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1905
Paris, den 16. Februar 1905.
Lieber Otto,
du weißt, ich bin zuerst immer unglücklich, so bin ich es jetzt auch. Die große Stadt fällt mir noch auf die Nerven und hauptsächlich ist in meinem stillen Hafen Rue Cassette nicht alles in Ordnung. Mein hübsches Zimmer mit der Aussicht auf den Garten und den Baum ist leider besetzt, ich habe eine kleine ungemütliche Kammer und weiß nicht, ob ich nicht wieder ausziehen werde.
In Luxembourg war ich und ich freute mich, daß für mich immer noch der große Cottet das Triptychon ist, das Du ja auch kennst. Dann war da ein Porträt von 1904 von Roll, das in der Behandlung des Fleisches interessant ist, als Bild nicht. Übrigens muß man dem Meier-Gräfe recht geben, wenn er so auf den Luxembourg schimpft, die Neuerwerbungen sind nicht immer die, die es sein sollten.
Ich grüße Euch drei herzlich und habe diesen Brief nur geschrieben, damit Du meine Stimmung siehst, die eben noch etwas unter dem Gefrierpunkt ist, obgleich es draußen so warm ist, daß die Kätzchen blühen.
Paris, den 17. Februar 1905.
Meine Stimmung ist noch immer etwas Moll und ich kann noch nicht heran zu den Dingen und fühle mich durch manches bedrückt, hauptsächlich daß ich kein anständiges Heim habe. Ich blicke zu Dir wie durch Nebel, wie in ein anderes Leben.
Ich erwarte Herma zum Tee und habe das Tischlein auf französisch gedeckt.
Lebe wohl, mein lieber Roter. Bald schreibe ich besser.
Paris, den 19. Februar 1905.
Mein lieber Mann,
nun schreibe ich Dir meinen Geburtstagbrief und ich bin bei Dir mit allen meinen Wünschen für Kunst und Leben, und Leben und Kunst. Ich schicke Dir hier ein paar drollige Daumiers und ein kleines japanisches Bilderbuch. Lieber schickte ich Dir schon größere und schönere Sachen, aber damit warte ich noch ein paar Jahre, bis Du oder ich oder wir beiden die nötigen Füchse zusammengebracht haben werden. Dann hoffe ich, daß Dir von Nürnberg die alte Ausgabe von 1001 Nacht zugegangen ist, die Dir hoffentlich wohl gefällt, im andern Falle ließe sie sich wohl umtauschen.
Wie Ihr wohl Deinen Geburtstag verlebt? Hoffentlich ist schönes Wetter. Wenn Mutter eine Bowle machen will, steht Ananas im Weinschrank.
Ich sitze noch in meinem kleinen Käfig Rue Cassette und fühle mich deshalb noch nicht sehr gemütlich. Morgen ziehe ich um, 65 Rue Madame, ins fünfte Stock, habe einen großen Himmel über mir und Paris unter mir, was beides angenehm und gut ist, hier sehe ich immer gegen eine Mauer, das kann mein Worpsweder Gemüt nicht erfreuen. Die Wohnung ist ganz nahe der jetzigen.
Heute war ich mit Herma einen ganzen Tag über Land, da haben wir Mittag in einer Laube bei Sonnenschein gegessen und uns unseres Lebens gefreut. Die Landschaft mit ruinenhaften Resten früherer Herrlichkeit und mit den Blicken von den Höhen auf die nahe große Stadt macht auf mich immer einen begeisternden Eindruck. Die Bauernhöfe und Heuschober erinnern sehr an Millet. Nach Hause gekommen machten wir uns schönen Tee und aßen Butterbrot und Konfitures, hatten ein Strauß Kätzchen vor uns stehen und die gelben Huflattich, die hier schon blühen.
Ich habe mich auf einen Monat in der Akademie Julien angemeldet, um Akt zu malen von acht bis elf. Die Museen werden immer erst um zehn geöffnet, da gehen mir die Morgenstunden nicht verloren, und schaden kann es mir ja nicht. Meine frühere Akademie Cola Rossi ist sehr auf den Hund gekommen bald nachdem ich wegging. Julien hat außerdem den Vorzug, daß nicht so entsetzlich viel Engländerinnen da sind, die ich mißbillige mit ihrer alles beherrschenden lauten Sprache.
Paris, den 23. Februar 1905.
Ich habe das kleine Gefängnis in der Rue Cassette verlassen und genieße jetzt Luft und Licht und Raum im fünften Stock der Rue Madame und bin in Bälde damit fertig, mich zu akklimatisieren. Ich erlebe schon viel Schönes und merke, daß ich in Paris bin.
Eins muß ich Dir erzählen, was Dich und die Familie sehr ergötzen wird: Mein petit chapeau gris ist hier durchgefallen. Paris, das soviel ertragen kann und muß, konnte das Hütlein nicht ertragen. Jeder guckte mich an oder lachte, sogar die vorbeifahrenden Droschkenkutscher riefen mir Witze nach. Es war gerade zwischen zwölf und ein Uhr mittags, wo die kleinen Ladenmädchen und Lehrjungens in Klumpen auf der Straße stehen, da wurde ich von ihren Lachsalven verfolgt.
Bei Durand-Ruel flüsterte der Portier dem Garçon zu: » c'est uns anarchiste«. Schließlich flüchtete ich in das Innere eines Omnibus, wo mich doch nur eine beschränkte Anzahl Augen wahrnehmen konnten, fuhr nach dem Bon-marché und erstand mir eine Kopfbedeckung, die nun geduldet wird, die ich aber nicht leiden kann.
Und ich war so stolz auf meinen petit chapeau gris und nun zwingt mich die böse Welt, ihn kalt zu stellen.
Man ist hier überhaupt kolossal mokant. Auch im Atelier die Mädels werfen sich immer Blicke zu und kichern wie die Kinder. Dieses Volk hat etwas durch und durch Kindliches. Sie zanken sich gern, sind aber gleich wieder gut miteinander, können rabbeln, daß der Mund nicht stille steht, haben für das Naive und Gemütliche Geschmack usw.
Dann haben sie auch etwas Helfendes vom barmherzigen Samariter. So polterte mir heute auf der Straße mein Malkasten auseinander, alle Farben nach einer anderen Richtung. Da half mir eine Dame mit aufsammeln, obgleich es schneite und schmutzig war. Das würden hier viele tun.
Im Atelier ist es sehr komisch: lauter Französinnen, die sehr amüsant sind. Ich habe nur noch große Angst vor ihnen, weil sie so leicht lachen. Sie malen aber wie vor hundert Jahren, als ob sie die Malerei von Courbet an nicht miterlebt hätten. Sie gehen nur in die Ausstellungen, für den prix de Rôme, und das wird wohl in etwas besserer Qualität derselbe Dreck sein.
Eine Leinewand aber habe ich hier gefunden, die, glaube ich, meine Leibleinewand wird. Meine Malerei sehen die andern sehr mißtrauisch an und in der Pause, wenn ich meine Staffelei verlassen habe, dann stehen sie mit Sechsen davor und debattieren darüber.
Eine Russin fragte mich, ob ich es denn auch wirklich so sähe, wie ich das mache, und wer mir das beigebracht hätte.
Da log ich und sagte stolz: » Mon mari«.
Darauf ging ihr ein Licht auf und sie sagte erleuchtet: »Ach so, Sie malen, wie Ihr Mann malt«.
Daß man so malt, wie man selber es sieht, das vermuten sie nicht.
Gestern zur Feier Deines Geburtstages habe ich ein Stilleben gemalt: Apfelsinen und Zitronen, die sehr lockten.
Und nun bin ich von ganzem Herzen Dein und denke an Deinen Rotbart in dieser großen Stadt und freue mich doch, daß ich ein bißchen fern von Dir bin, weil es dann um so schöner wird.
Paris, den 28. Februar 1905.
Mir geht es weiter gut. Am Freitag suchte ich die B.'s auf, das norwegische Schriftstellerpaar. Da fand ich eine feine, sympathische Frau, der man gleich menschlich nahe stand. Du weißt, wie sehr ich mich freue, wenn mir mal ein Mensch gefällt, da mir ja die meisten einerlei sind.
Sie sieht anmutig, schön und weiblich aus und hat ein Wesen ohne Falsch. Im Frühjahr erwartet sie ihr drittes Kindchen und macht sich Sorgen darüber, weil es zuviel wird für ihren Mann und für sie selbst. So geht es. Bei einigen geht es zu schnell, bei anderen zu langsam.
Der Mann kam erst bei meinem Fortgehen. Er machte einen derbgesunden, stachelhaarigen Eindruck, fragte gleich, ob ich auch Vegetarianerin wäre, weil ihm das Fleischlose in Rilke wohl etwas auf die Nerven gefallen war.
Sonntag abend wurde im Théâtre Français zur Feier von Victor Hugos Geburtstag »Hernani« gegeben, was bei seiner ersten Aufführung eine Schlacht in der Theaterwelt bedeutet hat. Warum? Das kann unsereins kaum noch empfinden. Uns schien das Stück auf Stelzen zu gehen und so schwülstig wie möglich. Zum Schlusse erschien neben der Büste des Dichters ein weißer und ein schwarzer Genius. Diese deklamierten mit übertriebener Rhetorik einige Verse, die das Publikum hinrissen. Dieses Sichberauschen an der eigenen Rede, was hier die Leute haben! es ist merkwürdig.
Ich war in Cottets Atelier. Das ist voll der schönsten interessantesten Dinge, die ich Dir zeigen möchte. Ich glaube, es würde Dich äußerst anregen. Merkwürdig, diesmal wirken auf mich die alten Meister nicht so stark, sondern hauptsächlich die aller- allermodernsten.
Veuillard und Denis will ich aufsuchen, im Atelier hat man doch den Haupteindruck. Bonnard ist im Augenblick in Berlin, ich sah zwei Sachen von ihm, die mir nicht sehr gefielen.
Paris, den 6. März 1905.
Mein lieber Mann,
... heute ist, glaube ich, hier der erste Frühlingsabend, was ich sehr wohlig empfinde. Meinen Fuchsmuff habe ich heute eigentlich nur spazieren getragen, während er in den vergangenen Tagen mich noch ordentlich wärmen mußte. Da machte ich es so wie die armen Schlucker im Louvre und Luxembourg, ich stellte mich über so ein Luftheizungsloch breitbeinig und ließ mir die Wärme schön unter die Röcke schlagen.
Am Sonntag hatten wir schon einen lustigen Vorgeschmack vom mardi gras. Wir gingen auf die großen Boulevards, dort war das Konfettiwerfen schon ordentlich im Gange. Es macht furchtbar viel Spaß, den bunten Schnee durch die Luft rieseln zu sehen und die Leute sind so witzig dabei. Da entspann sich oft zwischen zweien eine ganze Schlacht, der eine bombardiert mit grün, der andere mit rot, und schließlich schüttelt ein langer Kerl einem kleinen Mädchen seine ganze Tüte über den Kopf aus. Wenn man das Konfetti untersucht, findet man winzig fein geschnittenes Zeitungspapier dabei, da hat irgendein findiger Familienpapa seine Herde vorher zum Schnipseln angestellt, auf diese Weise die Welt vielleicht um vier sous, betrogen. Das macht ihm nun einen Heidenspaß. Herma und ich setzten uns bei einem Café vor die Tür, hatten einen ziemlich sichern Platz und konnten ungestört beobachten. Da kamen zwei Frauenzimmer mit Gitarren, die mit riesigem Tremolo sangen, die eine häßlich und verkommen, schimpfend und auch wieder gutmütig, die andere, eine lange, schlanke Spanierin, deren Kragen ihr beim Spielen romantisch nachlässig über die Schultern hing.
Abends waren Herma und ich in einem Vaudeville. Das war nicht so sehr unschuldig, obgleich viele Kinder unter den Zuschauern waren. Die werden hier eben von Anfang an mit Cayenne gefüttert. In dem ersten Stückchen zog sich alles, was auf die Bühne kam, gleich aus, Männer in Unterhosen und Frauen in entzückenden Dessous. Dann kam eine concierge in Hemd und Nachtmütze auf die Bühne, das Hemd hatte ganz den Schnitt von Mutter ihren. Ich sage Dir, der Anblick wäre für Dich gewesen. Im zweiten Stück ging es mir ein bißchen zu bunt her. Es standen immer wundervoll gemalte Betten auf der Bühne, der Mann lag schon darin, die Frau hatte ungefähr nichts mehr an. Mir tat es doch eigentlich leid, daß Herma diese Seiten der Welt so früh kennen lernt. Na, sie ist nun einmal darin und muß sehen, wie sie damit fertig wird.
Dein Worpsweder »Festtag« ist bei mir an die Wand gezweckt und ich freue mich an ihm. Er hängt neben drei Frauen von Cottet, mit dem es mir diesmal nicht so ganz glücken will. Als ich ihn zum ersten Male besuchen wollte, ging gerade ein junger schwarzer Mann zu ihm ins Haus, so daß ich lieber draußen blieb, und heute traf ich ihn zwanzig Schritt von seinem Hause, das er eben verlassen hatte. Er fixierte mich, dann grüßte er mich halb, so wie man einen Menschen grüßt, den man nicht recht unterbringen kann und den man doch kennt.
Diese Woche bin ich wieder bei Julien und male meinen Akt und habe Freude an dem Malen und Spaß an den Mädels. Da ist eine Polin, angezogen wie ein Mann, trägt eine Männermalschürze und hat männliche Gebärden. Ziemlich viel kokette, schmuddelige Französinnen. Julien hat auf dem andern Ufer der Seine ein anderes Damenatelier, das doppelt soviel kostet, da fahren die Marquisen vor, die Bashkirtscheff war auch da.
Paris, den 11. März 1905.
Mein geliebter Mann, ich habe heute viel an Dich gedacht und alle diese Tage, fühlst Du es wohl? Es ist mir so merkwürdig, daß wir beiden, die doch eigentlich eins sind, jetzt ein so verschiedenes Leben haben. Du ernst und niedergedrückt durch den Tod Deiner Mutter und ich in dieser großen Stadt trotzdem voller Hoffnungen. Dieses millionenfache, millionenmannigfaltige Leben hier, die Fremdartigkeit der Sprache und der Leute wirkt faszinierend.
Heute, zur Stunde, als Ihr Deine liebe Mutter der Erde übergabt, war ich auf Montmartre bei der immer noch unfertigen Sacré-Coeur, unter mir Paris. Der Eindruck erschüttert mich jedesmal wieder: dieses Häusermeer mit seinem Gebrause, mit seinem vielfachen Streben und Jagen. Was ist der Mensch für ein seltsames Wesen. Was treibt ihn zu diesen tausendfachen Handlungen. Wie merkwürdig, diese Stimme in uns, die uns regiert und führt, dieser Hunger, den unsere Seele spürt und der nie zu stillen ist.
Welche Gedanken hast Du diese Zeit, Lieber? Schreibe mir. Ich sehe Dich still, mit weißer Stirn, in einer Ecke des Wohnzimmers sitzen, in dem der leere Sessel Deiner Mutter steht.
Lieber, ich freue mich, wenn Du erst wieder in unserem kleinen Hause in Deinen Verhältnissen bist. Vogeler und Overbeck werden Dir mit ihrer Freundschaft gewiß helfen.
Cottet war bei mir, fand vieles gut, »aber das Zeichnen!« Ich werde mich tüchtig auf die Hosen setzen, wenn ich nach Hause komme. Ich habe Sehnsucht nach Dir, mein lieber Kerl, weil ich Dich küssen möchte und in meinen Armen halten und Dir wohltun.
Paris, den 15. März 1905.
Mir wird ganz wunderbar zumute bei dem Gedanken, daß wir uns in zwei Wochen wiedersehen.
O, ich habe Dir so viel Schönes zu zeigen und so viel schöne Liebe in mir aufgespeichert, die ich alle in Dich gießen möchte und Dich damit einhüllen, Deinem inneren und äußeren Menschen wohlzutun.
Es ist merkwürdig, daß in der Zeit, da für Dich der große Ernst ins Leben trat, ich hier meine Haupteindrücke habe.
Morgen ist die Eröffnung einer Ausstellung bei George Petit: Cottet, Simon, Zoloaga. Frau Simon hat mir dazu eine Einladung gegeben, so daß ich die Leute von Angesicht zu Angesicht zu sehen bekomme.
Ich hoffe sehr, daß Du wieder in Deinem Atelier installiert bist, inmitten Deiner Bilder und bei Deinen Freunden, das alles wird Dir wohltun.
Ob bei Euch der Frühling jetzt auch wohl hinter allen Ecken und Hecken sitzt wie hier?
Auf den Boulevards, an den großen beschnittenen Bäumen ist zwar noch nichts zu merken, aber im Luxembourg und im Bois, da grünt es überall. Da sind wir am Sonntag weit spazieren gegangen mit unseren zwei Bulgaren, die wir am mardi gras kennen lernten. Ein Rechtsstudent und ein Bildhauer. Der Bildhauer geht auf die Ecole des Beaux-Arts. Es ist mir interessant und lehrreich zu sehen, wie alle Leute hier unter der Macht der Tradition und der Schule stehen. Es ist eine Art soldatischer Manneszucht. Wir in Deutschland fangen die Geschichte viel zu genialisch an. Da redet jeder immer gleich von Persönlichkeit. Die ältesten Professoren sind hier ungefähr die besten, weil sie eben nur das A-B-C lehren.
Wenn ich frei wäre, ging ich mindestens noch ein Jahr hier auf die Akademie. Dir wäre es auch gut, Du wirst es wohl aber nicht finden.
Heute hat mir der eine uralte Professor an der Akademie Julien ein Lob erteilt. Ein wenig komme ich mir aber doch vor wie auf dem Theater und zwar so, als ob ich eigentlich die Person aus einem ganz andern Stück sei und nun in einem fremden Stück mitspiele, was manchmal etwas dumme Disharmonien gibt.
Nun lebe wohl, mein Roter, es geht in den Croquis. Noch zehn Tage und wir sehen uns wieder. Dann stehe ich auf dem Gare du Nord mit meinen Armen weit auf. Laß Dir auch noch einmal von dem »Dichter« das Haar schneiden, damit Du schön bist, laß Dir es aber jetzt schon schneiden, damit es noch ein bißchen wächst.
Paris, den 18. März 1905.
Mein geliebter Mann,
heute ist ein Regentag. Von morgens an gießt es leise herunter. Sonst haben wir in letzter Zeit so wunderschönes Wetter gehabt und oft, wenn ich oben auf dem Omnibus saß, hat mir das Herz gelacht über diese schöne Stadt.
Am Donnerstag war ich bei Georges Petit zur Einweihung einer Ausstellung, zu der mir Madame Simon ein Billett gegeben hatte, deren Mann ich nicht zu Hause getroffen hatte. Es war ein sehr pariserischer Eindruck, viel feine Damen, viel Schleppen und feine Herren. Die ausstellenden Künstler waren auch da, so sah ich Cottet. Zoloaga wurde mir gezeigt, sein Gesicht machte mir keinen besonderen Eindruck. Schließlich stieß ich auf eine Bremer Ecke: Heymel und Frau, Sparkuhle, Wiegand, die wollen hier, scheint es, Bilder kaufen.
Neulich waren wir mit unseren schwarzen Bulgaren in einem Varieté, was aber weder gut noch schlecht genug war, um uns zu interessieren. Wir haben uns aber doch zusammen sehr gut amüsiert. Wir saßen an einem kleinen Tisch, und um uns zu unterhalten, stellten wir uns gegenseitig vor. Obgleich wir uns schon mehrere Rendezvous gegeben hatten, kannten wir nicht unsere Namen. Da wir ja, was wir uns zu sagen haben, auf französisch radebrechen, genügte ja Monsieur und Madame. Bei der Vorstellerei nannte man nun erst seinen Vornamen, der in die verschiedensten Sprachen übersetzt wurde, um ihn zu erläutern. Dann kam der Familienname, den man sich gegenseitig aufschrieb und schließlich die Wohnung. Es war furchtbar komisch. Ungefähr, als wenn Kinder sich vorstellen. Unsere beiden Kavaliere sind nämlich sehr wenig von Europens Höflichkeit beleckt. Meiner, der sonst im ganzen, was Wissen und Schönheit anbelangt, den Vorzug hat, der spuckt. Wir lassen aber alles großmütig geschehen, geben nur hier und da kleine Winke, zum Beispiel das, daß sie, wenn sie mit uns zusammenkommen, vorher keine Gerichte mit Knoblauch essen und dergleichen, was sie sich alles ganz gehorsamst sagen lassen.
Paris, den 24. März 1905.
Der Salon des indépendants ist eröffnet. Es gibt keine Jury. An den Wänden, die mit Sackleinen bekleidet sind, hängen alphabetisch geordnet die Bilder in bunter Verwirrung. Man weiß nicht, wo die Schraube eigentlich los ist, aber daß sie irgendwo fehlt, empfindet man dunkel.
Es ist wieder einmal ganz und gar Paris mit seinen Launen, mit seiner Kindlichkeit: dümmste Konvention neben exzentrischen Pointellierversuchen.
Die Kerls mit den Schlapphüten und ihren Weibchen, die gestern bei der Eröffnung der Ausstellung herumliefen, hättest Du sehen sollen. Mir machen sie immer Spaß. Sie kommen mir vor wie Jungen beim Soldatenspielen. Von denen wird auch einer hie und da ein Feldherr.
Paris ist jetzt entzückend mit seinem duftig-dunstigen Frühjahrshimmel und den lustigen neuen Strohhüten.
Einige schöne Vormittage hatte ich in der Bibliothèque Nationale mit Rembrandt-Radierungen. Abends bei B.'s mit nordischen Menschen und nordischen Eindrücken. Auch interessant. Es herrscht eben ein kolossales Leben und ein kolossaler Geist in diesen Mauern. Dieses Gefühl wirkt auf mich fast mystisch.
Ihr müßt in der Nacht vom achtundzwanzigsten reisen, um Micarème zu erleben; es wird Euch Spaß machen, die Leute sind hier dann so echt.
*
Paris.
Die Stärke, mit der ein Gegenstand erfaßt wird (Stilleben, Porträts oder Phantasiegebilde), das ist die Schönheit in der Kunst.
Leben und Tod gaben sich die Hand. Mir legte ein lächelnder, blonder Franzose am mardi gras einen Veilchenstrauß in die Hand; ich schickte ihn nach Münster zu Ottos kranker Mutter. Man gab ihn ihr in die toten Hände.