Balduin Möllhausen
Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas – Band 1
Balduin Möllhausen

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Viertes Kapitel

Der Santa-Clara-Fluß – San-Francisquito-Cañon – San-Francisquito-Paß – Der erste Schnee – Der Elisabeth-See – Spuren von Erdbeben – Das große Becken (Great Basin) – »Irish John« – Der Castecasee – Cañada de las Uvas – Fort Tejon – Ausflug nach dem Tularetal – Kern Lake – Kern River

Die Wagen langten endlich an, und herein traten meine vom kalten Wind durchwehten Gefährten, denen sogleich Platz vor dem Kaminfeuer gemacht wurde. Unsere Leute schickten wir mit dem Gepäckwagen voraus, mit der Weisung, im San-Francisquito-Cañon am ersten Wasser das Nachtlager aufzuschlagen. Wir selbst brachten noch einige Stunden in dem Blockhaus zu, und erst kurz vor Abend verließen wir Hearts Farm, von wo wir zuerst in ein breites, sandiges, von Gebirgsketten eingeschlossenes Tal gelangten. Massenhaftes Treibholz auf der Ebene sowie in trockenen, sandigen Betten von Bächen bezeichnete uns den oberen Santa-Clara-Fluß, der an dieser Stelle nur beim Schmelzen des Schnees in den Gebirgen oder nach heftigen Regengüssen Wasser führt, zu anderen Zeiten aber, auf das Wasser zahlreicher Gebirgsquellen beschränkt, dasselbe streckenweise auf unterirdischem Weg der Südsee zuträgt, während auf der Oberfläche, in dem wirklichen Flußbett und den einmündenden aufgewühlten Furchen, der Wind trockenen Sand und Staub umherwirbelt.

In raschem Trab eilten unsere Pferde mit dem leichten Wagen über die acht Meilen breite Fläche gegen Norden; die Gebirgsketten rückten uns zu beiden Seiten näher, und bald befanden wir uns in dem Schatten einer sich schnell verengenden Schlucht, umgeben von nächtlicher Dunkelheit. Fast bereuten wir es, so lange bei dem alten Ansiedler gesäumt zu haben, denn zu der schwarzen Finsternis gesellte sich noch ein heftiger Sturm, der uns feinen Sand in die Augen trieb und die Pferde unlenksam machte. Wir fuhren an einer verlassenen Hütte vorbei und dann an einer anderen, aus der uns Licht entgegenschimmerte; doch hielten wir uns nicht auf, indem wir wußten, daß wir den rechten Weg nicht verfehlt hatten und im San-Francisquito-Cañon unmöglich an unseren Leuten vorbeifahren konnten. Endlich bog das enge Tal gegen Osten ab, ein fließender Bach durchschnitt mehrfach die Straße, die unebener und steiniger wurde, und bald darauf erblickten wir in geringer Entfernung vor uns die Kronen der Bäume sowie die nahen Felswände rot erleuchtet, während dichtes Unterholz das Feuer selbst noch verbarg. Wir erkannten indessen die fröhlichen Stimmen der Mexikaner; einzelne Lichtstrahlen brachen verstohlen durch das Gebüsch, und plötzlich befanden wir uns vor einem mächtigen Scheiterhaufen, um den sich unsere Leute gelagert hatten. Es war dies die erste Nacht, die wir im Freien zubringen sollten, und es gab daher manches zu suchen und zu fragen; auch die ungewohnte Arbeit des Aufrichtens der Zelte nahm längere Zeit in Anspruch, und so wurde es denn ziemlich spät, ehe wir uns in unsere Decken wickelten und vielleicht noch ein Weilchen das Geräusch in unserer Umgebung vernahmen, bis der Schlaf uns endlich alles vergessen machte. – Das trockene Holz in den Lagerfeuern knisterte, die harten Maiskörner knackten und krachten zwischen den zermalmenden Zähnen der Pferde, der Ziegenmelker ließ seine melancholischen Ruf ertönen, hoch oben im Gebirge aber heulte der Sturm seine wilde Melodie, im heftigen Andrang schmetterte er morsche Baumstämme zu Boden und fegte niedrig hängende Wolken über diese hin, während unten in der Schlucht die belaubten Bäume sich leise wiegten und die vom Herbst getöteten Blätter zitternd und lispelnd zu Boden sanken.

Am folgenden Morgen, dem 13. November, in aller Frühe rüsteten wir uns zur Weiterreise. Der Wind hatte sich gelegt, das Wetter war so schön, so klar, die Kuppen der Berge schwammen in Sonnenschein, und im Schatten der Felsen und Bäume führte die Straße dahin, die der San Francisquito Creek mit seinen Schlangenwindungen immer von neuem durchschnitt. Verlockt durch den schönen Morgen, eilte ich dem Wagen voraus und ergötzte mich bald an der malerischen Umgebung, bald an dem Treiben der kleinen Tierwelt, welche die Schlucht vielfach belebte. Es war dies das erstemal, daß ich mich seit dem Antritt meiner Reise wieder von Herzen glücklich fühlte, zum erstenmal, daß ich mich wieder ungestört einem Genuß hingeben konnte, den allein die Natur liebreich ihren warmen Verehrern zu gewähren vermag. Mit inniger Freude denke ich an jenen Morgen zurück, wo ich in der Krone jedes Baumes, in jedem hervorragenden Felsen, in jedem Spiegel und jedem kleinen Fall des klaren Baches einen Gruß für mich zu finden meinte. Ich horchte auf den lauten Flügelschlag der auffliegenden Tauben, auf das ernste Schnarren der zänkischen Häher und auf das tausendfache Locken der reizenden Rebhühner, die eben ihren Frühtrunk genommen hatten und spielend ins Gebirge eilten. Ich sah flinke Wiesel und neugierige Eichhörnchen, die bei meiner Annäherung scheu flohen und sich hinter Steinen oder in Höhlen verbargen; ich beobachtete sie, wie sie aus ihrem Versteck mit gerecktem Hals und klugen Augen zu mir herüberschauten und dann, sobald ich an ihnen vorbei war, schnell hervor- und auf einen erhöhten Gegenstand sprangen, sich aufrecht hinsetzten, mir gleichsam verwundert nachguckten und endlich in drolligen Sprüngen sich wechselseitig jagten. Ich sah alles, und von allem nahm ich eine freundliche Erinnerung mit; ich sah auch einen Wolf, aber nur in weiter Ferne; er schien dort nicht hinzugehören.

Meile auf Meile legte ich zurück auf dem vielbefahrenen Weg. Es war dies nämlich die Emigrantenstraße, die von Pueblo de los Angeles durch den Tejonpaß nach den Tularetälern und den Goldminen am San-Joaquin-Fluß führt. Zu beiden Seiten erblickte ich Sandstein und Granitfelsen, doch schien höher hinauf letzterer vorherrschend zu sein. – An den Basen der Berge und auf den Ufern des Baches erkannte ich außer Cottonwood-Bäumen auch Platanen und Eichen, während an den Abhängen der Berge sich in Gruppen der bekannt schöne Manzanitastrauch und der Sägebusch zusammendrängten, zu denen nahe den Gipfeln noch verkrüppelte Zedern kamen.

Als ich tiefer ins Gebirge gelangte, wurde die Straße unwegsamer, denn wie die Zähne einer Säge faßten die Basen der Berge ineinander, und in diesem Zickzack tobte der kleine Bach über losgerissene Felsblöcke mir entgegen. Nur langsam folgten die Wagen, die an den abschüssigen Ufern kaum im Gleichgewicht zu halten waren. Schon in einer Höhe von 1500 Fuß lag Schnee, doch herrschte in der Schlucht die angenehmste Temperatur, hervorgerufen durch die Sonnenstrahlen, welche die Felsen erwärmten, sowie durch den Schutz, den die Gebirgszüge gegen den rauhen Wind gewährten.

Vier Meilen von dem höchsten Punkt des San-Francisquito-Passes erweiterte sich die Schlucht zu beiden Seiten und bildete ein malerisches kleines Tal. Zahlreiche Quellen entrieselten dort fruchtbarem Boden, was einige vorüberreisende Familien wahrscheinlich angelockt hatte, sich dort anzusiedeln; ich erblickte nämlich zwei Gehöfte, die von eingefriedeten und wohlbestellten Feldern umgeben waren, auf denen stattliches Vieh träge umherschritt.

Dort nun, unter einer knorrigen, weitverzweigten Eiche, hielten wir an, um die Nacht hier zuzubringen. Es war zwar noch früh, doch kannten wir nicht genau die Entfernung bis zum nächsten Wasser; und auch der Widerwille gegen ein Nachtlager im Schnee hielt uns ab, eine so bequeme Stelle zu verlassen und an diesem Tag noch weiter hinaufzureisen. Gleich Herrn von Egloffstein benutzte ich daher die Zeit, um die nächsten Höhen zu ersteigen und von dort aus einen Blick auf die vor uns liegende Schneelandschaft zu werfen, durch die am folgenden Tag unser Weg führen sollte.

Am 14. November, nach Zurücklegung der ersten zwei Meilen, befanden wir uns schon in winterlichen Regionen; zwar anfangs nur in geringem Maße, doch als wir den höchsten Punkt des Passes (3437 Fuß ü. d. M.) erreichten, wurde das Geräusch der nun wieder abwärts rollenden Wagen durch zwei Zoll tiefen Schnee gedämpft. Die Baum- und Strauchvegetation schien hier ihr Ende erreicht zu haben; kahle Hügel drängten sich dicht aneinander und bildeten die östliche Grenze des vor uns liegenden Elisabethtals, während es die von uns überschrittene Gebirgskette (San Bernardino Range) im Süden sowie eine unbedeutendere gegen Norden einfaßten. Westlich, in weiter Ferne, schienen diese beiden Bergketten zusammenzustoßen und ein langes, schmales Becken zu bilden.

Wir gelangten bald ins Tal hinab, wo wir in einem roh gezimmerten Haus von den mexikanischen Bewohnern desselben frisches Fleisch erstanden und dann unsere Reise ohne weiteren Zeitverlust in nordwestlicher Richtung fortsetzten. Hier fanden wir die ersten Spuren des Erdbebens, das im Jahre 1856 diesen Teil Kaliforniens so sehr erschütterte und im ganzen Staat bis hinunter nach Fort Yuma gefühlt wurde. Es war eine ungefähr sechzehn Fuß breite Furche, die sich, soweit das Auge reichte, von Osten nach Westen erstreckte und die anscheinend dadurch entstanden, daß der Boden sich weit geöffnet und dann wieder mit unwiderstehlicher Gewalt geschlossen hatte. Nach den Aussagen der Bewohner der Hütte erstreckte sich diese Furche viele Meilen weit. Einige Tage später hatte ich Gelegenheit, in der Nähe des Tularetals, also noch fünfzig Meilen weiter, über die Wirkungen dieser furchtbaren Erderschütterung zu staunen.

Als wir die östliche Spitze des Elisabethsees erreichten, teilte sich unsere Straße, indem ein Weg geradeaus zwischen dem See und der nördlichen Bergkette hinführte, der andere dagegen in einen nördlich gelegenen Paß einbog. Wir wählten den letzteren und waren bald von Höhen umgeben, deren Felsen, wo sie der Schnee nicht bedeckte, hauptsächlich Sandsteinformation zeigten. Die Zurücklegung der nächsten zwei Meilen, auf welcher Strecke die Straße sich stark senkte, brachte uns an das Ende des Passes und zugleich wieder aus dem Schnee. Nach einer kurzen Fahrt zwischen runden, kahlen Hügeln gewannen wir endlich eine weite Aussicht über den westlichen Winkel des Großen Beckens (Great Basin),Das Utah-Territorium oder Great Basin, von Col. Frémont zuerst so benannt (im Jahre 1845; »Frémont's report of the exploring expedition to the Rocky mountains, and to Oregon and to North California, House Doc. No. 166«, 1845), weil die Wasser in demselben keinen Abfluß nach außen haben, umfaßt die ungeheuren Länderstrecken zwischen der Sierra Nevada im Westen und den Wahsatch-Gebirgen im Osten sowie zwischen den San-Bernardino-Gebirgen im Süden und dem Snake River im Norden mit einer durchschnittlichen Breite nach allen Richtungen hin von 500 bis 700 Meilen. Die Erscheinung dieses vollständig abgeschlossenen Beckens ist um so auffallender, als seine Oberfläche sich zu der bedeutenden Höhe von 4000 bis 6000 Fuß über dem Meeresspiegel erhebt (nach Frémont). Die Oberfläche ist indessen nicht, wie man vielleicht vermuten sollte, eine ununterbrochene Ebene, sondern Gebirgszüge erheben sich mauerartig auf derselben und fassen kesselförmig umfangreiche Täler ein, in deren Mitte langgestreckte Gebirgsabhänge, schiefe Ebenen bildend, auslaufen. Ähnliche Täler und schiefe Ebenen hatte ich Gelegenheit im Stromgebiet des Colorado zu beobachten.

Die Trockenheit des Great Basin kann wohl mit Recht in Zusammenhang mit der langen Kette der Sierra Nevada gebracht werden, die sich wie ein Wall zwischen ersterem und der Südsee hinzieht und mit ihren hohen Gipfeln den Niederschlag der Feuchtigkeit bewirkt, welche die Seewinde sonst landeinwärts treiben würden.

das die ungeheuren Länderstrecken zwischen der Sierra Nevada und den Wahsatch-Gebirgen beinhaltet. Gegen Westen, wohin unser Weg führte, reichte das scheinbare Seebett noch 30 Meilen, und zwar bis dahin, wo die südwestlichen Ausläufer der Sierra Nevada sich mit den nordwestlichen Verlängerungen der San-Bernardino-Gebirge berührten und den Winkel bildeten. Nördlich von uns, auf der andern Seite der Ebene, erstreckten sich die südlichen Abhänge der Sierra Nevada weithin gegen Nordosten, sich allmählich in nebligen Duft hüllend und endlich der ununterbrochenen Fläche des Großen Beckens Raum gönnend, aus der am fernen Horizont, ähnlich der Mirage, die unbestimmten Linien von abgesonderten Berggipfeln auftauchten.

Wir befanden uns 3219 Fuß über dem Meeresspiegel, also niedriger als am frühen Morgen. Unsere Straße, die sich an der Basis der südlichen Gebirge hinzog, war von hier ab wieder sanft ansteigend; dagegen rechts von uns, nach der Mitte der Ebene zu, senkte sich das Land in einem stärkeren, aber durchaus gleichmäßigen Grad. Dort zieht sich das fast beständig trockene Bett eines Flusses hin, das sich nach der Mitte des Großen Beckens zu erstreckt, vielleicht auch in einiger Entfernung ganz verschwindet. Die Gebirge waren, soweit man zu unterscheiden vermochte, an den Abhängen der Schluchten und in den Schluchten selbst mehr oder weniger mit Zedern und Tannen bewachsen, auf der Ebene hingegen suchte das Auge vergebens nach Vegetation. Nur der Yucca- oder spanische Bajonettbaum schien der wüstenähnlichen Sandfläche eigentümlich zu sein, denn mehrfach sah ich ihn förmlich kleine Wälder bilden, häufiger aber in Gruppen und vereinzelt in der Ferne emporragen. In letzteren Fällen hatte dieser Baum gewöhnlich eine auffallende Ähnlichkeit mit Menschen oder Viehherden, so daß es gewiß oftmals schwer gewesen sein würde, richtig zu unterscheiden, wann die Gegend überhaupt auf diese Weise belebt gewesen wäre. Ganz ohne Leben war indessen diese Sandwüste nicht; schön gezeichnete Antilopen beobachteten uns scheu aus weiter Ferne; Scharen leichtbeschwingter Sandpfeifer liefen emsig hin und her, wobei sie gelbe Raupen aus dem dürren Boden suchten; und als ich für unsere Küche sorgend einigemal unter diese Vögel schoß, erschienen plötzlich, herbeigelockt durch den Knall, zwei Wölfe, die mit gespitzten Ohren meine Bewegungen bewachten und nach meiner Entfernung vielleicht die Überreste einer Antilope zu finden hofften.

Der Weg war ausgezeichnet, leicht rollten die Wagen auf dem tennenähnlichen Boden dahin, in raschem Trab wurde die letzte Hälfte unseres Tagesmarsches zurückgelegt, und nur wenn wir durch eine aus dem Gebirge nach der Mitte der Ebene zu auslaufende Schlucht setzten, trat einige Verzögerung ein.

Ungefähr acht Meilen von der Stelle, wo runde Hügel den westlichen, spitzen Winkel des Großen Beckens abschneiden, liegt auf einer kahlen Fläche, die tief ins südliche Gebirge hineinreicht, ein einsames Blockhaus. Dieses ist von einem fest eingefriedeten Hof umgeben, in dessen äußerster Ecke sich ein kleiner Pferdestall befindet. Eine Quelle dicht bei dem Gehöft hat Veranlassung zur Errichtung desselben gegeben, denn außer gutem Wasser mangelt es dort an allem, was sonst zum Leben nicht nur bequem, sondern was auch notwendig ist. Das nächste Holz ist nämlich vier Meilen weit von der Quelle entfernt, den Hof umgibt unfruchtbarer, kiesiger Boden, und zum Überfluß ist die ganze Lage so, daß jeder Sturm mit Leichtigkeit seinen Weg zu der einsamen Wohnung findet. Diese Stelle nun sowie ihr Besitzer sind weit und breit unter dem Namen »Irish John« bekannt. Die Straße führt hart an der Tür vorbei, und fast jeder, der dort vorüberreist, ist durch die Umstände gewissermaßen gezwungen, beim »Irish John« einzukehren; der eine, um zu übernachten, der andere, um eine Mahlzeit für sich selbst und Futter für seine Tiere zu erstehen, viele aber auch, um den schlechten Whisky des Irländers zu prüfen. Natürlich müssen für alles höchste Preise gezahlt werden; wie könnte auch sonst ein einzelner Mensch in dieser öden Wildnis sein Leben dahinschleppen, wenn ihm nicht auf irgendeine Weise Vorteil daraus erwüchse? Und daß »Irish John« Geschäfte zu machen versteht, geht am besten daraus hervor, daß ihm drei Monate vor unserer Ankunft achthundert Dollar, die er noch nicht sicher angelegt hatte, geraubt werden konnten, bei welcher Gelegenheit ihm noch, als er sich zur Wehr setzte, durch einen Pistolenschuß die halbe Nase und die halbe Backe weggerissen wurden. Dieser Raubüberfall hatte ihn denn endlich dazu bewogen, noch einen Menschen zu sich ins Haus zu nehmen. Die achthundert Dollar waren indessen fort, die entstellenden Wunden dagegen wieder geheilt, und so bin ich denn wirklich unfähig, zu entscheiden, was dem Irländer mehr Kummer verursacht: ob nämlich der Verlust des Geldes, die tiefen Narben in seinem Gesicht oder der Umstand, daß es ihm nicht gelungen ist, dem Räuber einen tüchtigen Messerstich mit auf den Weg zu geben.

Der Nähe der Quelle wegen schlugen wir also beim »Irish John« unser Nachtlager auf. Holz mußten wir natürlich von dem berechnenden Iren kaufen – was keine geringe Ausgabe verursachte –, da die kalten Abend- und Morgenstunden ein tüchtiges Lagerfeuer wünschenswert machten und der »ehrliche« John es angemessen fand, Gouvernementsausgaben, für die er die unsrigen erkannte, doppelt zu berechnen. »Uncle Sam ist reich und kann zahlen«, bemerkte er in wohlwollendem Ton, als er das empfangene Geld in seine Tasche schob.

Auf den Rat unseres »ehrlichen« Wirts verließen wir am 15. November die Hauptstraße und schlugen eine mehr östliche Richtung ein, die uns auf kürzerem, wenn auch nicht besserem Weg nach Fort Tejon bringen sollte. Nach einem mühseligen Marsch durch die sandige Ebene erreichten wir die Sierra Nevada und lenkten auf dem wenig befahrenen Weg in eine weite Schlucht, die stark ansteigend auf die Höhe der nächsten Bergkette führte. Eine angenehme Überraschung gewährte mir dort der veränderte Charakter der Umgebung. Es war nicht mehr das Wüstenähnliche, welches das Auge so leicht ermüdet, sondern eine Vegetation, die durch Kraft und malerische Verteilung die ansprechendste Unterhaltung gewährte. Mächtige Eichen standen verstreut umher, hier mit den weitverzweigten Kronen sich berührend, dort den Sonnenstrahlen Öffnungen lassend, durch welche diese ihren Weg zu den rotblätterigen Sumachstauden und Brombeerranken fanden, deren dichte Gruppen eigentümlich gegen den gebleichten Rasen kontrastierten. Auf der Höhe entdeckten wir in dem schwindenden Schnee frische Spuren von Wagen und zahlreichen Maultierherden, welche auf die Nähe des Militärpostens deuteten und zugleich den von uns einzuschlagenden Weg bezeichneten, der in einer schroffen, engen Schlucht gegen Norden abwärts führte.

Wir befanden uns dort oben in einer Höhe von 4256 Fuß über dem Meeresspiegel. Vor uns, jedoch 1000 Fuß tiefer, lag die Cañada de las UvasDiese Schlucht windet sich in nördlicher Richtung durch das Gebirge dem Tularetal zu. Die schroffen, spärlich mit Zwergeichen geschmückten Seitenwände zeigen die Formation der Sierra Nevada, freilich nur im kleinsten Maßstab, nämlich granitisches und metamorphosiertes Gestein, das am südlichen Ende der Cañada in erhöhtem Grad mit der tertiären Formation bedeckt ist. und in derselben versteckt Fort Tejon, unser Bestimmungsort. Ohne Unfall gelangten wir auf dem abschüssigen, für Wagen so gefährlichen Pfad hinab in das Castecatal, das eine reizende, von hohen Bergen eingeschlossene und mit kräftigen Eichen eingefaßte Grasebene bildet. Das Tal hat von Osten nach Westen eine Länge von ungefähr zwei Meilen, ist vielleicht halb so breit und nach einem kleinen See benannt worden, von dem zur Zeit unserer Ankunft nur das flache, ausgetrocknete und mit einer dicken Salzkruste überzogene Bett sichtbar war. Wir fuhren quer durch das Salzfeld des Casteca LakeDas Salz in dem Seebett ist augenscheinlich bei der Verdunstung des Wassers zurückgeblieben, das sich dort zu nassen Jahreszeiten ansammelt. Dasselbe bildet eine mehrere Zoll starke, weiße Kruste, die, einem kleinen Schneefeld nicht unähnlich, einen eigentümlichen Kontrast zu der grünenden Umgebung bildet. Die Winde entführen in Wolken oder Wirbelwindsäulen den Salzstaub und bestreuen die Nachbarschaft in weitem Umkreis mit dem weißen Pulver, das dann zu anderen Zeiten von dem niederströmenden Wasser wieder in das Seebett zurückgewaschen wird.

Das Salz rührt wahrscheinlich von den tertiären Aufschwemmungen her, die sich zahlreich in jener Gegend befinden, und ist von der niederschlagenden Feuchtigkeit oder von Quellen durch Filtrierung ausgeschieden. Da der See eine umfangreiche Strecke dieser Formation entwässert und keinen Abfluß hat, so unterliegt es keinem Zweifel, daß die Masse des Salzes von Jahr zu Jahr langsam im Zunehmen bleibt. Süßwasserseen können also allmählich salzig werden, indem sie das Salz einer älteren Seeformation und nicht, wie in den meisten Fällen, der Verdunstung von Gewässern entnehmen, welche im Laufe der Zeit vom Ozean getrennt wurden. – Das Salz des Castecasees ist bitter und widerlich, wahrscheinlich infolge des Vorhandenseins von Chlormagnium. Auch Pflanzen, die dem Strand des Ozeans eigentümlich sind, wachsen in der Nähe des Castecasees.

und gelangten am nördlichen Rand der Ebene wieder in unsere gute alte Straße, der wir, auf den Rat des Irländers, eine kürzere, dagegen viel unwegsamere, vorgezogen hatten.

Das San-Amédio-GebirgeDiese hervorragende Gruppe bildet gewissermaßen das südwestliche Ende der Sierra Nevada oder vielmehr die Scheidewand zwischen letzterer und den Küstengebirgen. Jedenfalls aber gehört sie mit zum System der Sierra Nevada und zeigt wie diese granitisches und metamorphosiertes Terrain, umgeben von tertiärer Formation. Bedeutende Massen von Schwefelantimonerz befinden sich in den Schluchten dieses Gebirges. mit seinen beschneiten Kuppen (7000 Fuß ü. d. M.), das die nordwestliche Grenze des eben beschriebenen Tals bildet, wurde unseren Blicken entzogen, als wir in die Cañada de las Uvas einbogen, welche nunmehr als eine breite, sich gegen Norden verengende Schlucht vor uns lag. Zu beiden Seiten erhoben sich, bis zu einer Höhe von 3000 Fuß über ihrer Basis, Berge, die nur eine spärliche, verkrüppelte Baumvegetation trugen, dafür schmückten die Niederungen doppelt der üppige Graswuchs sowie die riesenhaften Eichen. – Die ganze Umgebung war ansprechend und einladend und nahm an Schönheit zu, als wir auf dem ebenen Weg tiefer in die Cañada hineinfuhren. Ein klarer Bach schlängelte sich durch die Wiesen und Gärten; Häuser, Ställe und Einfriedungen traten allmählich hervor; Pferde und Kühe weideten an den Abhängen, und arbeitende wie müßige Leute, größtenteils in der Uniform der Armee der Vereinigten Staaten, bewegten sich in allen Richtungen.

Etwa zwei Meilen von Castecatal, wo durch das Einmünden von Nebenschluchten die Cañada erweitert wird, liegt unter den westlichen Abhängen auf einer sanft ansteigenden Fläche der junge Militärposten Fort Tejon, doppelt geschützt durch die zu beiden Seiten und im Rücken aufstrebenden Berge. Man kann sich kaum einen freundlicheren Anblick denken als den, der dem Reisenden geboten wird, wenn er, der Hauptstraße folgend, dem Fort gegenüber angekommen ist. – Graue, von Adobes zierlich aufgeführte Häuser mit langen Verandas bilden den Hof in Form eines länglichen Vierecks, und außerordentlich große Eichen, von der Natur selbst in gleichmäßigen Zwischenräumen gepflanzt, beschatten und verstecken die Gebäude nur so weit, als notwendig ist, um dieselben auf anmutige Weise durchschimmern zu lassen. Ordnung und Reinlichkeit sind weithin auf dem Hof und in der nächsten Umgebung erkennbar und verraten militärische Einrichtungen, selbst auch dann, wenn die nachlässig auf und ab schreitenden Schildwachen sich den Augen zeitweise entziehen oder die Kronen der hohen Bäume den in der Mitte des Hofs aufgestellten Flaggenstock verbergen. Hinter dem Fort führt eine bewaldete Schlucht in die Berge, welche, wie ein zusammenhängender Wall, die ganze westliche Seite der Cañada abschließen und ein Bild vervollständigen helfen, auf das ich lange und mit inniger Freude schaute.

Freundlich wie das Bild war auch der Empfang, der uns von den Offizieren des Postens zuteil wurde, und mit Recht kann ich sagen, daß ich den Aufenthalt in Fort Tejon und dessen Umgebung mit für den fröhlichsten Teil meiner ganzen Reise halte und daß freundlich wie das Bild auch die Rückerinnerungen sind, die sich an jene Zeiten knüpfen.

Nachdem der kommandierende Offizier, der Dragonerleutnant Mercer, mit den Aufträgen, die uns dorthin führten, bekannt gemacht war, begleiteten er selbst sowie die übrigen Beamten und Offiziere des Postens uns weiter abwärts in die Schlucht an eine Stelle, die sich vorzüglich zum Lagerplatz eignete. Während nun dort der sorglose Peacock und der schüchterne Taylor den Leuten nähere Anweisungen hinsichtlich ihres Dienstes gaben, die in Los Angeles angenommenen Fuhrleute ablohnten und zurücksandten, gingen Egloffstein und ich mit den Offizieren zurück nach ihren Quartieren, wo wir alle auf das Zuvorkommendste eingeladen wurden, während unserer Anwesenheit in dortiger Gegend im Fort selbst zu wohnen. Natürlich nahmen wir das Anerbieten mit Freuden an und verteilten uns, wie es der Zufall gerade fügte. Dr. Ten Broek, der Arzt der Station, eröffnete mir mit soldatischer Freimütigkeit seine Ansicht, wobei es an derben Versicherungen nicht fehlte, daß er es als eine Beleidigung ansehen würde, wenn ich mein Zelt oder jede andere Wohnung seinem Quartier vorzöge; ich beeilte mich daher, meine Hand herzlich in seine dargebotene Rechte fallen zu lassen, und sogleich wurden Leute abgeschickt, um meine Sachen, unter denen sich auch eine Gitarre befand, vom Lager heraufzuholen. Auch meine drei Kameraden hatten bald Obdach gefunden; Lieutenant Mercer teilte nämlich seine Wohnung mit Peacock und Egloffstein sowie Lieutenant Dehart mit Taylor. Außerdem gehörten noch zu der lebenslustigen Gesellschaft Mr. Alexander, der SutlerSutler = Militärbeamter, der vom Gouvernement kontraktlich verpflichtet ist, für einen bestimmten Preis Waren an Offiziere und Mannschaft zu verkaufen. Er steht im Rang eines Seconde-Lieutenant. der Besatzung, Mr. Hinchmann, ein Rechtsanwalt aus Pueblo de los Angeles, der sich dort besuchsweise aufhielt, und Mr. Kennedy, der Baumeister des Postens.

Als es dunkelte, saßen wir alle in der geräumigen Stube des Doktors vor der Glut eines tüchtigen Kaminfeuers; wir unterhielten uns wie Leute, die sich schon seit langen Jahren kennen, denn nirgends werden Bekanntschaften schneller geschlossen als im »Fernen Westen«, und es gab ja nichts, was die allgemeine Fröhlichkeit hätte stören können, wohl aber manches, was sie erhöhte, ja auf ihren Gipfel brachte, und um Mitternacht saßen wir noch an derselben Stelle und berieten uns darüber, auf welche Weise die nächste Zeit am angenehmsten zu verbringen sei. Egloffstein und ich hatten mit dem Aussuchen und der Übernahme der Maultiere nichts zu schaffen, dagegen lag es in unserm Interesse, soviel wie nur irgend möglich von Kalifornien zu sehen und kennenzulernen; wir nahmen daher mit Freuden den Vorschlag von Lieutenant Mercer entgegen: ihn in Gemeinschaft mit Mr. Hinchmann und Mr. Kennedy auf eine Fischexpedition zum Kernsee und zum Kernfluß im Tularetal zu begleiten.

Unser Aufbruch war auf den folgenden Tag festgesetzt worden, und als wir uns am 16. November zum gemeinschaftlichen Frühstück versammelten, stand schon ein mit sechs Maultieren bespannter Wagen bereit, um den einige Soldaten sowie Lieutenant Mercers Neger damit beschäftigt waren, Lebensmittel, Zelte und Fischgerätschaften zu verpacken. Wie eine sorgsame Mutter überwachte Mr. Alexander diese wichtige Arbeit, wobei er gelegentlich dem lebhaften Negerburschen, der uns als Koch begleiten sollte, weise Ratschläge erteilte: »Louis, sind die Flaschen gut gekorkt? Sind die Eier sicher verpackt? Wickle Stroh um die Blechbüchsen, schwarzer Sünder, damit sie nicht entzweigestoßen werden. Stell das Fäßchen aufrecht, Louis, und die Körbe mit den Flaschen so, daß die Herren sie zu jeder Zeit fassen können. Tritt mit deinen Zentnerfüßen nicht so auf dem Mehlsack herum, oder dein dicker Schädel soll mir dafür büßen!« So redete und brummte der gemütliche Mr. Alexander zu dem Neger. Louis nun, entzückt über die in Aussicht stehende Reise und über die Scherze des Mr. Alexander, lachte dermaßen, daß seine Augen sich wie zwei Billardbälle aus ihren Höhlen drängten, dicke Tränen über seine blauschwarzen Wangen rollten und die Mundwinkel sich fast mit den Ohren vereinigten, wobei er es an witzigen Gegenbemerkungen nicht fehlen ließ. Unter den Glückwünschen der Zurückbleibenden kletterten der wohlbeleibte Hinchmann, Egloffstein und ich auf den Wagen; Lieutenant Mercer, Mr. Kennedy, zwei Dragoner und der Neger schwangen sich auf ihre Pferde, die Peitsche knallte, die Hunde bellten, und fort ging es dem nördlichen Ende der Schlucht zu.

Der Weg führte stark abwärts; an den gefährlichsten Stellen desselben war gebaut und verbessert worden, doch konnte wegen der überhängenden Bäume und Felsblöcke sowie wegen der kurzen Windungen des unterwühlenden Sturzbachs nur langsam und mit größter Vorsicht gereist werden, und dies noch um so mehr, als zwischen den dicht zusammengerückten Bergen, die sich über 3000 Fuß hoch über ihrer Basis erhoben, ein Ausweichen vollständig unmöglich war. Die Felsen zeigten hier denselben Charakter wie weiter oberhalb; ich bemerkte nämlich überall Granitformation, und im Bett des Bachs lagen durcheinander mächtige Bruchstücke von Granit, Syenit und metamorphosiertem Gestein; auch Sandstein fand ich hin und wieder, und zwar angefüllt mit fossilen Muscheln. Auf den Höhen bildeten spärlicher Graswuchs und niedrige, kränkelnde Eichen die einzige Vegetation; unten in der Schlucht dagegen schien der aus aufgelöstem Granit und anderem verwitterten Gestein bestehende Boden dem Wachstum der Eichen besonders förderlich zu sein, denn kräftig ragten empor manche der schönen kalifornischen Arten. Doch auch verschiedene Arten von Tannen erblickte ich, vorzugsweise aber die an westlichen Abhängen der Sierra Nevada so häufig vorkommende Pinus ponderosa und die so merkwürdige Zuckertanne (Pinus Lambertiana),Pinus Lambertiana oder die Zuckertanne ist fast durchgängig in allen Gebirgsgegenden von Kalifornien verbreitet, ohne indessen Wälder zu bilden. Dieselbe erreicht nicht selten einen Durchmesser von 10 Fuß und eine Höhe von 200 Fuß und kann mit Recht nach der Wellingtonia-gigantea als die Königin der Tannen bezeichnet werden. Der Name Zuckertanne rührt von dem merkwürdigen Umstand her, daß aus dem Holz und den Wurzeln, vorzugsweise angebrannter und beschädigter Stämme, zuckerähnliches Harz quillt, das in seinen Eigenschaften dem Manna gleicht und von den Minenarbeitern sehr gesucht wird. Diese Substanz ist in dortigen Regionen unter dem Namen Pinite bekannt. deren Harz, besonders bei angebrannten Bäumen, an Süßigkeit dem Zucker fast gleichkommt, und auch vielfältig an dessen Statt gebraucht wird.

Gegen Mittag erreichten wir das Ende der Cañada, und das Tularetal lag in seiner ganzen Ausdehnung vor uns. Wir befanden uns noch ungefähr 800 Fuß über der Basis der südwestlichen Spitze der Sierra Nevada, die auch Tejon Mountains genannt wird und durch die der Weg uns auf eine plateauähnliche Abflachung der äußersten Hügel geführt hatte. Links von uns, in schwer zugänglicher Tiefe, rieselte der Bach der Cañada de las Uvas; derselbe versinkt nach kurzem Lauf im Tal und bezeichnet zugleich das nördliche Ende der Cañada, das unter 34º 54' 40" n. Br. fällt.

Von diesem Punkt aus genoß ich eine weite Aussicht, die im Westen die dunkelblauen Küstengebirge, im Osten die schimmernde Sierra Nevada, im Norden aber wie auf dem endlosen Ozean der Horizont begrenzte. Eine wüstenähnliche Stille und Einförmigkeit, die in nebliger Ferne nur von zwei glänzenden Wasserspiegeln unterbrochen wurde, ruhte auf der weiten Ebene; doch das Tal, die duftige Ferne, die zackigen Gebirgszüge und die gegen Nordosten über diese emporragenden weißen Schneekuppen der Sierra Nevada vereinigten sich zu einem schönen erhabenen Ganzen, von dem der Reisende sich nicht trennt, ohne einen Eindruck fürs ganze Leben mitzunehmen.

In stiller Verwunderung hielten wir einige Minuten, bis Lieutenant Mercer uns zur Eile trieb und einen Punkt an dem ersten See bezeichnete, den wir vor Einbruch der Nacht erreichen müßten. Er nannte die Strecke bis dorthin zwanzig Meilen, also noch ein starker Marsch, doch bewirkten die Klarheit der Atmosphäre und der günstige Standpunkt, daß mir die Entfernung kaum halb so weit erschien. Wir leisteten indessen seiner Aufforderung Folge und wanden uns langsam an den Abhängen der abschüssigen Hügel hinunter.

Das Tularetal, das seinen Namen von der mexikanischen Bezeichnung »Tule« für die an den Seen massenhaft wachsenden Binsen herleitet, kann in mancher Beziehung als die südliche Fortsetzung des großen Tals angesehen werden, das Kalifornien, fast der ganzen Länge nach, zwischen der Sierra Nevada und den Küstengebirgen durchschneidet und das der San Joaquin und der Sacramento von ihren Quellen bis zu ihrer Mündung durchströmen. Bei genauer Untersuchung stellt es sich indessen heraus, daß das Tularetal durch eine geringe Erhebung des Bodens von dem Flußgebiet des San Joaquin getrennt wird. Die Flüsse und Seen im Tularetal haben ihr eigenes System, wodurch allein schon die Absonderung bestimmt wird, wenn auch wirklich in sehr nassen Jahreszeiten der San Joaquin Wasser aus den überfließenden Seen in sich aufnimmt. Das Tularetal würde demnach mit Recht ein Becken genannt werden können, dessen nördliche Grenze mit dem 37. Breitengrad zusammenfällt und das sich von dort gegen Süden bis zum 35. Grad oder den Tejon-Gebirgen erstreckt. Die Breite wechselt zwischen fünfzig und siebzig Meilen, wodurch ein Flächenraum von ungefähr 7500 Quadratmeilen hergestellt wird. Diese weite Ebene ist indessen keineswegs eine horizontale Fläche, denn die Erhebung der Talränder nahe der Basis der Gebirge wechselt zwischen 1400 und 1600 Fuß über dem Meeresspiegel, während der Spiegel des Kern Lake, des südlichsten der Seen, nur 398 Fuß hoch liegt. Selbst ohne diesen Höhenunterschied zu kennen, der sich gleichmäßig auf so weite Strecken verteilt, ist doch die allmähliche Senkung des Bodens nach der Mitte zu dem bloßen Auge wahrnehmbar. Eine Reihe flacher Seen durchzieht von Norden nach Süden dieses Tal; die bedeutendsten sind der Tularesee, der Buena Vista und der Kern Lake, die in dortiger Gegend auch unter den indianischen Namen Tache, Cholam und Tolumne bekannt sind. Alle stehen durch natürliche Kanäle miteinander in Verbindung und empfangen ihr Wasser durch zahlreiche, nie versiegende Bäche und Flüsse, besonders aus der schneebedeckten Sierra Nevada. Der Charakter aller Seen ist immer derselbe, die Ufer sind niedrig und morastig, und weithin ist das Gebiet des Wassers an den dunkelgrünen, schlanken Binsen, die eine Höhe von 10 bis 15 Fuß erreichen, erkennbar. In trockenen Jahreszeiten bieten diese dichten Binsenwälder dem Elk sowie dem schwarzschwänzigen HirschDiese beiden verschiedenen Arten sind lange und vielfach für eine und dieselbe gehalten worden, wozu die Ähnlichkeit in der äußeren Erscheinung Veranlassung gegeben hat. Es bedarf auch in der Tat einer genauen Untersuchung, um diese beiden schwarzschwänzigen Hirsche mit gleicher Geweihbildung voneinander zu trennen. Professor J. S. Baird in Washington hat nach langem Forschen die beiden Spezies als abgesondert voneinander hingestellt, und zwar als Mule deer und Black-tailed deer. einen sicheren Zufluchtsort, wohin ihnen der Jäger nur schwer nachfolgen kann. Unglaubliche Wassermassen werden den Seen während des ganzen Jahres zugeführt, und es ist auffallend, wie stark die VerdunstungDie schnelle Verdunstung des Wassers in den Tulareseen beträgt in den Sommermonaten durchschnittlich an jedem Tag ¼ Zoll der ganzen weiten Wasserflächen. Da diese Seen keinen Abfluß haben, dagegen durch zahlreiche, schnelle Flüsse und Bäche genährt werden, so kann man annehmen, daß zur heißen Jahreszeit die Masse des verdunstenden Wassers den durch den schmelzenden Schnee vermehrten Zufluß weit übersteigt und ein Fallen der Wasserspiegel erzeugt. Die Ursachen für diese auffallende Erscheinung liegen nahe: Die Seewinde, die fast beständig landeinwärts wehen, setzen ihre Feuchtigkeit in den Küstengebirgen ab, und erst nachdem sie über weite, erhitzte und Wärme ausstrahlende Flächen hingeeilt sind, erreichen sie die von keinen erhöhten Ufern geschützten breiten Wasserspiegel. Die Temperatur der sehr flachen Gewässer, die Tag für Tag den glühenden Strahlen der vom wolkenlosen Himmel niederscheinenden Sonne ausgesetzt sind, trägt auch zur ungewöhnlich schnellen Absorbierung bei, und hier mag auch der von den Ebenen senkrecht aufsteigende warme Luftstrom, der die Dunstbläschen hindert, sich zu zersetzen, Grund der verhältnismäßig geringen Vegetation in der nächsten Umgebung sein. durch die Luft dort sein muß, da nur bei anhaltendem Regen oder im Frühling beim Schmelzen des Schnees in den Gebirgen die Gewässer austreten, dann aber bei der Niedrigkeit der Ufer weite Flächen des Tals überschwemmen und dasselbe auf kurze Zeit mit dem Flußgebiet des San Joaquin verbinden. Von diesen Überschwemmungen rühren auch die Süßwassermuscheln her, die in weiter Entfernung von den Seen den Boden bedecken.

Fröhlichen Mutes zogen wir unsere Straße weiter; Meile auf Meile legten wir zurück, doch schienen wir uns dem See nicht zu nähern. Wir unterhielten uns, wir sangen, aber der Weg wollte dadurch nicht kürzer werden; wir wechselten jeden Augenblick unsere Stellung, um den heftigen Stößen des schnell rollenden, federlosen Wagens zu entgehen, doch vergeblich; Louis pfiff mit eigentümlicher Negerfertigkeit Hunderte von Melodien, und auch diese nahmen trotz unserer Lobeserhebungen ihr Ende. Nur die Flaschenkörbe, die Louis fast zu nahe in unseren Bereich gestellt hatte, schienen gleichgültig gegen alles zu bleiben und sich jede beliebige Handhabung gern gefallen zu lassen. Die armen Flaschen – wenn sie Gefühl hatten, mußten sie empfinden, daß sie leichter wurden, denn der Staub des Weges machte die Gaumen trocken.

Der tiefblaue Himmel hatte sich mit seinem funkelnden Sternenheer überzogen, und ein rötlicher Schimmer am nördlichen Horizont erinnerte nur matt an den hellen Sonnenschein des Tages, als wir am Kern Lake nahe einer Öffnung in den Binsen anhielten und unser Nachtlager aufschlugen. Louis, unser sorglicher Louis, den Mangel des Holzes vorhersehend, hatte sich vom Fort aus einen Vorrat mitgenommen, wodurch er in die Lage gesetzt war, uns an diesem Abend schon seine Kunstfertigkeit als Koch zu beweisen; er pflegte uns vortrefflich, wofür er von allen Seiten mit Lobeserhebungen überschüttet wurde, die er auf seine eigentümlich herablassende Weise hinzunehmen wußte.

Es war schon zu spät, um den herrlichen Abend noch lange genießen zu können; ein früher Aufbruch am folgenden Morgen war verabredet worden, weshalb denn auch jeder sich zur nächtlichen Ruhe bald in seine Decken wickelte. Die Stimmen im Lager verstummten, die gesättigten Tiere standen regungslos umher, einige Kohlen glimmten noch matt in der Asche, und leise spielte der Wind mit den beweglichen Binsen. Tiefe Ruhe herrschte überall, nur vom See herüber schallte mitunter das abgebrochene Geschnatter einer träumenden Ente oder der heisere Ruf eines wachsamen Kranichs, wenn vielleicht vertrocknete Binsen unter dem schleichenden Tritt raubgieriger Wölfe kaum hörbar knackten.

In vollster Pracht entstieg am 17. November die Sonne den eisgekrönten Gipfeln der Sierra Nevada; belebend schossen die ersten Strahlen hinter den geröteten Gebirgszacken hervor und eilten, Wärme verkündend, über die weißbereifte Ebene. Tausende von Stimmen wurden laut und erfüllten mit ihrem Jubelruf die Atmosphäre, die wie ein duftiger Schleier über der ganzen Landschaft zu schweben schien. Lange Reihen von Gänsen erhoben sich von dem breiten Wasserspiegel und eilten den grasreichen Ufern zu, Scharen von Enten kreisten mit pfeifendem Flügelschlag über dem See, während weißgefiederte Pelikane und Schwäne majestätisch die stille Flut durchschnitten und kurzbeschwingte, schwerfällige Taucher wie neidisch zu dem regen Leben in den Lüften emporschauten.

Ich feuerte einen Schuß durch die Öffnung in den Binsen auf eine Herde der harmlosen Schwimmer; der Schall rollte in Schwingungen über die weite, glatte Fläche und vermischte sich mit dem lufterschütternden Geräusch, das durch Tausende von Vögeln erzeugt wurde, die sich in dichten Schwärmen nach allen Richtungen hin erhoben und je nach ihren Eigentümlichkeiten kleine oder große Kreise über dem See beschrieben.

Nur kurze Zeit dauerte diese Aufregung, die Schwärme senkten sich, das Wasser mit den Flügeln peitschend glitten die verschiedenartigen Vögel eine kurze Strecke auf demselben fort, ließen sich dann nieder, schauten sich wie verwundert um und putzten und ordneten ihre Federn, als ob nichts vorgefallen wäre.

Ich gab nach dem ersten Versuch diese Art von Jagd auf, denn vergeblich spürte ich auf dem sumpfigen Boden nach einer festen Stelle, um zu meiner Beute zu gelangen; und so blickte ich denn traurig zu den Geschöpfen hinüber, denen ich aus Laune das Leben geraubt hatte. Ein verwundeter, schön gefiederter Pelikan wurde langsam vom Wind der Mitte des Sees zugetrieben; einige seiner Gefährten schwammen wie teilnehmend um ihn herum, und als sie sich augenscheinlich von dem Sterbenden nicht trennen wollten und dieser, wie Hilfe erflehend, den langen Hals seinen Freunden entgegenreckte, da war es mir, als hätte ich einen Mord begangen, und unwillkürlich gedachte ich der schönen Worte unseres Dichters:

Die Welt ist vollkommen überall,
Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual!

»Alles bereit!« rief der Neger, als er die dampfenden Schüsseln auf den Feldtisch stellte.

»Alles bereit!« rief bald nachher auch der Kutscher. Wir nahmen unsere Plätze ein, und fort ging es in östlicher Richtung am Ufer des Sees hin, dessen glänzender Spiegel uns fortwährend hinter den hohen Binsenwaldungen verborgen blieb. Die Reiter hatten sich von uns getrennt, nur Louis auf seinem kleinen weißen Klepper hielt gleichen Schritt mit unserem Wagen.

Ich kann es nicht leugnen, daß in dem Land, wo der Wert des Menschen vor allen Dingen nach der Hautfarbe bestimmt wird und wo die afrikanische Menschenrasse nur den Rang von brauchbaren und nützlichen Tieren einnimmt, ich mich immer ganz besonders für die Sklaven interessierte. Der Gedanke, daß der Mensch, das Meisterwerk einer schöpferischen Natur, zu einer verkäuflichen Ware herabgewürdigt sei, weil, wie der Indianer es bezeichnet, die Sonne der heißen Zone seine Haut schwarz brannte, erweckte bei mir das tiefste Mitgefühl. Sowohl aus Neigung als auch um den Andersdenkenden meine Nichtachtung, ja Verachtung ihrer unwürdigen Gesinnungen hinsichtlich der Neger vor Augen zu legen, begegnete ich daher dem Sklaven stets mit derselben Freundlichkeit wie dem freien Weißen. Die natürliche Folge hiervon war, daß erstere ihre Dankbarkeit gegen mich zur Schau trugen, wofür ich dann nicht selten auf unangenehme Weise mit letzteren verwickelt wurde.

Auf der Reise zum Tularetal war es anders; meine Gefährten waren lauter liebenswürdige Leute, die freilich meine Meinung nicht ganz teilten, jedoch die persönlichen Ansichten – aber auch nur als die eines weißen Menschen – zu hoch achteten, als daß dieselben zu einer Streitfrage hätten werden können. Es verstand sich also von selbst, daß Louis mein guter Freund wurde, mit dem ich mich vielfach beschäftigte und unterhielt. Seine einfältigen Ideen, mehr aber noch sein komisch linkisches Benehmen ergötzten mich, doch stimmte es mich auch wieder trübe, in ihm einen offenen Kopf zu entdecken, dessen geistige Fähigkeiten systematisch unterdrückt und in eine Richtung geleitet waren, die aus ihm nichts als einen guten Sklaven werden ließ; das heißt einen Menschen, der nicht imstande ist, selbständig zu handeln. Louis war freilich seinem Äußeren nach kein Muster von Schönheit, doch ein so gesunder, kräftiger Negerbursche, wie man ihn nicht besser finden kann. Er ritt also neben dem Wagen, pfiff und sang und gab mir durch Zwinkern mit den Augen sowie durch sein merkwürdiges Lachen zu verstehen, daß er sich gern mit mir unterhalten möchte.

Ich wandte mich zu ihm mit der Frage: »Nun, Louis, was hast du auf dem Herzen?«

Louis drehte sich auf dem Sattel, warf beide Beine nach der einen Seite hinüber, zeigte alle seine elfenbeinartigen Zähne und antwortete: »Master, ich kann's nicht sagen!«

»Warum denn nicht?« rief ich ihm zu. »Nur heraus mit der Sprache!«

»Well, ich habe die halbe Nacht nicht geschlafen!«

»Weshalb nicht?« fragte ich wieder.

»Weil – weil – weil Sie mir gestern gesagt haben, daß ich der hübscheste Negerjunge sei, den Sie in Ihrem Leben gesehen haben; ich möchte wissen, ob das wahr ist und was Sie eigentlich schön an mir finden.«

Als er geendigt hatte, stieß er ein wieherndes Gelächter aus, in das ich auf meine Weise mit einstimmte und dann dem eitlen Burschen erwiderte: »Allerdings bist du hübsch, Louis; wir wollen bei deinen Füßen anfangen. Sieh dir dieselben an, sind sie nicht wenigstens dreimal so groß wie der größte Fuß des größten weißen Mannes? Und stehen deine Hacken nicht so weit nach hinten, daß du dir an deine nackten Füße Sporen schnallen kannst, ohne diese zu verlieren?«

Louis sah wohlgefällig vor sich nieder, schüttelte die mit schweren mexikanischen Sporen bewaffneten Fersen und bemerkte ruhig: »Ja, meine Füße sind wirklich nicht schlecht!«

»Und dein Mund nun erst, ist er nicht so groß, daß Millionen von Liedern ihren Weg aus demselben finden können? Sind deine Lippen nicht so dick gepolstert, daß du nur stärker zu atmen brauchst, um die kunstvollst gepfiffenen Tänze in die Welt zu senden? Sind deine Zähne nicht so weiß wie Elfenbein? Sind deine abstehenden Ohren nicht auf scharfes Hören eingerichtet? Und vermagst du mit deinen kugelförmigen Augen nicht die halbe Welt auf einmal zu sehen? Und dann denke nur, welche Riesenkräfte erforderlich wären, dir deinen mit feinster Wolle gezierten Schädel entzweizuschlagen!«

Louis hatte mir aufmerksam zugehört, seine Augen leuchteten vor Glückseligkeit, und als ich seinen Kopf erwähnte, da rief er aus: »Ja, Herr, mein Schädel ist hart wie ein Felsen, und um keinen Preis der Welt möchte ich einen anderen haben.«

Dieser Art waren die Gespräche, die ich mit Louis führte; der arme Junge hatte keine Ahnung davon, daß ich ihn bedauerte und zugleich in Gedanken die Sklavenzüchter des Verbrechens der gräßlichen Verstümmelung des menschlichen Geistes anklagte. –

In weitem Bogen gelangten wir auf die Ostseite des Kernsees; die Luft war unvergleichlich, Sonnenschein lag auf der Ebene und ließ die Atmosphäre kaum merklich zittern. Große Schafherden folgten langsam ihren indianischen Hütern nach den grasreicheren Stellen am See, während Wölfe die verlassenen Schäferhütten und Ställe gleichsam bewachten und hungrig nach Überresten von gefallenem Vieh umherspürten. Wir folgten einer wenig befahrenen Straße gegen Norden und näherten uns einer Reihe von Baumgruppen, die Lieutenant Mercer als unser Ziel auf dem Ufer des Kernflusses bezeichnete.


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