Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Akt

Erste Szene

Toinette, Cleant

Toinette. Was wünschen Sie, mein Herr?

Cleant. Was ich wünsche?

Toinette. Ach, Sie sind es! Ich bin ganz überrascht. Was wollen Sie denn hier bei uns?

Cleant. Mein Schicksal erfahren. Mit der geliebten Angelica sprechen. Über ihre Empfindungen Gewißheit erlangen. Und sie fragen, was sie gegen die verwünschte Heirat tun will.

Toinette. Gut. Aber so ohne weiteres geht das nicht. Es muß heimlich geschehen. Sie wissen doch, wie scharf sie bewacht wird. Man läßt sie nicht allein ausgehen, man läßt sie mit niemandem reden. Hätte ihr nicht die Lebenslust einer alten Tante Erlaubnis verschafft, mit ihr ins Theater zu gehen, ihr hättet nie Gelegenheit gehabt, euch ineinander zu verlieben. Wir haben uns gehütet, von diesem Abenteuer etwas zu verraten.

Cleant. Darum komme ich nicht als Cleant hierher, nicht als Bewerber, sondern als Freund ihres Musiklehrers. Ich habe mit ihm verabredet, daß ich mich als sein Stellvertreter ausgebe.

Toinette. Da kommt ihr Vater. Gehen Sie ein wenig beiseite! Ich melde Sie an.

Zweite Szene

Argan, Toinette, Cleant

Argan. Doktor Purgon hat mir verordnet, ich solle morgens im Zimmer zwölfmal auf und ab gehen. Leider vergaß ich, ihn zu fragen, ob es in der Länge oder in der Breite geschehen soll.

Toinette. Herr Argan, hier ist –

Argan. Sprich leiser, du Hexe! Du erschütterst mir das Gehirn. Weißt du nicht, daß man Kranke nicht so anschreien darf?

Toinette. Ich sagte nur –

Argan. Leiser, hörst du nicht?

Toinette. Herr Argan – (Sie tut, als spreche sie)

Argan. Wie?

Toinette. Ich sage – (Sie tut wieder, als spreche sie)

Argan. Was redest du da?

Toinette (laut). Daß jemand hier ist, der Sie sprechen will.

Argan. Er soll kommen. (Toinette winkt Cleant)

Cleant. Mein Herr ...

Toinette. Nicht so laut! Nehmen Sie sich in acht, daß Sie Herrn Argans Gehirn nicht erschüttern!

Cleant. Mein Herr, ich freue mich, daß Sie schon aufstehn können und sich offenbar besser befinden.

Toinette (zornig). Besser befinden? Unsinn, Herrn Argan geht es niemals besser!

Cleant. Ich hatte gehört, Herr Argan fühle sich wohler, und ich finde, er sieht gut aus.

Toinette. Was soll das heißen: er sieht gut aus? Herr Argan sieht schlecht aus. Es ist eine Unverschämtheit, Ihnen zu berichten, er fühle sich wohler. Noch nie hat er sich so unwohl gefühlt.

Argan. Sie hat recht.

Toinette. Er geht, schläft, ißt und trinkt ganz wie jeder andere. Trotzdem ist er krank, sehr krank.

Argan. Das ist wahr.

Cleant. Mein Herr, das tut mir außerordentlich leid. Ich komme im Auftrage des Gesanglehrers Ihrer Tochter. Er mußte für einige Tage verreisen und sendet mich als seinen besten Freund, an seiner Stelle den Unterricht fortzusetzen. Sonst möchte sie bei längerer Unterbrechung wieder vergessen, was sie gelernt hat.

Argan. Gut, gut. Rufe Angelica!

Toinette. Es wäre einfacher, den Herrn gleich in ihr Zimmer zu führen.

Argan. Nein, laß sie herkommen!

Toinette. Er kann ihr gar keine richtige Stunde geben, wenn sie nicht für sich sind.

Argan. Doch, doch.

Toinette. Herr Argan, es wird Sie wahnsinnig machen. In Ihrem augenblicklichen Zustand genügt eine Kleinigkeit, um Ihr Gehirn zu erschüttern.

Argan. Durchaus nicht. Ich liebe Musik, es wird mich freuen. – Da kommt sie. Du geh und sieh nach, ob meine Frau schon angezogen ist!

Dritte Szene

Argan, Angelica, Cleant

Argan. Komm, mein Kind, dein Musiklehrer ist verreist, in seiner Vertretung wird dieser Herr dich unterrichten.

Angelica. O Gott!

Argan. Was ist denn? was wundert dich daran?

Angelica. Ja ...

Argan. Was regt dich hier auf?

Angelica. Ein sonderbares Zusammentreffen, mein Vater.

Argan. Wieso?

Angelica. Ich träumte heute nacht, ich sei in großer Gefahr. Da erschien jemand, der genau aussah wie dieser Herr. Ich rief ihn zu Hilfe, und er befreite mich aus meiner schrecklichen Lage. Wie groß war mein Erstaunen, als ich hier eintrat und ihn, die Gestalt meines Traumes, leibhaftig vor mir sah!

Cleant. Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Gedanken zu beschäftigen, im Schlafen oder im Wachen. Ich wäre glücklich, wenn Sie mich für würdig erachteten, Sie aus irgendeiner Gefahr zu retten. Alles täte ich für ...

Vierte Szene

Toinette, Cleant, Angelica, Argan

Toinette. Wahrhaftig, Herr Argan, jetzt bin ich für Sie und nehme alles zurück, was ich gestern sagte. Soeben sind Herr Diafoirus Vater und Herr Diafoirus Sohn gekommen, um Ihnen Besuch zu machen. Ich sage bravo zu Ihrem künftigen Schwiegersohn! Solch einen hübsch gewachsenen und gescheiten jungen Mann gibt es nicht wieder! Er sprach nur zwei Worte zu mir: davon bin ich ganz begeistert, und Ihre Tochter wird von ihm bezaubert sein!

Argan (zu Cleant, der tut, als wolle er gehen). Bleiben Sie, mein Herr! Ich verheirate nur meine Tochter, und ihr künftiger Gatte, den sie noch nicht gesehn hat, besucht uns gerade.

Cleant. Sie ehren mich, Herr Argan, indem Sie mich einer so angenehmen Begegnung beiwohnen lassen.

Argan. Es ist der Sohn eines geschickten Arztes. In vier Tagen wird die Hochzeit sein.

Cleant. Sehr schön.

Argan. Schreiben Sie es doch Ihrem Musiklehrer, damit er zur Feier kommen kann.

Cleant. Ganz gewiß.

Argan. Sie sind auch dazu eingeladen.

Cleant. Viel Ehre für mich.

Toinette. Achtung, da kommen sie!

Fünfte Szene

Die Vorigen, Herr Diafoirus, Thomas Diafoirus

Argan (legt die Hand an seine Schlafmütze, ohne sie abzunehmen). Doktor Purgon hat mir untersagt, den Kopf zu entblößen. Sie sind vom Fach, Herr Doktor, und wissen, was es für Folgen haben könnte.

Diafoirus. Es ist der Zweck aller unserer Besuche, den Kranken Hilfe und nicht Schaden zu bringen.

Argan. Herr Doktor, ich danke Ihnen ... (Sie sprechen alle beide gleichzeitig, unterbrechen sich, verwickeln sich)

Diafoirus. Herr Argan, wir kommen ...

Argan. Voller Freude ...

Diafoirus. Mein Sohn Thomas und ich ...

Argan. Für die Ehre, die Sie mir erweisen ...

Diafoirus. Um Ihnen zu versichern ...

Argan. Und ich hätte nur gewünscht ...

Diafoirus. Wie sehr Ihre Freundlichkeit ...

Argan. Selbst zu Ihnen kommen zu können ...

Diafoirus. Uns begeistert ...

Argan. Um Sie zu überzeugen ...

Diafoirus. Daß Sie uns in Ihrem Hause empfangen ...

Argan. Aber es ist Ihnen bekannt, Herr Doktor ...

Diafoirus. Sie schenken uns, Herr Argan ...

Argan. Daß ein armer Kranker wie ich ...

Diafoirus. Die Ehre, sich mit uns zu verbinden ...

Argan. Nichts anderes tun kann ...

Diafoirus. So glauben Sie mir ...

Argan. Als Ihnen zu sagen ...

Diafoirus. Daß wir in allem, was unsere Kunst betrifft ...

Argan. Ich werde jede Gelegenheit suchen ...

Diafoirus. Sowie in allen anderen Dingen ...

Argan. Um Ihnen zu zeigen, Herr Doktor ...

Diafoirus. Stets bereit sein werden, Herr Argan ...

Argan. Daß ich ganz zu Ihren Diensten bin.

Diafoirus. Ihnen unsere Ergebenheit zu bezeigen (zu seinem Sohne umgewandt). Tritt vor, Thomas, und begrüße die Herrschaften!

Thomas Diafoirus (ein soeben aus der Schule entlassenes großes Schaf mit ungeschickten, stets unzeitigen Bewegungen). Ist es passend, daß ich beim Vater anfange?

Diafoirus. Ganz recht.

Thomas Diafoirus. Lieber Herr, ich begrüße, erkenne, schätze und verehre in Ihnen einen zweiten Vater. Jedoch einen zweiten Vater, welcher mir, ich möchte wohl sagen, noch dankenswürdiger erscheint als der erste. Denn der erste hat mich erzeugt, Sie aber haben mich erwählt. Er hat mich aus Notwendigkeit erhalten, Sie aber haben mich aus Gunst aufgenommen. Was ich von ihm habe, ist ein Werk seines Körpers; dahingegen was Sie mir gewähren, ist ein Werk Ihres Willens. Nun, um soviel höher die Kräfte des Geistes über denen des Körpers stehen, um soviel mehr bin ich Ihnen verpflichtet, und um soviel kostbarer werte ich die mir bevorstehende Sohnschaft. Nehmen Sie dafür heute die Versicherung meines ehrerbietigsten Gehorsams.

Toinette. Es lebe die Schulbank, wo man derartig gelehrt wird!

Thomas Diafoirus. War es gut so, lieber Vater?

Diafoirus. Optime.

Argan. Angelica, begrüße den Herrn.

Thomas Diafoirus. Soll ich küssen?

Diafoirus. Freilich.

Thomas Diafoirus (zu Angelica). Gnädige Frau, mit Recht hat Ihnen der Himmel den Namen einer Schwiegermutter verliehen, denn –

Argan. Das ist meine Tochter, nicht meine Frau.

Thomas Diafoirus. Wo ist sie denn?

Argan. Sie kommt bald.

Thomas Diafoirus. Soll ich warten, lieber Vater, bis sie kommt?

Diafoirus. Begrüße inzwischen das Fräulein.

Thomas Diafoirus. Mein Fräulein, nicht mehr noch weniger als das Standbild des Memnon einen harmonischen Laut erklingen ließ, sobald es von den Strahlen der Sonne berührt ward, fühle auch ich mich von einer angenehmen Regung belebt, wenn die Sonne Ihrer Schönheit mir aufgeht. Und gleichwie die Naturforscher festgestellt haben, daß die unter dem Namen Heliotrop gehende Blume unaufhörlich ihr Haupt nach dem Stande der Sonne richtet, also wird auch mein Herz sich von nun an den glänzenden Sternen Ihrer bewunderungswürdigen Augen als seinem einzigen Pol zuwenden. Gestatten Sie demzufolge, mein Fräulein, daß ich heute auf dem Altar Ihrer Reize das Opfer dieses Herzens darbringe, welches nach keinem anderen Ruhm schmachtet noch trachtet, als das ganze Leben lang, mein Fräulein, Ihr treuester, gehorsamster, untertänigster Diener und Gatte zu sein.

Toinette. Das nennt man studieren! Da lernt man schön reden!

Argan (zu Cleant). Na, was sagen Sie dazu?

Cleant. Ich finde es wundervoll. Ist der Herr ein so guter Arzt wie ein bedeutsamer Redner, so möchte man gern bei ihm krank sein.

Toinette. So ist es. Schöne Ansprachen beweisen schöne Kuren.

Argan. Schnell meinen Lehnstuhl, und Sessel ringsherum für die ganze Gesellschaft. Setze dich hierher, meine Tochter. Sie sehen, Herr Diafoirus, wie jeder Ihren Herrn Sohn bewundert. Sie sind um ihn zu beneiden.

Diafoirus. Herr Argan, ich erzähle das Folgende nicht, weil ich sein Vater bin. Aber ich kann wohl sagen, ich bin mit ihm zufrieden. Wer ihn kennt, rühmt ihn als einen jungen Menschen, an dem kein Arg ist. Sein Geist ist nie übertrieben rege gewesen, er hat nie die Wildheit besessen, die man bei manchen seiner Altersgenossen findet. Gerade deshalb habe ich stets eine günstige Meinung von seiner Urteilsfähigkeit gehabt, und das ist die wichtigste Eigenschaft für unseren Beruf. Als er klein war, ist er nie, was man so aufgeweckt und ausgelassen nennt, gewesen. Man sah ihn jederzeit sanft, still und friedfertig. Er sprach kein Wort und machte bei all den kindischen Spielen nicht mit. Wir hatten die größte Mühe, ihn lesen zu lehren: mit neun Jahren kannte er das Alphabet noch nicht. Schön, sagte ich zu mir, die langsamen Bäume tragen die besten Früchte. Man schreibt wahrlich schwerer in den Marmor als in den Sand. Aber das hält auch länger vor. Diese Langsamkeit des Verstandes, diese Schwere der Phantasie sind Vorzeichen für ein gewichtiges, gesundes Urteil. Als ich ihn aufs Gymnasium schickte, hatte er Mühe, mitzukommen. Aber er versteifte sich gegen alle Schwierigkeiten, und seine Lehrer lobten mir immer seinen zähen Fleiß. Da hat er denn das Eisen so lange gehämmert, bis er das Abgangszeugnis erhielt. Und ohne Eitelkeit kann ich behaupten: in den zwei Jahren, seit er dort hört, hat noch kein Kandidat in den Disputationen unserer Fakultät soviel Aufsehen erregt wie er. Er hat sich dort ganz besonders furchtbar gemacht, keine Übung wird abgehalten, in der er nicht auf Tod und Leben die entgegengesetzte These verficht. Er ist dialektisch kugelsicher, stark wie ein Türke in den Prinzipien, unbeirrbar in seiner Meinung. Er verfolgt den Gedanken bis in den letzten Winkel der Logik. Vor allem aber gefällt mir an ihm, und darin bin ich sein Vorbild, daß er blind an den überlieferten Anschauungen festhält. Er will nichts hören von den sogenannten Entdeckungen unseres Jahrhunderts, von den Beweisen für den Blutumlauf und ähnlichen schwindelhaften Experimenten.

Thomas Diafoirus (zieht eine große Papierrolle aus der Tasche und überreicht sie Angelica). Gegen diese Umläufer habe ich eine These aufgestellt, welche ich, mit Erlaubnis des Herrn Vaters, dem Fräulein als Erstling meines Geistes zu opfern wage.

Angelica. Mein Herr, das ist ein nutzloses Ding für mich, denn ich verstehe nichts davon.

Toinette. Gebt es nur her! nur her damit! Als Bild ist es sehr brauchbar, als Schmuck für unser Zimmer!

Thomas Diafoirus. Gleichfalls mit väterlichem Einverständnis lade ich Sie ein, in den nächsten Tagen zu Ihrer Ergötzung, mein wertes Fräulein, der Sektion einer Frau beiwohnen zu wollen, darüber ich einen Vortrag halte.

Toinette. Das ist eine gute Ergötzung. Andere führen ihre Damen ins Schauspiel. Aber eine Sektion zu geben ist viel galanter.

Diafoirus. Was nun den Ehestand sowie die Frage der Fortpflanzung angeht, erkläre ich, daß er nach ärztlichen Grundsätzen tadellos beschaffen ist. Er besitzt in lobenswertem Grade die Eigenschaft der Fruchtbarkeit und das vorgeschriebene Temperament zur Erzeugung und Hervorbringung wohlbeschaffener Kinder.

Argan. Beabsichtigen Sie nicht, ihn bei Hof anzubringen, etwa für die Stelle eines Leibarztes?

Diafoirus. Wenn ich aufrichtig sprechen darf, die Ausübung unseres Berufes bei den Großen erschien mir nie besonders angenehm. Ich finde, daß wir uns beim Publikum besser stehen. Das Publikum ist bequem. Da ist man für seine Maßnahmen niemandem Rechenschaft schuldig. Wer nur dem hergebrachten Lauf der Kunstregeln folgt, den braucht es nicht zu kümmern, was daraus entsteht. Die Großen dagegen machen die Schwierigkeit, daß sie von ihrem Arzt, wenn sie erkranken, durchaus geheilt werden wollen.

Toinette. Unerhört! Dazu seid ihr doch nicht da. Ihr habt eure Rezepte zu schreiben und euer Geld einzustecken. Gesund zu werden ist ihre Sache.

Diafoirus. Ganz richtig. Wir sind nur verpflichtet, jedermann nach der Form zu behandeln.

Argan (zu Cleant). Lieber Herr, lassen Sie doch meine Tochter etwas vorsingen.

Cleant. Ich wartete nur auf Ihre Weisung, Herr Argan. Um die Gesellschaft zu unterhalten, könnte ich mit dem Fräulein eine Szene aus der kleinen Oper singen, die man jetzt aufführt. Hier, liebes Fräulein, ist Ihre Rolle.

Angelica. Meine?

Cleant. Bitte, weigern Sie sich nicht. Ich erkläre Ihnen die Szene, die wir spielen wollen. Ich habe zwar nicht viel Stimme, aber hier genügen auch Andeutungen. Man wird es entschuldigen, da ich auf diese Weise das Fräulein dazu bringe, daß sie uns vorsingt.

Argan. Sind die Verse schön?

Cleant. Es ist eigentlich eine kleine Stegreifoper, und sie enthält nur eine rhythmisierte Prosa. Eine Art freier Verse, wie Leidenschaft und Notwendigkeit sie zwei Menschen eingeben, die ganz unmittelbar miteinander sprechen wollen.

Argan. Also gut! Wir hören zu.

Cleant. Dies ist der Hergang: Ein Schäfer sah aufmerksam ein schönes Schauspiel an, das soeben begonnen hatte. Da wird er durch Lärm in seiner Nähe gestört. Er dreht sich um und sieht einen rohen Menschen, der mit frechen Worten eine Schäferin beleidigt. Sofort nimmt er sich des Geschlechtes an, dem alle Männer Achtung schulden, und als er den Unverschämten gezüchtigt hat, nähert er sich der Schäferin. Er sieht ein junges Mädchen, das aus schönen Augen die schönsten Tränen vergießt. Oh, denkt er, kann man ein so liebliches Wesen beschimpfen? Ein Barbar würde von solchen Tränen gerührt. Darauf müht er sich, diese Tränen, die er so schön findet, zu hemmen, und die Schäferin dankt ihm zu gleicher Zeit für seinen geringen Dienst. Sie tut es auf so reizende, zärtliche, ergreifende Weise, daß der Schäfer ihr erliegt. Jedes Wort, jeder Blick ist ein Feuerpfeil, der sein Herz durchflammt. Gibt es irgend jemanden, denkt er, der so entzückende Worte des Dankes verdient? Und was täte man nicht, welche Dienste, welche Gefahren nähme man nicht mit Freuden auf sich, um die rührende Zartheit solch einer dankbaren Seele, um nur einen einzigen Augenblick davon zu gewinnen!

Das Schauspiel geht vorüber, ohne daß er weiter darauf achtgibt. Aber er findet es noch bedauerlich kurz, denn sein Ende trennt ihn von dem liebenswerten Mädchen. Dieser erste Tag erfüllt ihn mit der Tiefe einer jahrelangen Leidenschaft. Sogleich empfindet er alle Qualen der Abwesenheit; er ist unglücklich, sie nicht mehr zu sehen, die er zu wenig sah. Er tut, was er vermag, um sich den Anblick wieder zu verschaffen, an den zu denken, Tag und Nacht, so schön ist! Aber der strenge Zwang, in dem sein Mädchen gehalten wird, nimmt ihm jede Möglichkeit. Die Heftigkeit seiner Leidenschaft drängt ihn zu dem Entschlusse, um die Hand der Geliebten, ohne die er nicht mehr sein kann, anzuhalten. Sie ist einverstanden mit seinem Plane, den er ihr durch ein geschickt zugespieltes Briefchen mitteilt. Da aber muß er erfahren, daß der Vater der Geliebten ihre Verheiratung mit einem anderen beschlossen habe, ja, daß alle Anstalten schon getroffen sind. Denkt, welch ein Schlag für das Herz des guten Schäfers! Tödlicher Schmerz überwältigt ihn. Er kann die grauenhafte Vorstellung, seine Geliebte in eines anderen Armen zu wissen, nicht ertragen. Seine verzweifelte Leidenschaft läßt ihn ein Mittel ersinnen, um in das Haus der Freundin zu gelangen. Er will Gewißheit über ihr Gefühl, er will Gewißheit über sein von ihr beschlossenes Schicksal. Dort sieht er nun die Vorbereitungen zu dem, was er über alles fürchtet. Er begegnet dem unwürdigen Nebenbuhler, den die Laune eines Vaters seiner innigen Liebe entgegenstellt. Er sieht den lächerlichen Triumph des Narren, als sei die Geliebte ihm schon zugefallen. Dies Bild macht ihn rasend, so daß er sich kaum zu beherrschen vermag. Schmerzlich blickt er die Freundin an, seine Ehrfurcht vor ihr und die Gegenwart des Vaters hindern ihn, anders als mit seinen Blicken zu reden. Endlich aber bezwingt er jeden Zwang! Und seine feurige Liebe richtet an sie die folgenden Worte:

(Er singt)

O Phyllis, zuviel Leiden ist mein Werben!
Dein Schweigen ist dem Liebenden zu hart –
So werde mir mein Schicksal offenbart!
Sag', darf ich leben? oder muß ich sterben?

Angelica. Du fühlst, o Tircis, meine Furcht und Trauer,
Es naht verhaßte Hochzeit, voll Betrug!
Ich seh' zum Himmel, seh' auf dich – ein Schauer
Erfaßt mich. Sag' es dir genug.

Argan. Donnerwetter, ich dachte nicht, daß meine Tochter so einfach vom Blatt singen könnte, ohne zu stocken.

Cleant. Ach, schöne Schäferin,
Darf, der dich ganz von Herzen liebt, erhoffen,
Ihm sei ein Platz in deinem Herzen offen?
Ist's wahr, daß ich so glücklich bin?

Angelica. In dieser Not, in der mein Rot erblich,
Verberg' ich's nicht. Tircis, ich liebe dich.

Cleant. O wunderbares Wort der süßen Wahl!
Und hört' ich's richtig? Phyllis, noch einmal!

Angelica. Ja, Tircis, ja, ich liebe dich.

Cleant. Aus Gnade sprich
Dies noch einmal!

Angelica. Ich liebe dich.

Cleant. Und hundertfach,
Oh, wiederhole es und laß nicht nach!

Angelica. Ich liebe dich, ich liebe dich,
Ja, Tircis, ja, ich liebe dich.

Cleant. Ihr Mächtigen, die ihr göttlich, königlich
Gebietet grenzenlosen Reichen:
Kann euer Glück mit meinem sich vergleichen?
Und nur ein einziger Gedanke
Macht, daß mein heitrer Schritt noch wanke:
Ein Nebenbuhler ...

Angelica. Mehr muß ich ihn hassen
Als selbst den Tod.
Mit Qualen droht Mir seine Gegenwart, wie dir.

Cleant. Doch seiner Gier
Will dich ein Vater grausam überlassen.

Angelica. Nein, lieber tot
Als ihm gehören!
Oh, lieber, lieber tot, lieber tot!

Argan. Und was sagt denn der Vater dazu?

Cleant. Der sagt nichts.

Argan. Das ist ein einfältiger Vater, dieser Vater, daß er solche Dummheiten ansieht und nichts dazu sagt.

Cleant. Ach! Meine Liebste ...

Argan. Nein, nein, ich habe genug. Dies Stück gibt ein ganz schlechtes Beispiel. Der Schäfer Tircis ist ein unverschämter Bursche, die Schäferin Phyllis ist eine schamlose Dirne, daß sie derartig von ihrem Vater redet. Zeigt mir doch einmal das Blatt. – Oho! wo sind denn die Worte, die ihr gesungen habt? Es steht nichts darauf als Noten!

Cleant. Wissen Sie denn nicht, Herr Argan, daß man vor kurzem die Erfindung gemacht hat, die Worte zugleich mit den Noten zu schreiben?

Argan. Schön, schön. Ich empfehle mich Ihnen, mein Herr! Ihre unanständige Oper hätten wir ganz gut entbehren können.

Cleant. Ich glaubte, Sie damit gut zu unterhalten.

Argan. Albernheiten unterhalten mich nicht. – Da kommt meine liebe Frau.

Sechste Szene

Beline, die Vorigen

Argan. Mein Engel, das ist der Sohn des Herrn Diafoirus.

Thomas Diafoirus (beginnt eine studierte Verbeugung, die er aus Gedächtnisschwäche nicht zu Ende bringt). Gnädige Frau, der Himmel schenkt mir in Ihnen eine wahre Mutter, denn nicht stiefmütterlich hat er Ihr Antlitz – – –

Beline. Mein Herr, ich freue mich, zur rechten Zeit hierherzukommen, um Sie kennenzulernen.

Thomas Diafoirus. – hat er Ihr Antlitz – hat er Ihr Antlitz – gnädige Frau, Sie unterbrachen mich mitten in meiner Periode. Das hat mich in Verwirrung gebracht.

Diafoirus. Thomas, verschiebe das auf ein andermal!

Argan. Ich wünschte, mein süßes Kind, du wärest soeben hier gewesen.

Toinette. Ja, gnädige Frau, Sie haben viel verloren. Sie haben das Standbild des Memnon, den zweiten Vater und die unter dem Namen Sonnenblume bekannte Pflanze versäumt.

Argan. Jetzt, liebe Tochter, lege deine Hand in die des Herrn Thomas und versprich ihm Treue als deinem Ehegatten!

Angelica. Ach – lieber – Vater!

Argan. Was »lieber Vater«? Was soll das heißen?

Angelica. Ich beschwöre Sie, überstürzen Sie es nicht! Gönnen Sie uns wenigstens die Zeit, uns kennenzulernen und soviel Zuneigung füreinander zu gewinnen, wie für eine glückliche Ehe nötig ist!

Thomas Diafoirus. Was mich betrifft, mein Fräulein, in mir ist dieselbe schon vollständig vorhanden, und ich brauche nicht mehr darauf zu warten.

Angelica. Wenn es so schnell bei Ihnen geht, mein Herr, ich bin langsamer. Ich gestehe, daß Ihre Vorzüge auf mich noch keinen genügenden Eindruck gemacht haben.

Argan. Ach was, das hat Zeit, wenn ihr verheiratet sein werdet.

Angelica. Nein, Vater, warten Sie noch ein wenig, ich flehe Sie an. Die Ehe ist eine Kette, die man dem Herzen nicht mit Gewalt anlegen darf. Und wenn der Herr ein Ehrenmann ist, wird er nicht wünschen, daß eine Frau ihn nur gezwungen nimmt.

Thomas Diafoirus. Nego consequentiam, mein Fräulein. Ich kann ein Ehrenmann sein und Sie doch sehr gern aus der Hand Ihres Herrn Vaters in Empfang nehmen.

Angelica. Zwang ist ein schlechtes Mittel, sich Liebe zu erringen.

Thomas Diafoirus. Wir lesen bei den Alten, daß sie gewaltsam aus dem väterlichen Hause die Jungfrauen zur Ehe entführten, auf daß es nicht den Anschein habe, als wollten jene allzu bereitwillig in die Arme eines Mannes fliegen.

Angelica. Die Alten sind die Alten, und wir sind von heute. Solche Grimassen haben wir in unserer Zeit nicht mehr nötig. Wenn eine Ehe uns gefällt, so gehen wir ganz leicht hinein, ohne daß man uns zieht. Fassen Sie sich in Geduld! Wenn Sie mich lieben, müssen Sie alles wollen, was ich will.

Thomas Diafoirus. Gewiß, mein Fräulein, mit Ausnahme eben der Interessen dieser Liebe selbst.

Angelica. Das deutlichste Zeichen der Liebe ist die Unterwerfung unter die Wünsche der Geliebten.

Thomas Diafoirus. Distinguo, Fräulein: in allem, was nicht auf ihren Besitz hinzielt, concedo; aber insofern es diesen betrifft, nego.

Toinette. Was mühen Sie sich mit Gegengründen ab: der Herr kommt frisch gebacken aus der Universität. Er wird immer das letzte Wort haben. Warum sperren Sie sich so lange und entziehen sich der Ehre, dem Körper der Fakultät anzugehören?

Beline. Vielleicht hat sie irgendeine Liebschaft im Kopfe.

Angelica. Wenn das so wäre, so würde sie ganz mit Vernunft und Anstand im Einklang sein.

Argan. Äh! Ich spiele hier eine sonderbare Rolle.

Beline. Ich an deiner Stelle, mein geliebter Mann, würde sie nicht zur Heirat zwingen. Ich wüßte, was ich täte.

Angelica. Ich ahne, was Sie sagen wollen und wie gut Sie es mit mir meinen. Aber Ihre menschenfreundlichen Ratschläge würden vielleicht doch nicht befolgt werden.

Beline. Nämlich deshalb, weil so verständige und ehrenhafte Mädchen wie du sich über jeden Gehorsam hinwegsetzen und auf den Wunsch ihres Vaters keinen Wert legen. Das gab es früher nicht!

Angelica. Selbst die Pflichten einer Tochter haben Grenzen, nach Vernunft und Gesetz.

Beline. Das heißt, auch du denkst nur ans Heiraten, aber du willst einen Mann nach deinen Launen.

Angelica. Will mir mein Vater keinen Mann geben, der mir gefällt, so mag er mich wenigstens nicht zu einem zwingen, den ich nicht liebe.

Argan. Meine Herren, ich bitte Sie für all diese Vorgänge vielmals um Verzeihung.

Angelica. Jeder hat ja sein Ziel, wenn er sich verheiratet. Ich will einen Mann, um ihn wahrhaft zu lieben. Mein ganzes Leben soll ihm gehören. Darum gestehe ich Ihnen, daß ich einige Vorsicht anwende. Es gibt Mädchen, die einen Mann nehmen, um sich der Aufsicht der Eltern zu entziehen und künftig tun zu können, was sie mögen. Andere machen aus der Heirat ein bloßes Geschäft: sie wollen durch den Tod ihres Mannes reich werden und nehmen ohne Bedenken einen nach dem andern, um sie zu beerben. Solche Mädchen brauchen sich freilich nicht lange zu besinnen, und auf die Person des Gatten kommt es ihnen wenig an.

Beline. Ich finde dich heute äußerst gedankenreich. Ich möchte wissen, auf wen das alles geht.

Angelica. Wieso? Ich wollte damit nur sagen, was ich sagte.

Beline. Du bist so albern, meine Liebe, daß es kaum auszuhalten ist.

Angelica. Sie möchten mich gewiß dazu bringen, Ihnen mit einer Ungezogenheit zu erwidern. Aber, sehen Sie, ich folge Ihnen nicht.

Beline. Deine Frechheit ist unerhört.

Angelica. Sie können sagen, was Sie wollen.

Beline. Diese lächerliche Überhebung, dieses dreiste Selbstvertrauen: alle Welt zuckt darüber die Achseln.

Angelica. Es nützt Ihnen gar nichts, Mutter. Ich bleibe ruhig, Ihnen zum Trotz. Und um Ihnen die letzte Hoffnung zu nehmen, Sie könnten etwas erreichen, will ich mich entfernen.

Argan. Höre, es gibt nur eins von beidem: entweder du vermählst dich in vier Tagen diesem Herrn – oder dem Kloster. – Mein Engel, nimm es dir nicht zu Herzen, ich setze ihr den Kopf zurecht.

Beline. Es tut mir leid, daß ich dich jetzt verlassen muß, mein Schatz. Ich habe in der Stadt eine unaufschiebliche Besorgung. Ich komme bald zurück.

Argan. Geh nur, mein Liebling, und sprich beim Notar vor, damit er das Bewußte fertigmacht.

Beline. Leb' wohl, mein gutes Kind.

Argan. Leb' wohl, mein Alles. – Wie diese Frau mich liebt! Es ist nicht zu glauben!

Diafoirus. Herr Argan, wir wollen uns empfehlen.

Argan. Aber bitte sagen Sie mir noch, Herr Doktor, wie Ihnen mein Befinden erscheint?

Diafoirus (den Puls fühlend). Vorwärts, Thomas, nimm Herrn Argans andere Hand und laß mich hören, ob du über seinen Puls ein richtiges Urteil abzugeben verstehst. Quid dicis?

Thomas Diafoirus. Dico, daß Herrn Argans Puls eines Mannes Puls ist, welcher sich nicht wohl befindet.

Diafoirus. Gut.

Thomas Diafoirus. Daß dieser Puls duriusculus ist, um nicht zu sagen durus.

Diafoirus. Sehr gut.

Thomas Diafoirus. Stoßend.

Diafoirus. Bene.

Thomas Diafoirus. Sogar fast bockend.

Diafoirus. Optime.

Thomas Diafoirus. Was denn auf eine Störung in dem Parenchymo splenico, will sagen der Milz, hindeutet.

Diafoirus. Ausgezeichnet.

Argan. Doktor Purgon sagt doch, ich leide an der Leber?

Diafoirus. Nun ja: wer parenchymum sagt, sagt beides, wegen der innigen Sympathie, die sie miteinander verbindet, vermittelst des Vas breve, des Pylorus und zuweilen des Meatus cholidochus. Er verordnet Ihnen wahrscheinlich, daß Sie in der Hauptsache Gebratenes essen sollen?

Argan. Nein, ausschließlich Gekochtes.

Diafoirus. Ja, ja. Gebratenes, Gekochtes, gleichviel. Er ist auf dem rechten Wege. Sie konnten keinen Besseren finden.

Argan. Herr Doktor, wieviel Salzkörner muß ich zu einem Ei nehmen?

Diafoirus. Sechs, acht, zehn, stets gerade Zahlen, während bei Arzeneien ungerade Zahlen gelten.

Argan. Auf Wiedersehen.

Siebente Szene

Argan, Beline

Beline. Bevor ich ausgehe, mein Kind, muß ich dir noch eine Mitteilung machen, die deine volle Aufmerksamkeit verdient. Als ich am Zimmer Angelicas vorbeiging, sah ich einen jungen Mann bei ihr, der sogleich davonlief, als er mich bemerkte.

Argan. Ein junger Mann bei meiner Tochter?

Beline. Deine kleine Louison war auch dabei. Sie wird dir wohl noch mehr sagen können.

Argan. Schicke sie her, meine Liebe, schicke sie mir her. Das sittenlose Geschöpf! Jetzt wundere ich mich nicht mehr über ihren Trotz.

Achte Szene

Louison, Argan

Louison. Was wünschen Sie, Papa? Die Stiefmama sagte, ich sollte zu Ihnen kommen.

Argan. Ja, komm einmal her. Komm. Näher. Dreh' dich um. Sieh mich an. Nun?

Louison. Was denn, Papa?

Argan. Also?

Louison. Was?

Argan. Hast du mir nichts zu erzählen?

Louison. Wenn Sie wollen, erzähl' ich Ihnen die Geschichte von der Eselshaut oder die Fabel vom Fuchs und Raben, die ich gerade gelernt habe.

Argan. Danach frage ich nicht.

Louison. Wonach sonst?

Argan. Ach, du Schwindlerin, du weißt schon, was ich meine!

Louison. Gewiß nicht, Papa.

Argan. Willst du nicht gehorchen?

Louison. Wie denn?

Argan. Habe ich dir nicht befohlen, mir sogleich alles wiederzusagen, was du siehst?

Louison. Jawohl, Papa.

Argan. Hast du das getan?

Louison. Jawohl, Papa.

Argan. Und hast du heute nichts gesehen?

Louison. Nein, Papa.

Argan. Stimmt das?

Louison. Das stimmt.

Argan. So! Dann will ich dir aber etwas zeigen! Paß auf! (Er holt eine Rute.)

Louison. Ach, Papa!

Argan. Aha! Kleiner Fratz, du willst mir also nicht sagen, daß du im Zimmer deiner Schwester einen Mann gesehen hast?

Louison. Papa ...

Argan. Das wird dich lügen lehren ...

Louison (kniet nieder). Ach, verzeihen Sie mir! Die Schwester verbot mir's. Aber ich will alles sagen.

Argan. Vorher muß ich dir noch die Rute geben, weil du gelogen hast. Danach kommt das andere.

Louison. Sei gut, Papa! Schlag mich nicht!

Argan. Doch, doch!

Louison. Um Gottes willen, Papa! Nur nicht die Rute!

Argan (sie packend). Die bekommst du!

Louison. Ach, Papa! Sie haben mir einen Schaden getan! Halt, halt! Ich bin tot! (Sie stellt sich tot.)

Argan. Herrgott! Was ist denn! Louischen, Louischen! Himmel! Mein Kind! Ach, ich Unseliger! Mein gutes Kind ist tot! Was habe ich getan, ich Elender! Ach, schändliche Rute! Fluch über die Rute! O Gott, mein armes Kind, meine arme kleine Louison!

Louison. Na, na, Papa, weinen Sie doch nicht so sehr! Ich bin noch nicht ganz tot.

Argan. Sieh an, die kleine Heuchlerin! Also für diesmal will ich dir verzeihen, wenn du mir alles sagst.

Louison. O gern, Papa!

Argan. Nimm dich aber in acht! Denn hier mein kleiner Finger verrät es mir gleich, wenn du lügst.

Louison. Sagen Sie es aber nicht der Schwester wieder!

Argan. Nein, nein!

Louison. Es war so, Papa: in das Zimmer der Schwester kam ein Mann, als ich gerade darin war ...

Argan. Ja?

Louison. Den fragte ich, was er wollte, und er sagte mir, daß er der Gesanglehrer sei.

Argan. Aha, da haben wir's! Nun?

Louison. Darauf kam die Schwester ...

Argan. Und?

Louison. Und sagte zu ihm: Gehen Sie, gehen Sie, um Gottes willen, gehen Sie! Sie bringen mich zur Verzweiflung!

Argan. Und?

Louison. Und der, der wollte nicht gehen.

Argan. Was hat er geantwortet?

Louison. Ich weiß gar nicht, was er alles geantwortet hat.

Argan. Zum Beispiel?

Louison. Er sagte bald dies, bald das. Daß er sie liebe und daß sie die Allerschönste sei.

Argan. Und dann?

Louison. Und dann fiel er vor ihr auf die Knie.

Argan. Und dann?

Louison. Und dann küßte er ihr die Hände.

Argan. Und dann?

Louison. Und dann kam die Stiefmama vorbei, und er rannte fort.

Argan. War nicht noch etwas?

Louison. Nein, lieber Papa.

Argan. Du! Mein kleiner Finger brummt noch etwas. (Er hält den Finger ans Ohr.) Warte! – Wie? – Aha! – So? – Oho! – Mein kleiner Finger sagt mir da noch etwas, was du gesehen und mir verschwiegen hast.

Louison. O Papa, dann ist Ihr kleiner Finger ein Lügner!

Argan. Nimm dich in acht!

Louison. Nein, Papa, glauben Sie ihm nicht! Er lügt.

Argan. Also gut, ich werde sehen. Geh jetzt und pass' weiter schön auf! Geh. – Wahrhaftig, es gibt keine Kinder mehr. Ach! Was habe ich alles zu tun! Ich habe nicht einmal mehr Zeit, an meine Krankheit zu denken. Weiß Gott, ich bin ganz hin.

(Er läßt sich wieder in einen Stuhl fallen.)

Neunte Szene

Berald, Argan

Berald. Nun, Bruder, wie geht's? Wie befindest du dich?

Argan. Ach, Bruder, sehr schlecht!

Berald. Wieso sehr schlecht?

Argan. Jawohl. Ich bin so matt, es ist nicht zu glauben.

Berald. Das ist ja sehr traurig.

Argan. Ich habe kaum noch die Kraft zu reden.

Berald. Ich komme, lieber Bruder, um dir einen Gatten für meine Nichte Angelica vorzuschlagen.

Argan (erhebt sich, heftig). Bruder, kein Wort von ihr! Sie ist ein heuchlerisches, schamloses Mädchen, das ich ins Kloster stecke, bevor zwei Tage um sind.

Berald. Sieh mal an! Ich freue mich, wie du wieder zu Kräften kommst. Mein Besuch tut dir gut. Also von dieser Sache können wir ein andermal sprechen. Aber ich bringe dir Unterhaltung, die dich zerstreuen und erheitern wird. Dann wirst du in besserer Stimmung für meine Vorschläge sein. Es sind Zigeuner, als Mauren verkleidet. Sie werden tanzen und singen und dir soviel Vergnügen machen, daß es ein Rezept des Herrn Doktor Purgon aufwiegen wird. Kommt herein!


 << zurück weiter >>