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IX.

Ich liege auf dem Bauche, lang ausgestreckt, in der Düne. Die Ellbogen im Sande vergraben, den Kopf in die Hände gestützt, die Augen in die weite Ferne gerichtet, träume ich … Vor mir breitet sich das unendliche, blaugrüne Meer aus, von breiten violetten Schatten durchfurcht, mit erregten Wogen, deren schaukelnde Kämme sich hie und da mit weißer Schaumspitze brechen. Und die Brandung von La Gamelle, welche von Zeit zu Zeit ihre Felsenspitzen entblößt, sendet ein dumpfes Geräusch, wie ferner Kanonendonner, zu mir herüber. Gestern raste ein heftiger Sturm; heute hat sich der Wind gelegt, aber das Meer will sich noch immer nicht beruhigen. Die Flut rückt heran, schwillt, wälzt sich, steigt empor, schüttelt ihre schäumende Mähne, stürzt brausend zusammen und fällt, in weißem Gischt zerstiebend, mit furchtbarem Wutgeschrei auf das Geröll des Strandes zurück. Doch ist der Himmel heiter; zwischen den hastig dahinjagenden Wolkenfetzen zeigt er sein tiefes Blau, und die Möven fliegen hoch in der Luft. Die Fischerboote haben den Hafen verlassen und gleiten, eins nach dem andern, mit hängenden Segeln aufs Meer hinaus: sie gleiten hinaus, werden immer kleiner, verteilen sich, schwinden, verschwinden … An meiner rechten Seite erstreckt sich der Strand, von unregelmäßigen Dünen überragt, bis nach dem Fischerdorfe Le Ploc'h hinan, von dem man hinter einer Bodenerhebung, auf dem Hintergrunde von dunklem Grün, die Dächer der ersten Häuser gewahrt, darauf den steinernen, durchbrochenen Glockenturm und endlich den Hafendamm, eine ungeheure Anhäufung von Granitblöcken, an dessen äußerster Spitze der Leuchtturm emporragt … Jenseits des Leuchtturmes wieder ahnt das Auge den fernen Horizont, rosige Gestade, silberglänzende Buchten, in sanftem Blau verschwimmende Felsenküsten, die der Wasserstaub der Brandung, wie ein schimmernder Dunstschleier umgiebt. Und vor allem das Meer, das weite Meer und der unendliche Himmel, die sich mit einander vermählen, dort unten, wo die Dinge sich in geheimnisvoller und ergreifender Weise auflösen und ineinander fließen … Zu meiner Linken hören die Dünen, auf denen die Sommerwurz ihre roten Blumenbüschel prangend zur Schau stellt, plötzlich auf; das Terrain steigt hinan, wird immer wilder und schroffer, und Felsen türmen sich auf, streuen ihre Blöcke umher, öffnen ihr dräuenden Schlünde oder schieben sich weit hinaus in's Meer und ragen dort wie mächtige Wracks von Riesenschiffen empor. Da ist der Strand zu Ende. Das Meer, das sich an der Küste bricht, peitscht seine Wogen mit hartem Anprall unaufhörlich an die Felswand hinauf, wutschnaubend und schaumbedeckt. Und die Küste setzt sich fort, wild zerklüftet, mit tiefen Einschnitten, ausgehöhlt von den ewigen Anstrengungen der Wellen; hier stürzt sie in ein furchtbares Steinchaos zusammen, dort wieder steigt sie jäh empor und zeichnet beunruhigende Silhouetten gegen den Himmel ab. Über mir fliegen Schwärme von Hänflingen, und vom Winde getragen, dringen die klagenden Rufe der Brachschnepfen und Kiebitze durch das Brausen der Wogen, an mein Ohr.

Dort gehe ich jeden einzigen Tag hinaus … Ob es weht, ob es regnet, ob das Meer heult, ob es leise rauscht, ob es licht ob es finster ist, ich gehe dort hinaus … Nicht daß dies Schauspiel mich rührte oder Eindruck auf mich machte, daß ich von dieser grauenerregenden und bezaubernden Natur irgend welchen Trost empfinge – nein, ich hasse diese Natur. Ich hasse das Meer, ich hasse den Himmel, ich hasse die eilende Wolke, den sausenden Wind, den Vogel, der sich in die Lüfte schwingt. Ich hasse alles, was mich umgiebt, alles was ich höre, alles was ich sehe. Ich kehre dahin zurück aus Gewohnheit, von dem Instinkt der Tiere getrieben, der sie an den vertrauten Ort zurückführt. Wie der Hase habe ich mein Lager in den Sand eingegraben, und ich kehre dahin zurück … Auf dem Sande oder auf dem Moose, im Schatten der Wälder, in den tiefen Löchern oder auch im hellen Sonnenschein des einsamen Strandes – es ist ja alles einerlei! … Wo fände denn der Mensch, welcher leidet, eine Zufluchtsstätte? … Wo ist die Stimme, welche die beschwichtigenden Worte spricht! Wo das Mitleiden, welches die thränenfeuchten Augen trocknet? … Ach, ich kenne sie, die keuschen Sonnenaufgänge, die frohen Mittage, die gedankenvollen Abende und die sternenhellen Nächte! … Die wonnevollen Fernen, bei derem Anblick die Seele sich weitet und die Schmerzen schwinden … Ach! Ich kenne sie! … Liegen nicht jenseits der Horizontlinie dort, jenseits dieses Meeres, Länder, wie alle anderen Länder! … Giebts da nicht Menschen, Bäume, Lärm? … Nirgends Ruhe, nirgends Schweigen! … Sterben! Aber wer sagt mir, daß der Gedanke an Juliette mir nicht dorthin folgt, daß er sich nicht mit den Würmern vereinigt, um mich zu zerstören … Eines Tages, während eines gewaltigen Sturmes, hab ich dem Tode ins Angesicht gesehen. Ich flehte ihn an … aber er wandte sich ab … Er hat mich verschont, mich, der niemandem und zu nichts mehr nützt, mich, für den das Leben qualvoller ist, als der eiserne Halsring für den an den Pranger Gestellten, als die Schleifkugel für den Galeerensträfling. Er hat statt dessen einen kraftvollen, mutigen und guten Menschen dahingerafft, auf den arme Wesen daheim vergebens harrten! … Ja, das Meer hat mich einmal ergriffen, es hat mich durch seine Wogen gewälzt und mich wieder lebend auf den Strand gespien, als sei ich unwürdig in seiner Tiefe zu verschwinden …

Die Wolken zerstreuen sich und werden heller. Die Sonne sendet einen prachtvollen Strahlenregen auf das Meer herab, dessen Grün lichter wird, sich an einigen Stellen golden färbt, an anderen die Farbe des Opals annimmt und dicht an der Küste, jenseits der kochenden, schäumenden Brandung, in allen Tönen von Rosa und Weiß spielt. Der Wiederschein des Himmels, den die Welle bis ins Unendliche zerteilt, den sie in eine Mannigfaltigkeit von kleinen Lichtsplittern zerspaltet, schillert in tausend Farben auf der erregten Oberfläche. Hinter dem Hafendamm gleitet langsam das feine Mastwerk eines Kutters hervor, den die Schiffer hinausbugsieren, indem sie die Bulienen anholen; jetzt zeigt sich der Schiffsrumpf, die gehißten Segel schwellen, und allmählich entfernt sich das Boot, auf den Wellen tanzend … Längs des Strandes, den die Ebbe bloslegt, geht eilig ein Muschelfischer, barfüßige Schiffsjungen kommen angelaufen, waten in den Pfützen herum und heben die tangbewachsenen Steine in die Höhe, auf der Suche nach Krabben und Schnecken … Bald ist der Kutter nur ein grauer Fleck am Horizont, dessen nebelhafter Umriß sich im weichen Perlmutterschimmer verliert … Es sieht aus, als wolle sich das Meer zur Ruhe legen.

Jetzt sind es bald zwei Monate, seit ich herkam! … Zwei Monate! … Ich bin auf allen Wegen umhergelaufen, habe die Felder und die Heide durchstreift, jedes kleinste Kraut, jeden Stein, jedes Kruzifix, das an den Kreuzwegen der Landstraßen wacht, kenne ich … Wie ein Vagabund habe ich, mit vor Kälte erstarrten Gliedern, im Graben geschlafen; ich habe mich, am Fuße der Felsen, in ein Lager von feuchten Blättern verkrochen; ich bin den Meeresstrand entlang gewandert und habe die Klippen erklommen, geblendet vom Sande, gepeitscht vom Sprühregen der Wogen, betäubt vom Winde; mit blutenden Händen, mit zerschundenen Knien bin ich Felswände hinaufgeklettert, die unzugänglich für Menschen sind, die nur die einsamen Seevögel aufsuchen. Ich habe tragische Nächte auf dem Meere verbracht und habe die Fischer, in ihrem Grauen vor dem Tode, das Zeichen des Kreuzes machen sehen; ich habe ungeheure Felsblöcke ausgehoben, und bis zum Bauche im Wasser stehend, habe ich, wo die Meeresströmung am gefährlichsten ist, den Tang herausgefischt; ich habe mich mit den Bäumen herumgeschlagen und habe die Erde tief mit der Hacke aufgewühlt. Die Leute sagten! ich sei verrückt … Meine Arme sind zerschlagen, mein Körper schier zerquetscht … Und dennoch! Dennoch hat mich die Liebe keine Minute, ja keine Sekunde verlassen … Nicht allein, daß sie mich nicht verlassen hat – sie beherrscht mich nur noch mehr … Ich fühle, wie sie mich erwürgt, wie sie mir das Hirn erweicht, die Brust beklemmt, mir das Herz zernagt und die Adern ausdörrt … Ich bin wie das Tierchen, auf das sich der Iltis geworfen hat; was hilft es, daß ich mich auf der Erde wälze und mich verzweifelt wehre, um seinen scharfen Zähnen zu entgehen; der Iltis hat mich und läßt mich nicht los … Weshalb bin ich gereist? … Konnte ich mich nicht ebenso gut im Zimmer eines Hotel garnis verborgen halten? … Dann wäre Juliette von Zeit zu Zeit zu mir gekommen; niemand hätte von meinem Dasein gewußt, und in diesem Schatten des Vergessenseins hätte ich entsetzliche und doch göttliche Wonnen genossen … Lirat hat mir von Ehre, von Pflicht gesprochen, und ich habe ihm geglaubt! … Er hat mir gesagt: »Die Natur wird dich trösten.« … Und ich habe ihm geglaubt! … Lirat hat gelogen … Die Natur ist ohne Seele. Ganz ihrem Werke der ewigen Vernichtung geweiht, flößt sie mir nur Gedanken an Verbrechen und Tod ein. Niemals hat sie sich über meine brennende Stirn geneigt, um sie zu kühlen, über meine stöhnende Brust, um sie zu beruhigen … Und die Unendlichkeit hat mich dem Schmerz nur näher gebracht! … Jetzt leiste ich ihm keinen Widerstand mehr; besiegt, überlasse ich mich dem Schmerz, ohne fortan zu versuchen, ihn in die Flucht zu schlagen … Es möge die Sonne im goldenen Morgenrot aufgehen, sie möge in purpurner Glut versinken, es möge das Meer sein blitzendes Geschmeide entfalten, es möge alles funkeln, singen und duften – ich will nichts sehen, nichts hören … nichts sehen als Juliette in der flüchtigen Form der Wolken, nichts hören als Juliette in der irren Klage des Windes, und bis zur Todesqual will ich ihr Bild in den Dingen heraufbeschwören! … Ich sehe sie vor mir im Bois, lächelnd, glücklich über ihre Freiheit; ich sehe sie in den Prosceniumslogen der Theater paradieren; ich sehe sie vor allem nachts in ihrem Zimmer. Männer gehen bei ihr ein und aus, wieder andere kommen und gehen, und alle haben sich in der Liebe einen Rausch getrunken. Beim Lichte der Nachtlampe tanzen unzüchtige Schatten grinsend um ihr Bett; Küsse, Kichern und dumpfe Laute werden im Kopfkissen erstickt, und mit zitterndem Munde, mit schmachtenden Augen bietet sie allen die Wollust ihres Körpers, dieses Körpers, welcher der Sinnenlust nie müde wird. Mit brennendem Kopfe bohre ich die Nägel in meinen Hals hinein und rufe: »Juliette! Juliette!« als ob es möglich wäre, daß Juliette mich hörte; in den Wind hinaus: »Juliette! Juliette!« Ach! Nur das Geschrei der Möven und die grollenden Wogen, die sich an den Felsen brechen, antworten mir: »Juliette! Juliette!«

Und der Abend naht … Der Nebel steigt herauf. Leicht, mit rosigem Hauch übergossen, hüllt er das Dorf und die Küste ein, während der schwarze Hafendamm, wie der Rumpf eines Schiffes ohne Masten, daliegt. Die Sonne senkt ihre glühende Kupferkugel in das Meer und zeichnet auf der ungeheueren Fläche einen blutig-rieselnden Strahlenweg. An jeder Seite wird das Wasser dunkel, und an der Spitze der Wellen tanzen blitzende Funken. Zu dieser melancholischen Stunde pflege ich den Weg durch das Land hinauf zu nehmen, um heimzukehren. Ich begegne immer denselben Karren, mit Ochsen bespannt, die in grauen Leinendecken eingehüllt sind; ich gewahre immer die nämlichen Silhouetten von Bauern gegen die undankbare Erde gekrümmt, schweigsam und ernst gegen Heide und Gestein ankämpfend. Und auf den Hügeln von Saint Jean, wo die Windmühlen wie unsinnig ihre Flügel bewegen, streckt am leuchtenden Abendhimmel das ewige Golgatha seine Marterarme aus …

Ich wohnte am äußersten Ende des Dorfes bei der Mutter Le Gannec, einer biederen Frau, die für mich sorgte, so gut sie konnte. Das Haus mit der Aussicht nach dem Hafen war reinlich und gut gehalten und mit neuen, glänzenden Möbeln ausgestattet. Die arme Alte strengte sich nach Kräften an, um mich zu erheitern, sie bemühte sich, etwas zu erfinden, was die Falten in meiner Stirn glätten, was ein Lächeln auf meinen Lippen hervorrufen konnte. Sie war geradezu rührend. Wenn ich morgens hinunter kam, fand ich den Haushalt bestellt, und die Mutter Le Gannec damit beschäftigt, Strümpfe zu stricken oder Netze auszubessern, lebhaft und flink, beinahe hübsch mit ihrer flachen Haube, ihrem kurzen, schwarzen Shawl und ihrer Schürze aus grüner Serge …

»Freund Mintié!« rief sie aus, »ich werde Ihnen heute abend ein schönes Frikassee von Muscheln machen … oder möchten Sie lieber eine gute Aalsuppe, dann werde ich Ihnen eine gute Aalsuppe kochen …

»Wie Sie wollen, Mutter Le Gannec!«

»Aber Sie antworten mir ja immer mit denselben Worten … Du lieber Herr Jesus! … Da war Freund Lirat anders: »Mutter Le Gannec, ich will Seemuscheln essen! … Mutter Le Gannec, ich will Strandmondschnecken essen! Und er schaute nicht traurig drein, wie Sie, … Nein der – das hätte noch gefehlt!«

Und die Mutter Le Gannec erzählte mir Geschichten von Lirat, der einen ganzen Herbst bei ihr zugebracht hatte.

»Und so klug war er und unerschrocken! … Bei Wind, bei Regen ging er aus, um Bilder zu machen … Das hat ihm nie was geschadet … Oft kam er heim, durchnäßt bis auf die Haut, aber dabei immer lustig, immer singend! … Und das hätten Sie mal sehen müssen, wie der essen konnte! Das ganze Meer hätte er verschlingen können, der Schelm!«

Mitunter erzählte sie, um mich zu zerstreuen, von ihrem eigenen Unglück und wiederholte mit erhabener Resignation, einfach und ohne zu klagen: »Was der liebe Gott will, müssen wir ja auch wollen … Wenn man immer sitzen wollte und darüber weinen, das würde die Sache nicht besser machen.«

Und mit der singenden Stimme, welche den Bretoninnen eigen ist, erzählte sie: »Le Gannec war der beste Fischer in Le Ploc'h und der kühnste Seefahrer der ganzen Küste. Es gab niemand, dessen Fischerboot besser imstande gewesen und niemand, der die fischreichen Gründe besser gekannt hätte, als er. Wenn bei stürmischer Witterung sich ein Boot hinaus begab, konnte man sicher sein, daß es die Marie-Joseph war. Alle Welt achtete ihn, nicht allein, weil er Mut besaß, sondern auch, weil sein Wandel unbescholten und würdig war. Er floh die Wirtshäuser wie die Pest, verabscheute die »Säufer«, und es war eine Ehre, mit ihm aufs Meer zu gehen … Sie müssen nämlich wissen, er führte das Rettungsboot … Wir hatten zwei Jungen, die beide kräftig entwickelt und kühn waren, einer von achtzehn Jahren und einer von zwanzig, welche der Vater dazu erzogen hatte, wie er, brave Seeleute zu werden … Ach! Freund Mintié, wenn Sie meine beiden schmucken Burschen gesehen hätten! … Und das Geschäft ging so gut, und von unseren Sparpfennigen hatten wir dieses Haus gebaut und diese Möbel gekauft … Kurzum, wir waren zufriedene Menschen! … Die eine Nacht, es sind jetzt gerade zwei Jahre her, kommen der Vater und die Jungen nicht zurück! … Na, ich ängstige mich nicht … Sie fuhren manchmal gar weit hinaus, bis nach Croisic, bis nach Les Sables, bis nach L'Herbaudière … Sie mußten ja den Fischen nachgehen, wissen Sie? … Aber die Tage verstreichen, es kommt niemand! … Da bin ich jeden Morgen und jeden Abend auf den Hafendamm gegangen und habe aufs Meer hinausgeschaut … Ich fragte die Fischer: »Habt Ihr denn nicht die Marie-Joseph gesehen?« Nein, Mutter Le Gannec.« »Wie mag das zugehen, daß sie noch immer nicht zurück ist?« »Ich weiß nicht.« »Sollte ihnen ein Unglück zugestoßen sein?« »Ist wohl möglich, Mutter Le Gannec!« Und wie sie das sagten, schlugen sie ein Kreuz … Da habe ich drei Wachskerzen anzünden lassen in der Kapelle Notre-Dame du Bon-Voyage! … Endlich, eines Tages, kamen sie alle drei zurück, auf einen großen Karren geladen, schwarz, aufgedunsen, halb verzehrt von Krabben und Seesternen … Tot … Tot, Freund Mintié! … Der Wächter vom Leuchtturm Penmarch hatte sie dort oben, zwischen den Felsen angeschwemmt gefunden.«

Ich hörte nicht auf sie, ich dachte an Juliette … Wo ist sie jetzt? … Was macht sie? … Immer dieselben Fragen!

Mutter Le Gannec fuhr fort:

»Ich kenne Ihre Angelegenheiten nicht, Freund Mintié, und ich weiß nicht, was Ihnen das Herz bedrücken mag! … Aber Sie haben Ihren Mann und Ihre zwei Jungen nicht auf einmal verloren, nicht wahr? … Und wenn ich nicht weine, Freund Mintié, so empfinde ich deshalb meinen Kummer nicht weniger tief, das kann ich Sie versichern!«

Und wenn der Wind pfiff, wenn das Meer von weitem grollte, fügte sie mit ernster Stimme hinzu:

»Heilige Jungfrau! Habe Mitleiden mit unseren armen Kindern draußen auf dem Meere« …

Ich aber dachte:

»Jetzt ist sie vielleicht beim Anziehen … Vielleicht schläft sie, von der Nacht erschöpft!«

Ich verließ das Haus und ging auf die Landstraße hinaus, die nach Quimper führt, setzte mich auf einen Grenzstein unterhalb eines weiten Höhenzuges und wartete auf den Postwagen. Der Weg, der in die Felsen eingehauen ist, wird an der einen Seite von einer hohen Böschung begrenzt, die mit Tannen und dürftigem Eichengestrüpp bewachsen ist; an der anderen Seite zieht sich ein kleiner Meeresbusen hin, der in die Heide einschneidet, die flach und kahl mit kleinen blinkenden Wasserpfützen daliegt. Hie und da heben sich graue Steinkegel aus dem Boden empor, und einige Kiefern spannen ihren blauen Schirm gegen den nebeligen Himmel. Die Raben fliegen vorüber, unablässig fliegen sie an mir vorüber; in schwarzen, zahllosen Schwärmen eilen sie zu irgend einem Schmause, zu einem Aas, das ihrer harrt … Und der Wind weht das melancholische Geläute zu mir herüber von den Glöckchen am Halse der Kühe, welche rings umher verstreut, das magere Gras der Heide abweiden …

Sobald ich die beiden kleinen weißen Pferde und die gelbe Kutsche den steilen Weg längs der Küste hinunterfahren sah, sobald ich das Geräusch der Räder und das Schellengeklingel hörte, schlug mir das Herz heftig … »Vielleicht bringt der Wagen da einen Brief von ihr!« sagte ich zu mir … Und das alte Gefährt, das auf seinen Federn ächzte und aus den Fugen zu gehen drohte, schien mir herrlicher als ein Krönungswagen, und der Kondukteur mit seiner Klappmütze und seinem scharlachroten Vollmondsgesicht machte mir den Eindruck eines Befreiers … Wie hätte Juliette mir schreiben können, da sie nicht wußte, wo ich war? … Aber ich hoffte stets auf ein Mirakel … Ich kehrte dann mit schnellen Schritten ins Dorf zurück, indem ich mich durch eine Reihe von unumstößlichen Gründen zu überzeugen suchte, daß ich an dem Tage sicher einen langen Brief von Juliette erhalten würde, in dem sie mir ihre Ankunft in Le Ploc'h ankündigte. Und im voraus las ich ihre wehmütigen Worte, ihre leidenschaftlichen Sätze, ihre Reue; ich gewahrte auf dem Papier die feuchten Spuren ihrer Thränen, denn in den Augenblicken phantasierte ich mir vor, daß Juliette ihre Zeit mit Weinen verbringe … Ach! nichts – mitunter einen Brief von Lirat, in bewunderungswürdigem Stil und mit väterlichem Gefühl geschrieben, der mich aber langweilte … Mit beklommenem Herzen kehrte ich zu meiner Düne zurück; ich empfand die drückende Last meiner gänzlichen Verlassenheit nur um so stärker und folterte mein Hirn mit tausend Plänen, der eine wahnsinniger als der andere … Aus dem kurzen Glück der Hoffnung stürzte ich in einen Zustand des schneidendsten Wehes zurück, und den Rest des Tages verbrachte ich damit, Juliette anzurufen, sie her zu beschwören, sie von den bleichen Blumen des Sandes zu erflehen, von dem Schaum der Wellen, von der ganzen gefühllosen Natur, die mir mein Lieb verweigerte und mir ihr Bildnis nur unvollkommen wiedergab, verwischt von den Küssen der anderen!

»Juliette! Juliette!«

Eines Tages begegnete ich auf dem Molo einem jungen Mädchen, begleitet von einem alten Herrn. Hochgewachsen und schlank, schien sie hübsch zu sein unter dem weißen Gazeschleier, der ihr Gesicht bedeckte, und dessen Enden, hinten an einem grauen Filzhut festgeknotet, im Winde flatterten. Ihre lieblichen und geschmeidigen Bewegungen erinnerten mich an Juliette. Wirklich, in der Art und Weise wie sie den Kopf trug, in der schmächtigen Biegsamkeit ihrer feinen Gestalt, der anmutigen Lässigkeit ihrer Glieder, dem leichten wiegenden Gang, fand ich etwas von Juliette wieder! … Ich betrachtete sie bewegt und die Thränen rollten mir über die Wangen … Sie ging bis auf das äußerste Ende des Hafendammes hinaus; ich saß auf der Brustwehr und verfolgte die Silhouette des jungen Mädchens, in Gedanken verloren und ganz bezaubert … Als sie sich allmählich weiter von mir entfernte, wurde mir wieder traurig zu Mute … Weshalb hatte ich sie nicht früher kennen gelernt, vor der anderen? … Ich hätte sie vielleicht geliebt! … Ein junges Mädchen, das niemals den verpesteten Atem der Männer auf ihrem Gesicht gefühlt hat, deren Ohren keusch sind, deren Lippen keine unreinen Küsse kennen; wie wäre es wonnevoll sie zu lieben, so zu lieben, wie die Engel lieben! … Der weiße Schleier flatterte über ihrem Haupte hin und her wie die Flügel einer Möve … Und plötzlich verschwand sie hinter dem Leuchtturm … Am Fuße des Molo plätscherte das Meer mit leisem Schaukeln, einer Kinderwiege gleich, die eine Wärterin singend wiegt, und der Himmel war wolkenlos; er breitete sich über der unbeweglichen Oberfläche der Fluten aus wie ein großes, schleppendes Segel von lichtem Mousselin … Das junge Mädchen kehrte bald zurück und ging so dicht an mir vorüber, daß ihr Kleid mich beinahe streifte. Sie war blond; ich hätte sie lieber brünett gehabt, wie Juliette … Sie entfernte sich, verließ den Hafendamm, schlug den Weg nach dem Dorfe ein, und bald sah ich nur den weißen Schleier, der mir grüßend sagte: »Lebwohl, lebwohl! sei nicht mehr traurig, ich komme wieder.«

Am Abend fragte ich die Mutter Le Gannec aus.

»Es ist das Fräulein de Landudec,« antwortete sie mir … »Ein sehr gutes Kind und so tüchtig, Freund Mintié. Der alte Herr ist ihr Vater … Sie bewohnen das große Landhaus, das am Wege liegt, der nach Saint-Jean hinaufführt … Sie erinnern sich wohl. Sie sind oft dort gewesen …«

»Wie geht es zu, daß ich sie nie gesehen habe?«

»Du lieber Himmel … Der Vater ist ja immer krank, und das Fräulein bleibt zu Hause, um ihn zu pflegen, die arme Kleine! Heute hat er sich ohne Zweifel besser gefühlt, und da hat sie ihn ein bischen spazieren geführt.«

»Ihre Mutter lebt nicht mehr?«

»Nein! Sie ist schon lange tot.«

»Sind sie reich?«

»Reich! … Nicht übermäßig, glaube ich. Sie geben's alle weg! Wenn Sie übrigens Sonntags in die Messe gingen, Freund Mintié, würden Sie das gute Fräulein sehen.«

An dem Abend blieb ich zu Hause, um mit der Mutter Le Gannec zu plaudern.

Ich sah das gute Fräulein seitdem öfter wieder, und an den Tagen wurde mir der Gedanke an Juliette weniger schwer. Ich trieb mich in der Nähe des Landhauses umher, das mir ebenso verlassen wie die Priorei vorkam; der Hof war mit Unkraut überwachsen, die Rasenplätze schlecht gehalten, die Wege im Park von den schweren Karren des naheliegenden Pachthofes aufgerissen. Die graue Steinfront, welche die Zeit verwittert, der Regen grün gefärbt, war ebenso melancholisch wie die großen Granitblöcke, die man in der Heide sieht … Am folgenden Sonntage ging ich in die Messe, wo ich das Fräulein de Landudec, zwischen betenden Bauern und Seeleuten gewahrte … Auf ihrem Bet-Schemel niederknieend, den zarten Körper vornübergebeugt wie die Jungfrauen der Frührenaissance-Maler, das Haupt über ein Buch geneigt, betete sie mit heißer Andacht … Wer weiß? … Sie hatte vielleicht verstanden, daß ich unglücklich war, vielleicht mischte sich der Gedanke an mich in ihr Gebet … Und während der Prediger das Vaterunser herleierte, während das Schiff der Kirche sich mit dem Geklapper der Holzschuhe auf den Steinfliesen und dem Murmeln frommer Lippen anfüllte, während der Weihrauch von den Räuchergefäßen in das Gewölbe emporstieg, begleitet von den dünnen Stimmen der Chorknaben, während das junge Mädchen betete, wie Juliette gebetet hätte, wenn Juliette gebetet hätte, träumte ich … Ich war in einem Park, und das junge Mädchen schritt auf mich zu, in Mondlicht gebadet. Sie faßte mich bei der Hand, und wir wanderten auf den Rasenplätzen und unter den Bäumen, welche rauschten.

»Jean,« sagte sie zu mir, »Sie leiden, und ich komme zu Ihnen … Ich habe Gott gefragt, ob ich Sie lieben dürfte, und er hat es mir erlaubt … Ich liebe Dich!«

»Sie sind zu schön, zu rein, zu heilig, um mich zu lieben! … Sie dürfen mich nicht lieben!«

»Ich liebe Dich! … Stütze Deinen Arm auf den meinen … Lege Dein Haupt auf meine Schulter, und so wollen wir für immer zusammen wandern! …«

»Nein, nein! Kann denn die Lerche die Eule lieben? … Kann denn die Taube, die in den Lüften fliegt, die Kröte lieben, die sich im Schlamm der stinkenden Gewässer verbirgt?«

»Du bist keine Eule, Du bist keine Kröte, da ich Dich auserwählt habe! Die Liebe, welche Gott erlaubt, löscht alle Sünden aus, bringt Trost für alle Leiden … Geh mit mir, und ich will Dir die Reinheit wieder geben … Geh mit mir, und ich will Dir das Glück schenken!«

»Nein, nein! … Mein Herz ist vom Krebs zerfressen, und meine Lippen haben das Gift getrunken, welches die Seelen tötet, welches die Jungfrauen, wie Du eine bist, zur Hölle führt … Komm mir nicht nahe! Ich würde Dich versengen, meine Augen würden Dich beschmutzen, und du würdest Julietten ähnlich werden …«

Die Messe war zu Ende, die Vision schwand … In der Kirche entstand ein starkes Geräusch von hinundher geschobenen Stühlen und schweren Schritten, und die Chorknaben löschten die Wachskerzen am Altar aus … Das junge Mädchen kniete noch immer betend nieder. Von ihrem Gesicht unterschied ich nichts als das Profil, das sich im sanften Schatten des weißen Schleiers verlor … Nachdem sie das Zeichen des Kreuzes gemacht, erhob sie sich … Ich mußte meinen Stuhl beiseite schieben, um sie vorbei zu lassen … Sie schritt an mir vorüber … Und ich empfand eine wirkliche Befriedigung, als ob ich, indem ich die Liebe ausschlug, die das junge Mädchen mir im Traume angeboten, soeben eine große Pflicht erfüllt hätte.

Während einer Woche ungefähr beschäftigte ihr Bild meine Gedanken unaufhörlich. Ich hatte meine eifrigen Märsche durch die Heide, längs des Strandes, wieder aufgenommen, ich wollte gesunden. Erhitzt vom Winde, trunken von dem eigenartigen Rausche, den der peitschende Sprühregen des Meeresstrandes einem mitteilt, schritt ich dahin, während ich mir allerlei romantische Unterhaltungen mit dem Fräulein de Landudec vorphantasierte, nächtliche Abenteuer, die sich in feenhaften und mondbeschienenen Landschaften abspielten. Alle beide rangen wir, wie Opernhelden, mit erhabenen Gedanken, heroischer Aufopferung, unerhörter Hingebung; wir gingen, indem wir die leidenschaftlichsten Rhythmen, die rührendsten Ritornellen sangen, bis an die Grenzen menschlicher Entsagung. Ein schluchzendes Orchester begleitete die Zerrissenheit unserer Stimmen.

»Ich liebe Dich, ich liebe Dich!«

»Nein, nein! Du darfst mich nicht lieben!« Sie, in einem sehr langen, weißen Kleide, mit verstörten Augen, ausgestreckten Armen … Ich, finster, vom Schicksal verfolgt, mit zitternden Knieen unter dem lilla Tricot, und vom Winde zerzausten Haaren …

»Ich liebe Dich! Ich liebe Dich!«

»Nein, nein! Du darfst mich nicht lieben!«

Und die Violinen sangen mit unerhörten Klagen, die Oboen seufzten, während die Kontrabässe und die Handpauken wie Sturmwindbrausen und wie Donnergetöse grollten.

Oh, ewige Komödie des Schmerzes!

Sonderbar, das Fräulein de Landudec und Juliette verschwommen in eins; ich konnte sie nicht mehr voneinander trennen, in meinem überspannten und melodramatischen Traum traten sie beide in einer Person auf. Sie waren beide zu rein für mich.

»Nein, nein, ich bin ein Aussätziger, laßt mich!«

Sie wollten mich nicht lassen, sie küßten meine Wunden, sprachen von Sterben und riefen:

»Wir lieben Dich! Wir lieben Dich!«

Und besiegt, bezwungen, erlöst durch die Liebe, warf ich mich ihnen zu Füßen. Der alte sterbende Vater streckte seine Hände über uns aus und segnete uns alle drei!

Dieser Wahnsinn dauerte nur eine Woche lang, – dann lag ich wiederum auf meiner Düne, von Angesicht zu Angesicht mit Juliette und meinem Leid.

»Juliette! Juliette!«

Es klangen keine Violinen, keine Oboen mehr; statt dessen tönte ein Schmerzensgeheul, ein Geheul der Empörung; es war das Brüllen des gefangenen Raubtieres, das seine Fütterung will.

»Juliette! Juliette!«

Eines Abends kehrte ich, elender als je, nach Hause zurück, das Hirn von dumpfen Qualen gemartert. In den Armen und Händen spürte ich eine Wut zu töten, zu erwürgen … Ich sehnte mich danach, daß unter dem Druck meiner Finger, Menschen sich qualvoll wänden, röchelten und stürben. Die Mutter Le Gannec stand unruhig nach mir ausspähend, auf der Schwelle der Thür und strickte an ihrem ewigen Strumpfe.

»Wie spät Sie heute abend kommen, Freund Mintié! … Ich habe Ihnen so schöne Hummer gekocht!«

»Laß mich in Frieden, alte Schwätzerin!« schrie ich … »Ich will Deine Hummer nicht, ich will gar nichts, hast Du mich verstanden?«

Und indem ich wütende Worte hervorstieß, drängte ich mich brutal in die Thür hinein und zwang sie, ihre Stellung zu verlassen, um mir Platz zu machen … Die alte Frau hob bestürzt die Arme gen Himmel und jammerte:

»Allbarmherziger Gott! Allbarmherziger Gott!«

Ich stürzte in mein Zimmer und schloß mich ein … Erst wälzte ich mich auf dem Bette herum, zerbrach zwei Stühle, stieß mit der Stirn gegen die Wand, dann setzte ich mich jählings hin und fing einen exaltierten, verrückten Brief an Juliette an, voll der furchtbarsten Drohungen und der demütigsten Bitten; einen Brief, in dem ich in unzusammenhängenden Sätzen bald davon sprach, sie tot zu schlagen, bald wieder davon, ihr zu vergeben. Ich flehte sie an, zu mir zu kommen, bevor ich stürbe, und beschrieb ihr mit tragischem Raffinement einen Felsen, von dem ich mich ins Meer stürzen wollte … Ich verglich sie mit der gemeinsten öffentlichen Dirne und einige Zeilen weiterhin, mit der heiligen Jungfrau. Mehr als zwanzig Mal fing ich den Brief von vorn an, indem ich immer aufgeregter wurde, laut schluchzte, und abwechselnd wütend bis zur Raserei und wehmütig bis zum Vergehen war … Da hörte ich ein Geräusch hinter der Thür, wie von Mäusen … Ich schloß auf, und die Mutter Le Granec stand vor mir, zitternd, bleich, und sah mich mit ihren guten, ängstlichen Augen an.

»Was wollen Sie?« herrschte ich sie an … Was haben Sie hier zu spionieren? … Gehen Sie Ihrer Wege!«

»Freund Mintié,« jammerte die alte Frau, »Freund Mintié, werden Sie nicht böse! … Ich weiß ja wohl, daß Sie unglücklich, sind und bin nur hergekommen, um zu sehen, ob ich Ihnen irgend wie nützlich sein könnte.«

»Ja ja, ich bin unglücklich, gewiß! … Was geht das aber Sie an? … Kommen Sie, nehmen Sie diesen Brief und tragen Sie ihn auf die Post, und lassen Sie mich in Ruhe.«

Seit vier Tagen ging ich nicht mehr aus … Mutter Le Gannec kam zu mir ins Zimmer, um mir das Bett zu machen und mich während der Mahlzeiten zu bedienen. Demütig, furchtsam, ihre Fürsorge verdoppelnd, seufzte sie:

»Ach, welch' ein Unglück! … Ach, du mein Heiland! welch' ein Unglück!«

Ich verstand, daß ich schlecht gegen sie gehandelt hatte, die so liebevoll gegen mich gewesen, und ich hätte sie so gern um Verzeihung gebeten wegen meiner Grobheiten … Ihre weiße Haube, ihr schwarzer Shawl, ihr altes, betrübtes, mütterliches Gesicht, rührten mich. Aber eine Art thörichter Stolz hielt mich zurück und machte die warmen Worte, die mir auf den Lippen schwebten, erstarren … Sie machte sich resigniert um mich herum zu schaffen, mit einer Miene voll unendlichen mütterlichen Erbarmens und wiederholte von Zeit zu Zeit: »Ach, welch' ein Unglück! … Ach, Du mein Heiland! Welch' ein Unglück!«

Der Tag ging zu Ende. Während die Mutter Le Gannec, nachdem sie den Brief fortgetragen hatte, das Zimmer ausfegte, setzte ich mich ans offene Fenster, die Ellbogen auf die Fensterbrüstung gestützt. Die Sonne war hinter der Horizontlinie verschwunden und hatte dem Himmel von all ihrer glühenden Strahlenpracht nur ein rötliches Leuchten hinterlassen, und das Meer, welches schwer, glanzlos und regungslos dalag, nahm eine melancholische, bleierne Farbe an. Die Nacht rückte langsam und schweigend heran, und die Luft war so ruhig, daß man das rhythmische Geräusch der Ruderschläge draußen im Hafen und das ferne Kreischen der Winden droben an den Masten deutlich hörte … Ich sah, wie der Leuchtturm angezündet wurde, wie sein rotes Feuer sich im Raume wie ein toller Stern herumdrehte … Und ich fühlte mich unsäglich unglücklich! …

Juliette wird mir nicht antworten! … Juliette wird nicht kommen! … Mein Brief wird sie sicherlich erschreckt haben; die wütenden Scenen von früher, wo ich sie beinahe erwürgt hatte, werden ihr ohne Zweifel wieder einfallen … Sie hat Angst vor mir und wird nicht kommen! … Außerdem fehlt es ihr ja nicht an Ausflügen, Festen, Diners; eine Schar von ungeduldigen Männern wartet vor ihrer Thür, sie verlangen ungestüm nach ihr, denn sie haben ja im voraus für die versprochene Nacht bezahlt … Weshalb sollte sie auch zu mir kommen? … An diesem einsamen Strande gab es kein Kasino; in diesem kleinen verlorenen Winkel des Oceans war kein Mensch, an dem sie ihren Körper verkaufen konnte … Mir hatte sie alles genommen, mein Geld, meinen Verstand, meine Ehre, meine Zukunft, alles! … Was könnte ich ihr denn noch geben? … Nichts. Also: weshalb sollte sie kommen? … Hätte ich ihr sagen können, daß mir noch zehntausend Franken geblieben wären, dann würde sie herbeieilen! … Wozu? … Es ist besser, daß sie nicht kommt … Ja! es ist besser so, daß sie nicht kommt!

Meine Wut hatte nachgelassen; statt dessen erfüllte mich ein Ekel vor mir selber, ein unaussprechlicher Ekel … Wie war es möglich, daß in so kurzer Zeit ein Mensch, der doch nicht schlecht war, dessen Streben doch einst von Stolz und Adel erfüllt war, wie war es möglich, daß er so tief, in so widerlichen Schmutz sinken konnte, daß keine menschliche Macht ihn daraus emporzuziehen imstande war! … Was mich in dem Augenblick am meisten schmerzte, waren nicht meine Verrücktheiten, meine Gemeinheiten, meine Verbrechen, sondern der Gedanke an das Unglück, das ich über meine Umgebungen heraufbeschworen hatte … Die alte Marie! … Der alte Felix! Ach, die armen Menschen! … Wo waren sie? … Was machten sie? … Hatten sie wenigstens satt zu essen? … Denn ich hatte sie ja gezwungen, indem ich sie fortjagte, sich ihr Brot zu erbetteln; sie, die so alt waren, die stets gut und vertrauensvoll gewesen, und dabei elender und verlassener als ein herrenloser Hund … Ich sah sie vor mir, wie sie, furchtbar abgemagert, mit krummgebeugtem Rücken, sich auf den Krückstock stützend, hustend daher gehumpelt kamen und abends ihr Haupt hin betten mußten, wo und wie es der Zufall wollte. Und die gute Mutter Le Gannec! Sie hatte mich gepflegt wie eine Mutter ihr Kind, hatte versucht mich zu beruhigen mit jener wohlthuenden Wärme und Zärtlichkeit, die oft bei geringen Leuten zu finden ist – statt nun vor ihr nieder zu knieen, ihr zu danken, hatte ich sie grob angefahren, ja, beinahe geschlagen! … Oh, nein, nein! Besser, daß sie nicht käme! … Besser, daß sie nicht käme! …

Die Mutter Le Gannec zündete die Lampe an, und ich war im Begriff das Fenster zu schließen, als ich draußen auf dem Wege Glockengeklingel hörte, darauf das Rollen eines Wagens … Mechanisch sah ich hin … Wirklich, ein Wagen fuhr die Anhöhe hinan, die gerade an dieser Stelle sehr steil war; es war eine Art von Omnibus, der mir sehr hoch schien und mit Koffern beladen war … Ein Fischer ging vorüber … Der Postillon rief ihn an:

»Heh! Hören Sie mal! ist hier das Haus von der Frau Le Gannec?«

»Da ist's, Dir gerad' gegenüber,« antwortete der Fischer, der mit einer Handbewegung das Haus bezeichnete und darauf seiner Wege ging.

Ich war leichenblaß geworden … Da erblickte ich beim Lichte der Wagenlaterne eine kleine behandschuhte Hand, die sich auf den Drücker der Wagenthür legte.

»Juliette! Juliette!« rief ich außer mir … »Mutter Le Gannec, es ist Juliette! … schnell, schnell, … es ist Juliette!«

Laufend, die Treppe hinabstürmend, stürzte ich auf die Straße hinaus.

»Juliette! meine Juliette!«

Weiche Arme umschlangen mich, auf meiner Wange fühlte ich ihre Lippen, und ich hörte ihre Stimme seufzen:

»Jean! mein kleiner Jean!«

Und ohnmächtig sank ich in Juliettens Arme. Aber ich erwachte bald aus meiner Ohnmacht. Man hatte mich auf das Bett gelegt, und Juliette, die über mich gebeugt neben mir stand, küßte mich, rief meinen Namen und weinte.

»Ach, mein armer Liebling! … Was hast Du mir für Angst bereitet! … Wie bist Du blaß! … Aber jetzt ist es vorüber, nicht wahr? sag? … Sprich zu mir, mein Jean!«

Ohne ein Wort zu sagen, betrachtete ich sie … Es war mir, als ob mein ganzes Wesen, das plötzlich leblos und starr geworden, gleich wie vernichtet war – durch ein großes Leid oder eine große Freude, was von beiden, wußte ich nicht – in meinem Blick das Leben konzentrierte, das Tropfen für Tropfen meine Glieder, meine Adern, mein Herz, mein Hirn, zu verlassen drohte. Ich betrachtete sie … Sie war noch immer schön, nur ein wenig bleicher als vordem, und ich fand die ganze Juliette wieder, mit ihren strahlenden Augen, ihrem liebenden Mund, ihrer entzückenden, kindlichen Stimme mit dem hellen Klange … Ich suchte auf ihrem Gesicht, in ihren Gesten, in den gewohnten Bewegungen ihres Körpers, in ihren Worten, schmerzliche Spuren ihrer verborgenen Existenz, irgend ein Brandmal, eine Wandlung zum Schlimmeren, etwas Neues, etwas Verwelktes! … Nein, sie war in Wirklichkeit nur ein wenig bleicher, das war alles … Und ich brach in Thränen aus …

»Endlich sehe ich Dich, meine kleine Juliette!« Sie trank meine Thränen, sie weinte auch und hielt mich umschlungen. »Mein Jean! … Ach, mein angebeteter Jean!«

Da klopfte die Mutter Le Gannec an die Thür des Zimmers … Sie wandte sich nicht an Juliette, that sogar, als bemerkte sie sie nicht.

»Was sollen wir mit den Koffern anfangen, Freund Mintié?« fragte sie.

»Herauftragen lassen, Mutter Le Gannec!«

»All' die Koffer lassen sich nicht hier unterbringen,« antwortete die alte Frau im harten Ton.

»Hast Du so viele mitgebracht, mein Liebling?«

»Viele? Durchaus nicht! … es sind nur sechs … Die Leute sind zu dumm!«

»Schön, Mutter Le Gannec,« sagte ich, »lassen Sie sie heute abend unten stehen … wir wollen sehen, morgen …«

Ich war aufgestanden, und Juliette durchstöberte das Zimmer, indem sie alle Augenblicke rief:

»Aber es ist ja reizend hier! … Es ist zu drollig, Liebster … Sieh mal her, Du hast ja ein Bett, ein wirkliches Bett … Ich habe immer gemeint, in der Bretagne schliefe man in Schränken … Ach! … was ist denn das! … Bitte, sei still einen Augenblick, Jean, ganz still …«

Sie hatte vom Kamin eine große Muschel genommen und hielt sie an das Ohr.

»Nichts!« sagte sie enttäuscht … »gar nichts! Es macht ja nicht: Tschrum! in Deinen Muscheln, Jean! … Sag mal, weshalb nicht?«

Sie brach plötzlich ab und stürzte sich jählings in meine Arme, indem sie mich mit Küssen bedeckte.

»Ach! Dein Bart! … Ach, Du böser Mensch, Du läßt Deinen Bart wachsen! … Und wie lang Deine Haare sind! Und wie mager Du geworden bist! … Hab' ich mich sehr verändert? … Bin ich noch eben so schön?«

Sie faltete die Hände um meinen Hals, legte den Kopf auf meine Schulter und sagte:

»Erzähle mir, was Du hier machst, wie Du Deine Tage verbringst, woran Du denkst … Erzähle es Deiner kleinen Frau und lüge nicht … Sag ihr hübsch artig alles, alles, alles! …«

Da erzählte ich ihr von meinen unsinnigen Märschen, von den Stürmen, die ich auf den Dünen zugebracht, wie ich unaufhörlich ihren Namen gerufen, ihn in den Wind, in das Meeresbrausen hinausgerufen, als sei ich wahnsinnig gewesen …

»Armer Kleiner! Armer Kleiner!« seufzte sie.

»Und Du, meine Juliette, hast Du auch zuweilen an mich gedacht?«

»Ich! Als ich Dich nicht an jenem Abend zu Hause fand, dachte ich, daß ich sterben müßte … Célestine hatte mir erzählt, daß ein Herr gekommen sei, der Dich mit sich genommen habe! Trotzdem erwartete ich Dich fest zurück … Er wird heimkehren, er wird heimkehren … Aber Du kehrtest nicht heim … Da bin ich den nächsten Morgen zu Lirat gelaufen! … Ah! wenn Du wüßtest, wie er mich empfangen hat! … wie er mich behandelt hat! … Ich habe alle Welt gefragt: »Wissen Sie, wo Jean ist?« Oh, Du böser, böser Mensch, so wegzureisen! … ohne ein Wort … Du liebtest mich also nicht mehr? … Da habe ich mich betäuben wollen, verstehst Du … Ich litt zu sehr! …«

Ihre Stimme ging in einen kurzen, harten Ton über:

»Was Lirat betrifft! … Sei ruhig, Liebster, ich werde mich rächen … Darauf kannst Du Dich verlassen … Das wird eine Farce werden! … Er ist ein Lump, Dein Freund Lirat! … Aber Du wirst schon sehen, Du wirst schon sehen.«

Etwas beunruhigte mich: wieviel Tage, wieviel Wochen wollte Juliette bei mir bleiben? … Sie hatte sechs Koffer mitgebracht; also hatte sie die Absicht, wenigstens einen Monat in Le Ploc'h zu verbringen, vielleicht länger … In die große Freude, sie ohne Störung, ohne Furcht besitzen zu können, mischte sich eine lebhafte Unruhe … Ich hatte kein Geld … und ich kannte Juliette zu gut, um nicht zu wissen, daß sie sich nie darin finden würde, so zu leben, wie ich es gethan; ich sah Ausgaben voraus, die ich nicht imstande sein würde zu leisten … Was war dabei zu machen? … Da ich sie nicht direkt fragen mochte, antwortete ich: »Es wird Zeit genug sein daran zu denken, Liebste, wenn wir in drei Monaten nach Paris zurückkehren …«

»In drei Monaten? … Aber, mein armer Liebling, in acht Tagen spätestens reise ich wieder ab … Es thut mir wirklich furchtbar leid …«

»Bleibe, meine kleine Juliette, ich bitte Dich, bleibe, für immer … oder wenigstens etwas länger … vierzehn Tage!«

»Es ist unmöglich, verstehst Du … Ach, sei nicht traurig, Schatz … weine nicht … denn, wenn Du weinst, erzähle ich Dir etwas Schönes nicht, etwas sehr, sehr Schönes, das ich Dir sonst sagen will.«

Sie wurde noch zärtlicher gegen mich, drückte sich dicht an mich an und fuhr fort:

»Höre mich, Liebster … Ich habe nur einen Gedanken, nur einen einzigen Gedanken: mit Dir zu leben! … Wir wollen Paris verlassen, in ein kleines Haus ziehen, welches so verborgen liegt, das niemand von unserem Dasein weiß … Nur müssen wir erst zwanzigtausend Franken Renten haben …«

»Wo willst Du, daß ich die jetzt hernehme?« rief ich mutlos aus.

»Höre weiter!« fing Juliette wieder an … »Wir müssen also zwanzigtausend Franken Renten haben … Oh, ich habe alles berechnet! … Gut, in drei Monaten werden wir sie haben …«

Juliette schaute mich mit einer geheimnisvollen Miene an … sie wiederholte:

»Wir werden sie haben! …«

»Ich bitte Dich, Liebste, sprich nicht so … Du weißt nicht, wie weh Du mir damit thust …«

Juliette erhob ihre Stimme; die Falte in ihrer Stirn wurde hart:

»So willst Du also lieber, daß ich für immer anderen angehören soll?«

»Ach, schweig doch still, Juliette! … Schweige! … Sag das nicht wieder, nie wieder! …«

»Wie komisch Du bist! … Gut, sei hübsch lieb und küsse mich!«

Am folgenden Tage, während sie sich umzog inmitten der offenen Koffer und der überall umhergeworfenen Kleider und sehr ärgerlich war über die Abwesenheit ihrer Kammerjungfer, machte sie Pläne für die Woche. Sie wollte auf dem Hafendamm spazieren gehen, in den Leuchtturm steigen, fischen, in die Düne hinausgehen und sich auf den Platz setzen, wo ich um sie geweint hatte … Sie freute sich darauf, niedliche Bretoninnen zu sehen, im Nationalkostüm mit Litzenstickerei wie auf dem Theater, und darauf, in den Bauernhöfen Milch zu trinken!

»Sind auch Boote hier?«

»Jawohl.«

»Viele?«

»Jawohl.«

»Ah, das trifft sich ja herrlich! Ich mag die Boote so gern!«

Darauf erzählte sie mir Neuigkeiten aus Paris … Gabrielle war nicht mehr mit Robert zusammen … Malterre verheiratete sich … Jesselin war auf Reisen … Es hatten Duelle stattgefunden … Und dann kamen Anekdoten über alle Welt … Dieser ganze böse Pariser Geruch brachte mich wieder in melancholische Stimmung, rief in mir herzbeklemmende Erinnerungen wach … Als sie mich traurig sah, brach sie ab, küßte mich und nahm eine wehleidige Miene an.

»Ach! Du glaubst vielleicht diese Lebensweise gefiele mir!« stöhnte sie … »und meinst, ich dächte nur daran mich zu amüsieren, kokett zu sein! … Wenn Du wüßtest! … Du verstehst, es giebt Dinge, die ich Dir nicht sagen kann … Aber wenn Du wüßtest, welche Last es für mich ist! … Du bist unglücklich, sagst Du … Nun, und ich? … Sieh mal, hätte ich nicht die Hoffnung, einst mit meinem Jean zu leben, so würde ich mich töten, so widerlich wird mir's oft.«

Und mit einschmeichelnden Gesten, träumerischer Miene, kam sie wieder auf ihre Schäfereien zurück, auf ihre kleinen grünen Waldpfade, auf die Stille einer sanften und verborgenen Existenz, mit Blumen, Tieren und Liebe … Ah! ergebene und treue Liebe, ewige Liebe, Liebe, die uns bis zum Tode, wie eine heiße Sonne durchglühen würde.

Nach dem Frühstück, welches uns die Mutter Le Gannec mit strengem Gesicht vorsetzte, ohne auch nur einmal die zugekniffenen Lippen zu öffnen, gingen wir zusammen aus. Kaum waren wir draußen, so wünschte Juliette wieder heimzukehren, weil ein frischer Wind wehte, der ihr die Haare in Unordnung brachte.

»Ah, der Wind, Liebster, der Wind! … den kann ich nicht vertragen, siehst Du … Er ruiniert mir meine Frisur und macht mich ganz krank! …«

Sie langweilte sich den ganzen Tag hindurch, und unsere Küsse konnten die Leere nicht ausfüllen … Ebenso wie ehemals in meinem Arbeitskabinett, breitete sie ein Handtuch über ihr Kleid aus, legte kleine Bürsten und Feilen darauf und fing sehr ernsthaft an, sich die Nägel zu polieren. Ich litt grausam, und die qualvolle Vision des alten Mannes am Fenster wich nicht von mir.

Am folgenden Tage erklärte Juliette mir, daß sie gezwungen sei, denselben Abend noch abzureisen.

»Ach, wie unglücklich sich das trifft, Liebster! … Ich hatte ganz vergessen! … schnell, schnell, bestelle einen Wagen … Oh, wie langweilig das ist!«

Ich machte keinen Versuch, sie zurückzuhalten. Auf einem Stuhle umgesunken, unbeweglich, finster, den Kopf in die Hände gestützt, wohnte ich den Vorbereitungen zur Reise bei, ohne ein Wort zu sprechen, ohne eine Bitte an sie zu richten … Juliette kam und ging, legte ihre Kleider zusammen, arrangierte ihre Reisenecessaire, verschloß die Koffer, und ich hörte nichts, sah nichts, wußte von nichts … Es traten Männer ein, deren schwere Schritte die Dielen krachen machten … Ich begriff, daß sie kamen die Koffer zu holen. Juliette setzte sich auf meine Kniee.

»Mein armer Liebling,« sagte sie weinend, »es thut Dir weh, daß ich Dich in dieser Weise verlasse, nicht wahr? … Ich muß … sei vernünftig … Ich werde bald wiederkommen … auf lange Zeit … Sei nicht so! … Ich werde wiederkommen … Ich verspreche es Dir … Ich werde Spy mitbringen … Ich werde auch ein Pferd mitbringen und spazieren reiten, gelt? nicht? … Dann sollst Du mal sehen, wie Deine kleine Frau gut zu Pferde sitzt … Aber so gieb mir doch einen Kuß, Jean! … Jean! weshalb willst Du mir keinen Kuß geben? … Jean, so sei doch nicht so! … Lebewohl, ich bete Dich an! … Lebewohl!«

*

Es war dunkel, als die Mutter Le Gannec in mein Zimmer eindrang. Sie zündete die Lampe an und näherte sich mir.

»Freund Mintié! Freund Mintié!«

Ich hob die Augen zu ihr empor, und sie sah so betrübt aus, es lag ein so erbarmungsvolles, ein so tiefes Mitleid auf ihrem Gesicht, daß ich mich in ihre Arme stürzte.

»Ach! Mutter Le Gannec! Mutter Le Gannec! …« schluchzte ich. » Das ist's ja! … Und ich sterbe daran! … Daran

Und liebevoll murmelte die Mutter Le Gannec:

»Freund Mintié, weshalb wollen Sie nicht zum lieben Gott, beten? … Es würde Ihnen Erleichterung verschaffen!«


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