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Berald, Argan, Toinette
Berald. Nun, Bruder, wie gefiel's dir? War es nicht so gut wie eine Dosis Quassia?
Argan. Na, gute Quassia ist auch etwas wert.
Berald. Also –: können wir jetzt miteinander reden?
Argan. Gedulde dich einen Augenblick! Ich bin gleich wieder da.
Toinette. Sie passen nicht auf, Herr Argan! Sie denken nicht daran, daß Sie ohne Stock nicht gehen können.
Argan. Da hast du recht.
Berald, Toinette
Toinette. Ich bitte Sie, lassen Sie nur Ihre Nichte nicht im Stich!
Berald. Ich werde alles aufbieten, daß ihr Wunsch erfüllt wird.
Toinette. Wir müssen unbedingt diese blödsinnige Heirat verhindern. Mir fiel eine nette List ein: einen Arzt ins Haus zu bringen, der ihm auf unserer Seite seinen Doktor Purgon verleiden und verrufen würde. Da wir aber solchen guten Freund nicht zur Hand haben, will ich selbst einen anderen Streich versuchen.
Berald. Was denn?
Toinette. Es ist ein lustiger Einfall. Vielleicht habe ich mehr Glück als Verstand dabei. Lassen Sie mich machen und seien Sie gleichfalls auf dem Posten! Da kommt der gute Herr.
Argan, Berald
Berald. Vor allem bitte ich, lieber Bruder, daß du dich bei unserer Unterhaltung nicht aufregst.
Argan. Einverstanden.
Berald. Ferner sollst du ohne Schärfe auf meine Fragen antworten.
Argan. Soll geschehen.
Berald. Und über alles, was wir berühren, mit leidenschaftslosem Sinn sprechen.
Argan. Herrgott, ja! Das ist ein langes Vorwort!
Berald. Wie kommt es also, daß du mit deinem schönen Vermögen und obwohl du außer der kleinen nur die eine erwachsene Tochter hast, Angelica durchaus ins Kloster schicken willst?
Argan. Wie kommt es, daß ich in meinem Hause Herr bin, um mit meiner Familie zu tun und zu lassen, was mir beliebt?
Berald. Deine Frau bearbeitet dich, um auf diese Art deine zwei Töchter loszuwerden. Ich zweifle nicht, daß sie aus christlicher Liebe entzückt wäre, wenn sie alle beide recht fromme Nonnen würden.
Argan. Natürlich! Immer geht es gegen die arme Frau! Sie tut alles mögliche Schlechte, und jeder ist ihr Feind!
Berald. Gut, lassen wir sie! Sie ist vielmehr eine Frau, die von den besten Absichten für die Deinen beseelt ist. Sie kennt keinerlei Eigennutz, ihre Zärtlichkeit ist staunenswert, deinen Kindern erweist sie eine unbegreifliche Liebe und Güte. Das alles gebe ich zu. Es steht fest, und wir kommen wieder auf deine Tochter. Aus welchem Grunde willst du sie dem Sohn eines Arztes zur Frau geben?
Argan. Aus dem Grunde, daß ich mir einen Schwiegersohn geben will! So wie ich ihn brauche!
Berald. Aber deine Tochter braucht ihn anders. Und es bietet sich jetzt ein viel passenderer Gatte.
Argan. Aber dieser paßt besser zu mir.
Berald. Nimmt sie einen Mann für sich oder für dich?
Argan. Er soll für sie und für mich sein. Ich nehme Leute in meine Familie, die mir helfen können.
Berald. Nach diesem Grundsatz wirst du deiner Jüngeren einmal einen Apotheker geben.
Argan. Weshalb nicht?
Berald. Ist es möglich, daß du dauernd auf Ärzte und Apotheker versessen bleibst? und den Menschen und der Natur zum Trotz krank sein willst?
Argan. Was meinst du damit?
Berald. Daß ich niemanden kenne, der weniger krank wäre als du. Ich wünschte mir keine bessere Veranlagung als die deine. Der beste Beweis für die Gesundheit deines Körpers ist, daß du dich trotz aller Pflege wohl befindest und trotz aller Anstrengungen deine gute Natur noch nicht verdorben hast. Ja, all die Arzeneien, die man dich schlucken ließ, haben dich nicht umgebracht.
Argan. Weißt du denn nicht, daß sie allein mich am Leben erhalten? Daß Doktor Purgon sagt, ich wäre fertig, wenn er nur drei Tage nicht auf mich achtgäbe?
Berald. Gib du nur acht, daß seine Kunst dich nicht in die andere Welt schickt!
Argan. Laß uns vernünftig reden, Bruder! Du scheinst an die Medizin nicht zu glauben?
Berald. Nein! Ich halte diesen Glauben für sehr unnötig.
Argan. Wie? Du bist von einer Sache nicht überzeugt, die für die ganze Welt feststeht und von allen Zeiten hoch verehrt wird?
Berald. Für mich steht sie sowenig fest, daß ich sie für eine der größten Narrheiten halte, die unter den Menschen vorkommt. Es ist eine alberne Täuschung, es ist eine fratzenhafte Lächerlichkeit, wenn ein Mensch sich anmaßt, einen andern heilen zu wollen.
Argan. Warum bestehst du darauf, daß ein Mensch den andern nicht heilen kann?
Berald. Einfach deshalb, weil die Federn unserer Maschine noch immer geheimnisvoll sind. Kein menschliches Auge hat sie richtig gesehen. Die Natur hat unsere Sinne zu dicht verschleiert, um irgend etwas unterscheiden zu können.
Argan. Nach deiner Ansicht verstehen die Ärzte also nichts?
Berald. Doch. Die meisten verstehen sich ausgezeichnet auf die alten Sprachen. Sie sprechen ein klassisches Latein. Sie nennen alle Krankheiten bei ihren griechischen Namen. Sie beschreiben und teilen sie höchst ordentlich ein. Nur wie sie zu heilen sind, davon verstehen sie gar nichts.
Argan. Immerhin wirst du zugeben, sie verstehen davon mehr als die andern Menschen.
Berald. Nur in der Beziehung, wie vorhin erwähnt. Damit kuriert man aber nicht viel. Die Herrlichkeit ihrer Wissenschaft besteht in einem hochtrabenden Galimathias, in einem blendenden Wortschwall, der statt der Diagnose Phrasen gibt und statt der Behandlung Versprechungen.
Argan. Am Ende gibt es andere Leute, die ebenso klug und erfahren sind wie du, lieber Bruder. Trotzdem erleben wir, wenn sie krank werden, daß sie alle sich an die Ärzte wenden.
Berald. Das ist ein Beweis für die menschliche Schwäche. Aber keineswegs für die Güte dieser Wissenschaft.
Argan. Die Ärzte selbst aber müssen doch daran glauben, da sie ihre Kunst auch an sich selbst anwenden!
Berald. Einige von ihnen sind selbst dem allgemeinen Irrtum verfallen, der ihnen Nutzen bringt. Andere nehmen den Nutzen, ohne im Irrtum zu sein. Dein Herr Purgon zum Beispiel gehört zu den Unzweideutigen. Der ist ganz Arzt vom Kopf bis zu den Füßen. Der glaubt an seine Regeln fester als an mathematische Beweise. Dem käme es wie ein Verbrechen vor, sie nachprüfen zu wollen. In der ganzen Heilkunde sieht er keinen dunklen Punkt. Nichts ist zweifelhaft, nichts ist schwierig. Mit dem ganzen Ungestüm des Vorurteils, mit der Schroffheit des Selbstvertrauens, mit der Brutalität des gewöhnlichen Menschenverstandes geht er drauf los mit Spülungen und Aderlässen, und nichts bringt ihn davon ab. Man darf ihn für das Unheil, das er bei dir anrichten kann, nicht übel ansehen: er wird dich im besten Glauben erledigen. Wenn er dich umbringt, behandelt er dich nicht schlechter als seine Frau und seine Kinder, ja im Notfall schreckt er auch vor sich selbst nicht zurück.
Argan. Ich weiß schon. Du hast etwas gegen ihn. Aber sprechen wir sachlich. Was tut man, wenn man krank ist?
Berald. Nichts, Bruder.
Argan. Nichts?
Berald. Nichts. Man verhält sich nur ruhig. Lassen wir die Natur handeln, so hilft sie sich selbst am besten. Unsere Unruhe, unsere Ungeduld, die verdirbt alles. Die meisten Menschen sterben an ihren Arzeneien, nicht an ihren Krankheiten.
Argan. Du kannst nicht leugnen, daß man die Natur unterstützen kann.
Berald. Mein Gott, das sind Gedanken, mit denen wir uns nur schmeicheln. Von jeher sind die Menschen solchen Einbildungen verfallen, weil sie ihrer Eitelkeit und ihren Wünschen entsprechen. Verspricht dir ein Arzt, er werde der Natur nachhelfen, fortnehmen was schadet und hinzufügen was fehlt und ihre freien Funktionen wiederherstellen; – wenn er dir sagt, er sei dabei, dein Blut zu verbessern, Gehirn und Eingeweide zu temperieren, deine Milz abzuschwellen, deine Brust zu erleichtern, deine Leber gesund zu machen, dein Herz zu stärken, die natürliche Wärme zu erneuern und zu erhalten; – wenn er behauptet, er besitze geheime Mittel, dein Leben um viele Jahre zu verlängern: so erzählt er dir den ganzen Roman der Heilkunde. Kommt es aber zu alldem und du befragst deine Erfahrungen, so stehst du vor dem Nichts. Du hast das Gefühl wie nach einem schönen Traum, der dir beim Erwachen nur die Mißstimmung läßt, ihn geträumt zu haben.
Argan. Alle Weisheit der Welt haust also in deinem Kopf! Du verstehst mehr als die großen Ärzte unserer Zeit!
Berald. Deine großen Ärzte sind nur sehr verschieden, hörst du sie sprechen oder fühlst du sie behandeln. Im ersten sind sie überaus geschickt, im zweiten vollkommen unfähig.
Argan. Ha, du bist ein großer Gelehrter, hätte ich nur einen von den Herren zugegen, der würde dein Geschwätz gehörig heimschicken.
Berald. Ich habe mir durchaus nicht die Aufgabe gestellt, gegen die Medizin zu kämpfen. Jeder mag auf seine Gefahr und Kosten daran glauben, soviel er will. Ich sprach nur unter uns. Und im Wunsche, dich dem richtigen Wege etwas näherzubringen. Übrigens würde ich dich, zur Sache, ganz gern einmal in eine von Molières Komödien führen.
Argan. Dein Molière mit seinen frechen Komödien wäre mir der Rechte! Ich finde es unerhört, anständige Leute wie unsere Ärzte lächerlich zu machen.
Berald. Nicht die Ärzte macht er lächerlich, sondern die Lächerlichkeit ihres Handwerks.
Argan. Als ob er der Mann wäre, die Heilkunst zu beherrschen! Was, dieser dreiste, einfältige Mensch will sich über Konsultationen und Rezepte lustig machen, will sich am Körper der Fakultät vergreifen und verehrungswürdige ärztliche Persönlichkeiten auf sein Theater bringen!
Berald. Was soll er sonst aufs Theater bringen als die verschiedenen menschlichen Berufe? Täglich siehst du ja Fürsten und Könige auf der Bühne, die aus ebenso gutem Hause sind wie die Ärzte.
Argan. Hol' mich – fast hätte ich gesagt, der Teufel! Wenn ich wie die Ärzte wäre, ich würde mich für seine Unverschämtheit rächen: würde er krank, ich ließe ihn hilflos sterben. Da sollte er tun und sagen, was er wollte, ich verordnete ihm nicht den kleinsten Aderlaß, nicht die geringste, nicht die kleinste Spülung, ich spräche zu ihm: Krepiere, krepiere! Das wird dir beibringen, noch einmal über uns zu spotten!
Berald. Du bist ja voller Wut gegen ihn.
Argan. Das ist ein ahnungsloser Mensch! Wenn die Ärzte gescheit sind, tun sie, wie ich sagte.
Berald. Er wird noch gescheiter als die Ärzte sein und sich gar nicht an sie wenden.
Argan. Um so schlimmer für ihn, wenn er von ihren Mitteln nichts zu hoffen hat.
Berald. Er hofft aus guten Gründen nichts davon. Er meint, das könnten sich nur kräftige und widerstandsfähige Naturen erlauben. Nur Menschen, die stark genug sind, um außer der Krankheit auch noch die Arzeneien auszuhalten. Während er nur gerade soviel Zähigkeit habe, seine Krankheit zu überstehen.
Argan. Was sind das für unsinnige Einwände! Höre, Bruder, sprechen wir nicht mehr von dem Menschen. Es erhitzt mir die Galle und könnte mir einen Anfall zuziehen.
Berald. Ganz recht. Um den Gegenstand zu wechseln, möchte ich dir sagen: Du mußt wegen einer kleinen Widersetzlichkeit deiner Tochter sie nicht gleich gewaltsam ins Kloster bringen wollen. Du mußt bei der Wahl eines Schwiegersohns nicht blind deiner eigenen Leidenschaft folgen. Man soll sich in solchen Dingen auch ein wenig der Neigung der Tochter anpassen. Denn es ist für ihr Leben! Das Glück ihrer Ehe hängt davon ab.
Fleurant (eine Spritze in der Hand), Argan, Berald
Argan. Erlaube, lieber Bruder.
Berald. Was gibt's denn? was hast du vor?
Argan. Nur eine kleine Spülung. Es ist schnell gemacht.
Berald. Du bist verrückt! Kannst du keinen Augenblick ohne Spülung und Arzenei leben? Verschieb es auf ein andermal und gönne dir etwas Ruhe.
Argan. Also heut abend, Herr Fleurant, oder morgen früh.
Fleurant (zu Berald). Wie kommen Sie dazu, den Verordnungen der Heilkunde Widerstand zu leisten? Sie wollen Herrn Argan verhindern, mein Klistier zu nehmen? Wie können Sie sich das herausnehmen?
Berald. Gehen Sie, Herr. Ich merke, Sie sind nicht gewöhnt, Gesichter vor sich zu haben.
Fleurant. So verhöhnt man die Heilmittel nicht! So hat man mich nicht um meine Zeit zu bringen! Ich bin nach Vorschrift hergekommen und werde Herrn Doktor Purgon anzeigen, wie man mich verhindert hat, seine Anordnung auszuführen und meine Pflicht zu tun. Warten Sie, warten Sie!
Argan. Bruder, du wirst hier ein Unglück anrichten.
Berald. Das riesige Unglück, ein Klistier des Herrn Purgon verfehlt zu haben! Nochmals: ist es denn nicht möglich, dich von der Krankheit der Ärzte zu heilen? Willst du dein Leben lang in Rezepten begraben sein?
Argan. Lieber Gott, du sprichst wie ein Mensch, der wohlauf ist. Wärest du an meiner Stelle, du würdest wohl anders reden. Bei voller Gesundheit verwirft man leicht die Medizin.
Berald. Und was fehlt dir?
Argan. Du wirst mich noch rasend machen! Ich wünschte, du hättest meine Krankheit. Dann könnte ich sehen, ob du noch immer so schimpfen würdest. Oh, da kommt Doktor Purgon.
Purgon, Argan, Berald, Toinette
Purgon. Hübsche Neuigkeiten erfahre ich soeben unten an der Tür. Man verhöhnt hier meine Rezepte. Man weist das Mittel zurück, das ich verschrieb.
Argan. Herr Doktor, nicht ...
Purgon. Welche unmäßige Herausforderung, welch unerhörte Rebellion eines Kranken gegen seinen Arzt!
Toinette. Es ist fürchterlich.
Purgon. Ein Klistier, das ich mit großer Freude selbst bereitet habe.
Argan. Nicht ich bin schuld ...
Purgon. Erfunden und zusammengesetzt nach allen Regeln der Kunst.
Toinette. Es war nicht recht!
Purgon. Welches in den Eingeweiden dieses Herrn eine verblüffende Wirkung hervorgerufen hätte.
Argan. Bruder –?
Purgon. Verächtlich es zurückzuweisen!
Argan. Er war es ...
Purgon. Eine grauenerregende Tat.
Toinette. Sehr wahr.
Purgon. Ein frevelhaftes Attentat gegen die Medizin.
Argan. Er ist schuld ...
Purgon. Ein Crimen laesae facultatis, das nicht streng genug bestraft werden kann.
Toinette. Ganz recht.
Purgon. Hiermit erkläre ich, daß ich mich nicht mehr um Sie kümmere.
Argan. Es war mein Bruder ...
Purgon. Daß ich von der Verbindung mit Ihrer Familie nichts mehr wissen will.
Toinette. Wohlgetan.
Purgon. Und daß ich, um jede Gemeinschaft mit Ihnen aufzulösen, hier die Schenkung vernichte, die ich meinem Neffen zugunsten der Heirat machen wollte.
Argan. Mein Bruder ist an all dem Unglück schuld.
Purgon. Mein Klistier verschmähen!
Argan. Laßt es holen, ich will es nehmen.
Purgon. Ich hätte Ihnen in kurzem von allen Beschwerden geholfen.
Toinette. Er verdient es nicht.
Purgon. Ich war dabei, Ihren Körper ganz zu reinigen und alle schlechten Säfte auszuräumen.
Argan. Ach, Bruder!
Purgon. Und hatte für Sie höchstens noch ein Dutzend Mittel in Bereitschaft, um Kehraus zu machen.
Toinette. Er ist Ihrer Sorge unwürdig.
Purgon. Da Sie jedoch nicht durch meine Hand geheilt werden wollen –
Argan. Es lag ja nicht an mir.
Purgon. Da Sie sich dem Gehorsam entzogen, den man dem Arzte schuldet –
Toinette. Das schreit um Rache.
Purgon. Da Sie zum offenbaren Meuterer gegen meine Verordnungen wurden ...
Argan. Ach, ganz und gar nicht!
Purgon. So erkläre ich Ihnen: ich überlasse Sie Ihrer schlechten Konstitution, der Verstimmung Ihrer Eingeweide, der Verdorbenheit Ihres Blutes, der Schärfe ihrer Galle und der Verschleimung Ihrer Säfte!
Toinette. Das ist ausgezeichnet!
Argan. O Gott!
Purgon. Und ich will, daß, ehe vier Tage vorbeigehen, Ihr Zustand unheilbar sei.
Argan. Erbarmen!
Purgon. Fallen werden Sie in die Bradypepsie ...
Argan. Herr Doktor ...
Purgon. Aus der Bradypepsie in die Dyspepsie ...
Argan. Herr Doktor ...
Purgon. Aus der Dyspepsie in die Apepsie ...
Argan. Herr Doktor ...
Purgon. Aus der Apepsie in die Lienterie ...
Argan. Herr Doktor ...
Purgon. Aus der Lienterie in die Dysenterie ...
Argan. Herr Doktor ...
Purgon. Aus der Dysenterie in die Hydropisie ...
Argan. Herr Doktor ...
Purgon. Und aus der Hydropisie in die Agonie, denn Ihre Torheit verdienet nur die.
Argan, Berald
Argan. Mein Gott, mein Gott, ich sterbe! Bruder, du hast mich unglücklich gemacht.
Argan. Ich bin fertig. Ich fühle schon, wie die Medizin sich rächt.
Berald. Aber, Bruder, du bist toll. Ich wünschte nicht, daß ein anderer sähe, wie du dich benimmst. Fasse dich, komme zu dir, ich bitte dich, und verfalle nicht ganz deiner Einbildung!
Argan. Hörtest du nicht, Bruder, mit welchen unheimlichen Krankheiten er drohte?
Berald. Du bist albern.
Argan. In vier Tagen, sagte er, bin ich unheilbar.
Berald. Und wenn er es sagt, was macht das? Sprach das ein Orakel? Du redest, als hielte der Herr Purgon deinen Lebensfaden zwischen den Fingern und hätte die oberste Macht, ihn beliebig zu verlängern oder abzuschneiden. Denke lieber daran, daß die Gesetze deines Lebens in dir selbst liegen! Aller Zorn des Herrn Purgon ist ebensowenig fähig, dich zu töten, wie seine Arzeneien, dich am Leben zu erhalten. Das ist eine Gelegenheit, dir die Ärzte vom Hals zu schaffen, wenn du nur willst! Bist du aber dazu geboren, ohne sie nicht sein zu können, so findest du leicht einen anderen, lieber Bruder, bei dem du weniger Gefahr läufst.
Argan. Ach, Bruder, er kennt so gut mein Temperament und die Art, wie man mich leiten muß.
Berald. Ich muß gestehen, deine Verblendung ist außerordentlich. Du siehst die Dinge mit sonderbaren Augen an.
Toinette, Argan, Berald
Toinette. Herr Argan, es ist ein Arzt da, der Sie sprechen will.
Argan. Was für ein Arzt?
Toinette. Ein medizinischer Arzt.
Argan. Ich frage, wer es ist.
Toinette. Ich kenne ihn nicht. Aber er gleicht mir wie ein Tropfen dem anderen. Wüßte ich nicht, daß meine Mutter eine anständige Frau war, so hielte ich ihn für einen kleinen Bruder, den sie mir nach meines Vaters Tod geschenkt hätte.
Argan. Laß ihn eintreten!
Berald. Der kommt gelegen. Kaum verläßt dich ein Arzt, bietet sich ein anderer!
Argan. Ich fürchte, du hast Unheil angerichtet.
Berald. Immer noch? Kommst du davon niemals los?
Argan. Ja, sieh, all jene unbekannten Krankheiten liegen mir auf der Brust, sie ...
Toinette (als Arzt), Argan, Berald
Toinette. Mein Herr, erlauben Sie mir, Ihnen meinen Besuch zu machen und für sämtliche Aderlässe und Spülungen, deren Sie bedürfen, meine geringen Dienste anzubieten.
Argan. Sehr verbunden, Herr Doktor. Wahrhaftig, das ist ja Toinette in Person!
Toinette. Ach, mein Herr, verzeihen Sie einen Augenblick! Ich vergaß, meinem Diener einen Auftrag zu geben. Gleich bin ich wieder hier.
Argan. Sage, hättest du nicht geschworen, das sei Toinette selbst?
Berald. Ich muß zugeben, die Ähnlichkeit ist groß. Aber dergleichen sieht man nicht zum ersten Male. Von solchen Naturspielen gibt es viel Geschichten.
Argan. Ich bin doch sehr erstaunt ...
Toinette, Argan, Berald
Toinette. Sie wünschen, Herr Argan?
Argan. Was ist denn?
Toinette. Haben Sie mich nicht gerufen?
Argan. Ich? Nein.
Toinette. Dann müssen mir die Ohren geklungen haben.
Argan. Bleib einmal hier, damit du die Ähnlichkeit mit dem Doktor sehen kannst.
Toinette (im Hinausgehen). Freilich! Ich habe unten zu tun. Ich habe ihn schon genug gesehen.
Argan. Wenn ich sie nicht alle beide vor Augen habe, kommt mir vor, als wäre es nur einer.
Berald. Erstaunliche Dinge habe ich schon über solche Ähnlichkeiten gelesen. Wir haben in unserer Zeit Fälle erlebt, die jeden getäuscht haben.
Argan. Hier wäre ich auch getäuscht worden und hätte geschworen, es sei dieselbe.
Toinette (als Arzt), Argan, Berald
Toinette. Mein Herr, ich bitte herzlich um Entschuldigung.
Argan. Das ist fabelhaft!
Toinette. Sie verargen es mir hoffentlich nicht, daß mich die Neugier trieb, einen so berühmten Kranken wie Sie zu sehen. Ihr Ruf, der sich weithin verbreitet, mag entschuldigen, daß ich mir diese Freiheit nehme.
Argan. Herr Doktor, ich bin zu Ihrer Verfügung.
Toinette. Ich bemerke, mein Herr, daß Sie mich scharf ins Auge fassen. Für wie alt mögen Sie mich wohl halten?
Argan. Ich denke, Sie sind höchstens sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig Jahre alt.
Toinette. Hahahahaha! Ich bin neunzig Jahre alt.
Argan. Neunzig?
Toinette. Jawohl. Da haben Sie bereits ein Ergebnis der Geheimnisse meiner Kunst. Sie erhält mich so frisch und kräftig.
Argan. Auf Ehre, das ist ein hübscher junger Greis von neunzig Jahren.
Toinette. Ich bin reisender Arzt. Ich ziehe von Stadt zu Stadt, von Provinz zu Provinz, von Reich zu Reich, um hervorragende Gegenstände für meine Kapazität aufzusuchen, um Kranke zu finden, welche meiner Beschäftigung würdig sind und die großen und schönen Geheimmittel anwenden können, so ich in der Arzeneikunst entdeckte. Ich verschmähe es, mich mit dem Kleinkram der alltäglichen Krankheiten zu befassen, mit diesem Geschmeiß von Rheumatismen, Schlagflüssen, Grippen, Blähungen, Kopfschmerzen. Ich will Krankheiten von Bedeutung: gutes anhaltendes Fieber mit Gehirnentzündung, gutes Scharlachfieber, gute Pestkrankheiten, gute ausgebildete Wassersuchten, gute Brustfellentzündungen: da fühle ich mich wohl, da feiere ich meine Triumphe! Ich wünschte, mein Herr, Sie hätten all diese Krankheiten. Ich wünschte, Sie wären von allen Ärzten aufgegeben, hoffnungslos, in den letzten Zügen. Dann wollte ich Ihnen die Herrlichkeit meiner Mittel beweisen. Und meinen Wunsch, Ihnen zu Diensten zu sein.
Argan. Ich danke Ihnen, Herr Doktor, für Ihre große Freundlichkeit.
Toinette. Lassen Sie mich Ihren Puls fühlen! – Höre mal, – daß du ordentlichst schlägst. Holla, ich bringe dir bei, wie du zu schlagen hast. Na, dieser Puls ist ungezogen. Ich merke, er kennt mich noch nicht. Wer ist Ihr Arzt?
Argan. Herr Purgon.
Toinette. Der steht nicht in meinem Buch für große Ärzte. Woran, sagt er, leiden Sie?
Argan. Er sagt, es sei die Leber; andere, es sei die Milz.
Toinette. Unfähige Leute! Sie sind lungenkrank.
Argan. Lungenkrank?
Toinette. Jawohl. Was für Schmerzen haben Sie?
Argan. Von Zeit zu Zeit Kopfschmerzen.
Toinette. Ganz recht, die Lunge.
Argan. Manchmal habe ich einen Schleier vor den Augen.
Toinette. Die Lunge.
Argan. Zuweilen wird mir übel.
Toinette. Die Lunge.
Argan. Mitunter eine Müdigkeit in allen Gliedern.
Toinette. Die Lunge.
Argan. Dann wieder habe ich heftige Leibschmerzen.
Toinette. Die Lunge. Appetit?
Argan. Ja, Herr Doktor.
Toinette. Die Lunge. Sie trinken gern Wein?
Argan. Ja, Herr Doktor.
Toinette. Die Lunge. Nach dem Essen werden Sie leicht schläfrig?
Argan. Ja, Herr Doktor.
Toinette. Die Lunge, die Lunge. Welche Diät verordnet Ihr Arzt?
Argan. Er verordnet Suppe ...
Toinette. Ignorant.
Argan. Geflügel ...
Toinette. Ignorant.
Argan. Kalbfleisch ...
Toinette. Ignorant.
Argan. Fleischbrühe ...
Toinette. Ignorant.
Argan. Frische Eier ...
Toinette. Ignorant.
Argan. Abends gedörrte Pflaumen, um den Leib frei zu halten ...
Toinette. Ignorant.
Argan. Und vor allem den Wein stark mit Wasser vermischt.
Toinette. Ignorantus, ignoranta, ignorantum. Sie haben Ihren Wein ohne Wasser zu trinken. Um Ihr Blut zu verdicken – denn es ist zu fein – haben Sie derbes Rindfleisch zu essen, tüchtiges fettes Schweinefleisch, saftigen holländischen Käse, Grütze und Reis, Kastanien und Nudeln. Kurz alles, was leimt und kleistert. Ihr Arzt ist ein Dummkopf, ich schicke Ihnen einen von meinen Schülern und spreche von Zeit zu Zeit vor, solange ich noch hier bin.
Argan. Ich danke Ihnen sehr.
Toinette. Was zum Teufel machen Sie denn eigentlich mit diesem Arm da?
Argan. Wie?
Toinette. Ich an Ihrer Stelle ließe mir den Arm auf der Stelle abnehmen.
Argan. Warum? warum?
Toinette. Ja, sehen Sie denn nicht, daß er alle Nahrung an sich zieht und die andere Seite hindert, sich zu ernähren?
Argan. Ja, aber ich brauche meinen Arm.
Toinette. Sie haben da auch ein rechtes Auge, das müßte mir heraus, wäre ich Sie.
Argan. Ein Auge heraus?
Toinette. Sehen Sie nicht, daß es das andere stört und ihm die Nahrung raubt? Glauben Sie mir, lassen Sie es sich je eher je lieber ausstechen! Um so besser werden Sie mit dem linken sehen.
Argan. Das eilt nicht.
Toinette. Leben Sie wohl. Es tut mir leid, daß ich Sie so bald schon verlasse. Aber ich werde bei einer großen Konsultation erwartet, die wir wegen eines gestern Verstorbenen abhalten.
Argan. Wegen eines Verstorbenen?
Toinette. Ja, um herauszufinden und festzustellen, was wir hätten tun müssen, um ihn zu heilen. Auf Wiedersehen.
Argan. Sie wissen ja, daß die Kranken nicht zur Tür begleiten.
Berald. Das schien allerdings ein sehr geschickter Arzt zu sein.
Argan. Ja, aber schon etwas allzu scharf.
Berald. So sind alle großen Ärzte.
Argan. Einen Arm abnehmen, ein Auge ausstechen, damit das andere besser sieht? Mag es doch lieber etwas schlechter sehen! Eine schöne Operation, die mich einäugig und einarmig macht!
Toinette, Argan, Berald
Toinette. Gehen Sie fort! Sonst gern zu Ihren Diensten! Ich lache nicht gern so heftig!
Argan. Mit wem sprichst du denn?
Toinette. Mit Ihrem Doktor. Er wollte mir an den Puls fühlen!
Argan. Sieh mal an! Mit seinen neunzig Jahren!
Berald. Lieber Bruder, da Herr Purgon sich mit dir entzweit hat: könnte ich jetzt nicht ein Wort über die Heirat sagen, die sich meiner Nichte bietet?
Argan. Nein, nein. Ich tue sie ins Kloster, weil sie sich meinem Willen widersetzt hat. Ich merke ganz genau, daß eine Liebschaft dahinter ist. Ich habe eine gewisse heimliche Zusammenkunft entdeckt. Davon weiß man freilich noch nichts.
Berald. Und wenn's sich wirklich um eine Neigung handelte, wäre das ein Verbrechen? Könnte es dich beleidigen, wenn alles auf einen so ehrlichen Zweck wie die Heirat ausginge?
Argan. Ganz gleich, sie wird Nonne! Das steht bei mir fest.
Berald. Du willst jemandem eine Freude machen.
Argan. Ich verstehe. Du spielst wieder auf meine Frau an.
Berald. Also ja, wenn ich aufrichtig reden soll. Ich meine deine Frau. Ebensowenig wie deine Leidenschaft für die Medizin, kann ich deine Ahnungslosigkeit über ihren Charakter gutheißen. Ich sehe nicht mehr mit an, wie du blind in all ihre Fallen rennst.
Toinette. Aber, Herr Berald, sagen Sie nichts gegen die gnädige Frau! Das ist eine Dame, an der nichts auszusetzen ist, eine Dame voll Offenheit, voll Liebe für ihren Mann, voll unbeschreiblicher Liebe!
Argan. Befrage einmal Toinette, wie zärtlich sie zu mir ist.
Toinette. Ja, ja.
Argan. Wie besorgt um meine Krankheit.
Toinette. Ja, ja.
Argan. Wie sie mich pflegt, wie sie mich verwöhnt.
Toinette. Das ist gewiß. Soll ich Sie unverzüglich überzeugen, wie die Frau den Herrn liebt? Herr Argan, erlauben Sie, daß ich diesem Verleumder beweise, wie gründlich er sich irrt?
Argan. Was willst du denn machen?
Toinette. Die gnädige Frau kommt gleich zurück. Strecken Sie sich lang in Ihrem Lehnstuhl aus und stellen Sie sich tot! Da sollen Sie ihren Schmerz sehen, wenn ich ihr die Nachricht bringe.
Argan. Das ist mir ganz recht!
Toinette. Aber lassen Sie die Frau nicht allzu lang in ihrem Jammer! Sie könnte daran sterben.
Argan. Sei unbesorgt!
Toinette (zu Berald). Und Sie verstecken sich dort im Winkel.
Argan. Es ist doch nicht gefährlich, sich tot zu stellen?
Toinette. Nein, nein. Wie könnte das gefährlich sein? Nun legen Sie sich hin. (Leise.) Sie haben das Vergnügen dabei, Ihren Bruder zu beschämen. Da kommt die gnädige Frau. Bleiben Sie ganz still!
Beline, Toinette, Argan, Berald
Toinette (schreiend). Ach Gott, ach Gott! Dies Unglück! Dieser fürchterliche Schlag!
Beline. Was gibt es, Toinette?
Toinette. Ach, gnädige Frau!
Beline. Was ist denn vorgefallen?
Toinette. Ihr Herr Gemahl ist tot!
Beline. Mein Mann ist tot?
Toinette. O weh! Ja, der selige Herr ist tot!
Beline. Ganz sicher?
Toinette. Ganz sicher. Niemand weiß es noch. Und ich war hier ganz allein. Er ist soeben in meinen Armen verschieden. Sehen Sie nur, da liegt er der Länge nach in seinem Stuhl.
Beline. Dem Himmel sei Dank! Ich bin von einer schweren Last befreit. Sei nicht so dumm, Toinette, dich über diesen Tod zu grämen!
Toinette. Ich dachte, gnädige Frau, man müßte weinen.
Beline. Es lohnt nicht. Was ist an ihm verloren? Wozu nützte er noch auf der Erde? Ein Mensch, der jedem beschwerlich war. Unreinlich, abstoßend! Ohne Unterbrechung hatte er ein Klistier oder eine Medizin im Bauche. Unaufhörlich schnaubte er sich, hustete und spuckte. Dabei geistlos, langweilig, verstimmend, ermüdend. Und Tag und Nacht schimpfte er auf Diener und Dienerinnen.
Toinette. Eine schöne Grabrede.
Beline. Jetzt mußt du mir helfen, Toinette, und ich verspreche dir eine feine Belohnung. Da zum Glück noch niemand von der Sache weiß, tragen wir ihn in sein Bett und halten den Tod geheim, bis meine Angelegenheiten erledigt sind. Es sind Papiere und Gelder da, die ich an mich bringen will. Es wäre nicht gerecht, hätte ich meine schönsten Jahre nutzlos bei ihm verschwendet. Komm, Toinette, wir brauchen vor allem seine Schlüssel ...
Argan (aufspringend). Halt!
Beline (entsetzt). Hu!
Argan. Ja, meine Frau Gemahlin! Das ist also deine Liebe?
Toinette. Ach, der Selige ist nicht tot!
Argan (Beline nachrufend). Ich freue mich, deine Liebe ganz kennenzulernen! Ich habe auch die schöne Lobrede gehört, die du mir hieltest. Das war eine Lehre, die mir für die Zukunft nützen soll und mich noch rechtzeitig von mancherlei Dingen abhält.
Berald (aus seinem Versteck hervorkommend). Na, Bruder? Nun siehst du's.
Toinette. Donnerwetter, das hätte ich selbst nicht geglaubt! Aber ich höre Ihre Tochter: legen Sie sich wieder hin! Wir wollen sehen, auf welche Weise sie Ihren Tod aufnimmt. Es ist ganz gut, sich darüber klar zu werden. Da Sie einmal im Zuge sind, können Sie die Gefühle Ihrer ganzen Familie kennenlernen.
Argan, Angelica, Toinette, Berald
Toinette (schreiend). Himmel! Himmel! O trauriges Schicksal! Unseliger Tag!
Angelica. Was hast du, Toinette? Weshalb weinst du?
Toinette. Ach, ich habe eine trübe Nachricht!
Angelica. Was denn?
Toinette. Ihr Vater ist tot!
Angelica. Mein Vater tot, Toinette?
Toinette. Ja, seht, dort. Er ist soeben sanft verschieden.
Angelica. O Gott, welches Unglück! Welch grausame Schickung! Ach, muß ich meinen Vater verlieren, das einzige, das mir auf der Welt blieb? Und um mich ganz zur Verzweiflung zu bringen, muß ich ihn in dem Augenblick verlieren, da er mir noch zürnte? Was soll aus mir werden? Ich Unglückselige, wo soll ich Trost nach diesem Verluste finden?
Cleant, Angelica, Argan, Toinette, Berald
Cleant. Was ist vorgefallen, schöne Angelica? Warum weinen Sie?
Angelica. Oh, ich weine, weil ich das Liebste und Unersetzlichste verloren habe. Ich beweine den Tod meines Vaters.
Cleant. Ach, welch ein trauriger Zufall! Gerade wollte ich mich ihm vorstellen, nachdem Ihr Oheim auf meine Bitte die Werbung bei ihm übernommen hatte. Gerade wollte ich versuchen, durch ehrerbietige Bitten seine Zustimmung zu unserem Bunde zu erhalten.
Angelica. Ach, Cleant, kein Wort mehr davon! Wir müssen alle Gedanken an unsere Heirat lassen. Nach dem Verlust meines Vaters entsage ich der Welt für immer. Ja, mein Vater, wenn ich zuvor Ihren Wünschen entgegenhandelte, will ich jetzt wenigstens einen Ihrer Wünsche erfüllen und den Kummer gutmachen, den ich Ihnen leider bereitet habe. Lassen Sie mich Ihnen, mein Vater, dies Gelöbnis und in diesem Kusse meine Liebe ausdrücken!
Argan (sich aufrichtend). Oh, liebe Tochter!
Angelica (erschrocken). Ach Gott!
Argan. Komm! Fürchte dich nicht, ich bin nicht tot. Ja, du bist mein Blut, du bist meine wahre Tochter. Ich freue mich, daß ich dein gutes Gemüt erkannt habe.
Angelica. Vater, welche wunderbare Freude! Nun, da Sie mir durch das höchste Glück vom Himmel wiedergegeben sind, lassen Sie mich zu Ihren Füßen eine Bitte aussprechen! Wenn Sie der Neigung meines Herzens nicht günstig sind, wenn Sie mir Cleant als Gatten verweigern, so beschwöre ich Sie: zwingen Sie mich wenigstens nicht zu einem andern! Das ist die einzige Gnade, um die ich Sie anflehe.
Cleant (auf den Knien). Herr Argan, lassen Sie sich von ihren und meinen Bitten rühren und durchkreuzen Sie nicht eine so schöne gegenseitige Neigung!
Berald. Bruder, kannst du noch widerstehen?
Toinette. Herr Argan, bleiben Sie bei soviel Liebe unempfindlich?
Argan. So mag er Arzt werden, dann willige ich ein. Ja, werden Sie Arzt, und ich gebe Ihnen meine Tochter.
Cleant. Sehr gern, Herr Argan. Braucht es nur dies, um Ihr Schwiegersohn zu werden, so will ich Arzt oder, wenn Sie wollen, sogar Apotheker werden. Das ist nicht der Rede wert, ich täte ganz andere Dinge, um die schöne Angelica zu gewinnen.
Berald. Aber, Bruder, mir fällt etwas ein: du solltest selber Arzt werden. Das ist noch viel bequemer. Dann hast du alles, was du brauchst, in dir selbst.
Toinette. Ja, das wäre das richtige Mittel, um Sie bald zu heilen. Denn keine Krankheit ist so kühn, sich an die Person eines Arztes heranzumachen.
Argan. Ich glaube, Ihr wollt mich zum besten haben. Bin ich denn nicht zu alt, um zu studieren?
Berald. Ach was, studieren! Du bist gelehrt genug. Es gibt viele, die nicht soviel können wie du!
Argan. Doch man muß gut Lateinisch sprechen, die Krankheiten wissen und die Mittel dagegen.
Berald. Mit der Robe des Arztes und dem Doktorbarett weiß man das plötzlich alles. Du wirst danach mehr verstehen, als dir lieb ist.
Argan. Wie? Man kann über die Krankheiten gleich mitsprechen, wenn man diese Tracht angelegt hat?
Berald. Natürlich! In Robe und Barett tut man nur den Mund auf, und jedes Geschwätz wird Gelehrsamkeit, jeder Unsinn wird Vernunft.
Toinette. Und wenn Sie sogar nur Ihren Bart hätten, Herr Argan, so wäre das schon viel. Der Bart macht den halben Arzt.
Cleant. Ich jedenfalls bin zu allem bereit!
Berald. Willst du, daß wir es gleich erledigen?
Argan. Wie denn? gleich?
Berald. Jawohl, und hier in deinem Hause.
Argan. Bei mir?
Berald. Gewiß. Eine mir befreundete Fakultät wird sich sofort hier einstellen und die Zeremonie in deinem Saale vornehmen. Und es kostet dich nichts.
Argan. Aber was soll ich denn sagen? Was werde ich antworten?
Berald. Darüber werden sie dich in zwei Worten unterrichten. Man gibt dir schriftlich, was du zu sprechen hast. Geh und kleide dich angemessen um! Ich lasse sie holen.
Cleant. Was haben Sie eigentlich mit ihm vor? Was ist's mit der befreundeten Fakultät?
Berald. Einen lustigen Abend wollen wir uns machen. Die Schauspieler haben ein kleines Zwischenspiel von der Promotion zum Doktor der Medizin verfaßt, mit Gesang und Tanz. Das soll uns unterhalten. Und mein Bruder wird die Hauptrolle spielen!