Jean Baptiste Molière
Tartüff
Jean Baptiste Molière

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Vierter Akt

Erster Auftritt

Cleant. Tartüff.

Cleant. Ja, davon spricht man, und ich sag' es offen,
Ihr Ansehn läuft bei diesem Lärm Gefahr,
Und weil ich Sie zum Glücke hier getroffen,
Will ich mit Ihnen reden klipp und klar:
Den Vorfall selber lass' ich außer acht;
Ich nehm' ihn gern von seiner schlimmsten Seite.
Doch hat auch Damis Unrecht in dem Streite,
Und fiel auf Sie ein fälschlicher Verdacht,
So sollten Sie vergeben als ein Christ,
Damit nicht Rachedurst Ihr Herz versuche,
Und nicht gestatten, daß um solchen Zwist
Ein Vater seinen eignen Sohn verfluche.
Ja, noch einmal: ich kann's nur unterschreiben,
Wenn alle Welt darüber sich entsetzt;
Mein Rat ist, daß Sie Frieden stiften jetzt
Und nicht zum Äußersten die Sache treiben.
Drum legen Sie den Zorn demütig nieder
Und geben Sie den Sohn dem Vater wieder.

Tartüff. Ging' es nach meinem Herzen, o wie gerne!
Ich denke seiner ohne Bitterkeit,
Hab' ihm verziehn; ein Vorwurf liegt mir ferne,
Und ihm zu dienen wär' ich stets bereit.
Doch daran hindert mich der Finger Gottes;
Kommt er zurück, dann ist's an mir zu weichen.
Nach seiner Tat, die wahrlich ohnegleichen,
Wär' unser Umgang stets ein Quell des Spottes.
Der Himmel weiß, was man vermuten müßte!
Aus Politik, so sagte dann die Welt,
Und nur weil ich mich selber schuldig wüßte,
Hätt' ich mich gar so mitleidvoll gestellt
Und hätt' aus Furcht geschont den Feind,
Um ihn dadurch zum Schweigen zu verpflichten.

Cleant. Ausflüchte sind das alles und Geschichten,
Die sehr weit hergeholt sind, wie mir scheint.
Hat Gott Sie mit dem Richteramt beschwert,
Und braucht er Sie zur Strafe der Verbrechen?
Ihm, ihm allein liegt ob, die Schuld zu rächen:
Bedenken Sie, daß er Vergebung lehrt
Und daß ein solch Gebot aus Gottes Mund
Weit wicht'ger ist als Klatsch auf Markt und Gassen.
»Man könnte glauben!« Ist das auch ein Grund,
Um gute Taten ungetan zu lassen?
Nein, nein, wer auf den Wegen Gottes wandelt,
Den kümmern solche Sorgen nie.

Tartüff. Ich sagte schon, daß ihm mein Herz verzieh;
Das heißt gewiß nach Gottes Wort gehandelt.
Jedoch nach diesem Auftritt, dieser Kränkung
Gebietet Gott mir nicht, mit ihm zu leben.

Cleant. Gebietet er vielleicht, Gehör zu geben,
Sobald von Launenhaftigkeit verführt
Der Vater Sie belehnt mit einer Schenkung,
Die anderen nach Recht und Pflicht gebührt?

Tartüff. Wer mich nur halbwegs kennt, der glaubt wohl schwerlich,
Daß ich aus Habsucht mich dazu verstand.
Die Schätze dieser Welt sind mir entbehrlich;
Mich blendet nicht der trügerische Tand.
Und hab' ich diese Güter angenommen,
So reifte wahrlich mein Entschluß
Nur dadurch, daß ich fürchten muß,
Sie möchten sonst in schlechte Hände kommen,
An einen Erben, welcher freventlich
In eitler Weltlust sie vergeude
Und sie nicht brauche so wie ich
Zum Wohl des Nächsten und zu Gottes Freude.

Cleant. Ei, halten Sie nicht so behutsam Wache,
Daß der beraubte Erbe Klage stellt;
Nein, lassen Sie ihm unbesorgt sein Geld:
Wie er's verwendet, das ist seine Sache,
Und besser noch, wenn er es selbst vertut,
Als wenn man sagt, Sie hätten es erschlichen.
Bewundern muß ich nur den Mut,
Mit dem Sie diese Schenkung eingestrichen.
Hat Gottesfurcht etwa den Sinn,
Rechtmäß'ger Erben Gut zu rauben? –
Und will der Himmel wirklich nicht erlauben,
Daß Sie mit Damis leben fernerhin,
Wär's nicht an Ihnen, als ein Ehrenmann
Sich auf den Rückzug zu verlegen,
Statt ruhig anzusehn, daß Ihretwegen
Der Sohn das Haus verläßt in Acht und Bann?
Mein Herr, entschließen Sie sich zum Verzichte,
Durch den . . .

Tartüff.                   Mein Herr, es ist halb vier,
Die Stunde, wo ich mein Gebet verrichte;
Drum muß ich gehen; bleiben Sie nur hier!

Cleant (allein). Ah!

 

Zweiter Auftritt

Cleant. Elmire. Marianne. Dorine.

Dorine (zu Cleant).     Möchten Sie sich auch für sie verwenden,
Mein Herr! Sie leidet Todespein, und jetzt,
Seitdem man die Verlobung festgesetzt
Auf heute, will ihr Jammer gar nicht enden.
Er kommt. Vereinten Kräften wird's gelingen,
Gewaltsam oder durch Geschicklichkeit
Von dem verwünschten Plan ihn abzubringen.

 

Dritter Auftritt

Vorige. Orgon.

Orgon. Ei, mir ist lieb, daß ihr beisammen seid.
    (Zu Marianne, ihr eine Schrift zeigend)
Siehst du, mein Kind, da hab' ich den Vertrag,
Und wenn du weißt, was drin steht, wirst du's loben.

Marianne (wirft sich vor Orgon auf die Knie).
Mein Vater, beim barmherz'gen Gott da droben,
Bei allem, was Ihr Herz bewegen mag,
Mißbrauchen Sie die Macht des Vaters nicht,
Verlangen Sie Gehorsam nicht in Dingen,
Die mich vor Gott zu Klagen zwingen,
Zu Klagen über meine Kindespflicht.
Wie könnten Sie, der mir das Leben gab,
Mir dieses Lebens Glück zerstören?
Und sank auch meine Hoffnung längst ins Grab,
Dem Manne, den ich liebe, zu gehören,
So fleh' ich jetzt zu Ihren Füßen:
Vermählen Sie mich nicht mit dem verhaßten Mann!
Denn mit Verzweiflung müßt' ich dann
Den kindlichen Gehorsam büßen.

Orgon (bewegt, beiseite).
Sei fest, mein Herz, und zeige dich von Eisen.

Marianne. Daß Sie ihn lieben, macht mir wenig Pein.
Ja, schenken Sie ihm, um es zu beweisen,
Ihr ganzes Geld, und meines obendrein;
Ich gönn' es ihm und will es nicht bedauern,
Wenn Sie nur mich von ihm befreit;
Im Kloster wünsch' ich meine Lebenszeit
In strenger Übung zu vertrauern.

Orgon. Natürlich! Jedes Mädchen wird 'ne Nonne,
Wenn man bekämpft die Liebesraserei!
Steh auf! – Verschaffte dir sein Anblick Wonne,
Dann wäre weiter kein Verdienst dabei.
Kasteie dich durch diesen Ehebund,
Und jetzt, verstehst du, laß mich ungeschoren.

Dorine. Unglaublich!

Orgon.                       Seien Sie nicht unverfroren
Und halten Sie gefälligst Ihren Mund!

Cleant. Wenn Sie zu meinem Rate sich bequemen . . .

Orgon. Ihr Rat, Herr Schwager, wird von mir verehrt
Als überlegt und höchst beachtenswert;
Nur scheint mir ratsam, ihn nicht anzunehmen.

Elmire (zu Orgon).
Fast weiß ich nicht mehr, wo der Kopf mir steht.
Mit Ihrer Blindheit ist es weit gekommen!
Hat er Sie so benebelt und verdreht,
Daß Sie nicht glauben, was Sie heut vernommen?

Orgon. Ja, Mahlzeit! Meinen Augen glaub' ich nur.
Weil Sie den Sohn, den Lumpen, immer schützen,
Drum wollen Sie den Angriff unterstützen,
Den dieser Ärmste heut von ihm erfuhr.
Wär's wahr, an Ihrer inneren Bewegung
Hätt' ich's gemerkt; Sie blieben viel zu still.

Elmire. Weil beim Geständnis einer Liebesregung
Ich nicht gleich Zeter schreien will.
Und soll man jed' verfänglich Wort vergelten
Mit Flammenblick und Zornesbraus?
Ich lache solchen Antrag einfach aus
Und lieb' es nicht, darüber laut zu schelten.
Sanftmut verträgt sich gut mit Sittsamkeit;
Die Spröden hass' ich, die gleich wilden Katzen
Mit Zähnen und mit Nägeln schnell bereit,
Dem kühnen Feind die Augen auszukratzen.
Vor solcher Tugend soll mich Gott bewahren!
Ich will ein Weib und nicht ein Drache sein
Und denke, daß ein kalt abweisend Nein
Hinlänglich schützt vor solcherlei Gefahren.

Orgon. Ihr fangt mich nicht; ich kenne meine Leute.

Elmire. Noch einmal, ich bewundre Ihre Schwäche.
Was aber sagen Sie, wenn Sie noch heute
Mit Augen sehn, daß ich die Wahrheit spreche?

Orgon. Mit Augen?

Elmire.                   Ja.

Orgon.                         Ach, Dummheit!

Elmire.                                                   Wenn's gelingt,
Daß Sie's im sonnenklarsten Lichte schauen . . .?

Orgon. Geflunker!

Elmire.                   O, was für ein Mann! Wer zwingt
Sie denn dazu, dem bloßen Wort zu trauen?
Gesetzt jedoch, Sie hörten's heimlich an
Und sähen, hier verborgen, sein Betragen,
Was sagten Sie zu Ihrem Biedermann?

Orgon. Ich würde sagen . . . gar nichts würd' ich sagen,
Weil's Unsinn ist.

Elmire.                       Die Spiegelfechterei
Währt schon zu lang, und weil Sie mir nicht glauben,
Werd' ich mir diesen kleinen Spaß erlauben:
Ich mach' ihn reden, und Sie sind dabei.

Orgon. Da nehm' ich Sie beim Wort. Ich bin begierig,
Wie Sie zu diesem Ziel gelangen.

Elmire (zu Dorine).
Nun rufen Sie mir ihn!

Dorine (zu Elmire).               Mir scheint es schwierig,
Solch einen schlauen Vogel einzufangen.

Elmire (zu Dorine).
Um die Verliebten ist es rasch geschehn;
Die Eitelkeit hilft mit, daß man sie leicht erwische.
Nun schaffen Sie mir ihn. (Zu Cleant und Marianne)
                                          Sie müssen gehn!

 

Vierter Auftritt

Elmire. Orgon.

Elmire. Verbergen Sie sich unter diesem Tische!

Orgon. Hier unterm Tisch?

Elmire.                               Ja, dies ist Ihr Versteck.

Orgon. Warum grad unterm Tisch?

Elmire.                                             Mein Gott, geschwind!
All das hat seinen guten Zweck.
Hinunter jetzt, und wenn Sie drunten sind,
Nicht mehr gemuckst, daß Sie sich nicht verraten.

Orgon (ihr willfahrend).
Nun, Sie verlangen wirklich etwas viel;
Doch bin ich zu gespannt auf Ihre Taten.

Elmire. Dann lassen Sie mir völlig freies Spiel.
    (Zu Orgon, der unterm Tisch sitzt)
Noch eins: So heikel mein Benehmen scheint,
Sie dürfen sich darüber nicht erschrecken;
Sie wissen ja, wie jedes Wort gemeint,
Und daß es gilt, die Täuschung aufzudecken.
Ich habe keine Wahl; drum streb' ich nun,
Dem Heuchler seine Larve zu entreißen,
Dem lüsternen Gesellen schön zu tun
Und seine Frechheit gutzuheißen.
Doch weil der falschen Antwort einz'ger Wert
Darin besteht, ihn ganz zu überführen,
Drum lass ich ab, sobald ich Sie bekehrt;
Wenn das erreicht ist, mögen Sie sich rühren.
An Ihnen ist es, wenn das Maß erst voll,
Zu hemmen seiner Sinne Wüten
Und Ihre Frau vor einer Glut zu hüten,
Die nur zu Ihrer Heilung dienen soll.
Sie werden Ihre Ehre selbst vertreten,
Wenn Sie . . . Da kommt er schon. Jetzt mäuschenstill!

 

Fünfter Auftritt

Tartüff. Elmire. Orgon (unterm Tisch)

Tartüff. Sie haben mich hierher gebeten?

Elmire. Ja, weil ich Ihnen was vertrauen will.
Erst schließen Sie die Tür zu jenem Zimmer
Und sehn Sie nach, ob niemand drin verborgen.
    (Tartüff schließt die Tür und kommt zurück)
Denn nichts wär' für uns beide schlimmer
Als noch einmal ein Auftritt wie heut morgen.
Den Schreck vergess' ich nicht im ganzen Leben:
Wie Damis mich für Sie erzittern ließ,
Wie ich umsonst ihn schweigen hieß,
Umsonst ihn bat, den Vorsatz aufzugeben.
So kam's, daß ich die Fassung ganz verlor
Und ihn nicht Lügner schalt vor meinem Gatten;
Doch Gott sei Dank, das kommt uns grad zustatten;
Die Sicherheit ist größer als zuvor.
Ihr Ansehn hat die Wogen rasch geglättet;
Der Glaube meines Manns ist unerschütterlich,
Und um zu trotzen böser Zungen Stich,
Wünscht er uns nur noch inniger verkettet.
So darf ich furchtlos bei verschloßnen Türen
Allein mit Ihnen bleiben stundenlang
Und Ihnen künden meines Herzens Drang:
Es ließ sich leider nur zu leicht verführen.

Tartüff. Aus andrer Tonart sprachen Sie noch heute;
Deshalb begreif' ich es nicht recht . . .

Elmire. Wer glaubt, daß unser Sträuben viel bedeute,
Der kennt das Frauenherz nur schlecht!
Der weiß nicht, daß es sich schon halb ergeben,
Wenn es sich noch verteidigt schwach und zahm,
Daß wir auch dann noch kämpfen mit der Scham,
Wenn zarte Regungen uns schon durchbeben,
Und wenn wir schon in Liebesglut entbrennen,
Die Scheu uns nicht erlaubt, sie zu bekennen.
Man weigert sich, und während man sich weigert,
Verrät man, was im Herzen keimt und sprießt,
Daß nur die Tugend uns die Lippen schließt
Und daß ein halbes Nein die Hoffnung steigert.
Solch ein Geständnis ist vielleicht gewagt
Und will zur Sittsamkeit nicht passen;
Doch – weil ich schon so viel gesagt:
Hätt' ich denn Damis nicht gewähren lassen,
Und hätt' ich gar mit so gelaßner Miene
Der langen Liebesbeichte zugehört,
Ja, hätte sie nicht stärker mich empört,
Wenn Ihre Neigung mir ein Greuel schiene?
Und als ich dann Sie zum Verzicht ermahnt
Auf jene Heirat, die mein Gatte plant,
Erkannten Sie da nicht, wie teilnahmvoll
Ich für Sie fühle, wie mir ernstlich bange,
Daß mir zur Hälfte nur gehören soll
Ein Herz, das ich für mich allein verlange?

Tartüff. Nichts kann auf Erden größre Wonne sein,
Als dies vom lieben Munde hören dürfen,
Und alle meine Sinne schlürfen
Mit durst'gem Zug den süßen Honig ein!
Sie zu gewinnen ist mein ganzer Fleiß;
Mein Herz ist selig, wenn Sie Gunst mir schenken;
Doch mögen Sie's dem Herzen nicht verdenken,
Wenn's all dies Glück noch nicht zu fassen weiß.
Vielleicht ist alles eine hübsche List,
Um mir die Heirat aus dem Kopf zu schlagen;
Ich glaube – um es gradheraus zu sagen –
Nicht früher, daß es holde Wahrheit ist,
Bis Ihre Gunst, die jetzt nur Worte spricht,
Mir die so heiß ersehnte Probe gibt
Und bis mein Herz in voller Zuversicht
Aufjubeln darf: Ich bin geliebt!

Elmire (nachdem sie gehustet hat, um Ihren Mann aufmerksam zu machen).
Wie? Gar so eilig? Scheint es Ihnen klug,
Den Becher gleich zu leeren bis zur Neige?
Wenn ich so rückhaltlos mein Innres zeige,
Ist Ihnen das noch nicht genug?
Kann Ihnen nichts Genüge leisten
Als gradewegs die letzte Liebesgunst?

Tartüff. Für unverdientes Glück bangt uns am meisten,
Und Sehnsucht stillt man nicht durch Redekunst.
Den Argwohn weckt ein herrlicher Gewinn:
Wir glauben dran, erst wenn wir ihn errungen;
Ich, der ich solcher Huld nicht würdig bin,
Ich zweifle noch, daß ich Ihr Herz bezwungen,
Und überzeugt bin ich nur dann,
Wenn Sie durch Taten meine Gluten stillen.

Elmire. Ach, Ihre Leidenschaft ist ein Tyrann
Und bringt in wilden Aufruhr meinen Willen.
Sie unterjocht die Herzen sich gewaltsam,
Erobert sich im Sturm, was ihr gefällt!
Ist denn Ihr Ungestüm so unaufhaltsam,
Daß man zum Atmen nicht mehr Zeit behält?
Ist solche Grausamkeit erlaubt,
Die nicht mehr bittet, sondern raubt,
Die schonungslos als Sieger möchte schalten,
Sobald wir unsre Schwachheit ihr bekannt?

Tartüff. Wenn ich vor Ihren Augen Gnade fand,
Warum mir den Beweis noch vorenthalten?

Elmire. Würd' ich da nicht den Zorn des Himmels schüren,
Den Sie doch stets im Munde führen?

Tartüff. Wenn nur der Himmel schuld ist, daß Sie zaudern,
Schnell fortgeräumt ist dieses Hindernis:
Der Himmel duldet's ganz gewiß.

Elmire. Doch droht man uns mit ihm und macht uns schaudern!

Tartüff. Von dieser Kinderfurcht sprech' ich Sie frei
Und lasse diese Skrupel schwinden:
Der Himmel zwar verbietet mancherlei,
Doch man versteht, sich mit ihm abzufinden.
Das eben ist die Kunst, die wir uns schufen,
Je nach Bedarf zu dehnen das Gewissen
Und, ließ die Handlung Lauterkeit vermissen,
Uns auf den guten Willen zu berufen.
In dieser Kunst will ich Ihr Lehrer sein;
Drum folgen Sie getrost auf meinem Pfade
Und schenken Sie mir furchtlos Ihre Gnade:
Die Schuld nehm' ich auf mich, auf mich allein.
    (Elmire hustet stärker)
Sie haben stark den Husten.

Elmire.                                         Schauderhaft!

Tartüff. Befehlen Sie vielleicht Lakritzensaft?

Elmire. Ach, die Erkältung läßt nicht mit sich spaßen;
Es gibt dafür kein Mittel, wie mich deucht.

Tartüff. Das ist recht lästig.

Elmire.                                 Über alle Maßen.

Tartüff. Die Skrupel, wie gesagt, sind bald verscheucht.
Daß es verschwiegen bleibt, ist ja gewiß.
Ein Fehl besteht nicht, eh' man ihn verkündigt;
Erst das Geschrei macht ihn zum Ärgernis;
Drum sündigt nicht, wer im geheimen sündigt.

Elmire. (nachdem sie abermals gehustet und auf den Tisch geklopft hat).
Ich merke schon, da hilft kein Widerstreben;
Ich muß gefügig alles zugestehn;
Denn deutlich hab' ich eingesehn,
Daß Sie nicht früher sich zufrieden geben.
    (Mit erhobener Stimme und mit deutlichem Doppelsinn)
Zwar heißt das viel zu weit gegangen,
Und nur dem Zwange geb' ich nach;
Doch weil man zeigt so heftiges Verlangen
Und nichts von allem glaubte, was ich sprach,
Weil man Beweise will von stärkrer Art,
Nun, so bekenn' ich mich besiegt,
Und wenn in meinem Tun ein Frevel liegt,
Er fällt auf den, der's so gewollt, zurück;
Doch mein Gewissen bleibt davor bewahrt.

Tartüff. Jawohl, ich nehm's auf mich: und unser Glück . . .

Elmire. Erst schau'n Sie nach, ob hinter jenen Türen
Nicht irgendwo mein Mann zu sehn.

Tartüff. Was kümmern Sie sich noch um den?
Der läßt sich ruhig an der Nase führen.
Dem hab' ich so den Kopf verschraubt,
Daß er's mit Augen sieht und doch nicht glaubt.

Elmire. Gleichviel! Doch bitt' ich Sie, da drinnen
Sorgfältig nachzusehn, ob rein die Luft.

 

Sechster Auftritt

Orgon. Elmire.

Orgon (kommt hinter dem Tisch hervor).
Weiß Gott, das ist ein unerhörter Schuft!
Ich halt's nicht länger aus! Ich bin von Sinnen!

Elmire. Was? Jetzt schon? Jetzt ist nicht zum Scherzen Zeit!
Schnell wieder untern Tisch, ich rat's im guten;
Verschaffen Sie sich volle Sicherheit
Und sehn Sie erst, was Sie jetzt nur vermuten!

Orgon. Der Kerl kommt aus der Hölle tiefstem Schlund!

Elmire. Wie schnell Sie eine neue Meinung fassen!
Nein, warten Sie auf einen trift'gen Grund,
Damit Sie sich nicht wieder täuschen lassen.

(Sie stellt sich vor Orgon und verbirgt ihn dadurch)

 

Siebenter Auftritt

Tartüff. Elmire. Orgon.

Tartüff. (ohne Orgon zu sehen).
Der Zufall ist für unsren Wunsch geschäftig.
Die Wohnung untersucht' ich ganz genau;
Kein Mensch ist dort; nun komm, geliebte Frau . . .

(In dem Augenblick, in welchem Tartüff mit offenen Armen auf Elmire zueilt, tritt sie zurück, und Tartüff sieht sich Orgon gegenüber)

Orgon (Tartüff festhaltend).
Gemach, verliebter Herr! Nicht gar so heftig!
Ich bitte, sich nicht weiter aufzuregen!
Seht mir den Biedermann! Zum Zeitvertreib
Läßt er sich von dem Teufel Schlingen legen,
Freit meine Tochter und verführt mein Weib.
Ich zweifelte bis jetzt an dem Betrug,
Ich hielt es nicht für Ernst und war geduldig;
Sie aber blieben den Beweis nicht schuldig:
Ich meinesteils, ich habe grad genug.

Elmire (zu Tartüff).
Ungern verstand ich mich zu diesem Spiel!
Sie ließen uns kein ander Mittel finden.

Tartüff. (zu Orgon).
Sie glauben . . .

Orgon.                     Jedes Wort ist jetzt zu viel;
Ich rate Ihnen, schleunigst zu verschwinden.

Tartüff. Mein Zweck . . .

Orgon.                           Wozu soll dies Geschwätz noch dienen?
Aus meinem Hause! Fort mit Ihnen!

Tartüff. Nein, fort mit Ihnen, der den Herrn hier spielt!
Dies Haus ist mein, das sollt ihr nun erfahren!
Wer Händel mit mir sucht, der wird gewahren,
Was man auf solchem krummen Weg erzielt.
Wenn ihr mich ungestraft zu höhnen denkt,
Ich habe Macht, den Spaß euch zu verbittern
Und Gott zu rächen, den ihr schwer gekränkt:
Wer mich von hier verjagt, der möge zittern!

 

Achter Auftritt

Elmire. Orgon.

Elmire. Was heißt denn das? Ich glaube gar, er droht.

Orgon. Mir ist das Weinen näher als das Lachen.

Elmire. Weshalb?

Orgon.                 Ich ließ mich ein in schlimme Sachen,
Und die verwünschte Schenkung macht mir Not!

Elmire. Die Schenkung?

Orgon.                           Ja, das ist nun mal geschehn;
Doch gibt es noch was andres, was mich quält.

Elmire. Was?

Orgon.           Davon später. Eilen wir, zu sehn,
Ob ein gewisses Kästchen mir nicht fehlt.

 


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