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Alfred Thon

Laßt aber sehen, was seither der Gesell in Ulm für Glückssprünge mag gemacht haben!

Zween Monat – eher drunter als drüber – kann er daselbst gewesen sein, da war er mürb und gar bereits vor Liebe zu der Meisterin, und wenn er wohl bisweilen meinte, ein wenig mehr Gespräch und Fröhlichkeit stünd' ihr gut an, so dachte er doch immer gern eines alten wahrhaften Worts: Stille Schaf seind mille Mille, Mil, Milch; Ulmisch.- und wollereich, wird ihnen gewartet. Alle Samstagnacht, wenn er auf seine Kammer ging, sprach er bei sich: Jetzt morgen tragst du ihr die Heirat an! Und wenn er eben drauf und dran war, ließ er's wieder aus Blödigkeit und Sorge, sie möchte ihn zuletzt doch stolz ablaufen lassen.

Nun hatten sie einmals ein Schweinlein gemetzelt, das zweite seitdem man den Lichtbraten Lichtbraten, Lichtgans, ein Braten, welchen Handwerker, die im Winter auch des Nachts arbeiten, Schuster, Schneider, Weber u. dgl., ihren Gesellen beim Anfang des Winters zum besten geben. Bis zu Ende des 18. Jahrh. bestand in Ulm dieser Gebrauch in einem mit Musik, Trommeln und Pfeifen, und bisweilen mit öffentlichen Aufzügen verbundenen Schmause. hatte – es war schon im Hornung und schien ein vorzeitiger Frühling zu werden – da befand sich der Seppe am Morgen allein mit ihr in der Küche, das Fleischwerk in den Rauch zu hangen. Inmittelst, als er sich die Leiter unter dem Schlot zurechtstellte, die Würste sich in Ringen um die Arme hing, erzählte er ihr von Regensburg und Regensburger Würsten, was er vom Hörensagen wußte, und wie er so mit seiner Tracht aufstieg in das Kamin, sie aber unten stand beim Herd, sprach sie: »Nach Regensburg geht Ihr doch noch; es liegt Euch allfort in Gedanken.«

Der Seppe, weil sie ihm nicht ins Gesicht sehn konnte – denn oberhalb stak er im Finstern – nahm sich ein Herz und sagte: »Wenn es auf mich ankäm', ich wollte leben und sterben bei Euch.«

»Ihr sollt auch unvertrieben sein!« gab sie zur Antwort.

»Ja,« sagte er und stockte, »es mag halt einer doch auch nicht sein Leben lang ledig verbleiben.«

Sie sagte nichts darauf. Da fing er wieder an: »Nach einem rechten Weib kann wohl ein armer Teufel heutigstags weit suchen.«

Darauf sie ihm entgegnete: »Man sucht erst einmal in der Nähe.«

Dem Seppe schossen bei dem Wort die Flammen in die Backen, als wollten sie oben zum Schornstein ausschlagen.

Die Stangen hingen alle voll, er hätte können gehen; allein der Angstschweiß brach ihm aus: er wußte nicht, wie er am hellen Tagslicht vor die Frau hintreten, noch was er weiter sagen solle. Drum nestelt' er und ruckt' und zappelte noch eifrig eine Weile an den Würsten hin und wieder. Auf einmal aber sprach er: »Meisterin, ich hab' schon je und je gedacht, wir wären füreinander. Ich hätte eine Lieb' zu Ihr und groß Zutrauen.«

»Davon läßt sich schon reden!« sagte sie. – Nun stieg er flugs herab und stand vor ihr mit einem schwarzen Rußfleck um die Nase, darüber sie ein wenig lächelte, einen Zipfel ihrer weißen Schürze nahm und ihn abwischte. Das tat ihm ganz im Herzen wohl, er faßte ihre Hand und hatte ihren Mund geküßt, eh' sie sich des versah. Sie aber gab ihm ein Gleiches zurück. – »So seid Ihr nicht mehr meine Meisterin, Ihr seid jetzt meine Braut!« – Sie bejaht' es, und waren sie beide vergnügt, schwatzten und kosten noch lang' miteinander.

Bevor er wieder in die Werkstatt ging, sagte sie noch: »Wir wollen niemand etwas merken lassen, bis Ihr das Meisterrecht habt und wir bald fürsche fürsche, vor sich, vorwärts. machen können.«

Selbigen Abend eilte es dem Seppe nicht, wie sonst, nach dem Essen zum Bier. Er freute sich schon seit dem Morgen auf diese gute Stunde. Sobald die andern aus dem Haus, begab er sich auf seine Kammer, wusch und kämmte sich, legte ein sauberes Hemd und sein Sonntagswams an, zu Ehren dem Verspruch, und als er dann neben der Frau so recht in Ruh und Frieden saß, die Läden und die Haustür zugeschlossen waren, ein frisches Licht im Leuchter angesteckt, so legt' er ihr zuvörderst die silberne Haube, seine Brautschenke, hin. Ja, da empfing er freilich Lobs und Danks mit Haufen. Wo bringt's der Fantel her? mochte sie denken, da er es nicht gekauft noch hoffentlich vom Markt gestohlen hat. – Sie hätte es gar gern gewußt, doch band er sich die Zunge fest und lachte nur so.

Sie holte Wein herauf vom Keller, und er brachte den Schnitzlaib herunter. Der Leser bildet sich schon selber ein, sie werde heute schwerlich das erstemal davon gekostet haben: o nein! Den Seppe kränkte nur, daß er ihr nicht füglich Tag für Tag ein neues Stück zum Imbiß bringen konnte, indem die Meisterin schon ohnedas sich wunderte, was doch der Bursch für einen guten Döte Döte, männlicher, Dot, Dote, weiblicher Taufpathe. habe an dem Stuttgarter Hofzuckerbäcken (wie er ihr weisgemacht), dem's auf ein Laiblein alle acht Tag nicht ankomme. Denn ob es ihm schon nicht verboten war, zu offenbaren, wie es damit bewandt, so scheute er sich doch. Jetzt fühlte sie ihm besser auf den Zahn und sagte: »Gesteht's nur, Seppe! Gelt, Brot und Haube sind aus einem Haus!« – »Das nicht,« erwidert' er. »Das eine anbelangend, so will ich meine herzliebe Braut von Grund der Wahrheit berichten: denn mit dem Zuckerbäck, das war gespaßt. Habt Ihr in Ulm auch schon gehört vom Hutzelmann?« – »Kein Wort.« – »Vom Pechschwitzer? vom Tröster?« – »Nichts.« – »Gut denn!« – Er nahm sein Glas, tat ihr Bescheid, fing an, der Frau treuherzig zu eröffnen alles, was ihm die Nacht vor seiner Reise widerfahren. Im Anfang schaute sie ihm so in das Gesicht dabei, als gält' es eben Scherz; doch weil er gar zu ernsthaft dreinsah, dachte sie: Er ist ein Wunderlecker Wunder-Lecker, ein Wundersüchtiger (ohne Vorgang). und ein Träumer. Je mehr sie aber zweifelte, je mehr ereiferte er sich. «Da will ich meiner Liebsten zum Exempel vom Doktor Veylland eine Geschichte erzählen, die ist gewiß und wahr, ich hab' sie von meinem Großvater. Ihr höret sie einmal zum Zeitvertreib, nachher mögt Ihr dran glauben oder nicht!

Der Veylland war ein alter Freund vom Graf Konrad von Wirtemberg, demselbigen, welcher den Grund zu meiner Vaterstadt gelegt, und trieb sein Wesen als ein stiller alter Herr in einem einzechten einzecht, einzeln. Gebäu, das stand daselbst im Tal unweit dem Platz, wo dermalen das Schloß zu sehen ist. Des Doktors vornehmstes Vergnügen war ein großer Garten hinter seinem Haus, drin pflanzte er das schönste Obst im ganzen Gau; nur daß ihm alle Herbst die Bupsinger Bauern die Hälfte wegstahlen trotz einer hohen Mauer, so rings um das Haus und den Garten her lief. Dies ärgerte den Herrn, daß er oft krank darüber ward. Jetzt kommt einmal am lichten Tag, indem er eben bei verschlossener Tür in einem alten Buch studiert, der Hutzelmann zu ihm, der Pechschwitzer, der Tröster (welchen zuvor der Doktor noch nicht kannte) und bietet ihm ein Mittel wider diese Gauchen mit dem Beding, daß er ihm alljählich einen Scheffel gute Wadelbiren Wadelbir, eine Birnen-Art. »mit manchen bieren.« Hugo v. Trimberg. liefere zu Hutzeln. Der Doktor ging das unschwer ein. Da brachte jener unter seinem Schurzfell einen Stiefelknecht hervor von ordentlichem Buchenholz, noch neu und als ein wundersamer Krebs geschnitzt, mit einem platten Rücken und kurzen starken Scheren; am Bauch untenher war er schwarz angestrichen, darauf mit weißer Farbe ein Drudenfuß Drudenfuß, von Drude, Trut, Unholdin; eine magische Figur, aus zwei zu einem Fünfeck verbundenen Triangeln bestehend. gemacht. Nehmt diesen meinen Knecht, sagte der Hutzelmann, und stellt ihn, wohin Ihr wollt im Haus, doch daß er freien Paß in Garten habe, etwa durch einen Kandel Kandel, Rinne, Abzugskanal. oder Katzenlauf! Im übrigen laßt ihn nur machen und kümmert Euch gar nichts um ihn! Es kann geschehen, daß Ihr mitten in der Nacht hört einen Menschen schreien, winslen und girmsen: da springet zu, greifet den Dieb und stäupet ihn! Dann sprechet zu dem Knecht die Wort':

Zanges, Banges, laß ihn gahn,
Wohl hast du dein Amt getan!

Doch ehe Ihr den Bauern oder Nachtschach Nachtschach, Räuber, Dieb; von Schach, Raub. laufen laßt, sollt Ihr ihn heißen seine Stiefel oder Schuh abtun, dabei mein Knecht ihm trefflich helfen wird, und diese Pfandstück möget Ihr behalten, auch seinerzeit nach Belieben verschenken! Dafern mein Krebs in seiner Pflicht saumselig würde oder sonst sich unnütz machte, schenkt ihm nur etlich gute Tritt keck auf die Aberschanz Aberschanz, das Hintere.! Ich hoff', es soll nicht nötig sein. Sonst ist er ganz ein frommes Tier und zäh, man kann Holz auf ihm spalten; nur allein vor der Küchen sollt Ihr ihn hüten: er steigt gern überall herum und fallt einmal in einen Kessel mit heiß Wasser; das vertragt er nicht. Aber ich komme schon wieder und sehe selbst nach, lieber Herr. Gehabt Euch wohl!

Der Doktor Veylland stellte jetzt den Stiefelknecht vor seine Stubentür. Da blieb er stehen bis zum Abend unverregt und sah so dumm wie ein ander Stück Holz. Im Zwielichten aber, wie man just an nichts dachte, ging es auf einmal Holterpolter, Holterpolter die Stiege hinab und durchs Gußloch hinaus in den Garten. Da sahen Herr und Diener ihn vom Fenster aus durchs grüne Gras an der Mauer hinschleichen und kratteln, an allen vier Seiten herum und immer so fort, die ganze liebe lange Nacht.

Der alte Diener hatte seine Lagerstatt im untern Stock gegen den Garten; nun streckt er sich in Kleidern auf sein Lotterbett. Eine Stunde verstrich nach der andern, der Alte hörte nichts, als hin und wieder wie durch das Geäst ein reifes Obst herunterrauscht' und plumpste. Doch gegen Morgen, eben da er sich aufs andere Ohr hinlegte und sein Zudeck' besser an sich nahm, denn es war frisch, erscholl von fernen her ein Zetermordgeschrei, als wenn es einem Menschen an das Leben geht. Der Diener sprang hinaus und sah auf sechzig Schritt, wie des Hutzelmanns Knecht einen baumstarken Kerl am Fersen hatte und mit Gewalt gegen das Haus herzerrte, also daß beide Teile rückwärts gingen, Dieb und Büttel (wie ja der Krebse Art auch ohnedem so ist), und war ein Zerren, Würgen, Sperren, Drängen und Reißen, dazu viel Keuchens und Schnaufens, Wimmerns und Bittens, daß es erbärmlich war zu hören und sehen.

Alfred Thon

Der arme Schächer, so ein Bupsinger Weinschröter Weinschröter, Weingärtner. war, trachtet' im Anfang wohl, mitsamt dem Schergen durchzugehen, der aber hatte gut zwo Ochsenstärken und strafte ihn mit Kneipen jedesmal so hart, daß er sich bald gutwillig gab. Auf solche Weise kamen sie bis an das Haus; da hielt der Krebs gerade vor der Tür und stand der Doktor schon daselbst in seinem Schlafrock, lachend; sprach:

Zanges, Banges, laß ihn gahn,
Wohl hast du dein Amt getan!

Dann ließ er den Bauern die Bundschuh austun und mochte der laufen.

Die andere Nacht gleich wurden ihrer zween nacheinander eingebracht, die dritte wieder einer und alsofort bis auf die dreißig, lauter Bupsinger. Denn weil sich jeder schämte, sagt's keiner, die andern zu warnen. Der gute Knecht verfehlte nicht leicht seinen Mann; ein einzigmal kam er mit einem leeren Stiefel angerutscht und hielt denselben bis zum Morgen unverruckt mit großer Kraft in seinen Zangen, bis ihn von ungefähr der Herr vom Haus erblickte. Das Schuhwerk aber nagelte der Diener alles nach der Reih' im leeren Pferdestall an der Wand herum. – Es gibt noch ein lieblich Stücklein davon: wie nämlich einst der Graf mit seiner Frauen und zwei Söhnlein auf Besuch bei dem Veylland gewesen. Herr Konrad baute bei dessen Garten eine Stuterei eine Stuterei. Gabelkhover, in seiner handschriftlichen Chronik vom J. 1621, will den Platz noch wissen, wo das alte Stutenhaus gestanden. »Zwanzig Schritt ohngefehrlich«, sagt er, »von der jetzigen Stiftskirche gegen Mitternacht, da Paulus Sautter, Provisor sitzt.« Dieser Sautter saß aber, einer Hausurkunde zufolge, in dem ehemaligen Weinschenk Thum'schen Haus, und nach einer bekannten Ueberlieferung wäre dieß Haus das älteste der Stadt. – daher nachmals die Stadt Stuttgarten hieß – beschied seinen Werkmeister her auf den Platz und zeigte selbst, wie alles werden sollte. Es wollte aber gern der Doktor denen kleinen Junkherrn eine Kurzweil schaffen und bat den Hutzelmann derhalben, um daß er ein unschuldig Zinselwerk Zinselwerk, Gaukelwerk. »Celestinus hat den introitum mit anderm zinselwerk hin dar gesetzt.« Spreter, Bericht von der alt. christl. Meß. – »on vnser verdienst, vergebenlich, nit durch ablas oder eygen zinselwerk.« Spret., christl. Instruktion. bereite; der versprach's. Als nun die Knaben nach der Mahlzeit in dem Garten spielten, da ward's lebendig in dem Stall, und kam bald aus der Tür hervor ein ganzer Zug von kleinen, zierlichen Rößlein, lauter Rappen mit Sattel und Zeug, und das waren die Stiefel gewesen; sie gingen zwei und zwei und wurden von kleinen Roßbuben geführt, und das waren die Bundschuh. Die Junker hatten ihre Freude mit den ganzen Abend. Auf einmal tat es außen an dem Garten einen Pfiff, der ganze Troß saß wie der Blitz ein jeder in seinem Sattel, die Rößlein aber waren zumal Heupferde geworden, grasgrün, einen Schuh lang, mit Flügeln, die setzten all über die Mauer hinweg und kamen nicht mehr. Doch nachderhand fand man so Stiefel als Schuh wie zuvor an die Stallwand genagelt.

Alfred Thon

Vor Jahren habe ich zu Stuttgart auf dem Markt ein Spiel gesehen in einem Dockenkasten Dockenkasten, Puppentheater., so auch von diesem handelte. Hätt' ich nur alles noch so recht im Kopf! Da wird gesagt zum Vorbericht in wohlgesetzten Reimen, was ich Euch erst erzählt, und sonst noch was voraus zu wissen nötig ist, vom Bernd Jobsten, dem Hofnarrn. Der ward denselben Spätling fortgejagt vom Grafen, weil er nicht wollte seiner bösen Zunge Zaum und Zügel anlegen, absonderlich gegen die fremden Herrschaften und Gäste. Nun klagte er sein Mißgeschick dem Doktor, als welcher ihm sonst einmal Gnade beim Herrn derhalben ausgewirkt, jetzt aber sich dessen nicht mehr unterstand; doch steuert' er ihm etwas auf den Weg und hieß ihn auch die Schuh im Stall mitnehmen, wofern er etwa meinte, sich ein Geldlein mit zu machen. Ja, sagte der Narr, das kommt mir schon recht. Vergelt' es Gott! – und holte sie gleich ab in einem großmächtigen Kräben Kräben, Tragkorb. und trug sie auf dem Rücken weg, talabwärts, wußte auch schon, was anfangen damit.

Am Neckar unterm Kahlenstein fand er des Grafen Schäfer auf der Weid' und stellte seine Bürde ein wenig bei ihm ab, erzählte ihm, wie er den Dienst verscherzt, und was er da trage. Hiermit hebt denn die Handlung an und spricht sofort der Narr:

Narr: Ich bin jetzt alt und gichtbrüchig,
Und meine Sünden beißen mich;
Drum will ich bau'n ein Klösterlein
Und selber gehn zuerst hinein,
In angenehmer Schauenlichkeit Schauenlichkeit, Contemplation, beschauliches Leben. »nit minder vorhalt mich vor disen gesellen, die allein der Schawenlichkeit gleben (geleben) wend.« Spreter, christl. Instr.
Verdrönsgendrönsgen, Intensivform von trehnsen, langsam etwas verrichten; entspricht dem Franz. trainer, ziehen, dem Engl. to train, to drone und to drowse, schlummern, schläfrig sein. dieses Restlein Zeit.

Spricht der Schäfer: Klöster bauen kost't halt viel Geld.

Der Narr: Just darauf ist mein Sinn gestellt.
Hiezu bedarf es ein Heiltum Heilthum, Reliquie. Der Pfarrer zu Leipheim, im Jahr 1500, bestrich die Leute für ein Opfer mit dem Heilthum St. Veit's.
Daß alle Leut' gleich laufen drum,
Ein Armes bringt sein Scherflein her,
Der Reich' schenkt Äcker, Hof, Wald und mehr.

Der Schäfer: Solch Heiltum kriegen ist nichts Kleins.

Der Narr: Hat mancher keins, er schnitzet eins.
Ich, Gott sei Dank! bin wohl versehn.
Diese Schuh', mußt du verstehn,
Der vielberühmt Doktor Veylland
Nächst an der Stadt Jerusalem fand
Unterm Schutt in einer eisen Truh
Ein gar alt Pergament dazu
Mit Judeng'schrift. Selbes bekennt:
Als Mose nun hätt' Israels Heer
Geführet durch das Rote Meer
Und König Pharao, Reiter und Wagen
Ersäufet in der Tiefe lagen,
Frohlockt das Volk auf diesen Strauß,
Zog weinend Schuh und Stiefel aus,
Am Stecken sie zu tragen heim
Ins Land, wo Milch und Honigseim,
In ihren Häusern sie aufzuhenken
Zu solches Wunders Angedenken.
Aus sechshunderttausend ohngefahr
Erlas man diese dreißig Paar
Und brachte sie an sichern Ort
Als einen künftigen Segenshort,
Daß, wer das Leder küssen mag,
Sei ledig seiner Lebetag
Von Allerweltsart Wassernot,
Auch Wassersucht und sottem Tod.

Der Schäfer: Hast du das G'schrift auch bei der Hand?

Der Narr: Das, meint' ich, gäb' dir dein Verstand.
Es liegt im Kräben unterst drin,
Und hätt' ich's nicht, gält's her wie hin.
Die War' blieb trocken auf Meeres Grund
Und ist brottrocken auf diese Stund'.
Nun kenn ich einen guten Pfaffen,
Der soll mir helfen mein Ding beschaffen,
Soll es anrühmen dem Provinzial,
Der meld't's gen Rom dem General.
Da wird sehr bald Bescheid ergehn,
Man wöll der Sach nit widerstehn,
Sie soll'n nur forschen bei diesem Jobst,
Was er lieber wär': Prior oder Propst.

Als nun der Narr zum Pater in seine Zelle kommt und ihm den Antrag stellt, begehrt derselbe allererst, das Pergament zu sehen. Ja, sagt der Schelm, vorm Jahr noch hätt' er's ihm wohl weisen können; allein ganz schrumpflig, mürb und brüchig, wie er es überkommen, sei es ihm nach und nach zuschanden gegangen. Dafür zieht er aus seinem Korb hervor ein alt, schwer eisen Marschloß Marschloß, Maderschl., Malschl. (Schweizerisch: Malle Tasche; Franz. malle), Vorlegschloß., vorgebend, es sei vor der Truchen gelegen. Der Mönch, wie leicht zu denken, hält ihm nichts drauf, verachtet ihm sein ganz Beginnen, verwarnet und bedrohet ihn gar. Der Narr, weil er vermeint, die Sach' an ihr selbsten gefiel' ihm schon, sie möchte wahr sein oder nicht, er scheue minder den Betrug als den Genossen – erboset sich sehr in anzüglichen Reden und spricht mit der Letzt:

Sag, Pfaff! tust du die Bibel les'n?

Der Pater: War die ganze Wuch'n drüber g'sessn.

Der Narr: Ich dacht nur, weil sie in Latein.

Der Pater: Wohl! daß nit jed's Vieh stört hinein.

Der Narr: Wohlan, so weißt du baß dann ich,
Was dort geweissagt ist auf dich
Und die Frau Mutter der Christenheit,
Wie ihr es nämlich treibt die Zeit.
Zum Exempel Proverbia
Im dreiß'gsten, was steht allda?
Die Eigel die Eigel, der Blutigel; in den ältern Ausgaben der Lutherischen Bibel, Sprüche Sal. 30, 15. hat zwo Töchter schnöd:
Bringher, Bringher, heißen alle beed;
Die ein' hat einen Ablaßkram,
Die ander heischet sonder Scham. –
Ei, das hofft' ich nur auch zu nutzen.
Pfaff, du tät'st mit, hätt's nicht sein Butzen!

Alfred Thon

So zieht er ab mit seinem Kräben unter heftigem Schelten und Drohen des Mönchs. Noch aber läßt er sein Vorhaben nicht, ein Kloster zu erbauen, und sollen ihm die Bundschuh und die Stiefel inallweg dazu helfen. Sobald er wieder auf der Straßen ist, spricht er:

Jetzt, wüßt' ich nur 's Pechfisels Haus!
Der macht' mir ein' Trupp Münchlein draus;
Die schicket' ich dann in die Welt,
Zu kollektier'n ein Gottesgeld.
Vielleicht er macht sie mir gleich beritten
Auf Saumrößlein mit frommen Sitten:
Sie kämen doch viel 'ringer ringer, mit geringerer Mühe. so 'rum,
Als wie per pedes apostolorum.

Nachdem er lang vergebens überall dem kleinen Schuster nachgefragt, so findet er denselben von ungefähr beim Bupsinger Brünnlein sitzen, an dem Berg, darin seine Wohnung und Werkstatt ist, und wo er eben einen Becher Wassers schöpfte. Der Narr, mit großer Scheinheiligkeit, entdeckt ihm sein Anliegen, doch der Pechschwitzer antwortet ihm:

Ich dient' Euch gern, mein guter Freund,
Aber was geistliche Sachen seind,
Laßt meine Kunst mit unverworr'n!
Es brächt' mir eitel Haß und Zorn.
Mein Rat ist darum: Geht zur Stund',
Verkauft, so gut Ihr könnt, den Schund!
Bei die Bupsinger droben, hör' ich, wär'
Großer Mangel eine Weil schon her.
So brauchet es kein lang Hausieren.
Doch müßt ihr nicht Eu'r Geld verlieren;
Woll'n sie mit dem Beutel nit schier schier, bald. heraus,
Droht, es käm' ihnen der Werr Werr, Erdkrebs, ein den Fruchtfeldern schädliches großes Insekt. ins Haus,
Der Presser; das werden sie schon verstehn.

Darauf der Narr: Ich folg' Euch, Meister, und dank' Euch schön.

Jetzt kommt das Lustigste, das aber muß man sehen: wie nämlich Bernd Jobst in dem Dorf seinen Korb auf der Gasse ausschüttet, die Bauern aus den Häusern kommen und gleich ein groß Geriß anhebt, da jeder mit Geschrei sein Eigentum aussucht und alle sich untereinander als Diebe verraten. Sie weigern sich der Zahlung gar hartselig hartselig, hartnäckig. »durch wunderzeichen wil Gott das hartsälig volck ziehen vnd berüffen.« Spreter, Instr., bis sich der Jobst anstellt zu gehen und sich etwas verlauten läßt vom Werr, daß er ihn schicken wolle. Auf dieses ist mit eins ein jeder willig und bereit, ja auch der gröbst Torangel Thorangel, Schimpfname für grobe Bauern. zahlt, was ihn ein neues Paar vom Krämermarkt nicht kostete.

Allmittelst hat der Schäfer bei Gelegenheit dem Grafen erzählt, was Wunderliches der Jobst vorhabe, der Doktor aber bestätigt nach dem, wo er vom Pechschwitzer vernommen, und ist das Ende von dem Lied, daß Herrn Konrad dem Narren für diesmal Vergebung erteilt, weil ihm der Schwank gefallen.«

Alfred Thon

So erzählte der Seppe. Die Meisterin hörte ihm nur so aus Gefälligkeit zu und insgeheim mit Gähnen. »Ja, ja,« sprach sie am Ende, »das sind mir einmal Sachen!« und nahm das Ränftlein in die Hand, das er von seinem Brot übrig gelassen. Nun, muß man wissen, hatte sie am Fenster einen schönen großen Vogel, der saß in seinem Ring frei da. Ihr erster Mann nahm ihn einmal an Zahlungsstatt von einem bösen Kunden an; es war ein weißer Sittich Sittich, Sitter, psittacus, Papagei. mit einem schwarzen Schnabel und auch dergleichen Füßen. Er sollte, hieß es, alles sprechen, wenn er das rechte Futter bekäme, und ob er zwar die ganze Zeit nicht sprach und sich der Schuster dessenthalb betrogen fand, so ward er doch der Frau Liebling.

Derselbe schaute jetzt der Meisterin, wie sie das Restlein Brot so hielt, mit einem krummen Kopf begierig auf die Finger. Da sagte sie zu ihrem Bräutigam: »Soll es der Heinz nicht haben?« – Der Seppe dachte freilich: Damit geht manches Hundert schöner Laiblein ungesehen zuschanden; doch gab er ihr zur Antwort: »Was mein ist, das ist Euer, und was Euch hin ist, soll auch mir hin sein.« – So schnellte sie den Brocken ihrem Heinz hinauf; der schnappte ihn, zerbiß und schluckt' ihn nieder. Kaum aber war's geschehn, so hub der Sittich an zu reden und brachte laut und deutlich diese Worte vor:

Gut, gut, gut – ist des Hutzelmanns sein Brot.
Wer einen hat umgebracht und zween, schlägt auch den dritten tot.

Die Meisterin saß bleich, als wie die Wand, auf ihrem Stuhl, der Gesell aber, wähnend, sie sei darob verwundert vielmehr denn entsetzt, lachte und rief: »Der ist kein Narr! Er meint, wenn man es einmal recht verschmeckte, fräß einer leicht auf einen Sitz drei Laib!« – Darauf die Frau zwar gleichermaßen groß Ergötzen an dem Tier bezeigte; doch mochte es ihr wind und weh wind und weh, sehr übel, sowohl im körperlichen als geistigen Sinne gebraucht; wind, wahrscheinlich von schwinden, woher auch Schwindel stammt, also schwindlich. »ir ward so swinde und we dar nach.« Koloczaer Codex altdeutscher Ged., herausg. von Mailáth u. s. w. S. 232. inwendig sein, und als der Bräutigam, nachdem er lang genug von dem närrischen Vogel gered't und Scherz mit ihm getrieben, jetzo von andern, nötigen Dingen zu handeln begann: wie sie es künftighin im Haus einrichten wollten, wen von den Gesellen behalten, wem kündigen und so mehr, war sie mit den Gedanken unstet immer nebenaus; das wollten sie bei guter Zeit ausmachen, sagte sie, tat schläfrig, besah die Haube noch einmal und setzte sie auf vor dem Spiegel. – »Puh! friert's mich in der Hauben!« rief sie zumal und schüttelte sich ordentlich. »Das Silber kältet so.« – Dann sagte sie: »Wenn schwarze Band dran wären, mein! es wär' recht eine Armesünderhaube für eine fürstliche Person!« und lachte über diese ihre Rede einen Schochen, daß den Gesellen ein Gräusel ankam. Gleich aber war sie wieder recht und gut, gespräch, liebkoste den Gespons und machte ihn vergnügt, wie er nur je gewesen. Danach so gaben sie einander küssend gute Nacht und ging er, aller guten Dinge voll, auf seine Kammer.

Den andern Morgen, es war am Sonntag, sah er den schönen Sittich nicht mehr sitzen in dem Ring, und die Meisterin sagte mit unholder Miene: »Das Schnitzbrot hat ihm schlecht getan, ich fand ihn unterm Bank da tot und steif und schafft' ihn mir gleich aus den Augen.«

Das deuchte dem Gesellen doch fast fremde, auch sah er einen Blutfleck am Boden. Am meisten aber wunderte und kränkte ihn, daß ihm die Frau so schnorzig schnorzig, verdrießlicher Laune, worin man Jemand anschnurrt. war.

Am Nachmittag, weil seine Braut nicht heim kam von der Kirche aus, spazierte er mit seinen Kameraden um den Wall nach einer neuen Schenke gegen Söflingen. Einer von ihnen schlug ein paarmal bei ihm auf den Busch und stichelte auf seine Liebste; da denn ein anderer, ein loser Hesse, den Scherz aufnahm und sagte: »Der Fang wär' recht für einen Schwaben, die haben gute Mägen, Schuhnägel zu verdauen.«

Alfred Thon

Weil nun der Seppe nicht verstand, wie das gemeint sei, blieb er mit seinem Nebemann, einem ehrlichen Sindelfinger, ein wenig dahinten und frug ihn darum: »Das ist dir eine neue Mär?« sprach der gar trocken. »Deine Meisterin, sagt man, hab' in Zeit von drei Jahr ihren zween Männern mit Gift vergeben. Vom letzten soll es sicher sein, vom ersten glaubt's darum ganz Ulm. Den zweiten hat man erst verwichenes Frühjahr begraben. Die Richter hätten ihr das Urteil gern zum Tod gesprochen, konnten aber nichts machen; denn auf dem Sterbebett sagte ihr Mann, er habe Schuhnägel gefressen. Dergleichen fanden sich nachher auch richtig in dem Leib, allein man glaubt, er habe sie in Schmerzen und Verzweiflungswut, als er das Gift gemerkt, nur kurze Zeit vor seinem End geschluckt.«

Dem Seppe verging das Gesicht. Er schritt und schwankte nur noch so wie auf Wollsäcken bis in die Schenke. Dort stahl er sich hinweg und ließ sein volles Glas dahinten.

Abwegs in einem einsamen Pfad saß er auf einer Gartenstaffel nieder, seine Lebensgeister erst wieder zu sammeln. Alsdann dankte er Gott mit gefalteten Händen, daß er ihn noch so gnädig errettet, überlegte und kam bald zu dem Beschluß, gleich in der nächsten Nacht das Haus der schlimmen Witwe, ja Ulm selbst insgeheim zu verlassen. Er blieb dort sitzen auf dem gleichen Fleck, bis die Sonne hinab und es dunkel war. Dann ging er in die Stadt, strich, wie ein armer Sünder und Meineider Meineider, Meineidiger. Marchth. Chron., lang in den Straßen hin und her und suchte zuletzt, von Durst und Hunger angetrieben, eine abgelegene Trinkstube, wo viele Gäste zechten, ihn aber niemand kannte. Dort barg er sich in einem dunklen Sorgeneck bei einem Fenster nach den Gärten und der Donau zu.

Alfred Thon

Er konnte, wie man spricht, von keinem Berg sein Unglück übersehen. Zu allem Herzleid hin nicht gar sechs Batzen im Besitz – denn einen Rest Guthabens bei der Frau, wie hätte er ihn fordern mögen? – dazu sein gutes Hutzelbrot verheillost, das ihm jetzt auf der Reise für Hungersterben hätte dienen können, und endlich Spott und Schande vor und hinter ihm!

Er ging bei sich zu Rat, ob er in seine Heimat solle oder weiterziehen. Das eine kam ihm schier so sauer wie das andere an. Was werden deine Freunde sagen, wenn du schon wiederkommst, als wie der Brogel-Wenz Brogel-Wenz; sich broglen, prahlen; alt brogen, sich regen, in die Höhe richten, ungestüm sein. Engl. to brag, Ital. brogliare. Die Zusammensetzung mit einem Namen, als sprichwörtliche Anspielung, ist willkürlich. vom welschen Krieg? (derselbe nämlich grüßte die Weinsteig schon wieder am siebenten Tag) – so dachte er; allein die Welt, soweit es in der Fremde heißt, kam ihm jetzt giftig, greulich vor, so öd und traurig wie das Ulmer Elend Elend, ein Garten in Ulm hinter dem Hospital an der Donau, auf dessen Stelle ehemals vermuthlich ein Pfleghaus für arme Pilger und Fremdlinge [424] war. Dergleichen Anstalten hießen auch anderwärts Elendhäuser, elende Herbergen. – Elend, ellend, aus el, fremd, und lend, bedeutet überhaupt die Irre, Fremde., das er dort unten in den Gärten liegen sah: aus einem Fenster dämmerte der kleine Schein vom Licht des Siechenwärters, dabei vielleicht ein armer Tropf, fern von dem lieben Vaterland, jetzt seinen Geist aufgab. Darum, es koste, was es wolle, heim ging sein Weg, nur Stuttgart zu! Von keinem Menschen gedachte er Abschied zu nehmen, am wenigsten von ihr, deren Gestalt und Mienen er mit Grauen immer vor sich sah. Deshalb er auch nicht eher aus dem Wirtshaus ging, als bis er sicher war, ihr nicht mehr zu begegnen, und seine Mitgesellen ebenfalls schon schliefen. Es war schon zwölfe, und die Scharwich kam zum zweitenmal, den letzten Gästen abzubieten.

Wie er nun langsam durch die leeren Gassen nach seinem Viertel lenkte, vernahm er oben in dem Giebel eines kleinen Hauses den Gesang von zwo Dirnen, deren eine, eines Kürschners Tochter, Kunigund, er wohl kannte, ein braves und sehr schönes Mädchen, mit welchem er im Pflug Pflug, Name eines Gasthofs in Ulm. manchen Schleifer herumgetanzt hatte. Wär' er nicht gleich im Anfang so tief in die Witwe verschossen gewesen, die hätte ihm vor allen Ulmer Bürgerskindern wohl gefallen und er ihr auch.

Die Dirnen plauderten, wie es ihm vorkam, finsterlings im Bett und sangen das Lied von dem traurigen Knaben, dem sein Schatz verstarb, das hatte zum Titel »Lieb in den Tod« und eine so herrliche Weise als sonst vielleicht kein anderes. Da sie es noch einmal von vorn anfingen, stand er still und horchte hinter einer Beuge Faßholz stille zu.

Ufam Ufam, auf dem. Kirchhof am Chor
Blüeht a Blo-Holder-Strauß Blo-Holder-Strauß, Busch von blauem Holunder, Syringe..
Do fleugt a weiß Täuble,
Vor's vor's, bevor es. taga tuet, aus.

Es streicht wohl a Gässale
Nieder und zwua,
Es fliegt mer ins Fenster,
Es kommt uf mi zua.

Jetzt kenn' i mein' Schatz
Und sei linneweiß G'wand
Und sei silberes Ringle
Von mir an der Hand.

Es nickt mer en Grueß.
Setzt se nieder am Bett,
Frei luegt mer's ins G'sicht,
Aber anrüehrt me's net.

Drei Wocha vor Ostra,
Wann's Nachthüehle Nachthüehle, Nachthuhn, Käuzlein. schreit,
Da macha mer Hochzig,
Mei Schatz hot mer's g'sait.

Mer macha kein' Lebtag,
Mer halta kein' Tanz.
Wer goht mit zur Kircha?
Wer flicht mer da Kranz?

In währendem Zuhören dachte der Seppe: Die wird sich auch wohl wundern, wenn sie hört, ich sei bei Nacht und Nebel fort als wie ein Dieb! Und dachte ferner: Wenn diese Gundel deine Liebste hätte werden sollen und wär' dir heute gestorben, ob du jetzt übler dran wärest denn so oder besser? – Er wußte in der Kürze sich selbst keinen Bescheid darauf, stöhnte nur tief aus der Brust und ging weiter.

Beim Haus der Witwe angekommen, drehte er den Schlüssel in der Tür, so leis er konnte, um, schlich auf den Zehen an ihrer Schlafkammer vorbei, kam in die seinige, von den Gesellen unberufen, und packte seine Sachen ein, nachdem er erst die guten Kleider aus- und andere angezogen, auch mit herzlicher Reue des Hutzelmanns Schuhe, die es so gut mit ihm gemeint, unter dem Stein hervorgenommen und sie nach langer Zeit das erstemal wieder an die Füße getan.

Und also schied er auf zeitlebens aus dem Haus, darin er sich vor wenig Stunden noch als wie in seinem Eigentum vergnüglich umgeschaut hatte. Er kam an das Liebfrauentor und schellte dem Wächter; der ließ ihn hinaus und war der einzige Mensch in ganz Ulm, welcher ihm Glück auf die Reise gewünscht.

Als er so in der Nacht auf trockener Landstraße und bei gelinder Luft nicht völlig eine halbe Stunde weit gewandert war, so regte sich sein Linker allbereits mit Jucken, Treten, Hopsen und sonst viel Ungebühr. So rief der Seppe grimmig: »Moinst, dia Gugelfuahr gang wieder an dia Gugelfuahr gang wieder an (gehe wieder an). Die Gugelnarren, d. h. die Narren mit den spitzigen Hanswursthüten, ließen sich zur Fastnachtszeit auf Karren herumführen und trieben Unfug; daher Gugelfuhr für große Lustbarkeit und jeden lustig lärmenden Unfug.? I will d'r beizeit d'rfür tua!« saß nieder, riß den linken ab und faßte auch den rechten – da fiel ihm ein: Den könnt'st du anbehalten; mit einem Fuß im Glück ist besser denn mit keinem! Zog also einen Stiefel an zum andern Schuh, probiert' es eine Strecke, und wahrlich, es tat gut.

Alfred Thon

In seinem Innern aber, so arg es auch darin noch durcheinander ging, daß ihm das Heulen näher als das Pfeifen lag, so gab er sich doch selbst schon kühnlicheren Zuspruch mit Vernunft, nahm sein versehrtes Herz, drückt' es, gleich wie die Hausfrauen pflegen mit einem zertretenen Hühnlein zu tun, in sanften Händen wieder zurecht, und endlich ging sein Trost und letzter Schluß dahin, wie sein Vetter als sagte: »Es hat nur drei gute Weiber gegeben: die eine ist im Bad ersoffen, die ander' ist aus der Welt geloffen, die dritte sucht man noch.«

Alfred Thon

Unweit Gerhausen kam schon allgemach der Tag; bald sah er auch Blaubeuren liegen, und auf den Dächern rauchte hie und da schon ein Kamin.

Eine Ackerlänge vor dem Tor geschah ihm etwas unverhofft.

Dort zog der Weg sich unter den Felsen linker Hand an einer Steile hin. Der Seppe dachte eben, wenn er jetzt in das Städtlein käme, ein warmes Frühstück täte seinem Magen wohl, und rechnete, wie weit er damit komme; denn sein Beutel mochte nicht viel leiden. Bei dem Bräumeister konnte er aber mit Ehren nicht wieder einsprechen; er meinte, die Leute möchten sagen: »Dem hat das Handwerksburschen-Einmaleins im Nonnenhof gefallen und mag ihm ganz eine kommode Rechnung sein!« Dies denkend, schritt er hitziger fürbaß – mit eins aber kann er nicht weiter, und ist er mit dem Schuh wie angenagelt an den Boden, zieht, reißt und schnellt, zockt noch einmal aus Leibeskräften: da fuhr er endlich aus dem Schuh, der aber flog zugleich den Rain hinunter, wohl eines Hauses Höhe, in einen Felsenspalt.

Gern oder ungern mußte ihm der Seppe nach. Als er nun mit Gefahr den Fleck erreicht, wo er ihn hatte fallen sehen, und in dem Steinriß mit der Hand herumsuchte, auch alsbald ihn erwischte, indem so stieß er an ein fremdes Ding, das zog er mit ans Licht. – »Hoho! davon kam dir die Witterung!?« rief er und hielt das Bleilot in der Hand, betrachtet' es mit Freuden, schlupft in den Schuh und ist wie der Wind wieder oben. Nachdem er den Fund in den Ranzen gesteckt, der jetzo freilich das Zwiefache wog, ging er nicht wenig getröstet hinein in die Stadt.

Die Leute machten erst die Läden auf und trieben das Vieh an die Tränke. Er kam an einem Bäckerhaus vorbei: da roch gerade so ein guter, warmer Dunst heraus, daß es ihn recht bei der Nase hineinzog. Er ließ sich einen Schnaps und keinen kleinen Ranken Brot dazu geben; das hielt dann wieder Leib und Seele auf etliche Stunden zusammen.

Sofort auf seinem Weg probierte er das Lot auf alle Weise, wenn hin und wieder ein Metzger oder sonst ein Mensch bei ihm vorüberkam, und als er nur den Vorteil erst mit rechts und links weg hatte, vertrieb er sich die Zeit samt seinem Herzensbrast Herzensbrast, Beklemmung, Herzeleid; von Bresten, Gebrechen. auf das anmutigste und beste.

Auf der Höhe der Feldstätter Markung fuhr hinter ihm daher mit einem leeren Wagen und zween starken Ochsen ein Böhringer Bauer. Der Seppe wollte gern ein Stück weit von ihm mitgenommen sein und sprach ihn gar bescheiden und ziemlich darum an; der aber war ein grober Knollfink, tat, als hört' er ihn nicht. Ei, denkt mein Schuster, hörst du mich nicht, so hab' mich auch gesehn, und sollst mich dennoch führen! – verschwand wie ein Luftgeist im Rücken des Mannes und setzte sich hinten aufs Brett. Da sprach der Bauer mit sich selbst und maulte: »Hätt' i viel z'taun, wenn i dia Kerle äll uflada wött – Hott ane Scheck! – dia Scheuraburzler Scheurenburzler, Landstreicher, Zigeuner, der in Scheunen auf dem Lande das Nachtlager zu nehmen pflegt. do! äll Hunds-Odam äll' Hundsodam, alle Augenblicke lauft var d'rher. Miar kommt koar über d' Schwell und uf da Waga, miar ett!« – Das hörte der Gesell mit großem Ergötzen und hielt sich immer still, gleichwie der andre auch still ward. Nach einer Weile holt der Böringer just aus, auf schwäbische Manier die Nas' zu putzen, hielt aber jäh betroffen inn', denn hinter ihm sprach es, als wie aus einem hohlen Faß heraus die Wort': »Zehn Ochsen und ein Bauer sind zwölf Stück Rindvieh.«

Der Bauer, mit offenem Maul, schaut um, schaut über sich gen die Sperlachen gen die Sperlachen, (plur.), gegen das Himmelszelt; von sperren und Laken oder Lachen, Tuch, das über einen Wagen zur Bedeckung gespannt ist. »wann got jnn den sperlachen wonet vnd sy mit seinen gnaden erleuchtet.« Buch der sterb. Menschh., horcht, ruft Oha dem Gespann, steigt ab dem Wagen, guckt unterhalb zwischen die Räder, und da kein Mensch zu sehen war und auf der Ebene weit und breit kein Baum oder Grube noch sonst des Orts Gelegenheit danach gewesen wäre, daß sich ein Mensch verbergen mochte: stand ihm das Haar gen Berg, saß eilends auf und trieb die Tiere streng in einem Trott, was sie erlaufen mochten, bis vor seinen Ort; denn er vermeinte nicht anders, als der Teufel habe ihm Spitzfündiges aufgegeben, und wenn er den Verstand nicht dazu habe, so gehe es ihm an das Leben.

Der Seppe stieg nicht bälder von dem Wagen, als bis der Bauer in seiner Hofrait Hofraite (die), der ganze zu einem Haus gehörige Umfang von Hof, Bäulichkeiten u. s. w. hielt; dann wandelte er durchs Dorf, unsichtbarlich, und hatte mit diesem Abenteuer, die schöne Kurzweil ungerechnet, wohl eine halbe Meil' Weges Profit.

Er kam ins Tal hinunter und auf Urach, er wußte nicht wie.

Vor dem Gasthaus, demselben, wo er im Herweg übernachtet war, stiegen etliche reisende Herren von Adel samt ihren Knechten gerade zu Roß; er hörte, sie ritten auf Stuttgart. Herrn Eberhards Tochter hatte Hochzeit, als gestern, gehabt mit Graf Rudolf von Hohenberg; auf eben diese Zeit beging ihr Herr Vater, der Graf, seine silberne Hochzeit. Es dauerten die Lustbarkeiten noch drei Tage lang am Hof und in der Stadt: Turnier und andre Spiele. Das hörte der Geselle gern; er dachte: Da hat man deiner nicht viel acht und mögen deine Freunde glauben, du kamst des Lebtags wegen heim. Ihm lüstete nicht sehr danach; demungeachtet säumte er sich nicht auf seinem Weg, und als er sich um die drei Groschen und etliche Heller, so er aus allen Taschen elendiglich zusammenzwickte, noch einmal wacker satt gegessen und getrunken, so setzt' er seinen Stab gestärkt und mutig weiter. Stets einem flinken Wässerlein, der Erms, nachgehend, befand er sich gar bald vor Metzingen.

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Er dachte trutzig und getrost vor jedermanns Augen den Ort zu passieren, wo er vor einem halben Jahr den Schabernack erlitten, und war auf Schimpf und Glimpf gefaßt; nur wollte er zuvor den zweiten Stiefel noch außen vor dem Ort antun, damit er doch nicht mit Gewalt den Spott der Gaffer auf sich ziehe. Aber wie er sich dazu anschicken will, kommt ihm ein anderes dazwischen, das ließ ihm keine Zeit.

Gleich vor dem Flecken, frei auf einem Grundstück, lag eines Schönfärbers Haus; an dessen einer Seite hingen allerhand Stück Zeug, in Rot, Blau, Gelb und Grün gefärbt, auf Stangen und im Rahmen aufgezogen, davor ein grüner Grasplatz war. Dort nun, doch näher bei der Straße, sah der Seppe nur einen Steinwurf weit von ihm das naseweise Färberlein stehn, das Gesicht nach dem Flecken gekehrt. Das Bürschlein hatte Gähnaffen Gähnaffen (Maulaffen) feilhaben, müssig da stehen. feil, weil seine Meistersleute nicht daheim, oder paßte es auf eine hübsche Dirne, sah und hörte deshalb weiter nichts.

»Wohl bei der Heck', du Laff!« sagte der Seppe frohlockend vor sich, indem er frisch seitab der Straße sprang. »Jetzt will ich dir den Plirum den Plirum geigen, abprügeln. geigen!« – warf seinen Ranzen links herum, lief eilig zu und stand unsichtbar auf dem Wasen ein Dutzend Schritte hinter dem Färber. Geschwind besann er sich, was er zuerst beginne, trat an das Lattenwerk, zog wie der Blitz einen trockenen Streif des roten Zeugs herab und breitete denselben glatt aufs Gras; alsdann stellte er sich in leibhafter Gestalt ohne Willkomm und Gruß, nicht in gutem noch bösem, ganz dicht vor den Färber hin. Der, seinen Feind erkennend, macht' ein Gesicht als wie der Esel, wenn er Teig gefressen hat, und plötzlich wollte er auf und davon. Der Schuster aber hatt' ihn schon gefaßt: kein Schraubstock zwängt ein Werkholz fester, denn unser Geselle das Büblein hielt bei seinen zween Armstecken. Er hieß ihn stilleschweigen, so wolle er ihm aus Barmherzigkeit an seinem Leib nichts tun, nahm ihn sodann gelinde, legt ihn aufs eine Tuchend überzwerch, drückt' ihm die Ellbogen grad am Leib und wergelt ihn mit Händen geschickt im Tuch hinab, wie man ein Mangelholz wälzet, daß er schön und glatt gewickelt war bis an das Kinn. Darauf band er ihm ein grünes Band, das er auch von der Latte gezogen, kreuzweis von unten bis hinauf und knüpft's ihm auf der Brust mit einer schönen Schlaufe. Nach allem diesem aber nahm und trug er ihn, nicht anders als ein Pfätschenkind dahingetragen wird, auf seinen Armen weg (in deren einem er den Wanderstock am Riemen hangen hatte). Weil er jedoch bei diesem ganzen Vornehmen das Lot links trug, und weil der Krackenzahn mehr nicht kann ungesehen machen, als das zum Mann gehört, so war es wunderbarlich, ja grausig, fremd und lustig gleichermaßen anzusehn, wie auf der breiten Straße mitten inne ein gesunder Knab, wie Milch und Blut, mit schwarzem Kräuselhaar, in Wickelkindsgestalt frei in der Luft herschwebte und schrie.

Das Volk lief zu aus allen Gassen, ein jedes lacht' und jammerte in einem Atem, die Weiblein schrien Mirakel und: »Hilf Gott! es ist des Färbers Knab, der Vite! Springt ihm denn keiner bei von euch Mannsnamen?« – Doch niemand traute sich hinzu.

Da fing der Seppe an sangweis mit heller Stimme:

Scheraschleifer, wetz, wetz, wetz,
Laß dei Rädle schnurra!
Stuagart ist a grauße Stadt,
Lauft a Gänsbach durra.

Und als das Kind sich ungebärdigt stellte, schwang er's und flaigert's hin und her und sang:

Färbersbüble, schrei net so,
Mach mer keine Mändla!
D' Büasinger mit zwanzig Johr
Trait mer trait mer, trägt man. en de Wendla,
Heisasa! Hopsasa!
Wia de kleine Kendla.

Die Leute fanden ihrem Staunen, Schrecken, Dattern Dattern, dottern, zittern. Engl. to tottor. und Zagen nicht Worte noch Gebärden mehr. Eins schob und stieß und drängte nur das andere dem Abenteuer immer nach oder voraus. Bei dem Gemeindehaus aber schwenkte sich der Seppe seitwärts nach dem Kirchplatz unversehens, daß alles vor ihm schreiend auseinanderfuhr.

Dort, mitten auf dem Platz sah man den Vite sänftlich an die Erde niederkommen. Da lag denn ein seltsamer Täufling, zornheulend, sonder Hilfe, derweil der Schuster flüchtig durch die Menge wischte. Weit draußen vor dem Ort noch hörte er das Lärmen und Brausen der Leute.

Bei Tolfingen am Neckar spürte er anfangen in den Beinen, daß er verwichene Nacht in keinem Bett gewesen, jetzt fünfzehn Stunden Wegs in einem Strich gemacht, daneben ihn der letzte Possen auch manchen Tropfen Schweiß gekostet haben mag. Der Abend dämmerte schon stark, und er hatte noch fünf gute Stunden heim. Bei frischen Kräften hätte er Stuttgart nicht füglich vor Mitternacht können erlaufen, so schachmatt aber, wie er war, und mit vier Pfennigen Zehrgeld im Sack, schien ihm nicht ratsam, es nur zu probieren. Wo aber bleiben über die Nacht und doch kein Scheurenburzler Scheurenburzler, Landstreicher, Zigeuner, der in Scheunen auf dem Lande das Nachtlager zu nehmen pflegt. sein? – Halt! dacht er, dient nicht in der Stadt Nürtingen, nur anderthalb Stund von da, der Kilian aus Münster als Mühlknapp? Das ist die beste Haut von der Welt, der läßt dich nicht auf der Gasse liegen und borgt dir leicht ein Weniges auf den Weg. Jetzt ist lang Tag Jetzt ist lang Tag, Sprichw. es hat keine Noth mehr! – Er tat erst einen frischen Trunk in Tolfingen, wo das Wasser nichts kostet, dann kaufte er sich ein Brot für seinen letzten Kreuzer, verzehrt' es ungesäumt und lotterte, indem es finster ward, gemächlich die Straße am Neckar hinauf. Mit der Letzte erschleppt' er sich fast nicht mehr, doch endlich erschienen die Lichter der Stadt und hörte er das große Wuhr Wuhr (das), Wehr, »ich habe gebawen die wasserwure.« Buch der sterb. Menschh. ob der Brücke schon rauschen, hart neben welcher jenseits die vielen Werke klapperten.

Der Müller aß eben zu Nacht mit seinen Leuten und Gesind, darunter nur kein Kilian zu sehen war. Man sagte dem Schuster, der sei vor einem Vierteljahr gewandert. Da stand der arme Schlucker mit seinem gottigen gottig, gotzig, gotteseinzig, einzig. Glücksschuh und seinem Stiefel! wußte nicht, was er jetzt machen sollte. Indes hieß ihn die Müllerin ablegen und mitessen, und nach dem Tischgebet, dieweil der Mann leicht merken mochte, es sei ein ordentlicher Mensch und habe Kummer, bot er ihm an, über Nacht im Wartstüblein, wo die Mahlknechte rasten, auf eine der Pritschen zu liegen. Das ließ er sich nicht zweimal sagen und machte sich alsbald hinunter, ein Jung wies ihm den Weg zwischen sechs Gängen hindurch, die gellten ihm die Ohren im Vorbeigehn nicht schlecht aus. Zwei Stieglein hinunter und eins hinauf, kam er in ein gar wohnliches, vertäfertes Gemach und streckte sich auf so ein schmales Lager hin. Wie grausam müd er aber war, ein Schlaf kam ihm nicht in seine Augen: Fenster und Boden zitterten in einem fort, es schellte bald da, bald dort, die Knechte tappten aus und ein, und die ganze Nacht brannte das Licht.

Um eins, da ihn der Oberknecht noch wachen sah, sprach der zu ihm, wenn er auf Nachtruh halte, hier sei er in die unrechte Herberge geraten, das Schlafen in der Mühle woll' gelernt sein wie das Psalmenbeten in der Hölle; er soll' aufstehn, sie wollten sich selbdritt die Zeit vertreiben mit Trischacken Trischacken, eine Art von Kartenspiel; Ital. i tre sciacchi. – langte die Karten vom Wandbrett herunter und stellte einen vollen Bierkrug auf den Tisch. Der Seppe wollte nicht, bekannte auch, daß er Gelds ohne sei; allein da hieß es:

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»Schuster! dein Schnappsack hat ein leidlich Gewicht, und Stein hast du keineswegs darin; wenn aber, so sei uns ein ehrlicher Schuldner!« So gab er endlich nach und nahm sein Spiel vor sich. Wetter! wie paßten gleich die Kerl da auf! Was er nur zog und hinwarf: allemal die besten Stiche! Jetzt wurden seine Sinne hell und wach zumal, er dachte: Hei, da springt ein Wandergeld heraus! Das erste Spiel gewonnen, das zweite desgleichen! Beim dritten und beim vierten zog er heimlich den Schuh aus unter dem Tisch, daß es nicht merklich würde, und verspielt's damit hintereinander, doch brachte er es vier- und sechsfach wieder ein, und pünktlich machte einer jedesmal die Striche auf die Tafel, daß man's nachher zusammenrechnen könne. Es war ihm über einen Gulden gutgeschrieben, und als den andern endlich so die Lust verging, war es ihm eben recht und legte er sich noch ein Stündlein nieder. Da fiel der Schlaf auch bald auf ihn als wie ein Maltersack, doch ohne Letzung. Er war mit seinem Geist in Ulm und träumte nur von Greuel, Gift und peinlichem Gericht. Ein Mahljung, welcher durch das Stüblein lief, vernahm von ungefähr, wie er im Schlaf die Worte redete: »Fürn Galgen hilft kein Goller und fürs Kopfweh kein Kranz!« – ging hin und hinterbracht's den Knechten; die kamen juxeshalber und standen um den Schlafenden, sein bitterlich Gesicht bescherzend. Auch nestelten sie ihm den Ranzen auf aus Fürwitz, was er Schatzwerts darin habe, zogen das schwere Blei heraus und lachten ob des Knaben Einfalt solchermaßen, daß ihnen gleich das Schiedfell Schiedfell, Zwerchfell, weil es Herz und Lunge von den andern Eingeweiden scheidet; diaphragma. hätte platzen mögen. »Tropf!« sprach der eine, »hast du sonst nichts gestohlen, darum springt dir der Strick nicht nach!« – und packten's ihm wieder säuberlich ein.

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Als nun der Seppe endlich am lichten Tag erwacht war, gürtete er sich gleich, nahm Hut und Stock und fand die beiden Spielgesellen in der Mühle am Geschäft. Er hätte gern sein Geld gehabt, wenn es auch nur die Hälfte oder ein Drittel sein sollte. Sie aber lachten mit Faxen Faxen, auffallende, lächerliche Gesten. und Zeichen, bedeuteten ihm, sie verstünden nicht über dem Lärm, was er wolle, und hätten unmöglich der Zeit. Nun sah er wohl, er sei betrogen, kehrte den seellosen seellos, ruchlos. »die Trewloßen, Ehrloßen und Seelloßen bauren.« Brief an Schwäb. Hall im J. 1525. Schelmen den Rücken und ging hinauf, dem Müller seinen schuldigen Dank abzustatten. Dort in der Küche gab man ihm noch einen glatt geschmälzten Hirsenbrei; damit im Leibe wohl verwarmt, zog er zum Tor hinaus und über die Brücke, dann rechts Oberensingen zu. Gern hätte er zuvor den Herbergvater in der Stadt um eine Wegspend angegangen, er traute aber nicht, weil er in Ulm sich keinen Abschied in sein Büchlein hatte schreiben lassen.

Auf dem Berg, wo der Wolfschluger Wald anfangt, sah man damals auf einem freien Platz ein paar uralte Lindenbäume, ein offen Bethäuslein dabei, samt etlichen Ruhebänken. Allhie beschaute sich der Seppe noch einmal die ausgestreckte blaue Alb, den Breitenstein, den Teckberg mit der großen Burg der Herzoge, so einer Stadt beinah gleichkam, und Hohenneuffen, dessen Fenster er von weitem hell herblinken sah. Er hielt dafür, in allen deutschen Landen möge wohl Herrlicheres nicht viel zu finden sein als dies Gebirg zur Sommerszeit und diese weit gesegnete Gegend. Uns hat an dem Gesellen wohl gefallen, daß er bei aller Übelfahrt und Kümmernis noch solcher Augenweide pflegen mochte.

Von ungefähr, als er sich wandte, fand er auf einem von den Ruhebänken ein Verslein mit Kreide geschrieben, das konnte er nicht sonder Müh entziffern; denn sichtlich stand es nicht seit jüngst, und Schnee und Regen waren darüber ergangen. Es hieß:

Ich habe Kreuz und Leiden,
Das schreib' ich mit der Kreiden,
Und wer kein Kreuz und Leiden hat,
Der wische meinen Reimen ab Ich habe Kreuz – ab. Diese Zeilen fand der Verf. selbst an einem ähnlichen Ort auf freiem Felde von einer ungeübten Hand mit Kreide angeschrieben.!

Der Seppe ruhte lang' mit starren Blicken auf der Schrift. Er dachte: Dem, welcher dies geschrieben, war der Mut so weit herunter als wie dir, kann sein: noch weiter. Tröst ihn Gott! – Nachdenksam kehrte er sich zur Kapelle, legte Ranzen, Hut und Stock, wie sich gebührte, haußen ab und ging, seine Andacht zu halten, hinein; nach deren Verrichtung er sich bei den Namen und Sprüchen verweilte, so von allerhand Volk, von frommen Pilgrimen und müßigen Betern, an den Wänden umher mit Rotstein oder mit dem Messer angeschrieben waren.

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In einem Eck ganz hinten stund zu lesen dieser Reim:

Bitt, Wandrer, für mich!
So bittst du für dich.
Mit Schmerzen ich büße,
In Tränen ich fließe.
Das Erbe der Armen.
Das heißet Erbarmen.

Recht wie ein Blitzstrahl zückten die Worte in ihn, und war ihm eben, als flehet' es ihn aus den Zeilen an mit gerungenen Händen um seine Fürbitte, als eine letzte Guttat an der Frau, so ihrer vor allen den lebenden Menschen bedürfe. Seit jener Stunde, wo er sich im stillen von ihr schied, war ihm noch kein Bedenken oder Sorge angekommen um das verderbte und verlorene Weib; nun aber fiel das treue Schwabenherz gleich williglich auf seine Knie, vergab an seinem Teil und wünschte redlich, Gott möge ihren bösen Sinn zur Buße kehren und ihr dereinstens gnädig sein; für sich insonderheit bat er, Gott wolle seiner schonen und ihn kein blutig Ende an ihr erleben lassen. Hierauf erhob er sich, die Augen mit dem Ärmel wischend, und setzte seine Reise fort.

Alfred Thon

Nach dreien Stunden, um Bernhausen auf den Fildern, hub sein Magen an mit ihm zu hadern und zu brummen. Er hätte sich mit seinem Lot in manches reichen Bauern Haus und Küche leichtlich wie Rolands Knappe helfen können, welcher vermittelst seines Däumerlings dem Sultan sein Leibessen samt der Schüssel frei vor dem Maul wegnahm. Ihm kam jedoch vor Traurigkeit dergleichen gar nicht in den Sinn: auch hatte er sein Leben lang weder gestohlen noch gebettelt. Kein leiderer Weggenoß ist aber denn der Hunger. Er rauft, wenn er einmal recht anfangt, einem Wandersmann schockweis die Kraft aus dem Gebein, nimmt von dem Herzen Trost und Freudigkeit hinweg, schreit allen alten Jammer wach, recht wie bei Nacht ein Hund den andern aufweckt, daß ihrer sieben miteinander heulen. Das dauerte bei dem Gesellen, bis endlich Degerloch da war und er nun um die Mittagszeit seine Vaterstadt im lichten Sonnenschein und Rauch vom Berg aus liegen sah. Da brannten ihn die salzigen Tropfen vor Freuden im Aug' und waren seine Füße alsbald wie neugeboren.

Von weitem hörte er Trompetenschall und sah es vor dem Tor und in den Straßen blinken und wimmeln. Die Ritter kamen in Harnisch und Wehr zurück vom großen Stechen: Roß und Mann bis an den Helmbusch voller Staub. Es wogte bunt von Grafen, Edelherrn und Knappen, von Bürgersleuten und vielem Landvolk.

Der Seppe drückte sich, wie er zur Stadt hineinkam, scheu nur an den Häusern hin: denn ob er gleich unsichtbar ging um seiner schlechten Kleidung willen, auch weil er übel, schwach und schwindlig war vor übergroßer Anstrengung, weshalb er nicht viel Grüßens oder Redens brauchen konnte, so war ihm doch bei jedem Schritt, wie wenn die Blicke aller Leute auf ihn zielten, und wurde rot und blaß, so oft als ein guter Bekannter oder ein Mädchen seiner alten Nachbarschaft bei ihm vorüber lachte. Er strebte einem engen Gäßchen zu im Bohnenviertel, wo eine alte Base von ihm wohnte. Am Eck schob er den Ranzen rechts herum, und schon von ihrem Fenster aus begrüßte ihn das gute Fraulein, seine Dot. Er sprang mit letzten Kräften die Stiege noch hinauf, aber unter der Tür knickt' er in den Knien zusammen und schwanden ihm zumal die Sinne. Die Frau rief ihren Hausmann, holte Wein und was sonst helfen mochte. In Bälde hatten sie den armen Lungerer so weit zurecht gebracht, daß er auf seinen Füßen stehn, sich hinter den Tisch setzen, essen und trinken konnte.

Dabei erzählte ihm das Mütterlein, was sich alle die Zeit her begeben: vom großen Beilager im Schloß wie auch, daß morgen noch ein Haupttag sei. Weil nämlich eben Faßnacht in der Nähe war und die erlauchte Braut nichts lieber sah als einen schönen Mummenschanz, so wurde von dem Rat der Stadt beschlossen, daß ein solcher mit ausnehmender Pracht auf dem Markt gehalten werde. Der Graf dagegen wollte zu Mittag die Bürgerschaft in den Straßen bewirten, welches der Jahreszeit halben wohl geschehen mochte, indem der Winter so gelind und kurz ausfiel, daß wahrlich im Stuttgarter Tal fast die Bäume ausschlugen. »Auf diesen Tag nun, siehst du,« sprach die Base, »tut jung und alt sein Bestes, der Arme wie der Reiche: wer keinen Heiden oder Mohren machen kann, der findet einen bunten Lappen zum Zigeuner, und wem die Larve fehlt, der färbt sich im Gesicht. Da hat vorhin die Kiderlen, die Vrone, die du kennst, sich Feierwams und Hosen von ihrem Vetter, meines Hausmanns Buben, abgeholt, und er verbutzet verbutzen, vermummen. »am Fastnacht soll sich Niemand verbutzen, verkleiden, verwelchen« (von Wale, Walch, Welscher, Fremder). Ulm. Verordn. v. J. 1612. Die Butz heißt Scherz, Betrug, Lüge; der Butz, Narr, Possenreißer, Larve. sich mit seiner Ahne ihrem Hochzeitstaat. Seppe, wir müssen uns für dich beizeiten auch nach was umtun. Für jetzo, schätz' ich aber, hast du das Bett am nötigsten.« – »Ach wohl, Frau Dot!« sprach er, »und ich wollt' nur, die Nacht hätt' ihre achtundvierzig Stund!« – »Nun,« meinte sie, »vier hast du, bis wir essen; da läßt sich schon ein schön Stück Schlafs vorweg herunterspinnen!« – und führte ihn hinauf in eine kleine Kammer, in welcher allezeit ein gutes Gastbett aufgemacht war.

Alfred Thon

Kaum hatte er sich ausgezogen und sein zerschelltes, zerbrechliches und ganz vermürbtes Knochenrüstwerk behutsam ausgestreckt, da schlief er auch schon wie ein Dachs und so in einem fort bis abends spät, wo ihm die Frau eine Suppe mit Fleisch hinaufbrachte und noch ein wenig mit ihm diskurierte. Nun wünschte sie ihm gute Nacht und ging mit ihrem Licht.

Sie war aber die Stiege noch nicht gar hinunter, so ruckt etwas an seinem Stuhl, ein Lämplein macht die Kammer klar, und eine Stimme sagte: »Grüß dich Gott, Seppe! verschrick nit! der Pechschwitzer ist es, der Hutzelmann, der Tröster. So, so, auch wieder hiesig? Sorg nit, ich plag' dich lang'! du brauchst der Ruh'. Und auf ein Wort: sag an! gelt, Bursch, hast's Klötzle?«

»Jo freile han i's, Meister.«

»Laß sehn! wo steckt's? im Bündel? – Hab' es schon! bei meinem Leisten! ja, da glotzt er 'raus, der Krackenzahn. Du erzigs Narrenglückskind, du! Und hast fein nur mit feinem Hund gejagt! Du Malefizglücksspitzbub, du!« – Mit diesen und viel andern närrischen Ausrufungen bewies das Männlein seine Freude. Drauf sagte es mit Ernst: »Mein Sohn, du hast dies teuere Stück, wie du zwar schuldig warst, deinem Patron getreulich überliefert, da du es nicht allein im Nonnenhof können vertrumpeln um einen Pfifferling aus des Wasserweibs Hafen, sondern konntest vor Kaiser und Könige gehen damit, die hätten dir dies schlechte Blei gern sechsmal und mehr mit Gold aufgewogen. Nun, Seppe, denk an mich! Das sollst du nicht bereuen. Hab gute Nacht!« – Im Gehen frug er noch: »Wie sicht's mit dem Laiblein?«

»Ja, Meister, um sell bin i komma, sell ist –«

»Gfressen?«

»Jo, aber ett vo mir!«

»Ei, daß dich! hat das auch müssen verhansleartlet verhansleartlen, auf eine einfältige Weise verlieren, versäumen. Hans Leand, Hans Leard, Johann Leonhard, wird zur Bezeichnung eines einfältigen Menschen gebraucht. sein! Nun, wenn's nur gfressen ist! gibt wieder einmal ein anders vielleicht. Bhüt Gott! Morgen bei rechter Zeit siehst mich wieder.«

*


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