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1907
Sommer 1907.
Ich habe diesen Sommer wenig gearbeitet und von dem wenigen weiß ich nicht, ob Ihnen etwas gefallen wird. In der Konzeption bleiben sich die Sachen wohl im ganzen gleich. Aber die Art, wie sie in die Erscheinung treten, ist wohl eine andere. Ich möchte das Rauschende, Volle, Erregende der Farbe geben, das Mächtige. Meine Pariser Arbeiten sind zu kühl und zu einsam und leer. Sie sind die Reaktion auf eine unruhige oberflächliche Zeit und streben nach einfachem großen Eindruck.
Ich wollte den Impressionismus besiegen, indem ich ihn zu vergessen versuchte. Dadurch wurde ich besiegt. Mit dem verarbeiteten, verdauten Impressionismus müssen wir arbeiten.
Wenn ich nicht irre, war außer anderem bei Ihnen dieses die Ursache des tragischen Schicksals der Saga.
Man kann nur wieder und wieder bitten: lieber Gott, mach mich fromm, daß ich in den Himmel komm.
Worpswede, Oktober 1907.
Meine Schwester,
ich möchte wie Anna Dreebeins Verwandte sagen, da es innerlich in ihr arbeitete und rabauterte: »He smit mi glick von'n Stohl«. Ihr müßt schön Geduld haben, sonst muß er oder sie sich so hetzen. Auch schreibe mir nie eine Postkarte wieder mit »Windeln« oder »froher Nachricht«. Du weißt ja, ich bin eine Seele, die am liebsten die anderen Leute nicht wissen läßt, daß sie sich mit Windeln beschäftigt.
Sonst lasse Dich innig küssen für Deine liebevolle mütterliche Fürsorge für mich. So hast Du Dich vergangenen Sommer zu mir gestellt und so dieses Jahr. Lohn's Euch Gott, liebe Frau. Du weißt ja, daß ich Dir nie ähnliches leisten kann und werde. Das ist aber nicht Mangel an Wärme. Nur geht meine Wärme ihre eigenen Wege und wir können nur stehen und hoffen, daß sie wohl daran tue. Es gibt ja genug Leute, die mich deshalb verurteilen. Du wirft es, glaube ich, nie tun.
Daß es in Eurer Herbstgasse nun doch wohliger ist, als Du es angenommen hattest, habe ich mir wohl gedacht. Hoffentlich sind Christianens Abneigungen gegen die Flasche auch verschwunden, so daß Du ruhig und friedlich ein wenig Dir leben kannst. Setze Dich auch einmal wöchentlich auf eine gute Wage, daß Du genau unterrichtet bist über Deine Abnahme. Und sei gewissenhaft und fleißig darin. Du weißt, das schuldest Du Deinem künftigen Leben.
Wir haben hier einen wunderbar milden Herbst und genießen ihn sehr. Mir geht es gut und geduldig, nur müßt Ihr um mich herum nicht zu sehr lauern. Anna Dreebein ist neulich schon dreimal nachts auf gewesen, weil bei uns Licht war und war des Morgens sehr enttäuscht, als ich bei ihr vorbeischwebte.
Eine wahre Geschichte hier aus der Gegend: jemand kommt in ein Bauernhaus und will den Bauer sprechen. Die Frau steht am Feuer und sagt: »He hett sick een beten henleggt. Wi hebbt en beten unruhige Nacht had«. Sie hatte nämlich nachts ein Kind bekommen. Ich küsse Dich herzlich und empfehle mich Eurem Andenken und bin in Liebe
Deine Schwester Paula.
Ich habe eine ruhig-gemütliche Wiege gesehen, die wir uns vielleicht erstehen wollen.
Worpswede, den 22. Oktober 1907.
Meine liebe Mutter,
nein, nein, nein! Das geht nun gar nicht. Ich soll ja noch nicht Großmutter werden. Dieses große Riesenprachttier gehört zu Dir in Deine grüne Stube und er würde mir da herzlich im Fenster fehlen. Da Du aber doch wahrscheinlich den größten Teil des Winters verreist sein wirst, nehme ich ihn so lange in meine Pension. Wenn dann der Frühling Dich wieder in Dein liebes Häuslein heimtreibt, ziehe ich dem großen Prachttier seine schwarzen Strümpfe wieder an und lasse ihn zu Dir wandern. Hab' Dank für Deinen lieben Gedanken.
Sonst hat Dir Kurt wohl alles Neue gemeldet. Neueres gibt es leider nicht und Ihr müßt Euch schon so lange gedulden. Dreebein hat überhaupt kein Interesse mehr an mir.
Ich wollte wohl gern auf eine Woche nach Paris reisen. Da sind 56 Cézannes ausgestellt!
Lebt wohl. Hoffentlich bleibt das Wetter immer weiter schön. Obgleich es fast gierig und unbescheiden ist, so etwas zu hoffen und zu verlangen.
Deine Paula.
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Am 2. November gab Paula einem gesunden Mädchen das Leben. Am 21. November starb sie. Von ihrem Ende wird in einem Familienbrief gesagt:
»Am achtzehnten Tage kommt Kurt herausgeradelt, sein Hu–ih klingt von fern auf der Chaussee und aus der Wochenstube klingt es lustig zurück: Hu–ih! Kurt untersucht noch einmal gründlich und erlaubt: sie darf aufstehen. Die Wärterin hilft ihr schnell in die Kleider, dann schreitet sie, auf Mann und Bruder gestützt, mühelos ins Wohnzimmer. Ein Lehnstuhl ist in die Mitte geschoben, dort thront sie selig, rechts und links die Männer. Das Kindlein hat sich eben noch einmal recht satt getrunken, es ist eine herrliche Überfülle von Nahrung vorhanden. Alle Kerzen an den beiden Kronleuchtern müssen brennen, ›es ist beinah' wie Weihnachten‹ ... ›Ach, wie freue ich mich! wie freue ich mich!‹ Plötzlich werden ihr die Füße schwer, ein paar röchelnde Atemzüge – sie sagt leise: ›Wie schade!‹ Und stirbt ...«
Ihr Grab ist auf dem hochgelegenen Worpsweder Friedhof. Bernhard Hoetgers zu ihrem Gedächtnis geschaffenes Denkmal einer sterbenden Mutter beherrscht den Platz.
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