Balduin Möllhausen
Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas – Band 2
Balduin Möllhausen

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Dreiunddreißigstes Kapitel

Aufbruch von Albuquerque – Parforcejagd der Indianer – Nachtlager in Algodones – Vergebliches Harren auf die Eskorte – Verlassen des Tals des Rio Grande – Romeros Rancho – Santa Fé – Exchange Hotel – Abschied von Santa Fé – Lager am Stone Corral und Zusammentreffen daselbst mit der Eskorte – Schöne Landschaften – Die Ruinen von Pecos – Lager daselbst – Trennung von der Eskorte – Die California-Emigranten – Der Rio Pecos – Das Städtchen San José – Das Tal des Pecos – Ojo del Verde – Abirren der Eskorte nach Anton Chico – Lager in Las Vegas – Die Heilquellen – Der See auf dem Hochland – Ankunft am Rand der Prärie und in Fort Union

11. Juni. In aller Frühe schon waren wir reisefertig; acht kräftige Tiere in festen Geschirren standen vor dem schwerbepackten Wagen, in dem eben die Feldstühle, der Tisch und das zusammengerollte Zelt geschoben wurden; sechs andere Tiere harrten ihrer Reiter, und als dann der Fuhrmann mit lauter Stimme ausrief: »All ready!« und den Ruf mit dem Knallen seiner zähen Peitsche begleitete, schwangen wir uns in den Sattel, und lustig trabten wir Albuquerque zu, durch welche Stadt unser Weg führte. Die Eskorte war ebenfalls mit dem Aufbruch beschäftigt, wir bezeichneten daher Lieutenant Tipton die Stadt Algodones als den Punkt, an dem wir zu übernachten beabsichtigten, und zogen dann guter Dinge unseres Weges.

Wie ich schon oben bemerkte, bildeten wir mit unseren Dienern eine Gesellschaft von sieben Mann, und zwar waren es alle so kräftige und mutige Leute, wie sie nur jemals das Gras der Prärien betraten. Es fehlte uns nicht an Erfahrung und, nachdem der Doktor sich wieder erholt hatte, auch nicht an Gesundheit; und da wir mit Büchsen, Doppelflinten, Revolverpistolen und langen Messern reichlich versehen waren, so bildeten wir eine kleine Macht, die sich gewiß nicht vor einigen Dutzend Indianern zu scheuen brauchte und bei entsprechender Wachsamkeit sich unbelästigt zwischen allen Präriestämmen hindurchwinden konnte.

Reisende Karawanen sind in Albuquerque gewiß etwas Alltägliches; als wir aber durch die Straßen der Stadt zogen, schloß sich mancher unserem Zug an, freilich weniger aus Neugierde, als um in dem bekannten Eckhaus am Markt einen Abschiedsbecher mit uns zu trinken. Ruhig sandten wir daher unseren Wagen und die Diener voraus, kehrten noch einmal auf der Ecke ein, und fröhliche Stimmen und Klirren von Gläsern erfüllten bald die in Tabaksdampf schwimmenden Räume des Sutler-Ladens. – Gaserleuchtete Salons mit getäfeltem Fußboden und mächtigen Spiegeln, die lieblich die bezaubernden Bilder zarter Herren mit süßlich-verbindlichen Mienen und kühn gedrehten, duftenden Schnurrbärtchen zurückstrahlen, und wo aus umfangreichen Bergen von Seide und Spitzen die halbnackten Büsten schöner Frauen und Mädchen emporragen, lassen allerdings einen Vergleich mit einer Trinkhalle des Westens nicht zu. Doch wirft man einen Blick in letztere, wo hinter rauher Hülle Offenheit, Frohsinn, und oft auch Geist verborgen sind und wo das staubige, zerrissene Jagdkostüm und der zottige Bart den wohlerzogenen Mann nicht ganz zu verstecken mögen (ich spreche hier nur von einer bestimmten Klasse von westlichen Trinkhallen), dann bezweifelt man es fast, daß das Schönste und Glänzendste auch immer das Verständigste ist, und ohne Kummer erträgt man die Vorwürfe, die für den Aufenthalt an solchen Orten oder auch nur für die Beschreibung derselben gemacht werden.

So werde auch ich die letzten Stunden in Albuquerque niemals bereuen, sondern ich werde mich ihrer noch recht oft mit Freuden erinnern, ohne dabei einen einzigen der bei jener Gelegenheit ausgebrachten Toasts, die Glückwünsche oder die Händedrücke zu vergessen, die uns begleiteten, als wir unsere Tiere bestiegen und im Sattel den letzten Becher leerten. »Glück auf die Reise!« schallte es uns nach, als wir den Tieren die Sporen gaben und durch die Stadt ritten.

Die Hufe klapperten auf der festen Lehmstraße, und bald lag die graue Stadt hinter uns, vor uns aber das Tal des Rio Grande, auf dessen Ufer wir stromaufwärts zogen. Unser Wagen war schon weit voraus, auch die Mitglieder der Eskorte schwankten schon vor uns her oder lagen vereinzelt besinnungslos in den nächsten Gräben. Die Eile, mit der wir ritten, mußten wir aber bald einstellen, indem der Weg uns durch Niederungen führte, die von den Fluten des Stroms aufgeweicht oder auch ganz bedeckt waren, und so vergingen denn einige Stunden, ehe wir unseren Wagen wieder erreichten.

Mit wenig Unterbrechung umgab uns während des ganzen Vormittags ebener, fruchtbarer Boden; Kanäle, Gräben und tiefe Furchen durchzogen vielfach das Tal; alle Schleusen waren von den dortigen Bewohnern geöffnet worden, um dem Erdreich eine nachhaltigere, befruchtende Feuchtigkeit zuzuführen, und so gelangten wir denn an manchen Stellen nicht ohne Mühe durch die Vertiefungen, in denen das Wasser unaufhaltsam dahineilte. Kleine Städte, Dörfer und Gehöfte zierten vielfach die weite Ebene, überall waren die Frühlingsarbeiten schon in Angriff genommen worden, die Wiesengründe begannen sich in lichtes Grün zu kleiden, und am östlichen Rand des Tals, da, wo dürrer Kiesboden die Grenze bildete und gleichmäßig zur Basis des Sandiagebirges aufstieg, erkannte ich die Straße, auf der ich vor Jahren in der Gesellschaft meines verehrten Freundes, des Captain Whipple, reiste.

Gegen Mittag näherten wir uns der Indianerstadt Bernalillo; uns erwartete dort ein überaus interessantes Schauspiel. Die Indianer waren nämlich in großer Anzahl zur Hasenjagd ausgezogen und hatten sich, auf guten Pferden beritten, über das ganze Tal, so weit das Auge reichte, zerstreut, so daß zwischen den einzelnen Reitern ein Zwischenraum von fünfhundert bis tausend Schritt blieb. Langsam umherreitend, störten sie die Hasen aus dem Lager und verfolgten sie so lange in gestrecktem Lauf, bis der nächste Nachbar die Jagd aufnehmen konnte, der das geängstigte Tier dann einem anderen Reiter zutrieb, um von diesem die Jagd fortsetzen zu lassen. Wohin die armen Hasen sich auch wenden mochten – überall stießen sie auf Indianer, die auf ihren flinken Pferden wie toll dahinstürmten und sich in ihrer wilden Jagd weder durch Kanäle noch Gräben aufhalten ließen. Und so bot denn das Ganze ein umfangreiches, aber äußerst belebtes Bild, und mit Wohlgefallen betrachtete ich die festlich geschmückten Krieger, wie sie gewandt ihre schäumenden Rosse lenkten und jubelnd ihre kurzen, krummen Stäbe schwangen – die einzige Waffe, die sie gegen die ermattenden Hasen anwendeten. Jeder Reiter führte drei bis vier dieser einfachen Instrumente, und seine Aufgabe bestand darin, während des Rennens die eigentümliche Waffe zu schleudern und sich die Beute durch einen wohlgezielten Wurf zu sichern. Auf andere Weise der Beute habhaft zu werden, schienen sie gänzlich zu verschmähen, denn als ich einmal meine Büchse hob, um einen der verfolgten Hasen zu töten, der mit schlagenden Seiten nicht weit von mir auf dem Ufer eines Grabens saß, schrien und winkten mir mehrere herbeigaloppierende Jäger zu, ihnen nicht ihre Freude zu verderben. Natürlich ließ ich die Büchse sogleich wieder vor mich auf den Sattel gleiten und war dann Zeuge, wie das geängstigte Tier noch einige Male im Kreis herumgehetzt wurde und nach dem zweiten Wurf mit einem der wirbelnden Stäbe leblos zusammenrollte.

Bei Bernalillo verließen wir die Talgründe und bogen in die Straße ein, die den kulturfähigen Boden gleichsam vom Wüstenland trennt. Das milde Wetter, dessen wir uns fast während des ganzen Tages erfreut hatten, veränderte sich gegen Abend; ein heftiger Nordsturm sprang auf, trieb Sand und Staub in unsere Augen und wälzte schwere Regenwolken über uns hin.

Wir erreichten indessen vor Einbruch der Dämmerung die Stadt Algodones und sprachen bei einem amerikanischen Kaufmann vor, von dem wir, da er Regierungslieferant war, gegen Quittung Futter für die Tiere und einen Schuppen zu unserem eigenen Aufenthalt erhielten. Ein Gewitter, von heftigem Regen begleitet, entlud sich während der Nacht, als wir aber nach ungestörter, bequemer Nachtruhe am Morgen des 11. Juni ins Freie traten, entstieg die Sonne im vollsten Glanz den östlichen Gebirgen, und in ungetrübter Klarheit wölbte sich über die Landschaft der lichtblaue Frühlingshimmel.

Da die Eskorte am vorhergehenden Abend nicht eingetroffen war, so harrten wir noch mehrere Stunden auf diese, doch waren wir endlich gezwungen, aufzubrechen, wenn wir noch vor Einbruch der Nacht das Gehöft des nächsten Regierungslieferanten erreichen wollten. Wir hinterließen daher für Lieutenant Tipton die Nachricht, daß wir einen Abstecher nach Santa Fé machen und ihn demnächst wieder einholen würden, und zogen dann weiter am Rio Grande hinauf, bis wir uns angesichts der Pueblo de Santo Domingo,Siehe »Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee«, S. 217. und gegenüber der auf dem rechten Ufer gelegenen Indianerstadt San Felipe befanden. Dort wandten wir uns, der Hauptstraße folgend, gegen Osten, und stark ansteigend gelangten wir in den Nachmittagsstunden nach der Hochebene hinauf, an deren nördlichem Rand, geschützt von hohen Gebirgsmassen (Santa Fé Mountains), die Stadt Santa Fé liegt.

An der Stelle, wo wir den Rio Grande verließen, betrug die Erhebung über dem Meeresspiegel 5220 Fuß, in der Nähe der alten Vulkane Los Cerritos, wo wir die Nacht zubrachten, dagegen schon über 6000 Fuß. Den Weg, den wir an diesem Tage zurücklegten, fanden wir größtenteils ungünstig für Wagentransporte, besonders aber im Bett des Galisteo-Flusses, dem wir mehrere Meilen nachzufolgen hatten. Im übrigen führte die Straße beständig abwechselnd bergauf und bergab über steinigen, unfruchtbaren Boden, wo nur strichweise verkümmerte Zedern gediehen. Erst zur späten Nachmittagsstunde, als wir die von zahlreichen Quellen bewässerten Niederungen nahe den Cerritos erreichten, erblickten wir wieder größere Ansiedlungen und Ranchos, umgeben von umfangreichen kultivierten Feldern.

Unser Tagesmarsch betrug sechsundzwanzig Meilen und wir lagerten in der Nähe von Romero's Rancho, wo wir nicht nur Futter für die Tiere, sondern auch Hühner, Tauben, Eier und Milch für unsere Küche bezogen.

Die Nacht war klar und mild, der Morgen des 12. Juni frisch und kalt, und wohl war es merklich, daß wir uns sehr hoch über dem Meeresspiegel befanden. Wir verließen Romero's Rancho frühzeitig, und als wir die nächste Erhebung des Bodens erreichten, schimmerte uns aus nordöstlicher Richtung, wie in Nebel gehüllt, das altertümliche Santa Fé entgegen. Der größte Teil der Stadt, der in dem niedrigen Tal des Rio Chiquito liegt, blieb uns zwar unsichtbar, doch deuteten die zahlreichen Rauchsäulen, die scheinbar der Ebene entstiegen, auf die weite Ausdehnung derselben. Auch an den Abhängen des Gebirges, dessen beschneite Gipfel stolz zu den Wolken emporragten, erblickte ich dergleichen Anzeichen vom Vorhandensein menschlicher Wohnungen. Die Ebene selbst, über die wir eine Strecke von fünfzehn Meilen zu reiten hatten, trug wieder vollständig den Charakter einer unwirtlichen Wüste, doch wurde das Öde – ich möchte fast sagen Abschreckende – bedeutend durch den Umstand gemildert, daß man nach allen Richtungen hin die Grenzen zu übersehen vermochte und daß hinter diesen sich die malerischen Formen mächtiger blauer Gebirgszüge erhoben. So lagen südlich von uns, wie miteinander verbunden, die Massen des goldbergendenEs ist erwiesen, daß die Gebirge Neu-Mexikos sehr reich an Gold, Kupfer, Eisen und auch Silber sind, und es finden sich überall die Spuren, daß zur Zeit der Oberherrschaft der Spanier in jenem Teil Amerikas die Minen mit größerem Fleiß und infolgedessen mit größerem Erfolg bearbeitet wurden. Der ungeordnete Zustand, in dem Neu-Mexiko sich noch immer befindet, der Mangel an Betriebskapital und die an Trägheit grenzende Gemächlichkeit der besitzenden Klasse sind wohl die Hauptursachen der Vernachlässigung des Bergbaus. Die meist armen Goldgräber erblickt man in ganz kleinen Abteilungen von zwei bis sechs Mann, wie sie mittels Hämmern das goldbergende Quarz zertrümmern und durch Waschen das edle Metall von dem Gestein scheiden oder auch in den Betten der Gebirgsbäche und Ströme mühsam den Goldstaub durch Wasser vom Sand trennen. Der »Alte« und der »Neue Placer« in der Nähe von Santa Fé haben übrigens in neuerer Zeit wieder die Aufmerksamkeit der Goldgräber auf sich gelenkt, und hier werden jetzt Minen regelmäßig bearbeitet. Das gewonnene Gold wird fast durchwegs nach den Vereinigten Staaten geführt, und dadurch ist eine Berechnung des Ertrags kaum möglich. Placer und des Sandiagebirges, westlich die nebligen Kuppen der Jemez Mountains, nördlich und nordöstlich das Santa-Fé-Gebirge. Die Öffnungen zwischen diesen Hauptzügen füllten waldige Hügel oder abgesonderte, weniger bedeutende Felskegel aus, so daß man sich fast in der Mitte eines weiten Beckens wähnen konnte.

Santa Fé ist die Hauptstadt von Neu-Mexiko sowie der Sitz des amerikanischen Generalkommandos und der Legislatur jener Provinz. Die größte Wichtigkeit erhält aber der Ort dadurch, daß er schon seit seiner ersten Gründung der Stapelplatz aller für Neu-Mexiko bestimmten Güter ist, die ihm fast ausschließlich vom oberen Missouri aus zugeführt werden. Freilich kommen jetzt auch schon Handelskarawanen von Texas herauf und bringen die von Dampfbooten an der texanischen Küste ausgeladenen Waren, doch stehen diese in gar keinem Verhältnis zu den Tausenden von schweren Frachtwagen, die jährlich auf der alten Handelsstraße durch die endlosen Grassteppen ziehen. Die Einwohnerzahl wird bis 20 000 angegeben, doch dies ist unwahrscheinlich; jedenfalls muß ein ständiges Schwanken vorherrschen, da ein großer Teil der Einwohner jenen Ort nur zum zeitweisen Aufenthalt wählt und sich nach einigen glücklichen Geschäftsjahren wieder den mehr kultivierten Gegenden zuwendet. Die Bevölkerung besteht aus Mexikanern, Amerikanern, Deutschen und Franzosen, und der Handel bildet die Hauptbeschäftigung von allen. Daß Santa Fé übrigens zu gewissen Zeiten eine verhältnismäßig größere Anzahl von umherstreifenden Abenteurern birgt als irgendeine andere Stadt des amerikanischen Kontinents, ist leicht erklärlich, da Leute, denen Lust oder Gelegenheit zur Arbeit mangelt, am Missouri leicht Anstellungen bei den Karawanen finden, deren Ziel die westlichen Regionen sind. Dergleichen Anstellungen dauern gewöhnlich nur so lange wie die Reise selbst, und Santa Fé wimmelt deshalb von Menschen, deren einzige Beschäftigung es ist, den gewonnenen Lohn zu verjubeln und auf eine neue Reisegelegenheit zu harren.

Eine andere, aber ehrenwertere Klasse von Menschen, die freilich auch mit ihren Gelagen und tollen Streichen zuweilen die ganze Stadt in Aufregung bringt, sind die Fallensteller, Pelzjäger und Tauschhändler. Unter Gefahren und Entbehrungen durchstreifen diese kühnen Leute in kleinen Gesellschaften die wildreichen Niederungen und Täler in den Rocky Mountains von den Quellen des Canadian bis hinauf zum Yellowstone River. Kehren sie dann im Sommer zurück, um das erbeutete Pelzwerk zu verwerten, sich neu auszurüsten und mit Tauschartikeln zu versehen, so stürzen sie sich wie Seeleute, deren Schiff im sicheren Hafen eingelaufen ist, in einen Strudel wilder, rauschender Vergnügungen, aus dem sie nur wieder hervorgehen, um mit Büchse und Fallen ihrem gefährlichen Handwerk nachzuhängen.

Die Straßen von Santa Fé sind eng, unregelmäßig und unsauber, selbst der Marktplatz beweist, daß dort niemand an die Verschönerung der Stadt denkt. Die Häuser, fast alle im spanisch-mexikanischen Stil erbaut, haben durchwegs ein wenig einladendes Äußeres. Im Inneren derselben vermißt man allgemein die ordnende Hand einer Hausfrau, und tritt man am Markt und in den Hauptstraßen durch eine der niedrigen Türen, so kann man gewiß sein, sich entweder in einer Trinkhalle, in einem Fandangosaal oder in einem Kaufladen zu befinden. Unter den Eigentümern der ersteren findet man alle Nationen ziemlich gleich vertreten, ja es fehlt sogar nicht die unvermeidliche deutsche Bierstube. In den Kaufläden dagegen stößt man vorzugsweise auf Amerikaner und deutsche Juden, und es gewährt eine gewisse Freude, zu beobachten, wie hier die Verschiedenheit der Nationalität oder der Religion ohne Einfluß auf den geselligen Verkehr bleibt.

Wir kehrten im Exchange Hotel ein und fanden hier unter mexikanischen Mauern lauter bequeme amerikanische Einrichtungen. Der Tisch war so gut, wie man es unter dortigen Verhältnissen nur erwarten durfte, und die Betten – wir konnten uns nämlich den Genuß nicht versagen, endlich einmal wieder eine Nacht in Betten zuzubringen – erschienen uns, trotz ihrer Mängel, als ganz außergewöhnlich komfortabel. Die Zeit flog sehr schnell dahin, denn Peacock traf immer neue Freunde und Bekannte, denen er uns vorstellte und mit denen wir selbstverständlich vor allen Dingen einen »Trunk nehmen« mußten. Zuletzt betrachtete ich schon jeden Eintretenden mit einer gewissen Scheu, indem ich, sobald ich ein Erkennen zwischen ihm und unserem Freund Peacock wahrnahm, mich auch zu einem neuen Glas verurteilt sah – eine Ehre, die ich nicht zurückweisen durfte, wenn ich nicht für einen Mann ohne Takt und ohne alle Bildung gelten wollte.

Der folgende Tag, der 13. Juni, war ein Sonntag, und unsere Abreise war auf zwölf Uhr mittags festgelegt worden, doch bis nach zwei Uhr standen unsere gesattelten Tiere vor dem Haus, und wenigstens vier Stunden hindurch versicherten uns die neuen Bekannten, daß sie augenblicklich zu ihren Wohnungen zurückkehren müßten, wo sie zum Essen oder dringender Geschäfte halber erwartet würden. Die Zeit verrann, Mittag ging vorüber, unser Wagen mit den Dienern hatte die Reise schon längst angetreten, und noch immer standen wir, umdrängt von Deutschen und Amerikanern, mit denen wir mehrfach durch die unvermeidliche Zeremonie des Abschiedstrunks zu gehen hatten, ehe sie überhaupt gestatteten, uns von den Stühlen zu erheben. Als die große Wanduhr zwei schlug, brachen wir uns mit Gewalt Bahn ins Freie, und gleich darauf galoppierten wir durch die engen Straßen, als wenn es ein Ritt ums Leben gewesen wäre.

Der Weg führte nun an der nördlichen Grenze der Ebene hin, und zwar in nordöstlicher Richtung; die Ausläufer des nahen Gebirges durchschnitten vielfach gegen Süden unsere Straße, und wir befanden uns dadurch in einer beständigen Abwechslung von Hügel und Tal, geschmückt mit schöner Baumvegetation. Grünende Pfosteneichen schimmerten uns aus den feuchten Klüften entgegen, während hochstämmige Tannen sich an den Abhängen hinaufzogen und kurzes Zederngebüsch von den Höhen gleichsam in die Niederungen hinabschaute. Und so war denn unsere Umgebung gänzlich entsprechend unserer Stimmung, das heißt, sie war lebensfrisch und romantisch, und mit einem gewissen Wonnegefühl ritten wir durch die anmutigen Gegenden, die ein milder Regen während des Tages erquickt hatte.

Zwölf Meilen hatten wir zurückgelegt, als wir eine kleine, von waldigen Höhen eingeschlossene Lichtung erreichten. Der Weg führte mitten über diese, und an den zahlreichen fast verwischten Aschenhaufen und neueren Feuerstellen zu beiden Seiten erkannten wir sogleich eine vielbenutzte Lagerstelle, die schon seit langen Jahren von Reisenden und Karawanen als die erste oder letzte Station vor Santa Fé betrachtet worden war. Unseren Wagen erblickten wir auf der Mitte der Lichtung, und unsere Leute waren eben damit beschäftigt, die Tiere an langen Leinen anzupflocken, während etwas weiter zurück Lieutenant Tiptons Zelt stand und seine Soldaten mit mehr Ernst und Haltung als in Albuquerque ihre Vorbereitungen für die Nacht trafen.

Allen Reisenden, die jemals Santa Fé besuchten, ist der Name »Stone Corral« oder Steineinfriedung gewiß nicht unbekannt. Stone Corral heißt nämlich der Punkt, an dem wir mit unserer Eskorte zusammentrafen, und die Trümmer eines alten Mauerwerks, das sich nur wenige Schritte von der Quelle entfernt befindet, haben Grund zu dieser Bezeichnung gegeben. Die Ruinen bestehen aus den letzten, aber deutlichen Überresten einer aus Feldsteinen aufgeführten Mauer, die, ähnlich dem Fundament eines Turms, eine runde Fläche von etwa sechzehn Fuß Durchmesser einschließt. Ob sich nun einst Adobemauern auf dem Steinwall erhoben und einen wirklichen Turm bildeten, ob die Ureinwohner sich dort gegen feindliche Nachbarn zu schützen suchten oder ob Pelzjäger sich hier gegen Eingeborene verteidigten und die feste Einfriedung um ihre Warenvorräte zogen, vermag ich nicht anzugeben, denn die Baulichkeit ist so, daß Jahrhunderte den Steinwall nicht wesentlich verändern können und daß man dessen Ursprung ebensogut ins Altertum als in die Neuzeit verlegen kann.

Ich bin indessen geneigt, zu glauben, daß der sogenannte Stone Corral, der zu klein ist, um als ein alter Viehstall betrachtet zu werden, sein Entstehen denselben Völkern verdankt, deren kreisförmige Befestigungsspuren man mehrfach im östlicheren Nordamerika findet und die zu beobachten ich vor Jahren im Nebraska-Territorium Gelegenheit hatte.Die erwähnten Spuren eines solchen Bauwerkes im Nebraska-Territorium erblickte ich über 500 Meilen weit westlich vom Missouri, in der Entfernung von drei Meilen vom Nebraska oder Platte River selbst. Diese bestanden nur noch aus einem sehr niedrigen Erdwall mit einer grabenähnlichen Vertiefung hinter demselben. Durch die wandernden Büffelherden dem Boden fast gleichgemacht, würde die Unebenheit mir kaum aufgefallen sein, wenn nicht eben die regelmäßige Kreisform so hervortretend gewesen wäre. Eine ähnliche Mauerruine hatte ich übrigens kurz vorher, ehe wir die Lichtung erreichten, auf einer der Höhen dicht am Weg wahrgenommen. Die Forschungen, die ich bei den Bewohnern jener Gegend betreffs der Stone Corrals anstellte, erwiesen sich als fruchtlos, doch darf ich nicht unerwähnt lassen, daß mein Aufenthalt von zu kurzer Dauer war, als daß dieselben als erschöpft betrachtet werden könnten, und ich gebe also in diesem Fall nur die Beschreibung der durch eigene Anschauung gewonnenen Eindrücke.

14. Juni. Lieutenant Tipton hatte sich schon frühzeitig mit seiner Eskorte auf den Weg begeben; wir folgten eine Stunde später nach, und ungestört, wie wir von allen Seiten blieben, hatten wir den vollen Genuß einer wahrhaft schönen und paradiesischen Umgebung, die, aufs neue erfrischt durch nächtlichen Regen und darauffolgenden schweren Tau, sich den wärmenden Strahlen der Sonne entgegenzudrängen schien. Schroffe Felsen wechselten mit waldigen Hügeln ab; klare Bäche und Quellen rieselten durch kultivierte und unkultivierte Niederungen; in wunderlieblichen Gruppen vereinigten sich dunkelfarbige Koniferen und üppiges Laubholz; Kräuter, Pflanzen und Sträucher bedeckten wuchernd die Waldlichtungen; an den Blättern, Nadeln, Halmen und Knospen funkelten, ähnlich ebensovielen Diamanten, in den prächtigsten Regenbogenfarben Millionen von Tropfen, gleichsam miteinander wetteifernd im Zurückwerfen der Sonnenstrahlen, die, wie undankbar, all die kleinen Spiegel zerstörten. Doch was die Tautropfen zerstörte, das wirkte wohltätig auf die dickköpfigen Grillen, die Locusts,Locust wird allgemein auf dem amerikanischen Kontinent die große Zikade genannt, die durch das schmetternde Gerassel beim Auffliegen häufig den Spaziergänger erschreckt. Den Heuschrecken ähnlich, erscheinen die Locusts in manchen Distrikten herdenweise, wo sie dann zur Landplage werden. die in großer Anzahl auf den Zweigen umhersaßen und die genäßten Flügel und Trommeln den trocknenden Sonnenstrahlen preisgaben. Dumpf rasselten sie in der Frühe in kurzen Absätzen mit ihren geräuschvollen Instrumenten; als aber die zunehmende Wärme die kleinen Trommelhäute unter den Flügeln straff spannte, da begannen die endlosen, tausendfachen Wirbel in Baum und Strauch, ein gellendes Geschwirr und Gesumm erfüllte die stillen Lüfte und übertönte fast den Gesang der reizenden Spottdrossel, die verstohlen im schattigen Winkel saß und fröhlich ihre süßen Lieder in die Welt hinaussandte.

Aber auch Menschen belebten die anmutigen Landschaften, und wo die Leute selbst nicht sichtbar waren, da zeugten kleine Gehöfte und Blockhäuser von deren Nähe; Einfriedungen von Pfahlwerk, echt amerikanische »Fenzen«, schimmerten hin und wieder durch das Gebüsch, und darauf saßen Hühner, laut gackernd und sich sonnend. So vermeint man oft die Natur in ihrem schönsten Festkleid vor sich zu sehen, und wie Lobgesang klingt das leiseste Geräusch, welches das kleinste Leben in ihr verrät. Ich versuchte mich zu überreden, daß der Übergang von dürren Wüsten und baumlosen Ebenen zu dem waldgeschmückten Gebirgsland mir alles lieblicher erscheinen lasse; doch wenn auch der »wiederkehrende« Wechsel in der Natur im allgemeinen deren Reiz erhöht, so schwebt mir jetzt, nachdem ich so manchen gesegneteren Landstrich durchzog, jener Morgen noch immer als ein überaus genußreicher in der Erinnerung vor, und beim geistigen Rückblick auf jene Zeiten vergegenwärtigen sich auch die Gefühle und Eindrücke, die damals hervorgerufen wurden, und fast unwillkürlich versuchen diese, sich in meine Beschreibung mit hineinzudrängen.

So zogen wir also unseres Weges; Meile auf Meile legten wir zurück, und wärmer schien die Sonne auf unseren Scheitel. Wir überholten die Eskorte bei einem Gehöft, das unter dem Namen Cottonwood Spring bekannt ist. Ein Franzose wohnt hier, und er entnimmt wirklich Schätze dem von ihm kultivierten Boden, da der von ihm gewonnene Mais an der dicht vorbeiführenden Straße stets Käufer findet. Auch wir bezogen dort Futter für unsere Tiere, und nach anderthalbstündiger Rast reisten wir auf der gewundenen Straße weiter.

Siebzehn Meilen hatten wir seit dem frühen Morgen zurückgelegt, als wir plötzlich in einem weiten Tal die Trümmer und Ruinen der alten Indianerstadt Pecos vor uns erblickten. Es war ein prachtvoller Anblick, dieser weite, hügelige Kessel, den hohe Plateaus begrenzten; graue, zerfallende Mauern schmückten das Bild vor uns, blaue, schneebedeckte Gebirge bildeten dagegen den Hintergrund, und so wußte man kaum, nach welcher Richtung man zuerst seine Blicke wenden sollte, um den vollen Eindruck der schönen Landschaft zu empfangen.

Der Weg führte in geringer Entfernung an den Ruinen vorbei, und da wir dort auf einen klaren Bach stießen und gutes Gras in der Nähe wucherte, so beschlossen wir, hier zu übernachten und die übrige Zeit des Tages zu einem Besuch der Ruinen zu verwenden. Lieutenant Tipton war mit unseren Ansichten nicht einverstanden, er hielt den Marsch für zu kurz; wir aber, sehr wohl wissend, daß es ganz in unserer Macht lag, die Eskorte nach unserem Belieben hinter uns zurückzulassen, beharrten auf unserem Willen und sahen auch bald darauf das Militärkommando zwischen den Hügeln verschwinden.

Nachdem wir uns an geeigneter Stelle häuslich niedergelassen, den Staub von Gesicht und Händen entfernt und uns durch Speise und Trank gestärkt hatten, begab ich mich zu der verfallenen Stadt hinüber, und zwar nach dem südlichen Ende derselben, das sich etwa fünfhundert Schritt nördlich von der Straße befindet und durch eine noch ziemlich wohlerhaltene spanische Kirche gebildet wird. Spuren von zahlreichen Einfriedungen, die ursprünglich zur Aufnahme von Viehherden bestimmt gewesen waren, bedecken den Raum, über den ich schritt, ehe ich an die ersten Trümmer von Wohnungen gelangte. Die alten Viehhöfe sind kaum noch an den Fundamentsteinen und kleinen Wällen kenntlich und stehen ohne Zweifel mit der ältesten Geschichte der Stadt in Verbindung, als gezähmte Büffel noch den einzigen Viehstand jener eingewanderten Völkerstämme bildeten.

Das nächste, was ich sorgfältig untersuchte, war die Kirche; obgleich schon zerfallen, unterscheidet sie sich in Bauart und innerer Einrichtung kaum von den anderen christlichen Kirchen, die von den spanischen Missionaren in den meisten indianischen Pueblos errichtet wurden. Diese scheint indessen von gewölbeähnlichen Gebäuden umgeben gewesen zu sein, die – bis auf eins jetzt verschüttet und zerfallen – kaum noch die einfache Architektur erkennen lassen. Das Holzwerk in der Kirche ist noch größtenteils vorhanden, sogar Farbe bedeckt die mit einfachem Schnitzwerk verzierten Balken, doch schimmert der blaue Himmel zwischen den Dachüberresten hindurch, und windschief hängen die verwitternden, schweren Türflügel in den rostigen Angeln. Das Gebäude liegt auf dem abgeflachten Kamm eines länglichen Hügels, der sich von Süden nach Norden erstreckt und in dieser Richtung auch an Breite gewinnt. Der westliche Abhang des Hügels, auf dem sich die Spuren der alten Viehhöfe zeigen, senkt sich sanft und geht allmählich in die wellenförmige Ebene über; auf der Ostseite dagegen steigt derselbe schroff aus dem niedrig gelegenen Tal eines Flusses auf, der wohl nur in nassen Jahreszeiten Wasser führt. An die Nordseite der Kirche stößt die alte Stadt; anfangs nur schmal, gewinnen die alten Fundamente und Steinhaufen an Zahl wie an Ausdehnung, bis sie endlich wieder an die Ruine der Häuserreihen stoßen, die einst die Ringmauern dieses Hauptteils der Stadt bildeten.

Deutlich erkennt man an den Ruinen zwei verschiedene Zeitabschnitte, denn auf den Trümmern einer alten Stadt erheben sich die Reste einer neueren; erstere zeigen die Spuren von Steinmauern, während letztere aus Adobes oder ungebrannten Ziegeln zusammengefügt sind. Die Wohnungen, die terrassenförmig übereinanderliegen und teilweise noch in ihrer eigentümlichen Bauart erhalten sind, erinnern in jeder Beziehung an die von Zuñi und anderen Indianerstädten; auch die Dachöffnungen, durch die man mittels Leitern in das Innere der Häuser gelangte, sind noch größtenteils zu erkennen. Spuren von Straßen konnte ich nicht entdecken, doch schlossen die Häuserreihen einst einen länglich-viereckigen Platz ein, der offenbar zu öffentlichen Versammlungen und zur Ausübung der religiösen Feierlichkeiten bestimmt war. Auf diesem geräumigen Hof, der jetzt durch die niedergerollten Mauertrümmer die Form eines gleichschenkeligen Dreiecks erhalten hat, befinden sich drei Estufas, in denen einst das Ewige Feuer brannte. Diese Estufas bestehen in zirkelförmigen Aushöhlungen von zwölf Fuß Durchmesser und drei Fuß Tiefe. Die Seiten sind durch dicht nebeneinandergefügte Stäbe gestützt, um das Niederrollen der Erde zu verhüten, und über der westlichsten Höhle ruht ein starker, runder Balken, der diese in zwei Hälften teilt.

Außer den nackten Wänden verfallener Häuser und verwitternder Trümmerhaufen, aus denen hin und wieder harzreiche und deshalb noch feste Balken und Pfähle hervorragen, findet man nichts, was auf die Sitten und Gewohnheiten des verschollenen Volkes deuten könnte. Wie ich schon oben bemerkte, ist eine Ähnlichkeit mit den jetzt noch bewohnten Pueblos nicht zu verkennen, doch vermißte ich hier in der Nähe den kulturfähigen Boden, der den früheren Bewohnern die Mittel zum Unterhalt geboten hätte. Nicht ohne Mühe gelang es mir, die überschütteten und fast verwischten Fundamente zu erraten, zu verfolgen, und einen ziemlich genauen Grundriß der ganzen Stadt zu entwerfen. Der Umfang derselben ist nicht bedeutend, aber bei der Unzahl von kleinen Gemächern, welche teils unter, teils über der Erdoberfläche in enger Verbindung miteinander standen und doch jedesmal abgesonderte Wohnungen bildeten, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß einst eine sehr zahlreiche Bevölkerung hier auf spärlichem Raum zusammengedrängt lebte.

Mein Suchen nach Altertümern erwies sich als fruchtlos; es ließ sich auch kaum anders erwarten, da die Straße so dicht an den Ruinen vorbeiführte und gewiß Tausende von Reisenden schon vor mir dort umhergespürt hatten. In einzelne der unterirdischen Gemächer hätte ich eindringen können, doch standen deren Mauern so wankend, daß ich befürchten mußte, bei der geringsten Erschütterung lebendig begraben zu werden; so begnügte ich mich damit, Zeichnungen von der Kirche sowie auch von der Stadt zu entwerfen und meine Taschen mit Topfscherben zu füllen. Diese Scherben unterschieden sich übrigens gar nicht von denen, die ich früher zwischen anderen Trümmerhaufen fand, nur daß ich hier viele glasierte entdeckte.

Wie bei fast allen Pueblos von Neu-Mexiko ruht auch über der Geschichte des alten Pecos und seiner Bewohner ein undurchdringliches Dunkel. Man weiß wohl, daß auch dort die spanischen Missionare ihre Bekehrungswerke übten und daß in den Estufas das heidnische Feuer brannte, während in der nahen Kirche Messen gelesen wurden. Man weiß auch, daß die Kirche schon wieder zerfiel, als noch einige zurückgebliebene Familien ununterbrochen das Ewige Feuer nährten, und daß erst vor wenigen Jahren die letzten Mitglieder eines durch feindliche Überfälle und durch Krankheit untergegangenen Volksstamms ihre Zuflucht in anderen Pueblos fanden; doch alles, was hierüber hinausgeht, fällt in das Reich dunkler Sagen, die an verschiedenen Orten verschieden erzählt werden und bei einer etwaigen Zusammenstellung ein nicht zu entzifferndes Gewirr bieten.

Ähnlich wie in der Geschichte der vier Tagereisen von Santa Fé gelegenen Stadt Quivira,Ungefähr 100 Meilen südsüdöstlich von Santa Fé, auf dem Plateau, befinden sich umfangreiche Salzseen oder »Salinas«, von denen in trockenen Jahreszeiten ein großer Teil des Salzbedarfs für Neu-Mexiko gewonnen oder vielmehr einfach von Karawanen eingesammelt und abgeholt wird. Nicht weit von diesen Seen liegen die Ruinen der Stadt »Gran Quivira«. In der Sage über diese Trümmer heißt es, daß dort eine sehr reiche, mächtige Stadt stand, aus deren Minen alljährlich zweimal große Goldsendungen nach Spanien gebracht wurden. Einst, als man Anstalten traf, einen neuen Transport des edlen Metalls abzusenden, wurde die Expedition von den Indianern angegriffen, worauf die Arbeiter ihre Schätze, gegen 50 Millionen, vergruben und flüchteten. Die Indianer setzten ihnen aber nach, und töteten alle bis auf zwei, welche Mexiko erreichten und dort um Hilfe und Rettung der Schätze ersuchten. Furcht vor den Eingeborenen sowie auch die große Entfernung hielten indessen jeden von dem gewagten Unternehmen zurück, doch gelang es dem einen der beiden Flüchtlinge, später in New Orleans eine Kompanie von 500 Mann anzuwerben und für seine Pläne zu gewinnen. Die Expedition brach wirklich auf, doch wurde nie wieder von ihr gehört.

In neuerer Zeit wurden jene Ruinen mehrfach von Franzosen und Amerikanern besucht, und obgleich sie vergeblich nach den vergrabenen Schätzen forschten, so brachten sie doch sichere Nachrichten, daß sich dort ein Aquädukt, die Ruinen einer Kirche mit einem spanischen Wappen sowie Höhlen, wahrscheinlich die verschütteten Eingänge zu den Silberminen, befänden. Wislizenus zweifelt deshalb nicht, daß Quivira eine spanische Goldgräberstadt gewesen sei, die bei der allgemeinen Erhebung der Indianer in Neu-Mexiko gegen die Spanier im Jahre 1680 zerstört wurde.

Eine genauere Beschreibung der Ruinen von Quivira, aber ähnlich der vorhergegangenen, ist im »Smithsonian report« 1854 veröffentlicht worden. Es heißt dort, daß ursprünglich Indianer die Stadt bewohnt und den Bau einer katholischen Kirche sowie den Aufenthalt von siebzig Priestern und Mönchen bei sich gestattet hätten. Bei der bekannten Erhebung 1680 seien diese nach Vergrabung des Goldes und der Kirchenglocken bis auf zwei ermordet worden. Der letzte Kazike von Quivira soll den Ort, wo die Schätze vergraben wurden, gekannt haben, und es existiert auch eine Beschreibung dieses Punktes, wie sie dem Mund des Kaziken entnommen und in spanischer Sprache niedergeschrieben wurde. Die infolgedessen angestellten Nachforschungen haben sich indessen stets als erfolgslos ausgewiesen. Sagen von vergrabenen Schätzen und vergeblichem Suchen nach denselben wiederholen sich vielfach im mexikanischen Nordamerika wie in Südamerika.

die jetzt ebenfalls in Trümmern liegt und die ihrer Goldminen wegen eine Rolle in den spanischen Zeiten gespielt haben soll, knüpfen sich auch an die Stadt Pecos Traditionen von verschütteten Goldminen sowie auch von geopferten Kindern, welche gegessen wurden. Es gelang mir indessen nicht, Beschreibungen und Berichte zu erhaschen, die klar genug gewesen wären, um ihnen hier eine Stelle anweisen zu dürfen. Einem Zweifel unterliegt es nicht, daß zur Zeit der spanischen Conquista edle Metalle in den Gebirgen Neu-Mexikos gewonnen wurden; ob aber die dortigen Goldminen damals einen reicheren Ertrag geliefert haben als jetzt, bleibt sehr unbestimmt, denn einesteils sind die Berichte über die früher dort aufgefundenen Schätze, die sich mitunter auf den Wert von fünfzig Millionen belaufen haben sollen, gewiß sehr übertrieben, dann aber ist man nicht imstande, annähernd anzugeben, wieviel der Wert des Goldes beträgt, das jetzt unter der Hand jährlich von Neu-Mexiko nach den Vereinigten Staaten geschafft wird, aber gewiß nicht den fünfzigsten Teil der eben angeführten Summe übersteigt.

Die Gebirge von Neu-Mexiko sind übrigens reich, sehr reich, sie bergen Gold, Silber und Kupfer, und ich bin überzeugt, daß, wenn der Strom der Auswanderung sich mehr jenen Distrikten zuwenden und eine systematische Bearbeitung der Bergwerke erfolgen sollte, der Reichtum des Landes sich als weit unterschätzt herausstellen wird.

Als die Sonne sich dem westlichen Horizont zuneigte, verließ ich die Ruinen, zwischen denen – wie auf einem Friedhof – regungslose Stille herrschte. Zahlreiche Menschen hatten einst dort gehaust und gelebt, sie hatten nach ihren Begriffen Freude, Kummer und Sorgen kennengelernt und empfunden; sie hatten gehaßt, geliebt und gehofft, und jetzt liegen dort unter den Trümmern begraben ein Volk und seine Geschichte. Gras wuchert zwischen dem alten Gemäuer, schönes, grünes Gras, das die Ziegen bis in die verborgensten Winkel lockt.

Der Mensch aber, der über jene Trümmer hinwegschreitet, widmet einen Gedanken den verschollenen Geschlechtern und wundert sich vielleicht darüber, daß auch christliche Kirchen ähnlich heidnischen Städten zugrunde gehen können; daß aber die erhabenen Bauwerke der Natur, die ihn dort umgeben und die als zederngeschmückte Plateaus oder als schneegekrönte Riesen zu den Wolken emporstreben, keiner sichtbaren Veränderung unterworfen sind, das wundert ihn nicht.

Als ich mich der Kirche wieder näherte, feuerte ich meinen Revolver ab. Eine Schar von Krähen, erschreckt durch den Knall, verließ das alte Gemäuer und flatterte mit heiserem Geschrei im Kreis herum; sie schienen sich recht heimisch dort zu fühlen, denn kaum hatte ich einige Schritte weiter getan, als sie sich wieder senkten und reihenweise ihre Plätze auf den Balken und in den Fensteröffnungen einnahmen, von wo aus sie mir in ihrer Weise Scheltworte nachsandten.

Mit dem Frühesten verließen wir am 15. Juni das Lager bei den Ruinen und folgten dem Weg, der uns bald über waldige Hügel, bald durch anmutige Niederungen führte. Die Sonne schien warm, so daß man dem Schatten schon einige Aufmerksamkeit zu schenken begann; und in der Tat lagerten wir auch mehrfach unter weitverzweigten Tannen, um den Wagen zu erwarten, der auf der gewundenen, steilen oder abschüssigen Straße nicht so schnell zu reisen vermochte.

Bei einer solchen Gelegenheit gesellten sich zwei Amerikaner zu uns, die sich mit ihren Familien und einer starken Viehherde auf der Reise nach Kalifornien befanden. Als sie vernahmen, daß wir eben von dort herkämen und die Territorien, die sie jetzt noch von den Küsten der Südsee trennten, mit Aufmerksamkeit und Fleiß durchforscht hatten, richteten sie Frage auf Frage an uns, und als ob ihre Existenz von unseren Antworten abgehangen hätte, so verschlangen sie gleichsam unsere Worte und die Ratschläge, die wir ihnen erteilten. Es war dies die erste Karawane, die es im Vertrauen auf Lieutenant Beales günstige Berichte über die Straße des 35. Grades nördlicher Breite gewagt hatte, die Reise in dieser Richtung zu unternehmen, und sie mußte schon bei der ersten Andeutung des Frühlings vom Missouri aufgebrochen sein. Die Strecke durch die Prärien hatten die Reisenden also schnell und glücklich zurückgelegt; ihre Herden, die vorzugsweise aus Rindvieh bestanden, waren außergewöhnlich kräftig und wohlgenährt und befanden sich, nach den Aussagen der Leute selbst, in weit besserem Zustand als zur Zeit ihrer Abreise vom heimatlichen Boden. Das Vertrauen auf ihr Glück war daher bedeutend gesteigert worden, und Beales Berichte, die ich später zu Gesicht bekam, enthielten auch wirklich nichts, was dieses Vertrauen hätte erschüttern können.

Mit innigem Bedauern blickte ich auf die Familien, die ihre ganze Habe in Rindvieh angelegt hatten, und warf mir die Frage auf, wieviel von diesem Reichtum den Colorado und später Kalifornien erreichen würde. Mit Bedauern blickte ich auch auf die starken Ochsen und die glatten Kühe, die in nächster Zeit die fetten Prärieweiden mit wasserlosen, dürren Steppen vertauschen sollten, wo die weichen Hufe, die gewohnt waren, auf nachgiebigem Erdreich und Rasen nach Bequemlichkeit zu rasten, über scharfes, verletzendes Gestein hinwegklettern sollten. Ich dachte daran, wie unsere eisenbeschlagenen Maultiere in jenen Regionen oft erlahmt waren und wie oft der anhaltende Wassermangel sie dem Untergang nahe gebracht hatte, und zwar zu Jahreszeiten, die noch als feucht und deshalb günstig bezeichnet werden konnten.

Was aber erwartete diese Leute mit ihren Herden in den Wüsten zu beiden Seiten des Colorado im hohen Sommer, wenn das erhitzte Gestein kein Gras in seinen Fugen und Ritzen duldete? Wenn ferner die verborgenen Quellen kaum noch einen kärglichen Trunk für den Menschen boten oder auch ganz versiegten und die wunden Hufe des schweren Viehs es nicht mehr gestatteten, in Gewaltmärschen drei bis vier Tagereisen vom Wasser bis zum nächsten Wasser zurückzulegen? Ich gedachte aller Widerwärtigkeiten, mit denen ich selbst auf der Strecke von den Rocky Mountains bis zur Sierra Nevada so vielfach zu kämpfen gehabt hatte, und ich bedauerte die Leute, die so bald bitter enttäuscht werden sollten. Anders wäre es bestimmt gewesen, wenn anstatt des Rindviehs das leichtfüßige und zähere Schaf als Mittel zum Transport des Geldes und zur Vermehrung desselbenNicht nur Händler treiben zahlreiche Viehherden vom Missouri und von Neu-Mexiko nach Kalifornien, um sie dort oft für das Dreifache des Einkaufspreises zu veräußern, sondern auch Emigranten legen vielfach ihre bewegliche Habe in Vieh an, indem bei größeren Herden ihnen schon ein bedeutender Vorteil erwächst, wenn es ihnen gelingt, auch nur die Hälfte derselben glücklich nach Kalifornien durchzubringen. gewählt worden wäre.

Vereint mit meinen Kameraden sprach ich den Emigranten indessen Mut zu und ließ, wo es nur immer anging, einen guten Rat mit einfließen; auch die Adresse unseres Freundes Savedra gaben wir ihnen, wobei wir denselben als jener Route kundig bezeichneten und als Führer empfahlen. Unser Wagen erschien endlich, und wir bestiegen unsere Tiere, wünschten den Fremden Glück und guten Erfolg zu ihrer Reise nach dem Goldland, und nach kurzer Zeit ritten wir an den prachtvollen Herden vorbei, die in den buntesten Gruppen nahe den rastenden Familien weideten.

Die Straße führte uns während des Vormittags in der Entfernung von ungefähr zwei Meilen am Rio Pecos hinunter. Zuweilen erhielten wir eine kurze Aussicht auf die tiefe Schlucht, in welcher der wilde Strom unaufhaltsam gegen Südosten stürzte und die sich bald zu kleinen, überaus anmutigen Tälern erweiterte, bald wieder als düsteres Felsentor die klaren, heftig andringenden Fluten in sich aufnahm; doch da wir uns ständig gegen sechshundert Fuß über dem Spiegel desselben befanden, so brachte der Fluß selbst nur geringe Abwechslung in die uns umgebende Landschaft. Hügeliges, zedernbewachsenes Land mit fester, lehmiger Oberfläche und vereinzelt zutage tretenden Sandsteinstraten bildete die plateauähnliche Höhe, die das Tal des Flusses, so weit das Auge reichte, zu beiden Seiten einfaßte; und über diese hinaus ragten in der Ferne die Überreste höher gelegener Tafelländer, die im Lauf der Zeit mehr Bergform angenommen und ihre Abhänge in dunkelfarbigen Baumschmuck gehüllt hatten.

Um die Mittagszeit bog die Straße gegen Nordosten und führte, sich stark senkend, nach der Stadt San José im Tal des Pecos hinab, wo wir den Strom zu überschreiten hatten. Die Stadt oder vielmehr der Flecken befindet sich auf dem rechten Ufer, und wir hielten hier bei einem bestallten Kornlieferanten, um einige Säcke mit Mais für unsere Tiere aufladen zu lassen. Ich beobachtete während der Zeit ein Rudel gebräunter Kinder, die ausgelassen auf der Straße im Staub spielten. Es waren Knaben und Mädchen im Alter von sechs bis zehn Jahren, und trotz der unsauberen, zerlumpten Kleidung bildeten sie solch liebliche Gruppen, wie sie die kühnste Phantasie nicht malerischer zusammenzustellen vermag. Die kleinen, runden Gesichter mit den großen schwarzen Augen und der Einfassung von dunklen Locken waren durchgängig schön und zeigten so viel Frohsinn und Schalkhaftigkeit, daß man sich unwillkürlich von ihnen angezogen fühlte.

Ein Mädchen von etwa neun Jahren fesselte besonders unsere Aufmerksamkeit; das Kind verband nämlich in seiner kleinen Person soviel Liebreiz und soviel kindliche, rührende Schönheit, wie man wohl kaum zum zweiten Mal wiederfinden möchte. Wir bewunderten das kleine Wesen und verhandelten darüber, ob es wirklich so unrecht wäre, es zu entführen und dem traurigen Geschick zu entreißen, das wahrscheinlich seiner einst harrte. Ich wandte mich deshalb zu Peacock, zeigte ihm das schöne Kind und fragte, wie er über dessen Entführung denke.

Peacock, der ebensowenig Gefallen an schönen wie an häßlichen Kindern fand, würdigte das kleine Geschöpf eines flüchtigen Blickes und antwortete dann: »Wenn das Ding acht Jahre älter wäre, so ließe ich mir den Vorschlag schon gefallen; aber den Eltern die Freundlichkeit zu erweisen, ihnen eins vom Dutzend ihrer wilden Rangen fortzunehmen und uns selbst eine solche Last aufzuladen, wäre gewiß nicht nach meinem Geschmack! – Wenn Sie übrigens Kinder haben wollen«, fuhr Peacock fort, »so brauchen Sie keine zu entführen, da Sie genug davon geschenkt erhalten können.«

Wenn nun auch aus Peacocks Worten einige seiner Vorurteile gegen die spanisch-mexikanische Nation hervorlugten und er, was das Verschenken von Kindern anbetrifft, sehr übertrieb, so lag seiner Behauptung doch auch viel Wahres zugrunde, denn ich muß einräumen, daß in den Städten Neu-Mexikos, die ich besuchte und kennenlernte, die Verwahrlosung der Kinder mir stets auffiel.

Wir verließen San José, gingen durch den Fluß, der an jener Stelle gegen zwanzig Schritt breit war und an der tiefsten Stelle unseren Maultieren bis an die Brust reichte. Als wir dann am steilen Abhang der linken Taleinfassung langsam hinaufritten, erhielten wir eine volle Aussicht auf eine weite Strecke des gewundenen, kaum eine halbe Meile breiten Tals, das mit Gehöften und Dörfern dicht besät war. Wenn man nun von der Höhe, die durch die Zedernwaldungen einen so eigentümlich düsteren Charakter erhielt, niederschaute, so glaubte man fast eine andere, abgeschlossene Welt vor sich zu erblicken, denn im üppigsten Grün prangten die Wiesenstreifen und die Felder, und dicht belaubte Weiden- und Obstbäume spiegelten sich in den glänzenden Fluten des Stroms, der in Schlangenlinien dahineilte und nach allen Seiten hin reichen Segen spendete. Wir befanden uns in bedeutender Höhe über dem Tal, und so erschien uns alles dort unten so klein und winzig, doch darum nicht minder deutlich; und wie eine reizende Weihnachtsbescherung auf samtgrünem Tisch, so reihten sich aneinander zierliche Häuser- und Baumgruppen, der glänzende Fluß, Wiesen und Feld. Neidische Erhebungen des Bodens entzogen uns bald wieder die Aussicht auf das anmutige Tal, und begünstigt von gutem Weg zogen wir in schnellem Schritt über das hügelige Land, auf dem Tausende und aber Tausende von Schafen ihren reichlichen Unterhalt fanden. Unser Marsch betrug an diesem Tag achtundzwanzig Meilen, und als wir gegen Abend die Eskorte an einer Quelle namens Ojo del Verde einholten, lagerten wir zum zweiten Mal seit unserem Aufbruch von Albuquerque nahe bei derselben. Der Zufall fügte es, daß dies auch das letzte Mal war, daß wir gute Nachbarschaft hielten und uns mit Lieutenant Tipton gegenseitig Besuche abstatteten.

Als wir am folgenden Morgen, dem 16. Juni, noch auf das sorgloseste und gemächlichste mit unserem Frühstück beschäftigt waren, verließ Lieutenant Tipton mit seinen Soldaten schon das Lager. Eine Stunde später, nachdem wir Menschen und Tieren ihr volles Recht hatten widerfahren lassen, zündeten wir vor den Lagerfeuern die unvermeidlichen Pfeifen an, schwangen uns in den Sattel; und fröhlichere Menschen als wir trabten wohl selten durch jene romantische Gegend, die schon begonnen hatte, sich unter den wärmenden Strahlen der Sonne zu beleben, und die dem Auge und dem Gemüt so manchen schönen und reinen Genuß bot. Wir begegneten einer bedeutenden Anzahl von Arbeitern, die mit der Ausbesserung der unwegsamen Stellen der Straße beschäftigt waren; sie schienen lustig und guter Dinge zu sein, denn reicher Lohn für ihre Mühe stand ihnen in Aussicht von den endlosen Handelskarawanen, die sich schon in den Prärien befanden und vielleicht mit Besorgnis der hindernisvollen Strecke des Weges von Santa Fé gedachten. Wir begrüßten alle auf das freundlichste, und mit mexikanischer Höflichkeit bezeichneten sie uns die Nebenwege und Pfade, auf denen wir einige Meilen der Hauptstraße abschneiden und ersparen konnten.

Um zehn Uhr befanden wir uns angesichts der Stadt Tucalohte, die in einem wasserreichen Tal, mit den schroffen, prachtvollen Tucalohte-Bergen im Hintergrund, einen überraschend schönen Anblick gewährte. Die Häuser waren auch hier größtenteils würfelähnliche Hütten, doch standen diese vollkommen im Einklang mit der ganzen Umgebung, deren Charakter man eine gewisse Wildheit nicht absprechen konnte.

Auf der Ostseite der Stadt teilte sich unsere Straße, und zwar behielt der Hauptarm die nordöstliche Richtung bei, während ein anderer Weg östlich abbog und dem Pecos und der Stadt Anton Chico zuführte. Leider hatte Lieutenant Tipton letzteren eingeschlagen, und da er sich schon aus unserem Bereich befand, so mußten wir es ihm überlassen, sich anderweitig Aufklärung über seinen Irrtum zu verschaffen, und ohne weiteren Zeitverlust zogen wir unserer Straße.

Bald nach Mittag erreichten wir die Stadt Las Vegas, die auf dem rechten Ufer eines Flüßchens gleichen Namens liegt, das sich in südlicher Richtung mit dem Tucalohte vereinigt und danach dem Rio Pecos zugesellt. Da wir an jenem Ort wieder Futter beziehen mußten, unser Marsch schon dreiundzwanzig Meilen betrug und eine gleiche Strecke uns noch von Fort Union trennte, so beschlossen wir, daselbst zu übernachten. Wir fanden die freundlichste Aufnahme bei dem Kornlieferanten, der zugleich Kaufmann war, und dieser stellte uns, da in der Nähe der Stadt das Gras längst abgeweidet war und zahllose Schweine mit ungebührlicher Dreistigkeit überall umherstöberten, einen fest eingefriedeten Viehhof zur Verfügung, auf dem wir, gegen die Zudringlichkeit der vierfüßigen Gäste gesichert, unser Zelt aufschlugen.

Der Kaufmann, dem wahrscheinlich um die Gesellschaft, die wir ihm bieten konnten, zu tun war, mutete uns übrigens nicht zu, auf seinem Viehhof die Nacht zu verbringen, und bot uns einige bequeme Betten in seiner Wohnung an – ein Vorschlag, den wir mit um so größerer Bereitwilligkeit annahmen, als ein nächtlicher Gewittersturm drohte und wir unseren Leuten statt des Wagenverdecks den Schutz unseres Zeltes von ganzem Herzen gönnten.

Kurz vor Einbruch der Nacht erst, als wir in gemütlicher Unterhaltung auf der Bank vor dem Haus unseres Wirts saßen, traf Lieutenant Tipton ein und teilte uns in mißvergnügter Stimmung mit, daß er die Stadt Anton Chico wirklich besucht habe. Er schlug es aus, die Nacht bei uns zuzubringen, und führte als Vorwand an, daß er unmöglich in der Nähe eines Ortes lagern dürfe, wo seine Soldaten Gelegenheit finden könnten, sich mit Branntwein zu versehen. Wir priesen seine Vorsicht, er dagegen wünschte uns eine angenehme Nachtruhe, zog noch einige Meilen weiter und übernachtete dann mit seinen erschöpften Leuten und Tieren am Abhang einer Schwellung der hier schon beginnenden Prärie.

Von unserem Wirt erfuhr ich mancherlei über das dortige Land und seine Bewohner, doch bei weitem nicht soviel, als ich von einem dort angesiedelten Amerikaner erwartete. Die Amerikaner, Deutschen und Franzosen, die sich zwischen der mexikanischen Bevölkerung niederlassen, leiten nämlich durch größeren Fleiß und Energie fast alle Geschäfte in ihre eigenen Hände, und es versteht sich dann von selbst, daß ihnen ein bedeutender Verdienst an Geld und Vieh zufließt. Der wachsende Reichtum nun stumpft sie allmählich immer mehr für alles, was außer dem Geschäftsleben liegt, ab, und dies ist die Ursache, daß man sogar von Leuten, die eine Reihe von Jahren dort ansässig gewesen sind, wenig mehr über ihre Umgebung in Erfahrung zu bringen vermag, als man auf flüchtiger Durchreise aus eigener Anschauung lernt. Ich erhielt jedoch Kenntnis vom Vorhandensein heißer Quellen, die sechs Meilen weiter oberhalb der Stadt an dem Flüßchen liegen und denen besondere Heilkräfte zugeschrieben werden. Unser Wirt versicherte mir, daß er schon mehrmals seine Zuflucht zu ihnen genommen habe, als starke Erkältungen ihn krank und siech gemacht hatten. Nur wenige Bäder hatten dann jedesmal genügt, ihn wieder vollkommen herzustellen, und er äußerte sich dahin, daß diese Heilquellen bei richtigem Gebrauch einen Arzt in jener Gegend fast überflüssig machten.

Ferner erzählte er mir auch von einem See, der sich auf der Hochebene nahe bei den Ruinen von Pecos befinde. Wahrscheinlich haben in diesem Fall die Bewohner der untergegangenen Stadt ihre Felder und Gärten dort oben angelegt gehabt, weil es die Bodenbeschaffenheit im Tal nicht gestattete und die gegen rauhe Temperatur Schutz gewährenden Höhen sie dennoch veranlaßten, ihre Wohnungen in der Niederung zu gründen. Jetzt bringen die Viehzüchter dortiger Gegend ihre Herden teilweise nach den Hochebenen hinauf, wo diese zu gewissen Jahreszeiten gutes Futter finden und zugleich besser gegen die feindlichen Überfälle der Komantschen und Kiowa-Indianer geschützt sind, die ihre Raubzüge nicht selten bis in die Nähe von Santa Fé ausdehnen.

Auf den nächtlichen Gewittersturm folgte ein klarer, schöner Frühlingsmorgen; der Staub von den Straßen war wieder verschwunden, und in frischerem Grün prangte die weite Ebene, die sich im Osten mit dem Horizont verband, während nach anderen Richtungen hin waldige Hügelreihen dieselbe von den noch mit Schnee gekrönten, mächtigen Gebirgszügen trennten. In geringer Entfernung von der Stadt teilte sich die Straße, und wiederum hatte Lieutenant Tipton die falsche Richtung eingeschlagen. Er hatte diesmal den befahrensten Weg gewählt, und derselbe führte ihn zwar ebenfalls nach Fort Union, aber auf einem Umweg, so daß, als er die Station am Abend erreichte, er uns schon vorfand.

So schafft der Mensch aus Laune, aus Eigendünkel und aus angeborener Neigung zum Hader sich selbst oft trübe Stunden und Nachteil. Glücklich, wenn der Nachteil bei denen stehenbleibt, die ihn verschulden, und wenn nicht Nationen zu leiden haben unter den Fehlern einzelner, die, vergessend, daß sie selbst sterblich sind, zur Geißel ihrer Mitmenschen werden.

Nach einem Marsch von zehn Meilen erreichten wir eine schmale, grasreiche Niederung, an deren Rand sich mehrere kleine Gehöfte befanden; ein Bach, der Sapeo, schlängelte sich durch dieselbe, und da uns die Zeit nicht drängte, rasteten wir hier einige Stunden und freuten uns über die Tiere, die sich behaglich in dem üppigen Gras wälzten und mit Wollust fette Bissen abrupften.

Auch wir gingen nicht leer aus; herbeigeeilte Mexikaner brachten frische Eier, Wigham, unser irländischer Diener, reichte eins der blauen, gehenkelten Fäßchen aus dem Wagen, Hendrichs, der Fuhrmann, spülte die Zinnbecher und schaffte Wasser herbei, und während O'Connor, unser Koch, die Eier zu Schaum schlug, mischten wir selbst bedächtig Kognak, Zucker und etwas Wasser zusammen, dem O'Connor dann später den gelben Schaum beifügte. Da wir unsere Leute, drei so brave, aufmerksame Burschen, wie nur je welche einen rohen Whisky schlürften, bei derartigen Genüssen gleichberechtigt mit uns hielten, so kann es nicht überraschen, daß, als wir den Sapeo verließen, die Schalen von drei Dutzend Eiern die Stelle bezeichneten, auf der wir gerastet hatten.

Nach Zurücklegung von abermals fünf Meilen gelangten wir an waldige Schluchten und Hügel, welche in der Richtung von Norden nach Süden die grüne Ebene auf eine kurze Strecke unterbrachen. In einer dieser Schluchten stießen wir auf den Moro, einen der westlichsten Zuflüsse des Canadian River. Das angrenzende liebliche Tal war belebt von Viehherden, und ein Städtchen, teils aus Blockhütten, teils aus Lehmhäusern bestehend, schmückte malerisch die östlichen Abhänge des Hochlands, das sich sanft bis unmittelbar an das Ufer des Moro senkte.

»Lona Parda heißt unsere City«, antwortete mir ein trotzig aussehender, amerikanischer Grobschmied, als ich mich nach dem Namen der Ansiedlung und nach der Entfernung von Fort Union erkundigte; »Lona Parda heißt unsere City, und nach Fort Union ist es nicht mehr sehr weit!«

Ich gab mich zufrieden mit der Antwort und folgte meinen Gefährten nach, die sich schon auf halber Höhe des Abhangs befanden, und stieg wie diese ab, um meinem Tier die Last auf dem steiler werdenden, felsigen Weg zu erleichtern. Nachdem wir die Höhe erreicht hatten, zogen wir abwechselnd über Prärie und durch lichte Waldungen; letztere bezeichneten die Schluchten und Senkungen, die hauptsächlich von Nordwesten nach Südosten das Land durchschnitten, und deshalb wurde die freie, weite Aussicht, die wir von den Schwellungen des Bodens aus genossen, durch die Bäume nur wenig behindert. Doch die Aussicht, wenn auch schön, blieb einförmig, der Charakter der endlosen Prärien trat immer mehr hervor, und nur in nördlicher Richtung und in weitem Bogen gegen Westen reihten sich aneinander die blauen, teilweise beschneiten Gipfel der Rocky Mountains, unter denen besonders die Moro Peaks, die Taos und die Raton Mountains hervortraten.

Zweiundzwanzig Meilen betrug der Tagesmarsch, als wir nach kurzem Ritt durch einen Waldstreifen uns plötzlich an einer starken Abstufung des Bodens befanden. Obgleich schon längst vorbereitet auf den Anblick der eigentlichen Prärie, war ich doch freudig überrascht, als ich diese nun plötzlich in Wirklichkeit wieder vor mir sah. Schon oft hatte ich die weiten Grasfluren betreten, schon oft meine Blicke an der Linie hingleiten lassen, die dort wie auf dem Ozean in weitem Kreis den Horizont begrenzt; doch immer neu, immer frisch blieb der Eindruck, den sie bei mir hervorrief, und so stand ich auch diesmal in tiefster Bewunderung vor der erhabenen Naturszene und schaute nach der Richtung hinüber, in der unser Ziel lag. Die Linie des Horizonts wurde zwar noch hin und wieder durch Hügel und Berge unterbrochen, die wie Inseln aus der grünenden Ebene auftauchten, doch sanft ansteigend lag sie vor mir, die schöne freie Prärie mit ihren Freuden und ihren Genüssen, aber auch mit ihren Schrecken; ich begrüßte sie wie einen alten lieben Freund und blickte dann niederwärts, wo am Fuß der Abstufung die Militärstation Fort Union lag.


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