Balduin Möllhausen
Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas – Band 2
Balduin Möllhausen

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Lager am Diamond Creek – Wanderungen an den Colorado – Heftige Stromschnellen – Der Ruhetag – Zeichnen am Colorado – Charakter des Stroms und seiner Ufer – Wallpay-lndianer – Egloffsteins späte Rückkehr aus den Gebirgen – Der Verlust des Hundes – Rückreise durch den Wallpay-Cañon – Entfliehen der Wallpay-Führer – Belohnen der Mohaves – Abschied der Mohaves – Reise zum Plateau hinauf – Lager ohne Wasser – Entfliehen eines Wallpay-Führers – Reise zum Wasser – Ausflug auf die zweite Etage des Plateaus – Charakter desselben – Antilopenjagd – Verirren eines Soldaten – Nächtlicher Schneesturm – Vergebliches Suchen nach dem Vermißten – Endliche Rückkehr desselben

Rein und klar wie ein Diamant sprudelte der Bach aus einer nordöstlichen Schlucht an uns vorüber, wie ein kostbarer Stein lag in entgegengesetzter Richtung vor uns ein ganz kleines, mit dem anmutigsten Grün geschmücktes Tälchen, und Diamond Creek tauften wir das Wasser, das lustig dahintanzte und auf dem beschränkten Raum bis an den Fuß der starren Felsen hin nach besten Kräften seine Segnungen spendete, die sich in einer verhältnismäßig üppigen Vegetation verrieten.

Eindrücke und die aus denselben entsprungenen Gefühle des Kindes wiederholen sich oft in späterem Alter. So erinnere ich mich, von unterirdischen Zaubergärten inmitten furchtbarer Wildnisse gelesen zu haben, und wie ich damals von größter Bewunderung für die Bilder einer reichen Phantasie hingerissen wurde, so freute ich mich hier beim Anblick der kleinen Bodenfläche, die mich so lebhaft an jene Zaubergärten mahnte. Zwar fehlten die schillernden Blumen und Vögel, und abgestorbene Bäume und Sträucher erzählten von der Vergänglichkeit dessen, was ich vor mir sah; doch an den schroffen Felswänden, die hoch emporragten, vermochte ich zu berechnen, wie tief ich mich unterhalb der Oberfläche des Bodens befand; ich hatte kennengelernt, daß schreckliche Wüsten in weitem Umkreis mich umgaben; ich hatte Befürchtungen um unser Geschick gehegt, und plötzlich lag vor mir im erquickendsten, mir fast fremd gewordenen Frühlingsgrün ein von der Natur gepflegtes, wildes Gebirgsgärtchen, und durch dasselbe murmelte das kristallklare Wasser über farbige Kiesel und an hindernden Felsblöcken vorbei.

Vergessen waren nun die Mühen des Tages wie auch der Colorado, und mit einem an Wonne streifenden Gefühl beeilten wir uns, am Fuße einer überhängenden Felswand auf weichem Rasen unsere Zelte aufzurichten. Freude herrschte überall, scherzend verrichteten die Leute ihre Lagerdienste, und mit behaglichem Stöhnen wälzten sich die Tiere auf krautreichem Boden; auch Grizzly war vergnügt, und wie im Übermut kaute er an den frischen Halmen; der arme, treue Grizzly – es war sein letztes Lager.

Gleich nach unserer Ankunft kletterte ich nach einer vorspringenden Felswand hinauf, und von dort aus, wo ich eine Aussicht auf das Tälchen und die dasselbe einschließenden Gebirgsmassen gewann, zeichnete ich eine Skizze von der ganzen prachtvollen Szenerie. Nicht wenig Mühe verursachten mir die zahlreichen Linien des über zweitausend Fuß hohen Berges, der gegen Südwesten den Lauf des Diamond Creek zu hemmen schien und dessen Fuß durch einen Vorsprung meinen Blicken entzogen wurde. Er glich einem mächtigen, unbeendeten Bau, den entsprechende Strebepfeiler und Türme umgaben. Bis zum Gipfel hinauf erkannte ich die regelmäßig übereinanderliegenden Schichten, die wie künstliches Mauerwerk über die ganze Breite des kolossalen Felsens reichten und durch den Einfluß der Atmosphäre und der zeitweise niederschlagenden Feuchtigkeit in so wunderliche Gebilde umgeschaffen waren. Ähnliche Berge tauchten nach allen Seiten hin im Hintergrund auf, und die Linien der verschiedenen Straten mit den Augen verfolgend, überzeugte man sich leicht, daß die jetzt durch weite Zwischenräume getrennten Berge einst ein festes Hochland bildeten und im innigsten Zusammenhang miteinander gestanden hatten.

Ein eigentümliches Farbenspiel zeigte sich an den schroffen Wänden, denn während auf den ersten achthundert Fuß dunkles Braun und Blauschwarz vorherrschend waren, spielten die Höhen im schönsten Rosa, Gelb, Blau und Grün, je nachdem die Formationen verschiedener Epochen sich übereinanderreihten und von der Abendsonne malerisch beleuchtet wurden. Die außerordentliche Klarheit der Atmosphäre ließ übrigens die entfernteren Gegenstände viel näher erscheinen, als sie in Wirklichkeit waren, und so lebten wir alle in der Meinung, daß der schöne Berg, den ich eben beschrieb, nur durch einen Felsvorsprung von uns getrennt sei; als ich aber ins Lager zurückkehrte, traf ich dort mit Iretéba zusammen, der mir versicherte, daß der Colorado noch zwischen uns und jenem Berg fließe.

Der Abend war nicht mehr fern, und den Strom ganz in der Nähe wähnend, begaben sich mehrere von uns auf den Weg, um noch an demselben Tag einen Blick auf ihn zu werfen. Wir gelangten schnell ans Ende des Tälchens, dessen ganze Länge kaum fünfhundert Schritt betrug, und bogen dann in die enge Schlucht ein, in der der Bach immer mit gleichem Ungestüm sich von einer nach der anderen Seite hinüberwand und dem Colorado zueilte. Es war ein sehr mühevoller Weg, denn bald hinderten uns Ranken, bald Gestein oder auch der Bach selbst im Fortschreiten, doch in der Hoffnung, bei jeder nächsten Biegung am Ufer des stolzen Stroms zu stehen, arbeiteten wir uns unverdrossen weiter.

Zwei Meilen hatten wir auf diese Weise zurückgelegt, als die Schlucht sich allmählich in ein breites, sandiges Tal öffnete und der Fuß des bekannten Berges nur noch durch kleine Weiden und Mesquitegebüsche verdeckt blieb. Das Ende des Tals, das eine halbe Meile lang war, vermochten wir fast mit den Augen zu erreichen; der Berg schien hier dem sandigen Boden zu entsteigen, und für kaum glaublich hielten wir es, daß sich dort noch der breite Spiegel des Colorado befinden könne. Als wir aber stillstanden und lauschten, da schlug an unser Ohr wie das Gestampfe unzähliger schwerfälliger Hufe dumpfes, unheimliches Rauschen und Toben, zu denen sich das friedliche Plätschern und Murmeln des Baches zu unserer Seite gesellte. Wir eilten mitten durch das Gestrüpp hindurch nach der nächsten Erhebung der sandigen Fläche und begrüßten in geringer Entfernung vor uns den schäumenden Spiegel des Stroms, der mit unwiderstehlicher Gewalt über die von ihm selbst losgerissenen Trümmer der nahen Felsenfesten dahinstürzte.

Der Anblick machte uns verstummen, und mit einem Gefühl der bewundernden Verehrung schritten wir weiter, bis unsere Füße auf dem von den Wellen des Stroms befeuchteten Sand ruhten.

Den Charakter unerschütterlicher, ernster Ruhe trugen ringsum die majestätischen Naturbauwerke; ebenso ernst folgten die unbändigen Wassermassen der von ihnen erkämpften Straße; gleichsam voll grimmiger Wut über den Widerstand, auf den sie fortwährend stießen, prallten sie von Fels zu Fels, von Stufe zu Stufe, und Wirbel und Schaum erzeugend drängten sie sich in das südliche Felsentor. Ich schaute stromaufwärts, wo der Fluß den finsteren Schluchten enteilte; ich beobachtete vor mir die breite, mit zahlreichen Wirbelkreisen bedeckte Wasserfläche und die beweglichen Spiegelbilder auf dieser, doch unwillkürlich wandten sich die Augen immer wieder gegen Süden, wo die Wasser wie im ewigen Kampf mit dem leblosen Gestein sich brausend und tobend überstürzten.

Nur kurze Zeit schwelgten wir in dem Anblick der großartigen Szene, denn die hochroten Kuppen der Berge hatten sich schon in einen violetten, duftigen Schleier gehüllt, und tiefe Schatten begannen sich um uns her in die abgeschlossene Welt zu senken; wir schlugen den Rückweg ein, und als wir die enge Schlucht erreichten, umgab uns undurchdringliche Finsternis. Halb kriechend, stolpernd und oftmals stürzend suchten wir unseren Weg auf dem ungünstigen Boden; nur langsam gelangten wir von der Stelle, und die Nacht war schon weit vorgeschritten, als wir der ersten großen Feuer der mexikanischen Hüter ansichtig wurden, die Tal, Baum und Fels magisch beleuchteten.

Das während des Tages von der Sonne erhitzte Gestein erhielt auch fast die ganze Nacht hindurch eine warme Temperatur in dem Felsenkessel; an dem schmalen Streifen des Himmelsgewölbes, der uns sichtbar war, funkelten und flimmerten die ewigen Sterne; die Mexikaner sangen, die Hufe der Maultiere klapperten auf dem Gestein, und niedriger brannten die vernachlässigten Feuer vor den Zelten. Ich legte mich auf mein weiches Lager und schlief ein mit dem Gedanken an heftigen Regen und Wolkenbrüche, die uns ganz bequem mit Tieren und Gepäck in den Colorado hätten spülen können.

Die Frühstunden des 3. April waren so schön, daß man sich gleichsam neu belebt fühlte; eine erquickende Kühle herrschte in der schattigen Schlucht, und die Luft enthielt nur gerade soviel Feuchtigkeit, als erforderlich war, um das Atmen zu einer wahren Erfrischung zu machen. Fast unwillkürlich versuchte man die Brust und die Lungen auszudehnen, um in erhöhtem Grad von der Atmosphäre zu trinken, die durch die wohltätige Wirkung der Nacht auf so überraschende Weise umgewandelt war. Unserer Forschungen und Beobachtungen wegen, aber auch mit Rücksicht auf den Zustand der Herde, sollte erst am folgenden Tag die Weiterreise angetreten werden. Wir gewannen dadurch reichlich Zeit, die nächste Umgebung zu durchstreifen, und schon in aller Frühe verließen die meisten von uns das Lager. Egloffstein wählte den mühseligsten Weg, denn in Begleitung eines Soldaten, eines Indianers und leider auch unseres Hundes suchte er eine der Höhen zu gewinnen, von wo aus er imstande war, die Richtung des Colorado etwas weiter zu verfolgen und auf der Karte zu berichtigen; Dr. Newberry und ich dagegen begaben uns wieder an den Strom, und während ersterer emsig zwischen dem Gestein herumhämmerte, spähte ich nach einer geeigneten Stelle, von wo ich zum Zeichnen eine volle und zugleich schöne Aussicht auf das malerische Felsentor erhielt, in das der Colorado sich schäumend hineinstürzte.

Die Höhe des Flusses über dem Meeresspiegel betrug an jener Stelle nach barometrischen Beobachtungen gegen tausend Fuß, am Black Cañon, wo wir mit dem Dampfboot umzukehren gezwungen waren, nur fünfhundert Fuß. Letzterer Höhenunterschied war also auf eine Strecke von fünfhundert Meilen verteilt oder vom Black Cañon bis hinunter zum Golf von Kalifornien, während die anderen fünfhundert Fuß das Stromgefälle von der Mündung des Diamond Creek bis zum südlichen Ende des Black Cañon oder eine Strecke von ungefähr neunzig Meilen ausmachten. Nach dem Charakter des Stroms zu schließen, soweit wir denselben schon kannten und am Diamond Creek zu übersehen und gleichsam zu erraten vermochten, bildete der Colorado in seinem Felsenbett bis zum Beginn der Schiffbarkeit keine wirklichen Wasserfälle, sondern mehr oder minder erhebliche Stromschnellen, die fast ununterbrochen aufeinanderfolgten und jedes Befahren von unten herauf oder auch von oben herunter unmöglich machten.

Vor dem Beginn der Colorado-Expedition war mehrfach die Rede davon gewesen, diesen Fluß auf leichtere Weise in Booten von seinen Quellen abwärts zu erforschen. Hier nun, angesichts der Stromschnellen, wo sich der gegen zweihundert Fuß breite Fluß stellenweise mit einem auf sechzehn Fuß verteilten Gefälle von zehn Fuß über mächtige Felsblöcke stürzte und wo die aus den Fluten senkrecht aufstrebenden Mauern zusammen mit der Brandung jegliches Landen unmöglich machten, erhielten wir eine Ahnung davon, was wohl das Schicksal derjenigen gewesen sein würde, die es gewagt hätten, sich weiter oberhalb in Booten dem Colorado und seinen Cañons anzuvertrauen.

Das Wasser des Stroms war hier ebenfalls lehmfarbig, geradeso, wie wir es auf dem ersten Teil der Reise kennengelernt hatten, und stark vermischt mit feinen, aber scharfen Sandbestandteilen, deren zerstörender Wirkung zu widerstehen selbst der Granit nicht fest genug war. Ich beobachtete nämlich vielfach Felsblöcke, die bei höherem Wasserstand der heftigen Strömung ausgesetzt gewesen waren und in die das sandhaltige Wasser im Laufe der Zeit regelmäßige Furchen hineingeschliffen hatte. Genauere Notizen, besonders aber eine geologische Sektion des Querschnittes des ganzen Plateaus, das sich dort zweitausend Fuß hoch über dem Spiegel des Colorado erhebt, verdanke ich meinem Freund Dr. Newberry. Hier erwähne ich nur, daß wir dem Anschein nach die nördliche Grenze des vulkanischen Gürtels des Mount Taylor und der San Francisco Mountains schon überschritten hatten und uns gleichsam innerhalb der ersten Etage des tafelförmigen Hochlands befanden, das von dort ab gegen Norden stufenweise ansteigt.

Nachdem ich meine Skizze beendet hatte, begab ich mich in den südlichen Winkel des Diamond-Creek-Tals, um auch von der nördlichen Schlucht ein Bild zu entwerfen; und da saß ich denn im kühlen Schatten einer überhängenden Granitwand; dicht neben mir schäumte die heftige Brandung, und aus der weiten Öffnung des Diamond Creek fielen mit voller Kraft die Strahlen der Sonne auf den bewegten Wasserspiegel und auf die gegenüberliegenden schroffen Gebirgsmassen. Einige Soldaten und Mexikaner kauerten angelnd am Ufer, und mit trägem Flügelschlag zog ein einsamer Reiher an mir vorüber; aber in dem lauten Brausen des fallenden Wassers erstarb der heisere Schrei des Vogels wie das Lachen und Scherzen der Menschen, und ein eigentümliches Gepräge nie gestörter Einsamkeit ruhte auf dieser furchtbar schönen Wildnis.

Die Mittagszeit war schon längst vorüber, als ich Büchse und Mappe ergriff und mich zur Heimkehr ins Lager anschickte; ich warf einen letzten Blick auf die schäumenden Wellen des Colorado und wanderte dann langsam am Diamond Creek hinauf. Bei meiner Ankunft im Lager herrschte dort eine tiefe Stille; die erquickende Morgenkühle war einer drückenden Wärme gewichen, und dem einschläfernden Einfluß dieser nachgebend, hatte sich der größte Teil der Gesellschaft an schattigen Stellen, die kleiner und seltener geworden waren, zum Schlummer auf den weichen Rasen hingestreckt.

Einige Wallpay-Indianer hatten sich in unser kleines Reich gewagt; mit lüsternen und zugleich verlegenen Blicken betrachteten sie die Menge der ihnen unbekannten Gegenstände, und ruhig warteten sie, ob sich jemand um sie kümmern würde. Unsere Mexikaner waren die ersten, denen sie sich näherten, und bald darauf erblickte ich beide Teile in bunten Gruppen zusammensitzen und sich in den Versuchen einer geselligen Unterhaltung ergehen.

Überhaupt habe ich vielfach beobachtet, daß zwischen den wilden Eingeborenen und der spanisch-amerikanischen Bevölkerung sich viel leichter ein freundschaftliches Verhältnis bildet als zwischen den Indianern und den weißen Amerikanern. Die dunklere Hautfärbung und der indianische Typus, der den mexikanischen Gesichtern in vielen Fällen aufgedrückt ist, mag wohl mehr vertrauenerweckend für die Eingeborenen sein, doch glaube ich aber auch, daß sie ein gewisser Instinkt erraten läßt, daß sie in den Augen der Mexikaner einen anderen Rang einnehmen als in denen der angelsächsischen Abkömmlinge und daß von den Amerikanern im allgemeinen nur ein geringer Unterschied zwischen den Mexikanern und den Eingeborenen angenommen wird.

Iretébas Bemühungen gelang es indessen, die Wallpay-Indianer für uns zu gewinnen, und zwar so, daß sich zwei derselben bereit erklärten, uns auf der ferneren Reise als Führer zu begleiten. Es war nämlich des treuen Mohaves fester Entschluß, von dort aus mit seinen beiden Begleitern heimzukehren; er gestand uns dies mit schwermütiger Miene und fügte hinzu, daß er sich nicht weiter getrauen dürfe, indem er zu leicht feindlichen Indianerstämmen in die Hände fallen könne. Wir zweifelten nicht an seiner Aufrichtigkeit, denn zu häufig schon hatte er uns Beweise seiner Anhänglichkeit gegeben, und auch jetzt noch, als er im Begriff stand, von uns zu scheiden, suchte er brauchbare Führer durch die Wildnis für uns anzuwerben, die, wie er zu verstehen gab, bessere Kenntnis von den nördlichen Landstrichen besäßen als er selbst, da er nie einen Fuß in jene Gegenden gesetzt habe.

Der Abend stellte sich allmählich ein, und schnell ging die Dämmerung in schwarze Finsternis über; die Wallpays hatten sich entfernt, die Lagerfeuer, die man zur Abendstunde selbst bei warmem Wetter nicht gern vor den Zelten entbehrt, flackerten lustig, und noch immer war Egloffstein nebst seiner Begleitung nicht von seiner Bergtour zurückgekehrt. Wir begannen Unruhe über sein Ausbleiben zu empfinden, und nicht ohne Besorgnis blickten wir nach den schwarzen Abhängen der Plateaus hinauf, deren einzige Grenze das sternenbesäte Himmelsgewölbe bildete. Zwar kannten wir seine Erfahrungen, die er sich auf früheren Reisen mit Colonel Frémont angeeignet hatte, doch war es uns wieder nicht fremd, daß er seinen Enthusiasmus nur schwer zu zügeln vermochte und dadurch leicht in unangenehme und sehr gefährliche Lagen geriet. So war auch das Niedersteigen von den schroffen Bergen zur nächtlichen Stunde derart, daß es Egloffstein samt seinen Begleitern das Leben kosten konnte.

Ein Unglücksfall so ernster Art stand uns indessen nicht bevor; die Abwesenden kehrten spätabends mit zerrissenen Stiefeln, wunden Füßen und von Hunger und Durst gepeinigt ins Lager zurück, und es war diesmal bloß Grizzly, dessen Verlust wir zu beklagen hatten. Der arme Hund war nämlich ins Gebirge nachgefolgt, hatte auch glücklich die Höhe des Plateaus erreicht, war aber auf dem Rückweg dem Durst und der Erschöpfung erlegen. Egloffstein wie auch Hamotamaque hatten das arme Tier eine weite Strecke getragen, als aber die Dunkelheit einbrach und sie den gefährlichen Pfad nur noch mittels Tastens und Fühlens zu erkennen vermochten, hatten sie den Hund seinem Schicksal überlassen müssen, und es ist wohl anzunehmen, daß er in geringer Entfernung vom Lager entweder von den hungrigen Wölfen zerrissen oder von den ebenso raubgierigen Wallpays verzehrt worden ist. Uns allen war der Verlust Grizzlys schmerzlich, denn das freundliche, anhängliche Tier hatte uns von Pueblo de los Angeles an der Südsee über tausend Meilen weit durch die schrecklichsten Wildnisse treu begleitet, hatte uns durch sein zutrauliches Wesen und durch seine Munterkeit manche Unterhaltung gewährt, und gerade da, wo seine Wachsamkeit wertvoll für uns zu werden begann, ging es uns verloren.

Am 4. April versammelte sich schon mit dem Frühesten ein Trupp Wallpay-Indianer bei uns im Lager und beobachtete uns aufmerksam, als wir die Vorbereitungen zur Abreise trafen. Iretéba stellte uns zwei über alle Beschreibung wild und unsauber aussehende Burschen als Führer vor und versprach zugleich, uns noch bis zum nächsten Lager zu begleiten. Der junge Wallpay, der sich schon seit einigen Tagen in unserer Gesellschaft befunden hatte, war nunmehr überflüssig geworden, als ihn aber Lieutenant Ives für seine Dienstleistungen belohnen wollte, war er spurlos verschwunden, und alles Forschen und Fragen nach ihm erwies sich als fruchtlos. Es war uns insoweit unangenehm, als uns dadurch die Gelegenheit genommen war, durch reiche Belohnung desselben in Gegenwart der neuen Führer letztere fügsamer zu machen und mehr an uns zu fesseln. Jedenfalls hatte das Mißtrauen wieder die Oberhand bei dem jungen Menschen gewonnen, und er fürchtete wahrscheinlich, an der Rückkehr verhindert und zur Weiterreise mit uns gezwungen zu werden. Wir zweifelten nicht daran, daß er uns von irgendeinem Schlupfwinkel aus beobachtete, als wir den Diamond Creek verließen und den Weg, den wir gekommen waren, wieder zurück einschlugen.

Nicht ohne Mühe gelangten wir in der beschwerlichen, stark ansteigenden Schlucht vorwärts, und obgleich schon vertraut mit der Umgebung und mit dem Weg selbst, mußte doch oft angehalten werden, um die zurückbleibenden, schwer bepackten und keuchenden Tiere heranzutreiben. Ich wandte meine Aufmerksamkeit den Merkmalen zu, welche die zeitweise durch den Cañon stürzenden Wassermassen zurückgelassen hatten, und glaubte solche in einer Höhe von über dreißig Fuß an den Seitenwänden zu erkennen. Mit Rücksicht auf den Umstand, daß der Wallpay-Cañon in seiner ganzen Länge Hunderte von bedeutenden Nebenschluchten aufnahm und einen geraumen Teil der Hochebene entwässerte, kamen mir die furchtbaren Anschwellungen des Wassers nicht so außerordentlich vor, und mit besonderem Interesse betrachtete ich die riesenhaften Felsblöcke, die ein Spiel des empörten Bergstroms gewesen und von diesem niederwärts geschleudert worden waren. Nur sechs Meilen ritten wir in dem Cañon aufwärts und bogen dann, unseren Führern folgend, in eine nordöstliche Nebenschlucht, die sich aber schon nach einigen hundert Schritten in einem Bogen gegen Osten und dann, fast parallel mit dem Wallpay-Cañon, gegen Südosten wendete. Kaum eine Meile hatten wir in dieser Nebenschlucht zurückgelegt, als unsere Wallpay-Führer scheinbar ohne besondere Absichten sich etwas seitwärts vom Zug entfernten und plötzlich wie Katzen an den schroffen Abhängen der nahen Berge hinaufkletterten. Wir hielten an, denn ohne kundige Führer tiefer in diese wasserarme Felsenwüste einzudringen, hätte verderblich für die Expedition werden können; es blieb uns also nur übrig, zu versuchen, mit Güte oder Gewalt einige Eingeborene in unsere Hände zu bekommen oder die Quelle weiter oberhalb im Wallpay-Cañon wieder aufzusuchen und von dort aus unsere Operationen aufs neue zu beginnen.

Iretéba war sehr verdrießlich über das Benehmen der Wallpays, und ein über das andere Mal wiederholte er kopfschüttelnd: »Wallpay mucho malo, mucho malo.« (»Wallpays sehr schlecht.«) Es gelang ihm indessen, durch den stets dienstfertigen Hamotamaque nach kurzem Aufenthalt zwei neue Führer herbeizuschaffen, und diese schärfer bewachend, folgten wir der von ihnen angegebenen Richtung, in der sich weder ein Pfad noch Spuren von menschlichen Füßen zeigten. Wir gelangten schnell aufwärts; die Granitformation blieb hinter uns zurück, ebenso die Sandstein- und Kalksteinlagen, bis wir uns endlich nach einem Marsch von zehn Meilen gegen 2500 Fuß über unserem letzten Lager und inmitten der Formation des Kalksteins befanden. Dort erblickten wir am Abhang des gegen Norden als Stufe ansteigenden Plateaus eine Quelle; Spuren einer kleinen Maispflanzung waren hier sichtbar, spärliches Gras bedeckte die kleinen Zwischenräume zwischen den Agaven, Talgholzstauden und Zedernbüschen auf den Hügeln, und so beschlossen wir denn die Nacht an jener Stelle zuzubringen.

Gegen Abend wurde Iretéba mit seinen beiden Begleitern und dem Yuma-Indianer vor Lieutenant Ives' Zelt beschieden, um dort die für sie bestimmten Geschenke in Empfang zu nehmen. Ich war zugegen und freute mich innig, als ich wahrnahm, daß Lieutenant Ives von dem Gouvernementseigentum einen so guten Gebrauch machte und die Indianer so freigebig belohnte. Rote wollene Decken, weißes Baumwollzeug, farbige Tücher, weiße Porzellanperlen, Tabak, Messer, kleine Spiegel und viele andere Gegenstände wurden in vier Haufen hingelegt; der eine Haufen, der doppelt soviel enthielt wie die übrigen, wurde Iretéba übergeben, die anderen dagegen durch das Los an seine Gefährten verteilt, deren kühnste Erwartungen bei weitem übertroffen waren. Man sah es den beglückten Leuten an, wie sie mit den Gedanken in ihrer fernen Heimat waren und Verwandten und Bekannten ihren ungeheuren Reichtum zeigten. Das freudige Erstaunen der wirklich dankbar gesonnenen Menschen wurde aber aufs höchste gesteigert, als Lieutenant Ives Iretéba mitteilte, daß er vom »Großen Großvater in Washington« beauftragt sei, ihm am folgenden Morgen für seine Treue und für seine Anhänglichkeit auch noch zwei Maultiere zu schenken, damit er auf bequemere Weise seine und seiner Gefährten Habseligkeiten in das heimatliche Tal schaffen könne. Auch hinreichende Lebensmittel sowie einige Küchengeräte wurden hinzugefügt, und als die braven Mohaves die ihnen von der Regierung zugedachten Gegenstände in Empfang genommen hatten und sich wieder in ihrer zutraulichen Weise im Lager umherbewegten, da regnete es von allen Seiten noch kleine Geschenke auf sie herab, und es war wohltuend zu beobachten, wie selbst der rohe und sonst so teilnahmslose Soldat sich ein Stückchen Tabak abdarbte, um dem einen oder dem anderen unserer rothäutigen Freunde ein kleines Andenken mit auf den Weg zu geben.

Die beiden Wallpay-Indianer wurden während der Nacht aufs strengste beaufsichtigt, und anscheinend sehr zufrieden mit der Behandlung, krochen sie in der Frühe des 5. April unter den dichten Zweigen eines Zedernbuschs hervor. Fast zu gleicher Zeit mit uns hatte Iretéba seine Tiere gesattelt und bepackt, und von jedem einzelnen Abschied nehmend, schritten die drei Mohaves zwischen den geschäftigen Leuten umher. Juckeye, der Yuma-Indianer, der aus bloßer Reiselust den Train ununterbrochen von Fort Yuma aus begleitet hatte, hegte indessen keine Neigung, jetzt schon heimzukehren, sondern erklärte, daß er sich später erst zusammen mit den Wallpays von uns trennen wolle. Er übergab daher mit dem seiner Rasse eigentümlichen Vertrauen auf die Rechtlichkeit der Stammesgenossen seine ganzen Schätze an Iretéba, bemerkte noch, daß er sich dieselben später abholen würde, und begab sich dann zu den beiden Wallpay-Führern, für die er eine innige Freundschaft zu hegen schien.

Die Mohaves gelangten endlich auch zu uns, und jeden beim Namen nennend, reichten sie uns die braune Hand zum Abschied. Iretéba war sichtlich gerührt, und in seinem einfachen Wesen, in seinem offenen Auge sprachen sich soviel Redlichkeit und soviel Treue aus, wie man nur in einem unverdorbenen Gemüt finden kann, und ich sage nicht zuviel, wenn ich behaupte, daß sich kein einziger in unserer Expedition befand, der nicht mit einer gewissen Wehmut den riesenhaften Mann mit der kindlich-harmlosen Seele von sich scheiden sah. Hamotamaque war ganz das Abbild von Iretéba, nur daß jugendlicher Frohsinn in dem schlanken Burschen noch überwiegend war. Als er Abschied von mir nahm, reichte er mir seine Waffen, nämlich Bogen und Pfeile, zum Geschenk; ich wies diese zurück und bedeutete ihm, daß er den weiten Weg nach dem Colorado nicht unbewaffnet zurücklegen dürfe, doch Hamotamaque bestand auf seinem Willen, er zeigte mit der Hand gegen Osten als die Richtung, in der meine Heimat liege, und wandte sich dann, um von mir zu gehen. Ich behielt die Waffen in meinen Händen, und als die Mohaves sich von uns trennen wollten, rief ich noch einmal den gutherzigen Hamotamaque, machte ihm verständlich, daß ich Bogen und Pfeile jetzt als mein Eigentum betrachte und deshalb ihm beides zurückschenke; ich löste darauf eine der zierlich geschlagenen Steinspitzen von dem befiederten Rohrschaft, steckte diese in die Tasche und hatte darauf die Freude, den Burschen als Krieger bewaffnet zu sehen.

Ich kann nicht leugnen, daß ich die Waffen sehr gern zum Andenken mitgenommen hätte, doch erschien es mir fast sündhaft, den drei Mohaves, die nur wenige Mittel zur Verteidigung bei sich führten, auch diese noch zu entziehen. Übrigens scheint es mir, daß der Stamm der Mohaves von den Gebirgsindianern entweder sehr gefürchtet oder sehr geliebt wird, denn aus dem Benehmen unserer Freunde entnahm ich, daß sie in ihrer einsamen Reise, solange sie sich nicht einem unzeitigen Schlaf hingeben würden, nichts Gefährliches erblickten.

Die drei Mohaves entfernten sich in südlicher Richtung; Colhokorao ritt das eine Maultier und führte das andere hinter sich an der Fangleine, während Iretéba und Hamotamaque langsam hinterher schritten; kein einziges Mal schauten sie sich nach uns um, wir aber blickten ihnen nach, bis sie hinter einem Felsvorsprung verschwanden.

Bald darauf begaben sich Juckeye und die Wallpays an die Spitze des Zuges und führten diesen an dem steilen Abhang hinauf, der sich nördlich von unserem Lager erhob. Es war ein überaus mühseliger Weg, und nur durch Hin- und Herwinden ermöglichten wir es überhaupt, die schwer bepackten Tiere zum Plateau hinaufzubringen, das ungefähr tausend Fuß hoch in einer einzigen Abstufung über der Quelle lag. Die Reiter führten ihre Tiere am Zügel, und oftmals mußten wir auf dem steilen Pfad halten, um nach der heftigen Anstrengung Luft zu schöpfen. Ich befand mich unter den ersten, die das Plateau erreichten, und rückwärts schauend, erblickte ich die lange Reihe des Zuges, dessen Ende trotz der vielfachen Windungen noch bis in die Tiefe hinabreichte. Schwer keuchten Menschen und Tiere, und langsam folgte eins dem anderen in der frisch gebrochenen Spur; Erdreich und Gestein, das sich unter den unsicheren Tritten löste, rollte niederwärts, hinderte und verletzte die Nachfolgenden, und nicht ohne Mühe gelang es, die wiederholt rastenden und verschnaufenden Tiere immer wieder in Bewegung zu bringen. Endlich hielt die ganze Expedition auf der Höhe, wo wir nach kurzem Aufenthalt unsere Reise gegen Nordosten fortsetzten.

Es lag nämlich in unserem Plan, um die Vereinigung der beiden Flüsse astronomisch bestimmen zu können, den Colorado da wieder zu berühren, wo sich der Colorado Chiquito in diesen ergießt. Da wir nun aus vielen sicheren Quellen wußten, daß wir uns in der Breite befanden, in welcher der Colorado die starke Biegung gegen Osten beschreibt, so konnten wir uns mit der Richtung, welche die Führer wählten, nur einverstanden erklären. Das Plateau, das sich nach barometrischer Messung über viertausend Fuß über dem Meeresspiegel erhob, erschien als eine weite, wellenförmige Ebene, die teilweise, besonders aber in den Niederungen, reich mit Zedern bewachsen war. Wir legten zehn Meilen an diesem Tag zurück und schlugen das Lager am Rand einer lichten Waldung auf, wo wir uns nur des Vorteils von etwas Gras und eines Überflusses an Holz erfreuten.

Um so bald als möglich Wasser zu erreichen, rüsteten wir uns am 6. April schon bei Tagesanbruch, als wir uns dann aber nach unseren Führern umschauten, erblickten wir deren nur noch zwei, und Juckeye erzählte uns mit einem fröhlichen Gesicht, daß der eine Wallpay aus Furcht vor der Kälte auf dem Plateau unter dem Schutz der Nacht das Weite gesucht habe. Es ist wahr, daß ein Temperaturwechsel, namentlich zur Nachtzeit, schon bemerkbar war, doch schrieben wir die Flucht des Indianers mehr seinem Widerwillen, uns zu dienen, als seiner Empfindlichkeit gegen eine rauhere Atmosphäre zu.

Wir reisten an diesem Tag nur vier Meilen, und zwar auf einem stark ansteigenden, kaum erkennbaren Pfad, der bald durch kleine, dunkelgrüne Zedernwaldungen, bald durch anmutige Lichtungen hinführte. Erst auf der letzten Meile gelangten wir zwischen zusammenhängende Hügelreihen, die den Anfang einer neuen, höher gelegenen Etage des Plateaus bezeichneten. Wir folgten einer wilden, mit niedrigen Tannen und Zederngestrüpp reich geschmückten Schlucht aufwärts und stießen dort mehrfach auf kleine Quellen sehr schönen Wassers, an denen wir zu halten geneigt waren, doch Juckeye, der sich durch den Wallpay einige Kenntnis des Landes zu verschaffen gewußt hatte, trieb uns immer weiter aufwärts, wobei er mit gewichtiger Miene von sehr viel Wasser sprach. Er hatte übrigens vollkommen recht, denn nach kurzer Zeit führte uns die Schlucht in ein schön gelegenes, von Hügeln und Überresten des Plateaus eingefaßtes Tälchen, in dem wir nicht nur einen großen Überfluß an klarem, trinkbarem Quellwasser, sondern auch nahrhaftes Gras für unsere Tiere fanden. Nicht wenig überraschte uns der Anblick einiger Schneebänke; es waren die letzten Überbleibsel größerer Anhäufungen, und die Feuchtigkeit des Bodens bewies, daß diese erst in jüngster Zeit vor den Strahlen der Sonne zergangen waren.

Erinnerte uns der Schnee daran, daß wir uns schon weit über fünftausend Fuß hoch über dem Meeresspiegel befanden, so zeugte die Anwesenheit der weißen Rocky-Mountains-Tanne noch sicherer von der hohen Lage des Bodens. Dieser schöne, regelmäßig gewachsene Baum, der dort erst vereinzelt umherstand, war eine doppelt anmutige Erscheinung für uns, als wir seit unserer Abreise von Kalifornien kaum etwas anderes als Wildnisse kennengelernt hatten, in denen die Baumvegetation nur sehr spärlich war. Bis zu achtzig Fuß hoch ragten diese Tannen über ihrer Wurzel empor, doch auch die Zedern nahmen dort schon mehr Baumform an und bildeten, zusammen mit einer niedrigeren Tannenart, auf weiten Strecken dichte und regelmäßige Waldungen.

Mit Rücksicht auf die rauhe Temperatur wählten wir zu unserem Lager eine Stelle, die nahe der Quelle am Abhang eines Hügels von drei Seiten durch dichtbezweigte Zedern laubenähnlich geschützt war, und angelockt durch die wildromantische Umgebung unternahm ich darauf einen weiteren Ausflug in südöstlicher Richtung. Ich vertiefte mich bald in ein Labyrinth von Schluchten, und geleitet von den Spuren eines Bären, entfernte ich mich immer weiter vom Lager. Nach langem, mühsamem Umhersuchen gab ich endlich diese Jagd als nutzlos auf und erstieg die Höhe des Plateaus, das sich dort nur gegen zweihundert Fuß über dem Boden der Schluchten erhob. Der Weg war hier ebener, doch vermochte ich auch dort nicht die Spuren von Wild festzuhalten, indem diese vielfach über weite Felsenflächen hinwegführten, auf denen sich nichts befand, was den Eindruck eines flüchtigen Fußes hätte annehmen können.

Die Decke des Plateaus bestand nämlich aus einer sehr starken Lage (100 Fuß) bläulichen Kalksteins (Muschelkalk) mit zahlreichen fossilen Muscheln, Polypenstöcken und Encriniten, welch letztere besonders schöne, wohlerhaltene Exemplare von Gelenkstücken zeigten. Wie ich während der letzten beiden Tage beobachtete, hatten wir bei unserem Ansteigen seit Zurücklassung der unteren Kohlenkalkformation eine sehr starke Lage (300 Fuß) roten Sandsteins mit Muscheln und Gips überschritten, danach eine Schicht (150 Fuß) braunen Sandsteins ohne Fossilien, dessen Proben sich noch in der Nähe des Lagers vorfanden, und zuletzt eine gelbe Kalksteinschicht mit Muscheln, auf der dann der bläuliche Muschelkalk ruhte.

Die südöstliche Richtung beibehaltend, erreichte ich endlich den Rand des Plateaus, von wo aus sich mir eine weite Aussicht über die niedrigere Stufe eröffnete, die wir an den beiden letzten Tagen durchreist hatten. Auf dem von uns beibehaltenen Weg waren wir gleichmäßig ansteigend auf die Höhe gelangt; hier aber, und soweit ich nach beiden Seiten hin wahrzunehmen vermochte, bildeten schroffe, mit der jenen Regionen eigentümlichen Vegetation bedeckte Abhänge die Verbindung zwischen den beiden Plateaus, die durch einen Höhenunterschied von achthundert Fuß voneinander getrennt waren. Der Horizont bestimmte in weitem Halbkreis von Nordosten nach Südwesten die Grenzen der Ebene, die sich scheinbar endlos im Süden vor meinen Blicken ausdehnte. Als Gruppen schwarzer Punkte, ähnlich zerstreut grasenden Viehherden, erschienen die fernen, lichten Zedernwaldungen, bis sie endlich in blauem Duft mit der Fläche verschwammen, und wie auf dem Ozean oder in Missouris Grasfluren wanderte das Auge ungehindert auf der scharf abhebenden Grenzlinie dahin, die kein Berg, kein Hügel unterbrach. Hinter mir sowie auch zu beiden Seiten erhoben sich der zerklüftete Rand und losgetrennte Überreste eines noch höher gelegenen Tafellandes; die Abhänge waren bewaldet, ebenso die in Bergform losgewaschenen Bruchstücke, doch überall traten die äußeren Merkmale der Straten hervor, die, regelmäßig geschichtet, sich übereinandertürmten.

Ich wandte mich zur Rückkehr ins Lager, als ich plötzlich die Annäherung flüchtigen Wildes vernahm, das unstreitig von einem anderen Jäger aufgescheucht worden war. Schnell warf ich mich auf den Boden, um mich kriechend demselben auf Schußweite zu nähern, doch das dichte Holz gestattete mir nicht einmal zu unterscheiden, was für Wild ich verfolgte, und nur durch ihre Spuren verrieten sich die scheuen Antilopen. Da die erschreckten Tiere sich zu beruhigen schienen, so schlich ich geduldig immer aufs neue heran und glaubte schon auf einen saftigen Braten rechnen zu dürfen, als plötzlich das ganze Rudel in der Entfernung von etwa hundert Schritt an mir vorüberstürmte. Ich sah nichts, aber an dem Stampfen und dem Brechen trockener Zweige erkannte ich die Eile, mit der die Flüchtlinge sich entfernten. Sehr leicht konnten einige dort umherstreifende Eingeborene diese Störung veranlaßt haben, und um daher nicht einem hinterlistigen Überfall ausgesetzt zu sein, zugleich aber auch den Grund der Bewegung zu erfahren, drückte ich mich unter den niederhängenden Zweigen einer Zeder dicht auf den Boden und lauschte. Kaum lag ich aber da, als wenige Schritte von mir zwei mächtige Wölfe aus dem Dickicht hervorbrachen und mit Aufbietung ihrer ganzen Kräfte den Antilopen nachsetzten. Ohne Zeitverlust richtete ich mich auf die Knie und schoß hinter den Bestien her, aber ein knorriger Stamm nahm die in der Übereilung abgesandte Kugel in Empfang, die eigentlich für den größten der beiden unheimlichen Jäger bestimmt gewesen war.

Dies war der ganze Erfolg meiner Jagd, von der ich mir soviel versprochen hatte; ich lud meine Büchse, als ich mich dann aber heimwärts wandte, wurde ich zu meinem nicht geringen Verdruß gewahr, daß ich im Jagdeifer zu weit gegangen war und nicht auf die Richtung geachtet hatte. Mein Taschenkompaß befand sich unglücklicherweise im Lager an meinem Sattel, und so blickte ich denn mißmutig zum bewölkten Himmel hinauf, wo ich den Stand der Sonne nicht entdecken konnte; ich hob den genäßten Finger empor, an dem sich keine Luftströmung fühlbar machte, und prüfte die Umgebung, die sich nach allen Richtungen hin ganz gleich ausnahm. Es blieb mir also nur noch übrig, meinen eigenen Spuren, die mich endlich an den Rand des Plateaus führen mußten, zurückzufolgen. Es war eine unangenehme und langweilige Arbeit, und stundenlang suchte ich zwischen den sich vielfach kreuzenden Abdrücken umher, ehe ich so weit gelangte, mit Sicherheit eine bestimmte Richtung einschlagen zu können. Ermüdet und hungrig kehrte ich endlich ins Lager zurück und erfuhr zu meinem Leidwesen, daß die übrigen Jäger nicht glücklicher gewesen waren als ich und daß einer derselben sogar vermißt wurde. Es war ein Soldat der Eskorte, doch da der Abend noch fern war und weit sichtbare Rauchsäulen den Lagerfeuern entstiegen, so glaubten wir auch keinen Grund zu ernstlichen Besorgnissen vorhanden und überließen es seinen Kameraden, ihn durch Signalschüsse herbeizulocken.

Immer dichter bewölkte sich gegen Abend der Himmel, der Wind verstärkte sich und mit diesem auch die Kälte, die einen nächtlichen Sturm verkündete. Tiefe Schatten senkten sich in die düsteren Zedernwaldungen, die Kronen der hohen Tannen wiegten sich, laut knarrten einzelne morsche Stämme, und noch immer war der vermißte Soldat nicht zurückgekehrt. Feuer wurden auf hochgelegenen Punkten angezündet und bis tief in die Nacht hinein unterhalten, doch auch dies hatte keinen besseren Erfolg als die Signalschüsse, und mit tiefem Bedauern um den Menschen, den wir für verirrt und danach für verunglückt halten mußten, wurden alle weiteren Versuche zur Rettung desselben oder zur Aufklärung über das Geschick, das ihn betroffen hatte, bis auf den folgenden Morgen verschoben.

In unheimlicher Weise sang der Sturm während der Nacht zwischen den Nadeln der Tannen und Kiefern, unhörbar senkten sich dichte Schneeflocken auf die straffen Wände der Zelte, und als wir am Morgen ins Freie schauten, wurden wir fast geblendet von einer zolltiefen Schneedecke, in die Berg und Tal gehüllt waren. Ein bleifarbiger Schleier verdeckte noch immer den Himmel, hoch oben zeichneten die Flocken vor dem Nordwind gerade Linien, doch kaum berührten sie die von Baum und Berg geschützten Luftschichten, so begannen sie sich zu wiegen und wie spielend einander zwischen den Tannen umherzujagen, bis irgendein neidischer Zweig sie auffing oder die eigene Schwere sie niederzog zu ihren Gefährten, die regungslos am Boden lagen und ihr Ende gleichsam erwarteten. Wer jemals mit Aufmerksamkeit das stets wechselnde Spiel leise fallender Schneeflocken beobachtete, dem erschien es auch wohl, als ob jedes Flöckchen ein Leben besäße und dem eigenen Willen gehorchte; sind wir nun geneigt, auf solche Weise tote und starre Gegenstände mit reger Phantasie zu beleben, so finden wir leicht und überall die ansprechendste Unterhaltung, und oft bietet uns das Beobachten von Naturszenen, die an sich unscheinbar sind, reichen Stoff zum Nachdenken.

Die Betrachtungen über das anmutige Schauspiel des Schneefalls wurden bald unterbrochen durch die Nachricht, daß der verirrte Soldat noch nicht zurückgekehrt sei. Der Aufbruch der Expedition wurde daher verschoben und man sandte sogleich Patrouillen nach allen Richtungen hinaus, um die Spuren des mutmaßlich Verunglückten zu suchen, welche Arbeit der noch immer anhaltende Schneesturm bedeutend zu erschweren versprach. Stunde auf Stunde verrann; das Mitleid mit dem Vermißten sowie der Gedanke an seine Qualen behielten bei allen im Lager das Übergewicht und ruhten wie ein trüber Schatten auf unserer sonst so fröhlichen Gesellschaft. Einer nach dem anderen kehrten die Kundschafter zurück; sie waren weit in der Gegend umhergestreift, sie hatten mit dem Horn und mit der Muskete Signale gegeben, sie hatten sogar den Baum entdeckt, unter dem der Vermißte vor einem kleinen Feuer die Nacht zugebracht hatte, doch von dort ab waren alle Spuren wieder verschneit, und zur späten Nachmittagsstunde rückte die letzte Patrouille ins Lager, ohne Kunde von dem Verirrten zu bringen. Wenn wir ihn auch noch nicht vollständig aufgaben, so durften wir doch um unserer selbst willen an jener Stelle keine Zeit mehr verlieren, und es wurde daher beschlossen, am folgenden Morgen aufzubrechen, jedoch auf der verlassenen Lagerstelle Lebensmittel zurückzulassen, die dem Verirrten, im Falle er dort eintreffen sollte, in die Lage versetzen konnten, unserer Spur zu folgen und uns einzuholen.

Der Himmel hatte sich am Nachmittag wieder aufgeklärt, der Schnee war vor dem Tauwind zergangen, und als es zu dämmern begann, zierten nur noch spärliche weiße Streifen die Abhänge, wo der Sturm größere Schneemassen zusammengefegt hatte. Es war empfindlich kalt, und um die Abendstunden auf behaglichere Weise vor dem Feuer hinbringen zu können, bauten wir aus Zedernzweigen eine Laube, die von der einen Seite die eisige Luft abhielt, während auf der anderen ein tüchtiger Scheiterhaufen wohltuende Wärme ausströmte.

Plötzlich vernahmen wir bei unserer Arbeit fröhliche Ausrufe, die vom Lager der Soldaten zu uns herüberschallten. Der Vermißte war endlich wieder eingetroffen, und um die näheren Umstände seines Ausbleibens und die etwa überstandenen Abenteuer kennenzulernen, schritten wir zum Feuer hinüber, wo der halbverhungerte Mensch mit Lebensmitteln überhäuft und mit Fragen bestürmt wurde. Nur mit der geladenen Muskete und drei Patronen in der Tasche hatte er, getrieben von Jagdlust, sich am vorhergehenden Tag aus dem Lager entfernt. Ein Soldat, der gewohnt ist, die Wege, die er zu gehen hat, genau vorgeschrieben zu finden, verabsäumt leicht, auf dergleichen Zügen sich mit seiner Umgebung insoweit vertraut zu machen, daß er wenigstens seine eigenen Fußstapfen aufnehmen und zurückverfolgen kann. So war es auch ihm ergangen, denn noch keine zwei Stunden war er in den Schluchten umhergestreift, als er sich verirrt hatte und bei dem Versuch, wieder zu uns zu stoßen, immer tiefer in die Wildnis hineingeriet. In der Furcht, daß die Expedition am folgenden Morgen die Reise ohne ihn fortsetzen würde und dann einen sicheren Untergang vor Augen sehend, verlor er die ruhige Überlegung, und planlos, gleichsam einem Instinkt folgend, eilte er in einer Richtung dahin, die ihn immer wieder auf denselben Punkt zurückführte, was ihm vollends die letzte Spur von Nachdenken und Überlegung raubte. Die einbrechende Nacht nötigte ihn endlich, sich unter einer Zeder hinzuwerfen, und dort erwartete er schlaflos, gepeinigt von Hunger und Durst, den Anbruch des Tages.

Kaum graute der Morgen, als aus dem Lager das Hornsignal schwach, aber deutlich zu ihm drang. Er raffte sich auf und eilte darauf zu, doch mußte er, getäuscht durch das Echo, die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen haben, denn er irrte noch den ganzen Tag umher, anstatt daß, wenn er eine Stunde länger unter dem Baum gewartet hätte, eine der Patrouillen ihn gefunden haben würde.

Da wir jetzt keinen Grund mehr hatten, um ein Menschenleben besorgt zu sein, so kehrte auch der alte Frohsinn zurück, und bald darauf lagerten wir uns im Kreis um das mit wohlriechendem Zedernholz genährte Feuer; die künstlich errichtete grüne Wand hielt den rauhen Nordwind ab, Zweige und Decken schützten uns gegen die Feuchtigkeit des Bodens, die Sterne funkelten, die Pfeifchen dampften, und aufmerksam lauschte jeder dem redseligen Peacock, dessen Erzählung nur hin und wieder von ihm selbst durch einige sehr derbe Bemerkungen unterbrochen wurde, wenn ein neckischer Luftzug die Flammen erreichte und ihm den ätzenden Rauch in die Augen trieb.


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