13 Stunden langen und 8–9 breiten Lavaplateau, das jetzt fast menschenleer ist, wuchsen einst Reben und Feigen zwischen den Lavaströmen; quer durch dasselbe führt die Bostra mit Damaskos verbindende Römerstraße; in der Ledja und um sie zählt man die Ruinen von 12 größeren und 39 kleineren Ortschaften. Erweislich ist auf Geheiß desselben Statthalters, der die Provinz Arabia eingerichtet hat, der mächtige Aquädukt angelegt worden, welcher das Wasser vom Gebirge des Hauran nach Kanatha (Kerak) in der Ebene führte, und nicht weit davon ein ähnlicher in Arrha (Raha); Bauten Traians, die neben dem Hafen von Ostia und dem Forum von Rom genannt werden dürfen. Für das Aufblühen des Handelsverkehrs spricht die Wahl selbst der Hauptstadt der neuen Provinz. Bostra bestand unter der nabatäischen Regierung, und es hat sich dort eine Inschrift des Königs Malichu gefunden; aber seine militärische und kommerzielle Bedeutung beginnt mit dem Eintritt des unmittelbaren römischen Regiments. »Bostra«, sagt Wetzstein, »hat unter allen ostsyrischen Städten die günstigste Lage; selbst Damaskos, welches seine Größe der Menge seines Wassers und seiner durch den östlichen Trachon geschützten Lage verdankt, wird Bostra nur unter einer schwachen Regierung überstrahlen, während letzteres unter einem starken und weisen Regiment sich in wenigen Jahrzehnten zu einer märchenhaften Blüte emporschwingen muß. Es ist der große Markt für die syrische Wüste, das arabische Hochgebirge und die Peräa, und seine langen Reihen steinerner Buden legen noch jetzt in der Verödung Zeugnis ab von der Realität einer früheren und der Möglichkeit einer künftigen Größe.« Die Reste der von dort über Salchat und Ezrak zum Persischen Meerbusen führenden römischen Straße beweisen, daß Bostra neben Petra und Palmyra den Verkehr vom Osten zum Mittelmeer vermittelte. Diese Stadt hat wahrscheinlich schon Traian hellenisch konstituiert; wenigstens heißt sie seitdem »das neue traianische Bostra«, und die griechischen Münzen beginnen mit Pius, während später infolge der Erteilung des Kolonialrechts durch Alexander die Aufschrift lateinisch wird. – Auch Petra hat schon unter Hadrian griechische Stadtverfassung gehabt und noch einzelne andere Ortschaften späterhin Stadtrecht empfangen; überwogen aber hat in diesem Arabergebiet bis in die späteste Zeit der Stamm und das Stammdorf.
Aus der Mischung nationaler und griechischer Elemente entwickelte sich in diesen Landschaften in dem halben Jahrtausend zwischen Traian und Mohammed eine eigenartige Zivilisation. Es ist uns davon ein volleres Abbild erhalten als von anderen Gestalten der antiken Welt, indem die zum großen Teil aus dem Felsen herausgearbeiteten Anlagen von Petra und die bei dem Mangel des Holzes ganz aus Stein aufgeführten Bauwerke im Hauran, verhältnismäßig wenig beschädigt durch die mit dem Islam hier wieder in ihr altes Unrecht eingesetzte Beduinenherrschaft, zu einem beträchtlichen Teil noch heute vorhanden sind und auf die Kunstfertigkeit und Lebensweise jener Jahrhunderte helles Licht werfen. Der obenerwähnte Tempel des Baalsamin von Kanatha, sicher unter Herodes gebaut, zeigt in seinen ursprünglichen Teilen eine völlige Verschiedenheit von der griechischen Architektur und in der architektonischen Anlage merkwürdige Analogien mit dem Tempelbau desselben Königs in Jerusalem, während die bei diesem vermiedenen bildlichen Darstellungen hier keineswegs fehlen. Ähnliches ist auch bei den in Petra gefundenen Denkmälern beobachtet worden. Später ging man weiter. Wenn unter den jüdischen und den nabatäischen Herrschern die Kultur nur langsam sich von den Einflüssen des Orients löste, so scheint mit der Verlegung der Legion nach Bostra hier eine neue Zeit begonnen zu haben. »Das Bauen«, sagt ein vortrefflicher französischer Beobachter, Melchior de Vogüé, »erhielt damit einen Anstoß, der nicht wieder zum Stillstand kam. Überall erhoben sich Häuser, Paläste, Bäder, Tempel, Theater, Aquädukte, Triumphbogen; Städte stiegen aus dem Boden binnen weniger Jahre mit der regelmäßigen Anlage, den symmetrisch geführten Säulenreihen, die die Städte ohne Vergangenheit bezeichnen und für diesen Teil Syriens während der Kaiserzeit gleichsam die unvermeidliche Uniform sind.« Die östliche und südliche Abdachung des Hauran weist ungefähr dreihundert derartige verödete Städte und Dörfer auf, während dort jetzt nur fünf neue Ortschaften vorhanden sind; einzelne von jenen, zum Beispiel Busan, zählen bis 800 ein- bis zweistöckige Häuser, durchaus aus Basalt gebaut, mit wohlgefügten ohne Zement verbundenen Quadermauern, meist ornamentierten, oft auch mit Inschriften versehenen Türen, die flache Decke gebildet durch Steinbalken, welche von Steinbogen getragen und oben durch eine Zementlage regenfrei gestellt werden. Die Stadtmauer wird gewöhnlich nur durch die zusammengeschlossenen Rückseiten der Häuser gebildet und ist durch zahlreiche Türme geschützt. Die dürftigen Rekolonisierungsversuche der neuesten Zeiten finden die Häuser bewohnbar vor; es fehlt nur die fleißige Menschenhand oder vielmehr der starke Arm, der sie beschützt. Vor den Toren liegen die oft unterirdischen oder mit künstlichem Steindach versehenen Zisternen, von denen manche noch heute, wo diese Städtewüste zum Weideland geworden ist, von den Beduinen imstande gehalten werden, um daraus im Sommer ihre Herden zu tränken. Die Bauweise und die Kunstübung haben wohl einzelne Überreste der älteren orientalischen Weise bewahrt, zum Beispiel die häufige Grabform des mit einer Pyramide gekrönten Würfels, vielleicht auch die oft dem Grabmal beigefügten noch heute in ganz Syrien häufigen Taubentürme, ist aber im ganzen genommen die gewöhnliche griechische der Kaiserzeit. Nur hat das Fehlen des Holzes hier eine Entwicklung des Steinbogens und der Kuppel hervorgerufen, die technisch wie künstlerisch diesen Bauten einen originellen Charakter verleiht. Im Gegensatz zu der anderswo üblichen gewohnheitsmäßigen Wiederholung der überlieferten Formen herrscht hier eine den Bedürfnissen und den Bedingungen selbständig genügende, in der Ornamentik maßhaltende, durchaus gesunde und rationelle und auch der Eleganz nicht entbehrende Architektur. Die Grabstätten, welche in die östlich und westlich von Petra aufsteigenden Felswände und in deren Seitentäler eingebrochen sind, mit ihren oft in mehreren Reihen übereinandergestellten dorischen oder korinthischen Säulenfassaden und ihren an das ägyptische Theben erinnernden Pyramiden und Propyläen sind nicht künstlerisch erfreulich, aber imponierend durch Masse und Reichtum. Nur ein reges Leben und ein hoher Wohlstand hat also für seine Toten zu sorgen vermocht. Diesen architektonischen Denkmälern gegenüber befremdet es nicht, wenn die Inschriften eines Theaters in dem »Dorf« (κώμη) Sakkäa, eines »theaterförmigen Odeons« in Kanatha Erwähnung tun und ein Lokalpoet von Namara in der Batanäa sich selber feiert als den »Meister der herrlichen Kunst stolzen ausonischen Liedes«. Also ward an dieser Ostgrenze des Reiches der hellenischen Zivilisation ein Grenzgebiet gewonnen, das mit dem romanisierten Rheinland zusammengestellt werden darf; die Bogen- und Kuppelbauten Ostsyriens halten wohl den Vergleich aus mit den Schlössern und Grabmälern der Edlen und der Kaufherren der Belgica.
Aber es kam das Ende. Von den aus dem Süden hierher einwandernden Araberstämmen schweigt die geschichtliche Überlieferung der Römer, und was die späten Aufzeichnungen der Araber über die der Ghassaniden und deren Vorläufer berichten, ist wenigstens chronologisch kaum zu fixieren. Aber die Sabäer, nach denen der Ort Borechath (Breka nördlich von Kanawat) genannt wird, scheinen in der Tat südarabische Auswanderer zu sein; und diese saßen hier bereits im 3. Jahrhundert. Sie und ihre Genossen mögen in Frieden gekommen und unter römischer Ägide seßhaft geworden sein, vielleicht sogar die hochentwickelte und üppige Kultur des südwestlichen Arabien nach Syrien getragen haben. Solange das Reich fest zusammenhielt und jeder dieser Stämme unter seinem Scheich stand, gehorchten alle dem römischen Oberherrn. Aber um den unter einem König geeinigten Arabern oder, wie sie jetzt heißen, Sarazenen des Perserreiches besser zu begegnen, unterwarf Justinian während des persischen Krieges im Jahre 531 sämtliche Phylarchen der den Römern untertänigen Sarazenen dem Arethas des Gabala Sohn und verlieh diesem den Königstitel, was bis dahin, wie hinzugesetzt wird, niemals geschehen war. Dieser König der sämtlichen in Syrien ansässigen Araberstämme war noch des Reiches Lehnsträger; aber indem er seine Landsleute abwehrte, bereitete er zugleich ihnen die Stätte. Ein Jahrhundert später, im J. 637 unterlagen Arabien und Syrien dem Islam.